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Aufklärung, Vernunft und Universalismus

2021, Zwischen Rechten und Pflichten – Kants ›Metaphysik der Sitten‹

In diesem Beitrag] widmet sich Kenneth Westphal dem methodologischen Status von Kants Moraltheorie als einer Version des von ihm so benannten "naturrechtlichen Konstruktivismus". Die historisch-systematische Neubewertung von Kants Universalismus verspricht ein genaueres Verständnis von, und damit eine besser fundierte Beurteilungsgrundlage für, seine Moraltheorie, und leistet durch das Ausräumen einschlägiger Missverständnisse zudem einen wichtigen Beitrag zur methodologischen Verteidigung von universalistischen Werte-und Wertungsansprüchen der Aufklärung, die gerade wieder einmal ins Fadenkreuz der Kritik geraten sind. Der berechtigte kritische Umgang mit Traditionen, Institutionen, Theorien und Ungerechtigkeiten der europäischen Kultur-bzw. Zivilisation-wie auch jeglicher anderer Kultur-zu dem Kant nicht unwesentlich beigetragen hat und der selbstverständlich auch auf Kant Anwendung findet unterscheidet sich dabei indessen wesentlich von Versuchen, unter dem Deckmantel der Kritik dogmatische, anti-universalistisch diskriminierende oder gar inquisitorische und für die (u. a. wissenschaftliche) Freiheit gefährliche Positionen zu diktieren. In kritischer Auseinandersetzung mit Kants praktischer Anthropologie wird gezeigt, wie aus der Struktur vernunftgeleiteten Handelns resultierende moralisch relevante Fakten in die Grundlegung seiner Moralphilosophie miteinfließen und seine Rechtfertigungsstrategie als inhärent sozial und intersubjektiv ausweisen. Ein naturrechtlich-konstruktivistischer Ansatz, wie er hier exemplarisch herausgearbeitet wird, rückt Kant methodologisch in die Nähe eines normativ qualifizierten Pluralismus Rawlsischer Prägung (hierzu Freien von Villiez 2005, 2019) und stärkt damit die Verteidigung von Theoriekonzeptionen, die sich in ihrer Verpflichtung auf die universalistischen Prinzipien der Aufklärung Kritik an ihrem vermeintlichen Kulturhegemonismus und Rigorismus ausgesetzt sehen. Ganz im Sinne des vorliegenden Bandes ist der Beitrag darüber hinaus ein Plädoyer für einen theorieübergreifenden Ansatz, der sich gegen eine bloße Parteigeistigkeit im Gewande methodologischer Reinheit und das damit oftmals einhergehende Opfer notwendiger Komplexität auf dem Altar der Vereinfachung richtet.

Aufklärung, Vernunft und Universalismus Kenneth R. WESTPHAL In: Carola Freiin von Villiez und Jean-Christophe Merle, Hgg., Zwischen Rechten und Pflichten – Kants ›Metaphysik der Sitten‹ (Berlin: de Gruyter, 2021), S. 31–55. [Zusammenfassung der Herausgebern: In diesem Beitrag] widmet sich Kenneth Westphal dem methodologischen Status von Kants Moraltheorie als einer Version des von ihm so benannten „naturrechtlichen Konstruktivismus“. Die historisch-systematische Neubewertung von Kants Universalismus verspricht ein genaueres Verständnis von, und damit eine besser fundierte Beurteilungsgrundlage für, seine Moraltheorie, und leistet durch das Ausräumen einschlägiger Missverständnisse zudem einen wichtigen Beitrag zur methodologischen Verteidigung von universalistischen Werte- und Wertungsansprüchen der Aufklärung, die gerade wieder einmal ins Fadenkreuz der Kritik geraten sind. Der berechtigte kritische Umgang mit Traditionen, Institutionen, Theorien und Ungerechtigkeiten der europäischen Kultur- bzw. Zivilisation – wie auch jeglicher anderer Kultur – zu dem Kant nicht unwesentlich beigetragen hat und der selbstverständlich auch auf Kant Anwendung findet unterscheidet sich dabei indessen wesentlich von Versuchen, unter dem Deckmantel der Kritik dogmatische, anti-universalistisch diskriminierende oder gar inquisitorische und für die (u. a. wissenschaftliche) Freiheit gefährliche Positionen zu diktieren. In kritischer Auseinandersetzung mit Kants praktischer Anthropologie wird gezeigt, wie aus der Struktur vernunftgeleiteten Handelns resultierende moralisch relevante Fakten in die Grundlegung seiner Moralphilosophie miteinfließen und seine Rechtfertigungsstrategie als inhärent sozial und intersubjektiv ausweisen. Ein naturrechtlich-konstruktivistischer Ansatz, wie er hier exemplarisch herausgearbeitet wird, rückt Kant methodologisch in die Nähe eines normativ qualifizierten Pluralismus Rawlsischer Prägung (hierzu Freien von Villiez 2005, 2019) und stärkt damit die Verteidigung von Theoriekonzeptionen, die sich in ihrer Verpflichtung auf die universalistischen Prinzipien der Aufklärung Kritik an ihrem vermeintlichen Kulturhegemonismus und Rigorismus ausgesetzt sehen. Ganz im Sinne des vorliegenden Bandes ist der Beitrag darüber hinaus ein Plädoyer für einen theorieübergreifenden Ansatz, der sich gegen eine bloße Parteigeistigkeit im Gewande methodologischer Reinheit und das damit oftmals einhergehende Opfer notwendiger Komplexität auf dem Altar der Vereinfachung richtet. (C. F.v.V. & J.-C. M., S. 17–18) §1 EINLEITUNG Heutzutage sind universalistischen Moralprinzipien einer breiten Palette von Einwänden ausgesetzt. Bevor wir uns mit dieser schwierigen Materie befassen, möchte ich darauf hinweisen, dass ich – anders als die meisten englischsprachigen Philosophen des 20. Jhd. – den Fachterminus „Moralphilosophie“ für die Gattung der Praktischen Philosophie verwende, die zwei eigentlich gleichgeordnete Arten hat: die Ethik und die Gerechtigkeitstheorie (ius). Universalistische Moraltheorien wurden deswegen kritisiert, weil sie den europäischen Imperialismus rationalisieren, den positiven Charakter der Gemeinschaften vernachlässigen und die Werte der Freundschaft abschwächen würden. Obwohl es sein mag, dass verschiedene universalistische Theorien solche Irrtümer begehen, beunruhigt es mich, dass aus Ignoranz eine viel subtilere und wichtigere Form von universalistischer Moraltheorie beiseitegeschoben worden ist, welche eine Herangehensweise bietet, welche durch unnötige Uneinigkeiten in der Philosophie unter denjenigen verborgen worden ist, die die philosophischen Fragen, Perioden und Traditionen aufteilen. Im Folgenden skiz1 ziere ich den Ansatz dieser Perspektive, um einen ihrer Vorzüge hervorzuheben: Sie identifiziert und rechtfertigt einige grundlegende moralische Kernprinzipien, welche unsere Handlungen und Interaktionen regeln, und lässt viele verschiedene Weisen zu, diese Prinzipien in der Gesellschaft und in unserem Verhalten zu instanziieren und zu errichten. Im Grunde genommen ist diese Perspektive Kants Fassung dessen, was ich ‚naturrechtlichen Konstruktivismus‘ nenne. Diese Bezeichnung mag wie ein Oxymoron klingen, denn die meisten Naturrechtstheorien erfordern einen moralischen Realismus, während die meisten konstruktivistischen Moraltheorien den moralischen Realismus ablehnen. Es gibt aber eine wichtige spezifische Form des moralischen Konstruktivismus, die sehr grundlegende moralische Normen identifiziert und rechtfertigt und sich weder auf den moralischen Realismus beruft noch ihn ablehnt, indem sie zeigt, dass bestimmte moralische Normen für endliche rationale Akteure, wie wir es sind, erforderlich sind, um in unserer Welt überhaupt zu leben und zu handeln. Die historische Entwicklung des naturrechtlichen Konstruktivismus fällt mit seiner systematischen Entwicklung zusammen: Der naturrechtliche Konstruktivismus begann mit Hume, wurde von Rousseau erheblich verbessert, von Kant verfeinert und von Hegel erweitert – und dann durch verschiedene Forderungen nach Einfachheit und Loyalität zum Parteigeist verdeckt.1 Besonders in der Moralphilosophie sollten wir Einstein statt Quine folgen: Alles sollte so weit vereinfacht werden wie möglich, jedoch nicht einfacher als das.2 Indem ich einige grundlegende Merkmale des naturrechtlichen Konstruktivismus skizziere, erschließe ich ein wichtiges Merkmal von Kants Moralphilosophie. Kants Metaphysik der Sitten versucht (aus seiner Sicht ‚metaphysische‘) Moralprinzipien zu identifizieren und zu rechtfertigen, die für alle rationale Akteure als solche gelten. Kant betont aber, dass die Anwendung dieser Prinzipien auf die conditio humana dasjenige erfordert, was er die ‚praktische Anthropologie‘ nennt (GMS, AA 4: 388, GMS, AA 4: 412, RL, AA 6: 216–7). Diese praktische Anthropologie listet grundlegende Merkmale unserer spezifisch menschlichen Form des Status eines endlichen rationalen Akteurs, unsere grundlegenden Fähigkeiten und Unfähigkeiten auf, insoweit sie relevant sind, um zu bestimmen, wie wir handeln können und sollen. Kant (TL, AA 6: 469) ordnet die ‚praktische Anthropologie‘ einem ‚Anhang‘ zu seinem System der Moralprinzipien zu, obgleich seine Beispiele viel Information über dieses Thema liefern. Dennoch können wir mit Kant über manche Punkte seiner praktischen Anthropologie uneinig sein und gleichzeitig seinen Moralprinzipien zustimmen. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, vertrete ich die Hypothese, dass viele Einwände gegen Kants Moralprinzipien von Missverständnissen bezüglich dieser Merkmale seiner Moralphilosophie stammen.3 Ich weiche von Kants ausdrücklicher praktischer Anthropologie in drei Punkten ab. Erstens antworte ich auf Kants Pessimismus bezüglich der menschlichen Neigungen und der gefallenen menschlichen Natur wie Rousseau auf Hobbes geantwortet hat, d. h. indem ich feststelle, dass 1 Ein Beispiel für diese Loyalität zu dem als methodologische Reinheit verkleideten Parteigeist ist die lange und hitzige Debatte über den ‚methodologischen Individualismus‘, der allzu oft als Fahne benutzt wurde, unter der ein substantieller Individualismus gefördert wurde (siehe Westphal 2003, §§32–37 und Westphal 2013c). 