Anna Ananieva, Art. Garten, in: Lexikon literarischer Symbole, hg. v. Günter Butzer und Joachim
Jacob. Stuttgart: Metzler 2008, S. 120-123.
Garten/Park
Symbol des weiblichen Körpers, der Weltordnung, des glücklichen Jenseits,
der Verwandlung und der Poesie.
Die Wandlungsfähigkeit der literarischen Verwendung des Symbols geht
zurück auf kulturhistorische Veränderungen in der 1) Funktionsweise des
G. (Nutz- oder Lustg.) und der damit verbundenen Rolle des Menschen
(Vergnügen, Arbeit, Lehre), 2) äußeren Gestalt (geschlossen oder offen; in
Wachstum oder Verfall begriffen) und 3) Auffassung seiner Stellung in dem
jeweils dominanten Natur- und Kulturkonzept (Definition als Kunst, als
Natur oder als eine Zwischenform).
1. Symbol des weiblichen Körpers, der Liebeslust und der Jungfrau Maria. Der G. in
seiner etymologisch exponierten Grundbedeutung als ein abgegrenzter und
geschützter Raum gehört zu dem ursprünglichen Arsenal der europäischen
Folklore. Dabei handelt es sich vorwiegend um den Typ des Nutz- bzw.
Hausg., deren Erzeugnisse die aus der Agrikultur gewonnene Hauptnahrung
ergänzen. In seiner Bedeutung als ein fruchtbringender Körper der Frau
zählt G. zu den Symbolen des mythologischen Mutterarchetypen. Im Lied
tritt der G. als Ganzes und/oder pars pro toto seine Pflanzen als Symbol für
die heranwachsenden Mädchen in der Erwartung der Liebeserfüllung auf.
In der Erzählliteratur der griechischen Antike z. B. bei Achilleus Tatius und
Longos werden die weiblichen Geliebten als G.pflanzen personifiziert. Die
Symbolik des G. als eines Frauenkörpers - „liebe braut, du bist ein
verschlossen garten“ - verdichtet sich jedoch im Hohenlied Salomons und wird
somit zum festen Bestandteil der abendländischen Liebesliteratur, wobei
hier die Vielschichtigkeit der Symbolbildung im Romanz de la Rose (Frau,
Gottesmutter, Erotik, Kirche, Paradies) für lange Zeit literarische Maßstäbe
setzt. - Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung der G. der
höfischen Gesellschaft, die weniger der Nahrungsbeschaffung als dem
Vergnügen und der Repräsentation dienen, wird der literarische G. zum Ort
des Lustspiels und der Liebeserfüllung und weist bereits in den
byzantinischen Romanen, z.B. Digenis Akritis oder Kallimachos und Chrysorrhoe,
topische Züge auf. Die ursprüngliche Frauenkörpersymbolik des G. verliert
jedoch in den zahlreichen Variationen des irdisch-sinnlichen und spirituellen
Liebesg., z.B. in L'Amorosa visione von Boccaccio, zunehmend an Konturen.
Sie wird zu Gunsten der christlichen Schöpfungsmythen verdrängt bzw.
durch sie überlagert. In Folge der Herausbildung einer neuen Gefühlskultur
und des Paradigmenwechsels in der G.gestaltung im Verlauf des 18. Jh. wird
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die Liebessemantik des geschlossenen G. in die offene G.landschaft bzw.
Natur überhaupt verlagert, wofür beispielhaft die Idyllendichtung steht
(Geßner, Voss). Der sich in seine Umgebung öffnende G. wird zum Symbol
der freien Gefühlsentfaltung (s. a. unter 3.). – Als kontinuierlich erweist sich
dagegen die symbolische Bedeutung des geschlossenen G. als #V Jungfrau
Maria (Petrus Chrysologus, Patrologia Latina 52, 457 C; Aldhelm von
Malmesbury De laudibus virginitatis). In diesem Bild werden die Vorstellungen
von Unschuld: „jungferschaft die ist ein garte“ (Logau, Deutscher Sinn-Getichte
drey tausend 232), Erotik und Fruchtbarkeit vereint und ins Sakrale überführt.
