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Genossen gegen Genossen

2011, Politik & Kommunikation

"Following models in Britain and France, Germany began to develop her own models of community-based business and cooperatives. The cooperative movement grew in strength, anchored in both liberal and socialist traditions. Connected to 1848 revolutionaries, coops were considered a dangerous political force, or even an enemy, by restaurative governments. It took a long political campaign, and a coalition with nationalism, to bring about useful and protective legislation for cooperatives. Once attached to power, however, internecine fighting began, as some coops lobbied the government for aid against competition. GERMAN/DEUTSCH - Genossenschaften: Vor 150 Jahren kämpfte eine Volksbewegung für die staatliche Anerkennung der modernen Selbsthilfe-Firma. Schlagwörter: Bewegung, Darlehensverein, Frankreich, Genossenschaften, Genossenschaftsgesetz, Großbritannien, Interessenvertretung, Lobby, Nationalismus, Raiffeisen-Bewegung, Reichstag, Sozialisten, Verbände, Volksbanken Organisationen: Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV), Fortschrittspartei, SPD Personen: Otto von Bismarck, Walter Koch, Ferdinand Lassalle, Karl Marx, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Hermann Schulze-Delitzsch Publikationen: Die Gartenlaube"

Politik 2012 ist das UN-Jahr der Genossenschaften. Seit der Finanzkrise erleben sie eine Renaissance. Vor 150 Jahren kämpfte eine Volksbewegung für die staatliche Anerkennung der modernen Selbsthilfe-Firma. P&K HISTORIE – TEIL 6 DER SERIE V ON MA R C O A LT H A U S F erdinand Lassalle tobte. Dieser verdammte Schulze! Im Winter 1862/63 stand die Gründung der Arbeiterpartei bevor. Mit zwei Punkten sollte sie antreten: demokratisches Wahlrecht und Produktionsgenossenschaften. Lassalle meinte Industriebetriebe in Arbeiterhand, finanziert durch Staatskredite. Ausgerechnet jetzt tingelte der Liberale Hermann SchulzeDelitzsch durch die Arbeiterbildungsvereine. Er predigte seinen „Arbeiterkatechismus“: Die Arbeiter sollten sich Kredit- und Konsum-Genossenschaften anschließen, die soziale Frage durch Selbsthilfe und Solidarhaftung lösen, das nötige Kapital ansparen. Ganz ohne Staat. „Haarsträubender Blödsinn! Hirsebrei!“, schimpfte Lassalle. „Gedankenloses Bimbamgeläute!“ Dieser Schulze wurde gefährlich. Gefährlicher sogar als der Überlinke Karl Marx in London. Schulze blökte sein Nein zu Subventionen in die Säle, die Arbeiter schrien Hurra! Schulze begriff nicht, dass Industriearbeiter anders waren als Handwerker und Krämer. Sie würden immer lohnabhängig bleiben, am Existenzminimum krebsen. Ein ehernes Gesetz. Da gab’s keine Spargroschen zu sammeln. Pumpvereine, Kleinbetriebsnetze und Gemeinschaftsläden? Lächerliche Antworten auf die Industriemoderne. Bürgerliche Selbstverantwortung hielt Lassalle für weltfremd bei Arbeitern. Sie brauchten straffe zentrale Führung. Lassalles Führung. Im Februar 1863 kam Post aus Leipzig. Das Zentralkomitee der Sozialisten bereitete den Gründungsparteitag vor, bat um Programmideen und suchte einen Chef. Lassalle verfasste ein „Offenes Antwortschreiben“. Das 40-Seiten-Pamphlet erschien im März mit 12.000 Exemplaren: der Urknall des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), Vorläufer der SPD. „Schulze ist aufgeschlitzt“ Den größten Spaß hatte Lassalle an der Abrechnung mit der Selbsthilfe-Idee. „Schulze-Delitzsch und sein ganzer Standpunkt ist aufgeschlitzt und seine Eingeweide ans Licht gekehrt“, schrieb er einem Parteifreund. „Der Hass, der mich dafür treffen wird, wird beispiellos sein.