2 Einstein 2000, 314. Ockhams heuristisches Sparsamkeitsprinzip ist ein methodologisches Prinzip für die Entscheidung zwischen zwei gleichermaßen angemessenen wissenschaftlichen Theorien, was einen seltenen Zufall darstellt. Quine dagegen betont die ontologische Sparsamkeit – d. h. seine ‚Präferenz‘ für ontologische ‚Wüstenlandschaften‘ – als Vorstufe zur philosophischen Analyse, jedoch auf Kosten seiner eigenen Semantik (siehe Westphal 2015b, §§4–5). 3 Die Ansichten und Analysen, die ich Kant zuschreibe, sind möglicherweise nicht vertraut oder nicht evident. Die vorliegende Analyse beruht auf Westphal 2015a. 2 Fehlbildungen des menschlichen Charakters oft mehr mit sozialen Umständen als mit unseren natürlichen Fähigkeiten und Neigungen zu tun haben. Zweitens hebe ich dementsprechend mehr als Kant hervor, wie und in welchem Umfang unsere Bedürfnisse und Begierden durch unsere Erziehung, Ausbildung und Enkulturation geprägt werden können.4 Drittens lehne ich Kants (offiziellen) strengen Dualismus zwischen unseren rationalen und unseren sinnlichen Fähigkeiten ab, um – wie Aristoteles und Hegel es getan haben – die aktive Harmonisierung der intellektuellen Tugenden und der Charaktertugenden, und daher auch die moralisch wertvollen gemischten Motive zu berücksichtigen. Im Folgenden untersuche ich unter Berücksichtigung dieser Einsprüche einige grundlegende Merkmale des naturrechtlichen Konstruktivismus.5 §2 EINIGE GRUNDLAGEN DES NATURRECHTLICHEN KONSTRUKTIVISMUS Die Beschäftigung mit Selbstsucht, Habsucht und Herrschsucht hat zwei der wichtigsten Punkte von Hobbes Analyse der nicht staatlichen Naturzustandes in den Schatten gestellt, nämlich: 1. Eine unbegrenzte individuelle Handlungsfreiheit ist wegen der sich daraus ergebenden völligen Kollision unmöglich. Daher ist die grundlegende moralische Frage nicht, ob individuelle Handlungsfreiheit begrenzt werden darf bzw. muss, sondern welche Grenzen für die individuelle Handlungsfreiheit sich rechtfertigen lassen. 2. Eine zwar unschuldige und nicht böswillige völlige Unkenntnis davon, was wem gehört, genügt für die Entstehung der völligen Kollision, die im nicht staatlichen Naturzustand als Krieg aller gegen alle charakterisiert ist. Aus diesem Grund muss die Gerechtigkeit grundsätzlich eine öffentliche Gerechtigkeit als Gegenmittel gegen die genannte Unkenntnis sein, um die chronische Kollision durch soziale Koordinierung zu ersetzen. Den zweiten Punkt kann man das ‚unschuldige Problem‘ der Kollision nennen. Diese beiden Punkte implizieren, dass die grundlegendsten moralischen Probleme grundlegende Probleme der sozialen Koordinierung sind. Offensichtlich sind diese Probleme der sozialen Koordinierung Gerechtigkeitsprobleme, aber sie sind auch grundlegende ethische Probleme: Eine unserer vordersten ethischen Pflichten – welche unser individuelles Handeln leiten sollen – besteht darin, den Imperativen der Gerechtigkeit zu folgen. Wie fehlerhaft auch immer Hobbes’ positive Lösung dieser Probleme sein mag, bleibt seine prägnante Formulierung dieser beiden grundlegenden Fragen der Moralphilosophie maßgebend. Die kontraktualistische Tradition – insbesondere Hobbes Plädoyer für eine absolute Monarchie – stellt die zentrale Frage in Bezug auf Konventionalismus und moralischen Maßstäbe. Wenn die grundlegenden Moralprinzipien künstlich sind, müssen sie auch willkürlich sein? Nein. Humes entscheidender Einblick lautet: So gewiß die Regeln der Rechtsordnung künstlich sind, so sind sie doch nicht willkürlich. Es ist daher auch die Bezeichnung Naturgesetze nicht unpassend. (Hume 1978, 227: 3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 1) Dieser Einblick ist grundlegend für Humes Gerechtigkeitstheorie, die eine spezifische Herange4 Meine These ist komparativ. Über Erziehung hat Kant viel Wertvolles zu sagen: siehe Herman 2007, 106–153. Hegel hat dieselben Korrekturen zu Kants praktischer Anthropologie gemacht (siehe Westphal 1991, Westphal 2005 und Westphal 2013b). 5 3 hensweise zur Naturrechtstheorie einführt (siehe Haakonssen 1981, Haakonssen 1993, Haakonssen 1996, Kap. 3, Buckle 1991), die ich den ‚naturrechtlichen Konstruktivismus‘ nenne. In einer konstruktivistischen Moraltheorie liefert den Zugang zur Objektivität nicht die Berufung auf subjektive Zustände der in den heutigen Formen des moralischen Konstruktivismus vorherrschenden Arten, sondern die Berufung auf objektive Tatsachen in Bezug auf unseren besonderen Status eines rationalen Akteurs sowie auf diejenigen Umstände unseres Handelns, die für unsere conditio humana grundlegend sind. Genauer fokussiert Humes Gerechtigkeitstheorie auf physiologische und geographische Tatsachen in Bezug auf die menschlichen Lebensbedürfnisse, auf unsere begrenzten Handlungsfähigkeiten, die relative Knappheit der Ressourcen für die Erfüllung unserer Lebensbedürfnisse und auf unsere unvermeidliche wechselseitige Abhängigkeit. Die Prinzipien, die Hume auf dieser Basis baut, verdienen die Bezeichnung „Naturgesetze“, weil sie für die Menschen völlig unentbehrlich, und daher nicht optional sind.6 Wenn Humes naturrechtlicher Konstruktivismus erfolgreich ist – anderswo zeigte ich im Einzelnen, dass er tatsächlich erfolgreich ist –, überwindet er in der Moraltheorie den toten Punkt zwischen den Moralrealisten und ihren Kritikern, indem er zeigt, dass ihre Debatte für die Identifizierung und die Rechtfertigung der grundlegenden, objektiven und allgemeingültigen Moralprinzipien irrelevant ist. Wenn moralische Objektivität ohne Berufung auf den Moralrealismus oder auf die Alternativen zum Moralrealismus auskommt, handelt es sich um einen erheblichen Durchbruch: Wir müssen diese langwierige Kontroverse nicht lösen, um objektive grundlegende Moralprinzipien zu identifizieren bzw. zu rechtfertigen. Humes (sowie Rousseaus, Kants und Hegels) grundlegendste Probleme der sozialen Koordinierung stammen unmittelbar von Hobbes: Unter den Umständen der relativen Knappheit äußerer Güter, der leichten Übertragung der Güter von einer Person auf eine andere, des für die menschliche Natur typischen begrenzten Wohlwollens, unserer natürlichen Unkenntnis davon, wer was rechtens besitzt, und unserer von den menschlichen Schwächen verursachten wechselseitigen Abhängigkeit, verlangen wir eine rechtmäßige Besitzordnung, um die Verteilung und den Verbrauch der Güter zu stabilisieren und um dadurch chronische Kollisionen zu vermeiden.7 Die minimale wirksame und durchführbare Lösung dieses Problems der sozialen Koordinierung besteht in der prinzipiellen Festsetzung und der praktischen Umsetzung des Grundsatzes „Respektiere die Besitzrechte!“ Dies ist Humes erstes Gerechtigkeitsgrundsatz. Humes drei Gerechtigkeitsgrundsätze sind die „der Sicherheit des Besitzes, der Übertragung durch Zustimmung und der Erfüllung von Versprechungen“ (Hume 1978, 274: 3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 6; vgl. auch Hume 1978, 320: 3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 11). Seine erhellend konstruierten drei Grundregeln der Gerechtigkeit zeigen, dass diese drei Prinzipien für uns Menschen als „Naturgesetze“ gelten, weil ohne sie das menschliche soziale Leben – und daher jegliches menschliche Leben – unmöglich ist. In Ein Traktat über die menschliche Natur untersucht Hume nur den engen Kern der Gerechtig6 „[…] wenn wir unter natürlich das verstehen, was irgendeiner Spezies gemeinsam ist, ja sogar, wenn wir das Wort so beschränken, daß nur das von der Spezies Unzertrennliche gemeint ist.“ (Hume 1978, 227, 3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 1). 7 Siehe zur relative Güterknappheit Hume 1978, 231, 238 und 239 (3. Buch, 2.Teil, Abschnitt 2), zur einfachen Übertragung Hume 1978 231 und 238 (3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 2), zur begrenzten Großzügigkeit Hume 1978, 231, 267, 356 (3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 2 und Abschnitt 5, 3. Teil, Abschnitt 3), zur natürlichen Unkenntnis bezüglich des Besitzes Hume 1978, 233, 275 f. (3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 2 und Abschnitt 6), zur begrenzten Macht und zum daraus entstehenden wechselseitigen Unabhängigkeit Hume 1978, 228f. (3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 2). 