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Artikel "Garten"

2008, Metzlers Lexikon literarischer Symbole, hg. v. Günter Butzer und Joachim Jacob. Stuttgart: Metzler, S. 120-123

Symbol des weiblichen Körpers, der Weltordnung, des glücklichen Jenseits, der Verwandlung und der Poesie. Die Wandlungsfähigkeit der literarischen Verwendung des Symbols geht zurück auf kulturhistorische Veränderungen in der 1) Funktionsweise des G. (Nutz-oder Lustg.) und der damit verbundenen Rolle des Menschen (Vergnügen, Arbeit, Lehre), 2) äußeren Gestalt (geschlossen oder offen; in Wachstum oder Verfall begriffen) und 3) Auffassung seiner Stellung in dem jeweils dominanten Natur-und Kulturkonzept (Definition als Kunst, als Natur oder als eine Zwischenform). 1. Symbol des weiblichen Körpers, der Liebeslust und der Jungfrau Maria. Der G. in seiner etymologisch exponierten Grundbedeutung als ein abgegrenzter und geschützter Raum gehört zu dem ursprünglichen Arsenal der europäischen Folklore. Dabei handelt es sich vorwiegend um den Typ des Nutz-bzw. Hausg., deren Erzeugnisse die aus der Agrikultur gewonnene Hauptnahrung ergänzen. In seiner Bedeutung als ein fruchtbringender Körper der Frau zählt G. zu den Symbolen des mythologischen Mutterarchetypen. Im Lied tritt der G. als Ganzes und/oder pars pro toto seine Pflanzen als Symbol für die heranwachsenden Mädchen in der Erwartung der Liebeserfüllung auf. In der Erzählliteratur der griechischen Antike z. B. bei Achilleus Tatius und Longos werden die weiblichen Geliebten als G.pflanzen personifiziert. Die Symbolik des G. als eines Frauenkörpers -"liebe braut, du bist ein verschlossen garten" -verdichtet sich jedoch im Hohenlied Salomons und wird somit zum festen Bestandteil der abendländischen Liebesliteratur, wobei hier die Vielschichtigkeit der Symbolbildung im Romanz de la Rose (Frau, Gottesmutter, Erotik, Kirche, Paradies) für lange Zeit literarische Maßstäbe setzt. -Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung der G. der höfischen Gesellschaft, die weniger der Nahrungsbeschaffung als dem Vergnügen und der Repräsentation dienen, wird der literarische G. zum Ort des Lustspiels und der Liebeserfüllung und weist bereits in den byzantinischen Romanen, z.B. Digenis Akritis oder Kallimachos und Chrysorrhoe, topische Züge auf. Die ursprüngliche Frauenkörpersymbolik des G. verliert jedoch in den zahlreichen Variationen des irdisch-sinnlichen und spirituellen Liebesg., z.B. in L'Amorosa visione von Boccaccio, zunehmend an Konturen. Sie wird zu Gunsten der christlichen Schöpfungsmythen verdrängt bzw. durch sie überlagert. In Folge der Herausbildung einer neuen Gefühlskultur und des Paradigmenwechsels in der G.gestaltung im Verlauf des 18. Jh. wird

Anna Ananieva, Art. Garten, in: Lexikon literarischer Symbole, hg. v. Günter Butzer und Joachim Jacob. Stuttgart: Metzler 2008, S. 120-123. Garten/Park Symbol des weiblichen Körpers, der Weltordnung, des glücklichen Jenseits, der Verwandlung und der Poesie. Die Wandlungsfähigkeit der literarischen Verwendung des Symbols geht zurück auf kulturhistorische Veränderungen in der 1) Funktionsweise des G. (Nutz- oder Lustg.) und der damit verbundenen Rolle des Menschen (Vergnügen, Arbeit, Lehre), 2) äußeren Gestalt (geschlossen oder offen; in Wachstum oder Verfall begriffen) und 3) Auffassung seiner Stellung in dem jeweils dominanten Natur- und Kulturkonzept (Definition als Kunst, als Natur oder als eine Zwischenform). 