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100 Jahre Bauhaus

2019

Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!"-so erläuterte Walter Gropius 1919 kurz und prägnant den Anspruch des Bauhauses in einem Manifest. Das "Staatliche Bauhaus in Weimar" entstand im April 1919 aus der Vereinigung der Großherzoglich Sächsischen Kunstschule und der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule. Walter Gropius war sein erster Direktor (Abb. 1). Die Lehrinhalte und der Aufbau der Lehre verstanden sich als direkte Antwort auf das damalige Bauen, das "… aus einer allumfassenden Gestaltungskunst zu einem Studium herabgesunken [ist]." Im Kontrast dazu stand das neue Verständnis des Künstlers als "Handwerker im Ursinn des Wortes": Es sollte keine Schüler und Lehrer, sondern Lehrlinge, Gesellen und Meister geben, die eine Vor-, Werk-und Baulehre absolvierten. Zentrale Überzeugung war, dass der Bau als Gesamtkunstwerk nur durch die Einheit aller daran Beteiligten-Architekten, Bildhauer, Maler-entstehen kann (Abb. 3). Neu war auch die angestrebte enge Zusammenarbeit einer Bildungsstätte für Architektur, Kunst und Design mit dem Handwerk und der Industrie. So konnten die Künstler deren Anforderungen an Produktgestaltung und-design neben der Arbeit in den Bauhaus-Werkstätten kennenlernen und die industrielle Fertigung im eigenen Lern-und Schaffensprozess reflektieren. Gleichzeitig gaben die Beziehungen zur Industrie den angehenden Gesellen und Meistern die Möglichkeit, mit neuen Materialien und Konstruktionsweisen zu experimentieren. Laut Gropius hatte diese Verbindung

100 Jahre Bauhaus Eine Spurensuche in Baden-Württemberg „Bauhaus“ – Die Assoziationen mit diesem Namen reichen von weißen, schmucklosen Häusern mit Flachdach und Fensterbändern über die Städte Weimar und Dessau bis zur „ewig gültigen Moderne des Bauhauses“. Dass fast jeder etwas mit dem Bauhaus verbindet, spricht für seine Präsenz in unserem Bewusstsein und seine Aktualität – und das nicht nur in diesem Jahr. 2019 wird das 100-jährige Jubiläum des Bauhauses mit zahlreichen Veranstaltungen und Projekten bundesweit und international gefeiert. Die Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg widmet sich dem Thema in vielfältiger Weise, wie in diesem Beitrag und in den folgenden Heften zu lesen sein wird. Andreas Dubslaff/ Grit Koltermann/ Claudia Mohn Das Bauhaus – Geschichte und Lehre in Kürze 1 Die Bauhaus-Universität in Weimar. Das „Ateliergebäude“ wurde 1904– 1911 nach Entwürfen von Henry van de Velde, dem damaligen Leiter der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar, erbaut. Foto: 2013. „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!“ – so erläuterte Walter Gropius 1919 kurz und prägnant den Anspruch des Bauhauses in einem Manifest. Das „Staatliche Bauhaus in Weimar“ entstand im April 1919 aus der Vereinigung der Großherzoglich Sächsischen Kunstschule und der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule. Walter Gropius war sein erster Direktor (Abb. 1). Die Lehrinhalte und der Aufbau der Lehre verstanden sich als direkte Antwort auf das damalige Bauen, das „… aus einer allumfassenden Gestaltungskunst zu einem Studium herabgesunken [ist].