“ Kaum war Lassalle ADAV-Präsident geworden, formierte der erboste sozialliberale Flügel als Konkurrenz 42 Wortgewaltiger Redner mit scharfem Witz: Der Liberale Schulze-Delitzsch war von 1867 bis 1883 Reichstagsabgeordneter. Seine Reden zogen das Plenum in den Bann, das Protokoll verzeichnet oft ein „stürmisches Bravo“, heftigen Applaus und Heiterkeit auf allen Bänken. Bismarck (ganz links) fand es selten lustig: Regelmäßig war der Reichskanzler die Zielscheibe. Zeichnung von Hermann Lüders in der Illustrierten „Die Gartenlaube“, 1874. „Kriegskassen der Demokratie“ Bismarck sah Schulzes Genossenschaften als Tarnung alter Revolutionäre des Jahres 1948. Wer vor Bajonett und Geheimpolizei nicht ins Exil geflüchtet war, machte jetzt in Gemeinwirtschaft. Vorbild waren Pioniere aus England und Frankreich. Genossen übersetzten deren Praxisleitfäden, schickten Trainer auf Tournee, luden zu Gründer-Workshops. In Zeitschriften sezierten sie Satzungs-, Finanz- und Geschäftsmodelle. Kaschiert als Unternehmensberatung, war es doch umstürzlerisches Ideengut. Besonders gefährlich: Darlehensvereine, die die Kreditklemme des Kleingewerbes au�ogen. „Volksbanken“ nannte sie Schulze neuerdings. In Bismarcks Augen waren sie „die Kriegskassen der Demokratie, die unter Regierungsgewalt gestellt werden müssen“. Doch Schulze musste die Rechtsfrage stellen, keine Machtfrage. Sicher, Genossenschaften waren eine Schule der Demokratie („ein Mitglied, eine Stimme“). Doch das allein sicherte kein Überleben der inzwischen 1600 Vereine mit 400.000 Mitgliedern. Im Handelsrecht waren sie nur geduldete Zwitter zwischen Personen- und Kapitalgesellschaft. Behörden übten Willkür, Gerichte fällten wirre Urteile. Schulze, der Jurist, wusste: Genossenschaften benötigten eine eigene Rechtsform. Schulze, der Politiker, wusste: Für ein Reformgesetz brauchte er Helfer in Bismarcks Kabinett. Das Manöver würde nur gelingen, wenn die Vereine aus der Radikalenecke herauskämen. Mit Statistik wies er ihre volkswirtschaftliche Leistung nach. Sozialutopisten zwang er ins Korsett harter kaufmännischer Vorgaben. Clever spielte Schulze die nationale Karte. Die Genossenschaft stärke das „Gefühl der Einheit“ der Deutschen. Hatte er früher wie Franzosen und Briten von Assoziationen gesprochen, was in den Ohren der Obrigkeit welsch und radikal klang, pol i t ik & kommu nikation | N ovemb er 2011 Fotos: Die Gartenlaube (1874), Heft 18, S. 294, Zeichnung Hermann Lüders, Quelle: Wikimedia Commons; Privat Genossen฀฀ gegen฀฀ Genossen den Vereinstag Deutscher Arbeitervereine. Als erstes empfahl dieser den Massen Genossenschafts-Gründungen à la Schulze. Der smarte Sozialistenführer trieb den Keil tiefer, hetzte in der Presse gegen den „Sparapostel“ Schulze und ließ Spottlieder singen: „Der gute Mann beweist uns ganz geschwind, dass wir ja alle Kapitalisten sind. Sand, Sand, Sand in die Augen!“ In einem Buch mixte Lassalle einen feurigen Cocktail aus Wirtschaftstheorie und ätzendem Sarkasmus. „Verlogenste Täuschung“ und „nervenschmerzerregend“ sei der Versuch, Arbeitern Mittelstandsträume einzuimpfen. Eine „kleinbürgerliche Seele“ sei Schulze, ein Provinzler: „Sind Sie denn nie aus Bitterfeld und Delitzsch herausgekommen?