1. Symbol des weiblichen Körpers, der Liebeslust und der Jungfrau Maria. Der G. in seiner etymologisch exponierten Grundbedeutung als ein abgegrenzter und geschützter Raum gehört zu dem ursprünglichen Arsenal der europäischen Folklore. Dabei handelt es sich vorwiegend um den Typ des Nutz- bzw. Hausg., deren Erzeugnisse die aus der Agrikultur gewonnene Hauptnahrung ergänzen. In seiner Bedeutung als ein fruchtbringender Körper der Frau zählt G. zu den Symbolen des mythologischen Mutterarchetypen. Im Lied tritt der G. als Ganzes und/oder pars pro toto seine Pflanzen als Symbol für die heranwachsenden Mädchen in der Erwartung der Liebeserfüllung auf. In der Erzählliteratur der griechischen Antike z. B. bei Achilleus Tatius und Longos werden die weiblichen Geliebten als G.pflanzen personifiziert. Die Symbolik des G. als eines Frauenkörpers - „liebe braut, du bist ein verschlossen garten“ - verdichtet sich jedoch im Hohenlied Salomons und wird somit zum festen Bestandteil der abendländischen Liebesliteratur, wobei hier die Vielschichtigkeit der Symbolbildung im Romanz de la Rose (Frau, Gottesmutter, Erotik, Kirche, Paradies) für lange Zeit literarische Maßstäbe setzt. - Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung der G. der höfischen Gesellschaft, die weniger der Nahrungsbeschaffung als dem Vergnügen und der Repräsentation dienen, wird der literarische G. zum Ort des Lustspiels und der Liebeserfüllung und weist bereits in den byzantinischen Romanen, z.B. Digenis Akritis oder Kallimachos und Chrysorrhoe, topische Züge auf. Die ursprüngliche Frauenkörpersymbolik des G. verliert jedoch in den zahlreichen Variationen des irdisch-sinnlichen und spirituellen Liebesg., z.B. in L'Amorosa visione von Boccaccio, zunehmend an Konturen. Sie wird zu Gunsten der christlichen Schöpfungsmythen verdrängt bzw. durch sie überlagert. In Folge der Herausbildung einer neuen Gefühlskultur und des Paradigmenwechsels in der G.gestaltung im Verlauf des 18. Jh. wird 1 die Liebessemantik des geschlossenen G. in die offene G.landschaft bzw. Natur überhaupt verlagert, wofür beispielhaft die Idyllendichtung steht (Geßner, Voss). Der sich in seine Umgebung öffnende G. wird zum Symbol der freien Gefühlsentfaltung (s. a. unter 3.). – Als kontinuierlich erweist sich dagegen die symbolische Bedeutung des geschlossenen G. als #V Jungfrau Maria (Petrus Chrysologus, Patrologia Latina 52, 457 C; Aldhelm von Malmesbury De laudibus virginitatis). In diesem Bild werden die Vorstellungen von Unschuld: „jungferschaft die ist ein garte“ (Logau, Deutscher Sinn-Getichte drey tausend 232), Erotik und Fruchtbarkeit vereint und ins Sakrale überführt. Auch wenn die christliche Interpretation von hortus conclusus durch zwei weitere, konkurrierende Bedeutungen als Christus und seine Kirche erweitert wird, lässt sich diese Symbolik bis ins 20. Jh. erkennen, so etwa in der Sinnbeziehung des schönen G. und seiner Herrin in T. S. Eliots AshWednesday. Die weibliche Komponente des Symbolgehalts überlebt in dem profanen G.raum der Neuzeit meistens in den Gestalten der G.gottheiten Venus, Flora, Mater Matuta und Pomona (Switzer, Ichnographia Rustica; Eichendorff, Das Marmorbild). Die Liebessemantik wird meistens innerhalb der Fêtes galantes in der Figur der schönen Gärtnerin bei Verlaines oder der G.besitzerin im Frühlingsgarten von Max Halbe eingelöst. Literaturhistorisch als Ausnahme erscheint daher die Intensität der Frauenkörpersymbolik, die René Depestre in den 1970er Jahren in seinen Erzählungen wie Alléluia pour une femme-jardin zum Ausdruck bringt. 