“ Im Kontrast dazu stand das neue Verständnis des Künstlers als „Handwerker im Ursinn des Wortes“: Es sollte keine Schüler und Lehrer, sondern Lehrlinge, Gesellen und Meister geben, die eine Vor-, Werk- und Baulehre absolvierten. Zentrale Überzeugung war, dass der Bau als Gesamtkunstwerk nur durch die Einheit aller daran Beteiligten – Architekten, Bildhauer, Maler – entstehen kann (Abb. 3). Neu war auch die angestrebte enge Zusammenarbeit einer Bildungsstätte für Architektur, Kunst und Design mit dem Handwerk und der Industrie. So konnten die Künstler deren Anforderungen an Produktgestaltung und -design neben der Arbeit in den Bauhaus-Werkstätten kennenlernen und die industrielle Fertigung im eigenen Lern- und Schaffensprozess reflektieren. Gleichzeitig gaben die Beziehungen zur Industrie den angehenden Gesellen und Meistern die Möglichkeit, mit neuen Materialien und Konstruktionsweisen zu experimentieren. Laut Gropius hatte diese Verbindung von Standardisierung und Rationalisierung eine neue „Baugesinnung“ zur Folge: Mit zunehmender Standardisierung kann bei einem niedrigeren Preis eine bessere Qualität erreicht werden. Rationalisierung mit ausreichend Spielraum für Individualität bedeutet anspruchsvolles Bauen zu geringeren Kosten aufgrund von Serienproduktion. Das Bauhaus wurde von rechten Parteien abgelehnt, was nach der thüringischen Landtagswahl 1924 und der damit verbundenen Verschiebung der politischen Lager beträchtliche finanzielle Kürzungen nach sich zog. 1925 wurde der Umzug nach Dessau beschlossen, wo die Existenz durch die Förderung des Flugzeugbauers Junkers und Beziehungen zur ansässigen Industrie gesichert schien. „Bauhaus“ war nun der Name der Hochschule für Gestaltung. Gropius entwarf das 1926 eingeweihte Bauhaus-Gebäude und die „Meisterhäuser“(Abb. 2), seit 1996 Bestandteil des UNESCOWelterbes „Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau“. 1932 ließ die NSDAP das Bauhaus schließen. Ludwig Mies van der Rohe, der ab 1930 Direktor des Bauhauses war, versuchte, die Institution als private Einrichtung weiterzuführen. Die Bildungsstätte zog nach Berlin um, wurde aber bereits ein Jahr später zur Selbstauflösung gezwungen. Rezeption des Bauhauses – national und international Die Emigration vieler „Bauhäusler“ trug zur Rezeption der Leitsätze des Bauhauses auf internationaler Ebene bei. So gingen Gropius und Mies van der Rohe in die USA und etablierten dort, insbesondere am Black Mountain College (Asheville, NC), die Bauhaus-Ideen und -Lehre. Der BauhausAbsolvent Arieh Sharon und weitere vom Bauhaus geprägte junge Architekten wandten sich nach Israel und schufen dort mit ihren Bauten den Mythos von Tel Aviv als „Weiße Stadt“, seit 2003 UNESCOWeltkulturerbe. Im deutschen Südwesten ist der Schweizer Bauhausschüler Max Bill als Bewahrer des Bauhaus-Gedankens zu nennen: Bill zählt mit Inge Scholl und Otl Aicher 1953 zu den Gründungsmitgliedern der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die sich bezüglich Inhalt und Aufbau der Lehre in die Tradition des Bauhauses stellte. 1953 bis 1955 wurde der Gebäudekomplex nach Plänen Bills errichtet. Bis 1957 fungierte er als erster Rektor und entwarf zeitlose Klassiker wie den „Ulmer Hocker“ und Uhren für die Firma Junghans. Nur was in Baden-Württemberg ist tatsächlich von Lehrern, Studierenden bzw. Absolventen des Bauhauses realisiert worden? Dass an den Werkbundsiedlungen in Stuttgart und Karlsruhe, also am Weißenhof und im Dammerstock auch Bauhäusler gewirkt haben, fällt einem meist als Erstes zum Thema Bauhaus und BadenWürttemberg ein. Auch – wie oben schon erwähnt, dass die Hochschule für Gestaltung in Ulm in der Tradition des Bauhauses stand und einige der Lehrer als frühere Bauhäusler das Erbe weitergeben konnten (Abb. 4; 5). Spurensuche in Baden-Württemberg – ein Projekt der Hochschule Konstanz 2 Das Bauhaus-Gebäude in Dessau, Ansicht von Südwesten. Die Aufnahme wurde 1927 gemacht, also vor der tlw. Zerstörung 1944. 