Stephan Elspass
Standardisierung des Deutschen
Ansichten aus der neueren Sprachgeschichte‚von unten‘
Abstract
Angelehnt an die ‚neue‘ deutsche Sprachgeschichtsforschung und gestützt auf eigene
Forschungsergebnisse im Rahmen einer ‚Sprachgeschichte von unten‘ wird im vorliegenden
Beitrag die gängige Darstellung von einem Abschluss der Standardisierung des Deutschen
im 19. Jahrhundert in Frage gestellt. In einer Verengung der Begriffe von ‚Standardsprache‘
und ‚Schriftkultur‘ – so die Ausgangsthese – wurde bisher die elitär-hochkulturelle und
distanzsprachliche Schriftlichkeit einer kleinen, dominanten, aber nicht repräsentativen
Minderheit der deutschen Sprachgemeinschaft in den Vordergrund gerückt. Damit ging
eine letztlich teleologische Auffassung der sprachgeschichtlichen Entwicklung einher, die
das Ende des ‚Weges‘, nämlich das ‚Erreichen‘ des Standards, und eine eher gewünschte als
tatsächlich vorhandene Einheitlichkeit im Blick hatte. Diese verengten Begriffe lassen sich
nicht mit weiter gefassten Vorstellungen von ‚Standardisierung‘ in Übereinstimmung bringen, die außerhalb des deutschen Forschungsdiskurses bestehen. Überdies hat diese Sichtweise in der Sprachhistoriographie und der Grammatikographie zu einer Vernachlässigung
von (regionalen) alltagssprachlichen Gebrauchsnormen innerhalb der hochdeutschen
Schriftsprache geführt, deren Existenz anhand zahlreicher grammatischer Einzelphänomene belegt werden kann. Im Interesse einer notwendigen Klärung dessen, was als ‚Standardsprache‘ zu gelten hat, sowie einer theoretisch adäquaten Darstellung der Grammatik
der Gegenwartssprache wird für einen Perspektivenwechsel plädiert: Varianten und Tendenzen der gegenwärtigen deutschen Standardsprache lassen sich nur dann bruchlos und
stimmig in die Entwicklungstendenzen der neueren Geschichte der deutschen Sprache einfügen und erklären, wenn man nicht auf der Ansicht ‚von oben‘ beharrt, sondern sie gerade
für die jüngere Sprachgeschichte aus einer Perspektive ‚von unten‘ betrachtet.
1. Vorstellungen von ‚Standardisierung‘
Man darf wohl davon ausgehen, dass das im Folgenden skizzierte Bild von
der Standardisierung der deutschen Sprache verbreitet und anerkannt ist:
Im späten 15. und im 16. Jahrhundert kommt es zu einem überregionalen
Sprachausgleich auf ostmitteldeutsch-ostoberdeutscher Grundlage. Im 17.
und 18. Jahrhundert wird die deutsche Schriftsprache ausgebaut und erreicht
schließlich in der Weimarer Klassik ihre bis heute gültige Vereinheitlichung,
so dass sich spätestens für den Beginn des 19. Jahrhunderts von einer deutschen Standardsprache sprechen lässt. 1
1
Vgl. hierzu im Überblick zuletzt Besch (2003) und Mattheier (2003).
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Diesem Bild liegt ein Begriff von Standardsprache zu Grunde, wie er etwa
im „Lexikon der Sprachwissenschaft“ zum Ausdruck kommt. „Standardsprache“ wird dort definiert als
„[s]eit den 70er Jahren in Deutschland übliche deskriptive Bezeichnung für die historisch
legitimierte, überregionale, mündliche und schriftliche Sprachform der sozialen Mittelbzw. Oberschicht; in diesem Sinne synonyme Verwendung mit der (wertenden) Bezeichnung ‚Hochsprache‘. Entsprechend ihrer Funktion als öffentliches Verständigungsmittel unterliegt sie (besonders in den Bereichen Grammatik, Aussprache und Rechtschreibung) weit gehender Normierung […].“ (Bußmann 2002, S. 648)
Ich beabsichtige in meinem Beitrag, die Entwicklung der Standardisierung in
Deutschland aus dem spezifisch deutschen Standardsprache-Diskurs herauszulösen, und bediene mich deshalb einer ‚internationaleren‘ Definition von
Standard:
„Any vernacular (language or dialect) may be ‚standardized‘ by being given a uniform
and consistent norm of writing that is widely accepted by its speakers. It may then be referred to as a ‚standard‘ language.“
(Haugen 1994, S. 4340)
Die Unterschiede zwischen diesen beiden Definitionen sind augenfällig:
–
Bei Bußmann ist von einer Normierung auf gesprochener und geschriebener Ebene die Rede, bei Einar Haugen nur von einer einheitlichen
Schreibnorm. Dass eine Standardsprache eine Rechtlautung aufweisen
muss, scheint – etwa im Vergleich mit der englischen Sprache – eine deutsche Spezialität zu sein. 2
Außerdem fällt die sozialschichtspezifische Einschränkung in der deutschen Definition auf, durch die offenbar rein deskriptive nicht mehr recht
von wertenden Kriterien zu trennen sind. 3 Die Rede von „speakers“ bei
Haugen ist dagegen schichtneutral.
Ein notwendiges Kriterium für Standardsprache bei Haugen, das im
„Lexikon der Sprachwissenschaft“ fehlt, ist das der breiten Akzeptanz der
Schreibnorm in der Sprachgemeinschaft.
–
–
Wenden wir auf das übliche Bild von der Standardisierung des Deutschen die
Definition bei Bußmann an: „Weit gehende Normierung“ müsse danach „besonders in den Bereichen Grammatik, Aussprache und Rechtschreibung“ gegeben sein. Aussprache und Rechtschreibung wurden im Deutschen allerdings
erst an der Wende zum 20. Jahrhundert normiert (mit welch wirklichkeitsfernen Normen auch immer), also wäre schon insofern das Bild vom Standard
ab dem 19. Jahrhundert zu korrigieren. Es bleibt also nur die Grammatik. Erst
2
3
Ich verweise auf Durrell (1999), Milroy (1999, S. 18, 27) und Barbour (in diesem Band).
Dass ‚Standardsprache‘ erst „seit den 70er Jahren“ in diesem Sinne in Deutschland gebraucht wird, wie es in der Definition des „Lexikons der Sprachwissenschaft“ heißt, ist
sicherlich kein Zufall.
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für diese Ebene findet sich in vielen Handbüchern die gewünschte Bestätigung, dass man seit den Klassikern von einem „System“ bzw. einer „standardsprachlichen Norm“ mit relativ stabil gebliebenen Merkmalen ausgehen
könne. 4
Ich möchte im Folgenden die Konsequenzen eines weiter gefassten Standardisierungsbegriff, wie er sich etwa unter Berücksichtigung des Haugen’schen Akzeptanz-Kriteriums ergibt, für die neuere Sprachgeschichte des
Deutschen darlegen. 5 Dies schlägt sich im Aufbau des vorliegenden Beitrags
wie folgt nieder: Zunächst werden relativ knapp wichtige Entwicklungslinien
in der Standardisierung des Deutschen anhand eines Phasen-Modells nachgezeichnet (2.). Die darauf folgende Darstellung konzentriert sich auf (grammatische) Entwicklungen in der jüngeren Sprachgeschichte, also seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts (3.). Diese jüngeren Entwicklungen sind von besonderem Interesse, da sie eben nicht nur unser Bild vom ‚Standarddeutschen‘
geprägt haben, sondern in ihnen auch die „sprachgeschichtlichen Wurzeln des
heutigen Deutsch“ 6 liegen, die sich auf Tendenzen der Gegenwartssprache
auswachsen und somit einen unmittelbaren Einfluss auf diese zeitigen – dies
wird in einem eigenen Punkt zu diskutieren sein (4.). Zum Schluss wird von
der Erörterung der sprachhistorischen Entwicklungen auf die Frage nach der
„Standardvariation“ in der Gegenwartsgrammatik zurückzukommen sein (5.).
Der Ausdruck „neuere Sprachgeschichte“ im Titel ist bewusst ambig gewählt: Zum einen deutet er auf den Gegenstand selbst, also die Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Zum anderen verweist er auf die neuere
Sprachgeschichtsforschung, insbesondere die sozio-pragmatischen Ansätze,
die u.a. unter programmatischen Titeln wie „Neue deutsche Sprachgeschichte“ firmieren (Cherubim/Jakob/Linke 2002). In diesen Forschungsrahmen will ich auch meine eigene „Sprachgeschichte von unten“ einreihen
(Elspaß 2003 [2005]).
2. Phasen der Ausformung der Schriftsprache im Deutschen
seit der Frühen Neuzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
Für die Darstellung der Entwicklungen seit der Frühen Neuzeit bediene ich
mich zunächst der Termini ‚Schreibdialekte‘ und ‚Schriftsprache‘, wie sie von
Werner Besch (1983, S. 2003) verwendet werden. ‚Schreibdialekt‘ dient Besch
(1983, S. 968) als „Klammer-Terminus für alle Ausprägungen deutscher
Schriftlichkeit vom 8.–15. Jahrhundert“. Als ‚Schriftsprache‘ ist nach ihm die
überregionale Existenzform des Deutschen zu bezeichnen, die durch einen
Prozess der Selektion aus einem Pool schreibdialektaler Varianten entstanden
4
5
6
Admoni (1990, S. 219), Mattheier (2003, S. 227) u. a.
Die Frage ist in der Forschung bisher kaum aufgeworfen worden. Eine Ausnahme bildet etwa Naumann (1989, S. 73).
So der Titel des IDS-Jahrbuchs 1990 (Wimmer 1991).
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ist (ebd., S. 976). Besch (1988, S. 203 u.ö.) unterscheidet drei Phasen der Ausformung der Schriftsprache im Deutschen seit Beginn der Neuzeit bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts:
1. Die Phase der Grundlegung einer überregionalen Schriftsprache im
16. Jahrhundert.
2. Die Phase des Ausbaus von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.
3. Die Phase der abschließenden Bereinigung in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts.
Man vergleiche dazu die vier Aspekte der sprachlichen Standardisierung nach
Haugen (1972, S. 252; vgl. auch Besch 1983, S. 968), nach denen etwa auch die
Beiträge in einem neuen Handbuch zur Standardisierung in den germanischen Sprachen ausgerichtet sind (Deumert/Vandenbussche 2003):
1.
2.
3.
4.
Selektion der Varianten
Kodifizierung
Elaborierung der sprachlichen Funktionen
Akzeptanz durch die Sprachgemeinschaft
Die ersten drei Aspekte, die Haugen beschreibt, finden sich in Beschs Phasenmodell wieder, die vierte – die Akzeptanzphase – allerdings nicht. Zunächst
zur Standardisierung nach dem Besch-Modell:
zu 1.) Die Phase der Grundlegung einer überregionalen Schriftsprache im
16. Jahrhundert:
In der Phase der Grundlegung fanden die erwähnten Ausgleichserscheinungen statt, und zwar – nach heute weithin herrschender Forschungsmeinung –
auf der Ebene der geschriebenen Sprache (Besch 2003, S. 2259ff. u.ö.). Arend
Mihm (2003 u.ö.) hat in verschiedenen Aufsätzen der letzten Jahre die These
von einem primär mündlichen Ausgleichsprozess wieder in die Diskussion
gebracht, allerdings beziehen sich seine Forschungsergebnisse in erster Linie
auf den Sprachwechsel zum Hochdeutschen in der Duisburger Stadtsprache. 7
Einigkeit besteht jedoch darüber, dass es wechselseitige Beziehungen zwischen
gesprochener und geschriebener Sprache in der Phase des Sprachausgleichs
gegeben hat. 8 Unbestritten ist die herausragende Rolle der Schriften Martin
Luthers und der Reformation überhaupt für die Diffusion der neuhochdeutschen Schriftsprache.
7
8
Da die Debatte um die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache nicht im Fokus des vorliegenden Beitrags liegt, begnüge ich mich mit einem Hinweis auf die kritische Würdigung des Mihm’schen Ansatzes von Elvira Topalović (2003, 52ff.).
