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Die Naturalisierung des Guten

Deutsche Zeitschrift für Philosophie

1056 Jan Szaif, Die Nauralisierung des Guten Die Nat uralisierung des Gut en Von JA N SZAIF (Bonn) PMLIPPA FOOT: NATURAL GOODNESS, Oxfoid University Press, Oxfoiti 2001,125 S. PHILIPPA FOOT: MORAL DILEMMAS AND OTHER TOPICS IN MORAL PHILOSOPHY, Oxford University Press, Oxford 2002, 218 S. InutsronmligfedaNMGDB Natural Goodness (NG) liefert Philippa Foot eine monographische Darlegung der rationalitäts- und werttheoretischen Grundlagen ihrer naturalistischen Tugendethik. Nach einer ersten kritischen Auseinandersetzung in Kapitel 1 mit anti-naturalistischen und subjektivistischen Ansätzen entfalten die Kapitel 2-5 das eigentliche systematische Argument dieses Bandes. In den Kapiteln 2-3 analysiert die Autorin zunächst in Bezug auf Pflanzen und Tiere einen Typus spezies-relativer teleologischer Bewertung von Merkmalen und Verhaltensweisen, den sie als .natürliches Gutsein' bzw. .natürliche Güte' [natural goodness] bezeichnet, und versucht dann nachzuweisen, dass auch die Bewertung menschlichen Wollens und Handelns zu diesem Typus von Bewertung gehöre und dass moralische Schlechtigkeit eine Form von natürlichem Defekt sei. Die Kapitel 4-5 entwickeln eine Konzeption praktischer Rationalität, gemäß der moralische und prudentielle Gründe gleichermaßen konstitutiv sind für praktische Rationalität und moralische Wertungen für sich allein, als Elemente der praktischen Rationalität, handlungsleitend sein können. In Kapitel 6 wird der Bezug zu Fragen der Theorie des Glücks hergestellt, während das abschließende Kapitel 7 eine Auseinandersetzung mit dem Standpunkt des Immoralismus insbesondere bei Nietzsche enthält. Der Band Moral Dilemmas (MD) ist eine Sammlung von stets lehrreichen und luzide geschriebenen moralphilosophischen Aufsätzen der Autorin vor allem aus den achtziger und neunziger Jahren, zum Teil Vorarbeiten, die in der einen oder anderen Form in den Band NG eingeflossen sind, zum Teil Ausführungen zu wichtigen Sonderthemen der Ethik, die in NG nicht erörtert werden. Hervorzuheben sind hier etwa die Auseinandersetzung mit der Thematik der moralischen Dilemmata in zwei Beiträgen und die kritischen Stellungnahmen zum Utilitarismus. Die moralphilosophische Grundposition von Philippa Foot hat einige Wandlungen durchlaufen. Ich verweise hier auf die Unterscheidung von drei Phasen in ihrer Entwicklung, die von Gavin Lawrence stammt und von der Autorin selbst explizit gebilligt worden ist.1 In einer ersten Phase (unter anderem in dem einschlägigen Aufsatz Moral Beliefs von 1958/59) setzt sie noch die Leitfunktion des Eigeninteresses [self interest] voraus, das zwar nicht der einzige Handlungsgrund überhaupt sei, aber doch der einzige Handlungsgrund, der ausnahmslos für jeden Gewicht besitze, weshalb die Rechtfertigung der Rationalität der moralischen Haltung auch deren Zuträglichkeit unter dem Gesichtspunkt des Eigeninteresses verdeutlichen müsse. In der zweiten Phase versucht sie, die moralischen Nonnen als hypothetische Imperative re- 1 G. Lawrence, The Rationality of Morality, in: R. Hursthouse u. a. (Hg.), Virtues and Reasons, Oxford 1995, 89-147; vgl. Foots Stellungnahme in: Ph. Foot, Die Wirklichkeit des Guten. Moralphilosophische Aufsätze, hg. v.A. Leist u.a., Frankfurt/M. 1997, 21-23. (Dieser Band enthält übrigens auch einige der in MD abgedruckten Aufsätze in deutscher Übersetzung.) DZPhil 51 (2003) 6 1057 lativ zu faktisch vorhandenen, aber nicht selbst rational ausweisbaren moralischen Endzielen zu deuten (vor allem in dem AufsatzyvutsrponmlihgfedcaSMIHA Morality as a System of Hypothetical Imperatives von 1972). Zu