1996– 2006 erfolgte eine grundlegende Instandsetzung des Wiederaufbaus der 1970er Jahre. 3 Das Musterhaus „Am Horn“ in Weimar. 1923 nach einem Entwurf des Bauhaus-Meisters Georg Muche anlässlich der ersten Bauhaus-Ausstellung erbaut und von den Bauhaus-Werkstätten eingerichtet. Foto aus Mitte der 1920er Jahre. Die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz führt in diesem Wintersemester, unterstützt vom Landesamt für Denkmalpflege, das Projekt „Bauhaus in Baden-Württemberg – eine Spurensuche“ durch. Studierende der Architektur und des Studiengangs Kommunikationsdesign untersuchen das Wirken des Bauhauses in Baden-Württemberg. Dabei geht es nicht nur um Gebautes, Gestaltetes oder Geformtes aus den 1920/30er Jahren, sondern auch um Lebensgeschichten der Bauhäusler und deren Verbindungen zu Baden-Württemberg. Aber es existieren weitere Zeugnisse, Spuren bzw. bislang weitgehend unbeachtete Verbindungen zum Bauhaus in BadenWürttemberg! An den Anfang lässt sich Adolf Hölzel (1853– 1934) stellen, der selbst kein Bauhäusler war. Als Lehrer an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste haben bei ihm aber unter anderem Johannes Itten, Ida Kerkovius und Oskar Schlemmer studiert, alle später selbst Studierende bzw. Lehrer am Bauhaus. Am Beginn ihrer künstlerischen Entwicklung waren sie Mitglieder im sog. Hölzel-Kreis; Hölzels künstlerische Auffassungen wurden für ihr weiteres Wirken wegweisend. Während der Schweizer Johannes Itten nicht mehr in den deutschen Südwesten zurückkehrte, kam Ida Kerkovius (1879– 1970) nach einigen Semestern am Bauhaus in Wei- Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019 3 4 Weißenhof, Haus von Walter Gropius. Mit ihm und van der Rohe haben am Weißenhof gleich zwei der Direktoren des Bauhauses mitgewirkt. 5 Weißenhof, Walter Gropius, 1927. 6 Das Wandbild „Familie“ von Oskar Schlemmer (1940), ehemals StuttgartVaihingen, heute Staatsgalerie Stuttgart. 4 mar in ihr Stuttgarter Atelier zurück. Sie blieb mit Hölzel verbunden und schuf unter anderem gemeinsam mit ihm in den 1930er Jahren Glasfenster im Stuttgarter Rathaus. Nach der Teilzerstörung und dem Wiederaufbau entwarf sie auch die neuen Fenster – zusammen mit dem Kunstglaser Valentin Saile. Oskar Schlemmer (1888– 1943) wirkte in Weimar und Dessau als Bauhauslehrer. Sein „Triadisches Ballett“ feierte seine Uraufführung 1922 in Stuttgart am damaligen Württembergischen Landestheater. Die Figuren befinden sich heute in der Staatsgalerie Stuttgart wie auch ein Fragment des Wandbildes „Familie“, das im Foyer der Staatsgalerie hängt (Abb. 6). Schlemmer konnte sich bei diesem 1940 entstandenen Auftrag für ein Wandbild in einem Privathaus in Stuttgart-Vaihingen noch kompromisslos mit abstrahierten Menschenfiguren hinterfangen von geometrischen Formen auseinandersetzen. Leider hat sich keines seiner Wandbilder aus der Bauhauszeit original an einem Gebäude in Baden-Württemberg erhalten. Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers zog Schlemmer an einen kleinen Ort in Baden, nahe der Schweizer Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019 Grenze. In dieser Zeit, in der viele seiner Werke dem Bildersturm der Nationalsozialisten zum Opfer fielen, gestaltete er unter anderem in Offenburg Wandbilder für eine Werkskantine, Landschaftsbilder, die kaum sein künstlerisches Schaffen in den Bauhausjahren erahnen lassen, ihn aber finanziell über Wasser hielten. Zum Freundeskreis von Oskar Schlemmer gehörte Gerhard Marcks (1889– 1981), der zwischen 1919 und 1924 am Bauhaus als Formmeister die Keramische Werkstatt einrichtete. Zwar hat er keine biografische Verbindung in den Südwesten, gestaltete aber 1951/52 als Auftragswerk der Stadt Mannheim, als Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus einen Friedensengel. Der über 2 m hohe Bronzeengel wurde am Schillerplatz aufgestellt, jenem Ort, an dem sich bis zu seiner Zerstörung im Krieg das Mannheimer Nationaltheater befunden hatte (Abb. 8). Den Wettbewerb für das neue Nationaltheater 1951 bis 1952 bereitete wesentlich Herbert Hirche (1910– 2002) vor, zu dieser Zeit Mitarbeiter im Hochbauamt Mannheim. Auf seine Initiative hin nahm unter anderem auch sein Lehrer Mies van der Rohe am Wettbewerb teil. Hirche studierte von 1930 bis 1933 am Bauhaus in Dessau und Berlin. Ab 1952 wurde er Professor für Innenarchitektur und Möbelbau an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, zeitweise war er deren Rektor. Auch als freischaffender Architekt, Designer und Ausstellungsgestalter hat er nach dem Zweiten Weltkrieg wesentliche Ideen des Bauhauses weitergetragen. Besonders mit seinen Möbelentwürfen für die Christian Holzäpfel KG und seinen Musikschränken für die Firma Braun zählte er zu den wichtigsten Nachkriegsgestaltern in Deutschland. Auch die WMF mit Sitz in Geislingen an der Steige arbeitete nach dem Krieg mit einem ehemaligen Bauhäusler zusammen, nämlich Wilhelm Wagenfeld (1900– 1990), der 1923 bis 1925 am Bauhaus 7 Hermann Blomeier, Pavillon des Konstanzer Fährhafens. eine Lehre absolvierte und mit seiner „WagenfeldLeuchte“, einer Tischleuchte mit halbkugelförmiger Glasglocke, einen heute wieder produzierten Designklassiker entwarf. Später gründete er in Stuttgart die Werkstatt Wagenfeld und zu seinen Auftraggebern gehörte bspw. auch die Firma Braun (Abb. 9). Hermann Blomeier – ehemaliger Bauhausschüler Ausführlicher vorgestellt aus dem Pool der von der Konstanzer Hochschule mit dem Landesamt für Denkmalpflege thematisierten Beispiele sei ein Bau des Bauhausschülers Hermann Blomeier, der ein weiterer in Baden-Württemberg tätiger Bauhausschüler war. Blomeier studierte nach einer Lehre als Maurer und einer Ausbildung an der Landesbaugewerbeschule Holzminden von 1930 bis 1932 bei Ludwig Mies van der Rohe in Dessau. Er ließ sich nach seinem Studium in Konstanz nieder, konnte seine architektonischen Ideen in der Zeit des Dritten Reiches nicht umsetzen. Er entwarf in dieser Zeit meist einfache Wohnhäuser. Im Nach- kriegsdeutschland änderte sich die Situation. Die Gebäude des Konstanzer Fährhafens (Abb. 7), der Konstanzer Ruderclub Neptun, die Landeskreditbank in Karlsruhe, die Wessenbergschule in Konstanz, die Melanchthonkirche in Gaienhofen und das Tropikarium in Tübingen sind einige der Bauten, die der Bauhausschüler in Baden-Württemberg realisierte. Daneben wirkte er federführend bei der Zeitschrift „Bauen und Wohnen“ mit, zählte zu den Gründungsmitgliedern des südbadischen Werkbundes und war an der Neubegründung des Deutschen Werkbundes beteiligt. Hermann Blomeier steht stellvertretend für eine ganz Gruppe