4 keitstheorie. Zwei entscheidende Auslassungen sind die folgenden: Hume lässt die Frage nach der Sicherheit und der Garantie weg und schweigt über die kollektive Verteilung der Güter bzw. über deren kollektiv zulässigen Verteilungen. Die Beschränkung der Gerechtigkeit auf Humes drei Gerechtigkeitsregeln läuft darauf hinaus, ein großes Ausmaß von Willkür bezüglich weiterer Prinzipien und Praktiken walten zu lassen, denn nach diesen drei Gerechtigkeitsregeln sind Gesellschaft und menschliches Leben auch unter äußerst ungerechten Umständen „möglich“. Rousseau geht diese Probleme an, indem er Humes konstruktivistische Methode der Analyse der Gerechtigkeit vertritt, überarbeitet und erheblich erweitert. Rousseaus conditio sine qua non für gerechte kollektive Verteilungen des Reichtums ist, dass es niemandem erlaubt ist, Reichtum, Macht oder Privilegien von irgendwelcher Art bzw. in irgendwelchem Umfang zu haben, die ihm ermöglichen würde, fremde Handlungen einseitig zu befehligen. Rousseau schließt diese Art von Abhängigkeit von einem fremden persönlichen Willen als eine ungerechte Verletzung von jedermanns „ursprünglichem“ Recht aus, frei zu sein, nur nach seinem Willen zu handeln (Rousseau 1977, Buch 1, Kap. 6 (§1) u. 8 (§2); siehe Westphal 2013a). Klarer als Hume betont Rousseau, dass Gerechtigkeitsprinzipien und die Institutionen und Praktiken, die sie gestalten, unter Umständen der Kollisionen erzeugenden Bevölkerungsdichte für uns obligatorisch sind. Rousseaus Hervorhebung, dass soziale Institutionen so gestaltet sein sollen, dass niemand den Willen anderer befehligen kann, ist für die moralische Freiheit erforderlich, welche wiederum verlangt, dass man nur Gesetzen gehorcht, die man sich selbst gegeben hat. §3 FREIHEIT ALS AUTONOMIE UND ALS RESPEKT VOR PERSONEN Rousseaus Behauptung der Autonomie und sein Plädoyer dafür sind unwiderstehlich. Sind sie aber berechtigt? Die Analyse und die Begründung der moralischen Autonomie als richtige Darstellung der menschlichen Freiheit sind eine der entscheidenden Beiträge Kants zur Moralphilosophie. Kants Universalisierungstests stellen fest, ob die Durchführung einer vorgeschlagenen Handlung alle anderen Personen bloß als Mittel und nicht gleichzeitig als freie rationale Akteure behandeln würde. Der entscheidende Punkt von Kants Methode zur Identifizierung und Rechtfertigung moralischer Pflichten und Verbote besteht darin, zu zeigen, dass nicht allen betroffenen Parteien ausreichende Gründe für die Rechtfertigung einer verbotenen Handlung gegeben werden können. Es können wiederum nicht allen betroffenen Parteien ausreichende Gründe für die Unterlassung von positiven moralischen Pflichten gegeben werden. Im Gegensatz dazu sind moralisch rechtmäßige Arten von Handlungen diejenigen, für die allen betroffenen Parteien ausreichende Gründe für deren Rechtfertigung – auch bei der Gelegenheit meiner eigenen Handlung – gegeben werden können. Onora O’Neill bemerkt, dass Kants Grundkriterium für die richtige Handlung modal ist: Wenn wir denken, dass Andere ein bestimmtes Prinzip nicht annehmen und ihm erst recht nicht zustimmen können, können wir keine Gründe dafür geben, dass sie es annehmen bzw. ihm zustimmen sollten. (O’Neill 2000a, 200; vgl. Westphal 1997b, §§4–5) „Annehmen“ bedeutet hier, fähig zu sein, im Gedanken und in der Handlung genau demselben Prinzip – aus genau denselben Gründen – zu folgen, das man als Handlungsmaxime vorhat. Es geht um das Vermögen und die Fähigkeit, etwas zu tun, und nicht um eine psychologische Behauptung über dasjenige, wozu jemand sich zu glauben durchringen kann oder nicht kann. Die 5 Möglichkeit, ein Prinzip anzunehmen, unterscheidet sich daher grundsätzlich davon, ein Prinzip zu „akzeptieren“ im Sinne von „glauben“, „billigen“ oder „einverstanden sein“. Kants Test schließt jegliche Maxime aus, die in der gleichen Angelegenheit wie derjenigen, in der wir vorhaben, nach dieser Maxime zu handeln, von Anderen unmöglich angenommen werden kann. Die in Kants Test enthaltene Allgemeingültigkeit umfasst die eigene Handlung des Akteurs sowie (hypothetisch) alle Akteure, die zu jener Zeit oder zu irgendeiner Zeit auf dieselbe Weise handeln. Was wir als Maxime annehmen bzw. nicht annehmen können, ist durch die Form von Verhalten des Leitprinzips (d. h. der Maxime), durch grundlegende Tatsachen bezüglich der Begrenztheit unseres Status eines rationalen Akteurs, durch grundlegende Merkmale unseres weltlichen Handlungskontexts und vor allem dadurch eingeschränkt, ob die Maxime der Handlung, die wir vorhaben, von Anderen deswegen nicht angenommen werden kann, weil die genannte Handlung ihren Status eines rationalen Akteurs missachtet oder umstößt. Kants Test des Widerspruchs in der Konzeption schließt Maximen und Handlungen, die Zwang ausüben, Täuschen bzw. Ausbeutung aus. Im Prinzip schließen solche Maximen es aus, relevanten anderen Personen – am offenbarsten den Opfern – ausreichende Gründe dafür zu geben, warum sie diesen Maximen folgen und die Gründe oder die Handlungsweisen (vermeintlich) rechtfertigen sollten, welche diese Maximen in Gedanken oder in Handlungen leiten, insbesondere da der Akteur nach seiner eigenen Maxime handelt.8 Dies wird durch das Fehlen jeglicher Möglichkeit der Zustimmung signalisiert, was als Kriterium für die Illegitimität gilt. Die schiere Möglichkeit der Zustimmung einer beliebigen Person zu verhindern, verhindert die schiere Möglichkeit, allen betroffenen Parteien ausreichende Rechtfertigungsgründe für seine Handlung zu geben. Keine Handlung, welche die Möglichkeit für andere verhindert, aus ausreichenden Rechtfertigungsgründen zu handeln, kann gerechtfertigt sein (siehe §4), und jede solche Handlung ist daher moralisch verboten. Weil das Bestehen des Universalisierungstests durch eine Maxime (oder durch eine Handlungsweise) es erfordert, dass ausreichende Rechtfertigungsgründe für diese Maxime oder diese Handlung allen betroffenen Parteien gegeben werden können, warum sie nach dieser Maxime in diesem genauen Fall handeln sollten, enthält der Kern von Kants Universalisierungstest die gleiche Achtung vor allen Personen als freie rationale Akteure, d. h. als Akteure, die dadurch bestimmen können, was sie denken oder tun sollen, dass sie die Gründe rational bewerten, welche diese Handlung (als obligatorisch, erlaubt oder verboten) rechtfertigen.9 Der Ausschluss von Maximen, die bei diesem Universalisierungstest durchfallen, setzt die nötigen Mindestbedingung dafür fest, die Grundprobleme des Konflikts und der sozialen Koordinierung zu lösen, welche das Hauptanliegen der neuzeitlichen Naturrechtstheorien verursachten, d. h. die Errichtung von normativen Maßstäben im öffentliche Leben trotz tiefer Uneinigkeiten zwischen verschiedenen Gruppen dafür, was ein gutes bzw. ein frommes Leben substantiell ist. Diese Prinzipien gelten sowohl innerstaatlich als auch international und regeln auch die Beziehungen zwischen ethnischen oder 8 O’Neill 1989, 81–125. Eine Maxime wie diejenige, nach der Sie und ich vereinbaren, dass „mal ich Sie und mal Sie mich ausbeuten werde(n), mag minimale Forderungen bezüglich der generellen Gültigkeit der Gründe für die Handlung (nämlich dass ein Grund für einen Akteur auch ein Grund für andere Akteure sein kann) erfüllen, aber solche Beispiele unterstreichen nur, dass eine solche generelle Gültigkeit für die spezifisch Kantische Forderung nach Allgemeingültigkeit nicht ausreicht, was es ausdrücklich ausschließt, eine Ausnahme von einer ansonsten allgemeinen Regel für sich selbst zu machen (vgl. GMS, AA 4: 424, GMS, AA 4: 440 Fußnote, RL, AA 6: 321). 9 Diejenigen, die meinen, dass die moralische Rechtfertigung auf diese Bedingung verzichten kann, sollten das Pyrrhonische Kriteriumsdilemma sorgfältig nochmals durchdenken: siehe Westphal, 2013c. 6 andersartigen Gruppen. Diese Prinzipien sind neutral hinsichtlich der Theologie oder des Säkularismus und ihr Zweck ist es, ausreichende Mindestbedingungen für gerechte und friedliche Beziehungen zwischen Gruppen bzw. Völkern zu errichten, die in solchen Angelegenheiten uneinig sind, welche oft umstritten und entzweiend sind (vgl. O’Neill 2000b, O’Neill 2003a, O’Neill 2004b). §4 RESPEKT FÜR PERSONEN UND GEGENSEITIGE ANERKENNUNG Kants Rechtfertigungsstrategie ist konstruktivistisch, weil sie sich auf keine früheren Quellen oder Art von normativer Autorität beruft. Kants Konstruktivismus ist dem moralischen Realismus gegenüber völlig neutral. Kants Rechtfertigungsstrategie beruft sich lediglich auf das grundlegende Prinzip der rationalen Rechtfertigung selbst, dass die Rechtfertigung eines Prinzips, einer Politik, eines Glaubens, einer Institution oder einer Handlung es erfordert, dass deren Befürworter allen anderen betroffenen Parteien ausreichende Rechtfertigungsgründe liefern können, sodass sie dasselbe Vorhaben in Denken und im Handeln auf konsistente Weise annehmen oder ihm folgen können. Daher ist der Kern von Kants konstruktivistischer Rechtfertigungsstrategie für praktische Prinzipien grundsätzlich sozial und intersubjektiv, weil sie alle betroffenen Parteien betrifft. Unser – sowohl verbales als auch physisches – Verhalten wird weder von der Natur noch transzendental koordiniert. Infolgedessen können alle stabilen sozialen Bräuche bzw. Konstruktionen – ob kommunikativ, intellektuell, politisch oder physisch – nur auf Prinzipien beruhen, welchen alle Parteien im Denken und im Handeln auf konsistente Weise folgen können. Die Identifizierung und die Rechtfertigung solcher Prinzipien verlangt – so Kant –, dass wir den folgenden Maximen folgen: immer aktiv denken, immer konsistent denken, immer (möglichst) vorurteilsfrei denken, und „an der Stelle jedes andern denken“ (KU, AA 5: 294, siehe auch GS, AA 8: 145). Diese Maximen sind weder Algorithmen noch spezifische Methoden, sondern sie sind notwendige Bedingungen für rational stichhaltiges und gerechtfertigtes Denken, Urteilen und Handeln. Wie O’Neill (1989, 24–27 und 42–48) es bemerkt, sind alle diese Maximen gleichermaßen Kommunikationsmaximen, die dazu erforderlich sind, dass wir