Auch Besch (2003, S. 2261) konzediert – nach Erben –, dass es gewisse „Wechselwirkungen“ zwischen gesprochener und geschriebener Sprache gegeben habe, hält aber
letztendlich entschieden daran fest, dass sich der Einigungsprozess zuerst und vor allem
auf der Schriftebene vollzog.
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zu 2.) Die Phase des Ausbaus von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts:
Für die „Phase des Ausbaus“ wird in den Handbüchern immer wieder die
Arbeit der Sprachgesellschaften des 17. und der Grammatiker des 18. Jahrhunderts herausgestellt. Ein Grundkonflikt der Grammatikschreibung zum
Neuhochdeutschen zeichnete sich schon in den zwei widerstreitenden Positionen innerhalb der ‚Fruchtbringenden Gesellschaft‘ ab, der „anomalistischen“
und der „analogistischen Auffassung“, für die die Spracharbeiter Christian
Gueintz und Justus Georg Schottel stehen: 9 Während Gueintz für eine Ausrichtung von Sprachnormen am tatsächlichen Sprachgebrauch plädierte
(wenngleich hier ein bestimmter regionaler Gebrauch als ‚Leitvarietät‘ Vorbildfunktion hatte), ging Schottels normativer Ansatz vom Prinzip der „Grundrichtigkeit“ der „HaubtSprache“ aus, die über der gesprochenen Sprache und
insbesondere über den Dialekten zu stehen habe. Im Vordergrund standen
dabei abgeleitete strukturelle Prinzipien, „die dann in Zweifelsfällen als Leitlinien für die Normierung dienen“ konnten (Gardt 1999, S. 128). Für diese
Auffassung stand im Grunde auch Gottsched, obgleich er sich selbst nicht als
Normierer sah, sondern als Grammatiker, der existierende Sprachnormen
formulierte und verbreitete (Mattheier 2003, S. 227). 10
Für die Frage nach der Standardisierung ist freilich bedeutsamer, welchen
tatsächlichen Einfluss die Grammatiker auf die zeitgenössische Sprachnormierung hatten, ob sich die Vorschläge der Grammatik also im Sprachgebrauch niederschlugen. Hier beginnt, was handfeste Ergebnisse betrifft, die
Luft in der Forschungsliteratur doch recht dünn zu werden. Über den wirklichen Anteil der Grammatiker an Normierungs- und Standardisierungsprozessen entscheidet ja nicht schon die Güte ihrer grammatischen Modelle und
Ideen, sondern vielmehr ihre Rezeption. Voraussetzungen dafür waren Bekanntheit und Ansehen der Grammatiker, eine große Verbreitung ihrer Werke
sowie deren Wirkung auf Personen und Instanzen mit Sprachvorbildfunktion. Wichtige Faktoren dafür waren schließlich vor allem das Wissen ihrer
Autoren um die Bedürfnisse der Benutzer von Grammatiken, Wörterbüchern
und Sprachlehren sowie die sozial- und bildungshistorischen Bedingungen,
also etwa die Marktlage für (Schul-) Grammatiken, der Alphabetisierungsgrad in der Bevölkerung usw. 11 Solche Fragen scheinen vor den 1980er Jahren
kaum aufgeworfen worden zu sein, so dass entsprechendes Handbuchwissen,
wie Rolf Bergmann (1982, S. 278) bemerkte, „in den meisten, wenn nicht in
9
10
11
Vgl. dazu Gardt (1999, S. 128ff.) und Mattheier (2003, S. 225f.).
Der Grammatiker habe die Regeln „aus der Sprache selbst“ zu gewinnen, und „zwar
hauptsächlich gegründet auf den heutigen Gebrauch der besten Mundart“ – gemeint ist
allerdings nur der mündliche Sprachgebrauch der Gebildeten in den Residenzstädten –
„und der beliebtesten Schriftsteller“ (Gottsched 1762, S. 6, 10; zum Begriff der „Analogie“ bei Gottsched vgl. ebd., S. 4f.).
Vgl. Bergmann (1982, S. 272ff.), Erben (1989, S. 15f.).
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allen Fällen gar kein Wissen“ war. Fruchtbringend sind deshalb Untersuchungen, die das Verhältnis von Grammatik und Sprachwirklichkeit beleuchten.
Genannt seien nur die Arbeiten von Hiroyuki Takada (1998) für das 17. Jahrhundert, Marek Konopka (1996) für das 18. Jahrhundert sowie die von John
Evert Härd (1981) und Nils Langer (2001) zu Einzelaspekten der Syntax.
Konopka (1996, S. 232) etwa kann als Ergebnis seiner Untersuchung feststellen: Wichtige Voraussetzung für einen breite und nachhaltige Wirkung
grammatischer Forderungen sei, dass diese „die im Sprachgebrauch existierenden Tendenzen aufgreifen müssen“ (dies spricht für die Werke der „anomalistischen Tradition“); demgegenüber würden Normierungsversuche eher
unwirksam bleiben, wenn sie sich an rationalistischen Kriterien wie der „darstellungsfunktionalen Eindeutigkeit“ orientierten, dabei aber die kommunikative Wirklichkeit vernachlässigten.
zu 3.) Die Phase der abschließenden Bereinigung in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts:
Die letzte Phase, die Besch beschreibt, ist die „Phase der abschließenden
Bereinigung“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Erst in dieser Zeit
schlossen sich die süddeutschen Territorien der hochdeutschen Schriftsprache
an, nachdem sie die alte oberdeutsche Schreibsprachtradition zu Gunsten der
Gottsched’schen Leitlinien aufgegeben hatten. 12 Danach könne man am Ende
des 18. Jahrhunderts „von einer einheitlichen deutschen Schriftsprache ausgehen“ (Besch 1988, S. 202).
So weit in groben Zügen die Entwicklungen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Eine differenzierte Erläuterung der Prozesse – vor allem der beiden ersten Phasen – stand im Vordergrund der bisherigen Arbeiten zur neuhochdeutschen Schriftsprache. Da es an einschlägigen Übersichtsdarstellungen
nicht mangelt, will ich es mit einem Hinweis auf diese belassen. 13 Nur auf
einen Punkt, der bisher noch nicht erwähnt wurde und der in meiner weiteren
Argumentation eine wichtige Rolle spielen wird, sei schon jetzt hingewiesen:
Hatte die Entwicklung bis zur „Phase der Grundlegung“ noch weitgehend
unter den Vorzeichen der Polyzentrik und des horizontalen (sozialen wie
räumlichen) Nebeneinanders von Varianten gestanden, so waren die weiteren
Phasen ab dem 17. bis zum 19. Jahrhundert, den Jahrhunderten der Sprachkultivierung, von einer stärkeren Zentrierung (auf vorbildliche Sprachlandschaften), der Vertikalisierung (mit bestimmten prestigereichen Leitvarietäten) sowie einer zunehmenden Dominanz der konzeptionellen Schriftlichkeit
12
13
Besch (2003, S. 2279), nach Reiffenstein und Wiesinger.
Sieh vor allem Besch (1983, S. 968–983; 1988, S. 189–203; 2003, S. 2259–2286) und
Mattheier (2003, S. 214–234).
Standardisierung des Deutschen
69
geprägt. 14 Für die weitere Darstellung der Sprachverhältnisse im 19. Jahrhundert und für die Frage der Standardisierung, die im Folgenden ausführlicher behandelt werden, ist das Modell der ‚Vertikalisierung des Varietätenspektrums‘ grundlegend.
3. Standardisierung des Deutschen seit dem Beginn
des 19. Jahrhunderts – Notwendigkeit und Möglichkeiten
eines Perspektivenwechsels
Nach Werner Besch (2003, S. 2252f.) und Klaus J. Mattheier (2003, S. 234) besteht der letzte Schritt von der Schriftsprache zur Standardsprache darin, dass
erstere „polyvalent“ wird, d.h. insbesondere, dass sie auch in der gesprochenen Sprache Gültigkeit erlangt. 15 Hierin zeigt sich in gewisser Weise wieder
der deutschgermanistische Sonderweg in Standardisierungsfragen: Denn die
Ebene des Gesprochenen, und besonders die Vereinheitlichung der Aussprache, spielt nach der Definition von Haugen für die Qualifikation einer Sprache als Standardsprache keine Rolle. 16 Wollte man die ausgeformte Schriftsprache mit der Standardsprache gleichsetzen und dann für das 19. und
20. Jahrhundert nur noch davon sprechen, dass sich die Standardsprache in
einem ‚Sickerprozess‘ von oben nach unten und von der Schriftsprache in die
gesprochene Sprache durchsetzte, könnte ich mit diesem Aufsatz schnell zum
Schluss kommen. 17
Bleiben wir also zunächst bei der Schriftsprache. Die so genannte „Phase
der Bereinigung“ der Schriftsprache lässt sich kaum von der Spracharbeit und
vom Wirken Johann Christoph Adelungs trennen. Aber auch mit seinem
Werk hat lediglich – ich übernehme die vorsichtige Formulierung von Johannes Erben (1989, S. 15) – „die Kodifizierung der neuhochdeutschen Schriftsprache um das Jahr 1800 einen gewissen Abschluß gefunden“ (Hervorhebungen von mir, S.E.).
Doch lässt sich darüber hinaus mit Recht fragen, von welcher Schriftsprache eigentlich die Rede ist. Dass Adelung etwa mit den Kodifizierungen
der Schriftsprache in seiner „Deutschen Sprachlehre“ von 1781 einen weitreichenden Einfluss auf die Schulgrammatik des 19. Jahrhunderts hatte, bezweifelt niemand. Man muss sich allerdings klar machen, für wen die Schulgrammatiken geschrieben waren und wen sie erreichten. Dieser Aspekt kann
für das 19. Jahrhundert nicht vernachlässigt werden, denn durch die Massenalphabetisierung ergab sich eine völlig neue, bisher in der deutschen Sprachgeschichte beispiellose Situation: Zum ersten Mal war die Mehrheit, am Ende
14
15
16
17
Dazu im Einzelnen Reichmann (2003, S. 38ff., 48ff.).
Ähnlich schon Besch (1983, S. 964; 1988, S. 187) und Mattheier (1988, S. 5f.).
Ebenso wenig etwa im britischen Standardisierungsdiskurs, vgl. Milroy/Milroy (1985,
S. 24) oder Durrell (1999, S. 292).
Zur Kritik an solchen Sickermodellen jetzt auch Maas (2003, bes. S. 2404f.).
70
Stephan Elspaß
des 19. Jahrhunderts sogar nahezu „die gesamte Sprechgemeinschaft in der
Lage, an der deutschen Schriftsprache aktiv und passiv als Schreiber und Leser teilzunehmen“ (Grosse 1989, S. 12). Die „Demotisierung“, also das „Unter-das-Volk-Kommen“ der Schrift (Maas 1985) erreichte im 19. Jahrhundert
ein atemberaubendes Tempo: Nach den neueren Schätzungen von Maas
(2003, S. 2414) waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ca. 30–40 %
der Bevölkerung alphabetisiert, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
schon ca. 90 %.