Auch wenn die christliche Interpretation von hortus conclusus durch zwei
weitere, konkurrierende Bedeutungen als Christus und seine Kirche
erweitert wird, lässt sich diese Symbolik bis ins 20. Jh. erkennen, so etwa in
der Sinnbeziehung des schönen G. und seiner Herrin in T. S. Eliots AshWednesday. Die weibliche Komponente des Symbolgehalts überlebt in dem
profanen G.raum der Neuzeit meistens in den Gestalten der G.gottheiten
Venus, Flora, Mater Matuta und Pomona (Switzer, Ichnographia Rustica;
Eichendorff, Das Marmorbild). Die Liebessemantik wird meistens innerhalb
der Fêtes galantes in der Figur der schönen Gärtnerin bei Verlaines oder der
G.besitzerin im Frühlingsgarten von Max Halbe eingelöst. Literaturhistorisch
als Ausnahme erscheint daher die Intensität der Frauenkörpersymbolik, die
René Depestre in den 1970er Jahren in seinen Erzählungen wie Alléluia pour
une femme-jardin zum Ausdruck bringt.
2. Symbol der Weltordnung, des Wissens und der Erziehung. Die mythische
Symbolik des G. als Mutterleib im Sinne des Lebensursprungs findet ihre
Weiterentwicklung in der biblischen Schöpfungsgeschichte (Genesis 2). Der
alttestamentarische Gottesg. verweist auf die Urgeschichte; in Verbindung
mit dem Vorstellungskreis des Goldenen Zeitalters wird „Eden, erster
garte“ (Fleming) zum Symbol der harmonischen Weltordnung (Dante,
Paradiso; Goethe, Wahlverwandtschaften; Stifter, Nachsommer). Diese wird in der
formalen Gestaltung der G.anlagen zum Ausdruck gebracht, wobei hier vor
allem die Klosterg. für die Tradierung eines Musters, das die größtmögliche
Mannigfaltigkeit entfaltet und sie einer strengen geometrischen Form
unterordnet, verantwortlich zeigen. Laut Cassiodorus sollen sie für die
Ungebildeten angelegt werden, die sich nicht mit theologischen Studien
befassen können (Institutiones). In Verbund mit der Buchproduktion der
Klöster erlangt diese Symbolik systematische Verbreitung und
Verbindlichkeit. - In den Büchertiteln ausdrücklich verankert, die religiöse,
allgemeinhistorische, didaktische und poetische Inhalte vermitteln (v.
Hohenburg, Hortus Deliciarum; Viridarium moralis philosophiae; Musicalisches
Lustgärtlein), versteht sich der G. als eine universelle Ordnung des Wissens,
die nicht nur spezielle Informationen über Heilkräuter (v. Bingen), Botanik
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und Gartenbau (Strabo) einzuschließen vermag. In Wechselbeziehung dazu
stehen die von den französischen Theoretikern formulierten Anforderungen
an die G.gestaltung, die auf der Vielfalt, der Harmonie und der
symmetrischen Ordnung fußen (Barauderie, Traité du Jardinage). Auf die
epistemische Tragweite des G. verweist eine um 1700 in England
begonnene Kontroverse um die politische Ordnung der regierenden Eliten,
die im Verlauf des Jahrhunderts zur Umgestaltung der G.anlagen in dem
gesamten europäischen Kulturraum führt (Locke, Shaftesbury, Addison).
Der Absolutismus und sein Symbol - geometrisch gestalteter und axial auf
das Schloss ausgerichteter G. - werden in Frage gestellt und verworfen, das
alternative Konzept des freien Landschaftsg. in der Auseinandersetzung
über die schöne Natur entwickelt und verbreitet. Neben der politischen und
ästhetischen Dimension der „G.revolution“ (Hirschfeld, Gartenkalender) wird
der Landschaftsg. für die zeitgenössische Diskussion ein Symbol der
Verbesserung des Menschen (Hennings, Über Baummahlerei; Rückert,
Bemerkungen über Weimar 1799). Sein Programm fußt auf der
moralphilosophischen Prämisse der sittlichen Macht der Natur, ist der
Tugend und Freiheit verpflichtet und wird durch die emblematische
G.architektur wie etwa Tempel der Freundschaft getragen (Addison). – Den
gepflegten G. als Sinnbild der Wissensaneignung und der Erziehung
transportieren die Emblemata-Bücher noch bis ins 18. Jh. hinein. Ob in
Fortführung des Gedankens des #V Buches der Natur (Arnd) oder als
Anknüpfung an das lebensweltliche Modell der G. der antiken Akademien
(Cicero, Plinius, Erasmus von Rotterdam) wird G. als Ort der Erziehung
gedeutet. Diese Symbolik wird bevorzugt für die Prinzenerziehung
adoptiert, so z.B. am Hof in Berlin (Sophie Charlotte von Preußen, Extrait
de Télémaque). Die symbolischen Aspekte der Erziehung im G. werden mit
den pragmatischen konsequent in dem Kindererziehungsmodell der
Philanthropine verbunden (Basedow, Agathokrator). Mit der Verbreitung der
Landschaftsästhetik treten an die Stelle der kognitiven Erschließung und
planvollen Ordnung des regulären G. zunehmend eine affektive Aneignung
und gewollte Zwanglosigkeit, die in Folge zur Herausbildung der modernen
Subjektvorstellung beitragen (Rousseau, Émile ou de l'éducation). Das in
didaktischer Absicht beliebte Symbol wird nicht selten in karikierendem
Zusammenhang (Jean Paul, Flegeljahre) eingesetzt.
