100 Jahre Bauhaus
Eine Spurensuche in Baden-Württemberg
„Bauhaus“ – Die Assoziationen mit diesem Namen reichen von weißen,
schmucklosen Häusern mit Flachdach und Fensterbändern über die Städte
Weimar und Dessau bis zur „ewig gültigen Moderne des Bauhauses“. Dass fast
jeder etwas mit dem Bauhaus verbindet, spricht für seine Präsenz in unserem
Bewusstsein und seine Aktualität – und das nicht nur in diesem Jahr. 2019 wird
das 100-jährige Jubiläum des Bauhauses mit zahlreichen Veranstaltungen und
Projekten bundesweit und international gefeiert. Die Landesdenkmalpflege
Baden-Württemberg widmet sich dem Thema in vielfältiger Weise, wie in diesem Beitrag und in den folgenden Heften zu lesen sein wird.
Andreas Dubslaff/ Grit Koltermann/ Claudia Mohn
Das Bauhaus –
Geschichte und Lehre in Kürze
1 Die Bauhaus-Universität in Weimar. Das
„Ateliergebäude“ wurde
1904– 1911 nach Entwürfen von Henry van de
Velde, dem damaligen
Leiter der Großherzoglich
Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar, erbaut.
Foto: 2013.
„Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der
Bau!“ – so erläuterte Walter Gropius 1919 kurz
und prägnant den Anspruch des Bauhauses in einem Manifest.
Das „Staatliche Bauhaus in Weimar“ entstand im
April 1919 aus der Vereinigung der Großherzoglich Sächsischen Kunstschule und der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule. Walter
Gropius war sein erster Direktor (Abb. 1). Die Lehrinhalte und der Aufbau der Lehre verstanden sich
als direkte Antwort auf das damalige Bauen, das
„… aus einer allumfassenden Gestaltungskunst zu
einem Studium herabgesunken [ist].“
Im Kontrast dazu stand das neue Verständnis des
Künstlers als „Handwerker im Ursinn des Wortes“:
Es sollte keine Schüler und Lehrer, sondern Lehrlinge, Gesellen und Meister geben, die eine Vor-,
Werk- und Baulehre absolvierten. Zentrale Überzeugung war, dass der Bau als Gesamtkunstwerk
nur durch die Einheit aller daran Beteiligten – Architekten, Bildhauer, Maler – entstehen kann (Abb. 3).
Neu war auch die angestrebte enge Zusammenarbeit einer Bildungsstätte für Architektur, Kunst
und Design mit dem Handwerk und der Industrie.
So konnten die Künstler deren Anforderungen an
Produktgestaltung und -design neben der Arbeit
in den Bauhaus-Werkstätten kennenlernen und
die industrielle Fertigung im eigenen Lern- und
Schaffensprozess reflektieren. Gleichzeitig gaben
die Beziehungen zur Industrie den angehenden
Gesellen und Meistern die Möglichkeit, mit neuen
Materialien und Konstruktionsweisen zu experimentieren. Laut Gropius hatte diese Verbindung
von Standardisierung und Rationalisierung eine
neue „Baugesinnung“ zur Folge: Mit zunehmender Standardisierung kann bei einem niedrigeren
Preis eine bessere Qualität erreicht werden. Rationalisierung mit ausreichend Spielraum für Individualität bedeutet anspruchsvolles Bauen zu geringeren
Kosten aufgrund von Serienproduktion.
Das Bauhaus wurde von rechten Parteien abgelehnt, was nach der thüringischen Landtagswahl
1924 und der damit verbundenen Verschiebung
der politischen Lager beträchtliche finanzielle Kürzungen nach sich zog. 1925 wurde der Umzug
nach Dessau beschlossen, wo die Existenz durch die
Förderung des Flugzeugbauers Junkers und Beziehungen zur ansässigen Industrie gesichert schien.