Von den Überlegungen zur Alphabetisierung kommend, will ich die Frage
nach der Schriftsprache noch zuspitzen. Gab es wirklich eine einheitliche
Schriftsprache? Für das Ende des 18. Jahrhunderts unterscheidet Otto Ludwig (1998, S. 161) interessanterweise zwischen „Schrift- oder Buchsprache“
und „Literatursprache, der Sprache der Schriftsteller“. Bedeutsam ist diese
Differenzierung nun in Bezug auf das Problem, welche Schriftsprache im
19. Jahrhundert unterrichtet wurde. Die Literatursprache war nach Ludwigs
Darstellung einzig an den Gymnasien Unterrichtsgegenstand und -sprache,
denn „die Sprache der Schriftsteller war nicht die Sprache des Volkes und
sollte auch nicht zu seiner Sprache werden“ – auf der Ebene der Volksschule
dagegen konnte einzig die Buchsprache diejenige Schriftsprache sein, die vermittelt und durchgesetzt werden sollte (ebd.). Nun ließe sich neben diese beiden Ausprägungen der Schriftsprache noch die ungedruckte Schriftsprache
stellen, also die Sprache nicht-literarischer Handschriften der Zeit. Diese
könnte man wiederum nach öffentlicher Schriftsprache und privater Schriftsprache trennen. Erstere hatte durchaus didaktische Relevanz: Gerade Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass bis weit ins 19. Jahrhundert
hinein nicht nur anhand gedruckter, sondern auch handgeschriebener Texte
nach alten kanzleisprachlichen Vorbildern Schreiben gelernt wurde. 18
Ich möchte – ausgehend von den verschiedenen Ausformungen der Schriftsprache und angelehnt an Haugens Akzeptanz-Kriterium – die Möglichkeit
zur Diskussion stellen, dass die Geschichte der Standardisierung mit dem
19. Jahrhundert noch nicht endet. Dazu nehme ich zunächst einen Wechsel der
Perspektive vor, nämlich von einer ‚Sprachgeschichte von oben‘ zu einer
‚Sprachgeschichte von unten‘. Dies bedarf der Erläuterung: Hinter allen Darstellungen, die von einem erreichten Standard im 19. Jahrhundert ausgehen,
stehen im Grunde teleologische Vorstellungen vom Erreichen einer einheitlichen deutschen Literatursprache, die das Ziel der vorausgegangenen ‚Spracharbeit‘ der Grammatiker im 17. und 18. Jahrhundert war. Der Endzustand
stand nach diesen Vorstellungen also schon fest – denn wer wollte ernsthaft
bestreiten, dass die gedruckten Werke unserer größten Schriftsteller das ‚beste‘
Deutsch darstellten? Peter von Polenz (1999, S. 1) hat dagegen nachdrücklich
erklärt, dass die insbesondere „belletristische Auffassung eines literarischen
18
Vgl. etwa Gessinger (1995) und Messerli (2000).
Standardisierung des Deutschen
71
Kontinuums von der Goethezeit bis heute zu korrigieren“ sei. Darüber hinaus
haben von Polenz, Oskar Reichmann und andere aufgezeigt, dass die Sprachgeschichtsschreibung „bis weit in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts“ einer
Tradition verhaftet war, die die Konstruktion einer Standardsprache und die
Verklärung der Klassikersprache in den Dienst der kulturellen Identitätsfindung der deutschen Nation stellte. 19 Für die Zeit ab der Weimarer Klassik
wurden zu diesem Zweck große Bereiche der Sprachwirklichkeit systematisch
ausgeblendet. Bestimmend war bis in neuere Grammatiken hinein immer die
Sicht ‚von oben‘, vor allem aus der literatursprachlichen Perspektive, von der
aus sich – außer im stilistischen Bereich – keine wesentlichen grammatischen
Veränderungen in den letzten 200 Jahren erwarten ließen.
Die Sicht ‚von unten‘ geht dagegen vom alltäglichen Sprachgebrauch breiter Bevölkerungsschichten aus. Eine ‚Sprachgeschichte von unten‘ ist als Teil
einer ‚Sprachgeschichte als Gesellschaftsgeschichte‘ zu verstehen. 20 Die Formulierung ‚von unten‘ soll auf zwei Bedeutungsdimensionen verweisen: Zum
einen geht es um die Sprachverwendung der Bevölkerungskreise, die traditionell als ‚untere Schichten‘ bezeichnet werden, die aber nicht – wie die Bildungsbürger – nur einen Bruchteil der Gesamtbevölkerung stellten, sondern
die überwiegende Mehrheit. 21 Es geht aber nicht nur um eine ‚Sprachgeschichte der kleinen Leute‘ (auch wenn dies allein schon wichtig genug wäre).
Relevanter ist für unseren Zusammenhang der zweite Aspekt, nämlich die
Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen nicht nur auf der Basis der ‚hohen
Schriftlichkeit‘, sondern auch vom anderen Ende des konzeptionellen Spektrums, nämlich von der Mündlichkeit in seiner ganzen Breite her zu schreiben.
Denn „Vertikalisierung“ erweist sich nach der neueren Version des Reichmann’schen Modells nicht nur als soziologische Umschichtung des bis ins
17. Jahrhundert horizontal gelagerten Varietätenspektrums, „sondern auch
(möglicherweise sogar: eher noch) [als] eine Entwicklung aus der nicht nur
medialen, sondern auch konzeptionellen Mündlichkeit heraus in eine konzeptionelle Schriftlichkeit als sprachkulturelles Orientierungszentrum“ (Reich-
19
20
21
Reichmann (2001, S. 533). Vgl. auch von Polenz (2001, S. 519) und Durrell (2000, S. 21).
Zum frühen Hauptvertreter einer ‚Sprachgeschichte als Gesellschaftsgeschichte‘ erklärt
Peter von Polenz übrigens keinen geringeren als Adelung, von dem „man heute nicht
mehr sagen [kann], er sei nur ein ahistorischer intoleranter Sprachnormer gewesen“
(v. Polenz 2002, S. 3). Adelung habe nicht nur „in soziopragmatischer Weise eine Abkehr
von der einseitig oberschichtlichen Geschichtsschreibung“ gefordert, sondern sich auch
„gegen eine Sprachstandardisierung nur von den Fürstenhöfen oder von den besten
Schriftstellern oder von den Gelehrten her (so noch weithin die Meinung bis zu Gottsched)“ gewandt (ebd. S. 6f.): „Sprachgesetze […] müssen wenigstens von dem größten
Theil des Volkes, nicht bloß von den obern und gelehrten Classen anerkannt […] und
befolget werden.“ (Adelung 1782, S. 654f., zit. in v. Polenz 2002, S. 7).
Dies nachzuvollziehen dürfte nur denjenigen Sprachwissenschaftlern schwer fallen, die
davon ausgehen, dass die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung im 19. Jahrhundert in Bezug auf das Hochdeutsche inkompetent war.
72
Stephan Elspaß
mann 2003, S. 42). 22 Die auf einen engen Begriff von ‚Sprachkultur‘ abonnierte
traditionelle Sprachgeschichtsschreibung und erst recht die Grammatikographie des Neuhochdeutschen hatten nur diese konzeptionelle Schriftlichkeit im
Blick – in dieser Tradition wurde also eine „Literalisierungsgeschichte“ des
Neuhochdeutschen geschrieben (Ágel 2003, S. 11), in der man insbesondere
den belletristischen Rahm der Schriftsprache abschöpfte. Deshalb meine
einstweilige Beharrung auf der Erfassung des ‚unteren‘ Bereichs des vertikalen Varietätenspektrums des Neuhochdeutschen: Dieser Bereich ist – aus den
genannten sprachideologischen, aus sprachpflegerischen, wohl auch aus verschiedenen wissenschaftsideologischen Gründen, immer jedenfalls auf Grund
einer wie auch immer motivierten Abwertung – bisher weitgehend aus der
Sprachhistoriographie des Neuhochdeutschen ausgeklammert worden. 23
Natürlich sollte – i.S. der von Vilmos Ágel in Angriff genommenen Neuhochdeutschen Grammatik – möglichst die gesamte Variationsbreite des Neuhochdeutschen erfasst werden. Da der traditionelle Zugang der einer ‚Sprachgeschichte von oben‘ ist, eine ‚Sprachgeschichte von unten‘ dagegen erst am
Anfang steht, erscheint es schon deswegen legitim, zunächst letztere zu forcieren. Lässt man sich jedoch auch auf die von Ágel (2003) skizzierten „Prinzipien der (dynamischen) Grammatik“ ein, so erscheint der Zugang ‚von
unten‘ geradezu dringlich: Da in der Neuzeit das ‚oral-konnektionistisch geprägte kontextgrammatische Denken‘ von einem ‚literalisiert-kognitiviert geprägtem symbolgrammatischem Denken‘ (nur) überlagert worden ist (ebd.,
S. 11ff.), erscheint ersteres nicht nur als das ursprünglichere, sondern auch eine
Grammatik, die von einem kontextuellen Denken ihren Ausgang nimmt, als
die adäquatere, um Entwicklungstendenzen und Veränderungen in der sich
der konzeptionellen Mündlichkeit wieder nähernden Gegenwartssprache zu
beschreiben und zu erklären. 24 Man könnte auch sagen: Es ist an der Zeit, die
Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen in konzeptioneller Hinsicht vom
Kopf auf die Füße zu stellen.
Die Notwendigkeit eines solchen Perspektivenwechsels wird sich schon
daran ersehen lassen, dass allein aus einer so verstandenen Sicht ‚von unten‘
überhaupt sprachliche Einzelentwicklungen erfasst werden können, die von
der Alltagssprache ihren Ausgang genommen haben. 25 Um Missverständnis22
23
24
25
Die Redeweise und Begrifflichkeit von „konzeptioneller Mündlichkeit“ und „konzeptioneller Schriftlichkeit“ ist hier wie im Folgenden an das Konzept von Koch/Oesterreicher (1994) angelehnt.
Die Rede ist hier wohlgemerkt vom Hochdeutschen, nicht von den Dialekten, die ja gerade im 19. Jahrhundert eine besondere Wertschätzung erfahren und in der Dialektologie ihre eigene sprachwissenschaftliche Disziplin gefunden haben.
Methodologische Basis müsse in der (dynamischen) Grammatikschreibung das „Prinzip der Viabilität“ sein, also das „Prinzip der sprachhistorischen Adäquatheit“ (Ágel
2003, S. 2; vgl. auch Ágel 2001).
Ich verweise nur auf die mitteldeutsche Koronalisierung (vgl. Elspaß 2000, S. 267), die
am-Konstruktion, von der im Exkurs zu 3.2 die Rede sein wird, sowie die unter 3.3 genannten Einzelerscheinungen.
Standardisierung des Deutschen
73
sen vorzubeugen: Es soll nicht ein genereller ‚Sprachwandel von unten‘ postuliert werden. (Diesen gibt es genauso unzweifelhaft wie den ‚Sprachwandel
von oben‘, vgl. die Entwicklung der tun-Periphrase, s.u. 3.2.3) Es geht um
‚Sprachgeschichte von unten‘, und damit ist nicht mehr und nicht weniger als
eine Veränderung der Perspektive auf Sprachgeschichte gemeint. 26
Eine der schwierigsten Hürden einer ‚Sprachgeschichte von unten‘ i.S. einer
‚Sprachgeschichte der historischen normalsprachlichen Mündlichkeit‘ ist die
Beschaffung geeigneter Quellen. 27 Sie ist aber nicht unüberwindbar. So habe ich
in meiner Untersuchung zur Sprachentwicklung im 19. Jahrhundert (Elspaß
2003 [2005]) den Blick auf die autographische private Schriftproduktion der
Bevölkerungsmehrheit gerichtet. Der Grund dürfte nach dem oben Gesagten
einsichtig sein: Mit dem bildungsbürgerlichen Deutsch, das so oft mit der
Standardsprache verwechselt wird, wurden noch Ende des 19. Jahrhunderts
allenfalls fünf Prozent der Bevölkerung sozialisiert. Wie aber 95 % der Bevölkerung im 19. Jahrhundert schrieben und wie diese die deutsche Sprache weiter entwickelten, ist in den letzten 20 Jahren nur ansatzweise erforscht worden.
Meines Erachtens ist die Dissertation von Isa Schikorsky (1990) immer noch
die einzige publizierte Einzeluntersuchung, in der die geschriebene Sprache
der übergroßen Bevölkerungsmehrheit nicht a priori als defizient oder restringiert beschrieben wurde. 28
In meiner Arbeit stehen, wie bei Schikorsky, Texte privater Schriftlichkeit
im Vordergrund. Während Schikorskys Material allerdings ausschließlich aus
dem norddeutschen Raum stammte, habe ich den Einzugsbereich für die
Quellen meiner Untersuchung auf das gesamte Sprachgebiet ausgedehnt. Die
Quellentypen, die für ein solches Unternehmen in Frage kommen, sind gewiss
dünn gesät, denn das Schreiben gehörte für den Großteil der Bevölkerung
nicht zur „Tägliegen Bescheftigung“ (Grosse et al. 1989, S. 13). Aber es gibt
diese Quellen – noch. 29 Zu den kommunikativen Ausnahmesituationen des
19. Jahrhunderts, in denen auch ‚einfache‘ Menschen gezwungen waren, zur
Feder zu greifen, gehörte die Massenauswanderung, vor allem in die USA.