nicht nur mit unseren Anhängern, sondern mit jedem kommunizieren können. Darum ist Kants Rechtefertigungsstrategie grundlegend sozial. Der Nerv von Kants konstruktivistischer Strategie besteht darin, zu zeigen, dass die modale Fähigkeit, allen betroffenen Parteien Rechtfertigungsgründe zu geben, sehr streng erfordert wird. Ein großer Vorteil von Kants minimalistischer Rechtfertigungsstrategie besteht darin, dass sie bekannte Probleme bezüglich der – impliziten, ausdrücklichen oder hypothetischen – Zustimmung bzw. der Akzeptanz vermeidet.10 Kants konstruktivistisches Prinzip bezieht sich weder auf eine bestimmte Gesellschaft und ihre Normen (anders als der Kommunitarismus, wie z. B. MacIntyre) noch auf einen „überlappenden Konsens“ innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft (anders als bei Rawls), noch auf eine Menge von Stimmen, die eine Kommunikation gemäß den Anforderungen einer „idealen Sprechsituation“ anstreben (anders als bei Habermas), noch eine Vielfalt von potentiellen Vertragspartnern (anders als z. B. bei Gauthier, Scanlon oder Stemmer). Letztere Betrachtungen sind 10 Dieser Absatz fasst einige Gedanken von O’Neill 2000a zusammen; vgl. auch O’Neill 1996, O’Neill 2000b, O’Neill 2003, O’Neill 2004a, O’Neill 2004b und Westphal 2014a. Dass die gleiche Achtung vor allen Personen als freie rationale Akteure Bestandteil von Kants Universalisierungstest ist, zeigt, dass der unvergleichbarer Wert bzw. die „Würde“ des freien rationalen Akteurs (vgl. GMS, AA 4: 434f.) weder als eine unabhängige Prämisse von Kants Analyse noch als eine wertbezogene Prämisse erforderlich wird. 7 zwar wichtig, aber sekundär im Vergleich mit den Kernprinzipien der Gerechtigkeit, die durch Kants Konstruktivismus identifiziert und gerechtfertigt werden, welcher die grundlegendsten Prinzipien des menschlichen Denkens und Handelns formuliert. Die erforderlichen Prinzipien jeglichen legitimen Vertrags lassen sich nicht selbst durch einen Vertrag festlegen, wie Hume es erkennt (vgl. Hume 1978, 233: 3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 5 sowie Hume 1978, 262 ff.: 3. Buch, 2. Teil, Abschnitt 5), weil jeder Vertrag die genannten Prinzipien nicht definiert, sondern voraussetzt. Einen Konsens über die Festlegung von Grundnormen anzufordern, würde umgekehrt Fahrlässigkeit bzw. Rückschritt durch Zustimmungsverweigerung – einschließlich der Verweigerung der Anerkennung von relevanten, typischerweise auf andere Menschen bezogenen Betrachtungen und Verpflichtungen – erlauben.11 Kants Konstruktivismus identifiziert und rechtfertigt entscheidende Normen, zu denen wir verpflichtet sind, ob wir sie anerkennen oder nicht, und zwar einerseits wegen unserer rationalen Anforderungen, auf eine gerechtfertigte Weise zu handeln, und andererseits wegen der Grenzen der besonderen Endlichkeit der menschlichen Akteure und wegen des weltlichen Kontexts unseres Handelns. Nach Kant gibt es keinen öffentlichen Gebrauch der Vernunft ohne dieses konstruktivistische Prinzip, welches es auf einzigartige Weise vermeidet, irgendwelche partikuläre Autorität – ob ideologisch, religiös, sozio-historisch oder persönlich – vorauszusetzen. Weil die konstruktivistische rationale Rechtfertigung fallibilistisch ist, unterstreicht sie, dass rational beurteilen bedeutet, auf folgende Weise urteilen. Nach meinen besten gegenwärtigen Fähigkeiten, meinem Verständnis und meiner Information ist dieser Schluss aus den folgenden Gründen und in den folgenden Hinsichten gerechtfertigt – was meinen Sie dazu? Weil das rationale Urteil fehlbar ist und unsere eigene sozusagen „perspektivistische“ Bewertung des relevanten Beweismaterials, der relevanten Prinzipien und deren gegenseitiger Beziehungen einbezieht, ist das rational Urteil (in dem nicht-formellen Gebiet der Moral) grundsätzlich sozial. Die Urteile, die jeder von uns trifft, und die Prinzipien, die wir dabei gebrauchen, haben Konsequenzen, die über unsere gegenwärtige Lage und unseren Zuständigkeitsbereich hinausgehen. Dazu gehören Konsequenzen für Gebiete, Angelegenheiten und spezifische Fälle, die man vielleicht nie besuchen bzw. erleben wird bzw. denen man nie wird beiwohnen können. Darum verlangt jeder von uns die kritische Bewertung von anderen, die an anderen Tätigkeiten und Problemen beteiligt sind, welche mit unseren eigenen unmittelbar oder indirekt zusammenhängen, weil die anderen diejenigen Konsequenzen unserer eigenen Urteile sowie diejenigen Rechtfertigungsgründe derselben identifizieren können, die wir selber nicht identifizieren können. Niemand von uns kann die Auseinandersetzung unserer rationalen Urteile mit der ehrlichen Gegenseite für sich ausreichend simulieren, indem er für sich selbst auch die Rolle der ehrlichen Gegenseite spielt. Obwohl es wichtig ist, seinen eigenen advocatus diaboli zu spielen, ist dieses Spiel von seiner Natur her begrenzt und selbstverständlich fehlbar. Jeder von uns kann sein Bestes tun, um zu versuchen herauszufinden, was unsere Opponenten über unsere eigenen Urteile sagen mögen, und es mag sein, dass uns dies ziemlich gut gelingt, jedoch nur wenn wir hinreichend aufgeschlossen und informiert sind, um mit den diesbezüglichen Gegenanalysen und Gegenpositionen eng vertraut zu sein. Sogar dies könnte nicht die wirkliche kritische Bewertung unserer eigenen Urteile durch verständige und geschickte Gesprächspartner ersetzen, die tatsächlich 11 Zu einigen entscheidenden Mängel der Konsenstheorien vgl. O’Neill 2000a, 185–191 und Westphal 2014b. 8 abweichende bzw. entgegengesetzte Ansichten vertreten. Unvermeidlich haben wir unsere eigenen Gründe dafür, Expertise in manchen Bereichen statt in anderen Bereichen selektiv zu gewinnen, auf manche Themen statt auf andere zu fokussieren und manche Methoden, Darstellungen oder Stile statt anderer zu bevorzugen. Wie breit auch immer unsere Erkenntnisse und Darstellungen sein mögen, wir können sozusagen nicht jenseits unseres Horizonts sehen. Unsere eigene Fehlbarkeit, unser eigenes begrenztes Wissen und unsere eigenen begrenzten Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie die intrinsische Komplexität der Urteilsbildung über moralische Fragen machen er erforderlich, dass wir die kritische Bewertung von allen anderen kompetenten Menschen aufsuchen und ernsthaft berücksichtigen. Wer es versäumt, dies zu tut, der macht seine eigenen Urteile suboptimal informiert, suboptimal verlässlich und mit suboptimaler rationaler Rechtfertigung. Alle diese Betrachtungen und Maßnahmen sind erforderlich – und sie zu verstehen ist ebenfalls erforderlich –, um rational zu urteilen, dass „ich urteile“, statt die Worte „ich urteile“ lediglich zu denken oder auszusprechen, wobei man die Rationalität lediglich vortäuscht. Darum ist die große philosophische Bedeutung der rationalen Rechtfertigung durch das rationale Urteil die folgende: Damit ein Mensch das Urteil wirklich rational trifft, dass er rational urteilt, ist es erforderlich, dass er das Urteil trifft, dass andere gleichermaßen rational urteilen, und dass wir alle gleichermaßen dazu fähig – und dafür verantwortlich – sind, unsere eigenen und alle fremden rechtfertigenden Urteile rational zu bewerten. Diese wichtige und philosophisch entscheidende Form von rationalem Selbstbewusstsein erfordert das entsprechende Bewusstsein anderer Menschen, dass wir alle bezüglich unseres rationalen Urteilsvermögens, unserer rationalen Urteilsfähigkeit und der rationalen Ausübung derselben voneinander abhängig sind. Diese Anforderung ist transzendental, denn wir werden unsere eigene individuelle, zwar rationale, jedoch fehlbare und begrenzte Urteilskraft missverstehen, missbrauchen und überschätzen, es sei denn wir, als fehlbare rationale Richter, erkennen unsere kritische gegenseitige Abhängigkeit an. Daher ist die Anerkennung unserer eigenen Fehlbarkeit sowie unserer gegenseitigen Abhängigkeit als rationale Richter der Hauptfaktor, der uns als völlig rationale und autonome Richter konstituiert. Nur durch die Anerkennung der gegenseitigen Abhängigkeit unserer Urteilsfähigkeit kann jeder von uns unsere menschliche Fehlbarkeit und unser begrenztes menschliches Wissen mit unserer ebenso menschlichen Verbesserungsfähigkeit, d. h. mit unserer Fähigkeit – insbesondere aus konstruktiver Kritik – zu lernen verbinden. Diese Art von Anerkennung beinhaltet die gegenseitig erzielte Anerkennung unseres geteilten, fehlbaren und glücklicherweise auch verbesserungsfähigen rationalen Vermögens. In dieser Anerkennung wird die Anerkennung der entscheidenden Rolle der Wohltätigkeit, der Toleranz, der Geduld und der ausdrücklichen Verzeihung für die gegenseitige Bewertung unserer eigenen rationalen Urteile sowie der fremden Urteile einbezogen, um zuzugeben, dass das – eigene oder fremde – Versehen der conditio humana inhärent und an sich kein Grund ist, um die Fehler von irgend jemandem zu tadeln oder zu verurteilen.12 Darum erfordert eine völlig rationale Rechtfertigung, dass wir die 12 Dies ist genau den Punkt, den die beiden, anfangs sehr individualistischen moralischen Richter erreicht haben, die Hegel in „das Böse und seine Verzeihung“ (Phänomenologie des Geistes, Kap. VI CC) analysiert, was ausdrücklich der erste Fall von genuiner gegenseitiger Anerkennung in Hegels Phänomenologie des Geistes (GW 9:359.9–23, 360.31–361.4, .22–25, 