3. Symbol des glücklichen Jenseits, des verlorenen Paradieses, der kultivierten Natur und
der Kindheit. Die verbotene Aneignung des Wissens im G. steht am Anfang
der biblischen Erzählung der Vertreibung der Ureltern Adam und Eva
(Genesis 2). Damit beginnt die spätere heilseschatologische Interpretation des
G. als eines jenseitigen Ortes, an dem das urzeitliche Dasein bei Gott den
Frommen wieder zuteil werden kann. Denn erst im NT charakterisiert der
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G. die Endzeithoffnungen auf einen Ort der Seligen und verweist auf den
urzeitigen, inzwischen verlorenen Gottesg., wobei hier die altiranische
Bezeichnung für Baumg. oder Jagdpark (pairidaëza) durch die griechische
Vermittlung mit der Vorstellung der jenseitigen Glückseligkeit im Elysium
einhergeht (Pindar). Diese Deutung entspricht der eigentlichen G.symbolik
des Islam im Sinne des irdischen Abbildes des vom Propheten Mohammed
verheißenen Paradiesg. (Koran, Sure 55). Auch in der christlichen Ideenwelt
ist das Paradies nur den Gerechten nach dem Tod vorbehalten; der „G. der
Wonne“ befindet sich im Himmel, ihm gegenüber liegt die „Grube der
Pein“, die Hölle (Petrusapokalypse). Der poetische Höhepunkt der
apokalyptischen Deutung des himmlischen G. findet sich in Dantes La
Divina Commedia. Auch in den geistigen Liedern von Paul Gerhard ist G. ein
Vorausbild auf den Himmel: „Welch hohe Lust, welch heller Schein, wird
wohl in Christi Garten sein“ (Sommer-Gesang). – Vor dem Hintergrund der
heilseschatologisch fomulierten Zukunftserwartung wird die Gestaltung der
G. als Vergegenwärtigung des jenseitigen Glücks durch die Erinnerung an
den verlorenen Gottesg. gedeutet (Furttenbach d. Ä., Architectura Privata).
Mit dem Verweis auf den ersten von Gott gepflanzten G. spricht Bacon in
On Gardens der G.kunst die größte Vollkommenheit zu. So wie der G. Eden
dem Vergnügen gewidmet war und das arbeitsame Leben erst nach dem Fall
folgte (Temple), verknüpft die neuzeitliche G.symbolik im Bild des
irdischen Paradieses nun den Genuss mit der Arbeit (Brockes, Irdisches
Vergnügen in Gott; Klopstock, Der Messias). In dem aufgeklärten Projekt des
Landschaftsparks im Sinne der kultivierten Natur erreicht die Verbindung
der Zukunftserwartung auf den himmlischen G. mit dem Rückkehrwunsch
zu dem urzeitigen G. ihre Höchstform. Nicht zuletzt in einer
Wiedererinnerung an Miltons Paradise Lost werden zu Beginn des 18. Jh.
