Kazimierz PANU
DER PREDIGER DER NEUEN EVANGELISATION
Das letzte Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends des Christentums erlebt die Kirche als
Advent eines neuen Milleniums, indem sie mit neuer Kraft die Realisierung des
Missionsgebotes Christi aufnimmt: „Darum geht zu allen Völkern ... und lehrt sie alles zu
befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,19-20). In den Jahren der Jahrtausenwende will
die Gemeinschaft der Gläubigen ihrem Erlöser die für Ihn liebste Gabe bringen und zwar die
immer mehr christliche Welt. Diesem Ziel dienen viele Initiativen, die die Kirche unternimmt
und die man mit dem Begriff der neuen Evangelisation bezeichnet. Eine ihrer Hauptaufgaben
ist ohne Zweifel die vertiefte Intelektualisierung, das Erwachen des Bewußtseins - warum und
an wen ich glaube. Immer wichtiger wird daher die Rolle der Homillie oder der Predigt, die für
viele Gläubige oft die einzige Form der Belehrung im Glauben ist.
Das ist schon der ausreichende Grund dafür, damit sowohl „der Diener des Wortes“ (vgl.
Lk 1, 2) als auch der Empfänger sich die Frage nach dem eigenen Verhältnis zum Wort Gottes,
das in der Kirche verkündet wird, stellen, und damit sie über die Kompliziertheit und den
aktuellen Stand des Predigeramtes nachdenken. Ich möchte einige meine Gedanken zu diesem
Thema mitteilen, die hauptsächlich aus den polnischen Erfahrungen kommen. Der enge
Rahmen dieses Artikels erlaubt mir, mich nur auf einige gewählte Aspekte zu konzentrieren.
1. ANGESICHTS DER WIRKLICHKEIT EINER PREDIGT
Seit der Zeit des II. Vatikanischen Konzils diskutierte man viel darüber, was im Leben
eines Geistlichen wirklich wichtig ist. Einer der wichtigsten Bereiche seiner Tätigkeit ist
zweifellos das Predigeramt. In Gesprächen mit den Geistlichen kann man schnell erkennen, daß
einige von ihnen das Predigeramt lieben, und das Teilen des Wortes Gottes mit den Gläubigen
gehört zu den schönsten Augenblicken ihrer geistlichen Tätigkeit und bringt ihnen viele
erhabene Erlebnisse mit. Es gibt aber auch eine andere Gruppe, die diesen Funken Gottes nicht
besitzt. Indem sie ausgezeichnete Beichtväter, Katecheten oder Erbauer von Kirchen sind,
haben sie mit der Beredsamkeit nichts zu tun. Deshalb freuen sie sich, wenn sie die Möglichkeit
haben, einen Pastoralbrief vorzulesen, anstatt eine Sonntagspredigt vorzubereiten und sie dann
zu halten.
