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Auf schwankendem Grund: Moorwege

Archäologie in Deutschland 2018-1, 28-31.

Titelthema | Kulturerbe Europas – Mobilität Auf schwankendem Grund: Moorwege Über Jahrtausende prägten Moore die Landschaften Nordwesteuropas. Sie entstanden mit der allmählichen Wiedererwärmung am Ende der letzten Eiszeit und dehnten sich immer weiter aus. Vor Beginn der Entwässerung und Kultivierung im 18. Jh. war der Norden Niedersachsens zu einem Drittel von Mooren bedeckt. Mobilität hieß: Moore überwinden! Von Marion Heumüller und Anke Matthes M oore zwangen die Bewohner in den vergangenen Epochen, sich den dort herrschenden Bedingungen anzupassen. Davon zeugt ein breites Spektrum menschlicher Hinterlassenschaften, die sich im Gegensatz zu anderen archäologischen Funden meist durch eine hervorragende Überlieferung organischer Substanzen auszeichnen. Holz, z. B. ganze Einbäume, Wolle, Leder, Haut und Haare bleiben aufgrund des sauren, anaeroben und wassergesättigten Milieus im Moor erhalten. Daher ist das Fundspektrum ausgesprochen vielfältig. Es umfasst Siedlungen und Lagerplätze, verloren gegangene oder absichtlich deponierte Ge- 28 Archäologie in Deutschland 1 | 2018 genstände und sogar menschliche Überreste, die so genannten Moorleichen. Einige Funde sind 10 000 Jahre alt. Darüber hinaus kennen wir zahlreiche Zeugnisse der Mobilität im Moor: Wege gebaut aus Holz. Vom Neolithikum bis zur Neuzeit über 500 Wege Moorlandschaften umfassten oft riesige Gebiete, im Extremfall bis zu 360 km2. Das war nicht nur ein unwirtlicher, zum Siedeln wenig geeigneter Lebensraum, sondern stellte auch ein erhebliches räumliches Hindernis dar. Nur über Wege, die aus Holzkonstruktionen bestanden, konnte es den Menschen gelingen, Rechte Seite: Der Bohlenweg Pr 6 zwischen Diepholz und Lohne datiert in die Jahre 56 bis 43 v. Chr. Eine Teilstrecke wurde 2011 ausgegraben. Der älteste Moorweg Europas wird in die Jahre 4629 bis 4545 v. Chr. datiert. Das stabile Bauwerk hat man im Neolithikum mehrmals repariert. die ausgedehnten Moorflächen zu überqueren, neue Räume oder im Moor gelegene Geestflächen zu erschließen und bestehende Siedlungskammern miteinander zu verbinden. Moorwege aus Holz machen daher einen großen und charakteristischen Teil der archäologischen Fundstellen in Niedersachsen aus und sind eine eigene, sehr spezielle Denkmalgruppe: Kaum eine andere archäologische Fundkategorie steht in solchem Maße für Bewegung, Dynamik und Veränderung. Gleichzeitig sind diese Wege eine bedeutende Quelle für die Verkehrsgeschichte. Wege durchs Moor wurden von der Jungsteinzeit bis zur Neuzeit angelegt – über 500 hat man in Niedersachsen gezählt. Etwa 350 datieren in die Vorgeschichte und sind fast die einzigen Wegebauten, die wir aus dieser Zeit kennen. Auch in anderen moorreichen Regionen Nordwesteuropas finden sich solche Wege – doch Niedersachsen kann mit einigen Besonderheiten aufwarten, zumal die Forschung hier auf eine lange Tradition zurückblickt. Erste Berichte stammen aus dem 17. Jh. Gegen 1890 brachten die Kartierungen und Konstruktionszeichnungen des preußischen Kreisbauinspektors der Grafschaft Diepholz Hugo Prejawa enormen Erkenntniszuwachs. Ab Anfang der 1950er Jahre beschäftigte sich Hajo Hayen als Mitarbeiter des Landesmuseums für Natur und Mensch Oldenburg mit der Erfassung, Ausgrabung und Dokumentation der durch Torfabbau und Kultivierungsmaßnahmen immer stärker gefährdeten niedersächsischen Moorwege. Bis zu seinem Ruhestand 1988 führte er zahlreiche Untersuchungen durch. Maßgebliche Erkenntnisse zur Konstruktion der Wege, zu Verkehrsgeschichte und Fahrzeugtechnik gehen auf ihn zurück. Sein Nachfolger, Alf Metzler, hat sich zusammen mit Andreas Bauerochse am Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege vor allem auf die Wege des Campemoors und die damit einhergehenden siedlungsgeografischen, paläoökologischen und klimatologischen Fragen konzentriert. Am Beginn stand die Sesshaftigkeit Anhand einiger