Herausgegeben von Roland Gschlößl
in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Archäologie in Bayern e. V.
Archäologie
unter Wasser
Mit den Mitteilungen der
Gesellschaft für
Archäologie in
Bayern e. V.
8,90 € | Heft 1 / 2019
THEMA
Ältestes Boot Bayerns:
erbaut um 1124 v. Chr.
20
Eine aufwendige Bergungsaktion
fand im April 2018 im Bodensee bei
Wasserburg, Lkr. Lindau, statt: Das
bislang älteste bekannte Wasserfahrzeug Bayerns wurde mit einem
speziell gefertigten Aluminiumgerüst an die Wasseroberfläche gehievt
und dann mit einem Tieflader in ein
Depot der Archäologischen Staatssammlung gebracht, wo es konserviert wird. Der noch 6,87 m lange und
1,06 m breite Einbaum stellt den Rest
eines einst viel größeren Wassergefährts dar. Bei sehr aufwendigen dendrochronologischen Untersuchungen
konnte das Fäll- bzw. Baudatum auf
den Zeitraum um 1124 ± 10 v. Chr.
eingegrenzt werden.
Titelthema:
Eine Römerbrücke
am Grund der Donau
25
Schon 1842 waren die Pfeiler einer
römischen Brücke in der Donau bei
Stepperg, Lkr. Neuburg-Schrobenhausen, zu sehen gewesen, konnten
aber nicht näher untersucht werden.
150 Jahre später begann die Wiederentdeckung und Erforschung der
Römerbrücke. Unter schwierigen
Bedingungen dokumentierten die
Taucher bei starker Strömung und
oft schlechter Sicht 171 Pfähle und
86 als Balken angesprochene Hölzer.
Das ins 2. Jh. n. Chr. datierte Bauwerk war wahrscheinlich eine Holzkasten-Brücke, bei der die einzelnen
Brückenpfeiler nicht aus Stein, sondern aus mit Bruchsteinen gefüllten
Bohlenkästen (Caissons) bestehen.
UNESCO-Welterbe:
Faszination Roseninsel
28
Im Jahr 2011 wurden die drei bayerischen Fundstätten Roseninsel, Pestenacker und Unfriedshausen zusammen mit 108 weiteren Pfahlbau- oder
Feuchtbodensiedlungen rund um
die Alpen zum UNESCO-Welterbe
erklärt. Überreste von 6500 Jahren kontinuierlicher Besiedlungsgeschichte, einschließlich der einzigen
eisenzeitlichen Seeufersiedlung im
zirkumalpinen Raum, machen die
Roseninsel im Starnberger See zu
etwas Einzigartigem. Neben der wissenschaftlichen Erforschung steht
der Schutz der vorgeschichtlichen
Befunde im Flachwasser rund um
die Insel durch ein Monitoring-Programm auf der Agenda.
Archäologie unter Wasser
Unterwasserarchäologen feiern 35-Jähriges ....................................... 14
Ursprünge des Bootsbaus ..................................................................... 17
Der bronzezeitliche Einbaum von Wasserburg im Bodensee –
Bayerns ältestes Wasserfahrzeug ........................................................ 20
Vergessene Brücken unter Wasser ...................................................... 25
Die UNESCO-Welterbestätte Roseninsel im Starnberger Se .......... 28
Kempfenhausen: Leben auf der Insel ............................................. 32
Bernried: Abtauchen vor dem Kloster ............................................. 35
Moderne Methoden in der Unterwasserarchäologie .......................... 37
Bayerische Unterwasserarchäologen im Ausland ............................... 40
Das Schindelwrack im Starnberger See .............................................. 44
Bayerische Archäologie 1 / 2019
3
Archäologie
unter Wasser
12
Bayerische Archäologie 1 / 2019
Unter Wasser verbergen sich ungeahnte Schätze.
Unterwasserarchäologen sind diesen auf der Spur. Sie
gehen auf Tauchstation und dokumentieren mit
modernster Technik archäologische Funde am Grund von
Seen, Flüssen oder des Meeres. Eine im Starnberger See
versunkene Pfahlbausiedlung der Jungsteinzeit, die Reste
einer Römerbrücke in der Donau oder untergegangene
Boote. Jüngste spektakuläre Entdeckung der bayerischen
Unterwasserarchäologen ist das älteste Wasserfahrzeug
Bayerns, ein Einbaum aus der späten Bronzezeit, durch
die Jahresringe datiert um 1124 v. Chr., der 2018 aus dem
Bodensee bei Wasserburg, Lkr. Lindau, geborgen wurde.
Bayerische Archäologie 1 / 2019
13
Unterwasserarchäologen
feiern 35-Jähriges
Die Bayerische Gesellschaft für
Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU) –
erweiterte Aufgaben, gewandelte
Tätigkeiten, neue Ziele
Von Hubert Beer und Tobias Pflederer
D
ie Geburtsstunde der bayerischen
Unterwasserarchäologie ist eng
mit der Entdeckung prähistorischer
Siedlungsreste 1864 auf der Roseninsel im Starnberger See verbunden.
Ihre Erforschung trieb der Starnberger Landrichter Sigmund von Schab in
den 1870er Jahren mit großem Enthusiasmus voran. Er war es auch, der 1873
den ersten Einsatz eines Tauchers zur
archäologischen Erkundung des Flachwassers vor der Insel initiierte.
Es dauerte allerdings über 100 Jahre,
bis mit Gründung der »Interessengemeinschaft zur archäologischen Erforschung der bayerischen Gewässer« 1979
eine an wissenschaftlichen Grundsätzen
ausgerichtete archäologische Tätigkeit
unter Wasser in Bayern begann. Von
Anfang an arbeitete die junge Gruppe
eng und vertrauensvoll mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) zusammen – eine überaus
14
Bayerische Archäologie 4 / 2018
fruchtbare und erfolgreiche Kooperation, die nun bereits 40 Jahre andauert.
Um den damals noch geringen Kenntnisstand über archäologische Fundstellen in bayerischen Gewässern zu verbessern, erfolgten Anfang der 1980er
Jahre vorrangig Prospektionen an neuzeitlichen Keramik- und Glasdepots.
Die erste amtlich genehmigte Grabung
1984 unter Wasser in Bayern vor dem
Ort Leoni im Starnberger See markierte
den Beginn stratigraphischer Untersuchungen.
Parallel hierzu nahmen mehrmals
Taucher an Unterwassergrabungen in
vorgeschichtlichen
Pfahlbausiedlungen des Landesdenkmalamtes BadenWürttemberg am Bodensee zwischen
1980 und 1984 teil. Sie sammelten so
wichtige grabungstechnische Erfahrungen und erhielten eine Einführung in
wissenschaftliche Arbeitsweisen. 1984
gründeten die Mitglieder der Interes-
sengemeinschaft die »Archäologische
Tauchgruppe Bayern e.V.« und erhielten damit den Status eines eingetragenen Vereins.
Die Lokalisierung jungneolithischer
Siedlungsreste auf einem Höhenrücken
vor Kempfenhausen im Starnberger
See führte zu einer Neuausrichtung des
Arbeitsschwerpunktes der Tauchgruppe im folgenden Jahrzehnt. Im Auftrag
des BLfD begann eine Dokumentation
der Oberflächenbefunde 1985/86 und
weitere Untersuchungen bis Ende der
1990er Jahre. Sie bestätigten, dass es
sich bei der Fundstelle um die bislang
einzige sicher nachgewiesene Seeufersiedlung in Bayern handelt.
Durch die Entdeckung eines über 13 m
langen, urnenfelderzeitlichen Einbaums
im westlichen Flachwasser vor der Roseninsel rückte das Eiland im Starnberger See wieder in den Fokus der Forschungstätigkeit. In den folgenden drei
Jahren ermöglichten Mittel des BLfD
die bisher größte Grabung unter Wasser in Bayern, die mit der spektakulären
Bergung des Einbaums 1989 endete.
Anschließend bis 1994 durchgeführte
Oberflächenaufnahmen an erodierten
Schichtresten im östlichen Flachwasser
der Insel und ein Bohrprogramm vermittelten die starke Zerstörung des vor-
geschichtlichen Siedlungsplatzes. Seine
besondere Bedeutung unterstrichen
überraschende Holzbefunde mit eisenzeitlicher Datierung, die bei Prospektionen zwischen 2005 und 2007 entdeckt
wurden.