2. Symbol der Weltordnung, des Wissens und der Erziehung. Die mythische Symbolik des G. als Mutterleib im Sinne des Lebensursprungs findet ihre Weiterentwicklung in der biblischen Schöpfungsgeschichte (Genesis 2). Der alttestamentarische Gottesg. verweist auf die Urgeschichte; in Verbindung mit dem Vorstellungskreis des Goldenen Zeitalters wird „Eden, erster garte“ (Fleming) zum Symbol der harmonischen Weltordnung (Dante, Paradiso; Goethe, Wahlverwandtschaften; Stifter, Nachsommer). Diese wird in der formalen Gestaltung der G.anlagen zum Ausdruck gebracht, wobei hier vor allem die Klosterg. für die Tradierung eines Musters, das die größtmögliche Mannigfaltigkeit entfaltet und sie einer strengen geometrischen Form unterordnet, verantwortlich zeigen. Laut Cassiodorus sollen sie für die Ungebildeten angelegt werden, die sich nicht mit theologischen Studien befassen können (Institutiones). In Verbund mit der Buchproduktion der Klöster erlangt diese Symbolik systematische Verbreitung und Verbindlichkeit. - In den Büchertiteln ausdrücklich verankert, die religiöse, allgemeinhistorische, didaktische und poetische Inhalte vermitteln (v. Hohenburg, Hortus Deliciarum; Viridarium moralis philosophiae; Musicalisches Lustgärtlein), versteht sich der G. als eine universelle Ordnung des Wissens, die nicht nur spezielle Informationen über Heilkräuter (v. Bingen), Botanik 2 und Gartenbau (Strabo) einzuschließen vermag. In Wechselbeziehung dazu stehen die von den französischen Theoretikern formulierten Anforderungen an die G.gestaltung, die auf der Vielfalt, der Harmonie und der symmetrischen Ordnung fußen (Barauderie, Traité du Jardinage). Auf die epistemische Tragweite des G. verweist eine um 1700 in England begonnene Kontroverse um die politische Ordnung der regierenden Eliten, die im Verlauf des Jahrhunderts zur Umgestaltung der G.anlagen in dem gesamten europäischen Kulturraum führt (Locke, Shaftesbury, Addison). Der Absolutismus und sein Symbol - geometrisch gestalteter und axial auf das Schloss ausgerichteter G. - werden in Frage gestellt und verworfen, das alternative Konzept des freien Landschaftsg. in der Auseinandersetzung über die schöne Natur entwickelt und verbreitet. Neben der politischen und ästhetischen Dimension der „G.revolution“ (Hirschfeld, Gartenkalender) wird der Landschaftsg. für die zeitgenössische Diskussion ein Symbol der Verbesserung des Menschen (Hennings, Über Baummahlerei; Rückert, Bemerkungen über Weimar 1799). Sein Programm fußt auf der moralphilosophischen Prämisse der sittlichen Macht der Natur, ist der Tugend und Freiheit verpflichtet und wird durch die emblematische G.architektur wie etwa Tempel der Freundschaft getragen (Addison). – Den gepflegten G. als Sinnbild der Wissensaneignung und der Erziehung transportieren die Emblemata-Bücher noch bis ins 18. Jh. hinein. Ob in Fortführung des Gedankens des #V Buches der Natur (Arnd) oder als Anknüpfung an das lebensweltliche Modell der G. der antiken Akademien (Cicero, Plinius, Erasmus von Rotterdam) wird G. als Ort der Erziehung gedeutet. Diese Symbolik wird bevorzugt für die Prinzenerziehung adoptiert, so z.B. am Hof in Berlin (Sophie Charlotte von Preußen, Extrait de Télémaque). Die symbolischen Aspekte der Erziehung im G. werden mit den pragmatischen konsequent in dem Kindererziehungsmodell der Philanthropine verbunden (Basedow, Agathokrator). Mit der Verbreitung der Landschaftsästhetik treten an die Stelle der kognitiven Erschließung und planvollen Ordnung des regulären G. zunehmend eine affektive Aneignung und gewollte Zwanglosigkeit, die in Folge zur Herausbildung der modernen Subjektvorstellung beitragen (Rousseau, Émile ou de l'éducation). Das in didaktischer Absicht beliebte Symbol wird nicht selten in karikierendem Zusammenhang (Jean Paul, Flegeljahre) eingesetzt. 