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Der Gottesdienst des Gekreuzigten

2005, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie

Die nachträgliche Humanisierung eines Skandals-das kann Aufgabe der Theologie nicht sein. Dass dies insbesondere für den Skandal des Kreuzestodes Christi gilt, ergibt sich aus dem konflikthaften Wesen des Wortes vom Kreuz selbst. Insofern können denn auch die kritisch-polemischen Einsprüche von ihrer reflexionsreicheren Form bei F. Nietzsche bis hin zu ihrer reflexionsärmeren Version bei F. Buggle 1 als Erinnerung daran verstanden werden, dass eine eher zur Verharmlosung neigende neuzeitliche Theologie sich und ihrer Rechenschaftspflicht einen Bärendienst erweist. Anselm von Canterbury hat diesen Skandal bereits empfunden, als er das, was Gott in den Augen der Ungläubigen Schmach zufüge, nämlich seine Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz, in seiner inneren Rationalität auch für Außenstehende zu demonstrieren suchte. 2 Nicht nachträgliche Humanisierung, sondern nachträglicher Notwendigkeitsaufweis dieser Erniedrigung ist das Ziel seiner Schrift »Cur deus homo«. Sie ist damit zu einem klassischen Text geworden, der viel diskutiert wurde-in der neueren Diskussion der evangelischen Dogmatik (und der biblischen Disziplinen) jedoch vorwiegend unter dem Aspekt einer negativen Abgrenzung und Profilierung. Der Preis dieses Notwendigkeitsaufweises scheint teuer: Ist er nicht erkauft durch eine fragwürdige Gotteskonzeption? Verschiebt er nicht in unzulässiger Weise das Problem der Kreuzeslehre auf die Gotteslehre, so dass, was zur Erhellung des Kreuzestodes beiträgt, zur Verdunklung Gottes 1 Im Blick auf Friedrich Nietzsche ist auf die bekannten Stellen in: F. NIETZSCHE, Der Antichrist, Nrn. 39 und 49, in: DERS., Werke. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Georgio COLLI und Mazzino MONTINARI, Bd. VI/3, Berlin 1969, 209 f. und 212 f. zu verweisen. Franz Buggle kritisiert nicht nur das archaisch-inhumane Gottesbild, das hinter dem Kreuzestod Jesu stehe und durch frühkindliche Indoktrination stabilisiert werde, sondern die modernen theologischen Versuche, »den Skandal des Kreuzestodes Jesu und seiner biblischen Interpretation auch gegenüber einem fortschrittlichen ethisch-humanen Standard akzeptierbar erscheinen zu lassen« (F. BUGGLE, Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann.

Der Gottesdienst des Gekreuzigten Zum systematisch-theologischen Problemniveau von Anselms »Cur deus homo« Dr. Hans-Martin Rieger, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Theologische Fakultät, Fürstengraben 6, D - 07743 Jena Die nachträgliche Humanisierung eines Skandals – das kann Aufgabe der Theologie nicht sein. Dass dies insbesondere für den Skandal des Kreuzestodes Christi gilt, ergibt sich aus dem konflikthaften Wesen des Wortes vom Kreuz selbst. Insofern können denn auch die kritisch-polemischen Einsprüche von ihrer reflexionsreicheren Form bei F. Nietzsche bis hin zu ihrer reflexionsärmeren Version bei F. Buggle 1 als Erinnerung daran verstanden werden, dass eine eher zur Verharmlosung neigende neuzeitliche Theologie sich und ihrer Rechenschaftspflicht einen Bärendienst erweist. Anselm von Canterbury hat diesen Skandal bereits empfunden, als er das, was Gott in den Augen der Ungläubigen Schmach zufüge, nämlich seine Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz, in seiner inneren Rationalität auch für Außenstehende zu demonstrieren suchte.2 Nicht nachträgliche Humanisierung, sondern nachträglicher Notwendigkeitsaufweis dieser Erniedrigung ist das Ziel seiner Schrift »Cur deus homo«. Sie ist damit zu einem klassischen Text geworden, der viel diskutiert wurde – in der neueren Diskussion der evangelischen Dogmatik (und der biblischen Disziplinen) jedoch vorwiegend unter dem Aspekt einer negativen Abgrenzung und Profilierung. Der Preis dieses Notwendigkeitsaufweises scheint teuer: Ist er nicht erkauft durch eine fragwürdige Gotteskonzeption? Verschiebt er nicht in unzulässiger Weise das Problem der Kreuzeslehre auf die Gotteslehre, so dass, was zur Erhellung des Kreuzestodes beiträgt, zur Verdunklung Gottes 1 2 Im Blick auf Friedrich Nietzsche ist auf die bekannten Stellen in: F. N IETZSCHE , Der Antichrist, Nrn. 39 und 49, in: DERS., Werke. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Georgio C OLLI und Mazzino M ONTINARI , Bd. VI/3, Berlin 1969, 209 f. und 212 f. zu verweisen. Franz Buggle kritisiert nicht nur das archaisch-inhumane Gottesbild, das hinter dem Kreuzestod Jesu stehe und durch frühkindliche Indoktrination stabilisiert werde, sondern die modernen theologischen Versuche, »den Skandal des Kreuzestodes Jesu und seiner biblischen Interpretation auch gegenüber einem fortschrittlichen ethisch-humanen Standard akzeptierbar erscheinen zu lassen« (F. B UGGLE , Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. Eine Streitschrift, Hamburg 1997, 138). CDH I, 3 (ed. S CHMITT II, 50, 24 ff.). Zitiert wird »Cur deus homo« (abgekürzt: CDH) wie alle übrigen Schriften Anselms mit Band-, Seiten- und gegebenenfalls Zeilenangabe nach: S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia, hg. v. Franciscus S. S CHMITT, 6 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt 1938ff. [Nachdruck Stuttgart-Bad Cannstatt 21984]. NZSTh, 47. Bd., S. 173–197 © Walter de Gruyter 2005 Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 174 Hans-Martin Rieger (vor allem seiner Barmherzigkeit!) gereicht? Konzentriert wird dies in der Frage, an der sich auch gegenwärtige Deutungen des Kreuzes, verstärkt durch die erfahrungsgesättigten Einsprüche der feministischen Theologie, abarbeiten: Was ist das für ein Gott, der das Kreuz nötig hat beziehungsweise braucht? Eine beliebte Orientierungsmarke für eine diesbezügliche Kritik an Anselms Konzeption ist das Diktum A. von Harnacks, das »Schlimmste an Anselm’s Theorie« sei »der mythologische Begriff Gottes als des mächtigen Privatmanns, der seiner beleidigten Ehre wegen zürnt und den Zorn nicht eher aufgiebt, als bis er irgend ein mindestens gleich grosses Aequivalent erhalten hat.« 3 Harnack wusste seine Kritik im Einzelnen auch ausgewogener zu formulieren – und es ist dieses Repertoire an Widersprüchen und Einwürfen, dessen sich heutige Kritik an Anselm immer wieder bedient. Das gilt auch dann, wenn erkannt wird, dass der Vorwurf der placatio eines erst gnädig zu stimmenden Gottes ebenso an Anselm vorbeigeht wie der damit verbundene Vorwurf, nicht Gott, sondern der Mensch sei Subjekt des Versöhnungsgeschehens. Für den neueren evangelisch-dogmatischen Umgang mit der Frage, was das für ein Gott sei, der das Kreuz nötig habe, sollen zwei Hinweise genügen: R. Stolina repräsentiert wohl einen mehrheitsfähigen Konsens, wenn er dafür plädiert, Versöhnung als ein radikal einseitiges Geschehen der bedingungslosen Liebe Gottes zur Welt zu interpretieren, so dass Gott in keiner Weise etwas dargebracht, er also in keiner Weise zum Empfänger wird: »Nicht Gott braucht das Kreuz, um lieben zu können, sondern wir Menschen […]« 4. Damit sei aber nicht nur die Anselm’sche Deutung des Kreuzes, sondern auch die Deutung des stellvertretenden Strafleidens, wie sie exemplarisch in Luthers Galaterbriefkommentar von 1535, CA III oder in Passionsliedern Paul Gerhards zum Ausdruck kommt, abzulehnen.5 Interessanter sind die Arbeiten von Sigrid Brandt schon insofern, als sie sich auf den anstößigen Opferbegriff konzentrieren, ihn dabei aber nicht verabschieden, sondern einer Neuinterpretation zuführen. Die Anfragen feministischer Theologie (Stichworte: Viktimisierung menschlichen Lebens; nekrophiles Gottesbild) 6 produktiv aufnehmend bietet sie nun auf ihre Weise eine Entlastungsstrategie Gottes: Die Tübinger Sühnekonzeption (Hartmut Gese; 3 4 5 6 Adolf VON H ARNACK , Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 3, Tübingen 51932, 408; aaO., 403 ist vom »Attentat an dem Evangelium« die Rede. Ralf S TOLINA , Tod und Heil. Zur Heilsbedeutung Jesu, in: NZSTh 44 (2002), 89–106, hier: 98. AaO., 98f.; vgl. aber 103. Vgl. beispielhaft: Christa M ULACK , Ist das Kreuz heilsnotwendig – hat es sündenvergebende Kraft?, in: Eveline VALTINK (Hg.), Das Kreuz mit dem Kreuz, Hofgeismar 1990, 52–73; Elisabeth M OLTMANN -WENDEL, Zur Kreuzestheologie heute – Gibt es eine feministische Kreuzestheologie?, in: EvTh 50 (1990), 546–557; Regula S TROBEL /Brigitte K AHL /Elisabeth M OLT MANN -W ENDEL /Andrea B IELER , Art. Kreuz, in: Elisabeth G ÖSSMANN (Hg.), Wörterbuch der feministischen Theologie, Gütersloh 22002, 347–357. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 175 Peter Stuhlmacher; Otfried Hofius) mache ebenso wie Anselm von einer »Prügelknaben-Vorstellung« Gebrauch, ohne hinreichend zu klären, »weshalb Gott einen mit göttlicher Potenz ausgerüsteten Prügelknaben sollte nötig gehabt haben.