26
27
28
29
Vgl. in diesem Sinne schon Gessinger (1982, S. 141).
„What diachronic linguists need is material as close to actual speech as possible, only in
written form.“ (Sević 1999, S. 340). ‚Gesprochene Sprache‘ in literarischen Texten ist davon freilich auszunehmen, da sie wegen der besonderen Probleme der fiktionalen Brechung nur bedingt für Analysen des tatsächlichen Sprachgebrauchs taugt.
In diese perspektivische Falle tappten gerade Arbeiten, in denen Texte ‚kleiner Leute‘ in
asymmetrischen Kommunikationssituationen, z. B. Bitt- und Beschwerdebriefe, untersucht wurden (Mattheier 1990 u.ö., Klenk 1997 u. ö., Jakob 2000).
Während Texte ‚hoher Schriftlichkeit‘ meist öffentlich archiviert und deshalb ‚sicher‘
sind, ist etwa die Aufbewahrung privater Schriftstücke in Familienarchiven etc. nur immer so lange garantiert, wie mindestens ein Familienmitglied solchen Quellen eine gewisse Wertschätzung entgegenbringt. Mit jedem Generationenwechsel sind solche Quellen in ihrem Fortbestand potentiell gefährdet. Eine systematische Archivierung und
Aufbereitung alltagssprachlicher Schriftlichkeit aus der jüngeren Sprachgeschichte tut
deshalb dringend not.
74
Stephan Elspaß
Aus den ca. 10 000 Briefen der Auswandererkorrespondenz, die heute zugänglich sind, wählte ich 650 Briefe von 60 Schreiberinnen und 210 Schreibern aus
den deutschsprachigen Ländern aus. 30
Die folgende Darstellung beschränkt sich auf zwölf grammatische Phänomene, die in drei Gruppen präsentiert und mit Daten aus dem Briefkorpus belegt werden. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um alte, rein schreibsprachliche Varianten, die in den Grammatiken nicht mehr auftauchen, aber – wie
sich zeigen wird – im Sprachgebrauch im 19. Jahrhundert usuell waren (3.1).
In der zweiten Gruppe liegen Varianten vor, die in gesprochener und geschriebener Sprache üblich waren, heute allerdings in Substandards des Deutschen
abgedrängt sind (3.2). Alle sechs Varianten der ersten beiden Gruppen gerieten vor allem im 18. Jahrhundert in den Blick – oder besser: das Schussfeld –
der Grammatiker, unterlagen fortan einer normativen Diskriminierung und
verschwanden schließlich aus der Schriftsprache und der späteren Standardsprache. Nach einem Seitenblick auf die ‚Verlaufsform‘ im Deutschen stelle
ich in der dritten Gruppe fünf Varianten vor, die ebenfalls in den letzten 200
bis 250 Jahren zur Zielscheibe sprachnormativer Anstrengungen wurden, die
aber trotz Diskriminierung und Stigmatisierung standardsprachlich geworden sind bzw. auf dem Wege sind es zu werden (3.3). Plakativ könnte man formulieren, dass es in den ersten beiden Gruppen vornehmlich um Phänomene
geht, die es nach üblichen Handbuchdarstellungen im 19. Jahrhundert nicht
mehr geben dürfte, und in der dritten Gruppe um Phänomene, die es in der
Schriftsprache des 19. Jahrhunderts noch nicht geben durfte.
3.1 Alte schreibsprachliche Varianten
3.1.1 Afinite Nebensatzkonstruktionen
(1) Ich denke mir imer daß ihr in Angst und Sorgen sind wegen mir, weil ihr
so lange keinen Brief bekomen, 31 erstens sind wir hundert u. 5 Tag auf See
30
31
244 dieser Schreiberinnen und Schreiber besaßen lediglich eine Volksschulbildung, 26
eine höhere Schulbildung (bzw. auch mit universitärer Ausbildung). Die Auswahl der
Briefe richtete sich nach folgenden Kriterien (vgl. im Einzelnen Elspaß 2003 [2005]):
– größtmögliche Repräsentativität für die Gesamtheit der alphabetisierten Bevölkerung,
– Authentizität, d.h. es mussten buchstabengetreue Transkripte der Originale vorliegen
oder angefertigt werden,
– eine möglichst breite zeitliche Streuung vom Beginn des 19. bis zum Beginn des
20. Jahrhunderts,
– eine möglichst breite regionale Streuung über das gesamte deutschsprachige Gebiet
dieser Zeit,
– eine möglichst geringe Beeinflussung durch die englische Sprache, d.h. es wurden entweder Briefe nicht ausgewanderter Angehöriger aufgenommen oder Briefe von Auswanderern von der Überfahrt oder aus den ersten Jahren in der Neuen Welt.
Durch Kursivsetzungen sind in den folgenden Belegen die besprochenen sprachlichen
Merkmale hervorgehoben. Der Wechsel zwischen deutscher und lateinischer Schrift ist
der besseren Übersicht halber nicht besonders gekennzeichnet.
Standardisierung des Deutschen
75
7 Wochen sind wir Blümuth [Plymouth] gelegen biß unser Schiff gemacht
gemacht worden ist.
[Anna Maria (Klinger-) Schano aus Korb-Steinrainach bei Waiblingen
(schwäb.), 18. 03. 1849]
(2) Nun Ihr lieben, muß ich euch bemerken das wir vor einigen Wochen einen
Brief von Texas erhalten, und zwar mit der traurigen Botschaft, das es dem
lieben Gott gefallen, unseren Vielgeliebten Bruder ins jenseits gerufen, und
wodurch, durch den Krieg, Er hatte auch mit in den Krieg gemußt, im
September 1865 krank entlassen worden, 1 Monath nachdem an der Leberentzündung zu Hause gestorben, nähmlich den 3. Oktober 1865 […] ja man
hat es imer in den Zeitungen gelesen, wie Texas so sehr gelitten, hätte uns
der Bruder doch früher geglaubt
[Regina (Rückels-) Kessel aus Wiedenbrück (westf.), 11. 01. 1867]
Das Auslassen der Hilfsverben haben und sein in Nebensätzen mit Perfektprädikat (‚afinite‘ Nebensatzkonstruktionen) dominierte insbesondere im
Kanzleistil des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts. 32 Neben anderen
Grammatikern des 18. Jahrhunderts kritisierte vor allem Gottsched dies als
barocke „Unart“, was ihn aber selbst nicht davon abhielt, afinite Konstruktionen weiterhin zu verwenden – zumindest in entsprechenden Sätzen mit sein,
wie John Evert Härd (1981, S. 127) beobachtete. Härd vermutete, dass der von
ihm bis zum 20. Jahrhundert festgestellte Rückgang der afiniten Konstruktionen nicht in erster Linie dem Einfluss der Grammatiker zuzuschreiben ist.
Vielmehr sei er im Zusammenhang zu sehen mit der „Konsolidierung des
Satzrahmens, der als schlussbildenden Pol eben ein finites Verb verlangt“
(ebd.). Die afiniten Konstruktionen liefen jedenfalls nach dem sprachnormativen Verdikt Gottscheds nicht am Ende des 18. Jahrhunderts aus. Vielmehr
sind sie, wie v. Polenz (1999, S. 351) schreibt und wie sich anhand meines Korpus bestätigen lässt, auch im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert noch „literarisch und im Briefstil“ üblich – und zwar unabhängig von der Schreiberschicht, aber abhängig vom Kontext: Afinite Konstruktionen waren immer
spezifisch für konzeptionelle Schriftlichkeit; sie gehörten schon in ihrer Blütezeit zu den „syntaktischen Prestigesignalen“ (Lötscher 1995, S. 134), und sie
wurden auch in meinen Briefen gerade da verwendet, wo es formeller oder
‚feiner‘ klingen sollte.
3.1.2 ‚Analoges‘ -e im Präteritum starker Verben
(3) dieses Schif hielte sich biß dem 11ten nachmittags um 4 Uhr da kam es
Glücklich in Hafen eingelaufen und es ging auch auf der Ställe zu Grund
[Johann Baptist Weyherder aus Villenbach-Wengen (schwäb.), 24. 12.
1835]
32
Vgl. Härd (1981), v. Polenz (1994 S. 278), Konopka (1996, S. 28 S. f.) und Macha (2003).
76
Stephan Elspaß
(4) ich habe mich sehr Gefreut, da ich Löcke Sahe
[Christine Elderinck, geb. Klümper, aus Schüttorf bei Bad Bentheim
(westf.), 10. 01. 1870]
Das alte ‚analoge‘ oder ‚hyperkorrekte‘ -e im Präteritum starker Verben ist
im 18. Jahrhundert noch sehr gebräuchlich, vor allem in Schriften schwäbischer Provenienz (Wegera 2000a, S. 1814). Aber auch Goethe schrieb in seinen
Jugendwerken noch ich sahe, thate, flohe, hielte, stande, ritte, fande und korrigierte diese Formen erst – unter dem Einfluss der Adelung’schen Vorgaben –
in der Revision seiner Werke von 1786/87 (Habermann 1997, S. 462). Gottsched und Adelung lehnten die Verwendung dieses -e im Interesse einer klaren Unterscheidung der Modi ab, während süddeutsche Grammatiker wie
Aichinger es weiterhin als korrekt ansahen (v. Polenz 1994, S. 261). Nach Hermann Paul (1917, S. 198f.) ist es im beginnenden 19. Jahrhundert nur noch in
Einzelbelegen zu finden; in meinen Privatbriefen hält es sich allerdings noch
durchgehend bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Auffällig ist aber wieder,
dass es oft in formellen Kontexten steht, wie im Beleg (4), wo allein schon da
als temporal-kausaler Konnektor auf eine höhere Stilebene weist.
3.1.3 -gen als Diminutivsuffix
(5) diesen Brief will ich meinem Zigel Macher Nahments Valentin Nicklaus
bis auf Zinsinati mit geben weil er selbst dahin geht von Teutschland er
[und] sein Mädgen dan von Cinsinati könen villeicht etwas 60 Teutsche
Stunden dahin sein
[Michael Haßfurther aus Riedbach-Humprechtshausen (ostfrk.), 28. 05.
1839]
(6) es sind hier in der Willischtz [village] das heißt klein Städtgen oder Dorf
es sind hier auf 250 Personnen Deutsche die in der Feckteri [factory]
schaffen […] was macht mein Petters Georg u. seyn Christingen hat er eine
Stelle und sein Sie verheirathet
[Martin Weitz aus Schotten/Vogelsberg (zentralhess.), 29. 07. 1855]
Über die Entwicklung der Diminutivsuffixe in gedruckten Texten des Neuhochdeutschen sind wir zuletzt durch den Aufsatz von Klaus-Peter Wegera
(2000b) gut informiert: Für die 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts kann -gen noch
als Leitvariante gelten. Erst in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts setzt sich in
allen Regionen des Sprachgebiets das heutige -chen durch, während das -gen
Ende des 18. Jahrhunderts praktisch nur noch regional auftaucht. (Das Suffix
-lein spielte übrigens immer nur in bestimmten phonetischen Umgebungen bzw.
in bestimmten Textsorten und Stillagen eine Rolle.) Nach Adelungs Festschreibung des -chen als ‚richtige‘ Form „ist -gen für die Grammatiker kein Thema
mehr“; in der Lexikographie wird es gerade noch „bis ins 1. Drittel des 19. Jahrhunderts“ gebucht (Wegera 2000b, 55). Schon die Belege (5) und (6) zeigen
jedoch, dass dies noch nicht sein Ende bedeutete: Seine Verwendung ließ
Standardisierung des Deutschen
77
sich für das gesamte 19. Jahrhundert bei etwa 13,5 % der Schreiberinnen und
Schreiber nachweisen, und wie ein Blick auf die Karte 1 offenbart, ungefähr
genau noch in den Gebieten, in denen es Ende des 18. Jahrhunderts als dominierende Variante galt, nämlich im Westen bis hin zum Nordoberdeutschen. 33
Karte 1: Diminutivformen in der geschriebenen Alltagssprache des 19. Jhs.