Auch in fließenden Gewässern entwickelte sich in den 1990er Jahren ein
weiterer Forschungsschwerpunkt. So
gelang in der Donau und einem ihrer
Altwässer bei Stepperg 1992 bis 1996
sowie 2007 bis 2011 die Lokalisierung
und teilweise Dokumentation von sechs
Pfeilern einer römischen Brückenkonstruktion.
Mit Gründung der »Kommission für
Unterwasserarchäologie« im Verband
der Landesarchäologen 1993 begann
auch eine stärkere Publikationstätigkeit
des Vereins und die Durchführung von
Kongressen und Symposien. In Kooperation mit der Kommission fand das 1.
Süddeutsche Symposion für Unterwasserarchäologie und der internationale
Kongress »Inseln in der Archäologie«
statt. Eine weitere Tagung zum Thema
»Brücken in der Archäologie« folgte im
Jahr 2009.
Um dem erweiterten Tätigkeitsfeld zu
entsprechen, fand 1996 die Umbenennung in »Bayerische Gesellschaft für
Unterwasserarchäologie e.V.« (BGfU)
statt.
Der über Publikationen und Veröffentlichung von Fachartikeln zunehmende Bekanntheitsgrad der unterwasserarchäologischen Unternehmungen
der BGfU führte in den letzten 5–10
Jahren zu einem stetigen Anstieg der
Mitgliederzahlen auf aktuell 90 Personen. Damit ist die BGfU mit ihren Vorgängerorganisationen nicht nur einer
der ältesten, sondern gleichzeitig einer
der größten und aktivsten Vereine in
Deutschland, die sich um die Dokumentation und den Erhalt von Kulturgütern
unter Wasser bemüht.
In zunehmendem Maße wurden in
der BGfU nun auch tauchende Studenten der Archäologie aktiv. Sie führten
neue und zeitgemäße Techniken in der
Forschungstaucher der BGfU bei der Vorbereitung (o.) U.: Taucher der BGfU bei
Oberflächenaufnahmen vor der Südostseite der Roseninsel im Jahr 1994. Im Bild
auf der li. S. o.: Taucher der BGfU bei der Dokumentation von eisenzeitlichen
Konstruktionselementen vor der Roseninsel im Starnberger See im Jahr 2015.
Bild li. S. u.: Unterwasserarchäologische Ausgrabung am urnenfelderzeitlichen
Einbaum von der Roseninsel im Starnberger See in den 1980er Jahren.
Grabungs- und Prospektionsmethodik
ein und intensivierten die direkte Zusammenarbeit mit den Universitäten.
Zusätzlich kann der Verein mittlerweile
auf 15 ausgebildete Forschungstaucher
und damit auf eine breite Basis an Erfahrung in taucherischem Können sowie
in archäologischer Arbeit unter Wasser
zurückgreifen.
Die stärkere Anbindung an universitäre Projekte führte auch zu einem
Zuwachs an internationalen Projekten.
Mittlerweile sind Taucher der BGfU
in Kroatien, Rumänien, Sizilien und
Nordafrika aktiv. Besonders hervorzuheben ist die enge Kooperation mit der
Ludwig-Maximilians-Universität München. Sowohl das Institut für Vor- und
Frühgeschichtliche Archäologie (Prof.
Dr. Bernd Päffgen) als auch das Institut für Klassische Archäologie (Prof. Dr.
Stefan Ritter) binden die Taucher der
BGfU zunehmend in Projekte ein (siehe
hierzu auch den Artikel »Bayerische Unterwasserarchäologen im Ausland« u.
auf S. 40–43). In Rumänien ist man in
die Erforschung des römischen Donau-
Bayerische Archäologie 4 / 2018
15
Archäologie unter Wasser
Taucher der BGfU und des Internationalen Zentrums für Unterwasserarchäologie Zadar bei der Erforschung
eines römischen Wracks bei Rovinj,
Istrien (li. o.). U.: Hervorragender
Erhaltungszustand am römischen
Wrack »Rusu« im Schwarzen Meer,
Rumänien.
hafens von Noviodunum sowie in die
Dokumentation eines durch die BGfU
entdeckten Transportschiffes der römischen Kaiserzeit im Schwarzen Meer
eingebunden. Vor der Südküste der Insel Djerba in Tunesien entschlüsseln die
BGfUler die antiken Schifffahrtswege
und Ankerplätze der antiken Stätte Meninx.
Neben der Kooperation mit Universitäten hat sich auch die Zusammenarbeit
mit ausländischen, archäologischen Behörden und offiziellen Organisationen
intensiviert. Auf Sizilien existiert bei
der unterwasserarchäologischen Erforschung der punisch geprägten Insel
Mozia eine hervorragende Zusammenarbeit mit der Soprintendenza del Mare
Palermo. Eine langjährige und besonders freundschaftliche Beziehung unterhält die BGfU mit dem Internationalen
Zentrum für Unterwasserarchäologie
(ICUA) in Zadar, mit dem alljährlich
seit 2010 diverse Kooperationsprojekte
und Publikationen realisiert werden. Ab
kommendem Jahr ist eine direkte Zusammenarbeit mit dem Institut Natio-
16
Bayerische Archäologie 1 / 2019
nal du Patrimoine in Tunesien geplant.
Neben einer stärkeren Anbindung an
universitäre Projekte und an ausländische Organisationen verbleibt der
Schwerpunkt der Bemühungen in bayerischen Gewässern. Hier wurde vor allem die bewährte Zusammenarbeit mit
dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (Prof. Dr. Sebastian Sommer,
Dr. Markus Gschwind, Dr. Ruth Sandner, Franz Herzig) intensiviert und ein
reger Austausch zu aktuellen Projekten
und Aufgaben in bayerischen Gewässern etabliert. Zudem besteht eine nahe
Zusammenarbeit mit der Archäologischen Staatssammlung München und
der Bayerischen Seen- und Schlösserverwaltung.
Vor allem die neuen Aufgaben an der
inzwischen als UNESCO-Welterbestätte
geführten Roseninsel im Starnberger
See führte zu einem Wandel in den unterwasserarchäologischen Tätigkeiten.
Weg vom reinen Forschungsauftrag sehen sich die Taucher der BGfU vor allem mit Aufgaben des Denkmalschutzes
und des Monitorings konfrontiert (siehe
hierzu auch den Artikel zur Roseninsel
u. auf S. 28–31). Im Auftrag des BLfD
wurden im Tauchanzug auf einer Fläche von über 135.000 Quadratmetern
archäologische Befunde um die Insel
aufgenommen. Jährlich findet ein Ablesen von eingebrachten Erosionsmarkern statt. Und ehrenamtlich kümmert
sich die BGfU um die Ausrichtung von
»Welterbeinformationstagen«, um die
Bevölkerung sowie Wassersportler hinsichtlich der Fragilität der Unterwas-
serdenkmäler zu sensibilisieren. Zusammen mit dem Verband deutscher
Sporttaucher werden alljährlich Kurse
zum »denkmalgerechten Tauchen«
angeboten, die den Sporttauchern den
richtigen Umgang mit Kulturgütern unter Wasser vermitteln sollen.
Der wissenschaftliche Austausch zu
Themen aus der Unterwasserarchäologie wird auf jährlichen Tagungen
des Arbeitskreises der Kommission für
Unterwasserarchäologie sowie auf internationalen Kongressen vollzogen.
Hinzu kommt ein direkter Kontakt mit
Unterwasserarchäologen aus den Nachbarländern, beispielsweise mit dem
Kuratorium Pfahlbauten in Österreich.
Jährlich und mittlerweile zweisprachig
(deutsch und englisch) erscheint der
Jahresbericht der BGfU, der von einem
vierseitigen Informationsblatt im Jahr
2000 zu einer 30-seitigen Broschüre
angewachsen ist.
Die Geschichte der modernen Unterwasserarchäologie in Bayern ist
untrennbar mit der BGfU verbunden,
die trotz zunehmender Aufgaben sich
immer wieder wechselnden Tätigkeitsschwerpunkten stellte und damit bestens für die kommenden Herausforderungen als ehrenamtlicher Verein
gerüstet ist.
Informationen zu aktuellen Projekten
und Aufgaben der BGfU finden sich unter www.bgfu.de
Die Autoren:
Dipl.-Ing. Hubert Beer ist Ehrenpräsident der Bayerischen Gesellschaft für
Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU).