Eine Umfrage unter den Hörern ergibt, daß viele von ihnen - kurz gesagt - die Predigten
nicht gern haben. Das drückt sich dadurch aus, daß sie stets spät in den Gottesdienst kommen,
nach der Predigt, oder gleich aufhören aufzupassen, sobald der Prediger erscheint. Wenn man
eine Rankingliste zum Thema der Möglichkeiten eines wertvollen Zeitvertriebs aufstellen
würde, so würde die Teilnahme an Exerzitien oder das Hören von Predigten selten an den ersten
Platz dieser Liste kommen. Dieser Mangel an den gesellschaftlichen Bedarf hat einen negativen
Einfluß auf den Prediger. Nur diese, die Sonntag für Sonntag der selben Pfarrgemeinde
entgegenkommen, wissen, was für eine anstrengende Arbeit das Streben ist, etwas Bedeutendes
zu sagen. Man stellt sich Gesicht zu Gesicht vor dieselben Menschen, oft in derselben
Tageszeit, die an denselben Plätzen sitzen oder stehen. Man sieht die regelmäßig spät
Kommenden, manchmal sogar 10 Minuten. Man kämpft mit verschiedenen Zerstreuungen von
verlorenen Hunden, über den Chor von weinenden Kindern bis zu den Ministranten, die gerade
hier den besten Platz und die beste Zeit gefunden haben, einander den letztens gesehenen Film
zu erzählen. Die Wiederholbarkeit dieser Situationen kann sehr erdrückend werden. Dazu
kommt noch eine schwache Resonanz seitens der Zuhörer auf das verkündete Wort. Immer
habe ich darüber nachgedacht, warum ein so kleiner Prozentsatz von Geistlichen - nach dem,
was sie sagen oder schreiben - sich dessen bewußt ist, wie wenig von ihren Predigten von den
Zuhörern aufgenommen wird. Oder vielleicht gerade hier ist der Kern des Problems, denn
gerade diese Diener des Wortes richten sich nach der unterbewußten Überzeugung, nicht gehört
zu werden. Daher finden sie die Vorbereitung von Predigten überflüssig. Auf diese Weise
kommt es zur Krise des Predigeramtes. Viele Priester sehen keinen Sinn der Vorbereitung für
diese, die sowieso nicht zuhören. Die Gläubigen, die an der anderen Seite der Kanzel stehen,
hören auf, überhaupt etwas von dem Prediger zu erwarten. Sie haben ihre Hoffnungen
aufgegeben1.
1
Vgl. M. Drumm, Preaching with Authority, “The Furrow” 6 (1992), 334-335.
2. EINE SCHWIERIGE AUFGABE
Die Änderung dieses Zustandes erfordert ein vertieftes Betrachten des Predigers und seines
zu verkündeten Wortes. Man muß stark unterstreichen, daß das Predigeramt eine sehr
schwierige Aufgabe ist, und der Prediger selbst ist eine Person, die man äußerst leicht kritisieren
kann. Der Dichter, Maler oder Komponist offenbart sich in der Welt in seinen eigenen Werken.
Sein künstlerisches Dasein ist nicht von seiner körperlichen Anwesenheit abhängig. Anders
sieht die Sache mit dem Prediger aus. Er ist erst da, wenn er sich in seiner eigenen Person zeigt,
denn er wird selbst zu einem Werk, das er dann den Hörern verkündet. Für den Prediger
bedeutet sein Dasein so viel wie sich zeigen.
Heute sind wir immer mehr uns dessen bewußt, wie wichtig es ist, damit das Predigeramt
einen doktrinären und nicht moralisierenden Charakter hat. Der Moralismus beschränkt und
verdunkelt. Wenn der Prediger das, was Gott in seiner Liebe getan hat und immer noch tut,
nicht erwägt und zuerst nicht verkündet, sondern die Aufmerksamkeit darauf lenkt, was wir
Menschen tun sollen und was wir oft nicht tun, da erscheint eine große Gefahr der Verbitterung
und des Pessimismus. Der zeitgenössische Mensch wird oft überhäuft mit manchmal
widersprüchlichen Theorien. Man muß ihm erst eine gute katholische Lehre anbieten und erst
dann dazu ermutigen, in Übereinstimmung mit dieser Wahrheit zu leben. Das bringt Früchte.
Die Güte zieht uns viel mehr an, wenn wir die Wahrheit kennen, als wenn wir nur darüber
informiert sind, was wir nicht tun dürfen.
Zum Wesen der Verkündung gehört auch das Zeugnis des Predigers. Auf dem verkündeten
Wort werden die Merkmale nicht nur von Erkenntniswerten sondern auch von intelektuellen
und moralischen Werten geprägt. Das gefühlsmäßige Engagement, die Erregbarkeit der
Aussage bilden die erste Bedingung des Erfolgs eines Predigers. In diesem Punkt bestätigt sich
der lapidare Spruch des hervorragenden Pastoraltheologen Franz Xaver Arnold, und zwar: "Nur
als Überzeugter kann er überzeugen; nur als Erschütterter kann er erschüttern, nur als
Begeisterter begeistern"2. Angesichts des unschätzbaren Schatzes von Gottes Wort, der in