3. Symbol des glücklichen Jenseits, des verlorenen Paradieses, der kultivierten Natur und der Kindheit. Die verbotene Aneignung des Wissens im G. steht am Anfang der biblischen Erzählung der Vertreibung der Ureltern Adam und Eva (Genesis 2). Damit beginnt die spätere heilseschatologische Interpretation des G. als eines jenseitigen Ortes, an dem das urzeitliche Dasein bei Gott den Frommen wieder zuteil werden kann. Denn erst im NT charakterisiert der 3 G. die Endzeithoffnungen auf einen Ort der Seligen und verweist auf den urzeitigen, inzwischen verlorenen Gottesg., wobei hier die altiranische Bezeichnung für Baumg. oder Jagdpark (pairidaëza) durch die griechische Vermittlung mit der Vorstellung der jenseitigen Glückseligkeit im Elysium einhergeht (Pindar). Diese Deutung entspricht der eigentlichen G.symbolik des Islam im Sinne des irdischen Abbildes des vom Propheten Mohammed verheißenen Paradiesg. (Koran, Sure 55). Auch in der christlichen Ideenwelt ist das Paradies nur den Gerechten nach dem Tod vorbehalten; der „G. der Wonne“ befindet sich im Himmel, ihm gegenüber liegt die „Grube der Pein“, die Hölle (Petrusapokalypse). Der poetische Höhepunkt der apokalyptischen Deutung des himmlischen G. findet sich in Dantes La Divina Commedia. Auch in den geistigen Liedern von Paul Gerhard ist G. ein Vorausbild auf den Himmel: „Welch hohe Lust, welch heller Schein, wird wohl in Christi Garten sein“ (Sommer-Gesang). – Vor dem Hintergrund der heilseschatologisch fomulierten Zukunftserwartung wird die Gestaltung der G. als Vergegenwärtigung des jenseitigen Glücks durch die Erinnerung an den verlorenen Gottesg. gedeutet (Furttenbach d. Ä., Architectura Privata). Mit dem Verweis auf den ersten von Gott gepflanzten G. spricht Bacon in On Gardens der G.kunst die größte Vollkommenheit zu. So wie der G. Eden dem Vergnügen gewidmet war und das arbeitsame Leben erst nach dem Fall folgte (Temple), verknüpft die neuzeitliche G.symbolik im Bild des irdischen Paradieses nun den Genuss mit der Arbeit (Brockes, Irdisches Vergnügen in Gott; Klopstock, Der Messias). In dem aufgeklärten Projekt des Landschaftsparks im Sinne der kultivierten Natur erreicht die Verbindung der Zukunftserwartung auf den himmlischen G. mit dem Rückkehrwunsch zu dem urzeitigen G. ihre Höchstform. Nicht zuletzt in einer Wiedererinnerung an Miltons Paradise Lost werden zu Beginn des 18. Jh. Grundsätze einer liberalen Ethik und der entsprechenden Kunstproduktion formuliert (Shaftesbury; Locke) und ein alternatives Modell der G.gestaltung als Ausdruck der Moral (Addison; Pope) entworfen. Nicht der repräsentative höfische G., sondern der Landsitz als eine G.landschaft steht im Zentrum der neuen Ästhetik. Dabei symbolisiert der Landsitz die Natur, wogegen der Hof als Sinnbild der Künstlichkeit in der Kritik steht (Morris, Lectures on Architecture; Shenstone, Elegy). Die Auffassung vom Landgut als Ort moralischer Vervollkommnung modifiziert jedoch den Topos des tugendhafteren Lebens auf dem Land (Horaz; Vergil) insofern, als der Aufenthalt im G. nicht als Rückzug aus dem aktiven Leben, sondern als Übung und zugleich Regeneration vor der Rückkehr in die Öffentlichkeit verstanden wird (Thomson, Seasons; Defoe Tour Through Great Britain). – Die moralisch-politische Dimension des symbolischen Verstehens des G. wird in der dt. Literatur unter dem Vorzeichen der privaten Freiheit umgesetzt 4 (Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst). Paradigmatisch dafür ist auch der Rückgriff auf die „künstliche Wildnis“, die Rousseau in Julie ou la Nouvelle Héloïse als einen verschlossenen G. entwirft. Der empfindsame G., ob in Mercks Gedicht An L[ila] oder in Goethes Leiden des jungen Werthers bietet die Stimmungsräume für die freie Entfaltung zunehmend individualisierter Wahrnehmung und grenzt sich von den eindeutigen emblematischen Sinnzuweisungen ab. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. versteht sich der G. als „expressiv“ (Whately, Observations on Modern Gardening) und zielt auf eine abwechslungsreiche Umsetzung von „verschiedenen Temperamente[n] und Neigungen“ (Hirschfeld) ab. Entsprechend symbolisieren die G.anlagen nicht mehr die Natur, sie sind „verschönerte natürliche Landschaft“ (Becker, Taschenbuch für Garten Freunde). Dem G.erlebnis entspricht eine Topografie der Intimität, die die zahlreiche G.literatur fordert und selbst beispielhaft vorführt (Andreae, Machern; Becker, Das Seifersdorfer Thal). Die Korrespondenz der äußeren Gestalt des G. mit der inneren Welt des Besuchers steht von da an im Mittelpunkt einer individualisierten Symbolbildung (Brentano; Tieck; Stifter). Die Vielfalt des symbolischen Verstehens des G. wird dabei potenziert und situativ eingelöst. Ein kapriziöses Spiel mit jeglichem Symbolgehalt betreibt Jean Paul, als er einen #V Ballonflug über die berühmtesten dt. G. im Anhang zu Titan startet. – Die Umsetzung der individuell-eschatologisch verankerten G.symbolik in profanierter Form erscheint in Viola Tricolor von Storm mit der hoffnungsvollen Überwindung des familiären Verlustes als zum Schluss „die fröhliche Zukunft des Hauses Einzug in den Garten der Vergangenheit“ hält. Diesem optimistischen Bild des 19. Jh. steht im 20. Jh. eine ausgesprochen distanzierte Haltung gegenüber, so etwa bei Harig, wenn Rousseau mit seinem Zögling an der Hand den „Garten des Paradieses sucht“ (Rousseau. Der Roman vom Ursprung der Natur im Gehirn). – Der Rückkehrwunsch zu einer glücklichen, aber vergangenen Existenzform bildet die Grundlage einer weiteren Bedeutung des G., der im biografischen Gedächtnis verankert, die Kindheit symbolisieren kann. Bereits der mit Dornbüschen umzäunte G. des Laërtes in Homers Odysseia erinnert Odysseus an die eigene freudige Jugend. Zentral für die moderne Arbeit an der poetischen Suche nach der verlorenen Zeit sind der Park von Transonville und die Gärten der Champs-Elysée in Prousts A la Recherche du temps perdu, denen Marcel, unmittelbar bevor er die Rätsel der Erinnerung löst, begegnet (Le temps retrouvé). Wenn sich Rouquette 1961 von dem „Verd paradis“ der klassischen Moderne ironisch distanziert, obgleich er im gleichnamigen Titel seines Werkes das ferne Paradies der Kindheit aus Baudelaires Fleurs du mal aufleben lässt, so ist im Erzählwerk von Pedretti eine zeitgenössische Fortschreibung der G.symbolik erkennbar, die den G. ins Zentrum der 5 literarischen Vergegenwärtigung der verloren gegangenen Zeiten und Orte stellt (Pedretti, Kuckuckskind oder Was ich ihr unbedingt noch sagen wollte). 