Dr. Tobias Pflederer ist 1. Vorsitzender
der Bayerischen Gesellschaft für
Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU).
Ursprünge
des Bootsbaus
Einbäume aus bayerischen Gewässern
Von Tobias Pflederer
U
rformen sind in der archäologischen Materialkunde nicht immer
einfach zu erkennen. Und das archäologisch ungeübte Auge mag sich bisweilen schwertun, zwischen natürlichen
Erzeugnissen und vom Menschen gemachten Gegenständen zu unterscheiden. Denken wir nur an die steinernen
Werkzeuge, die unsere »grauen Vorfahren« vor mehreren tausend Jahren hergestellt haben. Die Unterscheidung zwischen einem durch Wind und Wetter
geformten Stein und einer steinernen
Klinge oder Axt kann schwierig sein.
Ähnlich verhält es sich mit den Einbäumen, den aus einem Baum gefertigten
Booten, wenn man ihnen zum ersten
Mal – meist in einem Museum – begegnet. Oft sind sie nur noch rudimentär
erhalten und durch Erosion sowie durch
eine oft fehlende oder unsachgemäße
Konservierung schwer als solche zu erkennen. Der Autor des Artikels erinnert
sich mit einem gewissen Schmunzeln
an eine archäologische Fachtagung, auf
der ein junger, aufstrebender Archäolo-
Einbäume
Der latènezeitliche Einbaum von
Kempfenhausen/Starnberger See
(485–45 v. Chr.) mit zwei nach unten
gebogenen Querrippen.
ge einen Einbaum vorgestellt hatte und
von einem älteren, erfahreneren Kollegen darauf angesprochen wurde, ob es
sich bei dem Exemplar nicht doch eher
um eine Viehtrog handeln könnte. Der
junge Kollege konnte die Theorie des älteren widerlegen. Geneigte Bordwände,
Querrippen und Spuren von Seilzügen,
die die Fischernetze im Holz des Einbaums hinterlassen hatten, sprachen
eine eindeutige Sprache.
Dabei sind viele erhaltene Einbäume gar nicht so »ursprünglich« und
»aus grauer Vorzeit«, wie wir vielleicht
denken. Der letzte Einbaum des Starnberger Sees wurde gerade mal vor 100
Jahren – genauer gesagt im Jahr 1912
– einem Museum übergeben. Bootslisten aus dem 19. Jh. belegen, dass mit
ihnen zu dieser Zeit über den Starnberger See und Chiemsee gefahren wurde:
1842 soll es auf dem Starnberger See
noch 49 Einbäume und im Jahr 1843
auf dem Chiemsee noch 131 Stück gegeben haben. Dennoch werden sie in den
nächsten Jahrzehnten von den leichter
herstellbaren und damit billigeren Bretterbooten verdrängt. Bereits im Jahr
1881 zählte man auf dem Chiemsee nur
noch drei Exemplare.
Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens
war die Geschichte der Einbäume und
ihre Verwendung allerdings über 3000
Jahre alt. Bereits in der Bronzezeit wurde mit ihnen auf bayerischen Gewässern
übergesetzt. Das bislang älteste Exemplar wurde um das Jahr 1124 v. Chr.
gefertigt und erst 2018 aus dem Bodensee mit großem technischem Aufwand
geborgen. Ob es sich dabei wirklich um
einen Einbaum handelt oder um ein
Exemplar mit angesetzten Bordplanken, wird aktuell noch untersucht (s.
Beitrag in diesem Heft auf S. 20–22).
Bayerische Archäologie 1 / 2019
17
Archäologie unter Wasser
Der bekannte Einbaum von der Roseninsel im Starnberger See, der in einer
aufwendigen Schichtgrabung dokumentiert und 1989 gehoben und konserviert
wurde, datiert exakt in das Jahr 900 v.
Chr. Trotz seines ca. 200 Jahre jüngeren
Alters ist er ebenfalls ein Vertreter der
ausgehenden Bronzezeit (Urnenfelderzeit). Beiden Einbäumen ist gemeinsam,
dass sie große Dimensionen aufweisen
– ein Merkmal, das bei Exemplaren
aus der Bronzezeit immer wieder anzutreffen ist. Der Wasserburger Einbaum
weist eine Restlänge von fast sieben
Metern auf, sein Nachbar der Roseninsel gar die doppelte Länge von 13,5 m.
Manchmal werden die Vertreter aus der
Bronzezeit auch als die »Lastkähne« unter den Einbäumen bezeichnet. Warum
aber gerade die Bronzezeit mit solch
großen Booten aufwartete, kann nur
gemutmaßt werden. Eventuell spielten
der neue Werkstoff Bronze sowie eine
zunehmende Arbeitsteilung und damit ein größeres Handelsaufkommen
eine Rolle. Auch unsere Vorfahren aus
der Eisenzeit führten die Tradition des
Einbaums – wenn auch mit kleineren
Exemplaren – fort. Bekannte Vertreter
sind der latènezeitliche Einbaum von
Kempfenhausen im Starnberger See
(14C-Datierung: 485–45 v. Chr.) sowie
18
Bayerische Archäologie 1 / 2019
ein weiteres, leider verschollenes Stück
vom Südufer des Chiemsees (14C-Datierung: 395–210 v. Chr.). Kinder aus dem
römischen Bedaium (heute Seebruck)
scheinen mit Einbaum-Modellen am
Chiemsee gespielt zu haben. Dies belegt
ein unverkennbar als Einbaum hergestelltes Holzspielzeug, das in das 1. Jh.
n. Chr. datiert. Viele weitere Exemplare
des Mittelalters (z. B. von Breitbrunn im
Chiemsee oder von Seeheim im Starnberger See) sowie der Neuzeit (z. B. aus
Prien am Chiemsee) belegen die kontinuierliche Verwendung des Einbaums
bis in das letzte Jahrhundert.
Robust und langlebig:
Aufwendige Herstellung
eines Einbaums
Was machte den Einbaum als Bootstyp aber so besonders und wozu wurde er eingesetzt? Über 80 Prozent der
Einbäume sind aus Eiche gefertigt. Die
Verwendung dieses robusten Rohmaterials sowie die Fertigung aus einem
Werkstück (aus einem Stamm) machten
sie besonders langlebig und waren »eine
Anschaffung fürs Leben«. Die späteren
Bretterboote waren zwar billiger und
einfacher herzustellen. Dennoch mussten sie rascher repariert und häufiger
Der urnenfelderzeitliche Einbaum von
der Roseninsel/Starnberger See (900
v. Chr.) gilt als eines der größten Exemplare in ganz Mitteleuropa (o.).
Bild li. u.: Der mittelalterliche Einbaum von Breitbrunn/Chiemsee (13011408 n. Chr.), Kiel nach oben liegend.
Re. u.: Netzsenker aus dem direkten
Umfeld des Einbaums von Breitbrunn
belegen seine Verwendung beim Fischfang.
wieder ersetzt werden. Vom Fertigungsprozess und vom Handwerk des Einbaumbauens sind uns von den Ufern
bayerischer Gewässer keine Quellen
überliefert. Aus Österreich im Salzkammergut, genauer gesagt vom Mondsee,
existieren aber detaillierte Aufzeichnungen und vermitteln ein gutes Bild vom
aufwendigen und langwierigen Herstellungsprozess: Dort wurde zunächst eine
Rohform des Einbaums, der sog. »Prügel« durch einen spezialisierten Handwerker gefertigt und anschließend bis
zu 60 Jahre (!) mit Steinen beschwert
im Flachwasser des Sees versenkt. Dies
härtete den Einbaumkörper aus und
entzog ihm seine löslichen und fäulniserregenden Stoffe. Erst danach wurde er
wieder gehoben und erhielt seinen Feinschliff. Die Herstellung eines Einbaums
war also eine Generationenaufgabe und
wurde vom Einbaumbauer an seine
Nachkommen übergeben.