«7 Grundvoraussetzung eines ihrer Meinung nach angemessenen Redens von Opfer ist es, das Modell des Ausgleichs beziehungsweise Tauschs zu verlassen und sich am Modell der Heilung zu orientieren, Sühne deshalb als Neuschöpfung (nicht als stellvertretendes Todesgericht) zu interpretieren.8 Unter der Anwendung eines differenzierten Opferaktionsschemas und der Fokussierung auf die Opfervorstellung im Hebräerbrief kommt es zu einer folgenreichen Unterscheidung, die Gott davon entlastet, in erster Linie den Kreuzestod im Sinne eines Geopfertwerdens (Viktimisierung) gewollt zu haben: Der Gehorsam des Sohnes, sein Opfer (sacrificium) bezieht sich auf seine leibliche Existenz als Verkündigungsexistenz. Wird hingegen sein erlittener Tod als Opfer aufgefasst, dann als Viktimisierung durch menschliche Mächte.9 Die wohl berechtigte Kritik am Sühnemodell und an der lutherischen Dogmatik, das Opfer Jesu im Sinne der oboedientia passiva nur oder zumindest vorwiegend negativ auf das Erleiden des Todesgerichts zu beziehen und weniger als Vollendung der oboedientia activa zu begreifen, als Tat Christi 10, diese Kritik führt bei Brandt also zu einer komfortablen Aufteilung, welche Jesu Viktimisierung, also sein Geopfertwerden, menschlichen Subjekten anlastet, während im Vater-SohnVerhältnis die oboedientia activa das Verhältnis strukturiert. Nicht in der Aufhebung leiblicher Existenz für Gott besteht dabei die Pointe des Sterbens Jesu. Wie weit sich eine solche Position von der Deutung Anselms entfernt, ist auch ohne tiefere Kenntnis von »Cur deus homo« zu erahnen. Ebenfalls zu erahnen ist es, dass für Anselm eine solche Konzeption, welche dazu angetreten ist, Gott zu entlasten, nun selbst die Gotteslehre verdunkelt, insofern sie die theozentrische Dimension der Sünde verharmlost und darum Heilung nicht so denken lässt, dass sie mit Gottes Würde übereinstimmt. 7 8 9 10 Sigrid B RANDT, Opfer als Gedächtnis. Auf dem Weg zu einer befreienden theologischen Rede vom Opfer, Münster 2001, 281. Mit Recht rückt sie die Tübinger Sicht näher an die Konzeption Anselms, insofern die Abgrenzung, bei Anselm sei nicht Gott das Subjekt der Versöhnung, sondern der Mensch, nicht greift (aaO., 280). AaO., 448 f. S. B RANDT , War Jesu Tod ein »Opfer«? Perspektivwechsel im Blick auf eine klassische theologische Frage, in: Rudolf W ETH (Hg.), Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001, 64–76, hier: 75. Auffallend ist schon auf den ersten Blick, dass die neutestamentlichen Dahingabeformeln keine Rolle spielen (dürfen). Das haben allerdings auch schon lutherische Dogmatiker selbstkritisch gesehen; vgl. Paul A LTHAUS , Das Kreuz Christi, in: DERS ., Theologische Aufsätze, Gütersloh 1929, 1–50, hier: 27 f. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 176 Hans-Martin Rieger Im Folgenden soll keine Fortführung der Diskussion geboten, sondern eine Relektüre von Anselms »Cur deus homo« versucht werden – eine solche, die ihn nicht von vorneherein zu verteidigen, aber auszureden lassen gedenkt. Dieser Versuch ist von der Überzeugung getragen, dass es systematischer Theologie gerade um ihres Erkenntnisfortschritts willen gut ansteht, das theologische Potential klassischer Texte immer wieder neu wahrzunehmen, bevor kritisch oder zustimmend dazu Stellung genommen wird.11 In einem ersten Schritt soll die Argumentationsstruktur der Schrift untersucht werden, insofern sie interpretatorischen Entscheidungen den Weg weisen kann. In einem zweiten Schritt wird die inhaltliche Argumentation so nachgezeichnet, dass insbesondere die Frage, ob und inwiefern Gott das Kreuz brauche, erhellt wird. Der dritte schließlich bietet eine Zusammenfassung in systematisch-theologischer Absicht. I. Ein erster Tatbestand, dem jede Untersuchung von »Cur deus homo« Rechnung zu tragen hat, ist die Differenz von komplexer Textstruktur und innerer Entwicklung des Argumentationsgangs. Anders als im »Proslogion«, aber auch in Schriften wie »De veritate« oder »De libertate arbitrii« liegt dieser Argumentationsgang nämlich nicht in einliniger Schlüssigkeit vor, sondern gleicht eher einem Hindernislauf, dem es zwar nicht an Zielgerichtetheit mangelt, der aber seine inhaltlichen Argumente an verschiedenen 11 Im Blick auf Anselms »Cur deus homo« ist auf neuere theologiegeschichtliche Untersuchungen und Interpretationen zu verweisen: Gerhard GÄDE , Eine andere Barmherzigkeit. Zum Verständnis der Erlösungslehre Anselms von Canterbury (BDS 3), Würzburg 1989; Georg P LASGER , Die Notwendigkeit der Gerechtigkeit. Eine Interpretation zu »Cur deus homo« von Anselm von Canterbury (BGPhMA NF 38), Münster 1993. Beide folgen Anregungen von Hans-Ulrich W IESE , Die Lehre Anselms von Canterbury über den Tod Jesu in der Schrift »Cur Deus Homo“, Teil 1 und 2, in: WiWei 41 (1978), 149–179 und 42 (1979), 34–55; Gisbert G RESHAKE , Erlösung und Freiheit. Zur Neuinterpretation der Erlösungslehre Anselms von Canterbury, in: ThQ 153 (1973), 323–345. Außerdem grundsätzlich: Klaus K IENZLER , Glauben und Denken bei Anselm von Canterbury, Freiburg/Basel/Wien 1981; DERS ., Gott ist größer. Studien zu Anselm von Canterbury, Würzburg 1997; zur systematischen Aufarbeitung: Martin B IELER , Befreiung der Freiheit. Zur Theologie der stellvertretenden Sühne, Freiburg/Basel/Wien 1996, 208 ff.; zur historischen Einordnung: Richard W. S OUTHERN , Saint Anselm. A portrait in a landscape, Cambridge 1990 (Nachdruck 2000); Gerd A LTHOFF, Genugtuung (satisfactio). Zur Eigenart gütlicher Konfliktbeilegung im Mittelalter, in: Joachim H EINZLE (Hg.), Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche, Frankfurt am Main 1994, 247–265. Vgl. auch die Entgegnung auf die kritischen Darstellungen von Ritschl und Harnack durch Rudolf H ERMANN , Anselms Lehre vom Werke Christi in ihrer bleibenden Bedeutung, in: ZSTh 1 (1923), 376–396; DERS ., Christi Verdienst und Vorbild. Zum Problem der Schlusskapitel von Anselms »Cur Deus homo?«, in: ZSTh 9 (1932), 455– 472. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 177 Problemschwellen gewinnt.12 Das zeigt sich nicht nur an exkursartigen Einschüben, sondern auch an der sich verändernden Position, welche der Gesprächspartner Boso einnimmt: Vor allem zu Beginn vertritt dieser mit Beharrlichkeit die Einwände der Ungläubigen (obiectiones infideles) 13, also gewissermaßen die zu überwindenden Hindernisse. Erst im weiteren Verlauf tritt er zunehmend in die Rolle des fragenden Schülers zurück. Der besagte Tatbestand legt die methodische Konsequenz nahe, dass sich die Struktur des inneren Argumentationsgangs, wie er häufig in kurzen Darstellungen zur »Satisfaktionstheorie« Anselms zu finden ist, an der Textstruktur zu erweisen hat und dass dem jenen Einwänden der Ungläubigen gewidmeten Eingangsteil CDH I,1–10 Aufmerksamkeit zu schenken ist. Denn was Letzteren betrifft, macht Anselm selbst deutlich, dass sich aus dem zentralen Einwand – formuliert in der Frage, mit welcher Notwendigkeit und mit welchem Grund der allmächtige Gott Niedrigkeit und Schwachheit angenommen hat 14 – nichts weniger ergibt als die Frage, von der das ganze Werk abhängt (I,1). Die Bedeutung der Einwände für die Gesamtargumentation wird schließlich noch einmal verständlicher, wenn man sich den historischen Kontext einer realen Auseinandersetzung mit dem Judentum Englands und Frankreichs vor Augen führt. Ein zweiter zu berücksichtigender Tatbestand stellt die Leseanleitung der Praefatio dar. Diskutiert, geradezu kontrovers diskutiert wird in der Regel die Explikation der methodischen Angabe, dass Anselm seinen Notwendigkeitserweis remoto Christo antreten wolle; kaum beachtet wird hingegen die genauere Zwecksetzung zweier Bücher. Das kann dann leicht dazu führen, das Ziel des Argumentationsgangs mit dem ersten Buch erreicht zu sehen, allenfalls ergänzt durch eine Zusammenfassung in II,6 oder durch die Klärung von diversen Fragen wie der Zueignungsfrage in II,18 f. Es handelt sich aber um zwei Bücher, über deren Gemeinsamkeit und Differenz Anselm seine Leser nicht in Unkenntnis lässt: Gemeinsamer Ausgangspunkt ist der christliche Glaube (fides christiana), der nach seiner inneren Rationalität, nach seinen rationes necessariae verstehbar gemacht werden soll.15 Dies erfordert nicht nur ein apologetisches Interesse, sondern ebenfalls das Verlangen eines Glaubens, der nach seinem Verstehen (intelligere), nach der Begründung seines Glaubens (ratio fidei nostrae) fragt.16 12 13 14 15 16 Vgl. zu diesem Problem: John M C I NTYRE , Cur deus-homo: The axis of the argument, in: Helmut K. KOHLENBERGER (Hg.), Sola ratione. Anselm-Studien. FS Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, 111–118. CDH I,3 (ed. S CHMITT II, 50,15 ff.). Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Anselm die alte Täuschungstheorie von Boso widerlegen lässt: CDH I,7 (ed. S CHMITT II, 55,10 ff.)! CDH I,1 (ed. S CHMITT II, 48,22-24). CDH Praef. (ed. S CHMITT II, 42,9ff.). CDH I,3 (ed. S CHMITT II, 50,17); vgl. zum Schnittpunkt externer Anfragen und innerer Erkenntnisfrage aaO., 18–20. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 178 Hans-Martin Rieger Beiseite gesetzt wird nun allerdings nicht die fides christiana an sich; es handelt sich um ein spezifisches remoto Christo, das sich präzise auf das bezieht, was bestritten wird, nämlich die Menschwerdung Christi. Die infideles sind also keineswegs Atheisten, auch keine methodischen Atheisten, wie spätestens die explizite Festlegung ihrer mit den Christen gemeinsamen Voraussetzungen in I,10 deutlich macht.17 Hinsichtlich der Frage der Menschwerdung wird ein Denkweg eingeschlagen, der einerseits auf eigenes Verstehen des Geglaubten zielt und für den Glaubenden erst am Ziel ist, wenn die Autorität der Schrift bestätigt ist (vgl. den Abschluss in II,22) 18 – der aber gleichwohl einen solchen Denkweg darstellt, der ohne das Beweismittel der Schrift, sola ratione prozediert19 und damit von den Ungläubigen nachvollzogen werden können muss.20 Und zwar so, dass sich auf dem Feld des Denkens ein Widersprechen als unvernünftig darstellt. Festzuhalten bleibt also, dass für beide Argumentationsziele rationes necessariae erforderlich sind, nicht lediglich Konvenienzgründe der internen Glaubenskommunikation, wie sie Anselm im Eingangsteil zunächst zur Plausibilisierung des Erlösungsgeschehens anführt.21 Auf dem Hintergrund der angedeuteten Gemeinsamkeiten ist bedeutsam, wie Anselm die Differenz markiert: Das erste Buch erweist die Unmöglichkeit (impossibilitas) einer Rettung ohne Christus, das zweite die Notwendigkeit (necessitas) einer Rettung durch Christus (per