Grundsätze einer liberalen Ethik und der entsprechenden Kunstproduktion
formuliert (Shaftesbury; Locke) und ein alternatives Modell der G.gestaltung
als Ausdruck der Moral (Addison; Pope) entworfen. Nicht der
repräsentative höfische G., sondern der Landsitz als eine G.landschaft steht
im Zentrum der neuen Ästhetik. Dabei symbolisiert der Landsitz die Natur,
wogegen der Hof als Sinnbild der Künstlichkeit in der Kritik steht (Morris,
Lectures on Architecture; Shenstone, Elegy). Die Auffassung vom Landgut als
Ort moralischer Vervollkommnung modifiziert jedoch den Topos des
tugendhafteren Lebens auf dem Land (Horaz; Vergil) insofern, als der
Aufenthalt im G. nicht als Rückzug aus dem aktiven Leben, sondern als
Übung und zugleich Regeneration vor der Rückkehr in die Öffentlichkeit
verstanden wird (Thomson, Seasons; Defoe Tour Through Great Britain). – Die
moralisch-politische Dimension des symbolischen Verstehens des G. wird
in der dt. Literatur unter dem Vorzeichen der privaten Freiheit umgesetzt
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(Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst). Paradigmatisch dafür ist auch der
Rückgriff auf die „künstliche Wildnis“, die Rousseau in Julie ou la Nouvelle
Héloïse als einen verschlossenen G. entwirft. Der empfindsame G., ob in
Mercks Gedicht An L[ila] oder in Goethes Leiden des jungen Werthers bietet die
Stimmungsräume für die freie Entfaltung zunehmend individualisierter
Wahrnehmung und grenzt sich von den eindeutigen emblematischen
Sinnzuweisungen ab. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. versteht sich der G.
als „expressiv“ (Whately, Observations on Modern Gardening) und zielt auf eine
abwechslungsreiche Umsetzung von „verschiedenen Temperamente[n] und
Neigungen“ (Hirschfeld) ab. Entsprechend symbolisieren die G.anlagen
nicht mehr die Natur, sie sind „verschönerte natürliche Landschaft“
(Becker, Taschenbuch für Garten Freunde). Dem G.erlebnis entspricht eine
Topografie der Intimität, die die zahlreiche G.literatur fordert und selbst
beispielhaft vorführt (Andreae, Machern; Becker, Das Seifersdorfer Thal). Die
Korrespondenz der äußeren Gestalt des G. mit der inneren Welt des
Besuchers steht von da an im Mittelpunkt einer individualisierten
Symbolbildung (Brentano; Tieck; Stifter). Die Vielfalt des symbolischen
Verstehens des G. wird dabei potenziert und situativ eingelöst. Ein
kapriziöses Spiel mit jeglichem Symbolgehalt betreibt Jean Paul, als er einen
#V Ballonflug über die berühmtesten dt. G. im Anhang zu Titan startet. –
Die Umsetzung der individuell-eschatologisch verankerten G.symbolik in
profanierter Form erscheint in Viola Tricolor von Storm mit der
hoffnungsvollen Überwindung des familiären Verlustes als zum Schluss „die
fröhliche Zukunft des Hauses Einzug in den Garten der Vergangenheit“ hält. Diesem
optimistischen Bild des 19. Jh. steht im 20. Jh. eine ausgesprochen
distanzierte Haltung gegenüber, so etwa bei Harig, wenn Rousseau mit
seinem Zögling an der Hand den „Garten des Paradieses sucht“ (Rousseau.
Der Roman vom Ursprung der Natur im Gehirn). – Der Rückkehrwunsch zu
einer glücklichen, aber vergangenen Existenzform bildet die Grundlage
einer weiteren Bedeutung des G., der im biografischen Gedächtnis
verankert, die Kindheit symbolisieren kann. Bereits der mit Dornbüschen
umzäunte G. des Laërtes in Homers Odysseia erinnert Odysseus an die
eigene freudige Jugend. Zentral für die moderne Arbeit an der poetischen
Suche nach der verlorenen Zeit sind der Park von Transonville und die
Gärten der Champs-Elysée in Prousts A la Recherche du temps perdu, denen
Marcel, unmittelbar bevor er die Rätsel der Erinnerung löst, begegnet (Le
temps retrouvé). Wenn sich Rouquette 1961 von dem „Verd paradis“ der
klassischen Moderne ironisch distanziert, obgleich er im gleichnamigen Titel
seines Werkes das ferne Paradies der Kindheit aus Baudelaires Fleurs du mal
aufleben lässt, so ist im Erzählwerk von Pedretti eine zeitgenössische
Fortschreibung der G.symbolik erkennbar, die den G. ins Zentrum der
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literarischen Vergegenwärtigung der verloren gegangenen Zeiten und Orte
stellt (Pedretti, Kuckuckskind oder Was ich ihr unbedingt noch sagen wollte).