Die Funktion von Einbäumen variierte, je nachdem ob sie auf Flüssen oder
Seen eingesetzt wurden. Gerade auf
den Seen waren sie ein unverzichtbares
Hilfsmittel beim Fischfang. Dies belegen nicht nur zeitgenössische Darstellungen auf Bildern und Fotographien,
sondern oft der archäologische Kontext, wenn sich Reste von Netzen oder
Netzsenker im unmittelbaren Umfeld
des gesunkenen Einbaums oder Spuren
von eingezogenen Netzen im Holz der
Bordwände erhalten haben. Einbäume
auf Seen – wie Boote im Allgemeinen –
vereinfachten auch den Transport von
Mensch, Tier und Ware. Um an einem
See zu vor- und frühgeschichtlicher Zeit
»von A nach B« zu gelangen, war es
stets einfacher, den Seeweg zu wählen,
bevor man über Land und auf schlechten Pfaden einen mühsamen Transport
um den See in Kauf nehmen musste.
Einbäume wurden bisweilen durch eine
aufgehende Bretterlage zu einer Fähre
zusammengefügt. Gerade auf Flüssen
war diese Machart weit verbreitet. Insbesondere im Main wurden kleinere
Exemplare nur zu diesem Zweck hergestellt. Im Fachjargon werden sie als
»monoxyle Schwimmkörper« tituliert.
Auch auf dem Chiemsee wurden größere
Fähren durch zwei parallel verbundene
Einbäume und durch eine aufgesetzte
Bretterplattform gezimmert. Als weitere Eigenart wurden sie dort auch in
Längsrichtung zu sog. »Doppeleichen«
kombiniert. Die Äbtissin des Klosters
von der Fraueninsel im Chiemsee konnte gar auf einen eigenen Einbaum für
ihren Transport zurückgreifen, der als
»Landtschöff« bezeichnet wurde.
»Urformen« des Bootsbaus bleiben die
Einbäume aus bayerischen Gewässern
allemal. Über viele Jahrhunderte prägte dieser Bootstyp das Erscheinungsbild
von Seen und Flüssen in Bayern.
Zugnetzfischer im Einbaum auf dem Starnberger See. Abdruck mit freundlicher
Genehmigung des Museums Starnberger See. Titel: »Königl. Lustschloss Berg.
Nach der Natur gezeichnet von Doppelmayer. München bey J. G. Zeller. 2.«
Künstler: Friedrich Willhelm Doppelmayr. Signatur: STA-962. Bild u.: Mittelalterliche und neuzeitliche Einbäume von Prien am Chiemsee. Der untere, mehrfach instandgesetzte Einbaum stand als Modell mehrfach Pate für Bilder des
Chiemseemalers Josef Wopfner.
Genauere Informationen zu einzelnen
Einbäumen finden sich in der »Einbaumgalerie« unter www.bgfu.de
Der Autor:
Dr. Tobias Pflederer ist 1. Vorsitzender
der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU).
Literatur: T. Pflederer, Dokumentation
neuerer Einbaumfunde in Bayern. Ber.
Bayer. Bodendenkmalpfl. 50, 2009, 45–69.
P. Höfling, Die Chiemsee-Fischerei. Beiträge zu ihrer Geschichte Beitr. Volkstumsforsch. 24, 1987, 27 ff.
L. Kröger, Einbäume des Maingebietes –
Fähren als verbindendes Element eines mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wegesystems, in: Niedersächsisches Institut für
historische Küstenforschung (Hrsg.) Siedlungs- und Küstenforschung im südlichen
Nordseegebiet (SKN) 34, Rahden/Westf.
2011, 115–128.
Bayerische Archäologie 1 / 2019
19
Der bronzezeitliche Einbaum
von Wasserburg am Bodensee
Archäologie unter Wasser
Bayerns ältestes Wasserfahrzeug
Von Tobias Pflederer, Heiner Schwarzberg, Egon Blumenau,
Robert Angermayr und Franz Herzig
E
s war ein bewegender Moment.
Nach über 3100 Jahren kam der
Einbaum von Wasserburg am 11. April
2018 wieder an die Oberfläche des Bodensees – eingebettet in mehrere gepolsterte Tragegurte und sicher fixiert
an einem speziell gefertigten Bergerahmen. Zuvor hatten ihn Forschungstaucher der Bayerischen Gesellschaft für
Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU) in
38 Tauchstunden und mit Unterstützung der Wasserwacht Lindau vom Seeboden gelöst. Dabei kamen Unterwassersauger, sog. »dredges«, zum Einsatz,
die das Sediment unter dem Einbaum
bis auf wenige Sedimentbrücken entfernt hatten.
Freilegung, Bergung,
Konservierung
Dem Moment der Bergung ging eine
dreijährige Dokumentations- und Pla-
20
Bayerische Archäologie 1 / 2019
nungsphase voraus, nachdem ihn der
Wasserburger Christoph Schmid bereits
2015 beim Schnorcheln und mit einem
archäologisch geübten Blick wiederentdeckt hatte. In den ersten Kampagnen
fertigten die Taucher der BGfU neben
Zeichnungen und Vermessungen auch
eine 3D-Rekonstruktion aus mehreren
tausend Einzelbildern an. Sie bildete die
Grundlage für die weiteren Planungen
und gestattete eine maßstabsgetreue,
plastische Nachbildung des Einbaums
in einem 3D-Drucker sowie die Entwicklung von verzerrungsfreien Aufsichtsbildern, sog. Orthofotografien.
Der Einbaum ist im Bug noch vollständig erhalten und mit einem »maulartigen« Fortsatz an der Außenseite
versehen. Demgegenüber ist das Heck
ausgebrochen und nicht mehr vorhanden. Eine kleine (6x4 cm große),
rechteckige Aussparung im Bootsboden konnte in der Mittelachse des Was-
serfahrzeuges festgestellt werden. Mit
einer Restlänge von 6,87 m und einer
maximalen Breite von 1,06 m weist der
Einbaum auch in seinem Restzustand
große Dimensionen auf.
Begleitende Sedimentbohrungen im
unmittelbaren Umfeld zeigten, dass der
Einbaum in keine Kulturschichten eingebettet war. Eine nahegelegene Siedlung der bronzezeitlichen Bootsfahrer
darf aber angenommen werden. Dies
lassen auch die aktuell durchgeführten
taucharchäologischen
Prospektionen
vermuten, die zur Entdeckung mehrerer
kleinerer bearbeiteter Hölzer in der näheren Umgebung führten. Aus welcher
Zeit die Hölzer stammen und ob sie evtl.
zu einer bronzezeitlichen Seeuferrandsiedlung in der Nähe gehörten, wird aktuell noch untersucht.
Parallel zu den Freilegungsarbeiten
unter Wasser begann die technische
Vorbereitung der Hebung durch die Ar-
Einbaum von Wasserburg
Bild auf der li. S.: Der bronzezeitliche
Einbaum von Wasserburg, Bodensee in
Originallage am Seegrund. Sichtbar ist
der erhaltene Bug mit seinem »maulartigen« Fortsatz. Re.: Forschungstaucher im Heckbereich des Einbaums.
Zu erkennen ist die kleine rechteckige
Aussparung in der Mittelachse des
Wasserfahrzeugs. U.: Orthofotografie
und 3D-Rekonstruktion des Einbaums,
zusammengesetzt aus mehreren tausend Einzelbildern.
chäologische Staatssammlung München
(ASM). Die schiere Größe und Fragilität
des Einbaums stellten das Team dabei
vor besondere Herausforderungen. Daher entschloss man sich, auf ein Aluminium-Vierpunkttraversensystem zurückzugreifen. Mit Hilfe dieses Gerüstes
wurde verhindert, dass der bereits diagonal eingerissene Einbaum beim Anheben weiteren Schaden nahm.
Das etwa 6 m lange, 2,50 m breite
und 1,50 m hohe Gestell wurde durch
ein Flachbodenschiff des Wasserwirtschaftsamts Kempten an die Fundstelle
transportiert und per Kran über dem
Einbaum abgelassen. Das freipräparierte Wrack wurde anschließend auf seiner gesamten Länge mit verstellbaren,
gepolsterten Spanngurten eingehängt.
Nach einem ersten vorsichtigen Anheben und Lösen vom Seeboden konnte
nachjustiert werden, um unnötige Verwindungen des wertvollen Fundstücks
zu vermeiden.
