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Archäologie unter Wasser

2019, Bayerische Archäologie

Overview of activities of the Bavarian Society for Underwaterarchaeology in context of its 35th anniversary

Herausgegeben von Roland Gschlößl in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Archäologie in Bayern e. V. Archäologie unter Wasser Mit den Mitteilungen der Gesellschaft für Archäologie in Bayern e. V. 8,90 € | Heft 1 / 2019 THEMA Ältestes Boot Bayerns: erbaut um 1124 v. Chr. 20 Eine aufwendige Bergungsaktion fand im April 2018 im Bodensee bei Wasserburg, Lkr. Lindau, statt: Das bislang älteste bekannte Wasserfahrzeug Bayerns wurde mit einem speziell gefertigten Aluminiumgerüst an die Wasseroberfläche gehievt und dann mit einem Tieflader in ein Depot der Archäologischen Staatssammlung gebracht, wo es konserviert wird. Der noch 6,87 m lange und 1,06 m breite Einbaum stellt den Rest eines einst viel größeren Wassergefährts dar. Bei sehr aufwendigen dendrochronologischen Untersuchungen konnte das Fäll- bzw. Baudatum auf den Zeitraum um 1124 ± 10 v. Chr. eingegrenzt werden. Titelthema: Eine Römerbrücke am Grund der Donau 25 Schon 1842 waren die Pfeiler einer römischen Brücke in der Donau bei Stepperg, Lkr. Neuburg-Schrobenhausen, zu sehen gewesen, konnten aber nicht näher untersucht werden. 150 Jahre später begann die Wiederentdeckung und Erforschung der Römerbrücke. Unter schwierigen Bedingungen dokumentierten die Taucher bei starker Strömung und oft schlechter Sicht 171 Pfähle und 86 als Balken angesprochene Hölzer. Das ins 2. Jh. n. Chr. datierte Bauwerk war wahrscheinlich eine Holzkasten-Brücke, bei der die einzelnen Brückenpfeiler nicht aus Stein, sondern aus mit Bruchsteinen gefüllten Bohlenkästen (Caissons) bestehen. UNESCO-Welterbe: Faszination Roseninsel 28 Im Jahr 2011 wurden die drei bayerischen Fundstätten Roseninsel, Pestenacker und Unfriedshausen zusammen mit 108 weiteren Pfahlbau- oder Feuchtbodensiedlungen rund um die Alpen zum UNESCO-Welterbe erklärt. Überreste von 6500 Jahren kontinuierlicher Besiedlungsgeschichte, einschließlich der einzigen eisenzeitlichen Seeufersiedlung im zirkumalpinen Raum, machen die Roseninsel im Starnberger See zu etwas Einzigartigem. Neben der wissenschaftlichen Erforschung steht der Schutz der vorgeschichtlichen Befunde im Flachwasser rund um die Insel durch ein Monitoring-Programm auf der Agenda. Archäologie unter Wasser Unterwasserarchäologen feiern 35-Jähriges ....................................... 14 Ursprünge des Bootsbaus ..................................................................... 17 Der bronzezeitliche Einbaum von Wasserburg im Bodensee – Bayerns ältestes Wasserfahrzeug ........................................................ 20 Vergessene Brücken unter Wasser ...................................................... 25 Die UNESCO-Welterbestätte Roseninsel im Starnberger Se .......... 28 Kempfenhausen: Leben auf der Insel ............................................. 32 Bernried: Abtauchen vor dem Kloster ............................................. 35 Moderne Methoden in der Unterwasserarchäologie .......................... 37 Bayerische Unterwasserarchäologen im Ausland ............................... 40 Das Schindelwrack im Starnberger See .............................................. 44 Bayerische Archäologie 1 / 2019 3 Archäologie unter Wasser 12 Bayerische Archäologie 1 / 2019 Unter Wasser verbergen sich ungeahnte Schätze. Unterwasserarchäologen sind diesen auf der Spur. Sie gehen auf Tauchstation und dokumentieren mit modernster Technik archäologische Funde am Grund von Seen, Flüssen oder des Meeres. Eine im Starnberger See versunkene Pfahlbausiedlung der Jungsteinzeit, die Reste einer Römerbrücke in der Donau oder untergegangene Boote. Jüngste spektakuläre Entdeckung der bayerischen Unterwasserarchäologen ist das älteste Wasserfahrzeug Bayerns, ein Einbaum aus der späten Bronzezeit, durch die Jahresringe datiert um 1124 v. Chr., der 2018 aus dem Bodensee bei Wasserburg, Lkr. Lindau, geborgen wurde. Bayerische Archäologie 1 / 2019 13 Unterwasserarchäologen feiern 35-Jähriges Die Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU) – erweiterte Aufgaben, gewandelte Tätigkeiten, neue Ziele Von Hubert Beer und Tobias Pflederer D ie Geburtsstunde der bayerischen Unterwasserarchäologie ist eng mit der Entdeckung prähistorischer Siedlungsreste 1864 auf der Roseninsel im Starnberger See verbunden. Ihre Erforschung trieb der Starnberger Landrichter Sigmund von Schab in den 1870er Jahren mit großem Enthusiasmus voran. Er war es auch, der 1873 den ersten Einsatz eines Tauchers zur archäologischen Erkundung des Flachwassers vor der Insel initiierte. Es dauerte allerdings über 100 Jahre, bis mit Gründung der »Interessengemeinschaft zur archäologischen Erforschung der bayerischen Gewässer« 1979 eine an wissenschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete archäologische Tätigkeit unter Wasser in Bayern begann. Von Anfang an arbeitete die junge Gruppe eng und vertrauensvoll mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) zusammen – eine überaus 14 Bayerische Archäologie 4 / 2018 fruchtbare und erfolgreiche Kooperation, die nun bereits 40 Jahre andauert. Um den damals noch geringen Kenntnisstand über archäologische Fundstellen in bayerischen Gewässern zu verbessern, erfolgten Anfang der 1980er Jahre vorrangig Prospektionen an neuzeitlichen Keramik- und Glasdepots. Die erste amtlich genehmigte Grabung 1984 unter Wasser in Bayern vor dem Ort Leoni im Starnberger See markierte den Beginn stratigraphischer Untersuchungen. Parallel hierzu nahmen mehrmals Taucher an Unterwassergrabungen in vorgeschichtlichen Pfahlbausiedlungen des Landesdenkmalamtes BadenWürttemberg am Bodensee zwischen 1980 und 1984 teil. Sie sammelten so wichtige grabungstechnische Erfahrungen und erhielten eine Einführung in wissenschaftliche Arbeitsweisen. 1984 gründeten die Mitglieder der Interes- sengemeinschaft die »Archäologische Tauchgruppe Bayern e.V.