gut untersuchter Beispiele lassen sich die wesentlichen Entwicklungslinien der vorgeschichtlichen Wege umreißen: Der Bau massiver Wegkonstruktionen reicht offenbar weit über 6000 Jahre zurück. Im Campemoor im westlichen Dümmerbecken wurde mit dem Pr 31 der älteste Moorweg entdeckt, der überhaupt bekannt ist. Dendrochronologische Analysen ermöglichen es, den Zeitpunkt der Erbauung und mehrere Reparaturphasen zu bestimmen. Der Weg wurde 4629 v. Chr. eingerichtet und bis 4545 v. Chr., also mehr als sieben Jahrzehnte, immer wieder repariert. Die wenigen Funde machen Angehörige der Swifterbant-Kultur als Erbauer wahrscheinlich: Diese Menschen vollzogen den Übergang vom Dasein als Jäger und Sammler zur sesshaften, bäuerlichen Lebensweise. Steinzeitliche Wege waren meist relativ einfach konstruiert. Auf mehreren Längsunterzügen – die Anzahl richtete sich nach dem Untergrund – wurden als Belag meist 2,5 bis 3,5 m lange Rundhölzer quer verlegt. Verschiedentlich wurden feuchtere Stellen zusätzlich mit Knüppeln oder Strauchwerk befestigt. Ganz offensichtlich fuhren auf diesen holprigen Wegen auch Wagen, wie Achsen belegen, die bei Ausgrabungen der Wege Pr 7 und Le 15 in den Landkreisen Diepholz und Aurich entdeckt wurden. Zusammen mit verhältnismäßig großen einteiligen Scheibenrädern gehörten sie zu schweren, vierrädrigen Wagen mit Spurweiten zwischen 140 und 155 cm. Sie datieren in die Zeit zwischen 3000 und 2500 v. Chr. und zählen damit zu den ältesten Nachweisen von Fahrzeugen in Nordeuropa – nur wenige Jahrhunderte jünger als die ältesten Belege für Wagenverkehr im Vorderen Orient. Offenbar verfügten auch die bäuerlichen Gesellschaften in Nord- und Mitteleuropa über die technischen und kulturellen Voraussetzungen für den Bau von Wagen. Rinder als Zug- bzw. Arbeitstiere waren zu dieser Zeit ebenfalls verfügbar. Aufwendige Wegebauten in der Bronzezeit Entscheidende bautechnische Neuerungen werden in der Bronzezeit fassbar. Beim Weg Ip 36 im Moor südlich von VaArchäologie in Deutschland 1 | 2018 29 Titelthema | Kulturerbe Europas – Mobilität rel im Landkreis Friesland (1358 v. Chr.) wurden die Unterzüge streckenweise mit Pfeilern gestützt und für den Belag gespaltene Eichenbohlen verwendet. Die Vorteile der Spaltbohlen gegenüber Rundhölzern liegen auf der Hand: Die Oberfläche war vergleichsweise eben und der Materialverbrauch blieb geringer. In der späten Bronze-und frühen Eisenzeit kamen ausgefeilte technische Wegkonstruktionen hinzu, die mittels senkrechter Pfeiler und längs gerichteter Spannhölzer über weite Strecken als zusammenhängende, brückenartige Holzbauwerke konzipiert waren. Paradebeispiel hierfür der durch das Ipweger Moor führende Ip 12, der mit rund 6,5 km als längster Bohlenweg Nordwestdeutschlands gilt. Aufwendig konstruierte brückenartige Abschnitte wechseln sich mit Bereichen ab, bei denen die Holzbohlen des Belags mit Pflöcken im Untergrund fixiert wurden. Dendrochronologische Untersuchungen ergaben, dass diese aufwendig konstruierten Wege mehrheitlich in der zweiten Hälfte des 8. Jh. v. Chr. gebaut und zum Teil einige Jahrzehnte instandgehalten wurden. Derart aufwendige Techniken sind aus späteren Jahrhunderten nicht mehr nachgewiesen. Weiterhin wurden die Wege aber meist aus Bohlen konstruiert, die durch Pflöcke im Moor fixiert wurden. Einer dieser Wege verläuft zwischen Diepholz und Lohne und durchquert dort einen langgestreckten Moorkomplex. Der dendrochronologisch von 56 Die Wege wurden mit Bezeichnungen versehen, die sich aus einem Buchstabenkürzel und einer laufenden Nummer zusammensetzen. Das Kürzel steht für die Fundregion oder einen Forscher: Le – Lengener Moor Ip – Ipweger Moor Pr – Prejawa nach dem verdienten Forscher Hugo Prejawa Zugespitzte Bohlen wurden als Pfeiler in den Untergrund getrieben. Das obere Ende ist rechteckig ausgespart. Durch die Aussparung wurden oben und unten Längshölzer geschoben, zwischen denen man die quer verlegten Bretter des Belags verkeilte. Rad aus dem Teufelsmoor bei Gnarrenburg. Das