„Bauhaus“ war nun der Name der Hochschule für
Gestaltung. Gropius entwarf das 1926 eingeweihte Bauhaus-Gebäude und die „Meisterhäuser“(Abb. 2), seit 1996 Bestandteil des UNESCOWelterbes „Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau“. 1932 ließ die NSDAP
das Bauhaus schließen. Ludwig Mies van der Rohe,
der ab 1930 Direktor des Bauhauses war, versuchte, die Institution als private Einrichtung
weiterzuführen. Die Bildungsstätte zog nach Berlin um, wurde aber bereits ein Jahr später zur
Selbstauflösung gezwungen.
Rezeption des Bauhauses –
national und international
Die Emigration vieler „Bauhäusler“ trug zur Rezeption der Leitsätze des Bauhauses auf internationaler Ebene bei. So gingen Gropius und Mies
van der Rohe in die USA und etablierten dort, insbesondere am Black Mountain College (Asheville,
NC), die Bauhaus-Ideen und -Lehre. Der BauhausAbsolvent Arieh Sharon und weitere vom Bauhaus
geprägte junge Architekten wandten sich nach Israel und schufen dort mit ihren Bauten den Mythos
von Tel Aviv als „Weiße Stadt“, seit 2003 UNESCOWeltkulturerbe. Im deutschen Südwesten ist der
Schweizer Bauhausschüler Max Bill als Bewahrer
des Bauhaus-Gedankens zu nennen: Bill zählt mit
Inge Scholl und Otl Aicher 1953 zu den Gründungsmitgliedern der Hochschule für Gestaltung
in Ulm, die sich bezüglich Inhalt und Aufbau der
Lehre in die Tradition des Bauhauses stellte. 1953
bis 1955 wurde der Gebäudekomplex nach Plänen
Bills errichtet. Bis 1957 fungierte er als erster Rektor und entwarf zeitlose Klassiker wie den „Ulmer
Hocker“ und Uhren für die Firma Junghans.
Nur was in Baden-Württemberg ist tatsächlich von
Lehrern, Studierenden bzw. Absolventen des Bauhauses realisiert worden?
Dass an den Werkbundsiedlungen in Stuttgart und
Karlsruhe, also am Weißenhof und im Dammerstock auch Bauhäusler gewirkt haben, fällt einem
meist als Erstes zum Thema Bauhaus und BadenWürttemberg ein. Auch – wie oben schon erwähnt, dass die Hochschule für Gestaltung in Ulm
in der Tradition des Bauhauses stand und einige
der Lehrer als frühere Bauhäusler das Erbe weitergeben konnten (Abb. 4; 5).
Spurensuche in Baden-Württemberg –
ein Projekt der Hochschule Konstanz
2 Das Bauhaus-Gebäude
in Dessau, Ansicht von
Südwesten. Die Aufnahme wurde 1927 gemacht, also vor der tlw.
Zerstörung 1944. 1996–
2006 erfolgte eine grundlegende Instandsetzung
des Wiederaufbaus der
1970er Jahre.
3 Das Musterhaus „Am
Horn“ in Weimar. 1923
nach einem Entwurf des
Bauhaus-Meisters Georg
Muche anlässlich der ersten Bauhaus-Ausstellung
erbaut und von den Bauhaus-Werkstätten eingerichtet. Foto aus Mitte der
1920er Jahre.
Die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz führt in diesem Wintersemester,
unterstützt vom Landesamt für Denkmalpflege,
das Projekt „Bauhaus in Baden-Württemberg –
eine Spurensuche“ durch. Studierende der Architektur und des Studiengangs Kommunikationsdesign untersuchen das Wirken des Bauhauses in
Baden-Württemberg. Dabei geht es nicht nur um
Gebautes, Gestaltetes oder Geformtes aus den
1920/30er Jahren, sondern auch um Lebensgeschichten der Bauhäusler und deren Verbindungen
zu Baden-Württemberg. Aber es existieren weitere
Zeugnisse, Spuren bzw. bislang weitgehend unbeachtete Verbindungen zum Bauhaus in BadenWürttemberg!