4. Symbol der Verwandlung, des Grenzganges zwischen Leben und Tod, der
Vergänglichkeit. Ausschlaggebend für die Symbolbildung der Verwandlung
des Gartens ist neben den natürlichen Veränderungen der Pflanzenwelt
während des Jahres die Tatsache, dass bereits die frühe G.kunst sich darin
verstand, die gegebenen Bedingungen nicht nur auszunutzen, sondern diese
der Zauberei gleich zu überwinden. Daher steht bereits der Nutzg., wie der
G. des Phaiakenkönigs Alkinoos (Homer Odysseia; Vergil, Georgica), für
Überfluss, Fülle und Reichtum. Literarisch zeichnet ihn eine positive
Einstellung zum Experiment (Plinius d.Ä., Historia Naturalis) und Freude an
Kunstfertigkeit (Eumathios) aus. Zugleich gilt es auch, den Inhalt des G.
und das spezifische G.wissen zu schützen (vgl. Lex Salica). In diesem
Zusammenhang wird die G.grenze besonders bedeutsam: Auf dem
symbolischen Zusammenschluss der Hecke und der Hexe bauen bereits
zahlreiche Varianten der Zaubermärchen. In den alttestamentarischen
Texten symbolisiert der G.zaun die gesamte rabbinische Tradition (Pirqe
Ab. 1,1). – Die durch die räumliche Abgrenzung des G. angelegte Trennung
in alternierende Bereiche (außen/innen; fremd/eigen; wild/kultiviert;
profan/sakral usw.) und die Möglichkeiten der Grenzüberschreitungen
erweisen sich als besonders attraktiv für die literarische Symbolbildung.
Zum einen ist es die eigentliche Grenze des G., die die Verwandlungen
markiert. Beispielhaft für die Ambivalenz der G.symbolik, die die
Transformationen von einem heiteren Garten zu einem lebensgefährlichen
G. veranschaulicht, sind die Märchen (Rapunzel KHM). Zum anderen hebt
der G.raum die sonst gültigen Unterschiede auf und symbolisiert damit die
in ständiger Bewegung begriffene Neudefinition von Leben und Tod. Diese
Grenzerfahrung findet den Eingang sowohl in germanische Sagen, wo ein
fruchtbarer Garten als Totenreich erscheint, als auch in die griechische
Mythologie: ausgerechnet die Töchter der Nacht, die Hesperiden, hüten in
ihrem Garten die goldenen #V Äpfel des ewigen Lebens. In der Literatur
der Antike wird der schöne Teil des Totenreichs als G. dargestellt: das
Elysium ist mit blühenden Blumen, Bäumen und wunderbaren Früchten
ausgestattet (Pindar, Tibull, Ovid, Claudian). Als Inbegriff der Verwandlung
veranschaulichen die Adonisg. nicht nur die rituelle Handlung des schnellen
Wachstums und Verfalls, sie avancieren zugleich zum Symbol der
Kurzlebigkeit bzw. der Vergänglichkeit der (künstlichen) Schönheit
(Euripides, Platon, Theophrastos). Der immanenten Wandlungsfähigkeit
des G. schenken die Autoren der Romantik besondere Aufmerksamkeit
(E.T.A. Hoffmann, Der goldene Topf; Eichendorff, Das Marmorbild). Dieses
Bild des G. wird von den Autoren der Moderne aufgegriffen und
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transformiert (Hofmannsthal, Der Tod und der Tod). Der #V schwarze G.