362.21–29/§§666, 669, 670, 671) ist und den Anbruch des „absoluten Geistes“ konstituiert (GW 9:361.22–25/§670) (siehe Westphal 2009 und Westphal 2014a). Damit habe ich 9 kritische Bewertung der anderen herausfinden und uns mit ihr auseinandersetzen. Die Rechtfertigung irgendwelcher Ansichten in einem nicht bloß formalen Bereich erfordert eine sorgfältige konstruktive interne Kritik aller relevanten gegensätzlichen Ansichten – ob sie in der Vergangenheit vertreten worden sind, aktuell vertreten werden oder bloß möglich sind –, insoweit wir sie bestimmen können.13 Da sich die Liste der relevanten Alternativen immer erweitern lässt – teilweise durch den Entwurf neuer Varianten früherer Darstellungen, teilweise durch die Auseinandersetzung mit neuen Arten von Umständen, ist die rationale Rechtfertigung fehlbar und von Natur aus provisorisch. Dementsprechend ist die rationale Rechtfertigung grundsätzlich historisch, weil sie auf dem gegenwärtigen Kenntnisstand beruht, sie fehlbar und daher provisorisch ist und sich die Liste der relevanten Alternativen und Informationen im Laufe der Geschichte vergrößert. §5 DIE KOLLEKTIVE BEWERTUNG MORALISCHER UND PRAKTISCHER GRUNDSÄTZE Die im vorigen Abschnitt (§4) zusammengefassten sozialen Dimensionen der praktischen Rechtfertigung und die vorher (§§2–3) zusammengefassten Grundsätze des naturrechtlichen Konstruktivismus haben wichtige Implikationen für die kollektive Bewertung von moralischen Prinzipien, Praktiken und Institutionen. Ich merke an, dass Kants Universalisierungstest Maximen und Handlungen ausschließt, die Zwang, Täuschung, Betrug oder Ausbeutung enthalten. Es sind wichtige Implikationen der Kantischen Kriterien für die richtige Handlung. Dennoch reichen sie nicht aus: Obwohl zahlreiche Arten solcher Handlungen offensichtlich – und daher offensichtlich falsch – sein mögen, können manche Arten subtiler ein. Soziopathen sind oft charmant. Andernfalls wäre ihre Soziopathie erfolglos. Jahrhundertelang sorgte sich niemand darum, ob menschliche Abfälle die Umwelt verschmutzten. Obwohl wir es jetzt viel besser wissen, handeln wir oft diesbezüglich nicht ausreichend besser als früher. Weitere ähnliche Beispiele werden dem Leser leicht einfallen. Im Allgemeinen braucht – wie O’Neill (1975, 70–71) es hervorhebt – die Bewertung von Handlungsmaximen und Handlungsarten durch Kants Universalisierungstest Informationen über die „normalen, vorhersehbaren Erfolgsergebnisse“ der genannten Handlungen. Diese Informationen gehören zum rationalen Willen. In zahlreichen Fällen – O’Neills Beispiel ist Banküberfall – sind diese Ergebnisse offensichtlich. In anderen, komplexeren Fällen, in denen das soziologische Gesetz der unbeabsichtigten Folgen gilt – z. B. bei subtilen Arten von ethnischer bzw. wirtschaftlicher Diskriminierung oder von Rassen- bzw. Genderdiskriminierung –, mögen die letzten Folgen des Verhaltens einer Gruppe von Personen bei weitem weder offensichtlich noch vorhersehbar sein. Die sozialen Dimensionen der rationalen Rechtfertigung in moralischen Fragen haben zur Folge, dass wir versuchen müssen, die Implikationen unseres Verhaltens gegenüber allen Individuen und Gruppen zu verstehen, die anders behandelt werden bzw. die wir anders behandeln als uns selbst, unabhängig davon, wer „wir“ sind. Dies ist nötig, um die Prinzipien und Praktiken der Gerechtigkeit in jeder Gemeinschaft zu bewerten, zu förKant nicht „hegelianisiert“ (siehe unten Abschnitt 6). Das Gegenteil ist der Fall: Hegel erkennt die volle Reichweite und Bedeutung von Kants transzendentaler Methodenlehre und von seiner Kritik der Urteilskraft in allen drei Kritiken. 13 Dies ist in Hegels Begriff der „bestimmten Negation“ integriert (Phänomenologie des Geistes, GW 9:57.1–12/§79; vgl. Westphal 1989, 125–126, 135–136 u.163). Unter bloß „möglichen“ Alternativen verstehe ich keine bloß logischen Möglichkeiten, sondern stichhaltige Alternativen, denen es bisher an Befürwortern fehlte. In nicht formalen Bereichen haben bloß logische Möglichkeiten keinen rechtfertigenden Status. Sie gewinnen ihn nur durch relevantes Beweismaterial (vgl. Westphal 2010/11). 10 dern oder zu verbessern, und zwar teilweise indem man illegitime Vorteile identifiziert und korrigiert, welche manchen Personen oder Gruppen wegen der unterschiedlichen Behandlung von anderen selektiv zukommen. §6 VERNUNFT, RECHTFERTIGUNG UND KRITIK Meine Analyse betont, dass im Mittelpunkt der Formulierung, der Bewertung und der Rechtfertigung von grundlegenden (und sonstigen) moralischen Prinzipien und Praktiken – sowohl bezüglich der Ethik als auch bezüglich der Gerechtigkeit – die Vernunft und die Argumentation stehen, deren Wege viele heutzutage unangemessen oder naiv finden. Solche Verdachtsmomente gegen die Vernunft sind nicht auf die Anhänger der postmodernen Kritik begrenzt. Die Jahrzehnte, die ich mit der Untersuchung der Probleme, die das pyrrhonische Kriteriumsdilemma für die rationale Bewertung und die rationale Argumentation stellt, haben mich – sowie Hegel zuvor – überzeugt, dass Kants kritische Philosophie – unabhängig von Kants transzendentalem Idealismus – zur philosophischen Methodologie auf Weisen erheblich beiträgt, die immer noch missverstanden werden.14 Es ist unmöglich, hier in einer kurzen Zusammenfassung Kants Methodologie nochmals zu erklären. Es ist dennoch einleuchtend, über Kants eigene Erwiderung auf die damaligen Versuche einer skeptischen „Metakritik der Vernunft“ Hammans (1784/88), Herders (1799), Jacobis (1785, 1786) und Wizenmanns (1786) nachzudenken.15 Ihre Versuche kündigen in einem weiten Ausmaß die zeitgenössischen neopragmatischen und postmodernen Kritiken an der Vernunft und der rationalen Rechtfertigung an. Wie ich – im Anschluss an O‘Neill (§4) angemerkt habe, ist unser verbales und physisches Verhalten weder durch die Natur noch transzendent noch transzendental koordiniert, sodass jede stabile soziale Praktik bzw. Konstruktion – ob kommunikativ, intellektuell oder politisch oder physisch nur auf Prinzipien beruhen kann, denen alle Parteien im Denken und im Handeln (im genannten Sinne) konsistent folgen können. Die Identifizierung und die Rechtfertigung dieser Prinzipien bedürfen, behauptet Kant, dass wir den folgenden Maximen folgen: 1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken. Die erste ist die Maxime der vorurtheilsfreien, die zweite der erweiterten, die dritte der consequenten Denkungsart. (KU, AA 5: 294, vgl. auch WDO, AA 8: 145) Diese Maximen sind weder Algorithmen noch spezifische Methoden, sondern die conditio sine qua non, um rational, stichhaltig und vertretbar zu denken, zu urteilen und zu handeln. O’Neill (1989, 24–27 u. 42–48) merkt an, dass diese Maximen gleichermaßen Maximen der Kommunikation sind, die nötig sind, damit wir mit jedermann und nicht nur mit unserem parteiischen Lager kommunizieren können. Betrachten wir in diesem Zusammenhang Kants Erläuterungen zu diesem wichtigen Punkt am Ende von „Was heißt sich im Denken orientieren?“ (1786).16 In seiner Antwort auf die skeptischen Angriffe gegen die Vernunft ermahnt Kant: 14 Watson 1881 bleibt diesbezüglich lehrreich. Zu dieser Diskussion siehe Beiser 1987, 16–164. 16 Cinzia Ferrini hat mich an diesen Aufsatz Kants und an seine Relevanz erinnert. 15 11 Männer von Geistesfähigkeiten und von erweiterten Gesinnungen! Ich verehre eure Talente und liebe Euer Menschengefühl. Aber habt Ihr auch wohl überlegt, was Ihr thut, und wo es mit Euren Angriffen auf die Vernunft hinaus will? Ohne Zweifel wollt Ihr, daß Freiheit zu denken ungekränkt erhalten werde; denn ohne diese würde es selbst mit Euren freien Schwüngen des Genies bald ein Ende haben.Wir wollen sehen, was aus dieser Denkfreiheit natürlicher Weise werden müsse, wenn ein solches Verfahren, als Ihr beginnt, überhand nimmt. (WDO, AA 8: 144) Sodann stellt Kant die Denkfreiheit mit der obligatorischen Zensur und kommentiert: Zwar sagt man: die Freiheit zu sprechen, oder zu schreiben, könne uns zwar durch obere Gewalt, aber die Freiheit zu denken durch sie gar nicht genommen werden. Allein, wie viel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit andern, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mittheilen, dächten! Also kann man wohl sagen, daß diejenige äußere Gewalt, welche die Freiheit, seine Gedanken öffentlich mitzutheilen, den Menschen entreißt, ihnen auch die Freiheit zu denken nehme […]. (WDO AA8:144) Es kann sein, dass die von Kant hervorgehobene enge gegenseitige Abhängigkeit von dem Denken und der öffentlichen Kommunikation nicht selbstverständlich ist, aber denken Sie darüber nach, dass, welche kognitive Fähigkeiten uns auch immer angeboren sein mögen, wir deren Gebrauch nur durch die – formelle und informelle – Erziehung entwickeln und lernen, welche wir von anderen bekommen, die uns Informationen, Fertigkeiten, Methoden, Praxis und kritische Bewertung beibringen. Zur „Kommunikation“ gehören alle Veröffentlichungen und sozialen Quellen von Informationen. Kant betont außerdem, dass stichhaltig („mit […] Richtigkeit“, WDO, AA 8: 144) denken mehr als nur zu denken erfordert. Für uns fehlbare und begrenzte menschliche kognitive Lebewesen ist es entscheidend, eine echte stichhaltige Argumentation von einer bloß scheinbar stichhaltigen Argumentation zu unterscheiden, und dafür ist die Kommunikation