« und erhielten damit den Status eines eingetragenen Vereins. Die Lokalisierung jungneolithischer Siedlungsreste auf einem Höhenrücken vor Kempfenhausen im Starnberger See führte zu einer Neuausrichtung des Arbeitsschwerpunktes der Tauchgruppe im folgenden Jahrzehnt. Im Auftrag des BLfD begann eine Dokumentation der Oberflächenbefunde 1985/86 und weitere Untersuchungen bis Ende der 1990er Jahre. Sie bestätigten, dass es sich bei der Fundstelle um die bislang einzige sicher nachgewiesene Seeufersiedlung in Bayern handelt. Durch die Entdeckung eines über 13 m langen, urnenfelderzeitlichen Einbaums im westlichen Flachwasser vor der Roseninsel rückte das Eiland im Starnberger See wieder in den Fokus der Forschungstätigkeit. In den folgenden drei Jahren ermöglichten Mittel des BLfD die bisher größte Grabung unter Wasser in Bayern, die mit der spektakulären Bergung des Einbaums 1989 endete. Anschließend bis 1994 durchgeführte Oberflächenaufnahmen an erodierten Schichtresten im östlichen Flachwasser der Insel und ein Bohrprogramm vermittelten die starke Zerstörung des vor- geschichtlichen Siedlungsplatzes. Seine besondere Bedeutung unterstrichen überraschende Holzbefunde mit eisenzeitlicher Datierung, die bei Prospektionen zwischen 2005 und 2007 entdeckt wurden. Auch in fließenden Gewässern entwickelte sich in den 1990er Jahren ein weiterer Forschungsschwerpunkt. So gelang in der Donau und einem ihrer Altwässer bei Stepperg 1992 bis 1996 sowie 2007 bis 2011 die Lokalisierung und teilweise Dokumentation von sechs Pfeilern einer römischen Brückenkonstruktion. Mit Gründung der »Kommission für Unterwasserarchäologie« im Verband der Landesarchäologen 1993 begann auch eine stärkere Publikationstätigkeit des Vereins und die Durchführung von Kongressen und Symposien. In Kooperation mit der Kommission fand das 1. Süddeutsche Symposion für Unterwasserarchäologie und der internationale Kongress »Inseln in der Archäologie« statt. Eine weitere Tagung zum Thema »Brücken in der Archäologie« folgte im Jahr 2009. Um dem erweiterten Tätigkeitsfeld zu entsprechen, fand 1996 die Umbenennung in »Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e.V.« (BGfU) statt. Der über Publikationen und Veröffentlichung von Fachartikeln zunehmende Bekanntheitsgrad der unterwasserarchäologischen Unternehmungen der BGfU führte in den letzten 5–10 Jahren zu einem stetigen Anstieg der Mitgliederzahlen auf aktuell 90 Personen. Damit ist die BGfU mit ihren Vorgängerorganisationen nicht nur einer der ältesten, sondern gleichzeitig einer der größten und aktivsten Vereine in Deutschland, die sich um die Dokumentation und den Erhalt von Kulturgütern unter Wasser bemüht. In zunehmendem Maße wurden in der BGfU nun auch tauchende Studenten der Archäologie aktiv. Sie führten neue und zeitgemäße Techniken in der Forschungstaucher der BGfU bei der Vorbereitung (o.) U.: Taucher der BGfU bei Oberflächenaufnahmen vor der Südostseite der Roseninsel im Jahr 1994. Im Bild auf der li. S. o.: Taucher der BGfU bei der Dokumentation von eisenzeitlichen Konstruktionselementen vor der Roseninsel im Starnberger See im Jahr 2015. Bild li. S. u.: Unterwasserarchäologische Ausgrabung am urnenfelderzeitlichen Einbaum von der Roseninsel im Starnberger See in den 1980er Jahren. Grabungs- und Prospektionsmethodik ein und intensivierten die direkte Zusammenarbeit mit den Universitäten. Zusätzlich kann der Verein mittlerweile auf 15 ausgebildete Forschungstaucher und damit auf eine breite Basis an Erfahrung in taucherischem Können sowie in archäologischer Arbeit unter Wasser zurückgreifen. Die stärkere Anbindung an universitäre Projekte führte auch zu einem Zuwachs an internationalen Projekten. Mittlerweile sind Taucher der BGfU in Kroatien, Rumänien, Sizilien und Nordafrika aktiv. Besonders hervorzuheben ist die enge Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sowohl das Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie (Prof. Dr. Bernd Päffgen) als auch das Institut für Klassische Archäologie (Prof. Dr. Stefan Ritter) binden die Taucher der BGfU zunehmend in Projekte ein (siehe hierzu auch den Artikel »Bayerische Unterwasserarchäologen im Ausland« u. auf S. 40–43). In Rumänien ist man in die Erforschung des römischen Donau- Bayerische Archäologie 4 / 2018 15 Archäologie unter Wasser Taucher der BGfU und des Internationalen Zentrums für Unterwasserarchäologie Zadar bei der Erforschung eines römischen Wracks bei Rovinj, Istrien (li. o.). U.: Hervorragender Erhaltungszustand am römischen Wrack »Rusu« im Schwarzen Meer, Rumänien. hafens von Noviodunum sowie in die Dokumentation eines durch die BGfU entdeckten Transportschiffes der römischen Kaiserzeit im Schwarzen Meer eingebunden. Vor der Südküste der Insel Djerba in Tunesien entschlüsseln die BGfUler die antiken Schifffahrtswege und Ankerplätze der antiken Stätte Meninx. Neben der Kooperation mit Universitäten hat sich auch die Zusammenarbeit mit ausländischen, archäologischen Behörden und offiziellen Organisationen intensiviert. Auf Sizilien existiert bei der unterwasserarchäologischen Erforschung der punisch geprägten Insel Mozia eine hervorragende Zusammenarbeit mit der Soprintendenza del Mare Palermo. Eine langjährige und besonders freundschaftliche Beziehung unterhält die BGfU mit dem Internationalen Zentrum für Unterwasserarchäologie (ICUA) in Zadar, mit dem alljährlich seit 2010 diverse Kooperationsprojekte und Publikationen realisiert werden. Ab kommendem Jahr ist eine direkte Zusammenarbeit mit dem Institut Natio- 16 Bayerische Archäologie 1 / 2019 nal du Patrimoine in Tunesien geplant. Neben einer stärkeren Anbindung an universitäre Projekte und an ausländische Organisationen verbleibt der Schwerpunkt der Bemühungen in bayerischen Gewässern. Hier wurde vor allem die bewährte Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (Prof. Dr. Sebastian Sommer, Dr. Markus Gschwind, Dr. Ruth Sandner, Franz Herzig) intensiviert und ein reger Austausch zu aktuellen Projekten und Aufgaben in bayerischen Gewässern etabliert. Zudem besteht eine nahe Zusammenarbeit mit der Archäologischen Staatssammlung München und der Bayerischen Seen- und Schlösserverwaltung. Vor allem die neuen Aufgaben an der inzwischen als UNESCO-Welterbestätte geführten Roseninsel im Starnberger See führte zu einem Wandel in den unterwasserarchäologischen Tätigkeiten. Weg vom reinen Forschungsauftrag sehen sich die Taucher der BGfU vor allem mit Aufgaben des Denkmalschutzes und des Monitorings konfrontiert (siehe hierzu auch den Artikel zur Roseninsel u. auf S. 28–31). Im Auftrag des BLfD wurden im Tauchanzug auf einer Fläche von über 135.000 Quadratmetern archäologische Befunde um die Insel aufgenommen. Jährlich findet ein Ablesen von eingebrachten Erosionsmarkern statt. Und ehrenamtlich kümmert sich die BGfU um die Ausrichtung von »Welterbeinformationstagen«, um die Bevölkerung sowie Wassersportler hinsichtlich der Fragilität der Unterwas- serdenkmäler zu sensibilisieren. Zusammen mit dem Verband deutscher Sporttaucher werden alljährlich Kurse zum »denkmalgerechten Tauchen« angeboten, die den Sporttauchern den richtigen Umgang mit Kulturgütern unter Wasser vermitteln sollen. Der wissenschaftliche Austausch zu Themen aus der Unterwasserarchäologie wird auf jährlichen Tagungen des Arbeitskreises der Kommission für Unterwasserarchäologie sowie auf internationalen Kongressen vollzogen. Hinzu kommt ein direkter Kontakt mit Unterwasserarchäologen aus den Nachbarländern, beispielsweise mit dem Kuratorium Pfahlbauten in Österreich. Jährlich und mittlerweile zweisprachig (deutsch und englisch) erscheint der Jahresbericht der BGfU, der von einem vierseitigen Informationsblatt im Jahr 2000 zu einer 30-seitigen Broschüre angewachsen ist. Die Geschichte der modernen Unterwasserarchäologie in Bayern ist untrennbar mit der BGfU verbunden, die trotz zunehmender Aufgaben sich immer wieder wechselnden Tätigkeitsschwerpunkten stellte und damit bestens für die kommenden Herausforderungen als ehrenamtlicher Verein gerüstet ist. Informationen zu aktuellen Projekten und Aufgaben der BGfU finden sich unter www.bgfu.de Die Autoren: Dipl.