“ Ein druckfrisches Exemplar schickte Lassalle an Ministerpräsident Otto von Bismarck, „zu tödlichem Gebrauche“ gegen die liberale Fortschrittspartei, für die Schulze im preußischen Parlament saß. Bismarck würde „aus diesem Holz Kernbolzen schnitzen können, sowohl im Ministerrat wie den Fortschrittlern gegenüber“, so Lassalle. In Geheimtreffen hatten sie sich schätzen gelernt. Beide sahen die Lösung der sozialen Frage beim starken Staat. Beide dachten: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Der Abgeordnete Schulze zerrte an Bismarcks Beinkleidern wie ein Terrier. Verleger rissen sich um seine Artikel, eine Zeitung gab er selbst heraus. Bismarck zählte ihn zu den „hervorragendsten und entschiedensten Gegnern“, deren „agitatorische Wirksamkeit überwiegend darauf gerichtet ist, politischen Einfluss auf die Arbeiter und Handwerker zu gewinnen, um die Fortschrittspartei gegen die Regierung zu verstärken“. verordnete er seinen Mitstreitern nun den deutschen Begriff Genossenschaft. Er bediente antifranzösische Ressentiments. Frankreich gelte es zu übertrumpfen. Bürokratischer Zentralismus sei „romanisch“. „Germanisch“ sei die „mannigfaltigste Gliederung“ in freien Gruppen, „von denen jede ihre besondern Angelegenheiten selbst ordnet und auf die eigne Kraft gestützt fremde Hilfe und Leitung weder verlangt noch duldet“. Spindoktor Schulze deutete das Importmodell zum Symbol urdeutscher Stammeskraft um. Auf Schulzes Pult entstand ein Gesetzentwurf. Zunächst war er chancenlos. Schulze brachte ihn immer wieder ein, aber scheiterte stets an Bismarcks Vorgabe: Der Staat würde Genossenschaften eine Konzession verleihen und diese überwachen. So nicht, blockierte Schulze. Die Behörden sollten „unsern Vereinen nichts darein zu reden haben“. Ab 1864 wurde der Weg frei. Mit einer Kugel im Gemächt verschied sein Gegner Lassalle, der liebestoll in ein Duell um seine Herzdame getreten war. Pulver und Blei, Blut und Eisen verschoben auch Bismarcks Interessen. Während die Kanonen der Einigungskriege donnerten, fädelte Schulze mit Handelsund Justizministern einen Deal ein: keine politische Betätigung, rein wirtschaftlicher Förderzweck, aber freie Gründung ohne Konzessionszwang. 1867 bekam er sein Genossenschaftsgesetz. Bald galten Schulzes Paragraphen auch im Reich – und sie gelten bis heute. Eins gelang Schulze aber nicht: die Rivalen aus der Rheinprovinz wegzubeißen. Friedrich Wilhelm Raiffeisen hatte im Westen ein andersartiges Genossenschaftswesen aufgebaut. pol it i k & kommu nikation | N ovemb er 2011 Mit Hilfe von Pfarrern sammelte der christlich beseelte Bürgermeister überschuldete Bauern. Agrarkassen, Läden und Lagerhäuser entstanden. „Das Geld des Dorfes dem Dorfe“, tönte er. „Einer für alle, alle für einen.“ Der sanfte Raiffeisen war anfangs nur ein Local Hero. Einst hatte er den großen Schulze um Hilfe gebeten. Der aber zog Raiffeisen öffentlich durch den Kakao. Er sah in ihm „einen Fantasten oder einen Mitläufer, der nur eine schlechte Kopie seiner Genossenschaftsidee produzieren wollte“, meint der Historiker Walter Koch. „Eine eklatante Fehleinschätzung.