hominemdeum).22 Auch hierzu lässt sich zunächst sagen, dass Anselm mit dieser differenzierten Anlageform den Einwänden der Ungläubigen entspricht. Denn 17 18 19 20 21 22 Zu den vielfach diskutierten Voraussetzungen von Anselms Methode vgl. Bernhard LOHSE , Zur theologischen Methode Anselms von Canterbury in seiner Schrift »Cur Deus Homo«, in: Jan ROHLS/Gunther W ENZ (Hg.), Vernunft des Glaubens. Wissenschaftliche Theologie und kirchliche Lehre. FS W. Pannenberg, Göttingen 1988, 322–335. Nicht die Glaubensgewissheit ist das Ziel, sondern das eigene intelligere des Glaubens (vgl. CDH I,1 [ed. S CHMITT II, 48,16 ff.]). Dieses Grundverständnis kommt auch in Prosl., cap. 4 (ed. S CHMITT I, 104,5–7) zum Ausdruck. Zu beachten ist der Zusammenhang, in welchem die Formel sola ratione in CDH I,20 (ed. S CHMITT II, 88,5 und 8) und II,22 (ed. S CHMITT II, 133,8) auftaucht. In der Schrift »De incarnatione verbi« wird ebenfalls deutlich, dass rationes necessariae bedeuten: ohne Autorität der Heiligen Schrift (ed. S CHMITT II, 20,19). Mit dieser Zusammenfassung ist freilich über den Text der Praefatio hinausgegangen und das Problem der Anselm’schen Methode angesprochen, das bekanntlich zwischen den als Fideismus und Rationalismus etikettierten Positionen vielfach diskutiert worden ist. Für »Cur deus homo« ist die Diskussion bei P LASGER (s. o. Anm. 11), 57–71 und bei GÄDE (s. o. Anm. 11), 30–37 zusammengefasst; vgl. insgesamt zur Diskussion auch K IENZLER , Glauben (s. o. Anm. 11). CDH I,3 (ed. S CHMITT II, 51,3); I,9 (ed. S CHMITT II, 61,32) u. ö. Die Rede von einer ›inneren Rationalität‹, welcher auch die vorliegende Erörterung folgt, hat diesen Sachverhalt zu berücksichtigen; es handelt sich um eine innere Rationalität, welche am Erlösungsgeschehen selbst zu entdecken gesucht wird, nicht um eine positivistische Explikation der fides christiana. CDH Praef. (ed. S CHMITT II, 42,11–43,3). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 179 von ihrer Seite wird nicht nur behauptet, dass die Erniedrigung Gottes einer Vernunft, welche einen allmächtigen Gott denkt, widerstreitet, es wird vielmehr auf andere, angemessenere Möglichkeiten verwiesen. So wird nicht nur gesagt: Gott scheint eine solche Schmach – auch um der Errettung der Menschen willen – nicht zu gebühren.23 Es wird darüber hinaus zugespitzt gefragt: Ist nicht jede andere Möglichkeit der Begnadigung dem Wesen Gottes angemessener und für die menschliche Vernunft weit tragbarer? 24 Das gilt vor allem für die Möglichkeit, dass der allmächtige Gott allein aus Barmherzigkeit (sola misericordia) Sünde vergibt.25 Angesichts dessen also, dass die Ungläubigen selbst auf dem Gebiet der Möglichkeiten operieren und andere Möglichkeiten vorzuziehen erklären, macht es sich Anselm im ersten Buch zur Aufgabe, die Unmöglichkeit solcher anderer Möglichkeiten nachzuweisen; an dessen Ende (I,25) wird daher zunächst die Unmöglichkeit einer Rettung ohne Christus behauptet. Interessanterweise legt Anselm dann selbst einen Schluss von dieser negativen Argumentation auf die Notwendigkeit einer Rettung durch Christus vor: Strukturiert man die drei Möglichkeiten der Rettung nach a) durch Christus, b) auf andere Weise, c) überhaupt nicht, dann verbleibt nach dem Erweis der Unmöglichkeit von b nur noch die Möglichkeit a.26 Denn die Möglichkeit der Nichtrettung (c) wurde durch den gemeinsam festgelegten Voraussetzungskanon (darunter die Voraussetzung: Der Mensch wurde zur beatitudo geschaffen) bereits ausgeschieden.27 Doch dieses Schlussverfahren wird als nicht hinreichend erkannt, so dass ein eigener positiver Argumentationsgang anzutreten ist, welcher mit einem festen Ausgangspunkt beginnt (super firmum fundamentum) – eben dem Heilsziel der Schöpfung in der beatitudo – und von da aus zur Notwendigkeit der Rettung durch Christus gelangt.28 R. W. Southern hat im Blick auf das Erfordernis eines dezidierten Erweises der Notwendigkeit (und überdies zur Erhellung des Begriffs der Ehre Gottes) auf die Auseinandersetzungen mit Juden in London verwiesen, wie sie sich aus dem Werk des befreundeten Abtes Gilbert Crispin 23 24 25 26 27 28 CDH I,8 (ed. S CHMITT II, 59,12–17); I,3 (ed. S CHMITT II, 50,27): »non videntur convenire«. CDH I,5 (ed. S CHMITT II, 52,14–16). CDH I,12 (ed. S CHMITT II, 69,6 ff.). CDH I,25 (ed. S CHMITT II, 95,12–14). CDH I,10 (ed. S CHMITT II, 67,12 ff.). CDH I,25 (ed. S CHMITT II, 96,14 f.), dann II,1 (ed. S CHMITT II, 97,3). Ein entsprechendes Signal, dass der Überschritt von der Unmöglichkeit anderer Möglichkeiten auf die Notwendigkeit der Erlösung durch Christus der Strenge des erforderlichen Beweisgangs nicht genügt, bekommt der Leser nicht erst in I,25, sondern schon in I,6 (ed. S CHMITT II, 54,16–55,2): Aus der negativen Argumentationsstrategie ergibt sich die Notwendigkeit nur »vielleicht« (forsitan). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 180 Hans-Martin Rieger erschließen lassen.29 Der vielfach kritisierte Begriff der Notwendigkeit sei auf dem Hintergrund dessen zu verstehen, dass für jüdische Gesprächspartner die innerchristliche Begründung, Gott hätte wohl andere Möglichkeiten wählen können, aber aufgrund seines Willens die besagte gewollt, nicht ausreicht. Denn für diese sei die so gewollte Möglichkeit eine nichtnotwendige Schändung der Göttlichkeit Gottes. Doch unabhängig von der Frage, was eine solche äußere Texterklärung zu leisten vermag, gibt es auch einen schlichten inneren Grund dafür, dass der Nachweis der Unmöglichkeit anderer Möglichkeiten ohne den Notwendigkeitserweis nicht ausreicht: Das aristotelische Modalverständnis, welches in der augustinisch-neuplatonischen Tradition als bekannt gelten kann, kennt nicht nur zwei, sondern drei Modi: Neben dem Möglichen und Notwendigen ist dies das Kontingente (ein im Gegensatz zum Notwendigen stehendes Mögliches). Die negative Argumentationsstrategie Anselms vermag zwar auf die Unmöglichkeit anderer Möglichkeiten zu führen, aber das Ausschlussverfahren muss offen lassen, ob die verbleibende Möglichkeit (die Rettung durch Christus) kontingent oder notwendig ist. Kontingentes ist dabei nun dadurch ausgezeichnet, dass das Gegenteil nicht notwendig falsch ist.30 Genau dieser logische Sachverhalt lässt eine bedeutende Problemschwelle offenbar werden: Anselms Erwiderung bliebe gewissermaßen auf halbem Wege stehen, wenn sie einräumen müsste, dass auch das wie immer beschaffene Gegenteil des kritisierten Rettungsweges prinzipiell möglich ist. Er verwahrt sich zwar dagegen, dass unter der Berufung darauf, dass dessen positiv-inhaltliche Begründung noch nicht aufgewiesen ist, das Erreichte wieder in Frage gestellt werden kann, gleichwohl anerkennt er, dass für die gewünschte ratio certitudinis die innere Notwendigkeit des konkret-kontingenten Glaubensgegenstands (Rettung durch Christus, wie sie die fides catholica zu glauben aufgibt) noch darzulegen ist.31 Insofern ist ein zusätzlicher Argumentationsgang erforderlich, der aber, da er Zwischenergebnisse aus dem ersten Buch übernehmen kann (so die Notwendigkeit einer satisfactio zur Erreichung des Schöpfungsziels) 32, recht schnell eine wesentliche Etappe abgeschritten hat und darum schon in II,6 die Identität des deus-homo als notwendig zu behaupten vermag. Nach der Ausleuchtung dieser Grundentscheidungen kann die Argumentationsstruktur des Textes folgendermaßen skizziert werden: 29 30 31 32 S OUTHERN (s. o. Anm. 11), 198 ff., vgl. 199: »[…] the unbelievers whom Anselm mentions in his Cur Deus homo were real, and of these the most formidable were Jews.« A RISTOTELES , Met. V,12 1019b,28–33; vgl. Horst S EIDL , Art. »Möglichkeit«, in: HWP 6 (1984), 72–92, hier: 77–80. CDH I,25 (ed. S CHMITT II, 95,24–96,15). CDH II,4 (ed. S CHMITT II, 99,9–11). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 181 I. Buch: Die Unmöglichkeit anderer Möglichkeiten (sine Christo) 1–10: Einwände der Ungläubigen und glaubensinterne Lösungsstrategie 3–5: Die Erniedrigung Gottes widerspricht dem Wesen Gottes 6–8a: Die redemptio widerspricht der Allmacht Gottes 8b–10a: Der Todesgehorsam Jesu widerspricht der Freiheit Gottes 10b: Vereinbarter Voraussetzungskanon 11–19: Die theozentrische Dimension der Sünde: Vergehen gegen iustitia und honor Dei 12: Ausschluss (a) der Möglichkeit der Sündenvergebung sola misericordia 13: Sünde ist ein Vergehen an der rectitudo ordinis (= honor Dei) Notwendigkeit von honorem solvere aut poena 14: Auch poena (= privatio beatitudinis) würde honor Dei offenbaren 15: Relationale Differenzbestimmung des Begriffes honor Dei Erneute Behauptung der Notwendigkeit von satisfactio aut poena 16–18: Gegen poena spricht restitutio der gefallenen Engel (Exkurs) 19: Ausschluss (b) der Möglichkeit der poena – Notwendigkeit der satisfactio 20–24: Die anthropologische Dimension der notwendigen satisfactio 20: Haben des Menschen: Nichts (weil alles: debitum) 21–24: Soll des Menschen: Demonstration der Schwere der Schuld durch Komparationsargumentation Ausschluss (c) der Selbstsatisfaktion des sündigen Menschen 25: Fazit: Die Unmöglichkeit einer Barmherzigkeit extra fidem Christianam Überschritt zur Notwendigkeit des Geglaubten II. Buch: Die Notwendigkeit der geglaubten Rettung (per hominem-deum) 1–5: Die Verfasstheit des Menschen zum Heil 4: Implikation der Notwendigkeit der satisfactio durch einen Nichtsünder 5: Zur Anwendung des Notwendigkeitsbegriffs auf Gott (a) 6–9: Die Verfasstheit Christi als des Satisfaktionsgebers 6: Die Notwendigkeit des deus-homo (»dass«) 7–9: Die Eigenschaften des deus-homo (»wie«) 10–13: Die Verfasstheit seines Sterbens 10: Die Freiwilligkeit seines Sterbens 11a: Die Möglichkeit seines Sterbens 11b: Die exklusive Gabe im Sterben Christi 14–17: Die Heilsbedeutung des