der naturalistischen Konzeption der - wenn man das so sagen darf - „späten Philippa Foot" gehören hingegen die Thesen, dass die moralischen Weitungen erstens objektivierbar sind und zweitens als Handlungsgründe für sich allein handlungsleitend sein können. Sie hat diesen Ansatz zuerst in Beiträgen aus der Mitte der neunziger Jahre dargelegt (Rationality and Virtui; Does Moral Subjectivism Rest on a Mistake?), die in MD abgedruckt sind. Foot sieht in den subjektivistischen Theorien moralischer Bewertung (Emotivismus, Präskriptivismus) ein Erbe Humes. Für den Humeschen Typus einer Theorie des Wertens können Gründe allein nicht zur Bildung moralischer Urteile hinreichen, denn Letztere erfordern immer auch eine bestimmte Einstellung [attitude] oder gefühlsmäßige Disposition [feeling] einen „konativen Zustand", der nicht im Wissen um Gründe aufgeht (NG, 8). Dem entspricht eine Analyse der Semantik des wertenden Vokabulars, die diesem eine irreduzibel subjektive Bedeutungskomponente verleiht. Foots Gegenthese lautet (NG, 8 ff.), dass es keine prinzipielle Kluft zwischen dem kognitiven Zustand des Wissens um bestimmte Handlungsgründe und dem praktischen, handlungsleitenden Urteil gibt, was die Möglichkeit für eine objektivistische Theorie des wertenden Vokabulars eröffnet (These der Ableitbarkeit von Wertungen aus Tatsachenbeschreibungen). Um zu zeigen, dass auch moralische Wertungen zu den objektivierbaren Handlungsgründen gehören, beruft sie sich auf den von Anscombe geprägten Begriff der Aristotelian necessities. Etwas ist eine ,aristotelische Notwendigkeit', insofern „Gutes von ihm abhängt" (NG, 15,45 ff.). Dies wird exemplifiziert anhand der Institution des Versprechens. Die Zuträglichkeit dieser Institution für das menschliche Leben sei offensichtlich, und daraus ergeben sich, unabhängig vom Eigeninteresse des je Einzelnen, objektive und für die praktische Rationalität maßgebliche Handlungsgründe. Die Autorin kritisiert Theorien, die praktische Rationalität einseitig auf die überlegte Verfolgung von Eigeninteresse [self-interest] oder Wunschbefriedigung [desire fulfillment] reduzieren (NG 10,62 f.) - so wie sie dies selbst in ihren früheren Phasen in bestimmter Weise getan hat. Praktisch rational sind wir, wenn wir auf richtige bzw. gute Weise praktische Entscheidungen treffen, und dies schließt auch moralische Handlungsgründe ein. Dass zur Güte unseres Entscheidens und Handelns das Sich-Bestimmen-Lassen durch moralische Handlungsgründe gehört, soll allerdings nicht einfach nur postuliert, sondern auf der Basis der Analyse .natürlicher Güte' nachgewiesen werden. Die These lautet, dass die Güte des Wollens/Wählens eine Form natürlicher, auf die Lebensform der Spezies bezogene Güte sei und dass sich auf dieser Grundlage auch verdeutlichen lasse, warum Güte des Wählens Handlungsgründe moralischer Natur einschließt. Den logischen Typus von Bewertung, den die Autorin als .natürliche Güte' [natural goodness] bezeichnet, analysiert sie unter Rückgriff auf den von Michael Thomson eingeführten Begriff der Aristotelian categoricals (NG, 27 ff.). Bei diesen handelt es sich um Sätze, die die Lebensform von Exemplaren einer bestimmten natürlichen Art beschreiben (zum Beispiel „Wölfe bilden im Winter Rudel"). Sie implizieren eine natürliche Normativität, die die Grundlage der Bewertung der Eigenschaften und Verhaltensweisen von einzelnen Exemplaren einer Art liefert. Diese Sätze haben einen impliziten teleologischen Bezug, wie Foot herausstreicht (NG, 31-33), wobei es bei Pflanzen und nicht-menschlichen Tieren jeweils spezifisch um den Bezug auf Selbsterhaltung geht. Auf Grund dieses teleologischen Bezugs können die Aristotelian categoricals Normen