Das gesamte Bergungsteam war erleichtert, als sich der bronzezeitliche
Einbaum erstmals nach über drei Jahrtausenden langsam über die Wasseroberfläche erhob und unbeschadet in
den Hafen von Lindau-Zech verbracht
werden konnte. Hier wurde das Bergegestell mit seinem kostbaren Inhalt in
eine speziell für die Konservierung vorgefertigte fahrbare Wanne abgesenkt,
der Einbaum vom Gestell gelöst und mit
einem Tieflader in ein Depot der ASM
im Münchner Umland gebracht. Um
Rissbildungen während des Transports
zu vermeiden, wurde das Wrack mit
Luftkissen und Gurten gesichert und
kontinuierlich befeuchtet.
Auch wenn das vorgeschichtliche Wasserfahrzeug auf den ersten Blick gut
erhalten wirkte, war nun ein schnelles
Eingreifen nötig. Nur das Wasser in den
Zellen des Holzes bot nach den Jahrtausenden im See Stabilität und bewahrte
das Erscheinungsbild. Da sich Zellulose
und Lignin bereits stark abgebaut hatten, hätte ein Austrocknen zu großen
Schäden bis hin zum vollständigen Kollabieren führen können.
In einem ersten Schritt wurde der Einbaum regelmäßig frisch gewässert und
vorsichtig von allen Seiten von Sediment, Algen und Muscheln befreit. Die
Konservierung wird in den kommenden
drei Jahren in einem mehrstufigen Polyethylenglykol (PEG)-Verfahren erfolgen. Glykole sind Alkohole, die stufen-
Bayerische Archäologie 1 / 2019
21
Archäologie unter Wasser
Forschungstaucher der BGfU befestigen die Tragegurte am Bergegestell (li.
o.). Bild u.: Bergung des Einbaums am
11. April 2018 mittels eines speziell gefertigten Aluminiumgerüstes.
weise das Wasser verdrängen, aushärten und somit den instabilen Zellen
dauerhafte Haltbarkeit gewähren. Nach
Abschluss dieser Maßnahmen wird der
Einbaum durch kontrolliertes Abdampfen des Restwassergehaltes in einen
ausstellungsfähigen Zustand gebracht.
Das momentan älteste Wasserfahrzeug Bayerns soll nach Abschluss der
aufwändigen Konservierung in einem
angemessenen Rahmen der Öffentlichkeit präsentiert werden.
22
Bayerische Archäologie 1 / 2019
Dendrometrie,
Dendrochronologie und
Technomorphologie
Nach der Bergung und während der
weiteren Begutachtungen des Einbaums
im November 2018 zeichnete sich ab,
dass der Bootskörper ursprünglich viel
größer gewesen sein musste. Das Holz
war im Lauf der vergangenen Jahrtausende durch anaerobe Bakterien zu
Nassholz abgebaut worden und der Ero-
sion ausgesetzt. Laut dem Finder lag der
Einbaum schon vor 30 Jahren frei. Die
Substanz besteht im Inneren aus hartem
Kernholz und außen aus einer 3 cm tief
reichenden, weichen Schicht Nassholz,
welche durch Erosion rasch abgetragen
wurde.
Der Einbaum gelangte wohl an seine jetzige Position, als aufgrund eines
wesentlich niedrigeren spätbronzezeitlichen Seespiegels das Ufer im Bereich
der Fundstelle verlief. Heck und Steuerbordseite kamen dabei höher zum
Liegen und waren wahrscheinlich bereits zu Beginn Holzabbau- und Erosionsprozessen ausgesetzt. Die tiefer liegenden Partien gerieten schon damals
in konservierendes Milieu. Nach dem
Anstieg des Seespiegels wurde der noch
erhaltene Rest durch Sedimente überdeckt. Erst in jüngster Zeit scheint es
infolge von Veränderungen im Bereich
der Eschbachbucht zu stärkerer Erosi-
Einbaum von Wasserburg
on gekommen zu sein, die zur erneuten
Freilegung des Bootskörpers führte.
Ihrer geneigten Lage entsprechend
waren Heck und Steuerbordseite stärker
reduziert worden. Nur an der Backbordseite, zum Bug hin, sind abknickende
Teile der Bootswand und ein Streifen
nicht erodierten Bodens erhalten. Auch
der kanuartig auslaufende Bug mit seiner Aussparung war der Erosion ausgesetzt. Nur auf der Unterseite des
Einbaums sind noch originale Bearbeitungsspuren erhalten, auf der Backbordseite sogar noch Reste des weichen
Splints. Das Mark lag noch mindestens
20 cm höher als der höchste bugseitige
Punkt. Da Splint und Steuerbordseite
sowie Dollbord fehlen, müssen für den
Durchmesser noch mehr als 14 cm zu
der Breite von 106 cm hinzugerechnet
werden, denn der markfernste, erhaltene Splint liegt etwa 60 cm von diesem
entfernt. Die tatsächliche Einbaumlänge ist unbekannt. Bei freistehenden Eichen darf man bei 120 cm Durchmesser
eine Schaftlänge von 10 bis 15 Metern
voraussetzen, Richtung Heck bzw. zur
Reinigung und Konservierung des Einbaums (o.). Grafik u.: Größenverhältnisse zwischen geborgenem Einbaumtorso (dunkel) und hypothetischer
Annahme (hellbraun).
Bayerische Archäologie 1 / 2019
23
Archäologie unter Wasser
Li.: Dendrochronologisch gemessene
Radien des Einbaums. U.: Spätbronzezeitliche Fundstellen am Bodensee.
tragen haben. Die zur Absicherung der
Datierung von vier Jahrringen entnommenen 14C-Proben bestätigten die Datierung (durchgeführt am CEZ Archäometrie gGmbH Mannheim, Dr. Ronny
Friedrich). Der Einbaum wurde demnach schon 50 Jahre vor den bislang
bekannten frühesten urnenfelderzeitlichen Seeufersiedlungen des Bodenseegebiets genutzt. Mit Spannung darf
erwartet werden, ob die zukünftigen
taucharchäologischen Untersuchungen
im Umfeld des Einbaums Hinweise auf
zeitgleiche Siedlungsstrukturen liefern.
Stammbasis kann der Durchmesser 130
cm betragen haben. Wenn, wie bei solchen Einbäumen üblich, die Stammhälfte verwendet wurde, lässt sich bei 130
cm Durchmesser die Höhe der Bordwand abzüglich des zur Glättung des
Bodens entfernten Schwartensegments
noch auf 40 bis 50 cm abschätzen. Die
selbst im Heckbereich noch vorhandenen, teilweise recht starken Äste, welche
wahrscheinlich schon zu Zeiten der Nutzung zu Rissbildungen führten, weisen
darauf hin, dass ein freistehender, rasch
gewachsener Baum verwendet wurde.
Die dendrochronologische Messung
des Einbaums war die aufwendigste je-
24
Bayerische Archäologie 1 / 2019
mals an einem einzelnen Objekt durchgeführte Untersuchung im Dendrolabor
des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege. Für die Bildung und Datierung der 143jährigen Serie auf das Jahr
1137 v. Chr. war die Messung von 36
Radien erforderlich. Erst mit Erfassung
von Splintjahresringen durch die zuletzt
entnommenen Proben konnte das Fällbzw. Baudatum auf den Zeitraum um
1124 ± 10 v. Chr. eingegrenzt werden.
Die gemessenen Radien kamen vorwiegend aus dem Bugbereich. Das tatsächliche Baumalter dürfte einschließlich
der fehlenden Jahrringe aus Splint und
Heckbereich mindestens 200 Jahre be-
Die Autoren:
Dr. Tobias Pflederer (1. Vorsitzender
der Bayerischen Gesellschaft für
Unterwasserarchäologie e. V.)
Dr. Heiner Schwarzberg (Leiter der
Abteilung Vorgeschichte der Archäologischen Staatssammlung)
Egon Blumenau (Leiter der Restaurierungsabteilung der Archäologischen
Staatssammlung)
Robert Angermayr ist erfahrener
Tauchlehrer, Mitglied der BGfU und
zuständig für die 3D-Visualisierung
des Einbaums von Wasserburg.
Franz Herzig (Leiter des Dendrolabors
Thierhaupten des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege)
Forschungstaucher über dem jungneolithischen Siedlungsrücken, ca. 4,5 m
unter dem heutigen Wasserspiegel.
Im Vordergrund drei identisch nach
Nordost verkippte Pfähle (li.). U.: Das
bislang älteste Holz der Siedlung (F42L1) mit einem Fälldatum zwischen
3746 und 3737 v. Chr. Das 109jährige
Eichenbalkenfragment weist noch die
Schlagspuren des verwendeten Steinbeils auf.