“ Rivale Raiffeisen Schulzes System war gut für Betriebe in der Stadt. Raiffeisens Klientel waren Bauern. Sie bezahlten Saatgut, Chemiedünger und Gerät mit der Ernte, die sie gemeinsam verkauften. Kredite mussten länger laufen, Risiken anders verteilt werden. Schulze blieb stur: sein System oder keins. Unter den Schutz seines Gesetzes sollte Raiffeisen nicht schlüpfen. Als ein Verbot fehlschlug, sorgte Schulze als Reichstagsmitglied für Schikanen. Die von ihm so oft beklagte Staatswillkür setzte er gezielt gegen die Konkurrenz ein. Raiffeisen kam spät, aber gewaltig. Sein System wurde weltweit erfolgreicher. In Deutschland dauerte der „Systemstreit“ noch 100 Jahre. Erst 1972 machten die beiden Lager Frieden miteinander. Und die Sozialisten? Die entdeckten auch noch ihren Schulze. Kurz vor 1900 setzte ein Boom „roter“ Konsum-, Sparund Bauvereine ein. Und die richtige Anrede für Sozialisten lautet natürlich: Genosse. Marco Althaus ist Professor für Sozialwissenschaften an der Technischen Hochschule Wildau. 43 Politik 2012 ist das UN-Jahr der Genossenschaften. Seit der Finanzkrise erleben sie eine Renaissance. Vor 150 Jahren kämpfte eine Volksbewegung für die staatliche Anerkennung der modernen Selbsthilfe-Firma. P&K HISTORIE – TEIL 6 DER SERIE V ON MA R C O A LT H A U S F erdinand Lassalle tobte. Dieser verdammte Schulze! Im Winter 1862/63 stand die Gründung der Arbeiterpartei bevor. Mit zwei Punkten sollte sie antreten: demokratisches Wahlrecht und Produktionsgenossenschaften. Lassalle meinte Industriebetriebe in Arbeiterhand, finanziert durch Staatskredite. Ausgerechnet jetzt tingelte der Liberale Hermann SchulzeDelitzsch durch die Arbeiterbildungsvereine. Er predigte seinen „Arbeiterkatechismus“: Die Arbeiter sollten sich Kredit- und Konsum-Genossenschaften anschließen, die soziale Frage durch Selbsthilfe und Solidarhaftung lösen, das nötige Kapital ansparen. Ganz ohne Staat. „Haarsträubender Blödsinn! Hirsebrei!“, schimpfte Lassalle. „Gedankenloses Bimbamgeläute!“ Dieser Schulze wurde gefährlich. Gefährlicher sogar als der Überlinke Karl Marx in London. Schulze blökte sein Nein zu Subventionen in die Säle, die Arbeiter schrien Hurra! Schulze begriff nicht, dass Industriearbeiter anders waren als Handwerker und Krämer. Sie würden immer lohnabhängig bleiben, am Existenzminimum krebsen. Ein ehernes Gesetz. Da gab’s keine Spargroschen zu sammeln. Pumpvereine, Kleinbetriebsnetze und Gemeinschaftsläden? Lächerliche Antworten auf die Industriemoderne. Bürgerliche Selbstverantwortung hielt Lassalle für weltfremd bei Arbeitern. Sie brauchten straffe zentrale Führung. Lassalles Führung. Im Februar 1863 kam Post aus Leipzig. Das Zentralkomitee der Sozialisten bereitete den Gründungsparteitag vor, bat um Programmideen und suchte einen Chef. Lassalle verfasste ein „Offenes Antwortschreiben“. Das 40-Seiten-Pamphlet erschien im März mit 12.000 Exemplaren: der Urknall des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), Vorläufer der SPD. „Schulze ist aufgeschlitzt“ Den größten Spaß hatte Lassalle an der Abrechnung mit der Selbsthilfe-Idee. „Schulze-Delitzsch und sein ganzer Standpunkt ist aufgeschlitzt und seine Eingeweide ans Licht gekehrt“, schrieb er einem Parteifreund. „Der Hass, der mich dafür treffen wird, wird beispiellos sein.