-Ing. Hubert Beer ist Ehrenpräsident der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU). Dr. Tobias Pflederer ist 1. Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU). Ursprünge des Bootsbaus Einbäume aus bayerischen Gewässern Von Tobias Pflederer U rformen sind in der archäologischen Materialkunde nicht immer einfach zu erkennen. Und das archäologisch ungeübte Auge mag sich bisweilen schwertun, zwischen natürlichen Erzeugnissen und vom Menschen gemachten Gegenständen zu unterscheiden. Denken wir nur an die steinernen Werkzeuge, die unsere »grauen Vorfahren« vor mehreren tausend Jahren hergestellt haben. Die Unterscheidung zwischen einem durch Wind und Wetter geformten Stein und einer steinernen Klinge oder Axt kann schwierig sein. Ähnlich verhält es sich mit den Einbäumen, den aus einem Baum gefertigten Booten, wenn man ihnen zum ersten Mal – meist in einem Museum – begegnet. Oft sind sie nur noch rudimentär erhalten und durch Erosion sowie durch eine oft fehlende oder unsachgemäße Konservierung schwer als solche zu erkennen. Der Autor des Artikels erinnert sich mit einem gewissen Schmunzeln an eine archäologische Fachtagung, auf der ein junger, aufstrebender Archäolo- Einbäume Der latènezeitliche Einbaum von Kempfenhausen/Starnberger See (485–45 v. Chr.) mit zwei nach unten gebogenen Querrippen. ge einen Einbaum vorgestellt hatte und von einem älteren, erfahreneren Kollegen darauf angesprochen wurde, ob es sich bei dem Exemplar nicht doch eher um eine Viehtrog handeln könnte. Der junge Kollege konnte die Theorie des älteren widerlegen. Geneigte Bordwände, Querrippen und Spuren von Seilzügen, die die Fischernetze im Holz des Einbaums hinterlassen hatten, sprachen eine eindeutige Sprache. Dabei sind viele erhaltene Einbäume gar nicht so »ursprünglich« und »aus grauer Vorzeit«, wie wir vielleicht denken. Der letzte Einbaum des Starnberger Sees wurde gerade mal vor 100 Jahren – genauer gesagt im Jahr 1912 – einem Museum übergeben. Bootslisten aus dem 19. Jh. belegen, dass mit ihnen zu dieser Zeit über den Starnberger See und Chiemsee gefahren wurde: 1842 soll es auf dem Starnberger See noch 49 Einbäume und im Jahr 1843 auf dem Chiemsee noch 131 Stück gegeben haben. Dennoch werden sie in den nächsten Jahrzehnten von den leichter herstellbaren und damit billigeren Bretterbooten verdrängt. Bereits im Jahr 1881 zählte man auf dem Chiemsee nur noch drei Exemplare. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens war die Geschichte der Einbäume und ihre Verwendung allerdings über 3000 Jahre alt. Bereits in der Bronzezeit wurde mit ihnen auf bayerischen Gewässern übergesetzt. Das bislang älteste Exemplar wurde um das Jahr 1124 v. Chr. gefertigt und erst 2018 aus dem Bodensee mit großem technischem Aufwand geborgen. Ob es sich dabei wirklich um einen Einbaum handelt oder um ein Exemplar mit angesetzten Bordplanken, wird aktuell noch untersucht (s. Beitrag in diesem Heft auf S. 20–22). Bayerische Archäologie 1 / 2019 17 Archäologie unter Wasser Der bekannte Einbaum von der Roseninsel im Starnberger See, der in einer aufwendigen Schichtgrabung dokumentiert und 1989 gehoben und konserviert wurde, datiert exakt in das Jahr 900 v. Chr. Trotz seines ca. 200 Jahre jüngeren Alters ist er ebenfalls ein Vertreter der ausgehenden Bronzezeit (Urnenfelderzeit). Beiden Einbäumen ist gemeinsam, dass sie große Dimensionen aufweisen – ein Merkmal, das bei Exemplaren aus der Bronzezeit immer wieder anzutreffen ist. Der Wasserburger Einbaum weist eine Restlänge von fast sieben Metern auf, sein Nachbar der Roseninsel gar die doppelte Länge von 13,5 m. Manchmal werden die Vertreter aus der Bronzezeit auch als die »Lastkähne« unter den Einbäumen bezeichnet. Warum aber gerade die Bronzezeit mit solch großen Booten aufwartete, kann nur gemutmaßt werden. Eventuell spielten der neue Werkstoff Bronze sowie eine zunehmende Arbeitsteilung und damit ein größeres Handelsaufkommen eine Rolle. Auch unsere Vorfahren aus der Eisenzeit führten die Tradition des Einbaums – wenn auch mit kleineren Exemplaren – fort. Bekannte Vertreter sind der latènezeitliche Einbaum von Kempfenhausen im Starnberger See (14C-Datierung: 485–45 v. Chr.) sowie 18 Bayerische Archäologie 1 / 2019 ein weiteres, leider verschollenes Stück vom Südufer des Chiemsees (14C-Datierung: 395–210 v. Chr.). Kinder aus dem römischen Bedaium (heute Seebruck) scheinen mit Einbaum-Modellen am Chiemsee gespielt zu haben. Dies belegt ein unverkennbar als Einbaum hergestelltes Holzspielzeug, das in das 1. Jh. n. Chr. datiert. Viele weitere Exemplare des Mittelalters (z. B. von Breitbrunn im Chiemsee oder von Seeheim im Starnberger See) sowie der Neuzeit (z. B. aus Prien am Chiemsee) belegen die kontinuierliche Verwendung des Einbaums bis in das letzte Jahrhundert. Robust und langlebig: Aufwendige Herstellung eines Einbaums Was machte den Einbaum als Bootstyp aber so besonders und wozu wurde er eingesetzt? Über 80 Prozent der Einbäume sind aus Eiche gefertigt. Die Verwendung dieses robusten Rohmaterials sowie die Fertigung aus einem Werkstück (aus einem Stamm) machten sie besonders langlebig und waren »eine Anschaffung fürs Leben«. Die späteren Bretterboote waren zwar billiger und einfacher herzustellen. Dennoch mussten sie rascher repariert und häufiger Der urnenfelderzeitliche Einbaum von der Roseninsel/Starnberger See (900 v. Chr.) gilt als eines der größten Exemplare in ganz Mitteleuropa (o.). Bild li. u.: Der mittelalterliche Einbaum von Breitbrunn/Chiemsee (13011408 n. Chr.), Kiel nach oben liegend. Re. u.: Netzsenker aus dem direkten Umfeld des Einbaums von Breitbrunn belegen seine Verwendung beim Fischfang. wieder ersetzt werden. Vom Fertigungsprozess und vom Handwerk des Einbaumbauens sind uns von den Ufern bayerischer Gewässer keine Quellen überliefert. Aus Österreich im Salzkammergut, genauer gesagt vom Mondsee, existieren aber detaillierte Aufzeichnungen und vermitteln ein gutes Bild vom aufwendigen und langwierigen Herstellungsprozess: Dort wurde zunächst eine Rohform des Einbaums, der sog. »Prügel« durch einen spezialisierten Handwerker gefertigt und anschließend bis zu 60 Jahre (!) mit Steinen beschwert im Flachwasser des Sees versenkt. Dies härtete den Einbaumkörper aus und entzog ihm seine löslichen und fäulniserregenden Stoffe. Erst danach wurde er wieder gehoben und erhielt seinen Feinschliff. Die