2
F. X. Arnold, Dienst am Glauben. Das vordringlichste Anliegen heutiger Seelsorge, Freiburg 1948, 80.
seine Hände gegeben wurde, sagt der Prediger demütigŚ Herr, gib uns Hochachtung für Dein
Wort, für Dein Evangelium. Damit wir sie erwägen, immer tiefer in seine Geheimnisse
eindringen, damit wir sie richtig verkünden, nicht selektiv sondern ohne sie zu verflachen, oder
ins Banale herabzuziehen. Herr, mache die Sprache der Kirche frei von Phrasen, von
stereotypen Redewendungen, vom leeren Gerede! Stelle in ihr geistiges Talent wieder, ihre
Frische, Eigenart, Redlichkeit, Schönheit und die Fähigkeit, zu menschlichen Herzen zu
sprechen und sie zu öffnen!
3. DAS PREDIGERTALENT
Das Talent des Predigers bedeutet die langwierige Geduld. Es erfordert die Sache, die man
beschreiben will, so lange und aufmerksam zu betrachten, bis man in dieser Sache etwas
gefunden hat, was niemand bisher bemerkt und ausgedrückt hat. Jedes Geheimnis des Glaubens
hat in sich ein Teil der unbekannten Erde, und wir sind gewöhnt unsere Augen zusammen mit
unserem Gedächtnis dazu zu verwenden, was andere Menschen /Eltern, Katechet .../ gedacht
und uns übermittelt haben. Um das Geheimnis der Menschenwerdung oder des Dramas von der
Kalvarie zu enthüllen, muß man so lange in Gebetbetrachtung andauern, bis man zur Tiefe
dieser Wahrheit kommt3. In dieser Bedeutung sagen wir, daß der Prediger der erste Zuhörer des
später den Gläubigen verkündeten Wort Gottes ist. Immer ist dieses Wort Gottes in dem
unvollkommenen menschlichen Wort. Daher sind die Bemerkungen immer aktuell, die in dem
Buch von Bruce Marshall Every Man a Penny der geistige Leiter zu dem Priester Gaston noch
in der Zeit seines Seminarstudiums gerichtet hat: „Habe Mitleid mit dem armen Prediger und
bete für ihn, denn er versucht, große Worte mit seinem kleinen Mund auszudrücken“4.
Mit dem Problem des Predigertalents und der Entstehung einer Predigt ist die Frage von
Büchern und Zeitschriften verbunden, die fertige Predigten enthalten. Der Prediger, der sie in
extenso benutzt, tötet in sich die Selbständigkeit und unwillkürlich wiederholt er das, was die
anderen schon gesagt haben. Es ist besser den Kampf mit der moralischen Verwirrung in uns
Michael Drumm bemerkt: “In a world dominated by visual images it is next to impossible to communicate a
message in purely verbal concepts. There is a definite need for metaphor, image and story in our preaching”. Ders.,
Preaching with Authority, 334.
4 B. Marshall, Every Man a Penny (Ale i oni otrzymali po denarze), Warszawa 1958, 76.
3
so wie David aufzunehmen, auch nur mit einem elenden Schleuder, aber den man gut
beherrscht, anstatt in Sauls Rüstung, an die man nicht gewöhnt ist. „Das Ringen des Predigers
mit dem Wort, um aus dem Wort ein gewandtes Werkzeug zum Ausdruck der göttlichen
Wahrheit zu machen, ist etwas wirklich Faszinierendes“ - bemerkte der bekannte polnische
Sprachwissenschaftler Professor Jan Miodek während der Tagungen der Homiletiker in 1992
Jahr in Krakau und fügte hinzuŚ „Ich mag viel lieber sogar eine schwache Predigt als einen Brief
oder eine Mitteilung der Bischöfe, die ich in der katholischen Presse lesen kann. Das kann eine
Predigt selbst eines jungen Kaplans sein, aber sein Ringen mit dem Wort, seine Sorge dafür“5,
um ein entsprechendes Wort zu finden zum Ausdrücken der transzendentalen Wahrheiten, wird
mich immer faszinieren. In diesem Sinn ist jede Predigt für mich ein Phänomen, das der
höchsten Hochachtung wert ist”6. Deshalb sollte die Benutzung der ferigen Bearbeitungen nur
mit einer großen Zurückhaltung angewandt werden.