4. Symbol der Verwandlung, des Grenzganges zwischen Leben und Tod, der Vergänglichkeit. Ausschlaggebend für die Symbolbildung der Verwandlung des Gartens ist neben den natürlichen Veränderungen der Pflanzenwelt während des Jahres die Tatsache, dass bereits die frühe G.kunst sich darin verstand, die gegebenen Bedingungen nicht nur auszunutzen, sondern diese der Zauberei gleich zu überwinden. Daher steht bereits der Nutzg., wie der G. des Phaiakenkönigs Alkinoos (Homer Odysseia; Vergil, Georgica), für Überfluss, Fülle und Reichtum. Literarisch zeichnet ihn eine positive Einstellung zum Experiment (Plinius d.Ä., Historia Naturalis) und Freude an Kunstfertigkeit (Eumathios) aus. Zugleich gilt es auch, den Inhalt des G. und das spezifische G.wissen zu schützen (vgl. Lex Salica). In diesem Zusammenhang wird die G.grenze besonders bedeutsam: Auf dem symbolischen Zusammenschluss der Hecke und der Hexe bauen bereits zahlreiche Varianten der Zaubermärchen. In den alttestamentarischen Texten symbolisiert der G.zaun die gesamte rabbinische Tradition (Pirqe Ab. 1,1). – Die durch die räumliche Abgrenzung des G. angelegte Trennung in alternierende Bereiche (außen/innen; fremd/eigen; wild/kultiviert; profan/sakral usw.) und die Möglichkeiten der Grenzüberschreitungen erweisen sich als besonders attraktiv für die literarische Symbolbildung. Zum einen ist es die eigentliche Grenze des G., die die Verwandlungen markiert. Beispielhaft für die Ambivalenz der G.symbolik, die die Transformationen von einem heiteren Garten zu einem lebensgefährlichen G. veranschaulicht, sind die Märchen (Rapunzel KHM). Zum anderen hebt der G.raum die sonst gültigen Unterschiede auf und symbolisiert damit die in ständiger Bewegung begriffene Neudefinition von Leben und Tod. Diese Grenzerfahrung findet den Eingang sowohl in germanische Sagen, wo ein fruchtbarer Garten als Totenreich erscheint, als auch in die griechische Mythologie: ausgerechnet die Töchter der Nacht, die Hesperiden, hüten in ihrem Garten die goldenen #V Äpfel des ewigen Lebens. In der Literatur der Antike wird der schöne Teil des Totenreichs als G. dargestellt: das Elysium ist mit blühenden Blumen, Bäumen und wunderbaren Früchten ausgestattet (Pindar, Tibull, Ovid, Claudian). Als Inbegriff der Verwandlung veranschaulichen die Adonisg. nicht nur die rituelle Handlung des schnellen Wachstums und Verfalls, sie avancieren zugleich zum Symbol der Kurzlebigkeit bzw. der Vergänglichkeit der (künstlichen) Schönheit (Euripides, Platon, Theophrastos). Der immanenten Wandlungsfähigkeit des G. schenken die Autoren der Romantik besondere Aufmerksamkeit (E.T.A. Hoffmann, Der goldene Topf; Eichendorff, Das Marmorbild). Dieses Bild des G. wird von den Autoren der Moderne aufgegriffen und 6 transformiert (Hofmannsthal, Der Tod und der Tod). Der #V schwarze G. von Des Esseintes steht für die in radikaler Form abgekapselte, dem aktiven Leben entsagte künstliche Existenz (Huysmans, À rebours). – Die buchstäbliche Exklusivität des G. beschäftigt die Autoren verstärkt seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.: das Bewusstsein für die hochartifizielle Form der Raumgestaltung einer bestimmten Gesellschaftsschicht (Fontane; Keyserling) stellt den Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Grenzen her. Als ein Relikt der Vergangenheit wird der G. zunehmend zum Symbol einer überholten, nicht mehr zeitgemäßen