Leben auf der Insel
Die jungsteinzeitliche Pfahlstation von
Kempfenhausen im Starnberger See
Von Tobias Pflederer
I
rgendwann vor etwa 5700 Jahren
standen sie in weithin unberührter
Wildnis am Ostufer des Starnberger
Sees und blickten auf die kleine, trockengefallene Insel vor sich. Mit dem
technischen Know-how »im Gepäck«
entschloss sich die kleine Menschengruppe, hier ihre Pfahlbausiedlung zu
errichten. Mit Steinbeilen spalteten sie
die bis zu 200 Jahre alten Eichen und
Eschen und verwendeten sie als Baumaterial. Gebrauchsgegenstände aus
Keramik wurden getöpfert und verziert,
aber auch Silex-Pfeilspitzen und Beile
aus Stein wurden hergestellt. Besonders
kostbar müssen ihnen die Utensilien
aus Kupfer gewesen sein – ein Werkstoff, der für die Menschen der damaligen Zeit noch nicht lange zur Verfügung
stand und ihnen die Tür zu einer neuen Epoche öffnete. Lange war die Grup-
32
Bayerische Archäologie 1 / 2019
pe der kleinen jungsteinzeitlichen Inselsiedlung nicht vor Ort. Bereits nach
wenigen Jahren wird die Pfahlstation
wieder aufgegeben. Die Pfähle verkippen durch Einflüsse von Wind, Wetter
und Eis. Und mit einem zunehmenden
Anstieg des Seespiegels gerät die Siedlung auf der Insel unter Wasser und in
Vergessenheit.
Erst in den 1980er Jahren wurde die
Siedlung durch Taucher wiederentdeckt. Auf einer ca. 150 m langen und 50
m breiten Untiefe vor dem Ostufer des
Starnberger Sees wurden in mehreren
Einzelkampagnen große Teile der alten
Siedlungsfläche untersucht. Messfahrten mit einem Sedimentsonar lieferten
Kempfenhausen
weitere Argumente für eine echte
Insellage, nachdem sich zwischen
dem Siedlungsrücken und dem
Festland im Osten abnehmende
Echostärken des analysierten Sedimentes und damit Hinweise auf eine
echte Unterbrechung zwischen dem Inselkörper und dem nahen Ufer ergaben.
Leider hatten sich durch eine starke Unterwasserströmung und Erosion kaum
Kulturschichten der einstigen jungneolithischen Pfahlstation erhalten. Lediglich die Pfahlspitzen sowie das schwerere Fundmaterial (wie Keramik oder
Steinwerkzeuge) waren auf dem ehemaligen Inselrücken zurückgeblieben. Der
hohe Zerstörungsgrad und der damit
anzunehmende Verlust von Pfählen mag
auch ein Grund dafür sein, weshalb sich
im Pfahlplan bislang keine Hausgrundrisse rekonstruieren ließen. Die Entdeckung eines charakteristischen Konstruktionselementes deutet darauf hin,
dass die Siedlung als echter »Stelzbau«
errichtet worden sein könnte, bei dem
weniger in den Untergrund getriebene
Pfähle notwendig waren. Als Baumaterial wurden nahezu ausschließlich im
dichten Bestand gealterte Eichen und
Eschen verwendet und fast vorwiegend
als Spalthölzer verbaut. Die Eichen waren zum Zeitpunkt ihrer Fällung um die
200 Jahre, die Eschen 100 Jahre alt. Als
weitere Baumaterialien sind Buchen,
Ahorn, Pappel und Weide belegt. Die
im dendroarchäologischen Labor Thierhaupten (Bayerisches Landesamt für
Denkmalpflege) jahrgenau ermittelten
Fälldaten weisen einen Schwerpunkt
um das Jahr 3720 v. Chr. auf (meist
Randscherbe mit dreifachem Stichzierband und Sonnensymbol (o.).
U.: Nordprofil der Sondagegrabung
vor dem Ostufer des ehemaligen Inselrückens (Befunde: 0 = Oberflächenschlick, 1 = Sterile Seekreide,
2 = Kulturschicht, 3 = Sterile Seekreide, 4 = Gebänderte Seekreide,
5 = Glazialer Ton und mineralische
Ablagerungen).
zwischen 3721 v. Chr. und 3719 v. Chr.).
Durch zwei Hölzer wird eine maximale
Zeitspanne zwischen 3718 v. Chr. und
3746 v. Chr. abgedeckt. Gerade im Südteil der Siedlungsfläche scheinen einige
der Holzbauten synchron eingestürzt zu
sein. Dies legen identische Kipprichtungen eines Großteils der dort erfassten
Pfähle in Richtung Nordost nahe.
In Übereinstimmung mit der kurzen und wohl einphasigen Bautätigkeit
konnte am Ostufer des ehemaligen Inselrückens in einer kleinen Sondage
eine ebenfalls nur dünn ausgeprägte
Kulturschicht dokumentiert werden, die
mit der jungneolithischen Siedlungstätigkeit in Verbindung zu bringen ist. Die
Stratigraphie gibt einen spannenden
Einblick in die Geschichte des Höhenrückens. Dieser befand sich offenbar lange
Zeit unter Wasser – abzulesen am natürlich abgelagerten Seesediment, der
Seekreide – bevor er trockenfiel
und als Untergrund für die jungneolithische Pfahlstation diente.
Zuunterst sind in der Kulturschicht
Rinden, Äste und Laubreste anzutreffen, die auf den Beginn der Siedlungstätigkeit hinweisen. Danach haben
sich Holzkohlereste, Keramikfragmente
sowie unterschiedlich ausgerichtete und
z. T. massive Bauhölzer, aber auch dünne stangenartige Äste abgelagert. Nachdem die Kulturschicht mit Seesedimenten vermengt ist, dürfte sie am ehesten
einen Zerstörungshorizont darstellen,
der sich nach Auflassen der Pfahlstation
entwickelt hat. Denkbar ist aber auch,
dass ein zunehmender Seespiegelanstieg zu einem Verlassen der Siedlung
geführt hat, denn unmittelbar über der
Kulturschicht schließt sich wieder eine
sterile Seekreidestrate an, die eine erneute Überschwemmung des Inselrückens und einen Anstieg des Seespiegels
anzeigt. Heutzutage befindet sich die
ehemalige Siedlungsstelle mehr als 4,5
m unter dem Wasserspiegel.
Einen Einblick in die wirtschaftlichen
und kulturgeografischen Beziehungsgeflechte geben die fast 400 dokumentierten Einzelfunde. Besonders auffällig sind
dabei die Verzierungen an einigen Keramikfragmenten. Konzentrische Kreiselemente sowie Sonnensymbole weisen überdeutlich auf Einflüsse der
Mondsee-Gruppe im heutigen Salzkammergut hin. Demgegenüber lassen
sich Machart, Farbe und Magerung der
Keramik sowie die Scherben mit Punktzier gut in Richtung der Pfyn-Altheimer
Gruppe Oberschwabens bzw. in das
Bayerische Archäologie 1 / 2019
33
Archäologie unter Wasser
Triangulärer Kupfernietdolch aus
Kempfenhausen vom Typ Cucuteni.
Die Aufnahmen mittels Reflectance
Transformation Imaging (RTI) lassen
den Mittelgrat sowie Schleifspuren an
der Schneide besser erkennen ebenso
wie die Nietlocher im Detail (li.).
U.: Hypothetische Rekonstruktionszeichnung der jungneolithischen Pfahlstation von Kempfenhausen im Starnberger See (Zeichnung: R. MeyerOhlenhof).
Rheintal einordnen. Ähnliche kulturgeografische Einflüsse lassen sich an
den Kupferfunden ablesen, die mit einem Flachbeil, einer Ahle und einem
triangulären Dolch vertreten sind. Metallurgische Untersuchungen an den
beiden ersten Funden ergaben ein relativ reines und nur mit Arsen angereichertes Kupfer, das auf eine Herkunft
aus der nordostalpinen Mondseegruppe
hindeutet. Der trianguläre Nietdolch,
der dem Typ Cucuteni zuzuordnen ist,
findet wiederum Vergleichsbeispiele im
westlich benachbarten Oberschwaben
(Siedlung Reute-Schorrenried), also
erneut im Pfyner Hauptverbreitungsgebiet. Dennoch lässt sich der Großteil der
Keramikformen auch in das Formengut
der Altheimer Kultur einordnen, deren
Hauptverbreitungsgebiet deutlich näher liegt. So sind die altheimerzeitlichen
Talrandsiedlungen von Pestenacker und
Unfriedshausen gerademal 35 km entfernt.