Herstellung eines Einbaums war also eine Generationenaufgabe und wurde vom Einbaumbauer an seine Nachkommen übergeben. Die Funktion von Einbäumen variierte, je nachdem ob sie auf Flüssen oder Seen eingesetzt wurden. Gerade auf den Seen waren sie ein unverzichtbares Hilfsmittel beim Fischfang. Dies belegen nicht nur zeitgenössische Darstellungen auf Bildern und Fotographien, sondern oft der archäologische Kontext, wenn sich Reste von Netzen oder Netzsenker im unmittelbaren Umfeld des gesunkenen Einbaums oder Spuren von eingezogenen Netzen im Holz der Bordwände erhalten haben. Einbäume auf Seen – wie Boote im Allgemeinen – vereinfachten auch den Transport von Mensch, Tier und Ware. Um an einem See zu vor- und frühgeschichtlicher Zeit »von A nach B« zu gelangen, war es stets einfacher, den Seeweg zu wählen, bevor man über Land und auf schlechten Pfaden einen mühsamen Transport um den See in Kauf nehmen musste. Einbäume wurden bisweilen durch eine aufgehende Bretterlage zu einer Fähre zusammengefügt. Gerade auf Flüssen war diese Machart weit verbreitet. Insbesondere im Main wurden kleinere Exemplare nur zu diesem Zweck hergestellt. Im Fachjargon werden sie als »monoxyle Schwimmkörper« tituliert. Auch auf dem Chiemsee wurden größere Fähren durch zwei parallel verbundene Einbäume und durch eine aufgesetzte Bretterplattform gezimmert. Als weitere Eigenart wurden sie dort auch in Längsrichtung zu sog. »Doppeleichen« kombiniert. Die Äbtissin des Klosters von der Fraueninsel im Chiemsee konnte gar auf einen eigenen Einbaum für ihren Transport zurückgreifen, der als »Landtschöff« bezeichnet wurde. »Urformen« des Bootsbaus bleiben die Einbäume aus bayerischen Gewässern allemal. Über viele Jahrhunderte prägte dieser Bootstyp das Erscheinungsbild von Seen und Flüssen in Bayern. Zugnetzfischer im Einbaum auf dem Starnberger See. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Museums Starnberger See. Titel: »Königl. Lustschloss Berg. Nach der Natur gezeichnet von Doppelmayer. München bey J. G. Zeller. 2.« Künstler: Friedrich Willhelm Doppelmayr. Signatur: STA-962. Bild u.: Mittelalterliche und neuzeitliche Einbäume von Prien am Chiemsee. Der untere, mehrfach instandgesetzte Einbaum stand als Modell mehrfach Pate für Bilder des Chiemseemalers Josef Wopfner. Genauere Informationen zu einzelnen Einbäumen finden sich in der »Einbaumgalerie« unter www.bgfu.de Der Autor: Dr. Tobias Pflederer ist 1. Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU). Literatur: T. Pflederer, Dokumentation neuerer Einbaumfunde in Bayern. Ber. Bayer. Bodendenkmalpfl. 50, 2009, 45–69. P. Höfling, Die Chiemsee-Fischerei. Beiträge zu ihrer Geschichte Beitr. Volkstumsforsch. 24, 1987, 27 ff. L. Kröger, Einbäume des Maingebietes – Fähren als verbindendes Element eines mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wegesystems, in: Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung (Hrsg.) Siedlungs- und Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet (SKN) 34, Rahden/Westf. 2011, 115–128. Bayerische Archäologie 1 / 2019 19 Der bronzezeitliche Einbaum von Wasserburg am Bodensee Archäologie unter Wasser Bayerns ältestes Wasserfahrzeug Von Tobias Pflederer, Heiner Schwarzberg, Egon Blumenau, Robert Angermayr und Franz Herzig E s war ein bewegender Moment. Nach über 3100 Jahren kam der Einbaum von Wasserburg am 11. April 2018 wieder an die Oberfläche des Bodensees – eingebettet in mehrere gepolsterte Tragegurte und sicher fixiert an einem speziell gefertigten Bergerahmen. Zuvor hatten ihn Forschungstaucher der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU) in 38 Tauchstunden und mit Unterstützung der Wasserwacht Lindau vom Seeboden gelöst. Dabei kamen Unterwassersauger, sog. »dredges«, zum Einsatz, die das Sediment unter dem Einbaum bis auf wenige Sedimentbrücken entfernt hatten. Freilegung, Bergung, Konservierung Dem Moment der Bergung ging eine dreijährige Dokumentations- und Pla- 20 Bayerische Archäologie 1 / 2019 nungsphase voraus, nachdem ihn der Wasserburger Christoph Schmid bereits 2015 beim Schnorcheln und mit einem archäologisch geübten Blick wiederentdeckt hatte. In den ersten Kampagnen fertigten die Taucher der BGfU neben Zeichnungen und Vermessungen auch eine 3D-Rekonstruktion aus mehreren tausend Einzelbildern an. Sie bildete die Grundlage für die weiteren Planungen und gestattete eine maßstabsgetreue, plastische Nachbildung des Einbaums in einem 3D-Drucker sowie die Entwicklung von verzerrungsfreien Aufsichtsbildern, sog. Orthofotografien. Der Einbaum ist im Bug noch vollständig erhalten und mit einem »maulartigen« Fortsatz an der Außenseite versehen. Demgegenüber ist das Heck ausgebrochen und nicht mehr vorhanden. Eine kleine (6x4 cm große), rechteckige Aussparung im Bootsboden konnte in der Mittelachse des Was- serfahrzeuges festgestellt werden. Mit einer Restlänge von 6,87 m und einer maximalen Breite von 1,06 m weist der Einbaum auch in seinem Restzustand große Dimensionen auf. Begleitende Sedimentbohrungen im unmittelbaren Umfeld zeigten, dass der Einbaum in keine Kulturschichten eingebettet war. Eine nahegelegene Siedlung der bronzezeitlichen Bootsfahrer darf aber angenommen werden. Dies lassen auch die aktuell durchgeführten taucharchäologischen Prospektionen vermuten, die zur Entdeckung mehrerer kleinerer bearbeiteter Hölzer in der näheren Umgebung führten. Aus welcher Zeit die Hölzer stammen und ob sie evtl. zu einer bronzezeitlichen Seeuferrandsiedlung in der Nähe gehörten, wird aktuell noch untersucht. Parallel zu den Freilegungsarbeiten unter Wasser begann die technische Vorbereitung der Hebung durch die Ar- Einbaum von Wasserburg Bild auf der li. S.: Der bronzezeitliche Einbaum von Wasserburg, Bodensee in Originallage am Seegrund. Sichtbar ist der erhaltene Bug mit seinem »maulartigen« Fortsatz. Re.: Forschungstaucher im Heckbereich des Einbaums. Zu erkennen ist die kleine rechteckige Aussparung in der Mittelachse des Wasserfahrzeugs. U.: Orthofotografie und 3D-Rekonstruktion des Einbaums, zusammengesetzt aus mehreren tausend Einzelbildern. chäologische Staatssammlung München (ASM). Die schiere Größe und Fragilität des Einbaums stellten das Team dabei vor besondere Herausforderungen. Daher entschloss man sich, auf ein Aluminium-Vierpunkttraversensystem zurückzugreifen. Mit Hilfe dieses Gerüstes wurde verhindert, dass der bereits diagonal eingerissene Einbaum beim Anheben weiteren Schaden nahm. Das etwa 6 m lange, 2,50 m breite und 1,50 m hohe Gestell wurde durch ein Flachbodenschiff des Wasserwirtschaftsamts Kempten an die Fundstelle transportiert und per Kran über dem Einbaum abgelassen. Das freipräparierte Wrack wurde anschließend auf seiner gesamten Länge mit verstellbaren, gepolsterten Spanngurten eingehängt. Nach einem ersten vorsichtigen Anheben und Lösen vom Seeboden konnte nachjustiert