33
Für das späte 18. Jahrhundert kann wieder Goethe als ein prominenter Verwender dieses Diminutivsuffixes genannt werden. Resthaft erhalten ist es heute nur noch in westdeutschen Personen- und Ortsnamen, z.B. Päffgen, Schnütgen, Röttgen etc. (vgl. Elspaß
2000, S. 254).
78
Stephan Elspaß
3.2 Schreib- und sprechsprachliche Varianten heutiger ‚Substandards‘
des Deutschen
3.2.1 Partizip II ohne ge-Präfix
0(7) Im letzten Krieg sind wir gut wegkomen, kein fremdes Militär haben wir
nicht gehabt, in unsrem Lande sind Preußen gewesen aber bei uns nicht.
0
[Johannes Schmalzried aus Münchingen bei Stuttgart (schwäb.), 06. 10.
1867]
0(8) wen ich das gewußt häte häte ich eich den Acker nicht geben jezt hatt sich
der Arme Franz so fiel blagt damit und jezt habt ir nichts
0
[Theresia Mandl aus dem Burgenland (mittel-/südbair.), 06. 02. 1923]
Das ge-Präfix im Partizip II indigener Stammverben bzw. trennbarer Verben
ist erst seit dem 17., spätestens dem 18. Jahrhundert feste Regel im Deutschen
(v. Polenz 1994, S. 261). Die letzte präfixlose Form im heutigen Standard ist
worden, bis in gedruckte Texte des späten 18. Jahrhunderts finden sich solche
Formen jedoch noch zu frequenten Verben wie kommen, finden, gehen, binden,
essen, geben, treffen oder bringen. Nach Walter Hoffmann (1988) setzt die
präskriptive Normierung des ge-Präfixes erst in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ein. Adelung (1781, S. 274) schließlich lehnte präfixlose Formen als
„pöbelhaft“ und „widerwärtig“ ab. Die Schulgrammatik des 19. Jahrhunderts
behandelt sie immerhin noch als Fehler – was ja nur darauf hindeutet, dass
sie noch in Gebrauch waren. Vor allem in Briefen aus dem oberdeutschen
Raum finden sie sich bis in die 1920er Jahre, siehe z.B. Beleg (8), in Briefen
von Schreibern aus Norddeutschland, wo das Präfix in vielen Dialekten ja
ganz fehlt, bis in die 1870er Jahre. Belege (9) und (10) sind schöne Beispiele
für Konflikte von Schreibern, die zwischen stigmatisierter und schriftsprachlicher Norm zu entscheiden hatten:
0(9) ihre Krankheit ist die Kolra wesen gewesen
[Gerd Hinrich Friemann aus Hestrup bei Bad Bentheim (westf.),
11. 1866]
(10) an Samstag abend Mittag kamen wir in St Louis an. Da haben wir erst
im Gasthof gessen gegessen und uns angekleidet, und da sind wir dan
nach unsere Verwannten gewesen.
[Bernhard Große Osterholt aus Steinfurt-Borghorst (westf.), 03. 04. 1883]
3.2.2 Doppelte Verneinung
(11) Inigsgeliebter Bruder Roberdt/Keine Minute vergeß ich dich nicht
[Georg Heubach aus Steinach (thüring.-ostfrk.), 1849]
(12) Nun dieses Jahr wollte zur Hopfenzeit nimand keine Kaufen
[Christian Frautschi aus Saanen/Berner Oberland (höchstalem.), 25. 10.
1868]
Standardisierung des Deutschen
79
(13) kein geistiges getränk darf nicht verkauft werden
[Katharina (Gamsjäger-) Hinterer aus Goisern/Salzkammergut (mittelbair.), 31. 07. 1887]
(14) Herzliebste Vera! Ich schike dir hir einen dollar und sag ja zu nimant
nichts weil es braucht nimant was wisen
[Johann Händler aus Breitenbrunn/Burgenland (mittel-/südbair.), Anf.
1924]
Die doppelte Verneinung als Verstärkung der Verneinung gilt – nicht nur im
Deutschen – nach verbreiteter Ansicht als unlogisch (Cheshire 1998). Als die
Grammatiker des 18. und 19. Jahrhunderts sie für ‚ungrammatisch‘ erklärten
und stigmatisierten, orientierten sie sich nicht nur am tatsächlichen Gebrauchsrückgang, wie er vor allem für die Schriftsprache des 17. Jahrhunderts
nachgewiesen ist (Pensel 1976, S. 316), sondern auch am klassischen lateinischen Vorbild. So schreibt etwa Heinrich August Schötensack (1856, S. 557)
in seiner Grammatik, dass „das im Lateinischen herrschende Gesetz, dass
doppelte Negationen bejahen, im Neuhochdeutschen zur allgemeinen Geltung gekommen“ sei (Hervorh. im Original). Wladimir Admoni (1990, S. 187)
beschreibt sie zuletzt für das 17. Jahrhundert und merkt für das 19. lapidar an,
dass sie „nur bei der Wiedergabe der gröberen Umgangssprache“ vorkomme
(ebd., S. 225). Aber was heißt schon „gröbere Umgangssprache“? Man urteile
bei den Belegen (11) bis (14) selbst. Es lässt sich immerhin zeigen, dass noch
Karte 2: Doppelte Negation in der geschriebenen Alltagssprache des 19. Jhs.
(nach Zahl der Schreibenden; die Prozentzahlen in Klammern beziehen sich auf die Gesamtzahl der Schreibenden aus der jeweiligen Region.)
80
Stephan Elspaß
mindestens bis in die 1920er Jahre die doppelte Verneinung auch in privater
Schriftlichkeit üblich war. Karte 2 zeigt darüber hinaus eine interessante regionale Verteilung: Die doppelte Negation war im mittel- und oberdeutschen
Sprachgebiet gebräuchlicher als im niederdeutschen – und dies ist wohl auch
in den heutigen Substandards noch so.
Die Belege stützen meines Erachtens Karin Donhausers (1996, S. 202f.)
Argumentation, dass im Deutschen der „Jespersen-Zyklus“ nicht zum Tragen
kommt, in dem eine zyklische Bewegung von einer Mononegativität im Althochdeutschen über ein polynegativisches System im Mittelhochdeutschen
(und Frühneuhochdeutschen) zurück zur Mononegativität im Neuhochdeutschen angenommen wird. Die doppelte Negation wäre danach also bis
ins 20. Jahrhundert „eine durchgehend präsente Strukturoption“ (ebd., S. 203),
und zwar auch in geschriebener Alltagssprache. 34
3.2.3 tun-Fügung
(15) jezt tun wir Treschen aber ganz anders wie dort
[Josef Schabl aus dem Burgenland (mittel-/südbair.), 13. 08. 1922]
(16) ihr werdets euch wohl nicht gedacht haben daß ich Waschen thu aber in
Amerika darf man sich nicht schämen wenn mann arbeitet
[Anna Maria (Klinger-) Schano aus Korb-Steinrainach bei Waiblingen
(schwäb.), Mitte 1850]
(17) Bruder Jan seine Tochter war auch recht slimm Krank im Monath Märtz
daß wir dachten es wurde nicht wieder besser doch sie brauchten den
Doctor der that mehrere Tage 2 mal den Tag ihn besuchen sie wurde auch
wieder besser.
[Bernd Farwick aus Neerlage bei Bad Bentheim (westf.), 03. 1867]
Mein nächstes Beispiel ist die tun-Fügung, deren Stigmatisierungsgeschichte
bis in die Schulgrammatiken des frühen 19. Jahrhunderts von Nils Langer
(2001) nachgezeichnet wurde. Die tun-Fügung war im Frühneuhochdeutschen
schriftsprachlich noch in allen Regionen verbreitet (Langer 2000, S. 293). Von
Polenz (1994, S. 263) erwähnt, dass sie zuletzt am Ende des 18. Jahrhunderts
in Gebrauch war, und zwar nur in „volkstümlichen Textsorten im Oberdt.“.
Danach scheint das auxiliare tun endgültig aus der neuhochdeutschen Schriftsprache verschwunden zu sein. Auch diese Darstellung ist nach der Untersuchung meines Briefkorpus zu korrigieren. Die tun-Fügung ist im 19. Jahrhundert in Briefen von fast einem Drittel der Schreiberinnen und Schreiber
mit Volksschulbildung (70 von 244 = ca. 28,7 %) nachzuweisen – und zwar,
wie die schematische Karte 3 zeigt, im gesamten Sprachgebiet. Grundsätzlich
ist die tun-Fügung ja auch in allen Dialekten bekannt.
34
Donhauser führt in erster Linie die Verhältnisse in gesprochenen Varietäten des Deutschen an.
Standardisierung des Deutschen
81
Karte 3: tun-Fügung (ohne Phraseme) in der geschriebenen Alltagssprache
des 19. Jhs. (nach Zahl der Schreibenden)
Exkurs: am-Konstruktion
(18) Donnerstag 9 Jul: ist Gerd Schulte Wieking aus Gildehaus so unvermutet zu Tode gekommen er war im einen neügegrabenen Bierkeller am
Arbeiten und einen alter Steinere Wand fiel um und traf ihm zu Tode
[Bernd Farwick aus Neerlage bei Bad Bentheim (westf.), 12. 07. 1868]
(19) in Navare konten wir vorleufig keine Arbeit kriegen darum musten wir
nach Masilon, wir sind hir im Steinbruch am Arbeiten ich und Goltschmid
[Matthias Dorgathen aus Mühlheim/Ruhr (nfrk.), 15. 05. 1881]
Betrachten wir parallel zum Niedergang der tun-Fügung den Aufstieg einer
anderen analytischen Konstruktion in den letzten 200 Jahren, nämlich der amKonstruktion. Wie berechtigt sowohl die Bezeichnungen ‚Rheinische Verlaufsform‘ wie auch ‚Westfälische Verlaufsform‘ sind, zeigt die Karte 4, auf
der das Verbreitungsgebiet dieser Konstruktion im 19. Jahrhundert nach den
wenigen Belegen meines Korpus zu sehen ist.
82
Stephan Elspaß
Karte 4: am+Inf+sein-Konstruktionen in der geschriebenen Alltagssprache des 19. Jhs.
Durch Untersuchungen der letzten Jahre ist dokumentiert, dass die am-Konstruktion inzwischen fast im gesamten Sprachgebiet gebräuchlich ist. 35 Und
auch durch die Duden-Grammatik (1998, S. 91, Anm.1) ist sie insofern geadelt, als sie für „schon auch standardsprachlich“ erklärt wird.
Im Vergleich der Entwicklungsgeschichten von tun-Fügung und am-Konstruktion kann die Dynamik grammatischer Entwicklungen der letzten zwei
Jahrhunderte anschaulich gemacht werden: Die am-Konstruktion ist ein Mittel zur Bezeichnung des Progressiv-Aspekts im Deutschen, wie in Bsp. (18) –
35
Vgl. insbesondere die Arbeiten von Krause (1997), Reimann (1999) und Rödel (2003).
Standardisierung des Deutschen
83
aber nicht nur: In Bsp. (19) kommt Habitualität zum Ausdruck. Dies sind nun
auch zwei Aspekttypen, die mit der tun-Fügung ausgedrückt werden können,
vergleiche die Bsp. (16) und (17) gegenüber (15). Es sieht also so aus, als würde
durch die am-Konstruktion – von einer Region und der alltagssprachlichen
Domäne ausgehend – allmählich eine grammatische Funktion restituiert, die
durch die Stigmatisierung der tun-Fügung aus dem Hochdeutschen verdrängt
worden war. 36 Auslöser aber waren nicht sprachsystemare Verwerfungen, sondern ein normativer Eingriff ‚von oben‘, nämlich die Stigmatisierung der tunFügung. Wir haben es hier sowohl mit regulärem als auch mit reguliertem
Sprachwandel zu tun.
