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Grenzgänge und Interventionen

2008, Grenzgänge zwischen den Künsten

Grenzgänge und Interventionen JENNIFER JOHN, SIGRID SCHADE »Ich lebe hier im Schweizer Kunstgewerbe […].« Sophie Taeuber-Arp 1926 in einem Brief an Hans Arp.1 Grundlage der vorliegenden Publikation bilden die Beiträge zum Symposium »Unstete Staffelungen.2 Geschlechterkonstruktionen in Kunst und Handwerk« des Institute for Cultural Studies in the Arts3, das anlässlich der Ausstellung Sophie Taeuber-Arp. Gestalterin, Architektin, Tänzerin4 im Museum Bellerive Zürich5 veranstaltet worden war. Das Museum Bellerive setzt sich in seiner Arbeit u. a. mit den Schnittstellen zwischen Kunst, Kunsthandwerk und Design auseinander.6 Die Ausstellung legte den Schwerpunkt auch deshalb auf die kunsthandwerklichen Arbeiten der Künstlerin, weil sich in den eigenen Beständen der Kunstgewerbesammlung des Museums für Gestaltung Zürich so wichtige Arbeiten wie das komplette Marionnettenspiel König Hirsch – ein zentrales Werk der Zürcher Dada-Bewegung – sowie andere angewandte 1 2 3 4 5 6 Vgl. Medea Hochs Beitrag in diesem Band. Der Titel des Symposiums war angelehnt an den Titel der Arbeit Unstete Staffelung von Sophie Taeuber-Arp, die zur Werkgruppe der Staffelungen von 1934 gehört. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Medea Hoch in diesem Band. Ehemals Institute for Cultural Studies in Art, Media and Design an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (inzwischen Zürcher Hochschule der Künste) am 11. Mai 2007 in Kooperation mit dem Museum Bellerive. 22. Februar bis 20. Mai 2007, Museum Bellerive Zürich, vgl. den gleichnamigen Katalog der Ausstellung, Zürich: Scheidegger & Spiess AG 2007. Das Museum Bellerive ist eine Abteilung des Museums für Gestaltung Zürich, dies ist wiederum selbst Teil der Zürcher Hochschule der Künste. Eva Afuhs im Katalog der Ausstellung: Sophie Taeuber-Arp. Gestalterin, Architektin, Tänzerin, S. 7. 7 J ENNIFER J OHN , S IGRID S CHA DE Arbeiten befinden. Bereits während der Vorbereitungen zur Ausstellung von Sophie Taeuber-Arp wurde deutlich, dass eine Aufspaltung in ihre kunsthandwerklichen Arbeiten und solche der ›hohen Kunst‹ zwar strukturellen Konstruktionen und Konventionen der Kunstgeschichte entsprach, keinesfalls aber der grenzüberschreitenden Arbeitsweise der Künstlerin selbst. Die ebenfalls 2007 in der Fondation Arp in dem von Sophie Taeuber-Arp entworfenen ehemaligen Atelierhaus in Clamart organisierte Ausstellung Sophie Taeuber. Rythmes plastiques, réalités architecturales7 zeigte z. B. Arbeiten »freier« Kunst, Gouachen, zusammen mit angewandten Arbeiten und Architekturentwürfen, wobei auch hier erkennbar wurde, dass die von der Künstlerin entwickelten Gestaltungsprinzipien sich sowohl aus der textilen Gestaltung ableiten lassen und zugleich in der Umsetzung in ›autonome‹ Bilder als Beispiele für die Avantgarde der Abstraktion gelten können, zu der sie und ihr Mann Hans Arp zählen. Sophie Taeuber hat jedoch nie – wie andere Künstler der abstrakten Avantgarde, z. B. Kandinsky und Malewitsch – die Beziehungen zwischen Kunsthandwerk und Kunst zu leugnen oder zu verdecken versucht8, und sie entwickelte komplexe Strategien, mit den Folgen umzugehen. Dies ist auch der Gegenstand des Forschungsprojekts von Medea Hoch, die in diesem Band erste Untersuchungsergebnisse zu Sophie-Taeuber-Arps Werk im Spannungsfeld der Gattungen vorstellt.9 Das Phänomen, dass die Präsentation ihrer Werke in Ausstellungen jeweils entweder im Kontext der ›bildenden‹ oder der ›angewandten‹ Kunst stattfand, lässt sich als Nachleben geschlechtsspezifischer Kodierungen der Künste und der auf sie gründenden Gattungshierarchien beschreiben. Wie feministische Forschung bereits