An den Anfang lässt sich Adolf Hölzel (1853–
1934) stellen, der selbst kein Bauhäusler war. Als
Lehrer an der Stuttgarter Akademie der Bildenden
Künste haben bei ihm aber unter anderem Johannes Itten, Ida Kerkovius und Oskar Schlemmer studiert, alle später selbst Studierende bzw. Lehrer am
Bauhaus. Am Beginn ihrer künstlerischen Entwicklung waren sie Mitglieder im sog. Hölzel-Kreis; Hölzels künstlerische Auffassungen wurden für ihr
weiteres Wirken wegweisend. Während der Schweizer Johannes Itten nicht mehr in den deutschen
Südwesten zurückkehrte, kam Ida Kerkovius (1879–
1970) nach einigen Semestern am Bauhaus in Wei-
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019
3
4 Weißenhof, Haus von
Walter Gropius. Mit ihm
und van der Rohe haben
am Weißenhof gleich
zwei der Direktoren des
Bauhauses mitgewirkt.
5 Weißenhof, Walter
Gropius, 1927.
6 Das Wandbild „Familie“
von Oskar Schlemmer
(1940), ehemals StuttgartVaihingen, heute Staatsgalerie Stuttgart.
4
mar in ihr Stuttgarter Atelier zurück. Sie blieb mit
Hölzel verbunden und schuf unter anderem gemeinsam mit ihm in den 1930er Jahren Glasfenster im Stuttgarter Rathaus. Nach der Teilzerstörung
und dem Wiederaufbau entwarf sie auch die
neuen Fenster – zusammen mit dem Kunstglaser
Valentin Saile.
Oskar Schlemmer (1888– 1943) wirkte in Weimar
und Dessau als Bauhauslehrer. Sein „Triadisches
Ballett“ feierte seine Uraufführung 1922 in Stuttgart am damaligen Württembergischen Landestheater. Die Figuren befinden sich heute in der
Staatsgalerie Stuttgart wie auch ein Fragment des
Wandbildes „Familie“, das im Foyer der Staatsgalerie hängt (Abb. 6). Schlemmer konnte sich bei
diesem 1940 entstandenen Auftrag für ein Wandbild in einem Privathaus in Stuttgart-Vaihingen
noch kompromisslos mit abstrahierten Menschenfiguren hinterfangen von geometrischen Formen
auseinandersetzen. Leider hat sich keines seiner
Wandbilder aus der Bauhauszeit original an einem
Gebäude in Baden-Württemberg erhalten. Nach
der Machtergreifung Adolf Hitlers zog Schlemmer
an einen kleinen Ort in Baden, nahe der Schweizer
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019
Grenze. In dieser Zeit, in der viele seiner Werke
dem Bildersturm der Nationalsozialisten zum Opfer
fielen, gestaltete er unter anderem in Offenburg
Wandbilder für eine Werkskantine, Landschaftsbilder, die kaum sein künstlerisches Schaffen in den
Bauhausjahren erahnen lassen, ihn aber finanziell
über Wasser hielten.
Zum Freundeskreis von Oskar Schlemmer gehörte
Gerhard Marcks (1889– 1981), der zwischen 1919
und 1924 am Bauhaus als Formmeister die Keramische Werkstatt einrichtete. Zwar hat er keine
biografische Verbindung in den Südwesten, gestaltete aber 1951/52 als Auftragswerk der Stadt
Mannheim, als Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus einen Friedensengel. Der über 2 m
hohe Bronzeengel wurde am Schillerplatz aufgestellt, jenem Ort, an dem sich bis zu seiner Zerstörung im Krieg das Mannheimer Nationaltheater befunden hatte (Abb. 8).