3.3 Ehemals substandardliche schreib- und sprechsprachliche Varianten der heutigen Standardsprache
Nicht nur nach Meinung von Friedhelm Debus ist das Gegenwartsdeutsch
von Nivellierungstendenzen gekennzeichnet, bei denen sich generell eine
„Orientierung zur umgangssprachlichen Mitte hin von den Polen Standard-/
Hochsprache einerseits und Dialekten/Mundarten andererseits her“ abzeichnet (Debus 1999, S. 55). Ich bediene mich eines Satzes, den Debus zitiert, um
daran einige grammatische Entwicklungstendenzen der Gegenwartsprache
aufzuzeigen, und erweitere diesen um einen zweiten:
Wegen dem Zeugnis brauchst du nicht weinen, weil meins ist auch nicht besser wie deins.
Zeugnisse, da bin ich kein Fan von!
In diesen beiden Sätzen sind fünf wohlbekannte Phänomene versammelt, die –
wie die am-Konstruktion – in den Umgangssprachen geläufig sind und von da
aus zurzeit gute Chancen haben, mit den Weihen der kodifizierten Standardsprache versehen zu werden. Im Gegensatz zur am-Konstruktion haben diese
fünf Phänomene allerdings noch etwas anderes gemeinsam: Sie gehören zu
den „z.T. 100–200 Jahre alten sprachkritischen Ladenhüter[n]“, wie Walter
Dieckmann (1991, S. 363) sie einmal bezeichnete. Es handelt sich um grammatische Formen, die sich trotz normativer Diskriminierung durch die Schulgrammatik einen festen Platz in der konzeptionellen Mündlichkeit bewahrt
haben.
36
Sicherlich war die am-Konstruktion in neuester Zeit ebenfalls Stigmatisierungen unterworfen. Allerdings ist sie gewissermaßen zu ‚jung‘, als dass ihre Verwendung schon früh
ins Visier präskriptiver Schulgrammatiker hätte geraten können. Ein Indiz: In einer kleinen Schrift über „Niederrheinische Provinzialismen“, die der Aachener Gymnasiallehrer Joseph Müller 1830 veröffentlichte, wird zwar eine andere syntaktische ProgressivForm, nämlich Formulierungen des Typs wir sitzen schon lange auf dich zu warten genannt, auffälligerweise aber nicht die am-Konstruktion.
84
Stephan Elspaß
3.3.1 weil +Verbzweitstellung
(20) als wir das getan hatten da war unser akord gebrochen Weil wir wusten
nicht daß sei [sie] zusammen hielten
[Heinrich Küpper aus Loikum/Niederrhein (ndfrk.), Reiseaufzeichnungen S. 1847ff.]
(21) wi wir davon geschbrochen haben das wahr hir beim tag und drausen
wahr wahr es nacht weil die uhr di ist um neun stunden schbäter als drausen
[Johann Händler aus Breitenbrunn im Burgenland (mittel.-südbair.),
26. 11. 1923]
Es ist mit Vilmos Ágel (2000, S. 1887) davon auszugehen, dass das parataktische weil wesentlich älter ist als das Forschungsinteresse an ihm. Beispiele
(20) und (21) belegen dies. 37 Über den Fall weil hinaus zeigen die Briefe des
19. Jahrhunderts ein „buntschillerndes Mit-, Neben- und Gegeneinander im
Bereich der begründenden Konjunktionen“, 38 in dem neben weil, denn und da
verschiedene koordinierende oder subordinierende Kausalkonnektoren, wie
z.B. indem, nämlich oder gar wegen gebraucht wurden. Um die Entstehung
bzw. mögliche Kontinuität der Verbzweit-Konstruktionen erklären zu können, müsste man sich zunächst ein vollständiges Bild möglicher syntaktischer
Einflussfaktoren machen. Dies hat die Forschung, soweit ich sehe, allerdings
bisher kaum geleistet. Welche Rolle spielen etwa Verbalkomplexe, die so genannte ‚Ausklammerung‘ oder auch noch die afiniten Konstruktionen bei der
‚Grammatikalisierung‘ der Verbzweitstellung nach weil? So ist bei Belegen des
Typs (22) nicht klar, ob der Grund für Verbzweitstellung ein einleitendes ‚parataktisches weil‘ oder die variable Stellung der finiten Hilfsverben in mehrgliedrigen Verbalkomplexen ist, denn nicht einmal die Stellung der finiten
Hilfsverben in zweigliedrigen Verbalkomplexen ist nach meinem Belegmaterial im 19. Jahrhundert so gefestigt, wie es oft dargestellt wird. 39
(22) Ich habe schon gleich ums Heumachen um 12 Dollar Heu gekauft da
habe Ich 2 Fuhren bekommen weil wir auf unsern Land auch nur zwei
Fuhren bekamen Getroschen haben wir auch nicht viel weil man mußte
schon den Hafer bald grün verfüttern
[Mathes Josef Windirsch aus Müllestau bei Marienbad (nordbair.),
02. 04. 1896]
37
38
39
Vielleicht sind die Belege (20) und (21), aber auch (14) (der Schreiber benutzt weil übrigens überwiegend mit Verbzweitstellung!), erste Ansätze zum Füllen der „Beschreibungslücke“ im Rahmen der These von der historischen Kontinuität von ahd. wanta zu
nhd. weil + V2, vgl. insbesondere die Diskussion in Selting (1999) und Wegener (1999,
S. 11ff.).
Mit diesen Worten charakterisierte Erwin Arndt (1959, S. 396) die Situation im Frühneuhochdeutschen.
Siehe Härd (1981), Ágel (2001) und Konopka (2003), die sich im Wesentlichen nur noch
mit drei- und viergliedrigen Verbalkomplexen befassen.
Standardisierung des Deutschen
85
Zusätzlich mag die Tendenz zur ‚Ausklammerung‘ in der Alltagssprache dazu
geführt haben, dass weil als koordinierende Konjunktion (re)analysiert wurde,
vgl. die folgende Formulierung des selben Schreibers (23): 40
(23) im Herbst kauften wir uns noch für 8 Dolar Haferstroh wir haben uns
jetzt noch 70 Buschel Hafer gekauft es kostet der Buschel Hafer 18 Cent
weil wir hatten in Herbste zwei Küh u eine Kalbin dan haben wir die
ältere Kuh geschlacht weil die Kalbin tragbar ist
[Mathes Josef Windirsch aus Müllestau bei Marienbad (nordbair.),
02. 04. 1896]
Überdies erlauben afinite Konstruktionen mit weil wie in Beleg (24) einen gewissen Spielraum im Hinblick auf die mögliche Setzung des finiten Hilfsverbs:
(24) So bitte ich Euch liben Eltern nochmahls dringend, Laßt Euch ein Bild
von das Orignal Bild abnehmen und schikt uns dan das Bild welches wir
an Euch geschikt haben es wird Euch gewiß, nichts aus machen solte es
nicht ganz genau so sein weil Ihr das Kind doch nicht gekant
[Hermann Reibenstein aus Hamerstorf bei Lüneburg (ostfäl.), 05. 06.
1870]
Es erscheint als lohnendes Unterfangen, die Entwicklung der Verbstellung bei
Kausalkonnektoren und insbesondere die ‚Entstehung‘ des weil mit Verbzweitstellung im Zusammenhang mit der Entstehung der Satzklammer zu untersuchen.
3.3.2 (nicht) brauchen ohne zu
(25) … so wird er vor dem Schwurgericht verurtheilt so brauchst du dir keine
Mühe geben um in ausfindig zu machen wir wollen in nicht mehr sehn.
[Georg Fettermann aus Ober-Flörsheim bei Alzey (rheinfrk.), 25. 08.
1856]
(26) der Joseph braucht sich nicht hierher winschen das ist nichts vier Ihm.
[Heinrich Dumsch aus Neu-Altmannsdorf bei Münsterberg (schles.),
1883]
Kurz fassen kann ich mich zu (nicht) brauchen ohne zu: Literatursprachliche
Belege für dieses neue Modalverb 41 sind schon für den Beginn des 19. Jahrhunderts verzeichnet (v. Polenz 1999, S. 351). In meinem Textkorpus wird bereits in fast einem Viertel (25 von 105 = 23,8 %) aller Belege brauchen+NEGMarker ohne zu verwendet.
40
41
Parataktisches weil ist übrigens auch für den alten böhmisch-deutschen Dialekt dokumentiert, den der Schreiber wohl sprach (Schiepek 1899, S. 42).
Differenzierend hierzu Askedal (1997).
86
Stephan Elspaß
3.3.3 wegen + Genitiv bzw. Dativ/Akkusativ
(27) Auch habe ich in eurem Brief ersehen, daß ihr sehr bekümert seyd über
mich wegen dem Krieg in Amerika. […] Auch habe ich ersehen, daß ihr
sehr in Angst seid wegen dem, daß die Mutter hören Rufen hat und an
die Thür geklopft wurde. Es hat ihr vieleicht geträmt.
[Wilhelm Schöpfle aus Grötzingen bei Karlsruhe (rhfrk.), 14. 04. 1861]
(28) ich bin wegen dem Geld nicht Soldat geworden, mein Geschäft was ich
verlasse haben hat mir mehr eingebracht.
[Carl Niedenhofen aus Siegburg bei Bonn (rip.), 28. 09. 1862]
Normgerechter Genitiv bei der Verwendung von wegen, während, (an)statt
und anderen Präpositionen findet sich nur in etwa einem Viertel (26,0 %)
aller Belege aus dem Briefkorpus. Der Gebrauch solcher Präpositionen mit
dem Dativ, zu dem die meisten dieser Präpositionen tendieren, oder gar mit
dem Akkusativ liegt entsprechend bei fast drei Vierteln aller identifizierbaren
Fälle. Interessant ist die Differenzierung nach dem Bildungsgrad der Schreibenden – die Belegzahlen sind freilich recht niedrig: Über vier Fünftel der
Schreiber mit höherer Schulbildung und dagegen weniger als ein Fünftel der
Schreiber mit einfacher Volksschulbildung verwenden den ‚korrekten‘ Genitiv. Dafür liegt der Gebrauch mit dem Dativ oder gar mit dem Akkusativ bei
den einfach gebildeten Schreibern schon bei fast 84 % (Tabelle 1):
Genitiv
Dativ oder
Akkusativ
(Kasusmarkierung
nicht eindeutig)
Gesamt
27
26,0 %
77 74,0 %
(116)
–
Schreibende mit höherer Schulbildung
13
81,3 %
03 18,7 %
0(28)
–
Schreibende mit Volksschulbildung
14
16,1 %
74 83,9 %
0(98)
–
Tabelle 1: Realisierte Kasus nach ‚Präpositionen mit Genitiv‘ in der geschriebenen Alltagssprache des 19. Jhs.
3.3.4 Partikeln nach Komparativ
(29) Aber wir wollen Euch so viel schreiben daß es nicht so arg hier als wie es
manche machen. Es ist beteudtend besser als wie in Deutschland. Aber
man muß auch strenger Arbeiten als wie in Deutschland […] Und ist auch
mit unsern Geschäft nicht so gut als hier, sonst währ ich nach gemacht.