“ Kaum war Lassalle ADAV-Präsident geworden, formierte der erboste sozialliberale Flügel als Konkurrenz 42 Wortgewaltiger Redner mit scharfem Witz: Der Liberale Schulze-Delitzsch war von 1867 bis 1883 Reichstagsabgeordneter. Seine Reden zogen das Plenum in den Bann, das Protokoll verzeichnet oft ein „stürmisches Bravo“, heftigen Applaus und Heiterkeit auf allen Bänken. Bismarck (ganz links) fand es selten lustig: Regelmäßig war der Reichskanzler die Zielscheibe. Zeichnung von Hermann Lüders in der Illustrierten „Die Gartenlaube“, 1874. „Kriegskassen der Demokratie“ Bismarck sah Schulzes Genossenschaften als Tarnung alter Revolutionäre des Jahres 1948. Wer vor Bajonett und Geheimpolizei nicht ins Exil geflüchtet war, machte jetzt in Gemeinwirtschaft. Vorbild waren Pioniere aus England und Frankreich. Genossen übersetzten deren Praxisleitfäden, schickten Trainer auf Tournee, luden zu Gründer-Workshops. In Zeitschriften sezierten sie Satzungs-, Finanz- und Geschäftsmodelle. Kaschiert als Unternehmensberatung, war es doch umstürzlerisches Ideengut. Besonders gefährlich: Darlehensvereine, die die Kreditklemme des Kleingewerbes au�ogen. „Volksbanken“ nannte sie Schulze neuerdings. In Bismarcks Augen waren sie „die Kriegskassen der Demokratie, die unter Regierungsgewalt gestellt werden müssen“. Doch Schulze musste die Rechtsfrage stellen, keine Machtfrage. Sicher, Genossenschaften waren eine Schule der Demokratie („ein Mitglied, eine Stimme“). Doch das allein sicherte kein Überleben der inzwischen 1600 Vereine mit 400.000 Mitgliedern. Im Handelsrecht waren sie nur geduldete Zwitter zwischen Personen- und Kapitalgesellschaft. Behörden übten Willkür, Gerichte fällten wirre Urteile. Schulze, der Jurist, wusste: Genossenschaften benötigten eine eigene Rechtsform. Schulze, der Politiker, wusste: Für ein Reformgesetz brauchte er Helfer in Bismarcks Kabinett. Das Manöver würde nur gelingen, wenn die Vereine aus der Radikalenecke herauskämen. Mit Statistik wies er ihre volkswirtschaftliche Leistung nach. Sozialutopisten zwang er ins Korsett harter kaufmännischer Vorgaben. Clever spielte Schulze die nationale Karte. Die Genossenschaft stärke das „Gefühl der Einheit“ der Deutschen. Hatte er früher wie Franzosen und Briten von Assoziationen gesprochen, was in den Ohren der Obrigkeit welsch und radikal klang, pol i t ik & kommu nikation | N ovemb er 2011 Fotos: Die Gartenlaube (1874), Heft 18, S. 294, Zeichnung Hermann Lüders, Quelle: Wikimedia Commons; Privat Genossen฀฀ gegen฀฀ Genossen den Vereinstag Deutscher Arbeitervereine. Als erstes empfahl dieser den Massen Genossenschafts-Gründungen à la Schulze. Der smarte Sozialistenführer trieb den Keil tiefer, hetzte in der Presse gegen den „Sparapostel“ Schulze und ließ Spottlieder singen: „Der gute Mann beweist uns ganz geschwind, dass wir ja alle Kapitalisten sind. Sand, Sand, Sand in die Augen!“ In einem Buch mixte Lassalle einen feurigen Cocktail aus Wirtschaftstheorie und ätzendem Sarkasmus. „Verlogenste Täuschung“ und „nervenschmerzerregend“ sei der Versuch, Arbeitern Mittelstandsträume einzuimpfen. Eine „kleinbürgerliche Seele“ sei Schulze, ein Provinzler: „Sind Sie denn nie aus Bitterfeld und Delitzsch herausgekommen?“ Ein druckfrisches Exemplar schickte Lassalle an Ministerpräsident Otto von Bismarck, „zu tödlichem Gebrauche“ gegen die liberale Fortschrittspartei, für die Schulze im preußischen Parlament saß. Bismarck würde „aus diesem Holz Kernbolzen schnitzen können, sowohl im Ministerrat wie den Fortschrittlern gegenüber“, so Lassalle. In Geheimtreffen hatten sie sich schätzen gelernt. Beide sahen die Lösung der sozialen Frage beim starken Staat. Beide dachten: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Der Abgeordnete Schulze zerrte an Bismarcks Beinkleidern wie ein Terrier. Verleger rissen sich um seine Artikel, eine Zeitung gab er selbst heraus. Bismarck zählte ihn zu den „hervorragendsten