Den Wettbewerb für das neue Nationaltheater
1951 bis 1952 bereitete wesentlich Herbert Hirche
(1910– 2002) vor, zu dieser Zeit Mitarbeiter im
Hochbauamt Mannheim. Auf seine Initiative hin
nahm unter anderem auch sein Lehrer Mies van
der Rohe am Wettbewerb teil. Hirche studierte von
1930 bis 1933 am Bauhaus in Dessau und Berlin.
Ab 1952 wurde er Professor für Innenarchitektur
und Möbelbau an der Staatlichen Akademie der
Bildenden Künste Stuttgart, zeitweise war er deren Rektor. Auch als freischaffender Architekt, Designer und Ausstellungsgestalter hat er nach dem
Zweiten Weltkrieg wesentliche Ideen des Bauhauses weitergetragen. Besonders mit seinen Möbelentwürfen für die Christian Holzäpfel KG und
seinen Musikschränken für die Firma Braun zählte
er zu den wichtigsten Nachkriegsgestaltern in
Deutschland.
Auch die WMF mit Sitz in Geislingen an der Steige
arbeitete nach dem Krieg mit einem ehemaligen
Bauhäusler zusammen, nämlich Wilhelm Wagenfeld (1900– 1990), der 1923 bis 1925 am Bauhaus
7 Hermann Blomeier,
Pavillon des Konstanzer
Fährhafens.
eine Lehre absolvierte und mit seiner „WagenfeldLeuchte“, einer Tischleuchte mit halbkugelförmiger Glasglocke, einen heute wieder produzierten
Designklassiker entwarf. Später gründete er in Stuttgart die Werkstatt Wagenfeld und zu seinen Auftraggebern gehörte bspw. auch die Firma Braun
(Abb. 9).
Hermann Blomeier –
ehemaliger Bauhausschüler
Ausführlicher vorgestellt aus dem Pool der von der
Konstanzer Hochschule mit dem Landesamt für
Denkmalpflege thematisierten Beispiele sei ein Bau
des Bauhausschülers Hermann Blomeier, der ein
weiterer in Baden-Württemberg tätiger Bauhausschüler war. Blomeier studierte nach einer Lehre
als Maurer und einer Ausbildung an der Landesbaugewerbeschule Holzminden von 1930 bis
1932 bei Ludwig Mies van der Rohe in Dessau.
Er ließ sich nach seinem Studium in Konstanz nieder, konnte seine architektonischen Ideen in der
Zeit des Dritten Reiches nicht umsetzen. Er entwarf
in dieser Zeit meist einfache Wohnhäuser. Im Nach-
kriegsdeutschland änderte sich die Situation. Die
Gebäude des Konstanzer Fährhafens (Abb. 7), der
Konstanzer Ruderclub Neptun, die Landeskreditbank in Karlsruhe, die Wessenbergschule in Konstanz, die Melanchthonkirche in Gaienhofen und
das Tropikarium in Tübingen sind einige der Bauten, die der Bauhausschüler in Baden-Württemberg realisierte. Daneben wirkte er federführend
bei der Zeitschrift „Bauen und Wohnen“ mit,
zählte zu den Gründungsmitgliedern des südbadischen Werkbundes und war an der Neubegründung des Deutschen Werkbundes beteiligt. Hermann Blomeier steht stellvertretend für eine ganz
Gruppe von Architekten, die in den letzten Jahren
am Bauhaus studierten und nach dem Zweiten
Weltkrieg aktiv am Baugeschehen der jungen
Bundesrepublik teilnahmen. Die meisten der daraus resultierenden Bauten nehmen neue Entwicklungen und Konstruktionsmethoden auf, stehen jedoch ebenso in der Tradition des Bauhauses besonders im Hinblick auf Funktionalität und
einer klare Formensprache.