4. DIE NOTWENDIGKEIT EINES EMPFINDLICHEN EMPFÄNGERS
Jeder Prediger, der seine Botschaft ernst behandelt, hört gern auf die wohlgemeinten
Bemerkungen, die sowohl das besprochene Thema, die Analyse der Wirklichkeit, als auch die
vorgeschlagenen Lösungen betreffen. Mitunter wird der meist angetroffene Kommentar auf den
Spruch zurückgeführtŚ Die Predigt war schön. Solche Meinung, wie leicht man bemerken kann,
versucht das Verkünden des Wort Gottes nur in den ästhetischen Rahmen zu schließen. Es wäre
schon besser zu sagen (natürlich wahrheitsgemäß)Ś Ich habe eine wertvolle Predigt gehört, Ich
bin erschüttert, ich habe die Welt anders erblickt, ich bin besser. Der hervorragende Redner,
der heilige Franziskus Salezy, antwortetet den Menschen, die seine Predigten als „schöne
Predigten“ bezeichnet haben: „Ich mag es lieber, wenn die Menschen nach meiner Predigt mehr
von Gott als von meiner Ansprache begeistert wären!“7.
J. Miodek, Predigt als gesprochenes Werk (in:) Das Phänomen der Predigt, Sammelwerk, Kraków 1993, 26.
Ebenda
7 Vgl. Brief Vom Predigeramt (5. X. 1604) an den Erzbischof Bourges André Frémyot [in:] Édition Complète des
Oeuvres de Saint François de Sales, Bd. XII, Annecy 1925, 304.
5
6
Zum Schluß muß man aus Herzenstiefe und mit Dankbarkeit all diese zu erfassen, die uns
das Wort Gottes verkündet haben, und es weiter verkünden werden. Dank ihrer Arbeit konnte
der oben angeführte Professor Jan Miodek auf die FrageŚ Was war das Wort in der Kirche und
das Wort, das aus der Kirche kommt? antworten: „Das war für uns alle Polen der
Wahrheitsträger im Laufe von 45 Jahren, und jemand, der heute auch irgendwo weit von der
Kirche steht, muß zugeben, daß es so warŚ In der Kirche war die Wahrheit, die einzige
Wahrheit“8.
Ich glaube, daß uns diese Bemerkungen die Mühe der Predigers mehr sehen und schätzen
helfen, diese Mühe, die dazu gegeben wird, „damit sich das Wort Gottes verbreitet“ (2 Thes
3,1). Zwischen dem Prediger und dem Zuhörer muß es ein enges Verhältnis geben, das sich auf
Höflichkeit stützt. Sie ist die Bedingung der Entwicklung von beiden Seiten. Es herrscht die
Überzeugung, daß große Dichter erst damals erscheinen, wenn auf sie ein großer Hörer wartet.
Mit großer Wahrscheinlichkeit kann man diesen Spruch auch auf den Prediger beziehen. Er
erscheint damals, wenn auf ihn ein großer Empfänger wartet. Es geziemt sich zu wünschen,
damit in der Zeit der neuen Evangelisation auf die großen Verkünder des Wort Gottes ein
empfindlicher Empfänger wartet. Die brauchen einander.
Aus: „Analecta Cracoviensia” XXVI
994 , s.
9-235.
Kazimierz Panu , geb. 1955, wohnhaft in Kraków, Priester des Krakauer Erzbistums, Doktor
der Theologie, Lehrbeauftragte der Homiletik an der Päpstlichen Theologischen Akademie in
Kraków, beschäftigt sich mit der Geschichte des Predigeramtes. Er hat Veröffentlichungen in
den theologischen Zeitschriften.
8
J. Miodek, Predigt als gesprochenes Werk, 29.