Wer waren also die Siedler? Woher
kamen sie? Und was bewog sie, hier inmitten unberührter Landschaft auf einer ufernahen Insel im See ihre kleine
Siedlung aufzuschlagen? Berücksichtigt
man die überproportional im Fundgut
vertretenen Metallfunde sowie die Ergebnisse zu den Einzelfunden, muss zumindest die Hypothese aufgestellt werden, dass die jungneolithischen Siedler
in den Handel von »Mondseekupfer«
und deren Gegenständen entlang des
Alpenhauptkammes eingebunden waren. Auch die Auswahl des Siedlungs-
34
Bayerische Archäologie 1 / 2019
platzes auf einer Insel anstelle auf den
besser zugänglichen Seekreidebänken
am Ufer deutet auf ein gewisses Schutzbedürfnis und eine Sicherung der Wertgegenstände (des Kupfers?) hin. Die
Interpretation als mögliche »Handelsniederlassung« wird zudem durch das
Fehlen von größeren Vorratsgefäßen im
Fundgut sowie durch fehlende Hinweise auf agrarische Tätigkeiten bestärkt.
Eine abschließende Bewertung lässt sich
aufgrund des Forschungsstandes allerdings nicht geben.
Die unterwasserarchäologischen Untersuchungen in der bislang einzig echten Pfahlbausiedlung in bayerischen
Gewässern sind seit 2013 unterbrochen. Der starke Zerstörungsgrad sowie
wichtigere Aufgaben, beispielsweise die
Monitoring-Aufgaben an der Roseninsel, haben zu einer Verlagerung der
unterwasserarchäologischen Tätigkeitsschwerpunkte geführt. Ein Potential für
weitere spannende Erkenntnisse und
für eine Entschlüsselung kulturgeografi-
scher Beziehungen verbleibt in der jungneolithischen Pfahlstation von Kempfenhausen aber allemal.
Der Autor:
Dr. Tobias Pflederer ist 1. Vorsitzender
der Bayerischen Gesellschaft für
Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU).
Literatur:
T. Pflederer/M. Mainberger/H. Beer, Außenposten am Rand der Alpen: Die jungneolithische Seeufersiedlung Berg-Kempfenhausen. Ber. Bayer. Bodendenkmalpfl.
50, 2009, 125–136.
H. Beer/M. Mainberger/T. Pflederer, Die
Pfahlbaustation bei Kempfenhausen im
Starnberger See. In: Inseln in der Archäologie. Vorgeschichte, Klassische Archäologie, Mittelalter, Neuzeit. Internat. Kongress
Starnberg 10–12. Juli 1998. Archäologie unter Wasser 3 (München 2000) 53–62.
H. Beer/M. Mainberger, Tauchuntersuchungen in der jungneolithischen Seeufersiedlung bei Kempfenhausen im Starnberger
See – Vorbericht über die Sondagen 1985,
1986 und 1997. Ber. Bayer. Bodendenkmalpfl. 38, 1997, 7–36.
Archäologie unter Wasser
Bayerische
Unterwasserarchäologen
im Ausland
Von Max Fiederling,
Detlef Peukert und
Tobias Pflederer
S
eit 2010 unterhält die Bayerische
Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU) enge Kontakte
mit dem Internationalen Zentrum für
Unterwasserarchäologie (ICUA) in Zadar, Kroatien. Neben der Erforschung
des römischen Hafens von Veštar in einer Bucht südlich von Rovinj widmeten
sich die Taucher der BGfU in den letzten Jahren auch der Erforschung von
40
Bayerische Archäologie 1 / 2019
römischen Wracks. Eine zunehmende Anbindung an Projekte der Ludwig-Maximilians-Universität München
sowie eine Kooperation mit der Soprintendenza del Mare, Palermo eröffneten
weitere internationale Tätigkeitsfelder
in Rumänien, Sizilien und Nordafrika.
Beispielhaft sollen einige der Projekte
vorgestellt werden.
Spätrömisches Handelsschiff
vor der Insel Veliki Piruzi
an der istrischen Küste,
Kroatien
Die Mitglieder der BGfU pflegen langjährige Beziehungen und Freundschaften mit ihren kroatischen Kollegen vom
internationalen Zentrum für Unterwasserarchäologie in Zadar (ICUA). Mehrere Kooperationsprojekte entsprangen
bereits dieser fruchtbaren Zusammenarbeit. Nach Abschluss der Erforschung
der Bucht von Veštar im Jahr 2013, bei
dem mehrere römische Molenanalagen
identifiziert und untersucht werden
konnten, fokussierte man sich auf ein
neues Projekt. Seit 2014 wurde damit
begonnen, die vor der Küste der Stadt
Rovinj befindlichen antiken Wracks in
einem übergeordneten Projekt namens
»Schiffswracks von Rovinj« zu untersuchen. An einem ersten ausgewählten
Fundplatz, welcher an der Südwestküste der kleinen Insel Veliki Piruzi zu verorten ist, waren seit den späten 1960er
Jahren mehrere archäologische Funde
gemacht worden. 2011 gelang durch
einen Surveytauchgang der ICUA eine
erste Einschätzung der Fundstelle.
Vor diesem Hintergrund erforschte
ein Kooperationsteam der BGfU und
der ICUA jährlich von 2014 bis 2017
den Fundplatz. Er erwies sich als Überrest eines havarierten Handelsschiffes,
dessen Objekte verstreut und z. T. in
meterdicken Schuttschichten in einer
Bucht an der Insel und in einer Wassertiefe von bis zu acht Metern anzutreffen waren. Das Areal wurde mittels
Offset-Messtechnik vermessen, ein Grabungsrahmensystem konstruiert und
installiert. Weiterhin wurden von allen Grabungsflächen 3-D-Modelle angefertigt, um genauere Pläne erstellen
zu können. Eine Sidescan-Aufnahme
erlaubte weitere Erkenntnisse und die
Identifikation der inselnahen Untiefen,
die in der Antike für das Schiff zum Verhängnis geworden waren. In den letzten
Archäologie unter Wasser
Jahren wurde die gesamte Fläche quadrantenweise ergraben und fast 400 kg
archäologisches Material geborgen.
Nach Auswertung der Funde, aller
erhobenen Daten und der Ergebnisse
einiger naturwissenschaftlicher Analysen konnte im Rahmen einer Masterarbeit ein detailliertes Bild des Befundes
erstellt werden. Die Detailstudie des
Wracks wird im Rahmen einer Monographie in der Reihe der ICUA voraussichtlich 2019 erscheinen.
Zusammengefasst ließ sich feststellen, dass das Schiff in der ersten Hälfte
des 5. Jhs. n. Chr. von der heute tunesischen Küste aus in See stach und mit
vermutlichen Zwischenstopps auf der
Insel Pantelleria sowie an der Küste des
heutigen Kalabrien und Albanien nach
Norden entlang der adriatischen Ostküste segelte. Als Zielhafen – den es nie
erreichte – kommen neben dem antiken
Vistrum im Bereich der heutigen Bucht
von Veštar vor allem jene großen und
bedeutenden antiken Städte in Frage,
welche im Norden der Adria zu verorten
sind, wie z. B. Aquileia, Parentium oder
Tergeste. Das Schiff hatte vor allem
nordafrikanische Amphoren an Bord,
die der Eigentümer mit anderen Typen
aus dem ägäischen Raum sowie der Levante mischte, um einen besseren Absatz erzielen zu können. Gefüllt waren
diese vor allem mit Wein und Olivenöl,
wobei auch Krustentiere und getrocknete Früchte als Ladung in Frage kommen. Viele Kleinfunde, wie ein Handlot
aus Blei zur Messung der Wassertiefe, Netzsenker eines Handnetzes oder
Kochgeschirr der Schiffsbesatzung aus
dem ägäischen und nordafrikanischen
Raum halfen dabei, die Geschichte des
Schiffes, seiner Besatzung und seiner
letzten Fahrt rekonstruieren zu können,
bevor es in einem Sturm auf die Felsen
an der Küste der Insel gedrückt wurde
und versank.