Die Filmdruckhalle der Stuttgarter
Gardinenfabrik in Herrenberg
Ein Bau Blomeiers scheint bestens geeignet, das
Wirken eines Bauhausschülers in Baden-Württemberg nach dem Zweiten Weltkrieg zu zeigen. In
Herrenberg befindet sich von ihm eine Filmdruckhalle, also ein Industriebau, in dem Stoffe bedruckt
wurden (Abb. 12).
Seit ihrer Gründung 1934 zählte die Stuttgarter
Gardinenfabrik mit ihren Dessins zu einem der in
Deutschland und Europa innovativsten Unter nehmen im Bereich der Textilgestaltung, ein Ruf,
den das Unternehmen über viele Jahrzehnte beibehielt.
Die Verlagerung der Firma nach Herrenberg aufgrund der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg führte
1956/57 zum Bau der Filmdruckhalle. Die führende
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019
8 Gerhard Marcks,
Friedensengel, 1951/52
für die Stadt Mannheim
geschaffen.
9 Eierbecher, Butterdose,
Salz- und Pfefferstreuer
„Max und Moritz“,
Besteck „Form“, aus
Cromargan und Kunststoff. Entwurf von
Wilhelm Wagenfeld,
1950/54. Werbefoto.
5
10 Hermann Blomeier,
Nord- und Südansicht
der Stuttgarter Gardinenfabrik in Herrenberg,
1955, ausgeführter Entwurf.
11 Hermann Blomeier,
Ost- und Westansicht der
Stuttgarter Gardinenfabrik in Herrenberg, 1955.
Textilgestalterin der Firma, Margreth Hildebrand,
hatte bereits öfter mit Hermann Blomeier gearbeitet.
Der Wunsch, hier einen Bau zu schaffen, der über
das im Industriebau übliche Maß an Form und Ästhetik hinausgeht, belegt auch die Tatsache, dass
man mit Hermann Mattern einen der führenden
Landschaftsarchitekten jener Zeit beauftragte, der
für die Gartengestaltung des Geländes verantwortlich war.
Bei dem Bau handelt es sich um eine Stahlskelettkonstruktion. Die Nordfassade ist komplett verglast, nur im Bereich der Brüstung ist sie gemauert.
Zwischen den Fensterflächen verlaufen Stützen
aus Doppel-U-Trägern, die so die Fassade in der
Senkrechten noch einmal unterteilen (Abb. 10).
Von den Schmalseiten – also von Westen bzw. Osten – werden die beiden Gebäudeteile durch die
flachen, entgegengesetzt geneigten und unterschiedlich hohen Pultdächer dominiert, die beide
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Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019
Baukörper als ineinandergeschoben erscheinen
lassen (Abb. 11).
Eine Besonderheit des Gebäudes ist die bauzeitliche Farbgebung, die bereits in zeitgenössischen
Publikationen hervorgehoben wird. Alle tragenden Teile, mithin die gesamte Stahlskelettkonstruktion, zeigen einen anthrazitfarbenen Anstrich,
die Fensterrahmungen der Nordfassade sind in
Gelb gehalten und alle nichttragenden bzw. nicht
konstruktiv bedingten Teile in der Halle, wie das
Lüftungssystem und die Heizkörper, erhielten einen hellgrauen Anstrich.
Interessant und neu ist hier der Umstand, dass das
verwendete Farbsystem nicht etwa zur Untergliederung des Baukörpers dient bzw. verschiedene
Zugangsbereiche definiert, sondern ganz ostentativ den Bau mit Blick auf seine Konstruktion und
damit architektonisch erklärt, dem Betrachter verständlich macht und dem streng geometrischen
Bau eine zusätzliche ästhetische Qualität verleiht.
Die Bedeutung, die dem Bau von den Zeitgenossen
beigemessen wurde, findet ihren Niederschlag in
den Publikationen jener Zeit, wie etwa in „Bauen
und Wohnen“ aber auch in dem Standardwerk
zum Industriebau von Walter Henn.