Todes Christi 14: Die Inkomparabilität der Lebenshingabe Christi 15–16: Die Universalität seiner Bedeutung 17: Zur Anwendung des Notwendigkeitsbegriffs auf Gott (b) 18–21 Die Heilszueignung für den sündigen Menschen 18: Das Verdienst der freiwilligen Lebenshingabe Christi 19: Partizipation am Verdienst des Todes Christi 20: Ziel: Die Größe der misericordia Dei (vgl. I,12) 22: Schluss: Die Bestätigung der Hl. Schrift sola ratione Nimmt man die inhaltliche Argumentation Anselms auf dem Hintergrund der ihr nicht äußerlichen Grundentscheidungen und des hiermit nur Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 182 Hans-Martin Rieger angedeuteten strukturellen Aufbaus des Textes wahr 33, ergeben sich, unter der Berücksichtigung des Zusammenhangs von Anselms Denken, bereits einige Leitgesichtspunkte für die Interpretation. Drei von ihnen sollen an dieser Stelle genannt werden, bevor dann einige inhaltliche Grundlinien nachgezeichnet werden. Erstens: Die Frage, von der nach Anselm das ganze Werk abhängt (qua totum opus pendet), ist für die Interpretation des Argumentationsgangs grundlegend. Es ist dies eine Frage, die sich, wie bereits erwähnt, aus dem zentralen Einwand der Ungläubigen ergibt. In sie ist darum die Anstößigkeit der Erniedrigung Gottes in der Menschwerdung und in der Erduldung des Todes eingegangen. Wird der Tod als vom Gottessohn erlitten gedacht, verbindet sich damit der Vorwurf eines grausamen göttlichen Vaters, der den Tod eines Unschuldigen braucht. Diesen Grausamkeitsvorwurf lässt Anselm – neuzeitliche Kritik an seiner Konzeption geradezu vorwegnehmend – bereits durch Boso formulieren und seiner eigenen Problembearbeitung vorgeben: Sonderbar wäre es, wenn Gott sich so sehr am Blut eines Unschuldigen ergötzte oder seiner bedürfe, dass er nur nach dessen Tötung den Schuldigen schonen wollte oder könnte! 34 Anselm ist in dieser Beziehung heutigen Problemstellungen also gar nicht so fern, wie es zunächst den Anschein haben mag – erst recht nicht, wenn der Zusammenhang eines jüdisch-christlichen Streitgesprächs zu berücksichtigen erwogen wird: Anstößig ist nicht so sehr das Leiden Christi an sich, anstößig ist die scheinbar daraus resultierende Verdunklung des Gottesbilds. Das birgt für die Interpretation von »Cur deus homo« eine weitere Konsequenz in sich: Wird die genannte Problemfokussierung Anselms auf das Verhältnis von Gotteslehre und Christologie auch für die Teile des Werkes ernst genommen, in welchen zumindest partiell die Art und Weise des Todes Christi und seiner Heilsbedeutung thematisiert wird (II,10–17), erklärt sich, dass eine umfassende Darstellung der Versöhnung beziehungsweise eine umfassende Darstellung des Werkes Christi gar nicht beabsichtigt ist.35 Insofern ist es kurzschlüssig zu monieren, was in »Cur deus 33 34 35 Die innere Verweisstruktur ist dabei z. B. nicht erfasst; vgl. den Versuch von K IENZLER , Gott (s. o. Anm. 11), 162–173. CDH I,10 (ed. S CHMITT II, 66,24–26). Die Textstruktur zeigt, dass es sich hier nach einer mehrmaligen Wiederholung des zentralen Einwands um einen den Eingangsteil I,1–10 abschließende Kumulierung handelt, welche noch einmal genau zuspitzt, welcher Anfrage sich Anselm im Folgenden zu stellen gedenkt. Der zentrale Einwand taucht das erste Mal in I,1 (ed. S CHMITT II, 48,22–24) auf, dann jeweils in den drei skizzierten Problemkreisen: neben I,10 noch in I,3 (ed. S CHMITT II, 50,24–28), I,8 (ed. S CHMITT II, 59,16 f.). Vgl. G RESHAKE (s. o. Anm. 11), 325 f. Diese Problemfokussierung wird vor allem von Georg Plasger in seiner umfassenden Analyse des Eingangsteils I,1–10 (P LASGER [s. o. Anm. 11], 43–78) herausgearbeitet und in der weiteren Interpretation geradezu als heuristisches Kriterium angewandt. Der Eingangsteil zeigt letztlich, wieso das Werk »Cur deus homo«, nicht »Quomodo deus homo« heißt (aaO., 44 f. 140 u. ö.). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 183 homo« diesbezüglich alles nicht oder nicht genügend erwähnt werde, zum Beispiel die Passivität des Leidens oder das stellvertretende Strafleiden Christi. Dass Anselm anders vom Leiden Christi reden kann, beweist ein Blick in seine »Meditationes« oder »Orationes«.36 Zweitens: Von ebenso grundsätzlicher Bedeutung für das gesamte Werk und dessen Interpretation ist der am Ende des Eingangsteils vereinbarte Voraussetzungskanon. Denn auf diesen wird von Anselm immer wieder zurückgegriffen. Zu ihm gehört nicht nur die präzise Festlegung des remoto Christo der Praefatio, sondern die Übereinkunft, dass der Mensch zur Seligkeit geschaffen ist und dass er, weil nicht ohne Sünde, dazu des Sündennachlasses bedarf.37 Beides wird also nicht erwiesen, sondern vorausgesetzt. Die zuerst genannte Voraussetzung des göttlichen Schöpfungs- und Heilswillens bildet den positiven Ausgangspunkt des zweiten Buches; mit der Vertiefung der zuletzt genannten Voraussetzung der Vergebungsbedürftigkeit des Menschen hebt der Gedankengang ab I,11 im ersten Buch an: Durch die Ergründung der theozentrischen Dimension der Sünde wird der Beantwortung der Frage zugearbeitet, wie der Sündennachlass beschaffen sein muss. Für diesen weiteren Gedankengang des ersten Buches wird dann vor allem an zwei entscheidenden Stellen auch auf die erste Voraussetzung zurückgegriffen: In I,19 wird zum Ausschluss der Bestrafung (poena) darauf verwiesen, dass ohne die Wiederherstellung des Menschen es so aussähe, als ob Gott das begonnene Gute nicht vollenden könnte oder wollte.38 Ähnlich noch einmal in der gewichtigen Frage Anselms in I,23: »Nahm er Gott nicht alles, was er mit der menschlichen Natur sich zu tun vorgenommen hatte?«39 Der Rückgriff auf die beiden Voraussetzungen und ihre Kombination sind inhaltlich nicht zu unterschätzen: Die Sünde des Menschen stellt sich dem perficere von Gottes Schöpfungs- und Heilswillen entgegen. Mit dieser Fassung lässt Anselm sie der auch von Ungläubigen geteilten Voraussetzung zuwiderlaufen. Das Gleiche gilt aber auch für die Bestrafung: Sie würde zwar die Ehre Gottes offenbaren (I,14), sein Schöpfungswerk indes unvollendet lassen. Dies wird als absurde Konsequenz festgestellt und verworfen. 36 37 38 39 Das wurde bereits in der kritischen Darstellung von Albrecht R ITSCHL , Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 1: Die Geschichte der Lehre, Bonn 1882, 46 f. eingeräumt, dort allerdings noch mit Anselm fälschlicherweise zugeschriebenen Stücken belegt. Zu verweisen wäre insbesondere auf die Leidensmeditation in Med. 3 oder auf Or. 2 (ed. S CHMITT III, 84,22–85,29; 89,137–144; 7,32 ff.). Med. 3 ist wohl kurz nach »Cur deus homo« entstanden und enthält einen kurzen Abriss. Zu Echtheit und Entstehung: Franciscus S. S CHMITT, Prolegomena seu ratio editionis, 132*–150*. Andere Motive finden sich auch in »Cur deus homo« selbst: I,3 (ed. S CHMITT II, 51,5–11). CDH I,10 (ed. S CHMITT II, 67,12–16). CDH I,19 (ed. S CHMITT II, 84,12 f.). CDH I,23 (ed. S CHMITT II, 91,8). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 184 Hans-Martin Rieger An dieser Stelle kann deutlich werden, in welchem Sinn der Ausdruck poena in »Cur deus homo« gebraucht und darum ausgeschlossen wird. Zur Darstellung einer oboedientia passiva des Gottessohns, selbst wenn eine solche beabsichtigt worden wäre, muss er geradezu beiseite gestellt werden. – Es soll an dieser Stelle nur erwähnt werden, dass dieser textimmanente Zusammenhang auf dem historischen Hintergrund der gütlichen Konfliktbeilegung im Mittelalter verständlich gemacht werden kann: Um die Bestrafung beziehungsweise Vernichtung des Konfliktgegners zu vermeiden, wurden anders als im früheren Fehdewesen zunehmend Vermittler (mediatores) eingeschaltet, welche einen zuvor festgelegten ordo garantierend auf eine Beilegung des Konflikts durch Genugtuung hinarbeiteten.40 Für das zweite Buch wird wiederum mit der Positivität einer gemeinsamen Voraussetzung eingesetzt. Diese ist hinsichtlich der normativen Vernunft- und Willenstruktur des Menschen vertieft, die Anselm andernorts als natura rationalis bereits entfaltet hatte.41 Der Bogen spannt sich dann bis II,20: Das Lob der Barmherzigkeit ist letztlich ein Lob dessen, dass Gottes Heilswillen mit seiner Schöpfung in Gerechtigkeit zum Ziel kommt. Drittens: Auch ein weiterer Leitgesichtspunkt hat, auch wenn er bereits auf die inhaltliche Analyse hinüberweist, Anhalt an der Struktur des Textes. Er betrifft den methodischen und begrifflichen Fortgang der Argumentation. Zu beobachten ist, dass Anselm im Eingangsteil zunächst mit der internen Konvenienz (Angemessenheit) des christlichen Glaubens argumentiert, um den Inkonvenienzvorwürfen der Ungläubigen zu begegnen. Mit dem vereinbarten Voraussetzungskanon einigen sich Boso und Anselm dann aber auf eine gemeinsame Basis, die festlegen soll, wie von Gott zu denken ist, dass von Gott angemessen gedacht ist: Jede Verdunklung durch Inkonvenienz ist sofort als unmöglich auszuscheiden.42 Als inkonvenient gilt beispielsweise, dass Gott in seiner Führung des Weltganzen versagte oder dass er die Sünde als Störung des ordo ungeordnet ließe.43 Diese Vorgehensweise bedeutet für die weitere begriffliche Fassung von Sünde, von Gott etc. einerseits, Denkkategorien beziehungsweise Prädikate so zu konzipieren, dass sie dem Denken der Ungläubigen zugänglich sind und von ihnen auf Konvenienz beziehungsweise Inkonvenienz geprüft werden können. Sie geht andererseits mit dem Bemühen Anselms einher, die betreffenden Kategorien beziehungsweise Prädikate bei ihrer Anwendung 40 41 42 43 Vgl. die Arbeit von A LTHOFF (s. o. Anm. 11), 248 ff. Vgl. Monol., cap. 68 f. (ed. S CHMITT I, 78,12–80,6); dazu: Bernd G OEBEL , Rectitudo, Wahrheit und Freiheit bei Anselm von Canterbury. Eine philosophische Untersuchung seines Denkansatzes (BGPhMA NF 56), Münster 2001, 250 ff. CDH I,10 (ed. S CHMITT II,67,2 f.). CDH I,15 (ed. S CHMITT II,73,22–74,1) und I,12 (ed. S CHMITT II,69,11–33). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 185 auf Glaubensgegenstände theologisch zu qualifizieren.44 Dieses Verfahren ist, das zeigt die Textstruktur, für einige »Einschübe« verantwortlich: In I,15 wird der Begriff der Ehre Gottes, in II,5 und II,17 der Begriff der Notwendigkeit für den theologischen Gebrauch modifiziert. Schon dieser Sachverhalt legt es nahe, bei der Interpretation die Differenz von Genese und Gebrauch zu beachten. Es ist eines, die Herkunft einer Denkkategorie (zum Beispiel im germanischen Feudalrecht) zu bestimmen; es ist ein anderes, ihre theologische Qualifikation zu erfassen und zu beurteilen. Dass es beider, der historisch-genetischen und der theologischen Fragestellung bedarf, wurde in der Rezeption Anselms häufig genug missachtet. Interessant ist auf dem Hintergrund, wie Anselm Begriffe einführen und qualifizieren kann, die Verwendung des Begriffs Gerechtigkeit. Denn dieser Begriff wird (wie in I,12 beim Ausschluss der Sündenvergebung sola misericordia!) nicht nur geradezu als Kriterium dessen, was als konvenient beziehungsweise inkonvenient zu gelten hat, verwendet, vielmehr sind auf ihn hin beziehungsweise von ihm her die Begriffe Sünde, Ehre oder Barmherzigkeit bereits entworfen. Dieser Begriff, der mit Recht als Leitbegriff von »Cur deus homo« bezeichnet worden ist 45, gehört damit, ohne dass dies eigens expliziert worden wäre, zu den wichtigsten Voraussetzungen der Argumentation. In »Cur deus homo« lässt sich erst im Zuge seiner Verwendung erschließen, dass eine rectitudo voluntatis gemeint ist, welche das Verhältnis Gottes zum Menschen und das Verhältnis des Menschen zu Gott strukturiert.46 Boso bringt den Begriff in I,7 schon gegen die Täuschungstheorie in Stellung. Es ist wichtig zu sehen und kann zur Erklärung der mangelnden Explizierung dieser Denkvoraussetzung dienen, dass Anselm mit dem Begriff der iustitia einen Begriff aus seiner philosophischen Grundlegung in »De veritate« übernimmt. Dort ist nämlich dieser Begriff bereits so konzipiert, dass er beides erfüllt: allgemeinem Denken zugänglich und auf die summa veritas, Gott selbst, anwendbar zu sein.47 – Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, dass Anselm zuallererst von der Grundlegung seines Denkens her verstanden und im Kontext seines Werkes interpretiert werden muss. 44 45 46 47 Vgl. K IENZLER , Glauben (s. o. Anm. 11), 356 ff. Vgl. Gottlieb S ÖHNGEN , Rectitudo bei Anselm von Canterbury als Oberbegriff von Wahrheit und Gerechtigkeit, in: Helmut K. KOHLENBERGER (Hg.), Sola ratione. Anselm-Studien. FS F. S. Schmitt, Stuttgart -Bad Cannstatt 1970, 71–77; GÄDE (s. o. Anm. 11), 107. Vgl. CDH I,11 (ed. S CHMITT II, 68,15 f.). De veritate, vor allem cap. 1 und 10 (ed. S CHMITT I, 176,3 ff. und 189,30 ff.). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 186 Hans-Martin Rieger II. Vor der Klammer dessen, was im Folgenden als Dilemma des Menschen und als Heilswerk Gottes inhaltlich nachzuzeichnen versucht werden soll, steht das der natura rationalis des Menschen zugehörige Schöpfungsziel Gottes, sein Heilsziel für den Menschen. Diese Einsicht aus der Textstruktur, welche sowohl dem Einstieg der Argumentation auf der Grundlage des Voraussetzungskanons in I,10 als auch dem Ausgang von der natura rationalis des Menschen in II,1 Rechnung trägt, darf nicht verspielt werden – zumal sie in Übereinstimmung mit Anselms gesamtem Denken steht. Schon von ihr her ist der Gedanke einer placatio Gottes, der Gedanke also, dass dieser zu seinem Heilswillen erst umgestimmt werden müsse, so gut wie ausgeschlossen. Das Dilemma des Menschen besteht darin, dass er zur beatitudo geschaffen ist, ihm diese aber durch den Verstoß gegen die geforderte Unterordnung alles Geschaffenen unter Gott in unerreichbare Ferne gerückt ist. Zur Erläuterung der geforderten Erfüllung des Gesollten führt Anselm zunächst in I,11 den Begriff der rectitudo voluntatis ein, auf welche die Sollensverpflichtung des Menschen (debitum) bezogen gedacht wird. Anselm selbst lässt keinen Zweifel daran, dass damit nicht nur eine präzise Fassung der Begriffe iustitia und honor verbunden ist, sondern, wie dann II,1 zeigt, seine Vorstellung der theonom-ethischen Vernunftstruktur des Menschen überhaupt zum Vorschein kommt.48 Nach seiner Schrift »De veritate« unterliegt alles Endliche einem Sollen, weil es sein Sein von Gott als seinem Schöpfer empfängt. Die rectitudo des Feuers besteht beispielsweise darin, dass es das tut, was es soll (facere quod debet), nämlich wärmen.49 Was sich in diesem Fall seinsnotwendig vollzieht, ist für die vernunftbegabte Natur ein debitum, welches freie Willensunterordnung erfordert und daher auch verweigert werden kann: Sie ist dazu geschaffen, um das höchste Gut über alles zu lieben und zu erwählen, nicht um eines anderen, sondern um seiner selbst willen.50 Darin erfüllt sie die geforderte Rechtheit des Willens, wel- 48 49 50 CDH I,11 (ed. S CHMITT II, 68,15 ff.); II,1 (ed. S CHMITT II, 97,14 ff.). De veritate, cap. 5 (ed. S CHMITT I, 182,3–9). Erhellende Erläuterungen zu dieser Schrift und den folgenden Gedanken finden sich bei G OEBEL (s. o. Anm. 41), 217 ff. (zur Herkunft des rectitudo-Gedankens); bei Engelbert R ECKTENWALD , Die ethische Struktur des Denkens von Anselm von Canterbury, Heidelberg 1998; in der Einleitung von Markus Enders zu: Anselm von Canterbury, Über die Wahrheit. Lateinisch-deutsch, übersetzt und hg. v. Markus E NDERS , Hamburg 2001; vgl. auch dessen umfassende Habilitationsschrift: DERS ., Wahrheit und Notwendigkeit. Die Theorie der Wahrheit bei Anselm von Canterbury im Gesamtzusammenhang seines Denkens und unter besonderer Berücksichtigung seiner antiken Quellen (Aristoteles, Cicero, Augustinus, Boethius) (STGM 64), Leiden/Boston/Köln 1999. CDH II,1 (ed. S CHMITT II, 97,14 f.). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 187 che Anselms Definition von Gerechtigkeit zugrunde liegt: Gerechtigkeit ist Rechtheit des Willens, bewahrt um ihrer selbst willen.51 Auf diesem Hintergrund ist nicht nur die vom Menschen geforderte Gerechtigkeit und das heißt: seine Ehrerweisung Gott gegenüber zu verstehen, auch Anselms Fassung von Gottes Gerechtigkeit wird durchsichtig: Es kann nicht geleugnet werden, dass die höchste Wahrheit in vollkommenem Sinn rectitudo ist – vom Geschaffenen dadurch unterschieden, dass sie keinem Sollen unterliegt, sondern durch sich selbst ist, was sie ist.52 Die höchste Wahrheit hat also ihr inneres Maß und verfährt nicht willkürlich. Das bedeutet aber auch: Anselm kennt Dinge, die Gott nicht darf (non debere).53 Konkret: Würde er den sündigen Menschen ohne Wiederherstellung (ohne satisfactio) in die Seligkeit aufnehmen, würde er seinem eigenen Willensbeschluss untreu 54, ja, er würde sich selbst in die Ungerechtigkeit hinabziehen lassen.55 Zu Gottes Identität gehört es, sich selbst treu zu bleiben – was denn auch der Grund dafür ist, dass er sein begonnenes Schöpfungswerk notwendigerweise im Erlösungswerk fortführt.56 Mit der Missachtung der rectitudo voluntatis, mit der Missachtung seines Sollens in der Ordnung des auf Gott hin geschaffenen Endlichen vergreift sich der Mensch an der gesamten Ordnung der endlichen Dinge, welche die Schönheit (pulchritudo) des Universums ausmacht.57 In diesem Zusammenhang steht nun die Behauptung, dass Gott das debitum seiner Ehre versagt, ihm genommen, geradezu geraubt wird, was das Seine ist.58 – Das ist Anselms Definition von Sünde in ihrer theozentrischen Bedeutung. Wichtig zur Erfassung des menschlichen Dilemmas ist es dabei, Funktion und Bedeutung von »Ehre« zu beachten. Der rectitudo der Seinsordnung entsprechend wird in I,13 Ehre als dasjenige beschrieben, was in der Ordnung der endlichen Dinge die höchste Gerechtigkeit am gerechtesten wahrt, und gefolgert: »Nichts also wahrt Gott gerechter als die Ehre seiner Würde.«59 Die differenzierte Begriffsbestimmung in I,15 stellt dann endgültig klar, inwiefern Gottes Ehre verletzt wird. Dazu werden zwei Relationen der Ehre Gottes unterschieden: eine Gott selbst betreffende – eine den Men- 51 52 53 54 55 56 57 58 59 De veritate, cap. 12 (ed. S CHMITT I, 194,26). De veritate, cap. 10 (ed. S CHMITT I, 190,1–4). Ausdrücklich in CDH I,21 (ed. S CHMITT II, 89,30 f.); vgl. schon den Gedanken darüber, ob es Gottes Würde entspricht, dass er Unwürdiges will, z. B. lügen: I,12 (ed. S CHMITT II, 70,11–18). CDH I,19 (ed. S CHMITT II, 85,24–32). CDH I,12 (ed. S CHMITT II, 69,28–30). CDH II,4 (ed. S CHMITT II, 99,12 f.); vgl. auch S CHMITT (s. o. Anm. 49), LXXXI f. Auch von dieser Seite her erklärt sich, dass Anselm alles daran setzen wird, Gottes Barmherzigkeit als gerecht erweisen zu können: Sie entspricht der Identität des sich selbst treuen Gottes und ist kein Willkürakt. CDH I,15 (ed. S CHMITT II, 73,3–9). CDH I,11 (ed. S CHMITT II, 68,19–21). CDH I,13 (ed. S CHMITT II, 71,19). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 188 Hans-Martin Rieger schen betreffende. Hinsichtlich der Ersten wird festgestellt, dass sie nicht verletzt, ihr nichts hinzugefügt oder genommen werden kann.60 Hinsichtlich der Letzteren allein kann gesagt werden, dass der Mensch Gott etwas nimmt und ihn entehrt – weil er sich nicht freiwillig unterordnet und die Ordnung und Schönheit des Universums entstellt.61 Das in der Entehrung Gottes vorliegende Verletzen, das »Nehmen«, zu dem sich der Sünder erdreistet, bezieht sich also auf die Ordnung des Schöpfers! Schon vorgreifend kann gesagt werden: Auch das »Geben« der satisfactio wird sich auf sie beziehen.62 Dass die Sünde nicht die persönliche Ehre Gottes betrifft, sondern die Ordnung der Welt, ist von einer Reihe neuerer Anselminterpretationen mit Recht herausgestellt worden.63 Ebenso ist allerdings festzuhalten, dass Gott die Entstellung seiner Ordnung nicht unberührt lässt, insofern die Ehre seiner Würde mit seiner Schöpfung verbunden ist.64 Er reagiert deshalb auf Entstellung seiner Ordnung; er muss es geradezu, weil ihr Ungeordnet-Lassen der rectitudo Gottes widerspräche beziehungsweise es so erscheinen ließe, dass er in seiner Leitung versage. Beides ist inkonvenient und unmöglich.65 Der Erfassung des menschlichen Dilemmas ist man damit näher gekommen: Wenn der Mensch Gott die Ehre »nimmt«, entstellt er dessen Ordnung der Schöpfung, der er selbst zugehört. Sein »Nehmen« bezieht sich auf die Ordnung, welche für ihn selbst Heil vorsieht. Folgerichtig schädigt er sich selbst. Gott schädigt er insofern, als er ihm die Vollendung seines Schöpfungs- und Heilswillens zu nehmen im Begriff ist. Dass eine solche Folgerung nicht erst Sache der Interpretation ist, bestätigt die bereits zitierte Frage Anselms: »Nahm er Gott nicht alles, was er mit der menschlichen Natur sich zu tun vorgenommen hatte?« 66 60 61 62 63 64 65 66 CDH I,15 (ed. S CHMITT II, 72,29 f.). CDH I,15 (ed. S CHMITT II, 73,6–9). Vgl. schon in CDH I,11 (ed. S CHMITT II, 68,29–69,2) die Einführung von satisfactio. Hier ist nochmals an G RESHAKE (s. o. Anm. 11), 333 f. zu erinnern, der (im Anschluss an McIntyre) in diesem Tatbestand dann auch das die Analogie des mittelalterlichen Feudalverhältnisses Sprengende erkennt. Ihm folgen GÄDE (s. o. Anm. 11), 140 f. und P LASGER (s. o. Anm. 11), 93–98. Es ist augenscheinlich, dass die Differenzbestimmung in I,15 nicht nur eine theologische Qualifikation eines weltlichen Begriffes vornimmt, sondern darüber hinaus sie in einer solchen Weise vornimmt, dass dem Apathieaxiom Rechnung getragen ist: Gott selbst kann nichts verlieren, er kann in seiner Ehre nicht verletzt werden. Gleichwohl wird das Apathieaxiom gewissermaßen gedehnt: Wird die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung entstellt, wird Gottes Glanz und Abbild entstellt – was Gott auf jeden Fall so affiziert, dass er sich aufmacht, die verletzte Schönheit der Schöpfung wiederherzustellen. CDH I,15 (ed. S CHMITT II, 73,22–74,1); vgl. I,12 (ed. S CHMITT II, 69,15), I,20 (ed. S CHMITT II, 86,21 f.). S.o. Anm. 39. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 189 Kann eine Bestrafung im Sinne eines erneuten Nehmens Gottes als ausgeschlossen gelten, muss sich die Erörterung darauf richten, wie die genommene Ehre Gottes eingelöst wird, auf das »Geben« der satisfactio. Der letzte Gedankenkomplex im ersten Buch (I,20–24) dient dem Erwägen der anthropologischen Dimension dieser satisfactio – um sie, weil jedes menschliche Vermögen übersteigend, als Möglichkeit des sündigen Menschen auszuschließen. Das Dilemma wird hier nun also nach seiner anderen Seite hin – nämlich im Blick auf das von menschlicher Seite her erforderliche »Geben« – Stück für Stück in seiner Ausweglosigkeit demonstriert. Dieses zu Gebende nämlich entspricht der Schwere der Schuld.67 Im Gefolge von Harnack wurde dies als Äquivalenzdenken verworfen, welches Gott zum Empfänger einer der Entehrung äquivalenten Gegenleistung macht. Doch eine solche Unterstellung würde nicht nur die in I,21–24 vorgeführte Komparationsargumentation Anselms missachten, sondern schon das zum Begriff von Gottes Ehre Gesagte: Gottes persönliche Ehre benötigt nichts, sie kann nicht zum Objekt eines Gebens werden – sondern allein seine geschaffene Ordnung. Diese aber benötigt nichts anderes als das, dass ihr die Verwirklichung des Schöpfungs- und Heilswillens Gottes gegeben wird. Genau darauf hebt denn auch die Komparationsargumentation ab: Um die unvergleichliche Schwere der Sünde zu demonstrieren, wird diese mit einem einzigen Blick contra voluntatem dei verglichen und dabei festgestellt, dass eine solche nicht durch die Erhaltung oder Rettung ganzer kreatürlicher Welten aufzuwiegen ist.68 Anselm benutzt diesen Gedanken bereits, um die Größe der erforderlichen Genugtuung hypothetisch zu veranschaulichen.69 In I,23 schließlich wird der Gedanke pointiert: Das »Geben« der satisfactio müsste die Rechtfertigung sündiger Menschen zum Inhalt haben! Da aber ein Sünder nicht Sünder rechtfertigen kann (quia peccator peccatorem iustificari nequit), ist, wie Boso zugibt, diese Möglichkeit unmöglich.70 Ihm scheint deshalb eine der Gerechtigkeit Gottes entsprechende Barmherzigkeit und damit die Schöpfungs- und Heilsvollendung des Menschen zugrunde zu gehen.71 Dass dies keinesfalls sein kann, ist nun auch Anselms Meinung: Der Notwendigkeitsaufweis des zweiten Buches setzt in II,1 dezidiert damit ein, dass Gott den Menschen nicht umsonst (frustra) zur Heilsvollendung in der beatitudo geschaffen haben kann. Es wäre völlig ungeziemend, ließe Gott von seinem begonnenen Werk ab.72 Der von Anselm anvisierte Gebrauch des Notwendigkeitsbegriffs dient dementsprechend dazu, die freiwillige 67 68 69 70 71 72 CDH I,21 (ed. S CHMITT II, 88,18 und 89,25). CDH I,21 (ed. S CHMITT II, 88,12–89,16). Ebd. (ed. S CHMITT II, 89,27 f.). CDH I,23 (ed. S CHMITT II, 91,25 f.). Ebd. (ed. S CHMITT II, 91,27–29); vgl. I,24 (ed. S CHMITT II, 94,8 f.)! CDH II,1 (ed. S CHMITT II, 97,20–98,5) und II,4 (ed. S CHMITT II, 99,9–13). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 190 Hans-Martin Rieger Verpflichtung Gottes zur Vollendung seines Werks begrifflich einzuholen. Mit seiner Hilfe wird die Gnade Gottes als in Freiheit vollzogene Selbstbindung Gottes beschrieben: Gott nimmt sich selbst beim Wort.73 Die zur Schöpfungs- und Heilsvollendung notwendige satisfactio, welche der Mensch nicht erbringen kann, obwohl er es soll, ist Aufgabe des Gott-Menschen (II,6). Zur Erfassung des Heilswerks Christi ist im Folgenden vor allem zur Darstellung zu bringen, wie Anselm das »Geben« der satisfactio beschreibt. Fokussiert ist damit das Sterben Christi, wie es vor allem in II,11 expliziert wird. Die Darstellung der soteriologischen Bedeutung seines Todes, wie sie in den Abschnitten II,14–17 und II,18 f. zum Ausdruck kommt, soll aber zumindest kurze Erwähnung finden. Im Auge zu behalten ist zunächst die Definition der satisfactio und ihre relationale Verortung im Verhältnis von Gott und Mensch. Zwei Bestimmungsmomente sind dabei als verbunden zu denken: Satisfaktion ist einerseits die freiwillige Einlösung beziehungsweise Bezahlung der Schuld – zum Zweck der Wiederherstellung des Menschen.74 Im Blick auf den Menschen kann sie deshalb mit dessen Reinigung und Gerechtmachung gleichgesetzt werden.75 Satisfaktion ist andererseits zugleich Einlösung der Gott geraubten Ehre, welche vom ohnehin geschuldeten Gehorsam des Menschen unterschieden werden muss.76 Die differenzierte Bestimmung des Begriffs der Ehre Gottes erlaubt es ohne weiteres, beide Momente im Sinne Anselms zusammenhalten zu können: Satisfaktion bedeutet ein Geben, das die Wiederherstellung der gottgewollten Ordnung und Schönheit des Universums und insofern die Wiederherstellung der Ehre Gottes zum Ziel hat.77 Zu geben ist dabei ein gewisses maius (aliquid maius) 78: Richtet sich die Wiederherstellung nach der Größe der Sünde und übersteigt deren Gewicht, wie Anselm in I,21 demonstriert hatte, alles Geschaffene, dann 73 74 75 76 77 78 CDH II,5 (ed. S CHMITT II, 100,16–20). In II,17 wird der Notwendigkeitsbegriff – ähnlich wie dies für den Begriff der Ehre festzustellen war – für den theologischen Gebrauch einer Differenzbestimmung zugeführt und zwischen zwei Necessitäten unterschieden: Im Blick auf Gott kann nicht von einer necessitas praecedens die Rede sein, lediglich von einer necessitas sequens: Wenn Gott sich selbst beim Wort nimmt, geht diesem Wort selbst keine Notwendigkeit voraus. Im Blick auf die Lebenshingabe Christi ist damit bereits dem Gedanken einer Viktimisierung begegnet: Christi Willen zur Lebenshingabe ging keine Notwendigkeit voraus; ohne Berücksichtigung seiner Notwendigkeit setzenden Willensmacht lässt sich daher nicht sagen, dass ihm jemand sein Leben »nahm«. Es sich nehmen zu lassen beziehungsweise es hinzugeben hat seinen Bestimmungsgrund in Christi Willen selbst (ed. S CHMITT II, 125,8–13; 125,28–126,2). CDH I,19 (ed. S CHMITT II, 85,28–32). Vgl. ebd. (ed. S CHMITT II, 85,21 f.). CDH I,11 (ed. S CHMITT II, 68,29–69,2). So zu Recht auch W IESE (s. o. Anm. 11), 37, gegen die einseitige Fassung der satisfactio bei G RESHAKE (s. o. Anm. 11), 334 (bei der satisfactio gehe es allein um den Menschen). CDH II,6 (ed. S CHMITT II, 101,4). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 191 muss auch die satisfactio alles Geschaffene übersteigen.79 Damit entspricht sie aber dem Ziel der Wiederherstellung des Menschen überhaupt, insofern dessen Wiederherstellung größer und wunderbarer ist als dessen Herstellung beziehungsweise Schöpfung. Denn jenes vollzog sich an einem Sünder gegen sein Verdienst, dieses nicht an einem Sünder und auch nicht gegen sein Verdienst.80 Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass der Mensch etwa durch Umkehr, durch Gehorsam, durch sein Leiden oder auch sein Sterben eine solche Genugtuung nicht erbringen kann, sondern damit immer im Bereich seines ohnehin Geschuldeten (debitum beziehungsweise ex debito) verbleibt.81 Erst Christus also bringt durch sein Sterben eine solche Gabe dar, welche alles Geschaffene übersteigt, ein »unvergleichlich höheres Gut als die Sünden schlecht sind« 82. Diese Konzentration auf den aktiven Aspekt im Sterben des Gekreuzigten impliziert keine Verdrängung des passiven Erleidens, sie will auch keine Isolierung des Todes Jesu von seinem Leben befördern.83 Worauf es an dieser Stelle der Argumentation vielmehr ankommt und was Anselm sich herauszustellen bemüht, ist schlichtweg das erforderliche maius im Sterben Christi. An anderer Stelle, in I,9, kann Anselm den Tod Christi durchaus als ein Erleiden einer Pein beschreiben, welches aus seinem festgehaltenen Lebensgehorsam resultiert.84 Entscheidend ist im dortigen Zusammenhang allerdings, dass Christus in diesem konsequenten Festhalten an der Wahrheit und an der Gerechtigkeit – auch und vor allem dann, als es ihm das Erleiden des Todes einträgt – das von jedem Menschen Geschuldete vorlebt.85 In II,11 ist dieser Gedanke daher unerheblich: Anselm wendet sich dem erforderlichen maius zu, das für ihn mit demjenigen Aspekt des Todes Christi gegeben ist, welcher dessen qualitative Differenz zu jedem menschlichen Sterben ausmacht. Das ist dann auch der Grund dafür, dass er nicht lediglich am Sterben Christi, sondern an dessen spezifischer und exklusiver Art und Weise interessiert ist: Christi Tod ist die in Freiwilligkeit aktiv voll- 79 80 81 82 83 84 85 Vgl. die aufeinander verweisenden Stellen CDH I,21 (ed. S CHMITT II, 89,27 f.), II,6 (ed. S CHMITT II, 101,3 f.) und II,11 (ed. S CHMITT II, 110,9 f.). CDH II,16 (ed. S CHMITT II, 117,6–13). CDH I,20 (ed. S CHMITT II, 86,25–87,5), II,10 (ed. S CHMITT II, 106,13–16) und II,18 (ed. S CHMITT II, 127,27 f.). CDH II,14 (ed. S CHMITT II, 114,22–24). Vgl. die Kritik von A. VON H ARNACK (s. o. Anm. 3), 402.407 f. CDH I,9 (ed. S CHMITT II, 61,12–14); vom Sterben Jesu als »festgehaltene[m] Lebensgehorsam« spricht H ERMANN , Anselms Lehre (s. o. Anm. 11), 392. In diesem Zusammenhang ist die Verwendung des Begriffs einer poena, welche vom göttlichen Vater nicht verhindert wird, bedeutsam: CDH I,10 (ed. S CHMITT II, 65,23–29). CDH I,9 (ed. S CHMITT II, 61,15 f.); dieser Bezug findet sich dann in II,11 (ed. S CHMITT II, 110,25–28). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 192 Hans-Martin Rieger zogene Hingabe seines Lebens für die Menschen.86 Die versöhnende beziehungsweise genugtuende Kraft ist also demnach nicht in der Quantität und Intensität des Leidens zu suchen, sondern darin, dass dieses freiwillige, gewollte Hingabe ist. Die Freiwilligkeit besteht negativ schon darin, dass das Erleiden des Todes von Christus nicht wie vom Menschen ex debito verlangt ist; die Hingabe besteht im Äußersten, was ein Mensch Gott geben kann, nämlich sich zu seiner Ehre dem Tod auszuliefern.87 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang der exklusiven Dimension im Sterben Christi allerdings vor allem, wie Anselm den Begriff der Freiwilligkeit beziehungsweise der Willensfreiheit positiv fasst. Denn anders als für diejenigen am negativen Freiheitsbegriff orientierten freiheitstheoretischen Ansätze der modernen philosophischen Ethik, welche unter Freiheit lediglich die Abwesenheit von Zwang und die Unabhängigkeit des Individuums verstehen, gehört für Anselm der Gedanke der Freiheit und der Gedanke des Gehorsams zusammen. Freiheit des Willens ist die Voraussetzung dafür, dass der Mensch sein Sollen gegenüber dem Schöpfer erfüllen, dass er in der rectitudo voluntatis leben kann. Sie wird deshalb als »das Vermögen, die Rechtheit des Willens um ihrer selbst willen zu bewahren« definiert.88 Die Rechtheit des Willens ohne äußere Fremdbestimmung oder äußeren Zwang zu bewahren heißt aber nichts anderes als: wollen, was Gott will.89 In dieser Auffassung zeigt sich nicht nur eine monastische Einstellung zur Gehorsamspflicht, sondern Momente eines augustinischen Freiheitsbegriffs, dem gemäß nicht die Freiheit zu sündigen oder nicht zu sündigen, als vielmehr die Freiheit, den Willen Gottes zu bewahren, die höchste Stufe der Freiheit darstellt.90 Ist der Gehorsam Jesu im Befolgen des göttlichen Willens ein Akt selbstursächlichen Willens und damit frei von jedem Zwang, liegt die Vor86 87 88 89 90 Vgl. das cuiusmodi in CDH II,11 (ed. S CHMITT II, 110,18); zur Gleichsetzung von dare vitam und accipere mortem vgl. II,14 (ed. S CHMITT II, 115,2 f.). CDH II,11 (ed. S CHMITT II, 110,25–28 und 111,16–18). Anselm kann diese radikale Selbsthingabe auch mit dem Opferterminus ausdrücken und sagen, Jesus habe sich selbst zu seiner eigenen Ehre (!) der ganzen Trinität dargebracht und das heiße: seine Menschheit seiner Gottheit (II,18 [ed. S CHMITT II, 129,17–20]). Zur Intention von Anselms Darstellung des Todes Jesu formuliert GÄDE (s. o. Anm. 11), 245 treffend: »Anselm […] will zeigen, daß Jesus sich in einer Weise hingibt, wie kein anderer Mensch sich an Gott verschenken könnte. Er will von Gott unüberbietbar denken. Er will zeigen, daß die Hingabe Jesu nicht durch die Hingabe eines anderen Menschen ersetzt werden könnte«. Gäde versucht in seiner Arbeit durchgehend, das maius von »Cur deus homo« vom maius des »Proslogion« her zu interpretieren. De libertate arbitrii, cap. 13 (ed. S CHMITT I, 225,2 f.). De libertate arbitrii, cap. 8 (ed. S CHMITT I, 221,2 f.), vgl. cap. 5 (ed. S CHMITT I, 216,8–11) und der Gebrauch des Gedankens der selbstursächlichen Willensfreiheit für Gott in CDH II,10 (ed. S CHMITT II, 108,6–12). Ohne diesen Hintergrund ist CDH II,10 kaum zu verstehen. Zum Begriff der Freiheit bei Anselm vgl. G OEBEL (s. o. Anm. 41), 363 ff. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 193 stellung der Viktimisierung Jesu durch einen grausamen Vater fern: Christus wurde nicht gegen seinen Willen zum Sterben gezwungen, sondern erlitt nach seinem eigenen Willen den Tod, um die Menschen zu retten.91 Sein Gehorsam ist Willensübereinstimmung mit dem rettenden Heilswillen des Vaters. Sein freier Wille richtet sich auf die göttliche Wiederherstellung des Menschen, auf die Versöhnung der Welt.92 Das Kelchwort in Joh 18,11, die Dahingabeformel in Röm 8,32 und auch Phil 2,8 werden so gedeutet, dass der Vater nur indirekt den Tod seines Sohnes will, insofern nämlich die Rettung der Welt das Festhalten an der Gerechtigkeit gegen alle menschliche Ungerechtigkeit erfordert und damit den Tod impliziert.93 Hinsichtlich der Heilsbedeutung des Todes Christi und der Heilszuwendung für den Menschen bleibt zu bemerken, dass diese gerade an das geschilderte Moment der Freiwilligkeit angeschlossen wird.94 Denn eine freiwillig dargebrachte Gabe kann nicht ohne Belohnung bleiben.95 Auch der Sachverhalt, dass Anselm vom Begriff der Satisfaktion auf das Begriffsfeld des Verdienstes überwechselt, um das Partizipationsproblem einer Lösung zuzuführen, ist durch den Gedanken der Freiwilligkeit bedingt: Während die satisfactio vom Menschen geschuldet ist, ist das Werk Christi eine in göttlicher Freiheit vollzogene ungeschuldete Tat. Mit dem Verdienstgedanken will Anselm – so unevangelisch das klingen mag – die gänzlich ungeschuldete Hingabe und den exklusiven Charakter des Christuswerks betonen. Zugleich aber soll dieser Gedanke es ihm gestatten, als notwendig und mit der göttlichen Gerechtigkeit übereinstimmend zu erweisen, dass dieses Werk von Gott als Satisfaktion für die Menschen angenommen, es also als Heilswerk für den Menschen wirksam wird und ihm solchermaßen Erfolg beschieden ist.96 91 92 93 94 95 96 CDH I,8 (ed. S CHMITT II, 60,12–14); vgl. I,9 (ed. S CHMITT II, 62,5–8). Zur Erhellung der in II,11 (ed. S CHMITT II, 111,20–25) aufgegriffenen Freiwilligkeit im Sterben Christi ist auf den Abschnitt I,8–10 zurückzukommen. CDH I,9 (ed. S CHMITT II, 63,30; 64,1). Ebd. (ed. S CHMITT II, 62,9 ff. und 63,23 f.). Die Argumentation Anselms bringt es dabei mit sich, dass die Freiheit zum gerechten Willen der Gottheit Christi, der Gehorsam bzw. die sich aufopfernde Hingabe seiner Menschheit zugeschrieben werden. Vgl. ebd. (ed. S CHMITT II, 63,21–23); II,17 (ed. S CHMITT II, 124,19–24); II,18 (ed. S CHMITT II, 129,23): cui secundum hominem se obtulit. Hier wie an anderen Stellen (Med. 3 [ed. S CHMITT III, 86,68–71]) geht Anselm von einer äußerst bedenklichen christologischen »Arbeitsteilung« aus; vgl. zu dieser Problematik S CHMITT (s. o. Anm. 11), 164–167, aber auch 45 f. Vgl. den gewagten Vergleich von debitum/indebitum mit Ehe/Virginität in CDH II,18 (ed. S CHMITT II,128,17–26). CDH II,19 (ed. S CHMITT II, 130,5 f.). Vgl. CDH II,19 (ed. S CHMITT II, 130,7–9) und die Abgrenzung gegen das vanum esse bzw. das frustra in ebd. (ed. S CHMITT II, 130,18 f.31). Der Verdienstgedanke wäre also funktional von seinem Kontext her zu verstehen, so H ERMANN , Christi Verdienst (s. o. Anm. 11), 466–470; GÄDE (s. o. Anm. 11), 248–260. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 194 Hans-Martin Rieger III. Zusammenfassend ist von dieser inhaltlichen Gesamtlage her im Blick auf die eingangs erwähnten systematisch-theologischen Problemkreise festzuhalten: Erstens: Auf die Frage, ob Gott das Kreuz brauche, kann Anselm differenziert antworten. Gott als das Subjekt der Versöhnung zu betrachten, dies schließt für ihn zunächst nicht aus, dass sich im Sterben Jesu ein Geben an Gott ereignet. Gegen eine soteriologische Reduktion und eine vorschnelle Umgehung des Skandals, dass das Kreuz Gott zur Schmach gereiche, bleibt er der Überzeugung, dass Jesus für Gott stirbt, dass seine Hingabe zuerst Gottesdienst ist. Auf dieser Ebene, nicht durch die Unterschreitung ihrer stellt sich Anselm auf seine Weise der Herausforderung, die Übereinstimmung von Christologie und Gotteslehre zu durchdenken. A. Schlatter trifft diese Pointe, wenn er feststellt: »Jesu Gottesdienst hat Anselm allem übergeordnet, was er uns dienend, uns begabend tut.