mit den anderen nötig. Die Kommunikation mit anderen ist entscheidend, um zu beurteilen, ob unsere Gedanken, wie wir sie formuliert und in bejahende, verneinende oder enthaltende Urteile integriert haben, so formuliert und integriert sind,wie sie sein sollten, um ein angemessenes und rational vertretbares Urteil zu bilden (vgl. KrV, A261–3/B317–9).17 Kants dritter Punkt über die Denkfreiheit besteht darin, dass […] Freiheit im Denken die Unterwerfung der Vernunft unter keine andere Gesetze, als: die sie sich selbst giebt [bedeutet]; und ihr Gegentheil ist die Maxime eines gesetzlosen Gebrauchs der Vernunft (um dadurch, wie das Genie wähnt, weiter zu sehen, als unter der Einschränkung durch Gesetze). (WDO, AA 8: 145) Kant behauptet, dass dieser gesetzlose Gebrauch der Vernunft zur folgenden Situation führt: […] wenn die Vernunft dem Gesetze nicht unterworfen sein will, das sie sich selbst giebt, sie sich unter das Joch der Gesetze beugen muß, die ihr ein anderer giebt; denn ohne irgend ein Gesetz kann gar nichts, selbst nicht der größte Unsinn, sein Spiel lange treiben. Also ist die unvermeidliche Folge der erklärten Gesetzlosigkeit im Denken (einer Befreiung von den Einschränkungen durch die Vernunft) diese: daß Freiheit zu denken zuletzt dadurch eingebüßt, und, weil nicht etwa Unglück, sondern wahrer Übermuth daran schuld ist, im eigentlichen Sinne des Worts verscherzt wird. 17 Wood 2014, 65–69 vernachlässigt diese grundsätzlich intersubjektiven und sozialen Aspekte von Kants konstruktivistischer Darstellung der rationalen Argumentation in nicht formalen Bereichen. 12 (WDO, AA 8: 145) „Gesetzmäßig“ heißt, dass ein regelmäßiger, durch Regel geführter Gebrauch der Vernunft nötig ist, um einfach Sinn zu machen, um Aussagen, Behauptungen oder Urteile zu bilden, um sich auf jeden Gegenstand einer Diskussion auf verständliche und intelligente Weise zu beziehen, um gerechtfertigte bzw. vertretbare Behauptungen oder Urteile zu formulieren und um deren Treffgenauigkeit und Rechtfertigung zu bewerten. Diese Punkte gelten ebenfalls für Innovationen, deren Identifizierbarkeit (Erkennbarkeit), deren rationale Bewertung und – in günstigen Fällen – für deren Rechtfertigung. Die Gesetzlosigkeit einer Argumentation erzeugt dagegen […] ein Vernunftunglaube, ein mißlicher Zustand des menschlichen Gemüths, der den moralischen Gesetzen zuerst alle Kraft der Triebfedern auf das Herz, mit der Zeit sogar ihnen selbst alle Autorität benimmt, und die Denkungsart veranlaßt, die man Freigeisterei nennt, d. i. den Grundsatz, gar keine Pflicht mehr zu erkennen. Hier mengt sich nun die Obrigkeit ins Spiel, damit nicht selbst bürgerliche Angelegenheiten in die größte Unordnung kommen; und, da das behendeste und doch nachdrücklichste Mittel ihr gerade das beste ist, so hebt sie die Freiheit zu denken gar auf, und unterwirft dieses, gleich anderen Gewerben, den Landesverordnungen. Und so zerstört Freiheit im Denken, wenn sie sogar unabhängig von Gesetzen der Vernunft verfahren will, endlich sich selbst. (WDO, AA 8: 146) Die Obrigkeiten, an die Kant denkt, sind religiöse Behörden und Zivilbehörden, zu einer Zeit und an einem Ort, wo religiöse Behörden Zivilbehörden waren, aber heutzutage könnte eine solche Obrigkeit nicht nur zum Staat oder zu einer Kirche gehören, sondern auch zur Hochschulverwaltung oder zur universitären „business leadership“, denn so sehen inzwischen die Forderung nach wirtschaftlicher „Auswirkung“ innerhalb des Hochschulwesens und die ständig zunehmende Vernachlässigung und Benachteiligung der moralischen, politischen und sozialen Kompetenzen und Interessen aus. Kants emphatischer Schluss bleibt heute genauso wichtig wie im Jahr 1786: Freunde des Menschengeschlechts und dessen, was ihm am heiligsten ist! Nehmt an, was Euch nach sorgfältiger und aufrichtiger Prüfung am glaubwürdigsten scheint, es mögen nun Facta, es mögen Vernunftgründe sein; nur streitet der Vernunft nicht das, was sie zum höchsten Gut auf Erden macht, nämlich das Vorrecht ab, der letzte Probierstein der Wahrheit zu sein. Widrigenfalls werdet Ihr, dieser Freiheit unwürdig, sie auch sicherlich einbüßen, und dieses Unglück noch dazu dem übrigen schuldlosen Theile über den Hals ziehen, der sonst wohl gesinnt gewesen wäre, sich seiner Freiheit gesetzmäßig und dadurch auch zweckmäßig zum Weltbesten zu bedienen! (WDO, AA 8: 146f.) Aber warum eigentlich sollte die Vernunft der letzte Probierstein der Wahrheit sein? Darauf antwortet Kant in einer Fußnote zu seinem Schluss: Selbstdenken heißt den obersten Probirstein der Wahrheit in sich selbst (d. i. in seiner eigenen Vernunft) suchen; und die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung. Dazu gehört nun eben so viel nicht, als sich diejenigen einbilden, welche die Aufklärung in Kenntnisse setzen; da sie vielmehr ein negativer Grundsatz im Gebrauche seines Erkenntnisvermögens ist, und öfter der, so an Kenntnissen überaus reich ist, im Gebrauche derselben am wenigsten aufgeklärt ist. Sich seiner eigenen Vernunft bedienen will nichts weitersagen, als bei allem dem, was man annehmen soll, sich selbst fragen: ob man es wohl thunlich finde, den Grund, warum man etwas annimmt, oder auch 13 die Regel, die aus dem, was man annimmt, folgt, zum allgemeinen Grundsatze seines Vernunftgebrauchs zu machen? Diese Probe kann ein jeder mit sich selbst anstellen; und er wird Aberglauben und Schwärmerei bei dieser Prüfung alsbald verschwinden sehen, wenn er gleich bei weitem die Kenntnisse nicht hat, beide aus objectiven Gründen zu widerlegen. (WDO, AA 8: 146f., Fußnote)18 Die von Kant hier zensierte „Schwärmerei“ besteht in der Ansicht, dass die Gesetzgebung der Vernunft ungültig sei, während „Aberglaube“ die „gänzliche Unterwerfung der Vernunft unter Facta“ ist, ob diese Fakten real oder angeblich sind (WDO, AA 8: 145). Ein „allgemeiner Grundsatz seines Vernunftgebrauchs“ ist ein Prinzip, das jeder gebrauchen kann, um über Sachfragen zu urteilen. Dies widerspiegelt Kants folgende Beobachtung im „Kanon der reinen Vernunft“: „Alles Wissen (wenn es einen Gegenstand der bloßen Vernunft betrifft) kann man mittheilen“ (KrV, A829/B857). Die Mitteilbarkeit unseres Wissens ist eine notwendige und konstitutive Bedingung für die Erkenntnis von jeglichem Gegenstand, jeglichem Ereignis, jeglicher Struktur, jeglichem Phänomen, jeglichem Prinzip und jeglicher Praxis. Die kritische Frage, die Kant in dieser Fußnote für jeglichen Gebrauch der Vernunft stellt, ist ein klarer und wichtiger Schritt von Kants transzendentaler Methodenlehre zu den Universalisierbarkeitstesten, die Kant erst in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten darstellt. Der Schlüssel für die Universalisierbarkeitstests ist, dass die universelle Mitteilbarkeit eine notwendige Bedingung für die rationale Rechtfertigung in allen nicht-formalen Bereichen darstellt. Infolgedessen können Behauptungen bzw. Prinzipien – zusammen mit deren angeblich ausreichenden Rechtsfertigungsgründen –, wenn sie nicht universell mitteilbar sind, rational gerechtfertigt sein. Dies gilt unabhängig von dem Charakter, von dem Inhalt oder von der einstigen Stichhaltigkeit der genannten Behauptungen, Prinzipien oder Gründe. Kants Einsicht in die moralische Bewertung bzw. Rechtfertigung von Handlungen ist die folgende: Weder die Unterlassung von strengen moralischen Pflichten noch die Begehung von moralisch verbotenen Handlungen kann gegenüber allen anderen Menschen dadurch gerechtfertigt werden, dass ihnen die Prinzipien und die angeblichen Rechtfertigungsgründe für diese Begehung (oder Unterlassung) dieser Handlungen mitgeteilt werden. So ist es in der Tat. Unsere durch Medienmarketing kommerziell geführten Gesellschaften versperren immer kräftiger und gründlicher die Ziele, Mittel und Regeln einer aufgeklärten Erziehung und einer verantwortungsbewussten wohlinformierten sozialen Teilnahme. Da die universelle Mitteilbarkeit der Prinzipien und deren (angeblicher) Rechtfertigungsgründe eine conditio sine qua non für die rationale Rechtfertigung jener Prinzipien, sowie für jegliches auf ihnen beruhenden oder von ihnen geleiteten Gedankens bzw. Handelns ist, umgeht Kants naturrechtlicher Konstruktivismus die Debatten über „Werte“ bzw. grenzt er diese Debatten ab, besonders wenn sie als Prämissen von moralischen Bewertungen oder als rechtfertigende moralische Argumentation benutzt werden. Selbstverständlich gibt es wichtige Angelegenheiten in Bezug Werte, Zwecke, politische Maßnahmen, Gesetzgebung und (häufig konkurrierende) Empfehlungen, die – ob auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene – gemeinsam zu regeln sind, aber diese Debatten können nur in der Reichweite derjenigen strengen Gerechtigkeitspflichten stattfinden, wirksam geführt werden und mit stichhaltigen Gründen eine Lösung finden, die von Kants Universalisierungstesten identifiziert werden, d. h. unabhängig von den genannten kontin18 Kants Fußnote schließt mit der folgenden Bemerkung: „Denn er bedient sich blos der Maxime der Selbsterhaltung der Vernunft. Aufklärung in einzelnen Subjecten durch Erziehung zu gründen, ist also gar leicht; man muß nur früh anfangen, die jungen Köpfe zu dieser Reflexion zu gewöhnen. Ein Zeitalter aber aufzuklären, ist sehr langwierig; denn es finden sich viel äußere Hindernisse, welche jene Erziehungsart theils verbieten, theils erschweren.