Für den Industriebau und speziell den Industriehallenbau der Zeit bleibt Blomeiers Bau ein Solitär,
zugleich hat er jedoch exemplarischen Charakter
für das Werk des Architekten. Die Klarheit der
Form verweist auf seinen Lehrer Mies van der Rohe,
zu dem Blomeier auch nach dessen Übersiedlung
in die USA Kontakt hielt. Eine Vorbildfunktion für
die Filmdruckhalle hatte ohne jeden Zweifel das
sog. Minerals and Metals Building des Illinois Institute of Technology, einen Bau, den Mies van der
Rohe 1943 in den USA ausführte.
Mit einfachen aber akzentuierten Mitteln wie Verglasung, Farbgebung und Kubatur und unter Verwendung herkömmlicher Konstruktionsprinzipien
gelang es dem Bauhausschüler Blomeier einen wegweisenden Industriebau der Nachkriegszeit zu schaffen. Dies war nur aufgrund der Tatsache möglich,
dass der Auftraggeber Hans Goltermann und dessen Textildesignerin Margret Hildebrand den Ideen
des Werkbundes und Bauhauses aufgeschlossen
gegenüberstanden und an einer Produktionsstätte
interessiert waren, bei der sich Form und Funktion
in besonders gelungener Weise entsprechen sollten. Die Filmdruckhalle ist damit auch ein wichtiges
Zeugnis für den Niederschlag der Ideen und Traditionen des Bauhauses in Baden-Württemberg.
Hans Eckstein: Die Stuttgarter Gardinenfabrik. Ihre
Stoffe und ihre neue Stoffdruckhalle, in: Bauen und
Wohnen, Bd. 14, Heft 8, 1960, S. 297 –300
Walter Gropius: Idee und Aufbau des Bauhauses, 1923,
in: Gropius 1965, S. 28–60.
Walter Henn: Industriebau. Internationale Beispiele,
Bd. 3, München 1962, S. 70 –71.
Walter Gropius, Bauhaus-Manifest, Weimar April 1919.
Andreas Dubslaff M. A.
Landesamt für Denkmalpflege
im Regierungspräsidium Stuttgart
Dienstsitz Esslingen
Grit Koltermann M. A.
Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg
Dienstsitz Stuttgart
Dr. Claudia Mohn
Landesamt für Denkmalpflege
im Regierungspräsidium Stuttgart
Dienstsitz Esslingen
Projektbeteiligte der HTWG Konstanz: Dr.-Ing.
Dorothea Roos, Prof. Dr.-Ing. Andreas Schwarting, Prof. Brian Switzer, Prof. Valentin Wormbs
12 Historische Aufnahmen der Filmdruckhalle
der Stuttgarter Gardinenfabrik, Nordfassade bei
Tag und bei Nacht.
Ausblick
Schon jetzt ermöglicht das Konstanzer Projekt den
Masterstudierenden praxisnahes Arbeiten und –
nicht nur – der Landesdenkmalpflege wichtige
neue Erkenntnisse. Die Rechercheergebnisse werden noch im Bauhausjahr 2019 in einer Reihe anspruchsvoll gestalteter Hefte publiziert und so
auch einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Darüber hinaus ist eine Ausstellung geplant. Das
Nachrichtenblatt wird sich auch in den folgenden
Ausgaben in diesem Jahr dem Thema Bauhaus in
Baden-Württemberg widmen.
Literatur
Dieter Büchner: „Alles Schöne, was man so braucht“.
Das historische Warenarchiv der WMF in Geislingen
an der Steige, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 47/1, 2018, S. 23–30.
Dörthe Jakobs: Oskar Schlemmers letztes Wandbild.
Es war einmal ein Denkmal …, in: Denkmalpflege in
Baden-Württemberg 44/3, 2015, S. 132– 138.
Andreas Schwarting (Hrsg.): Konstanz und die Moderne: Der Architekt Hermann Blomeier, Konstanz
2014/ 2015.
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019
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