werden, um unnötige Verwindungen des wertvollen Fundstücks zu vermeiden. Das gesamte Bergungsteam war erleichtert, als sich der bronzezeitliche Einbaum erstmals nach über drei Jahrtausenden langsam über die Wasseroberfläche erhob und unbeschadet in den Hafen von Lindau-Zech verbracht werden konnte. Hier wurde das Bergegestell mit seinem kostbaren Inhalt in eine speziell für die Konservierung vorgefertigte fahrbare Wanne abgesenkt, der Einbaum vom Gestell gelöst und mit einem Tieflader in ein Depot der ASM im Münchner Umland gebracht. Um Rissbildungen während des Transports zu vermeiden, wurde das Wrack mit Luftkissen und Gurten gesichert und kontinuierlich befeuchtet. Auch wenn das vorgeschichtliche Wasserfahrzeug auf den ersten Blick gut erhalten wirkte, war nun ein schnelles Eingreifen nötig. Nur das Wasser in den Zellen des Holzes bot nach den Jahrtausenden im See Stabilität und bewahrte das Erscheinungsbild. Da sich Zellulose und Lignin bereits stark abgebaut hatten, hätte ein Austrocknen zu großen Schäden bis hin zum vollständigen Kollabieren führen können. In einem ersten Schritt wurde der Einbaum regelmäßig frisch gewässert und vorsichtig von allen Seiten von Sediment, Algen und Muscheln befreit. Die Konservierung wird in den kommenden drei Jahren in einem mehrstufigen Polyethylenglykol (PEG)-Verfahren erfolgen. Glykole sind Alkohole, die stufen- Bayerische Archäologie 1 / 2019 21 Archäologie unter Wasser Forschungstaucher der BGfU befestigen die Tragegurte am Bergegestell (li. o.). Bild u.: Bergung des Einbaums am 11. April 2018 mittels eines speziell gefertigten Aluminiumgerüstes. weise das Wasser verdrängen, aushärten und somit den instabilen Zellen dauerhafte Haltbarkeit gewähren. Nach Abschluss dieser Maßnahmen wird der Einbaum durch kontrolliertes Abdampfen des Restwassergehaltes in einen ausstellungsfähigen Zustand gebracht. Das momentan älteste Wasserfahrzeug Bayerns soll nach Abschluss der aufwändigen Konservierung in einem angemessenen Rahmen der Öffentlichkeit präsentiert werden. 22 Bayerische Archäologie 1 / 2019 Dendrometrie, Dendrochronologie und Technomorphologie Nach der Bergung und während der weiteren Begutachtungen des Einbaums im November 2018 zeichnete sich ab, dass der Bootskörper ursprünglich viel größer gewesen sein musste. Das Holz war im Lauf der vergangenen Jahrtausende durch anaerobe Bakterien zu Nassholz abgebaut worden und der Ero- sion ausgesetzt. Laut dem Finder lag der Einbaum schon vor 30 Jahren frei. Die Substanz besteht im Inneren aus hartem Kernholz und außen aus einer 3 cm tief reichenden, weichen Schicht Nassholz, welche durch Erosion rasch abgetragen wurde. Der Einbaum gelangte wohl an seine jetzige Position, als aufgrund eines wesentlich niedrigeren spätbronzezeitlichen Seespiegels das Ufer im Bereich der Fundstelle verlief. Heck und Steuerbordseite kamen dabei höher zum Liegen und waren wahrscheinlich bereits zu Beginn Holzabbau- und Erosionsprozessen ausgesetzt. Die tiefer liegenden Partien gerieten schon damals in konservierendes Milieu. Nach dem Anstieg des Seespiegels wurde der noch erhaltene Rest durch Sedimente überdeckt. Erst in jüngster Zeit scheint es infolge von Veränderungen im Bereich der Eschbachbucht zu stärkerer Erosi- Einbaum von Wasserburg on gekommen zu sein, die zur erneuten Freilegung des Bootskörpers führte. Ihrer geneigten Lage entsprechend waren Heck und Steuerbordseite stärker reduziert worden. Nur an der Backbordseite, zum Bug hin, sind abknickende Teile der Bootswand und ein Streifen nicht erodierten Bodens erhalten. Auch der kanuartig auslaufende Bug mit seiner Aussparung war der Erosion ausgesetzt. Nur auf der Unterseite des Einbaums sind noch originale Bearbeitungsspuren erhalten, auf der Backbordseite sogar noch Reste des weichen Splints. Das Mark lag noch mindestens 20 cm höher als der höchste bugseitige Punkt. Da Splint und Steuerbordseite sowie Dollbord fehlen, müssen für den Durchmesser noch mehr als 14 cm zu der Breite von 106 cm hinzugerechnet werden, denn der markfernste, erhaltene Splint liegt etwa 60 cm von diesem entfernt. Die tatsächliche Einbaumlänge ist unbekannt. Bei freistehenden Eichen darf man bei 120 cm Durchmesser eine Schaftlänge von 10 bis 15 Metern voraussetzen, Richtung Heck bzw. zur Reinigung und Konservierung des Einbaums (o.). Grafik u.: Größenverhältnisse zwischen geborgenem Einbaumtorso (dunkel) und hypothetischer Annahme (hellbraun). Bayerische Archäologie 1 / 2019 23 Archäologie unter Wasser Li.: Dendrochronologisch gemessene Radien des Einbaums. U.: Spätbronzezeitliche Fundstellen am Bodensee. tragen haben. Die zur Absicherung der Datierung von vier Jahrringen entnommenen 14C-Proben bestätigten die Datierung (durchgeführt am CEZ Archäometrie gGmbH Mannheim, Dr. Ronny Friedrich). Der Einbaum wurde demnach schon 50 Jahre vor den bislang bekannten frühesten urnenfelderzeitlichen Seeufersiedlungen des Bodenseegebiets genutzt. Mit Spannung darf erwartet werden, ob die zukünftigen taucharchäologischen Untersuchungen im Umfeld des Einbaums Hinweise auf zeitgleiche Siedlungsstrukturen liefern. Stammbasis kann der Durchmesser 130 cm betragen haben. Wenn, wie bei solchen Einbäumen üblich, die Stammhälfte verwendet wurde, lässt sich bei 130 cm Durchmesser die Höhe der Bordwand abzüglich des zur Glättung des Bodens entfernten Schwartensegments noch auf 40 bis 50 cm abschätzen. Die selbst im Heckbereich noch vorhandenen, teilweise recht starken Äste, welche wahrscheinlich schon zu Zeiten der Nutzung zu Rissbildungen führten, weisen darauf hin, dass ein freistehender, rasch gewachsener Baum verwendet wurde. Die dendrochronologische Messung des Einbaums war die aufwendigste je- 24 Bayerische Archäologie 1 / 2019 mals an einem einzelnen Objekt durchgeführte Untersuchung im Dendrolabor des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege. Für die Bildung und Datierung der 143jährigen Serie auf das Jahr 1137 v. Chr. war die Messung von 36 Radien erforderlich. Erst mit Erfassung von Splintjahresringen durch die zuletzt entnommenen Proben konnte das Fällbzw. Baudatum auf den Zeitraum um 1124 ± 10 v. Chr. eingegrenzt werden. Die gemessenen Radien kamen vorwiegend aus dem Bugbereich. Das tatsächliche Baumalter dürfte einschließlich der fehlenden Jahrringe aus Splint und Heckbereich mindestens 200 Jahre be- Die Autoren: Dr. Tobias Pflederer (1. Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V.) Dr. Heiner Schwarzberg (Leiter der Abteilung Vorgeschichte der Archäologischen Staatssammlung) Egon Blumenau (Leiter der Restaurierungsabteilung der Archäologischen Staatssammlung) Robert Angermayr ist erfahrener Tauchlehrer, Mitglied der BGfU und zuständig für die 3D-Visualisierung des Einbaums von Wasserburg. Franz Herzig (Leiter des Dendrolabors Thierhaupten des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege) Forschungstaucher über dem jungneolithischen Siedlungsrücken, ca. 4,5 m unter dem heutigen Wasserspiegel. Im Vordergrund drei identisch nach Nordost verkippte Pfähle (li.). U.: Das bislang älteste Holz der Siedlung (F42L1) mit einem Fälldatum zwischen 3746 und 3737 v. Chr. Das 109jährige Eichenbalkenfragment weist noch die Schlagspuren des verwendeten Steinbeils auf. Leben auf der Insel Die jungsteinzeitliche Pfahlstation von Kempfenhausen im Starnberger See Von Tobias Pflederer I rgendwann vor etwa 5700 Jahren standen sie in weithin unberührter Wildnis am Ostufer des Starnberger Sees und blickten auf die kleine, trockengefallene Insel vor sich. Mit dem technischen Know-how »im Gepäck« entschloss sich die kleine Menschengruppe, hier ihre Pfahlbausiedlung zu errichten. Mit Steinbeilen spalteten sie die bis zu 200 Jahre alten Eichen und Eschen und verwendeten sie als Baumaterial. Gebrauchsgegenstände aus Keramik wurden getöpfert und verziert, aber auch Silex-Pfeilspitzen und Beile aus Stein wurden hergestellt. Besonders kostbar müssen ihnen die Utensilien aus Kupfer gewesen sein – ein Werkstoff, der für die Menschen der damaligen Zeit noch nicht lange zur Verfügung stand und ihnen die Tür zu einer neuen Epoche öffnete. Lange war die Grup- 32 Bayerische Archäologie 1 / 2019 pe der kleinen jungsteinzeitlichen Inselsiedlung nicht vor Ort. Bereits nach wenigen Jahren wird die Pfahlstation wieder aufgegeben. Die Pfähle verkippen durch Einflüsse von Wind, Wetter und Eis. Und mit einem zunehmenden Anstieg des Seespiegels gerät die Siedlung auf der Insel unter Wasser und in Vergessenheit. Erst in den 1980er Jahren wurde die Siedlung durch Taucher wiederentdeckt. Auf einer ca. 150 m langen und 50 m breiten Untiefe vor dem Ostufer des Starnberger Sees wurden in mehreren Einzelkampagnen große Teile der alten Siedlungsfläche untersucht. Messfahrten mit einem Sedimentsonar lieferten Kempfenhausen weitere Argumente für eine echte Insellage, nachdem sich zwischen dem Siedlungsrücken und dem Festland im Osten abnehmende Echostärken des analysierten Sedimentes und damit Hinweise auf eine echte Unterbrechung zwischen dem Inselkörper und dem nahen Ufer ergaben. Leider hatten sich durch eine starke Unterwasserströmung und Erosion kaum Kulturschichten der einstigen jungneolithischen Pfahlstation erhalten. Lediglich die Pfahlspitzen sowie das schwerere Fundmaterial (wie Keramik oder Steinwerkzeuge) waren auf dem ehemaligen Inselrücken zurückgeblieben. Der hohe Zerstörungsgrad und der damit anzunehmende Verlust von Pfählen mag auch ein Grund dafür sein, weshalb sich im Pfahlplan bislang keine Hausgrundrisse rekonstruieren ließen. Die Entdeckung eines charakteristischen Konstruktionselementes deutet darauf hin, dass die Siedlung als echter »Stelzbau« errichtet worden sein könnte, bei dem weniger in den Untergrund getriebene Pfähle notwendig waren. Als Baumaterial wurden nahezu ausschließlich im dichten Bestand gealterte Eichen und Eschen verwendet und fast vorwiegend als Spalthölzer verbaut. Die Eichen waren zum Zeitpunkt ihrer Fällung um die 200 Jahre, die Eschen 100 Jahre alt. Als weitere Baumaterialien sind Buchen, Ahorn, Pappel und Weide belegt. Die im dendroarchäologischen Labor Thierhaupten (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege) jahrgenau ermittelten Fälldaten weisen einen Schwerpunkt um das Jahr 3720 v. Chr. auf (meist Randscherbe mit dreifachem Stichzierband und Sonnensymbol (o.). U.: Nordprofil der Sondagegrabung vor dem Ostufer des ehemaligen Inselrückens (Befunde: 0 = Oberflächenschlick, 1 = Sterile Seekreide, 2 = Kulturschicht, 3 = Sterile Seekreide, 4 = Gebänderte Seekreide, 5 = Glazialer Ton und mineralische Ablagerungen). zwischen 3721 v. Chr. und 3719 v. Chr.). Durch zwei Hölzer wird eine maximale Zeitspanne zwischen 3718 v. Chr. und 3746 v. Chr. abgedeckt. Gerade im Südteil der Siedlungsfläche scheinen einige der Holzbauten synchron eingestürzt zu sein. Dies legen identische Kipprichtungen eines Großteils der dort erfassten Pfähle in Richtung Nordost nahe. In Übereinstimmung mit der kurzen und wohl einphasigen Bautätigkeit konnte am Ostufer des ehemaligen Inselrückens in einer kleinen Sondage eine ebenfalls nur dünn ausgeprägte Kulturschicht dokumentiert werden, die mit der jungneolithischen Siedlungstätigkeit in Verbindung zu bringen ist. Die Stratigraphie gibt einen spannenden Einblick in die Geschichte des Höhenrückens. Dieser befand sich offenbar lange Zeit unter Wasser – abzulesen am natürlich abgelagerten Seesediment, der Seekreide – bevor er trockenfiel und als Untergrund für die jungneolithische Pfahlstation diente. Zuunterst sind in der Kulturschicht Rinden, Äste und Laubreste anzutreffen, die auf den Beginn der Siedlungstätigkeit hinweisen. Danach haben sich Holzkohlereste, Keramikfragmente sowie unterschiedlich ausgerichtete und z. T. massive Bauhölzer, aber auch dünne stangenartige Äste abgelagert. Nachdem die Kulturschicht mit Seesedimenten vermengt ist, dürfte sie am ehesten einen Zerstörungshorizont darstellen, der sich nach Auflassen der Pfahlstation entwickelt hat. Denkbar ist aber auch, dass ein zunehmender Seespiegelanstieg zu einem Verlassen der Siedlung geführt hat, denn unmittelbar über der Kulturschicht schließt sich wieder eine sterile Seekreidestrate an, die eine erneute Überschwemmung des Inselrückens und einen Anstieg des Seespiegels anzeigt. Heutzutage befindet sich die ehemalige Siedlungsstelle mehr als 4,5 m unter dem Wasserspiegel. Einen Einblick in die wirtschaftlichen und kulturgeografischen Beziehungsgeflechte geben die fast 400 dokumentierten Einzelfunde. Besonders auffällig sind dabei die Verzierungen an einigen Keramikfragmenten. Konzentrische Kreiselemente sowie Sonnensymbole weisen überdeutlich auf Einflüsse der Mondsee-Gruppe im heutigen Salzkammergut hin. Demgegenüber lassen sich Machart, Farbe und Magerung der Keramik sowie die Scherben mit Punktzier gut in Richtung der Pfyn-Altheimer Gruppe Oberschwabens bzw. in das Bayerische Archäologie 1 / 2019 33 Archäologie unter Wasser Triangulärer Kupfernietdolch aus Kempfenhausen vom Typ Cucuteni. Die Aufnahmen mittels Reflectance Transformation Imaging (RTI) lassen den Mittelgrat sowie Schleifspuren an der Schneide besser erkennen ebenso wie die Nietlocher im Detail (li.). U.: Hypothetische Rekonstruktionszeichnung der jungneolithischen Pfahlstation von Kempfenhausen im Starnberger See (Zeichnung: R. MeyerOhlenhof). Rheintal einordnen. Ähnliche kulturgeografische Einflüsse lassen sich an den Kupferfunden ablesen, die mit einem Flachbeil, einer Ahle und einem triangulären Dolch vertreten sind. Metallurgische Untersuchungen an den beiden ersten Funden ergaben ein relativ reines und nur mit Arsen angereichertes Kupfer, das auf eine Herkunft aus der nordostalpinen Mondseegruppe hindeutet. Der trianguläre Nietdolch, der dem Typ Cucuteni zuzuordnen ist, findet wiederum Vergleichsbeispiele im westlich benachbarten Oberschwaben (Siedlung Reute-Schorrenried), also erneut im Pfyner Hauptverbreitungsgebiet. Dennoch lässt sich der Großteil der Keramikformen auch in das Formengut der Altheimer Kultur einordnen, deren Hauptverbreitungsgebiet deutlich näher liegt. So sind die altheimerzeitlichen Talrandsiedlungen von Pestenacker und Unfriedshausen gerademal 35 km entfernt. Wer waren also die Siedler? Woher kamen sie? Und was bewog sie, hier inmitten unberührter Landschaft auf einer ufernahen Insel im See ihre kleine Siedlung aufzuschlagen? Berücksichtigt man die überproportional im Fundgut vertretenen Metallfunde sowie die Ergebnisse zu den Einzelfunden, muss zumindest die Hypothese aufgestellt werden, dass die jungneolithischen Siedler in den Handel von »Mondseekupfer« und deren Gegenständen entlang des Alpenhauptkammes eingebunden waren. Auch die Auswahl des Siedlungs- 34 Bayerische Archäologie 1 / 2019 platzes auf einer Insel anstelle auf den besser zugänglichen Seekreidebänken am Ufer deutet auf ein gewisses Schutzbedürfnis und eine Sicherung der Wertgegenstände (des Kupfers?) hin. Die Interpretation als mögliche »Handelsniederlassung« wird zudem durch das Fehlen von größeren Vorratsgefäßen im Fundgut sowie durch fehlende Hinweise auf agrarische Tätigkeiten bestärkt. Eine abschließende Bewertung lässt sich aufgrund des Forschungsstandes allerdings nicht geben. Die unterwasserarchäologischen Untersuchungen in der bislang einzig echten Pfahlbausiedlung in bayerischen Gewässern sind seit 2013 unterbrochen. Der starke Zerstörungsgrad sowie wichtigere Aufgaben, beispielsweise die Monitoring-Aufgaben an der Roseninsel, haben zu einer Verlagerung der unterwasserarchäologischen Tätigkeitsschwerpunkte geführt. Ein Potential für weitere spannende Erkenntnisse und für eine Entschlüsselung kulturgeografi- scher Beziehungen verbleibt in der jungneolithischen Pfahlstation von Kempfenhausen aber allemal. Der Autor: Dr. Tobias Pflederer ist 1. Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU). Literatur: T. Pflederer/M. Mainberger/H. Beer, Außenposten am Rand der Alpen: Die jungneolithische Seeufersiedlung Berg-Kempfenhausen. Ber. Bayer. Bodendenkmalpfl. 50, 2009, 125–136. H. Beer/M. Mainberger/T. Pflederer, Die Pfahlbaustation bei Kempfenhausen im Starnberger See. In: Inseln in der Archäologie. Vorgeschichte, Klassische Archäologie, Mittelalter, Neuzeit. Internat. Kongress Starnberg 10–12. Juli 1998. Archäologie unter Wasser 3 (München 2000) 53–62. H. Beer/M. Mainberger, Tauchuntersuchungen in der jungneolithischen Seeufersiedlung bei Kempfenhausen im Starnberger See – Vorbericht über die Sondagen 1985, 1986 und 1997. Ber. Bayer. Bodendenkmalpfl. 38, 1997, 7–36. Archäologie unter Wasser Bayerische Unterwasserarchäologen im Ausland Von Max Fiederling, Detlef Peukert und Tobias Pflederer S eit 2010 unterhält die Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU) enge Kontakte mit dem Internationalen Zentrum für Unterwasserarchäologie (ICUA) in Zadar, Kroatien. Neben der Erforschung des römischen Hafens von Veštar in einer Bucht südlich von Rovinj widmeten sich die Taucher der BGfU in den letzten Jahren auch der Erforschung von 40 Bayerische Archäologie 1 / 2019 römischen Wracks. Eine zunehmende Anbindung an Projekte der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie eine Kooperation mit der Soprintendenza del Mare, Palermo eröffneten weitere internationale Tätigkeitsfelder in Rumänien, Sizilien und Nordafrika. Beispielhaft sollen einige der Projekte vorgestellt werden. Spätrömisches Handelsschiff vor der Insel Veliki Piruzi an der istrischen Küste, Kroatien Die Mitglieder der BGfU pflegen langjährige Beziehungen und Freundschaften mit ihren kroatischen Kollegen vom internationalen Zentrum für Unterwasserarchäologie in Zadar (ICUA). Mehrere Kooperationsprojekte entsprangen bereits dieser fruchtbaren Zusammenarbeit. Nach Abschluss der Erforschung der Bucht von Veštar im Jahr 2013, bei dem mehrere römische Molenanalagen identifiziert und untersucht werden konnten, fokussierte man sich auf ein neues Projekt. Seit 2014 wurde damit begonnen, die vor der Küste der Stadt Rovinj befindlichen antiken Wracks in einem übergeordneten Projekt namens »Schiffswracks von Rovinj« zu untersuchen. An einem ersten ausgewählten Fundplatz, welcher an der Südwestküste der kleinen Insel Veliki Piruzi zu verorten ist, waren seit den späten 1960er Jahren mehrere archäologische Funde gemacht worden. 2011 gelang durch einen Surveytauchgang der ICUA eine erste Einschätzung der Fundstelle. Vor diesem Hintergrund erforschte ein Kooperationsteam der BGfU und der ICUA jährlich von 2014 bis 2017 den Fundplatz. Er erwies sich als Überrest eines havarierten Handelsschiffes, dessen Objekte verstreut und z. T. in meterdicken Schuttschichten in einer Bucht an der Insel und in einer Wassertiefe von bis zu acht Metern anzutreffen waren. Das Areal wurde mittels Offset-Messtechnik vermessen, ein Grabungsrahmensystem konstruiert und installiert. Weiterhin wurden von allen Grabungsflächen 3-D-Modelle angefertigt, um genauere Pläne erstellen zu können. Eine Sidescan-Aufnahme erlaubte weitere Erkenntnisse und die Identifikation der inselnahen Untiefen, die in der Antike für das Schiff zum Verhängnis geworden waren. In den letzten Archäologie unter Wasser Jahren wurde die gesamte Fläche quadrantenweise ergraben und fast 400 kg archäologisches Material geborgen. Nach Auswertung der Funde, aller erhobenen Daten und der Ergebnisse einiger naturwissenschaftlicher Analysen konnte im Rahmen einer Masterarbeit ein detailliertes Bild des Befundes erstellt werden. Die Detailstudie des Wracks wird im Rahmen einer Monographie in der Reihe der ICUA voraussichtlich 2019 erscheinen. Zusammengefasst ließ sich feststellen, dass das Schiff in der ersten Hälfte des 5. Jhs. n. Chr. von der heute tunesischen Küste aus in See stach und mit vermutlichen Zwischenstopps auf der Insel Pantelleria sowie an der Küste des heutigen Kalabrien und Albanien nach Norden entlang der adriatischen Ostküste segelte. Als Zielhafen – den es nie erreichte – kommen neben dem antiken Vistrum im Bereich der heutigen Bucht von Veštar vor allem jene großen und bedeutenden antiken Städte in Frage, welche im Norden der Adria zu verorten sind, wie z. B. Aquileia, Parentium oder Tergeste. Das Schiff hatte vor allem nordafrikanische Amphoren an Bord, die der Eigentümer mit anderen Typen aus dem ägäischen Raum sowie der Levante mischte, um einen besseren Absatz erzielen zu können. Gefüllt waren diese vor allem mit Wein und Olivenöl, wobei auch Krustentiere und getrocknete Früchte als Ladung in Frage kommen. Viele Kleinfunde, wie ein Handlot aus Blei zur Messung der Wassertiefe, Netzsenker eines Handnetzes oder Kochgeschirr der Schiffsbesatzung