[Christoph Barthel aus Kirchhagen bei Kassel (nordhess.), 15. 08. 1847]
(30) daß doch des Vaters Auge weiter sieth, gewöhnlich, als wie das des Sohnes […] er würde vielleicht beßer ausmachen denn ich […] er wird ein
guter americaner abgeben, beßer wie ich, weil er, trotz seines guten benehmen gegen mich, beßer zu sich nehmen kann wie ich
[Friedrich Martens aus Delve/Dithmarschen (nordnd.), 18. 04. 1858]
87
Standardisierung des Deutschen
Noch eindeutiger ist die Belegsituation bei den Partikeln nach Komparativ: In
fast 38 % aller Belege wird im 19. Jahrhundert wie oder sogar als wie verwendet. Auffällig – aber nicht überraschend – ist auch hier wieder, dass Schreiber
mit höherer Schulbildung zu über 90 % die korrekte Form gebrauchten. Betrachtet man die Schreiber, die ‚nur‘ eine Volksschulbildung besaßen, liegt der
Anteil der nicht-normgerecht verwendeten Partikeln bei über 40 % (Tabelle 2):
als
wie
als wie
denn
Gesamt
386
62,0 %
186 29,9 %
49
7,9 %
4
0,6 %
Schreibende mit höherer
Schulbildung
039
90,7 %
004 09,3 %
00
0,0 %
0
0,0 %
Schreibende mit Volksschulbildung
347
59,6 %
182 31,3 %
49
8,4 %
4
0,7 %
Tabelle 2: Verwendung von Komparationspartikeln in der geschriebenen Alltagssprache des
19. Jhs.
Schon Otto Behaghel (1927, S. 205) schrieb, dass es keinen „innerlich begründeten Unterschied zwischen als und wie“ gebe. Friedhelm Debus (1999, S. 44),
Maria Thurmair (2001, S. 97) u.a. meinen inzwischen, dass sich wie auch standardsprachlich als Einheitspartikel nach Komparativ und nach Positiv durchsetzen werde. Ein Problem stellt die Verwendung von wie nach Komparativ
wohl nur aus symbolgrammatischer Sicht dar, in der man eine „strenge Aufgabenverteilung“ zwischen als und wie postuliert (hier Weinrich 2003, S. 795).
Aus kontextgrammatischer Sicht besteht zur Trennung der beiden Funktionswörter keine funktionale Notwendigkeit, da durch den Positiv mit so bzw. den
Komparativ mit -er die gemeinten Vergleichsverhältnisse schon hinreichend
zum Ausdruck gebracht werden.
3.3.5 ‚Getrennte‘ Pronominaladverbien und verwandte
Konstruktionen
(31) Doch lieber Bruder wo soll ich dich mitt Trösten […] dann sagte ich, das
sollst du nicht, ich will schreiben, und da ist es bei geblieben.[…] und dann
haben wir schöne Sachen darin gekauft, was es alles gekostet hat, das
weiß ich selbst nicht mehr, da habe ich meine Freude an […] Wir haben
die dritte Tonne Mehl, da haben wir auch den ganzen Winter genug an.
[Christine Elderinck, geb. Klümper, aus Schüttorf bei Bad Bentheim
(westf.), 15. 09. 1869]
(32) Die dritte [Schlacht] hat an gefangen den 1. Mai 1863 und wurde zu Ende
den 4 Juli nehmlich die Stadt wo wir wollten da wahren wir ungefähr 20
bis 25 Stunde davon
[Ludwig Müller aus Massenheim bei Bad Vilbel (zentralhess.), 08. 01.
1865]
88
Stephan Elspaß
(33) … und habe dann keine Auslagen dabei als wie Famielie Bedürfniße
Diese belaufen sich des Tags ungefähr auf 1 fl und da haben wir aber ein
gutes Leben dabei.
[Johann Jakob Schwarz aus Blaubeuren bei Ulm (schwäb.), 25. 01. 1854]
Der letzte der fünf Fälle in dieser Gruppe ist der der ‚getrennten‘ Pronominaladverbien. Die Trennung von Pronominaladverbien wie davon, wovon,
hiervon etc. in den PRO-Teil und den präpositionalen Teil zählte Dieter
E. Zimmer (1986, S. 39) einmal zu den „Trends und Tollheiten im neudeutschen Sprachgebrauch“. 42 Allerdings sind solche und ähnliche Konstruktionen keineswegs neu, sondern für ältere Sprachstufen bis hin zur Verwendung
bei Goethe, Büchner oder E. T. A. Hoffmann sehr gut belegt. 43 Die Stigmatisierungsgeschichte begann wieder im 18. Jahrhundert, was bei der Gottschedin (2 1750), 44 Adelung (1782, S. 189), Moritz (1794, S. 83) u.a. nachgewiesen werden kann. Sie begegnen in meinen alltagssprachlichen Texten des
19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auf Schritt und Tritt, und zwar in einer
erstaunlich klaren regionalspezifischen Verbreitung, wie wir sie in den Dialekten und auch in den heutigen Umgangssprachen finden: Im Norden und
Westen dominieren bei konsonantisch anlautenden Präpositionen getrennte
Konstruktionen/Spaltungskonstruktionen des Typs da weiß ich nichts von
oder da ist es bei geblieben (31), im übrigen Sprachgebiet der Typ der so genannten verdoppelten Konstruktionen/Distanzverdoppelung, also: da weiß ich
nichts davon bzw. da davon weiß ich nichts, da wahren wir ungefähr 20 bis 25
Stunde davon (32) oder da haben wir ein gutes Leben dabei (33) (vgl. Karten 1
bis 4 in Fleischer 2002). 45 Auch in diesem Fall ist die Tatsache, dass in das Vorfeld kein vollständiges Satzglied, sondern nur das PRO-Element des Pronominaladverbs steht, nur für situations- und kontextentbundene Grammatikmodelle problematisch; aus einer prozessual orientierten grammatischen
Sicht erscheint es sehr motiviert, dass das interrogativische oder deiktische
PRO-Element am Satzanfang steht und der präpositionale Teil (evtl. mit ‚verdoppeltem‘ PRO-Element) näher am Verb, Substantiv oder Adjektiv, von dem
er (valenz)abhängig ist (z.B. dann sagte ich … ich will schreiben, und da ist es
bei geblieben).
42
43
44
45
Ins gleiche Horn stoßen Helmut Glück und Wolfgang Werner Sauer (1997, S. 63), wenn
sie von entsprechenden „Veränderungen“ schreiben, die sich „vor allem in der gesprochenen Umgangssprache“ vollzögen.
Vgl. Paul (1919, S. 157ff.), Behaghel (1932, S. 237, 249), Dal (1966, S. 89).
Vgl. v. Polenz (1994, S. 221).
Der Typ der getrennten Konstruktion wird im 19. Jahrhundert übrigens auch noch
sehr häufig bei vokalisch anlautenden Präpositionen verwendet, sieh da habe ich meine
Freude an (31) – eine Form, die es nach Ansicht mancher Grammatikforscher im Neuhochdeutschen überhaupt nicht geben darf (z. B. Oppenrieder 1991, S. 167).
Standardisierung des Deutschen
89
4. Diskussion: Die unerforschten Gründe
der Standardisierung im Deutschen
Es wurden zwölf Varianten präsentiert, die nach Ausweis der Grammatiken,
v.a. der Schulgrammatiken, in der Schriftsprache des 19. Jahrhunderts als
nicht ‚korrekt‘ galten, in der geschriebenen Alltagssprache der Bevölkerung
im 19. Jahrhundert allerdings mehr oder weniger usuelle Varianten darstellten. 46 Das Gesamtbild ist m.E. nicht geeignet, den Eindruck einer Standardsprache im 19. Jahrhundert aufkommen zu lassen – ‚Standard‘ nach der
Definition von Haugen verstanden als einheitliche und konsistente Schreibnorm, die von einer breiten Akzeptanz unter den Sprechern einer Sprache getragen ist.
Natürlich liegt hiermit nur eine Auswahl von grammatischen Merkmalen
vor, und es ließe sich sicherlich darüber diskutieren, wie viele Merkmale als
standardisiert gelten müssen, um von einer ‚Standardsprache‘ sprechen zu
können. Wichtiger ist mir aber folgendes Argument gegen die Annahme einer
Standardsprache im 19. Jahrhundert: Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung
die hochdeutsche Schriftsprache erlernte, hatte nur ein kleiner Teil von ihr Zugang zu den kodifizierten Normen vom Schlage der Schulgrammatiken. 47 Die
46
47
Die Liste ließe sich um verschiedene andere Konstruktionen erweitern, die heute im Zusammenhang einer ‚Grammatik der gesprochenen Sprache‘ diskutiert werden, und mit
Beispielen aus meinem Korpus illustrieren:
– possessives Dativattribut: Kallmeier sein Vetter;
dem Johann sein Weib ihr Großvater
(s. auch 17)
– ‚Linksversetzung‘:
Die Ofen die gefalen mir hier sehr gut.
sein Bruder der bauet ein neues Haus
– Nachträge:
wir sind hir im Steinbruch 2am Arbeiten ich und Goltschmid (vgl. 19)
– Ausklammerungen:
indem wir noch keine Antwort erhalten haben von unserm
letzten schreiben;
Er hat uns einen Brief geschrieben den 1 Januar
(s. auch 23)
– elliptische Sätze:
Den 3. Dez. Land in Sicht. Hurra und Gesang und Freude,
auch Tränen.
– Vor-Vorfeld-Besetzungen: Nun, wie geht es Euch Allen noch?
Also, den 9. Sebt gingen wier Wentzvill von da nach
Flinthill
– Verbspitzenstellung:
Nun schimpf mich nicht Peter ich weiß es selbst, ist viel
Geld für mich
usw.
Mattheier (2003, 236) geht neuerdings davon aus, dass „for around 1900 […] the German written standard language was accepted in the entire German speech community
as a model norm, and also that the standard variety was actively known by large segments of the population“. Und weiter (ebd., S. 238): „One can assume that a linguistically and sociolinguistically stable standard language existed in the first decades of the
twentieth century with regard to structure, status and attitudes.“ [Meine Hervorhebungen, S. E.]
90
Stephan Elspaß
Normen, die durch die Grammatiken von Becker, Heyse u.a. verbreitet wurden, erreichten nur die höheren Schulen, für die sie auch geschrieben waren.
Dagegen lassen die Befunde meiner Untersuchungen vermuten, dass in der
Schreibsozialisation der Bevölkerungsmehrheit noch verschiedene, auch regional begrenzte Gebrauchsnormen im Umlauf waren. Unter dem Regionalitätsaspekt, der wieder verstärkt Thema der neueren Sprachgeschichtsforschung
ist 48, ließe sich sogar behaupten: Fast jedem Schriftstück aus der Hand eines
weniger gebildeten Schreibers des 19. Jahrhunderts kann man auf Grund
sprachlicher Merkmale zumindest eine großregionale Herkunft des Schreibers zuordnen.
Woher aber kamen etwa die ‚alten‘ Varianten? Es können hier vorläufig nur
zwei Indizien genannt werden:
– Das erste bezieht sich auf die Ausbildung der Sprachnormvermittler. So begann die institutionalisierte Ausbildung von Volksschullehrern ja im Grunde
erst in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. 49 Davor schrieben und lehrten
Lehrer, wie ihnen gut dünkte – man vergleiche etwa die Ausschnitte aus dem
Tagebuch eines Eifler Volksschullehrers in Beleg (34): 50
(34) Das hier auf der Nebenseite hat der Matthias Huppertz, mein lieber
Vater noch geschrieben, und ist das letzte so er diesem Büchelgen einverleibt hat. Er ware seit anfangs July kräncklich, so besonders von
einem Bruchschaaden herrührte, das ihme die heftigste schmertzen verursachte. (…)
Er war 9 Jahre Kirchenmeister der hiesigen Pfarr Contzen, und zwarn
zur zeit des französischen Krieges von 1792 bis 1801, auch hate er ein
schönes Stückgen Brod, obwohl mit vieler Mühe zwischen Cölln und
Monjoye mit seinem Fuhrwerk verdienet (…)
Das Brod, welches im Herbst wegen dem bevorstehenden Kriege nicht
wohlfeil war fängt im Januar 1833 an abzuschlagen. Es gilt itzt 4 Sgr. 4 Pf.
[Johannes Huppertz aus Konzen/Eifel (wmd.), 21. 12. 1807 u. 05. 01. 1833,
Herv. von mir, S.E.]