«97 Allerdings: Gott braucht das Kreuz nicht für sich, für seine eigene Ehre, sondern für die Ordnung und Schönheit seiner Schöpfung, an welcher er mit seiner ganzen Würde hängt. Anselm bestätigt diesen Sachverhalt noch einmal nachdrücklich in seiner »Meditatio redemptionis humanae«: »Nicht Gott nämlich bedurfte es, dass er auf diese Weise den Menschen rettete, sondern die menschliche Natur bedurfte es, dass sie Gott auf diese Weise Genugtuung gab. Nicht Gott bedurfte es, so Mühseliges zu erdulden, sondern der Mensch bedurfte es, so versöhnt zu werden. Nicht Gott bedurfte es, sich so erniedrigen zu lassen, sondern der Mensch bedurfte es, so aus der tiefsten Hölle gezogen zu werden.«98 Zweitens: Dass der Tod Jesu nicht im Sinne einer »Prügelknaben-Vorstellung« zu deuten ist, ergab Anselms konzentrierte Betrachtung der Art und Weise, wie Christus in den Tod ging. Sein Tod kam nicht wie ein Verhängnis oder ein Zwang auf ihn. Christus unterwarf sich auch nicht einem destruktiven Tötungswillen des himmlischen Vaters. Er lebte und starb vielmehr in der mit seinem selbstursächlichen Willen vollzogenen Übereinstimmung mit dem Heils- und Rettungswillen des Vaters. Zur Erfassung der theologischen Kategorialität gehört es dementsprechend, den Tod Jesu Christi als Vollzug der Hingabe nicht nach einem Vik97 98 Adolf S CHLATTER , Jesu Gottheit und das Kreuz (BFChTh 5,5), Gütersloh 21913, 76. Neben A LTHAUS (s. o. Anm. 10), 23 (»Jesus starb für Gott, ehe er für uns starb«) betont diesen Grundsatz auch Wolfhart PANNENBERG , Systematische Theologie, Bd. II, Göttingen 1991, 422. Jürgen M OLTMANN , Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1989, 185 nimmt ihn bekanntlich in der Weise auf, dass er nach der Bedeutung des Kreuzes für die Gotteslehre fragt und zu einer Revision der Zwei-Naturen-Lehre und einer trinitarischen Kenosis ausweitet. Anselm hingegen denkt ganz unter den Voraussetzungen von Chalcedon und dem Apathieaxiom. Der Gotteslehre sind damit Fixpunkte gesetzt. Med. 3 (ed. S CHMITT III, 86,64–68). Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 195 timisierungsschema dergestalt zu entschlüsseln, dass der Vater das aktive Subjekt, der Sohn lediglich das passive Objekt ist.99 Der Gottesdienst des Gekreuzigten lässt sich vielmehr als Selbsthingabe beziehungsweise als Selbstopfer dann angemessen artikulieren, wenn die ihm nicht äußerliche Handlungseinheit, die in den synoptischen Passionserzählungen geradezu dramatisch geschilderte Willenskonformität zwischen Jesus und seinem Vater in ihrer christologischen und trinitarischen Bedeutung nicht verkannt wird. Anselm von Canterbury ist in dieser Hinsicht jedenfalls nach wie vor vielen seinen neuzeitlichen Kritikern voraus. Das gilt vor allem, wenn gesehen wird, dass er die Willenskonformität von vornherein auf den Heilswillen Gottes für den Menschen bezieht, also die Hingabe Jesu an Gott den Vater zugleich seine Hingabe für die gottlose Welt ist.100 Drittens: Die Erfassung des Gottesdienstes Christi und seiner Selbsthingabe setzt die Wahrnehmung einer zentralen Bedeutung seines Gehorsams voraus. Das hat Anselm und das hat in seiner zentralen Bedeutung für den Stellvertretungsgedanken dann auch K. Barth deutlich gemacht.101 Schon die ältere lutherische Tradition hatte nicht umsonst das Lehrstück der satisfactio vicaria unter den Vollzugsformen von oboedientia activa und oboedientia passiva diskutiert. Gegenüber einer einseitigen Betonung des Strafleidens heben allerdings Anselm wie Barth die satisfactio, das aktive Geben beziehungsweise Tun im Leiden hervor, so dass die oboedientia activa als das logisch Primäre erscheint, welches die oboedientia passiva in sich schließt.102 Diese Betonung wiederum ist nicht unproblematisch. Gerade sie kann aber als wirksame Kontraindikation einer Deutung des Todes Jesu mithilfe des Schemas eines gewaltsüchtigen Gottes und seines ihm ergebenen Prügelknaben interpretiert werden. Sie erlaubt es darüber hinaus, im Verhältnis des Sohnes zum Vater und damit auch in der Identität der Person Christi dem Fortschreiten im Gehorsam (vgl. Hebr 5,8 f.) nicht lediglich akzidentiellen Charakter zuzuschreiben. Mit der Vollendung seines Gottesdienstes am Kreuz, nicht ohne diesen, ist er der Sohn.103 99 100 101 102 103 So bereits M OLTMANN (s. o. Anm. 97), 198, gegen die Kritik von D. Sölle. Vgl. E. Jüngel: »Der Tod Jesu Christi ist der Vollzug vollkommener Hingabe des mit dem Menschen Jesus identischen Sohnes Gottes an Gott den Vater und als solcher das Ereignis vollkommener Hingabe für die durch die Gottlosigkeit des Menschen qualifizierte Welt« (Eberhard J ÜNGEL , Das Sein Jesu Christi als Ereignis der Versöhnung Gottes mit einer gottlosen Welt: Die Hingabe des Gekreuzigten, in: DERS ., Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen, München 1980, 272–284, hier: 284). Die Explikation der Versöhnung setzt in der »Kirchlichen Dogmatik« ja bekanntlich mit § 59 »Der Gehorsam des Sohnes Gottes« ein; der Gehorsam des Sohnes in der Erniedrigung wird dabei als Moment seiner Göttlichkeit verstanden: Karl BARTH , Die kirchliche Dogmatik. Bd. IV/1: Die Lehre von der Versöhnung, Zürich-Zollikon 1953 (Studienausgabe Bd. 21, Zürich 1986), 210 ff. Pointiert bei BARTH (s. o. Anm. 101), 258.262.269.280. Vgl. dazu PANNENBERG (s. o. Anm. 97), 360.427 f. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM 196 Hans-Martin Rieger Viertens: Anselms Betonung der Freiwilligkeit des Sterbens Christi offenbart freilich, das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, theorieimmanente Denkzwänge bereits insofern, als für ihn nur ein Ungeschuldetes verdienstvoll und damit anders als ein Geschuldetes soteriologisch von Bedeutung sein kann.104 Das entspricht seiner Gedankenentwicklung aus einem allgemeinen Begriff des debere, führt aber dazu, das Spezifikum des Sterbens Christi zu verfehlen. Im Rückgang auf das Neue Testament und in differenzierter Auseinandersetzung mit Anselms Konzeption votiert der bereits erwähnte Schlatter an dieser Stelle anders: Das Besondere des Sterbens Christi besteht darin, das Sterben Christi zu sein. Das heißt: Auch ein nach außen hin gewandter Plausibilisierungsversuch hat anders als Anselm, welcher die Besonderheit und die soteriologische Bedeutsamkeit von Christi Tod in dessen Ungeschuldetsein sucht, zu beachten, dass hier Christus stirbt und sein spezifisches Lebenswerk durch den Tod gänzlich ins Nichts gesetzt wird. Formal unterscheidet sich sein Gehorsam gerade nicht vom menschlich geschuldeten: Er lebt ganz in der Übereinstimmung mit Gottes Gebot und lässt in seinem Leben wie dann in seinem Sterben Gott Gott sein. Schlatter hat vorgeführt, dass sich dies als einzigartige Konkretion des sola fide angesichts des Todes explizieren ließe.105 Unbeschadet dessen also, dass die Problemlösungskapazität von Anselms Modell nicht nur theologiegeschichtlich, sondern auch systematischtheologisch wahrgenommen zu werden verdient, und unbeschadet dessen, dass seine Stärke in der Bearbeitung des Sachverhalts liegt, dass das Kreuz Jesu vor die Gottesfrage stellt – seine Zusammenschau von Gottes Barmherzigkeit und Gottes Gerechtigkeit in einem Modell von Ehre und Genugtuung hat ihre, hier nicht weiter zu verfolgenden Grenzen. Gleichwohl ist es eben genau das: ein Modell, mit welchem Anselm sein im »Proslogion« formuliertes Bekenntnis der Übereinstimmung von Gottes Barmherzigkeit und Gottes Gerechtigkeit denkerisch Ausdruck verleiht: Gott ist mit seiner Gnade und Barmherzigkeit im Recht.106 ZUSAMMENFASSUNG Obwohl klärende philosophie- und theologiegeschichtliche Untersuchungen vorliegen, dient die Kreuzeslehre Anselms von Canterbury in der protestantischen Theologie weithin als 104 105 106 Vgl. die juristische Erhellung von Hans DOMBOIS , Juristische Bemerkungen zur Satisfaktionstheorie des Anselm von Canterbury, in: NZSTh 9 (1967), 339–355. S CHLATTER (s. o. Anm. 97), 60 ff. Vgl. Prosl., cap. 9 (ed. S CHMITT I, 108,2–9) mit dem Argumentationsziel von »Cur deus homo« in II,20 (ed. S CHMITT II, 131,26 ff.)! Zur Formulierung: Eberhard J ÜNGEL , Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, Tübingen 1998, 64. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM Der Gottesdienst des Gekreuzigten 197 negatives Beispiel, von dem man sich abzugrenzen pflegt. Der Artikel bietet eine Relektüre von Anselms Schrift »Cur deus homo« und erhebt das systematisch-theologische Problemniveau der in ihr beschriebenen Konzeption. Neben der Beachtung der spezifischen, aus dem Gesamtwerk erschließbaren Begrifflichkeiten ist für die Interpretation schon die Analyse des Aufbaus und die Beachtung der intentionalen Ausrichtung von Bedeutung. Inhaltlich ist für das Verständnis der Passion Christi die Willensübereinstimmung und die Handlungseinheit von Vater und Sohn entscheidend. Indem Christus für seinen göttlichen Vater stirbt, dient er Gott – so dass dessen Heilswille zum Ziel kommt. In der freiwilligen Selbsthingabe an diesen Heilswillen besteht der Gottesdienst des Gekreuzigten. SUMMARY In Protestant Theology scholars today, as in the past, frequently distance themselves from Anselm of Canterbury’s conception of atonement. The article offers a fresh reading of Anselms’s essay “Cur deus homo”. Even before a thorough examination of the work’s content, an analysis of its structure and its intention sheds light on the work’s meaning. The work emphasizes, that the will and actions of father and son are in accord with one another and this is of great importance for an understanding of the passion of Christ. In dying for his divine father, Christ served God – so that God’s will (i. e. his will to save humankind) be fulfilled. Anselms’s conception argues against the notion of a wrathful God, who has the need of a scape-goat. The ideas Anselm posits in his work contain much that is worthy of continued discussion concerning atonement today. Brought to you by | Simon Fraser University Authenticated Download Date | 6/5/15 2:19 AM