belegte, entfaltet sich der traditionelle kunsthistorische Diskurs in Dichotomien zwischen autonomer und angewandter, hoher und niederer Kunst, Profession und Dilettantismus. Den ›höheren Künsten‹ werden intellektuelle, geniale kreative Leistungen zugeschrieben, den angewandten oder dekorativen Künsten Repetition und Reproduktion und nicht zuletzt Funktionalität im Alltagsgebrauch.10 Die Gattungshierarchien stellen 7 8 9 Vgl. den Katalog der Ausstellung, Clamart: Fondation Arp 2007. Vgl. dazu den Beitrag von Sigrid Schade in diesem Band. Das vom Schweizerischen Nationalfonds/DORE geförderte Forschungsprojekt am Institute for Cultural Studies in the Arts trägt den Titel: Das Marionettenspiel König Hirsch, 1918. Sophie Taeuber-Arps erste Raumarbeit. Ein Modell für die Integration der Künste. Vgl. http://ics.zhdk.ch/d/forschungsprojekte/ laufende.html [26.07.2008]. Aus diesem Projekt hat Medea Hoch inzwischen ein Dissertationsprojekt entwickelt. 10 Vgl. Rozsika Parker/Griselda Pollock: Old Mistresses. Women, Art and Ideology, London, New York: Pantheon Books 1981, bes. das Kapitel »Crafty Women and the Hierarchy of the Arts«, S. 50-81; vgl. auch Rozsika Parker: 8 G RENZGÄ NGE UND I NTERVENTIONEN die Grundlage der Konstruktion von Künstlerschaft als ›männlicher‹ Kreativität dar und formieren den Diskurs der Sprechenden über Kunst wie den der Kunstschaffenden gleichermaßen. Symptomatisch wurde die konstruierte Synthese von Weiblichkeit und Stickarbeit von Roszika Parker untersucht. In ihrer Studie The Subversive Stich. Emboridery and the Making of the Feminine (1984), deren Untersuchungsgegenstand Stickerei vom Mittelalter bis in die Gegenwart ist, belegt sie, dass noch im Mittelalter die Stickerei von beiden Geschlechtern ausgeführt wurde, diese sich in der Neuzeit jedoch zu einer vorwiegend ›weiblichen‹ Tätigkeit entwickelte, die mit ambivalenten Konnotationen belegt war: Sticktätigkeit und Handarbeit generell wurden im 18. Jahrhundert mit Werten wie Disziplin, Moral, Religion und Elternliebe, also mit einem spezifischen bürgerlichen Weiblichkeitsideal verknüpft. Im viktorianischen Mittelalterkult wurde das Mittelalter nachträglich zur Projektionsfläche der handarbeitenden Ladys des späten 19. Jahrhunderts.11 Kunstgeschichte und Kunstkritik reproduzieren und konstituieren die traditionellen Gattungshierarchien u. a. über die institutionellen Praktiken in Museen, Galerien, im Kunstbetrieb des Sammlerwesens12 und in den AkadeThe Subversive Stitch. Embroidery and the Making of the Feminine, London: Women‘s Press 1984; Teilsektionen der 4. Kunsthistorikerinnentagung von 1988 (Berlin) sowie der 6. Kunsthistorikerinnentagung von 1995/96 (Trier) und deren Akten sollen hier als Meilensteine dieses Forschungsfeldes hervorgehoben werden: Ines Lindner u. a. (Hg.): Blick-Wechsel. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte, Berlin: Reimer 1989, bes. Kap. »›Männliche‹ und ›weibliche‹ Künste?«, S. 200ff.; Cordula Bischoff, Christina Threuter (Hg.): Um-Ordnung. Angewandte Künste und Geschlecht in der Moderne, Marburg, Jonas 1999; Sigrid Schade/Silke Wenk: »Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenz«, in: Hadumod Bußmann/Renate Hof (Hg.), Genus. Geschlechterforschung und Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Stuttgart: Kröner 2005, S. 240-407, hier S. 159. 11 Vgl. R. Parker: The Subversive Stitch. Embroidery, die deutsche Übersetzung des Kap. »Verewigung des Weiblichen. Stickerei und der Viktorianische Mittelalterkult«, in: I. Lindner, Blick-Wechsel, S. 203-214. 