Selbst nach der Ausbildung in Seminaren werden viele Volksschullehrer die
Normen der Schulgrammatiken kaum verinnerlicht haben – dies ist auch
heute noch ein Problem. 51
48
49
50
51
Stellvertretend seien die Sammelbände von Macha/Neuß/Peters (2000) und Berthele et
al. (2003) genannt.
In manchen Regionen, wie dem kleverländisch sprechenden und niederländisch schreibenden Niederrhein, mussten auch erst Lehrer angeworben werden, die überhaupt
Hochdeutsch beherrschten (vgl. die Dokumentation in Cornelissen 2003, S. 108ff.).
Siehe auch den variierenden Gebrauch der Komparationspartikeln in Beleg (30) – dieser Schreiber war ebenfalls Volksschullehrer.
Das zeigen z.B. die Untersuchungen von Winifred Davies (2000) im Mannheimer
Raum.
Standardisierung des Deutschen
91
– Ein zweites Indiz ergibt sich aus den verwendeten Unterrichtsmaterialien.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden etwa in ländlichen Gegenden Lesen und Abschreiben noch an recht bunt zusammengewürfeltem
handschriftlichem Material geübt, das vielfach aus dem 18. Jahrhundert
stammte oder gar noch älter war. 52 Darüber, welche gedruckten Materialien
wie weit verbreitet waren, weiß man kaum etwas. Zumindest empfohlen
wurde für den Gebrauch an Elementarschulen in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts die Sprachlehre von Bohm/Steinert (Engelien 1889, S. 395),
die in ihrer Erstauflage von 1851 genau 32 Seiten schlank war und – wie eine
Durchsicht schnell bestätigt – sich kaum eignete, etwa zu den meisten der
hier vorgestellten grammatischen Zweifelsfälle verlässliche Auskunft zu
geben.
In der präskriptiven Schulgrammatik des 19. Jahrhunderts – genauer: der
Schulgrammatik für die höheren Schulen – war die Messlatte grammatischer
Normen so hoch gelegt, dass es nur einer kleinen elitären bildungsbürgerlichen Schicht gelang, sie zu erreichen. In den Volksschulen wird es jedoch ein
massives Vermittlungsproblem gegeben haben: Viele der Normen sind zu
einem Großteil der alphabetisierten Bevölkerung kaum durchgedrungen und
wurden, wie die vorgestellten Daten zeigen, in der Schreibpraxis regelrecht
unterlaufen. 53
In jedem Fall zeigen die hier besprochenen Merkmale, dass das 19. Jahrhundert in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive keine abgeschlossene
Phase darstellt, die wir zu den sprachhistoriographischen Akten legen könnten. Zur Darstellung von Entwicklungstendenzen der Gegenwartssprache
darf man gerade die dritte Variantengruppe nicht ignorieren. Nach Mattheier
(2003, S. 237 u.ö.) würden solche Merkmale zu einem „Proto-Standard“ zählen, also einer „speziellen Varietät“ transitorischen Charakters, die sich in
dem Moment aufgelöst habe, als die bildungsbürgerliche Schriftsprache die
Volksschulen erreichte. Die Merkmale sind allerdings nicht verschwunden.
Ich wähle mit Hartmut Schmidt (2002, S. 324) das Bild von der „so lange Zeit
geglätteten einheitliche[n] Oberfläche der Schriftsprache“: In der Gegenwart
treten manche Merkmale wieder an eben diese Oberfläche – und zwar nicht
52
53
Verwiesen sei noch einmal auf die Untersuchungen von Gessinger (1995) für Nordwestdeutschland und Messerli (2000) für die Schweiz.
Man kann mit Wolf Peter Klein (2003) vielleicht sogar das Aufkommen der Zweifelsfälle-Literatur am Ende des 19. Jahrhunderts als „Bankrotterklärung“ der rationalistischen Grammatikschreibung interpretieren: „[…] anders als die Autoren des 18. Jahrhunderts noch gehofft hatten, waren die Zweifelsfälle im 19. Jahrhundert ja nicht aus
der Welt geschafft. Im Gegenteil!“ Und weiter: „Man könnte geradezu zu der These verleitet werden, dass die sprachbewusste Literatur die Zweifelsfälle nicht wie erhofft zum
Verschwinden gebracht, sondern das Entstehen weiterer Problemfälle verursacht hatte.“
(Klein 2003).
92
Stephan Elspaß
nur in der gesprochenen Sprache oder in den so genannten „neuen Medien“, 54
sondern selbst in der gedruckten Sprache. Diese Merkmale sind aber nicht
vom Himmel gefallen, sondern existierten immer schon in der Alltagssprache,
und zwar unter der Oberfläche einer vermeintlichen Standardsprache – unbemerkt oder wohl eher bewusst ignoriert von der präskriptiven Grammatik
des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. 55
Um Entwicklungstendenzen der Gegenwart erklären zu können, müssen
zunächst die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit geklärt werden. 56
Jedoch sind die „sprachgeschichtlichen Wurzeln des heutigen Deutsch“, die
vor vierzehn Jahren Thema einer IDS-Tagung waren, meines Erachtens noch
längst nicht hinreichend erforscht. Wie auch? Vilmos Ágel beklagt in seinem
HSK-Artikel zur Syntax des Neuhochdeutschen zu Recht, dass „die Zahl der
Untersuchungen auf breiter Materialgrundlage für die Zeit ab der Mitte des
18. Jhs. relativ gering ist“ (Ágel 2000, S. 1896). Entsprechend ist Ágels Artikel
weniger als Überblicksaufsatz zu gesicherten Forschungserkenntnissen zu
verstehen, sondern als Katalog von Forschungsdesiderata. Will man wirklich
zu den Grundlagen der Gegenwartssprache vordringen, genügt der bisher beschrittene Weg über den Höhenkamm mit Panoramablick auf das gedruckte
Deutsch nicht; für ergiebig, gangbar und gerade notwendig halte ich den Weg
über eine ‚Sprachgeschichte von unten‘, über die Erforschung der historischen Alltagssprache.
5. Welcher Standard?
Ich komme zur Ausgangsfrage dieses Beitrags zurück und versuche, diese mit
der Grundfrage der Tagung zu verknüpfen: Wie ließe sich die neuere Geschichte der Standardisierung des Deutschen unter Berücksichtigung des
54
55
56
Gerade der Forschungsbereich zur Sprache in den ‚neuen Medien‘, der mit Stichwörtern wie „Sprachwandel“ schnell bei der Hand ist (vgl. Weingarten 1997), zeichnet sich
durch einen weitgehenden – und fatalen –Verzicht auf sprachhistorische Reflexion aus.
Von der wissenschaftlichen Grammatikforschung eines Hermann Paul oder eines Otto
Behaghel ist hier wohlgemerkt nicht die Rede.
Man würde sich bisweilen wünschen, dass sich der Forschungszweig, der sich der Grammatik der gesprochenen Sprache widmet, stärker auf die historischen Wurzeln der heutigen Auffälligkeiten dieser Grammatik besinnen würde und sich auch die Sprachgeschichtsforschung die Erkenntnisse der Untersuchungen zur Grammatik in gesprochener Sprache zunutze machte (vgl. schon Sandig 1973). Es kann doch beispielsweise
als höchst interessantes Detail vermerkt werden, dass es offenbar zwischen der Wortbildung in einem Korpus gesprochener deutscher Gegenwartssprache mehr Gemeinsamkeiten mit der Wortbildung in einem Korpus des Frühneuhochdeutschen als mit der
in einem Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache gibt (Reichmann 2003, 43,
Anm. 11)! ‚Gesprochene-Sprache-Forschung‘ und eine ‚neue‘ Sprachgeschichtsforschung müssen vor allem dann an einem Strang ziehen, wenn man einigen im „synchronizistischen“ und „skriptizistischen“ Erbe stehenden herrschenden Grammatiken
eine andere, übergreifende Grammatiktheorie entgegensetzen will (zur Vision einer
„Großen Linguistischen Revolution“ vgl. Ágel 2003, S. 10f.).
Standardisierung des Deutschen
93
Haugen’schen Akzeptanz-Kriteriums und der „Standardvariation“ alternativ
beschreiben? Nach dem hier Ausgeführten ergeben sich zwei Möglichkeiten
zur Bestimmung von ‚Standardsprache‘ in der neueren Sprachgeschichte des
Deutschen:
– Möglichkeit A: Wenn man unter ‚Standardsprache‘ ein einheitliches sprachliches System verstehen will, das keine Variation duldet 57, dann muss man
sich von der Vorstellung verabschieden, dass wir diese seit 200 Jahren besitzen. Was für die Zeit seit Adelung vielfach als ‚Standardsprache‘ bezeichnet und beschrieben wird, ist eine konzeptionell schriftliche, hochkulturelle und bildungsschichtspezifische Varietät, deren Daten in einem
selektiven Verfahren gewonnen wurden. 58 Die Sprachwirklichkeit sah in
weiten Teilen der geschriebenen Sprache jedoch anders aus – viele Gebrauchsnormen bleiben durch die verengte Sicht auf die ‚hohe Schriftlichkeit‘ ausgeblendet. Eine von strengen Richtigkeitsnormen dominierte Autorität ‚Standardsprache‘ mag ab dem 20. Jahrhundert von der Mehrheit
der Sprachgemeinschaft anerkannt worden sein (auch wenn weiterhin nur
ein relativ kleiner Teil der Gemeinschaft diese ‚Standardsprache‘ beherrschte). Vor dem 20. Jahrhundert kann man jedenfalls in diesem Verständnis nicht von ‚Standardsprache‘ sprechen, zumal einem Großteil der
alphabetisierten Bevölkerung schon allein der Zugang zu dieser Schriftsprache fehlte.
– Möglichkeit B: Öffnet man den Standardbegriff in Richtung Variation, so
könnten althergebrachte Vorstellungen von einer länger zurückreichenden
Standardisierung des Deutschen noch gerettet werden. Danach müsste
die Standardsprache allerdings sehr viel Variation vertragen können. Es
müsste etwa zugestanden werden, dass grammatische Erscheinungen wie
die letzten neun der zwölf vorgestellten Phänomene in der jüngeren Sprachgeschichte nicht substandardlich waren, sondern gebräuchliche Varianten
der Standardsprache. Sie wären demnach nichts Besonderes, sondern etwas
Normales – so wie Abweichungen und Varianten in einem heterogenen
Sprachsystem normal sind (von Polenz 1999, S. 231f.). Das betrifft zum
einen regionale Variation – es läge somit schon für das 19. Jahrhundert ein
‚pluriareales‘ 59 Standarddeutsch vor –, und zum anderen überregionale Va57
58
59
Für Milroy/Milroy (1985, 22f.) ist dies ein wesentliches Merkmal der ‚StandardspracheIdeologie‘.
Welche Konsequenzen solche Verfahren für die linguistische Beschreibung haben, ist bei
James Milroy (1999) ausführlich nachzulesen.
Diesen Terminus übernehme ich von Norbert Richard Wolf (1994, S. 74). Gemeint ist
damit das Deutsche in seiner großregionalen Variation, das mit den üblichen Termini
‚plurinationales Deutsch‘ und ‚nationale Varietäten‘ nicht hinreichend beschrieben
sei, da diese eine weitgehende Übereinstimmung der großlandschaftlichen Standardvariation mit den Staatsgrenzen suggerierten (vgl. zur Diskussion Ammon 1998, S. 316,
v. Polenz 1999, S. 413ff. sowie Reiffenstein 2001, S. 88, der – insbesondere historisch
argumentierend – von einer „regionale[n] Plurizentrizität des Deutschen“ spricht).
94
Stephan Elspaß
riation. So könnten vorgebliche Auflösungserscheinungen des Standards
oder Tendenzen einer „Destandardisierung“ 60 in der Gegenwart vielleicht
auch anders interpretiert werden, nämlich als Fortführung genau der Entwicklungen, die schon seit mindestens 200 Jahren zu beobachten sind. Was
das aber für unsere zukünftige Sprachnormtoleranz bedeuten könnte,
braucht man kaum weiter erklären.
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60
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Standardisierung des Deutschen
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