anstelle von bloßen statistischen Nor- 1058 Jan Szaif, Die Nauralisierung des Guten malitäten beschreiben. Der sich hieraus ergebende Begriff der Gutheit oder Güte der Merkmale und Verhaltensweisen eines Exemplars erwächst allein aus der internenvutsrponmlihgfedbaB [autonomen] Teleologie der Spezies und ist zu unterscheiden von einer sekundären Form von Güte, bei der es um die Nützlichkeit für Wesen anderer Art geht (NG, 26 f.; vgl. MD, 163). Letztere Form der Güte ist untere anderem charakteristisch für Artefakte. Die Mannigfaltigkeit menschlicher Individuen und Kulturformen lässt es zunächst als sehr zweifelhaft erscheinen, dass der Bewertungstyp natürliche Güte' auf Umstände, Qualitäten und Verhaltensweisen menschlicher Individuen anwendbar ist. Durch die Negativfolie von menschlichen Zuständen des Mangels und der Entbehrung (the idea of human deprivation, NG 43) erschließen sich jedoch Gesichtspunkte allgemeinmenschlicher Bedürfnisse und Güter, die mit der Natur des Menschen und seiner spezifischen Lebensform zu tun haben. „In spite of the diversity of human goods [...] it is therefore possible that the concept of a good human life plays the same part in determining goodness of human characteristics and operations that the concept of flourishing plays in the determination of goodness in plants and animals." (NG, 44) Zu den Gütern der allgemein-menschlichen Lebensform gehören nicht nur die dem Menschen angemessene Nahrung, Bekleidung, Behausung etc., sondern auch morar lische Institutionen (NG, 51), was anhand von Anscombes Analyse der „Notwendigkeit" der Institution des Versprechens erläutert wird. Anders als bei Pflanzen und Tieren geht der teleologische Bezug der .natürlichen Güte' beim Menschen über das bloße Überleben und die Fortpflanzung hinaus und betrifft das Gut-Leben (NG, 42 f.). Auch bezieht sich die Güte, die einem Menschen als Menschen attribuiert wird, auf die Güte seines Wollens und Handelns, nicht auf sonstige körperliche oder intellektuelle Vorzüge (NG, 66). Läuft die Rechtfertigung moralischer Institutionen als .aristotelischer Notwendigkeiten' nicht auf einen utilitaristischen Standpunkt hinaus, von dem sich Foot eigentlich doch vehement distanziert? Der utilitaristische Konsequenzialismus, so Foot (NG, 47-51 ), versucht die Bewertung von Handlungen oder Handlungsdispositionen aus der Bewertung bewirkter Zustände/Sachverhalte abzuleiten. Bei Bewertungsmaßstäben .natürlicher Güte' wird dagegen nicht ein solcher allgemeiner Begriff der Güte des bewirkten Zustandes vorausgesetzt. Güte ist hier immer relativ zu der Lebensform einer Spezies. Die Merkmale oder Verhaltensweisen eines einzelnen Tigers sind nicht deshalb gut, weil durch sie ein besserer Weltzustand resultiert, sondern weil sie mit der natürlichen Normativität dieser Art und ihres Gedeihens im Einklang stehen (NG, 49). Analog dazu schlägt die Autorin die Fundierung moralischer Bewertung in den Voraussetzungen für das Gedeihen gemäß der menschlichen Lebensform vor, unabhängig davon, ob dieses Gedeihen einen besseren Weltzustand repräsentiert oder nicht. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass man innerhalb der moralischen Bewertungsdimension sehr wohl auch Utilitätsgesichtspunkte und Handlungsfolgen berücksichtigen kann, ohne dass man sich darum schon auf einen utilitaristischen Standpunkt verpflichtet hat. Für den Utilitaristen bedeutet ,gut' im moralphilosophischen Kontext: dass etwas einen Zustand bewirkt, der gut ist. In der Perspektive von Foots Ansatz wird ,gut' hingegen in der intrinsischen Normativität der artgemäßen Lebensform fundiert. Als Ergebnis hält die Autorin fest, dass das menschliche Gut auf Grund der Eigenart der menschlichen Lebensform zwar sui generis sei, dass aber die Bedeutung der Worte ,gut' und .schlecht' sich nicht unterscheide, wenn sie auf Merkmale von Pflanzen und Tieren oder auf Merkmale von Menschen angewendet werden (NG, 47). „There is no change in the meaning of .good' as it appears in .good roots' and as it appears in .good disposition of the human DZPhil 51 ( 2 0 0 3 ) 6 1059 will'." (NG, 39) Die Güte des Willens wird somit als eine Form von artgemäßer organischer Funktionalität gedeutet - wenn auch mit dem Unterschied, dass Menschen sich zum Guten utsrnmlihgecaG als Guten verhalten und darum den Spielraum freier Entscheidung haben (NG, 53 ff.). Dieser letztere Gesichtspunkt bedeutet, dass bei menschlicher Güte der praktischen Rationalität eine entscheidende Rolle zukommt. Aber deren Funktion wird wiederum im Sinne der teleologisch-naturalistischen Werttheorie gedeutet, indem Aufgabe der Rationalität die Güte des Wollens und Wählens ist, welche sich wiederum an den naturalistischen, spezies-relativen Standards des Gedeihens bemisst (MD, 173; NG, 62f.): Ein Wählen und Wollen ist dann gut, wenn es diesen Standards natürlicher Güte Genüge tut, und zu den Kriterien praktischer Rationalität gehört, inwiefern jemand durch seine überlegte Handlungswahl ein in diesem naturalistischen Sinne gutes Wählen und Wollen realisiert. Da zum individuellen und kollektiven menschlichen Gedeihen sowohl prudentielle als auch moralische Handlungsentscheidungen gehören, sind beide Entscheidungstypen gleichermaßen Elemente eines integrierten Begriffs von praktischer Rationalität und Willensgüte (NG, 17, vgl. 66-80; MD, 171). Der Kern von Foots systematischem Argument zur Rechtfertigung der Rationalität des moralischen Standpunktes lässt sich in etwa durch folgende Thesen und Konklusionen wiedergeben: (1) Es gibt eine Verwendung des Wortes ,gut', bei der es um eine spezies-immanente Wertdimension geht, die in Fakten über die Lebensform und Teleologie der jeweiligen Spezies gründet (,natürliche Güte'). (2) Auch die Rede von der Güte des Wollens bzw. der Handlungswahl entspricht der Semantik natürlicher Güte', gründet also in den Fakten über die Lebensform und Teleologie der menschlichen Spezies. (3) Zur Lebensform und Teleologie der menschlichen Spezies gehört, neben der Befähigung zur prudentiellen Selbstsorge, wesentlich auch die Herausbildung von moralischen Regeln und Institutionen. (4) Die (in [2] bezeichnete) Güte des Wollens bzw. der Handlungswahl ist die Leistung der praktischen Rationalität, das heißt der Fähigkeit, sich in angemessener Weise durch Gründe bestimmen zu lassen. (5) Eine Willensdisposition, die nicht auch moralische Regeln und Institutionen als Handlungsgründe anerkennt, ist nicht gut (auf Grund von [2] und [3]). (6) Wenn jemand moralische Regeln und Institutionen nicht als genuine Handlungsgründe anerkennt, verhält er sich nicht praktisch rational (auf Grund von [4] und [5]). These (1) bezieht sich auf einen bestimmten Bewertungstyp, den man wohl in der Tat in der Weise, wie Foot dies tut, analysieren kann, jedenfalls solange man sich dabei nur auf die subrationale Tier- und Pflanzenwelt oder auf rein funktional-organische Aspekte beim Menschen bezieht. (5) und (6) sind lediglich Konsequenzen aus den Thesen (2), (3) und (4). Der These (4) könnte wohl jede im weitesten Sinne rationalistische Ethik zustimmen, solange dabei nicht der Bezug zu dem Gütebegriff in These (2) hergestellt wird. These (3) erscheint plausibel, sofern man sich überhaupt auf eine teleologische Betrachtungsweise der menschlichen Lebensform einlässt. Sie impliziert für sich genommen noch nichts hinsichtlich der Frage der praktischen Rationalität der moralischen Haltung des