“ (WDO, AA 8: 147, Fußnote) 14 genten und vielfältigen materiellen Prämissen. Daher können moralische bzw. politische Debatten über „Werte“, Zwecke und Sehnsüchte nur politische Maßnahmen, Verfahren, Gesetze, Gebräuche und Konventionen betreffen, die von einem Wahlverfahren abhängen und vertretbar sind. Debatten über „Werte“, Zwecke und Sehnsüchte als materiale Prämissen der moralischen Argumentation gehören nicht zu den grundlegendsten Gerechtigkeitsprinzipien, welche die grundlegendsten Moralprinzipien sind und durch Kants naturrechtlichen Konstruktivismus identifiziert und gerechtfertigt werden. In dieser Hinsicht löst Kants Konstruktivismus ein sich in den Theorien des „moralischen Standpunkts“ befindendes Problem, welche es versuchen, in der moralischen Praxis fehlerfreie Gründe und Argumente von mangelhaften Gründen und Argumenten zu unterscheiden, zu identifizieren und zu charakterisieren, und welche die gleiche moralische Beachtung für alle anderen Menschen in den Mittelpunkt stellen (z. B. Toulmin 1953, Baier 1958, Singer 1961, Nielsen 1989). Mit Letzterem liefern diese Theorien keine Analysen von irgendwelcher Art von moralischer Argumentation, sondern Analysen spezifisch für die liberale moralische Argumentation (Nielsen 1999). Dieselbe Konstellation kehrt in Rawls Theorie der Gerechtigkeit (1971) wieder, wie Rawls späterer Aufsatz „Gerechtigkeit als Fairneß: politisch und nicht metaphysisch“ (Rawls 1992) es bestätigte. Rawls behauptet, dass „das angeborne Recht“ auf Freiheit bei Kant (RL, AA 6: 237f.) eine „selbstbeglaubigende Quelle […] gültiger [moralischer] Ansprüche“ (Rawls 1998, 102) ist, und die moralische Freiheit besteht ebenfalls darin, sich und die Anderen für „selbstbeglaubigende Quellen gültiger Ansprüche“ zu halten (Rawls 1998, 102). Bohman (2009) merkt zu Recht an, dass der moralische und rechtliche Status der Person grundlegender sein muss als ihr republikanisch-rechtlicher Status. Dennoch teilen die Positionen von Rawls und Bohmann die Instabilität, die Nielsen in den Theorien des moralischen Standpunkts beobachtet. Die genannten Positionen mögen „grundlegende Ideen“ (Rawls 1998, 67) der „politischen Konzeption der Person“ (Rawls 1998, 97) sein, um die Überschrift von einem Kapitel bzw. von einem Abschnitt von Rawls’ Politischer Liberalismus zu übernehmen, aber Kants praktische Philosophie beruft sich nicht auf die angebliche Selbstverständlichkeit solcher synthetischen Sätze. Warum hat sich für eine „selbstbeglaubigende Quelle […] gültiger [moralischer] Ansprüche“ (Rawls 1998, 102) zu halten zur Folge bzw. sollte zur Folge haben, dass man jeden anderen Mensch ebenfalls als eine solche Quelle betrachtet?19 Weder Bohman noch Rawls erkennen, wie Kant die genannten grundlegenden moralischen Ansprüche, die die Vernunft im Namen rationaler Personen erhebt, dadurch rechtfertigt, dass sie als conditio sine qua non für die Möglichkeit erforderlich sind, unsere Ansprüche, Urteile und Handlungen in nicht-formalen Bereichen zu rechtfertigen. Diese kühnen Thesen stehen im Mittelpunkt von Kants kritischer Methode und Strategien der rationalen Rechtfertigung.20 Die Behauptung, dass sich Kants Konstruktivismus nicht auf moralische Fakten beruft, könnte zu einem Missverständnis verleiten. Anders als die meisten aktuellen „konstruktivistischen“ Programme setzt sich Kants Konstruktivismus nicht dafür ein, den gesamten Bereich der Moral ausschließlich unter Berufung auf empirische Fakten und nicht-moralische Prinzipien zu erzeugen bzw. zu konstruieren. Fakten, die mir der menschlichen Begrenztheit – z. B. dass wir verwundbar sind und dass wir gezwungen bzw. getäuscht werden können – zu tun 19 Dies ist eine Variante der grundlegenden Frage, die Gauthiers radikaler Kontraktualismus stellt, und die im Kapitel 7 untersucht wird. 20 Hier habe ich von Kants kritischer Methodologie nur das strikte Minimum dargestellt, um meine Untersuchung möglichst exoterisch zu halten. Für eine vollständigere Analyse und Verteidigung siehe Westphal 2014a und Westphal 2015b. 15 haben, sind empirische Fakten. Sie sind teilweise konstitutive Bestandteile unserer begrenzten Art von Rationalität. Sie sind moralisch relevante Fakten, weil es soviel gibt, was wir, als Akteure machen, vermeiden, verwerten, verhütten oder betreuen sollten bzw. nicht dürfen. Der Ausgangspunkt von Kants Konstruktivismus sind nicht die angeblichen Rechte der anderen Menschen, sondern vielmehr unsere eigenen Verpflichtungen gegenüber anderen (sowie gegenüber uns selbst), da jeder von uns ein freier, rationaler und begrenzter Akteur ist. Von Anfang an bewegt sich diese Variante des Konstruktivismus innerhalb des Bereichs der Moral, weil sie im mit dem Problem der sozialen Koordination (wenn nicht gar des sozialen Konflikts, siehe §2) beginnt, und weil uns auf diejenigen Prinzipien zu beschränken, für die wir allen Personen ausreichende Rechtfertigungsgründe geben können, genauso ein Moralprinzip wie auch ein Prinzip der rationalen Rechtfertigung per se (in nicht bloß formalen Bereichen) ist. Es ist (im weiten Sinne) ein Moralprinzip, weil es von uns verlangt, dass wir nur nach denjenigen Prinzipien handeln, die sich rational rechtfertigen lassen, und weil es von uns ebenfalls verlangt, dass wir uns selbst und alle anderen Personen als rationale Akteure, d. h. als Akteure respektieren, die rational gerechtfertigte Prinzipien verstehen, entwickeln, bewerten und befolgen können, weil wir ihre Rechtfertigungsgründe erkennen und verstehen können.21 §7 VERFASSUNGSRECHT UND VERPFLICHTUNG DER GEMEINSCHAFT Gerechtigkeitsprinzipien existieren und gelten nur, insoweit die Leute sie in Wort und Tat befolgen, aufrechterhalten und pflegen. Dies gilt auch für die Kernprinzipien der Gerechtigkeit, die vom naturrechtlichen Konstruktivismus identifiziert und gerechtfertigt worden sind. Da der naturrechtliche Konstruktivismus verlangt, dass wir alle Personen als rationale Akteure respektieren, fordert er eine republikanische Verfassung sowie ein Bildungswesen, das die Kinder befähigt, zu verantwortungsbewussten Amtsinhabern der Bürgerschaft heranzureifen.22 Eine Verfassung eines Staates ist eine Liste von – üblicherweise kodifizierten – grundlegenden 21 Kant versteht als Respekt bzw. als „Achtung“ die Achtung vor dem Moralgesetz (GMS, AA 4: 400, 401, Fußnote, 403, 424, 426, 436, 440, KpV, AA 5: 73–76, 78–86, 128, 132, 151, 157). Die Achtung vor dem Gesetz besteht darin, den kategorischen Imperativ als das grundlegende Moralprinzip anzuerkennen und deswegen dasjenige zu befolgen, was der kategorische Imperativ verlangt, weil er das grundlegende Moralprinzip ist. Kants kategorischer Imperativ ist das grundlegende Moralprinzip, weil er das Verfahren bzw. das Kriterium bietet, um zulässige von unzulässigen Handlungsarten voneinander dadurch zu unterscheiden, dass er verbotene, erlaubte und gebotene Handlungstypen voneinander unterscheidet. Daher verlangen der Gebrauch des kategorischen Imperativs und die Befolgung seiner Gebote, dass man die hier dargestellte konstruktivistische Methode verwendet, um zulässige Maximen zu identifizieren und zu rechtfertigen. Kant behauptet mit Nachdruck, dass wir nur dann jede Person als einen Zweck in sich selbst, und nicht bloß als ein Mittel behandeln,wenn wir den kategorischen Imperativ verwenden und seine Gebote befolgen. Dies erfordert, dass wir nur auf der Basis von Prinzipien denken und handeln, die sich rechtfertigen lassen und die tatsächlich rational gerechtfertigt sind. Ein notwendiges und ausreichendes Kriterium für die Prinzipien, die sich rechtfertigen lassen und gerechtfertigt sind, besteht darin, dass wir nur für solche Prinzipien allen betroffenen Parteien ausreichende Rechtfertigungsgründe geben können, um zu denken bzw. um zu handeln, wie wir es tun bzw. zu tun vorschlagen. Kant spricht auch von der Achtung vor Personen, nicht nur vor dem Moralgesetz. Dies steht seiner Formulierung des Imperativs der Menschheit als Zweck an sich (vgl. GMS, AA 4: 429, siehe oben §2). Darum ist es richtig, von Respekt für Personen zu sprechen, obgleich Menschen Respekt als Personen nur wegen ihrer „Persönlichkeit“ verdienen, welche in deren Fähigkeit besteht, ihre Pflichten zu erfüllen, indem sie die Gebote des kategorischen verwenden und befolgen: „Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der Rechtschaffenheit etc.), wovon jene uns das Beispiel gibt.“ (GMS, AA 4: 401 Fußnote, vgl. GMS, AA 4: 428, 435, 436, 439, 440, KpV, AA 5: 87, 93). 22 Über relevante philosophische Theorien der Erziehung siehe Green 1999, Curren 2000, 2010 und Westphal 2012. 