12 Vgl. den Beitrag von Marjan Groot in diesem Band zur Bedeutung des niederländischen Galeriebetriebs um 1900; Silke Tammen zum Verhältnis von Kunstgeschichte und -kritik zu textilen Arbeiten in: »›Seelenkomplexe‹ und ›Ekeltechniken‹ – von den Problemen der Kunstkritik und Kunstgeschichte mit der ›Handarbeit‹«, in: Anja Zimmermann (Hg.), Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, Berlin: Reimer 2006, S. 215-239; sowie Jennifer John zur (Re-)Produktion der Gattungshierarchie durch die Institution Kunst- 9 J ENNIFER J OHN , S IGRID S CHA DE mien, die Künstlerinnen bekanntlich bis ca. 1900 nicht zugänglich waren.13 Historisch ging dies einher mit geschlechtsspezifischen Zugangsmöglichkeiten zu den verschiedenen künstlerischen Arbeitsformen. Ende des 19. Jahrhunderts ermöglichte der Bezug auf ›angewandte‹ Künste in der ›autonomen‹ Kunst Künstlerinnen einen leichteren Zugang auch zu diesem Bereich, noch bevor sich die Akademietüren für sie öffneten, er trug jedoch gleichzeitig dazu bei, dass die künstlerischen Arbeiten von Frauen wieder marginalisiert werden konnten.14 Erfolgreiche Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen gab es durchaus, wie Marjan Groot in diesem Band verdeutlicht, sie wurden aber von der Kunstgeschichtsschreibung oftmals ausgeblendet. Die zunehmenden Grenzüberschreitungen zwischen hoher und angewandter Kunst begannen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erreichten zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Höhepunkt. Die Moderne war geprägt von Umbrüchen und Umformulierungen des traditionellen europäischen Tafelbildes ebenso wie von einer allgemeinen Auseinandersetzung um die sozialen und gestalterischen Effekte der Industrialisierung, um die Aufwertung des Kunsthandwerks, Grenzüberschreitungen zwischen den Gattungen und Künsten und um integrative Konzepte bis hin zu dem des Gesamtkunstwerks. So sind auch häufig Kooperationen oder Grenzüberschreitungen nicht nur zwischen verschiedenen bildkünstlerischen Gattungen zu finden, sondern zwischen bildender Kunst, Theater, Architektur und Musik, wofür ebenfalls Sophie Taeuber-Arp exemplarisch stehen kann. Doch führten die künstlerischen Strategien, welche Gattungsgrenzen und Materialfelder überschritten – besonders bei Künstlern, die schließlich abstrakt arbeiteten, nicht automatisch zu einer Enthierarchisierung der Künste und auch nicht zu einer Auflösung der ihr immanenten Geschlechterkonstruktionen. Stattdessen entstanden zwischen den Ansprüchen einer produktiven Kritik an historischen Kunst- und Bildvorstellungen und dem Festhalten an der Vorstellung (männlicher) Künstlerpersönlichkeiten und Genies Widersprüche der Moderne, deren Analyse in der Kunstgeschichte bis heute ausblieb. Selbst museum an einem Ausstellungs-Beispiel der Hamburger Kunsthalle, Jennifer John: »Ein Künstler ist ein Künstler ist ein Künstler. Fortwährende Inszenierungen des Künstlergenies«, in: Ute Frietsch u. a. (Hg.), Geschlecht als Tabu. Ort, Dynamiken, Funktionen, Bielefeld: transcript 2008, S. 79-98. 13 Renate Berger: Malerinnen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert. Kunstgeschichte als Sozialgeschichte, Köln: dumont taschenbuch 1982. 14 Vgl. den Beitrag von Anja Baumhoff in diesem Band, sowie Anja Baumhoff: The Gendered World of the Bauhaus. The Politics of Power at the Weimar Republic›s Premier Art Institute, 1919-1932, Frankfurt/Main: Peter Lang 2001. 