Taucharchäologie um die
punische Inselsiedlung
Mozia, Sizilien
Seit 2016 untersuchen Taucher der
BGfU die Gewässer um die Insel Mozia
in enger Zusammenarbeit mit den sizilianischen Kollegen der Soprintendenza
del Mare und der Fondazione Giuseppe
Whitaker. Die in der Stagnone-Lagune
gelegene Insel im Westen Siziliens war
von ca. 800 bis 750 v. Chr. bis zu ihrer
Zerstörung durch Dionysios I. von Syrakus im Jahr 397 v. Chr. wichtigste Kolonie punischer Kauffahrer zwischen Karthago und Sizilien. Die Stadt war schwer
zugänglich und leicht zu verteidigen.
Stürme wurden an den Untiefen vor den
äußeren Laguneninseln zum Schicksal
vieler Schiffe, wovon diverse Wracks ein
Abtrag der meterdicken Schuttschicht
mit Fundmaterial im Grabungsareal
des römischen Schiffwracks vor Veliki
Piruzi, Kroatien (re. o.) Bild auf der li.
S.: Bergung eines größeren Amphorenfragmentes vom Typ Spatheion vor
Veliki Piruzi, Kroatien während der
Grabung 2017. Bild u.: Bestimmung
der geborgenen Keramikfragmente,
Insel Mozia, Sizilien
eindrucksvolles Zeugnis ablegen. Neben
untergegangenen Schiffen aus punischer Zeit bezeugt dies auch das IsolaLunga-Wrack, ein Salztransporter (schifazzo), an dem die BGfU ein komplexes
Wirkgefüge von Prozessen aufzeigen
konnte, die den Erhalt bzw. Zerstörung
von Wracks beeinflussen.
Aufgrund globaler Erwärmung stirbt
schützendes Seegras ab. Wellen am
Strand ermöglichen regelhaft die Freilegung von Schiffsspanten, die durch
verschiedene Arten und den Schiffsbohrwurm Teredo navalis besiedelt
werden. Zuerst freigelegte äußere Teile
der Spanten sind durch dessen Wohnröhren geschwächt und brechen durch
Wellenschlag ab. In der gleichen Länge
werden durch Strömung und Verwirbelung noch bedeckte Spantenabschnitte
erneut freigelegt. Algen- und Tiergesell-
Bayerische Archäologie 1 / 2019
41
Archäologie unter Wasser
Spanten des Isola-Lunga-Wracks mit
Sukzessionsstadien des Aufwuchses,
Marsala, Sizilien.
schaften besiedeln diese zeitlich versetzt
und sind als Zonierung verschiedener
Sukzessionsstadien zu beobachten. Die
Kenntnis dieser Wirkmechanismen
kann bei archäologisch wertvolleren
Wracks sowohl zum Kulturgutschutz als
auch zum Naturschutz von Seegraswiesen eingesetzt werden.
Zu punischer Zeit war die Nordseite
der Insel Mozia mit dem sizilianischen
Festland durch eine 1,7 km lange und
nur wenige Zentimeter unter dem Wasserniveau verlaufende Straße verbunden. Es konnte gezeigt werden, dass
nach deren Bau eine ca. 120-fache Zunahme der Sedimentationsrate auf Mozias Ostseite stattfand. Offensichtlich
brachte der Straßendamm die Strömung
in der Lagune fast vollständig zum Erliegen. Als Folge versandete diese Seite.
Ein vermutlich von den Phöniziern errichteter Anleger, der in diesem Bereich
untersucht wurde, war ebenfalls davon
betroffen und führte letztlich zu dessen
Aufgabe.
Am modernen Anleger auf der Ostseite
der Insel verursachten Fährschiffe ei-
42
Bayerische Archäologie 1 / 2019
nen Sedimentabtrag, der fast 24 kg an
Keramik, Amphoren-, Dolia-Fragmente
und Pantelleria-Ware freigab. Es handelt sich um Fragmente punischer, aber
auch spätrömischer Datierung mit z.T.
nordafrikanischer Provenienz. Ein 5,5
kg schweres Fragment eines römischen
Bleiankers, die z. T. noch mit Seilresten
versehenen Amphoren und Dolia-Fragmente weisen auf einen weiteren bislang
unbekannten Ankerplatz hin, welcher
evtl. bis in spätrömische Zeit genutzt
wurde.
Auf der Suche nach dem
Hafen der antiken Stätte
Meninx, Insel Djerba,
Tunesien
Seit 2015 und mit Unterstützung der
Deutschen
Forschungsgemeinschaft
untersucht das Institut für Klassische
Archäologie der LMU München (Prof.
Dr. Ritter) in Zusammenarbeit mit
dem Institut National du Patrimoine
de Tunisie (Dr. habil. Ben Tahar) die
antike Stadt Meninx an der Südküste
der Insel Djerba. Ihre wirtschaftliche
Bedeutung verdankte Meninx vor allem
der Purpur-Gewinnung, die sie zu einem der wichtigsten Zentren in diesem
Wirtschaftszweig aufsteigen ließ und zu
einer Blütezeit im 2. und 3. Jh. n. Chr.
führte. In den Jahren 2017 und 2018
wurden Unterwasserarchäologen der
BGfU dazu eingeladen, die Hafensituation sowie die antiken Schifffahrtswege
der antiken Stätte zu entschlüsseln. Die
verkehrsgeographische Lage der Stätte
wird dabei bereits auf dem Satellitenbild deutlich. An der Südküste Djerbas
gelegen befindet sie sich vor Wind und
Wellenschlag geschützt an einer lagunenartigen Gewässerfläche, die vom
Mittelmeer im Osten durch breitere
Sandbänke abgetrennt ist. Die Lagune
kann über zwei größere Unterwasserkanäle mit ausreichend Tiefgang erreicht
werden, von denen der größere im Norden einen Seitenkanal direkt vor die antike Stätte in uferparalleler Ausrichtung
führt.
Sidescan-Sonarfahrten sowie gezielte
Tauchprospektionen bestätigten die bereits vermutete Nutzung des »kleinen«,
uferparallel ausgerichteten Unterwasserkanals als antike Schifffahrtsstraße.
Mit einer Breite von bis zu 50 m und einer Tiefe von bis zu 6 m konnten Schiffe
die natürlichen Gezeiten zur Ein- und
Ausfahrt in die Lagune direkt vor die
antike Stadt Meninx nutzen. Reichlich
Verlustmaterial an den durch Erosion freigelegten Stellen belegen eine
Nutzung des Kanals von punischer bis
in frühmittelalterliche Zeit. Auf Höhe
des macellum (Markt) und der horrea
(Lagerhäuser) gelang zudem die Entdeckung eines kaiserzeitlichen Schiffsanlegers. Die begleitenden Sedimentbohrungen zeigen an, dass dieser nur
Auslandsprojekte
Bathymetrische Karte des Flachwasserareals vor
der antiken Stätte Meninx, Tunesien (li. o.). Re. o.:
Dreidimensionale Rekonstruktion der Dokumentationsfläche im kleinen Unterwasserkanal vor der
antiken Stätte Meninx, Tunesien. Funde von punischer bis in frühmittelalterlicher Zeit belegen die
jahrhundertelange Nutzung dieser Schifffahrtsstraße. Bild li. u.: Unterwasserarchäologische
Arbeiten im kleinen Unterwasserkanal vor der
antiken Stätte Meninx, Tunesien.
für kurze Zeit genutzt und aufgrund einer zunehmenden Verlandung der Lagune wieder aufgegeben
werden musste. Weitere Anleger und Häfen anderer
Zeitstellungen müssen vermutet und noch lokalisiert
werden. Mehrere Amphorenfelder byzantinischer
und frühmittelalterlicher Datierung weisen im nordöstlichen Bereich des kleinen Unterwasserkanals auf
Wracks dieser Zeitstellung hin. Diese sollen in den
kommenden Jahren genauer untersucht werden.
Die Autoren:
Max Fiederling M. A. ist 2. Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e.V.
(BGfU).
Dipl.-Biol. M. A. Detlef Peukert ist Leiter der BGfUProjekte auf Sizilien.
Dr. Tobias Pflederer ist 1. Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V.
(BGfU).
Bayerische Archäologie 1 / 2019
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