von Des Esseintes steht für die in radikaler Form abgekapselte, dem aktiven
Leben entsagte künstliche Existenz (Huysmans, À rebours). – Die
buchstäbliche Exklusivität des G. beschäftigt die Autoren verstärkt seit der
zweiten Hälfte des 19. Jh.: das Bewusstsein für die hochartifizielle Form der
Raumgestaltung einer bestimmten Gesellschaftsschicht (Fontane;
Keyserling) stellt den Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Grenzen
her. Als ein Relikt der Vergangenheit wird der G. zunehmend zum Symbol
einer überholten, nicht mehr zeitgemäßen Lebensform (Tschechow,
Wischnewyj sad; Storm, Die Söhne des Senators). Diese wird entweder
retrospektiv verklärt und sehnsüchtig vergegenwärtigt (Keyserling) oder
ironisch bzw. satirisch vorgeführt (Freytag; Dehmel; Th. Mann). (s.a. unter
2). – Der G. als ein Grenzbereich, in dem die normale Seinsordnung
aufgehoben ist, wird in der Literatur dem #V Traum gleichgesetzt:
Unmöglichkeit der Fortbewegung (Frau Holle KHM), Verzicht auf jegliche
Aktivitäten bis auf den passiven Genuss (Homer, Odysseia), Abenteuer
(Romanz de la Rose), Wandlung in einem #V Labyrinth (Colonna,
Hypnerotomachia Poliphili). Die Autoren um 1900 verbinden schließlich mit
dem G. das der „deutlichen Wirklichkeit“ ferne „Dunkle, Fremde und
Versteckte“ (Bahr, Studien zur Kritik der Moderne), so dass G. als „Träger des
Anderen“ überhaupt fungiert (Hofmannsthal, Gespräch über Gedichte).
5. Symbol der Poesie. Als literarisches Symbol bedeutet G. die selbst
geschaffene Welt der Dichter und die Quelle poetischer Inspiration (Plinius
d.J., Epistularum). Systematisch wird die produktions- und
rezepionsästhetische Wechselwirkung zwischen dem G. und der Poesie im
Rahmen der Imaginationsdebatte des 18. Jh. ausgelotet (Addison, The
Pleasures of the Imagination). Die Prämisse der mannigfaltigen Natur an Stelle
von Einförmigkeit und Armut der Kunst bestimmt die Sinnbeziehung des
Landschaftsg. zu einer progressiven Literaturtheorie (Möser, Ueber die
deutsche Sprache und Litteratur; Lenz, Für Wagnern (Theorie der Dramata)). Die
besondere Zeitstruktur des G.erlebnises, das in seiner Gegenwart die
Vergangenheit (durch die Erinnerung an den urzeitigen G.) und die Zukunft
(im Wunsch nach Wiedergewinnung des harmonischen Zustandes) vereint,
steht im Zentrum der romantischen Poetik (Eichendorff, Dichter und ihre
Gesellen). Dem G. kommt darin die symbolische Bedeutung der Poesie zu,
da beide als Ganzes das Verhältnis des Subjekts zur äußeren Welt zum
Ausdruck bringen. In diesem System werden G.pflanzen als früher lesbare
Zeichen der urzeitigen Sprache gedeutet, die nun zu einer Geheimchiffre
geworden ist (Novalis, Heinrich von Ofterdingen). Nach Brentano möchte jeder
in Erinnerung an das verlorene Paradies „sich irgendein Surrogat
erschaffen“ (Herzliche Zueignung). Dass Märchen und Gärten dabei in Frage
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kommen, bestätigt auch Tieck, der in Ein deutsches Lustspiel den Prinzen
Zerbino zu einem „Garten der Poesie“ reisen lässt. Aus dem Verständnis
heraus, dass das Heute mit Vergangenheit beladen ist (Hofmannsthal,
Gärten), fungiert das G.erlebnis auch in den poetischen Entwürfen der
Moderne als Symbol der literarischen Sprachfindung, die sich zwischen
Erinnerung und Poesie vollzieht (Hofmannsthal, Gespäch über Gedichte; Rilke,
Erlebnis).
Verwandte Symbole: Blume, Buch, Frau, Mutter, Labyrinth,
Rose/Rosengarten, Schwelle, Vater/Hausvater.
Lit.: F. Apel, Die Kunst als Garten. Zur Sprachlichkeit der Welt in der
deutschen Romantik und im Ästhetizismus des 19. Jahrhunderts,
Heidelberg 1983. – A. v. Buttlar, Der englische Landsitz 1715-1760. Symbol
des liberalen Weltentwurfs, Mittenwald 1982. - M. Gamper, Die Natur ist
republikanisch. Zu den ästhetischen, anthropologischen und politischen
Konzepten der deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert, Würzburg
1998. - Th. Köbner, Der Garten als literarisches Motiv um die
Jahrhundertwende, in: Ders., Zurück zur Natur: Ideen der Aufklärung und
ihre Nachwirkung, Heidelberg 1993, S. 110-165.
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