16 Gesetzen sowie eine lebendige Institution, insofern diese Gesetze in einer Gesellschaft institutionalisiert sind, die auf deren Grundlage lebt und ihre Geschäfte führt. Die in der Verfassung eines Staates formulierten Gerechtigkeitsprinzipien gestalten das rechtliche und politische Leben eines Volks. Im Wesentlichen ist das Recht eine Liste von befähigenden Bedingungen, die die verschiedenen Handlungsarten ermöglichen, die sie instituieren. Wenn sich ein Volk im Laufe der Geschichte verändert, müssen die Implikationen des Verfassungsrechts für die neu entstandenen sozialen Umstände in rechtlichen und politischen Verfahren ausgearbeitet werden. Das Verfassungsrecht besteht in einer Liste von bestimmbaren Vorschriften. Genauso wie empirische Begriffe haben sie eine „offene Struktur“ und bekommen in neuen Umsetzungskontexten neue Bestimmungen. Wie alle Normen haben sie latente Aspekte, die in Erscheinen treten, wenn neue Entwicklungen und Uneinigkeiten auftreten. (vgl. Will 1988, 1997). Demzufolge kann es keinen „Gesellschaftsvertrag“ im Sinne einer ausdrücklichen und vollständigen Liste von spezifischen rechtlichen Bestimmungen geben, denen man im Voraus zustimmen könnte. Die republikanische Staatsbürgerschaft enthält eine Verpflichtung zu seiner Verfassung, die im Wesentlichen eine Verpflichtung zu seiner nationalen Gemeinschaft ist, einschließlich der Verpflichtung zur stetigen Bewertung der Angemessenheit und der Effizienz der Rechtsordnung und der Justiz, um sie zu verbessern bzw. zu erweitern, wenn und in dem Ausmaß, in dem es nötig ist, um ihre Konformität mit den in der Verfassung formulierten Gerechtigkeitsprinzipien und mit den durch den naturrechtlichen Konstruktivismus identifizieren Kernprinzipien der Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten bzw. zu verbessern. Dies ist der Grund, warum Montesquieu (1748) den Geist der Gesetze hervorhob: Gesetze sind nur gerechtfertigt, insoweit sie in der Gesellschaft als Schutz und Förderung von zulässigen freien Handlungen funktionieren, die sich rechtfertigen lassen und gerechtfertigt sind.23 Wir ehren unsere Gerechtigkeitsprinzipien, indem wir einander als gleiche, ehrbare und geehrte Mitglieder unserer Republik ehren, und wir ehren im Wesentlichen dadurch, dass wir unsere Gerechtigkeitsprinzipien ehren. Diese Prinzipien gelten nicht nur national, sondern auch global, in einer weltbürgerlichen Perspektive. Wir alle sind verpflichtet, individuell sowie kollektiv unsere Praxis in Einklang mit diesen minimalen Gerechtigkeitsprinzipien zu bringen. §8 GERECHTIGKEIT, TUGEND UND FREUNDSCHAFT Freundschaft ist weitgehend geschätzt und genossen, und zwar so sehr, dass Hume sie als den Ausdruck einer stabilen Eigenschaft der menschlichen Natur ansieht.24 Wie geschätzt und wertvoll auch immer Freundschaft sein mag, sind nicht alle Freundschaften gleich: Freundschaften zwischen Rassisten, Fanatikern oder Sexisten sind selber rassistisch, fanatisch bzw. sexistisch, weil sie kräftig dazu neigen, den Rassismus, den Fanatismus oder den Sexismus der Freunde zu erleichtern und zu verstärken. Dagegen neigen moralisch gesunde Freundschaften dazu, die moralisch besseren Tendenzen der Freunde zu erleichtern und zu verstärken. In der aktuellen englischsprachigen Ethik behauptet eine umfangreiche Literatur, dass es universalistischen Moralprinzipien nicht gelinge, für die besonderen in der Freundschaft enthaltenen Werte und Verpflichtungen Rechenschaft abzulegen, bzw. dass universalistische Moralprinzipien mit den ge23 Vgl. Hegel, Rph §3 Anmerkung; zur Interpretation siehe Westphal 2010c und Westphal 2013b. Vgl. Hume 1984, 99 (Abschnitt 8, Teil 1) sowie Hume 1984, 165 (Abschnitt 11), Hume 2003, 12 (Abschnitt 2, Teil 1), Hume 2003, 40 (Abschnitt 3, Teil 2), Hume 2003, 68 (Abschnitt 5, Teil 2). 24 17 nannten Werten und Verpflichtungen unvereinbar seien.25 Diese Behauptung beruht auf der Annahme, dass universalistische Moralprinzipien Unparteilichkeit verlangen, dass andere unparteiisch und nur unter Berücksichtigung von ihren allgemeinen Merkmalen, statt als Individuen – die sie sind – behandelt werden. Wir müssen aber Unparteilichkeit nicht mit Gleichgültigkeit verwechseln! „Parteiisch“ sein, was das moralische Urteil betrifft, besteht darin, sich selbst bzw. diejenigen, die sich selbst nah stehen, zuungunsten von anderen auf unzulässige Weise zu begünstigen. Dieses Verhalten ist ein von den Prinzipien des naturrechtlichen Konstruktivismus geächtetes Laster. Unsere Freunde – und im Allgemeinen unsere Gemeinschaften – stehen zu Recht an erster Stelle unserer Prioritätenliste, aber die genannte Priorität rechtfertigt keine Verletzungen unserer moralischen Verpflichtungen in der Absicht, ihnen Gefälligkeiten zu erweisen. Gefälligkeiten sind eines, unzulässige „besondere Gefälligkeiten“ etwas ziemlich anderes. Freunde sollten keine unzulässigen Gefälligkeiten erwarten, und wir sollten auch nicht damit rechnen, dass wir sie ihnen erweisen. Wenn um eine solche Gefälligkeit unabsichtlich ersucht wird, besteht nämlich die Pflicht gegenüber unserem Freund, ihm zu erklären, warum die Erweisung dieser Gefälligkeit unzulässig ist. Sollte der Freund auf dieser Gefälligkeit bestehen, wäre es eine Pflicht der Freundschaft ihm gegenüber, ihm Vorhaltungen zu machen und, soweit wie möglich, die diesbezügliche moralische Besserung unseres Freundes zu erleichtern. Die Kernprinzipien des naturrechtlichen Konstruktivismus verlangen von uns, dass wir die Personen als rationale Akteure respektieren, die auf der Grundlage von ausreichenden Rechtfertigungsgründen bestimmen können, wie sie zu denken und zu handeln haben. Indes gibt es im naturrechtlichen Konstruktivismus nichts,was es verbieten bzw. hindern würde, dass wir diese Art von Respekt für unsere Freunde mit der Sorge für den Charakter, das Wohlbefinden und ihr Glück, einschließlich – im Mittelpunkt – ihrer moralischen Tugend verbinden. Ganz im Gegenteil! Genauso wie die Gerechtigkeit existiert die Tugend nur, insoweit wir sie in unseren Leben und Handlungen verkörpern. Angesichts unserer begrenzten Fähigkeiten, ist jeder von uns nur dazu fähig, mit einer kleinen Anzahl von Freunden eng verbunden zu sein, obwohl es selbstverständlich viele Arten und Grade von weniger engen und dennoch wichtig und moralisch bedeutenden Freundschaften und Abstammungen gibt, vorausgesetzt dass wir sie erschaffen, pflegen und verbessern. In jedem Fall, und in welchem Ausmaß auch immer wir dazu fähig sind, tragen wir gegenüber unseren Freunden bzw. unseren Partnern – jedoch besonders gegenüber unseren engen Freunden – die Verantwortung dafür, dass wir ihren Charakter und ihre Tugenden fördern, ermutigen und verbessern. Im Mittelpunkt der Tugenden steht die Sorge für Gerechtigkeit und Tugend. Um zu erkennen, was Gerechtigkeit und Tugend verlangen, sind wiederum die Kernprinzipien des naturrechtlichen Konstruktivismus entscheidend. Obwohl Kant recht darüber hatte, dass unsere Affekte – einschließlich unserer Sympathien bzw. Abneigungen – eine fehlbare Orientierungshilfe sind, haben wir auch gesehen, dass die Institutionalisierung, die Umsetzung, die Aufrechterhaltung, die Überprüfung und die Verbesserung unserer Gerechtigkeitsordnung ebenfalls ein fehlbares Argumentationsvorhaben, an dem wir uns miteinander so rational und wohlwollend, jedoch auch so kritisch und so scharfsinnig wie möglich beteiligen müssen. Kants „metaphysische“ Prinzipien der Moral sind nicht bloß konsistent mit dem Charakter und dem Wert der Gemeinschaft und der Freundschaft, sondern sie brauchen 25 z. B. Blum 1980, Blum 1993, Friedman 1989, Friedman 1993, Stocker 1976, Stocker 1981; für eine Zusammenfassung siehe Helm 2009, §3. Das von ihnen identifizierte Problem bezüglich der Unparteilichkeit betrifft die Theorien des „moralischen Standpunkts“ bzw. den klassischen Utilitarismus, aber nicht Kants Moralphilosophie. 18 auch widerstandsfähige Gemeinschaften und Freundschaften, um mehr zu sein als leere Worte. Umgekehrt brauchen Gemeinschaften und Freundschaften die Kernprinzipien des naturrechtlichen Konstruktivismus, um den Verfall zu identifizieren, zu beheben und zu vermeiden (vgl. O’Neill 2002). Nur indem wir diese Prinzipien in unsere Praxis integrieren, können wir genuine Gerechtigkeit, Tugend, Gemeinschaft und Freundschaft – vor Ort und weltweit – entwickeln, aufrechterhalten und fördern. Da unsere Gesellschaften und unsere Interdependenz zunehmend komplex werden, haben wir keine Alternative zur Erleichterung und Steigerung unserer rationalen Fähigkeit, so gründlich und aufschlussreich wie möglich zu untersuchen, zu entdecken, zu bewerten, zu kommunizieren, zu korrigieren und zu rechtfertigen. Wir könnten und sollten dies viel mehr und viel besser tun als bisher. Ich mache mir keine Illusion darüber, wie und wie viel manche Beteiligte vom Überfluss an Informationen, von Falschinformationen und von Desinformationen zuungunsten anderer Beteiligten profitieren. Dennoch hört die Aufklärung nur dann auf, wenn – und wo – auch immer wir sie aufhören lassen. Sapere aude! Aus dem Englischen übersetzt von Jean-Christophe Merle. BIBLIOGRAPHIE Baier, Kurt, 1958. The Moral Point of View: A Rational Basis of Ethics. Ithaca, NY, Cornell University Press. ———, 1995. The Rational and the Moral Order. LaSalle, Ill., Open Court. Beiser, F. C., 1987. The Fate of Reason. Cambridge, Harvard University Press. Blum, Laurence, 1980. Friendship, Altruism, and Morality. London, Routledge & Kegan Paul. ———, 1993. ‘Friendship as a Moral Phenomenon’. In: Badhwar, ed., Friendship: A Philosophical Reader (Ithaca, NY, Cornell University Press), 192–210. 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Hegel’s Civic Republicanism: Integrating Natural Law with Kant’s Moral Constructivism. New York & London: Routledge. 22 Digitally signed by Kenneth R. Westphal DN: cn=Kenneth R. Westphal, o=Bogaizi University, ret., ou=Prof. Dr., philosophy, [email protected], c=IT Date: 2021.10.17 14:30:10 +02'00'