Lebensform (Tschechow, Wischnewyj sad; Storm, Die Söhne des Senators). Diese wird entweder retrospektiv verklärt und sehnsüchtig vergegenwärtigt (Keyserling) oder ironisch bzw. satirisch vorgeführt (Freytag; Dehmel; Th. Mann). (s.a. unter 2). – Der G. als ein Grenzbereich, in dem die normale Seinsordnung aufgehoben ist, wird in der Literatur dem #V Traum gleichgesetzt: Unmöglichkeit der Fortbewegung (Frau Holle KHM), Verzicht auf jegliche Aktivitäten bis auf den passiven Genuss (Homer, Odysseia), Abenteuer (Romanz de la Rose), Wandlung in einem #V Labyrinth (Colonna, Hypnerotomachia Poliphili). Die Autoren um 1900 verbinden schließlich mit dem G. das der „deutlichen Wirklichkeit“ ferne „Dunkle, Fremde und Versteckte“ (Bahr, Studien zur Kritik der Moderne), so dass G. als „Träger des Anderen“ überhaupt fungiert (Hofmannsthal, Gespräch über Gedichte). 5. Symbol der Poesie. Als literarisches Symbol bedeutet G. die selbst geschaffene Welt der Dichter und die Quelle poetischer Inspiration (Plinius d.J., Epistularum). Systematisch wird die produktions- und rezepionsästhetische Wechselwirkung zwischen dem G. und der Poesie im Rahmen der Imaginationsdebatte des 18. Jh. ausgelotet (Addison, The Pleasures of the Imagination). Die Prämisse der mannigfaltigen Natur an Stelle von Einförmigkeit und Armut der Kunst bestimmt die Sinnbeziehung des Landschaftsg. zu einer progressiven Literaturtheorie (Möser, Ueber die deutsche Sprache und Litteratur; Lenz, Für Wagnern (Theorie der Dramata)). Die besondere Zeitstruktur des G.erlebnises, das in seiner Gegenwart die Vergangenheit (durch die Erinnerung an den urzeitigen G.) und die Zukunft (im Wunsch nach Wiedergewinnung des harmonischen Zustandes) vereint, steht im Zentrum der romantischen Poetik (Eichendorff, Dichter und ihre Gesellen). Dem G. kommt darin die symbolische Bedeutung der Poesie zu, da beide als Ganzes das Verhältnis des Subjekts zur äußeren Welt zum Ausdruck bringen. In diesem System werden G.pflanzen als früher lesbare Zeichen der urzeitigen Sprache gedeutet, die nun zu einer Geheimchiffre geworden ist (Novalis, Heinrich von Ofterdingen). Nach Brentano möchte jeder in Erinnerung an das verlorene Paradies „sich irgendein Surrogat erschaffen“ (Herzliche Zueignung). Dass Märchen und Gärten dabei in Frage 7 kommen, bestätigt auch Tieck, der in Ein deutsches Lustspiel den Prinzen Zerbino zu einem „Garten der Poesie“ reisen lässt. Aus dem Verständnis heraus, dass das Heute mit Vergangenheit beladen ist (Hofmannsthal, Gärten), fungiert das G.erlebnis auch in den poetischen Entwürfen der Moderne als Symbol der literarischen Sprachfindung, die sich zwischen Erinnerung und Poesie vollzieht (Hofmannsthal, Gespäch über Gedichte; Rilke, Erlebnis). Verwandte Symbole: Blume, Buch, Frau, Mutter, Labyrinth, Rose/Rosengarten, Schwelle, Vater/Hausvater. Lit.: F. Apel, Die Kunst als Garten. Zur Sprachlichkeit der Welt in der deutschen Romantik und im Ästhetizismus des 19. Jahrhunderts, Heidelberg 1983. – A. v. Buttlar, Der englische Landsitz 1715-1760. Symbol des liberalen Weltentwurfs, Mittenwald 1982. - M. Gamper, Die Natur ist republikanisch. Zu den ästhetischen, anthropologischen und politischen Konzepten der deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert, Würzburg 1998. - Th. Köbner, Der Garten als literarisches Motiv um die Jahrhundertwende, in: Ders., Zurück zur Natur: Ideen der Aufklärung und ihre Nachwirkung, Heidelberg 1993, S. 110-165. $KAA 8