von Architekten, die in den letzten Jahren am Bauhaus studierten und nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv am Baugeschehen der jungen Bundesrepublik teilnahmen. Die meisten der daraus resultierenden Bauten nehmen neue Entwicklungen und Konstruktionsmethoden auf, stehen jedoch ebenso in der Tradition des Bauhauses besonders im Hinblick auf Funktionalität und einer klare Formensprache. Die Filmdruckhalle der Stuttgarter Gardinenfabrik in Herrenberg Ein Bau Blomeiers scheint bestens geeignet, das Wirken eines Bauhausschülers in Baden-Württemberg nach dem Zweiten Weltkrieg zu zeigen. In Herrenberg befindet sich von ihm eine Filmdruckhalle, also ein Industriebau, in dem Stoffe bedruckt wurden (Abb. 12). Seit ihrer Gründung 1934 zählte die Stuttgarter Gardinenfabrik mit ihren Dessins zu einem der in Deutschland und Europa innovativsten Unter nehmen im Bereich der Textilgestaltung, ein Ruf, den das Unternehmen über viele Jahrzehnte beibehielt. Die Verlagerung der Firma nach Herrenberg aufgrund der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg führte 1956/57 zum Bau der Filmdruckhalle. Die führende Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019 8 Gerhard Marcks, Friedensengel, 1951/52 für die Stadt Mannheim geschaffen. 9 Eierbecher, Butterdose, Salz- und Pfefferstreuer „Max und Moritz“, Besteck „Form“, aus Cromargan und Kunststoff. Entwurf von Wilhelm Wagenfeld, 1950/54. Werbefoto. 5 10 Hermann Blomeier, Nord- und Südansicht der Stuttgarter Gardinenfabrik in Herrenberg, 1955, ausgeführter Entwurf. 11 Hermann Blomeier, Ost- und Westansicht der Stuttgarter Gardinenfabrik in Herrenberg, 1955. Textilgestalterin der Firma, Margreth Hildebrand, hatte bereits öfter mit Hermann Blomeier gearbeitet. Der Wunsch, hier einen Bau zu schaffen, der über das im Industriebau übliche Maß an Form und Ästhetik hinausgeht, belegt auch die Tatsache, dass man mit Hermann Mattern einen der führenden Landschaftsarchitekten jener Zeit beauftragte, der für die Gartengestaltung des Geländes verantwortlich war. Bei dem Bau handelt es sich um eine Stahlskelettkonstruktion. Die Nordfassade ist komplett verglast, nur im Bereich der Brüstung ist sie gemauert. Zwischen den Fensterflächen verlaufen Stützen aus Doppel-U-Trägern, die so die Fassade in der Senkrechten noch einmal unterteilen (Abb. 10). Von den Schmalseiten – also von Westen bzw. Osten – werden die beiden Gebäudeteile durch die flachen, entgegengesetzt geneigten und unterschiedlich hohen Pultdächer dominiert, die beide 6 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019 Baukörper als ineinandergeschoben erscheinen lassen (Abb. 11). Eine Besonderheit des Gebäudes ist die bauzeitliche Farbgebung, die bereits in zeitgenössischen Publikationen hervorgehoben wird. Alle tragenden Teile, mithin die gesamte Stahlskelettkonstruktion, zeigen einen anthrazitfarbenen Anstrich, die Fensterrahmungen der Nordfassade sind in Gelb gehalten und alle nichttragenden bzw. nicht konstruktiv bedingten Teile in der Halle, wie das Lüftungssystem und die Heizkörper, erhielten einen hellgrauen Anstrich. Interessant und neu ist hier der Umstand, dass das verwendete Farbsystem nicht etwa zur Untergliederung des Baukörpers dient bzw. verschiedene Zugangsbereiche definiert, sondern ganz ostentativ den Bau mit Blick auf seine Konstruktion und damit architektonisch erklärt, dem Betrachter verständlich macht und dem streng geometrischen Bau eine zusätzliche