10 G RENZGÄ NGE UND I NTERVENTIONEN die feministisch orientierte kunsthistorische Forschung hat bislang die Übersetzbarkeit der angewandten Kunst als ›weiblich‹ mit der Konnotation des ›Unreinen‹ übersehen.15 Die Rezeption des Werks von Sophie Taeuber-Arp zeugt ebenso davon wie die Rezeption anderer Künstler/-innen, die man zur Avantgarde der Abstraktion rechnen kann, wie die Beiträge von Medea Hoch und Anja Baumhoff in diesem Band aufzeigen. Die Moderne setzt das Konzept des männlichen Künstlersubjektes fort, das Regelverletzungen und Tabuüberschreitungen nicht nur erlaubt, sondern sogar voraussetzt16, während bei Künstlerinnen die Auseinandersetzung mit ›angewandten‹ Kunstgattungen seitens der traditionellen Kunstgeschichte von vornherein als angemessene Betätigung und einer kunstgeschichtlichen Reflexion unwert betrachtet wird. Im Falle von Sophie Taeuber-Arp wie bei anderen Beispielen von Künstlerpaaren – z. B. Münter/Kandinsky, Delaunay Terk/Delaunay u. a. – lassen sich die geschlechterspezifischen Kodierungen der Künste zusätzlich in den komplementären Zuschreibungen an den jeweils ›weiblichen‹ und ›männlichen‹ Partner nachweisen.17 Dass an Institutionen wie dem Bauhaus, für das Grenzüberschreitungen zwischen den Gattungen konstituierendes Gründungsmoment waren, solche Prozesse beispielhaft nachzuvollziehen sind, zeigt Anja Baumhoff in ihrem Beitrag.18 Die mangelnde Analyse betrifft aber auch weitere künstlerische Produktionen, wie auch die Kunstkritik und die Kunstgeschichtsschreibung durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch bis heute, in denen Gattungshierarchien weiterhin eine Rolle spielen. Exemplarisch ist die von Elissa Auther in ihrem Beitrag vorgenommene Dekonstruktion dieser tradierten Diskursstränge in der Auseinandersetzung des Kunstkritikers Clemens Greenberg mit dem abs15 Vgl. den Beitrag von Sigrid Schade in diesem Band. 16 Silke Wenk: »Mythen von Autorenschaft und Weiblichkeit«, in: Kathrin Hoffmann-Curtius/Silke Wenk (Hg.), Mythen von Autorenschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert. Beiträge der 6. Kunsthistorikerinnentagung, Tübingen, Marburg: Jonas 1997, S. 12-29. 17 Zur Problematik der Kunstgeschichtsschreibung über Künstlerpaare vgl. u. a. Withney Chadwick/Isabelle de Courtivron (Hg.): Significant Others. Creativity and intimate partnership, London: Thames and Hudson 1993; Renate Berger (Hg.): Liebe Macht Kunst, Künstlerpaare im 20. Jahrhundert, Köln/ Weimar/Wien: Böhlau 2000; zuletzt: Sigrid Schade: »Zwischen ›reiner‹ Kunst, Kunsthandwerk und Technikeuphorie. Sonia und Robert Delaunays intermediale und strategische Produktionsgemeinschaft«, in: Katalog der Ausstellung: Robert Delaunay. Hommage à Blériot, hg. v. Roland Wetzel, Kunstmuseum Basel/Bielefeld/Leipzig: Kerber 2008, S. 84-94. 18 Vgl. den Beitrag von A. Baumhoff über Alma Buscher in diesem Band, sowie A. Baumhoff: The Gendered World of the Bauhaus. 11 J ENNIFER J OHN , S IGRID S CHA DE trakten Expressionismus, dem Minimalismus und der Pop-Art in den 1960er Jahren, sie zeigt deren Fortleben in der aktuellen Kunstkritik und der Gegenwartskunst auf. Das tabuisierte Fortleben formuliert Silke Tammen wie folgt: »Anscheinend hegt die Kunstgeschichte immer noch Berührungsängste gegenüber kunsthandwerklich erscheinenden Verfahren und Materialien, so dass KünsterInnen wie die bekannteren Trockel und Boetti, oder die neueren wie z. B. die gebürtige Ägypterin Ghada Amer, die New Yorker Sampler-Strickerin Elaine Reichek, die Näherin ›topologischer Operationen‹ Silke Radenhausen, die Weberschwestern Hohenbüchler, die Sticker Jochen Flinzer und Francesco Vezzoli oder die mit Beton als Strickgrund arbeitende Ungarin Mariann Imre nicht als Teil eines größeren Phänomens untersucht werden.«19 So hält die nach wie vor weibliche Konnotation von textilen Techniken wie Sticken, aber auch Weben, Häkeln und Stricken, die bereits in den 1970er Jahren von Künstlerinnen und Künstlern als subversive Kritik an der ›männlich‹ dominierten Kunsttradition verwendet wurden und in den vergangenen Jahren sowohl in der Kunst20 wie auch als Alternative zur Alltagskulturen und -ökonomien wieder aktuell wurden und denen sogar erneut subversive Strategien unterstellt werden 21, bis in die Gegenwart an22 und führt nach wie vor zum Desinteresse der Kunstkritik. Verena Kuni