Einzelnen. Die eigentlich kritischen Punkte der Argumentation liegen in der Prämisse (2) und in der Verbindung von (4) mit dem Gütebegriff von (2), der auf (1) aufbaut. Denn erst dadurch wird der naturalistische und 1060 Jan Szaif, Die Nauralisierung des Guten quasi-biologische Gütebegriff von (1) in die Analyse moralischer Wertung und die Begründung des moralischen Standpunktes „importiert". Wir haben gesehen, dass die naturalistische Bewertungsdimension, die Foot rekonstruiert, auf einen teleologischen Begriff von Artgemäßheit hinausläuft. Und es ist schlicht äußerst zweifelhaft, dass Artgemäßheit ein ausschlaggebender Gesichtspunkt für praktische Rationalität und das Kriterium für die Güte des Willens ist. Bei aller Luzidität der Argumentation, die man der Autorin ansonsten zuerkennen muss - ich sehe nicht, dass für diesen entscheidenden Teil ihrer Argumentation eine Begründung geglückt ist. Ich möchte mit einigen kurzen Anmerkungen zu Foots Naturalismus unter den StichwortenzutsponmlkihgecSEB Biologismus, Speziezismus und teleologische Ethik schließen: Der biologistische Begriff der Artgemäßheit kann gerade in Deutschland besondere Sensibilitäten wecken. Umso notwendiger ist es herauszustellen, dass die Verknüpfung von Moral und spezies-relativer Teleologie bei Foot als eine Form von humanistischer Ethik intendiert ist, die den Menschen als Menschen in den Blick nimmt und sich selbstverständlich gänzlich konträr zu ethnizistischen oder rassistischen Missbräuchen des Begriffs der Artgemäßheit versteht. Es handelt sich um eine praktisch-teleologische Konzeption des Menschseins, orientiert am Begriff menschlichen Gedeihens. Gleichwohl muss man sich fragen, ob nicht auch Gruppenbildung und aggressive Auseinandersetzungen zwischen Gruppen im Verteilungskampf um Güter natürliche Verhaltenstendenzen des Menschen sind. Aus dem Begriff artgemäßen Verhaltens kann man sicherlich ableiten, dass der uneingeschränkt instrumentelle Umgang des reinen Egoisten mit seinen Mitmenschen ein abnormes Verhalten ist. Aber ich sehe nicht, dass diese Form von Rekonstruktion des Begriffs der Willensgüte von ihrem Begründungsgehalt her prinzipiell immun ist gegen eine Position, die den aggressiven Kampf um Dominanz zwischen Gruppen als Teil der „natürlichen" Lebensform und Exzellenz von Menschen rechtfertigt. Diese Immunisierung kann nur gelingen, wenn der Begriff des menschlichen Gut-Lebens von vornherein auch genuin moralische Wertgesichtspunkte einschließt, die unabhängig sind vom Begriff der Artgemäßheit und folglich auch nicht die von Foot postulierte Art der naturalistischen Bedeutung haben. Die Spezies-Relativität der Bewertung von Verhaltensdispositionen hat als solche nicht notwendigerweise zur Konsequenz, dass die Moralität ihrem Inhalt nach auf moralische Pflichten gegenüber anderen Menschen eingeschränkt werden muss. Warum sollte nicht auch kooperatives Verhalten gegenüber anderen mit uns kommunikationsfähigen Wesen (wenn es sie gäbe) ein Aspekt der Vollendung der spezifisch menschlichen Willensgüte sein? Die Ableitung der Güte moralischer Institutionen am Beispiel des Versprechens aus dem, was gut für das menschliche Gedeihen (individuell und kollektiv) ist, hat hingegen durchaus einen speziezistischen Charakter. Und dies erscheint mir als unsachgemäß, wie gerade der Begriff des Versprechens zeigt, da diese moralische Institution von sich her nicht auf Menschen begrenzt ist, sondern prinzipiell alle Wesen einbezieht, die durch ihre sprachlichen Kommunikationsfähigkeiten und ihre Verhaltensdispositionen befähigt sind, einem anderen gegenüber ihren Willen durch sprachliche Deklarationen zu binden. Dass es faktisch so ist, dass wir bisher nur Menschen