und entschiedensten Gegnern“, deren „agitatorische Wirksamkeit überwiegend darauf gerichtet ist, politischen Einfluss auf die Arbeiter und Handwerker zu gewinnen, um die Fortschrittspartei gegen die Regierung zu verstärken“. verordnete er seinen Mitstreitern nun den deutschen Begriff Genossenschaft. Er bediente antifranzösische Ressentiments. Frankreich gelte es zu übertrumpfen. Bürokratischer Zentralismus sei „romanisch“. „Germanisch“ sei die „mannigfaltigste Gliederung“ in freien Gruppen, „von denen jede ihre besondern Angelegenheiten selbst ordnet und auf die eigne Kraft gestützt fremde Hilfe und Leitung weder verlangt noch duldet“. Spindoktor Schulze deutete das Importmodell zum Symbol urdeutscher Stammeskraft um. Auf Schulzes Pult entstand ein Gesetzentwurf. Zunächst war er chancenlos. Schulze brachte ihn immer wieder ein, aber scheiterte stets an Bismarcks Vorgabe: Der Staat würde Genossenschaften eine Konzession verleihen und diese überwachen. So nicht, blockierte Schulze. Die Behörden sollten „unsern Vereinen nichts darein zu reden haben“. Ab 1864 wurde der Weg frei. Mit einer Kugel im Gemächt verschied sein Gegner Lassalle, der liebestoll in ein Duell um seine Herzdame getreten war. Pulver und Blei, Blut und Eisen verschoben auch Bismarcks Interessen. Während die Kanonen der Einigungskriege donnerten, fädelte Schulze mit Handelsund Justizministern einen Deal ein: keine politische Betätigung, rein wirtschaftlicher Förderzweck, aber freie Gründung ohne Konzessionszwang. 1867 bekam er sein Genossenschaftsgesetz. Bald galten Schulzes Paragraphen auch im Reich – und sie gelten bis heute. Eins gelang Schulze aber nicht: die Rivalen aus der Rheinprovinz wegzubeißen. Friedrich Wilhelm Raiffeisen hatte im Westen ein andersartiges Genossenschaftswesen aufgebaut. pol it i k & kommu nikation | N ovemb er 2011 Mit Hilfe von Pfarrern sammelte der christlich beseelte Bürgermeister überschuldete Bauern. Agrarkassen, Läden und Lagerhäuser entstanden. „Das Geld des Dorfes dem Dorfe“, tönte er. „Einer für alle, alle für einen.“ Der sanfte Raiffeisen war anfangs nur ein Local Hero. Einst hatte er den großen Schulze um Hilfe gebeten. Der aber zog Raiffeisen öffentlich durch den Kakao. Er sah in ihm „einen Fantasten oder einen Mitläufer, der nur eine schlechte Kopie seiner Genossenschaftsidee produzieren wollte“, meint der Historiker Walter Koch. „Eine eklatante Fehleinschätzung.“ Rivale Raiffeisen Schulzes System war gut für Betriebe in der Stadt. Raiffeisens Klientel waren Bauern. Sie bezahlten Saatgut, Chemiedünger und Gerät mit der Ernte, die sie gemeinsam verkauften. Kredite mussten länger laufen, Risiken anders verteilt werden. Schulze blieb stur: sein System oder keins. Unter den Schutz seines Gesetzes sollte Raiffeisen nicht schlüpfen. Als ein Verbot fehlschlug, sorgte Schulze als Reichstagsmitglied für Schikanen. Die von ihm so oft beklagte Staatswillkür setzte er gezielt gegen die Konkurrenz ein. Raiffeisen kam spät, aber gewaltig. Sein System wurde weltweit erfolgreicher. In Deutschland dauerte der „Systemstreit“ noch 100 Jahre. Erst 1972 machten die beiden Lager Frieden miteinander. Und die Sozialisten? Die entdeckten auch noch ihren Schulze. Kurz vor 1900 setzte ein Boom „roter“ Konsum-, Sparund Bauvereine ein. Und die richtige Anrede für Sozialisten lautet natürlich: Genosse. Marco Althaus ist Professor für Sozialwissenschaften an der Technischen Hochschule Wildau. 43