befasst sich mit diesen zeitgenössischen textilen Kunstwerken und macht alte Muster in den scheinbar subversiven neuen Maschen häkelnder, stickender und strickender Feministinnen und Aktivistinnen und Aktivisten wie auch Künstler/-innen sichtbar. Karen Ellwanger und Silke Radenhausen stellen dagegen die Grenzgänge und Interventionen zeitgenössischer Künstler/-innen zwischen den Künsten vor. Die Künstlerin Silke Radenhausen interveniert mit ihrer Arbeit Patch Collection inmitten der wissenschaftlichen Beiträge zu Gattungshierarchien und Geschlechterkonstruktionen und setzt diese explizit mit dem debattierten Phänomen in Beziehung. Die hier versammelten Beiträge internationaler Autorinnen intervenieren in die tradierten Gattungshierarchien und die mit ihnen eng verknüpften Geschlechterkonstruktionen, wobei besondere Aufmerksamkeit nicht nur den Widersprüchen der historischen Protagonisten, sondern auch ihren je eigenen 19 Silke Tammen: »›Seelenkomplexe‹ und ›Ekeltechniken‹«, S. 224. 20 Vgl. hierzu den Aufsatz von Silke Radenhausen in diesem Band. 21 Tradierte geschlechterspezifische Zuweisungen sollten bereits in der Artsand-Crafts-Bewegung sowie seitens feministischer Künstlerinnen der 1970er Jahre modifiziert werden, daran schließen aktuelle Strategien an, vgl. den Beitrag von Verena Kuni in diesem Band. 22 Ebd. 12 G RENZGÄ NGE UND I NTERVENTIONEN Interventionen im Spannungsfeld der Gattungen und/oder den Geschlechterzuschreibungen gilt. Insofern schließt dieser Band an die Erkenntnisse feministischer Kunstgeschichtsschreibung an, die den Zusammenhang zwischen den Auf- und Abwertungen von Gattungen, den Konstruktionen von genialer Autor- und Künstlerschaft und Geschlechterkonstruktionen zwischen reproduktiver und kreativer Produktion mittlerweile explizit machte und sowohl als allgemeinen Diskurs als auch in Detailwirkungen untersuchte. Dieser Diskurs gründet auf historisch gewachsenen Arbeitsteilungen und -zuweisungen, die seit der Renaissance als essentialistische und natürliche Geschlechterordnung tradiert werden, und ist mit der Gegenüberstellung von High und Low verbunden, eine Opposition, die hohe Kunst gegen Massen- und somit auch Medienkultur stellt.23 Wir hoffen, mit diesem Band dazu beizutragen, die unausgesprochenen Inhalte von Auf- und Abwertungen in künstlerischen Produktionen in der diskursiven Formation Kunstgeschichte wahrnehmbar zu machen – und nicht zuletzt sicht- und lesbar, dass und wie sie mit Geschlechterkonstruktionen verknüpft sind, welche nicht nur die Kunst, sondern auch unseren Alltag nach wie vor mitbestimmen. Insofern versteht sich der gesamte Band als Intervention und Ermutigung zu Grenzgängen. Wir danken an dieser Stelle insbesondere unseren Kooperationspartnerinnen am Museum Bellerive Zürich, der leitenden Kuratorin Eva Afuhs, und ihren Mitarbeiterinnen Kristin Haefele und Tanja Trampe, den Autorinnen des vorliegenden Bandes, der Übersetzerin Astrid Näff, der Korrekturleserin Adele Gerdes, Fabienne Ton-Knaff, administrative Mitarbeiterin des Institute for Cultural Studies in the Arts, für die Hilfe beim Layout und dem Projektbetreuer Gero Wierichs vom transcript Verlag, sowie besonders der Künstlerin Silke Radenhausen für das Insert und den Fotografen ihrer Arbeit Patch-Collection Tina Münchbach, Dewanger und Helmut Kunde. 23 Die Frage ist allerdings, wie die Bezüge auf die verschiedenen Künste und Gattungen formuliert wurden, der Bezug auf die Musik konnte grenzüberschreitende wie auch Grenzen setzende Motive haben, wie man sie in der Selbstbegründung der abstrakten Künstler findet, die mit dem Einsatz metaphorischer Begriffe aus der Musik allenfalls das hohe Ansehen der Musik als Kunstform z. B. bei Hegel beleihen wollten, nicht aber deren tatsächliche Inhalte. 13