als Wesen mit solchen Fähigkeiten kennen, ist ein akzidentelles Faktum und liegt nicht im Wesen der Institution des Versprechens. Der Versuch einer teleologischen Ethikkonzeption, die die Rechtfertigung der moralischen Tugenden mit der Konzeption einer dem Menschen qua Menschen angemessenen Tätigkeitsform verbindet, ist zuerst von Aristoteles unternommen worden. In dieser Hinsicht ist 1061 DZPhil 51 (2003) 6 der Naturalismus Foots durchaus dem aristotelischen Ansatz verwandt. Für Aristoteles ist aber zugleich kennzeichnend, dass er denztsrpnlkihfedcbaUSK ethischen Begriff des Guten keineswegs einseitig aus einer Konzeption objektiver Bestheit der Charakterdispositionen und Verhaltensweisen eines Menschen gemäß der objektiven Teleologie des Menschsein ableitet. Vielmehr wird bei ihm der Begriff des Guten zugleich auch, und sogar primär, als Formalobjekt des Strebens thematisiert und damit in einer subjektiven Strebensteleologie verankert. Dies hat auch damit zu tun, dass nach aristotelischer Auffassung praktische Rationalität nicht ohne Verbindung mit bestimmten affektiven Dispositionen handlungsleitend sein kann (wobei er allerdings auch annimmt, dass praktische Rationalität auf die affektiven Dispositionen einwirken kann und sich deshalb nicht auf die bloße Mittelwahl mit Bezug auf faktische Strebensziele beschränkt). Durch die Verbindung mit dem Streben unterscheidet sich der praktische Begriff des Guten bei Aristoteles prinzipiell von dem Wertbegriff seiner teleologischen Biologie. In gewissem Sinne scheint mir Foots ethischer Objektivismus hinter die Einsicht zurückzufallen, dass objektive Standards von Wert oder Güte nicht ohne die Vermittlung mit der werterschließenden und motivierenden Funktion von Affekten, die ihrerseits ein Fundament in unseren grundlegenden Strebensdispositionen haben, für uns einen praktischen Sinn erwerben können. Lust a n der Erkenntnis Von ANDREA KERN (Potsdam) WOLFGANG WIELAND: URTEIL UND GEFÜHL. Kants Theorie der Urteilskraft, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, 403 S. Wieland bestreitet in seinem neuen Buch eine Voraussetzung, die unter den Kant-Interpreten bislang fraglos war, nämlich dass der eigentliche Gegenstand des ersten Teils von Kants Kritik der Urteilskraft die Frage nach dem Schönen ist. Nun stellt Wieland freilich nicht infrage, dass Kant dort tatsächlich eine Analyse unseres Urteils über das Schöne unternimmt, doch er behauptet, dass die Analyse dieses spezifischen Urteils nicht das ist, worum es Kant vorrangig geht: Der systematische Status dieses Urteils besteht einzig und allein darin, dass es ein „Paradigma" für die Tätigkeit der Urteilskraft überhaupt ist. Kant interessiert sich für das Schöne nicht um seiner selbst willen, sondern er untersucht es allein deswegen, weil sich an unserem Urteil über das Schöne in exemplarischer Weise etwas über die Urteilskraft ausmachen lässt. Im Urteil über das Schöne lässt sich die Tätigkeit der Urteilskraft in ,/einer und unverstellter Form studieren" (42). Wieland lässt dabei offen, wie stark er diese These verstehen will: ob er sagen will, dass ausschließlich eine Analyse des Urteils über das Schöne bestimmte Einsichten über die Tätigkeit der Urteilskraft zu Tage befördern kann, die anders nicht zu gewinnen sind; oder ob er sagen will, dass sie in der Analyse dieses Urteils besonders offensichtlich werden. Doch wie auch immer: In beiden Fällen gilt, dass das, worum es Kant nach Wieland in seinen Überlegungen zum Schönen philosophisch geht, nicht in der Erarbeitung eines Verständnisses der Bedingungen einer ganz bestimmten Klasse von Urteilen besteht, von denen Kant behauptet, ihnen hafte eine „Merkwürdigkeit" an, die den Trans-