aus dem ägäischen und nordafrikanischen Raum halfen dabei, die Geschichte des Schiffes, seiner Besatzung und seiner letzten Fahrt rekonstruieren zu können, bevor es in einem Sturm auf die Felsen an der Küste der Insel gedrückt wurde und versank. Taucharchäologie um die punische Inselsiedlung Mozia, Sizilien Seit 2016 untersuchen Taucher der BGfU die Gewässer um die Insel Mozia in enger Zusammenarbeit mit den sizilianischen Kollegen der Soprintendenza del Mare und der Fondazione Giuseppe Whitaker. Die in der Stagnone-Lagune gelegene Insel im Westen Siziliens war von ca. 800 bis 750 v. Chr. bis zu ihrer Zerstörung durch Dionysios I. von Syrakus im Jahr 397 v. Chr. wichtigste Kolonie punischer Kauffahrer zwischen Karthago und Sizilien. Die Stadt war schwer zugänglich und leicht zu verteidigen. Stürme wurden an den Untiefen vor den äußeren Laguneninseln zum Schicksal vieler Schiffe, wovon diverse Wracks ein Abtrag der meterdicken Schuttschicht mit Fundmaterial im Grabungsareal des römischen Schiffwracks vor Veliki Piruzi, Kroatien (re. o.) Bild auf der li. S.: Bergung eines größeren Amphorenfragmentes vom Typ Spatheion vor Veliki Piruzi, Kroatien während der Grabung 2017. Bild u.: Bestimmung der geborgenen Keramikfragmente, Insel Mozia, Sizilien eindrucksvolles Zeugnis ablegen. Neben untergegangenen Schiffen aus punischer Zeit bezeugt dies auch das IsolaLunga-Wrack, ein Salztransporter (schifazzo), an dem die BGfU ein komplexes Wirkgefüge von Prozessen aufzeigen konnte, die den Erhalt bzw. Zerstörung von Wracks beeinflussen. Aufgrund globaler Erwärmung stirbt schützendes Seegras ab. Wellen am Strand ermöglichen regelhaft die Freilegung von Schiffsspanten, die durch verschiedene Arten und den Schiffsbohrwurm Teredo navalis besiedelt werden. Zuerst freigelegte äußere Teile der Spanten sind durch dessen Wohnröhren geschwächt und brechen durch Wellenschlag ab. In der gleichen Länge werden durch Strömung und Verwirbelung noch bedeckte Spantenabschnitte erneut freigelegt. Algen- und Tiergesell- Bayerische Archäologie 1 / 2019 41 Archäologie unter Wasser Spanten des Isola-Lunga-Wracks mit Sukzessionsstadien des Aufwuchses, Marsala, Sizilien. schaften besiedeln diese zeitlich versetzt und sind als Zonierung verschiedener Sukzessionsstadien zu beobachten. Die Kenntnis dieser Wirkmechanismen kann bei archäologisch wertvolleren Wracks sowohl zum Kulturgutschutz als auch zum Naturschutz von Seegraswiesen eingesetzt werden. Zu punischer Zeit war die Nordseite der Insel Mozia mit dem sizilianischen Festland durch eine 1,7 km lange und nur wenige Zentimeter unter dem Wasserniveau verlaufende Straße verbunden. Es konnte gezeigt werden, dass nach deren Bau eine ca. 120-fache Zunahme der Sedimentationsrate auf Mozias Ostseite stattfand. Offensichtlich brachte der Straßendamm die Strömung in der Lagune fast vollständig zum Erliegen. Als Folge versandete diese Seite. Ein vermutlich von den Phöniziern errichteter Anleger, der in diesem Bereich untersucht wurde, war ebenfalls davon betroffen und führte letztlich zu dessen Aufgabe. Am modernen Anleger auf der Ostseite der Insel verursachten Fährschiffe ei- 42 Bayerische Archäologie 1 / 2019 nen Sedimentabtrag, der fast 24 kg an Keramik, Amphoren-, Dolia-Fragmente und Pantelleria-Ware freigab. Es handelt sich um Fragmente punischer, aber auch spätrömischer Datierung mit z.T. nordafrikanischer Provenienz. Ein 5,5 kg schweres Fragment eines römischen Bleiankers, die z. T. noch mit Seilresten versehenen Amphoren und Dolia-Fragmente weisen auf einen weiteren bislang unbekannten Ankerplatz hin, welcher evtl. bis in spätrömische Zeit genutzt wurde. Auf der Suche nach dem Hafen der antiken Stätte Meninx, Insel Djerba, Tunesien Seit 2015 und mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersucht das Institut für Klassische Archäologie der LMU München (Prof. Dr. Ritter) in Zusammenarbeit mit dem Institut National du Patrimoine de Tunisie (Dr. habil. Ben Tahar) die antike Stadt Meninx an der Südküste der Insel Djerba. Ihre wirtschaftliche Bedeutung verdankte Meninx vor allem der Purpur-Gewinnung, die sie zu einem der wichtigsten Zentren in diesem Wirtschaftszweig aufsteigen ließ und zu einer Blütezeit im 2. und 3. Jh. n. Chr. führte. In den Jahren 2017 und 2018 wurden Unterwasserarchäologen der BGfU dazu eingeladen, die Hafensituation sowie die antiken Schifffahrtswege der antiken Stätte zu entschlüsseln. Die verkehrsgeographische Lage der Stätte wird dabei bereits auf dem Satellitenbild deutlich. An der Südküste Djerbas gelegen befindet sie sich vor Wind und Wellenschlag geschützt an einer lagunenartigen Gewässerfläche, die vom Mittelmeer im Osten durch breitere Sandbänke abgetrennt ist. Die Lagune kann über zwei größere Unterwasserkanäle mit ausreichend Tiefgang erreicht werden, von denen der größere im Norden einen Seitenkanal direkt vor die antike Stätte in uferparalleler Ausrichtung führt. Sidescan-Sonarfahrten sowie gezielte Tauchprospektionen bestätigten die bereits vermutete Nutzung des »kleinen«, uferparallel ausgerichteten Unterwasserkanals als antike Schifffahrtsstraße. Mit einer Breite von bis zu 50 m und einer Tiefe von bis zu 6 m konnten Schiffe die natürlichen Gezeiten zur Ein- und Ausfahrt in die Lagune direkt vor die antike Stadt Meninx nutzen. Reichlich Verlustmaterial an den durch Erosion freigelegten Stellen belegen eine Nutzung des Kanals von punischer bis in frühmittelalterliche Zeit. Auf Höhe des macellum (Markt) und der horrea (Lagerhäuser) gelang zudem die Entdeckung eines kaiserzeitlichen Schiffsanlegers. Die begleitenden Sedimentbohrungen zeigen an, dass dieser nur Auslandsprojekte Bathymetrische Karte des Flachwasserareals vor der antiken Stätte Meninx, Tunesien (li. o.). Re. o.: Dreidimensionale Rekonstruktion der Dokumentationsfläche im kleinen Unterwasserkanal vor der antiken Stätte Meninx, Tunesien. Funde von punischer bis in frühmittelalterlicher Zeit belegen die jahrhundertelange Nutzung dieser Schifffahrtsstraße. Bild li. u.: Unterwasserarchäologische Arbeiten im kleinen Unterwasserkanal vor der antiken Stätte Meninx, Tunesien. für kurze Zeit genutzt und aufgrund einer zunehmenden Verlandung der Lagune wieder aufgegeben werden musste. Weitere Anleger und Häfen anderer Zeitstellungen müssen vermutet und noch lokalisiert werden. Mehrere Amphorenfelder byzantinischer und frühmittelalterlicher Datierung weisen im nordöstlichen Bereich des kleinen Unterwasserkanals auf Wracks dieser Zeitstellung hin. Diese sollen in den kommenden Jahren genauer untersucht werden. Die Autoren: Max Fiederling M. A. ist 2. Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e.V. (BGfU). Dipl.-Biol. M. A. Detlef Peukert ist Leiter der BGfUProjekte auf Sizilien. Dr. Tobias Pflederer ist 1. Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU). Bayerische Archäologie 1 / 2019 43