ästhetische Qualität verleiht. Die Bedeutung, die dem Bau von den Zeitgenossen beigemessen wurde, findet ihren Niederschlag in den Publikationen jener Zeit, wie etwa in „Bauen und Wohnen“ aber auch in dem Standardwerk zum Industriebau von Walter Henn. Für den Industriebau und speziell den Industriehallenbau der Zeit bleibt Blomeiers Bau ein Solitär, zugleich hat er jedoch exemplarischen Charakter für das Werk des Architekten. Die Klarheit der Form verweist auf seinen Lehrer Mies van der Rohe, zu dem Blomeier auch nach dessen Übersiedlung in die USA Kontakt hielt. Eine Vorbildfunktion für die Filmdruckhalle hatte ohne jeden Zweifel das sog. Minerals and Metals Building des Illinois Institute of Technology, einen Bau, den Mies van der Rohe 1943 in den USA ausführte. Mit einfachen aber akzentuierten Mitteln wie Verglasung, Farbgebung und Kubatur und unter Verwendung herkömmlicher Konstruktionsprinzipien gelang es dem Bauhausschüler Blomeier einen wegweisenden Industriebau der Nachkriegszeit zu schaffen. Dies war nur aufgrund der Tatsache möglich, dass der Auftraggeber Hans Goltermann und dessen Textildesignerin Margret Hildebrand den Ideen des Werkbundes und Bauhauses aufgeschlossen gegenüberstanden und an einer Produktionsstätte interessiert waren, bei der sich Form und Funktion in besonders gelungener Weise entsprechen sollten. Die Filmdruckhalle ist damit auch ein wichtiges Zeugnis für den Niederschlag der Ideen und Traditionen des Bauhauses in Baden-Württemberg. Hans Eckstein: Die Stuttgarter Gardinenfabrik. Ihre Stoffe und ihre neue Stoffdruckhalle, in: Bauen und Wohnen, Bd. 14, Heft 8, 1960, S. 297 –300 Walter Gropius: Idee und Aufbau des Bauhauses, 1923, in: Gropius 1965, S. 28–60. Walter Henn: Industriebau. Internationale Beispiele, Bd. 3, München 1962, S. 70 –71. Walter Gropius, Bauhaus-Manifest, Weimar April 1919. Andreas Dubslaff M. A. Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart Dienstsitz Esslingen Grit Koltermann M. A. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg Dienstsitz Stuttgart Dr. Claudia Mohn Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart Dienstsitz Esslingen Projektbeteiligte der HTWG Konstanz: Dr.-Ing. Dorothea Roos, Prof. Dr.-Ing. Andreas Schwarting, Prof. Brian Switzer, Prof. Valentin Wormbs 12 Historische Aufnahmen der Filmdruckhalle der Stuttgarter Gardinenfabrik, Nordfassade bei Tag und bei Nacht. Ausblick Schon jetzt ermöglicht das Konstanzer Projekt den Masterstudierenden praxisnahes Arbeiten und – nicht nur – der Landesdenkmalpflege wichtige neue Erkenntnisse. Die Rechercheergebnisse werden noch im Bauhausjahr 2019 in einer Reihe anspruchsvoll gestalteter Hefte publiziert und so auch einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Darüber hinaus ist eine Ausstellung geplant. Das Nachrichtenblatt wird sich auch in den folgenden Ausgaben in diesem Jahr dem Thema Bauhaus in Baden-Württemberg widmen. Literatur Dieter Büchner: „Alles Schöne, was man so braucht“. Das historische Warenarchiv der WMF in Geislingen an der Steige, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 47/1, 2018, S. 23–30. Dörthe Jakobs: Oskar Schlemmers letztes Wandbild. Es war einmal ein Denkmal …, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 44/3, 2015, S. 132– 138. Andreas Schwarting (Hrsg.): Konstanz und die Moderne: Der Architekt Hermann Blomeier, Konstanz 2014/ 2015. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2019 7