einteilige Scheibenrad wurde aus der Spaltbohle eines mächtigen Eichenstammes herausgearbeitet. bis 43 v. Chr. datierte Bohlenweg Pr 6 ist rund 4 km lang und unterscheidet sich durch seine sorgfältige Konstruktion von den meisten niedersächsischen Moorwegen. Darüber hinaus wurden hier besonders viele und zum Teil ungewöhnliche Funde geborgen – u. a. unterschiedliche Radtypen sowie aufwendig geglättete und geschnitzte Holzstäbe, die man vermutlich zum Messen verwendete. Schmale Pfade und breite Straßen Bis heute sind allein aus dem nördlichen Dümmerbecken 20 Bohlenwege aus der Zeit zwischen 3000 v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. bekannt. Die enorme Dichte erklärt sich aus der geografischen Lage und Größe des vermoorten Dümmerbeckens, das sich in nordsüdlicher Richtung über eine Länge von rund 40 km erstreckte, von Westen nach Osten aber nur etwa 2 bis 4 km breit ist. EiAchsen vom neolithischen Weg im Landkreis Diepholz. Auf den Achsschenkeln waren Holzräder befestigt, fixiert zwischen Stoßring und Achsnagel. Der Wagenkasten war wahrscheinlich mittig mit einem Holznagel verbunden und seitlich durch Lederschnüre am Aufbau befestigt. 30 Archäologie in Deutschland 1 | 2018 denkt man, dass selbst im Mittelalter der Bau von Straßen und ihre Instandhaltung vielfach kaum zu bewältigende Probleme darstellten, kann man diese Leistung kaum hoch genug einschätzen. Bislang hat man den genauen Verlauf der postulierten Fernwege noch nicht zu rekonstruieren versucht. Ebenso wenig wurden mögliche zeitgleiche Siedlungen und andere Fundstellen zu den Moorwegen in Beziehung gesetzt. In den meisten Publikationen werden die Moorfunde isoliert betrachtet. Namen für die Moorwege ne Kartierung des nördlichen Dümmerbeckens zeigt, dass man die meisten Wege gezielt an der schmalsten Stelle des Moores anlegte. Auf einem Luftbild erkennt man jedoch auch, wie gefährdet diese Denkmalgattung ist: Die meisten Wege dürften heute als Folge von Torfabbau und Landwirtschaft zerstört sein. In Niedersachsen gibt es relativ viele stabil gebaute, 2 bis 3 m breite Wege, die Fahrstraßen teils durchaus ähneln und deren Konstruktion einen beträchtlichen Materialaufwand erforderte. Rund ein Viertel der Moorwege gehört zu dieser Kategorie. Den weitaus größeren Teil machen schmale Fußwege aus. Ihre Bauweise reicht von mit Reisigbündeln befestigten Pfaden zu Stegen oder Dämmen aus Rundhölzern oder Spaltbohlen. Wie Hayen bei seinen Untersuchungen im Ipweger Moor feststellte, hatten solche Fußwege meist nicht das Ziel, ein Moor zu überqueren. Größtenteils überbrückten sie lediglich den nassen Randhang und führten auf die Hochmoorfläche. Ihr Zweck, ihre Datierung sowie die Beziehung der Wege zu Siedlungen, Gräbern und Einzelfunden sind erst in Ansätzen bekannt. Lokale Verbindung oder Fernverkehr? Überhaupt waren die Gründe für den Bau von Moorwegen vielgestaltig, wie die verhältnismäßig gut erforschten Moore des Dümmerbeckens exempla- risch veranschaulichen. Gerade die Deutung der breit und stabil angelegten Wegetrassen ist umstritten. Paläoökologische Untersuchungen im Umfeld des westlichen Dümmerbeckens, des Campemoors, zeigten, dass die Bohlenwege in einer Landschaft angelegt wurden, die durch den Wechsel von vermoorten Senken mit kleinen Seen oder Tümpeln sowie von erhöhten, trockenen Sandflächen mit Eichen und Kiefernbeständen gekennzeichnet war. Sie wurden vor allem in Phasen ansteigenden Grundwasserspiegels bzw. zunehmender Vernässung der Moore gebaut. Die Auswertung der Pollenprofile ergab zugleich, dass bereits mit dem ältesten Moorweg typische Siedlungsanzeiger zu fassen sind. Mit Beginn des verstärkten Hochmoorwachstums im 3. Jt. wird auch der Wegebau eingestellt, zugleich nehmen Siedlungsanzeiger deutlich ab; offenbar wurden die Siedlungen weg vom Moor auf höher gelegene trockene Standorte verlagert. Hier scheint die Anlage der Wege also unmittelbar mit der Nutzung der Niedermoorlandschaft bzw. ihres Umfelds verbunden zu sein. Ganz anders stellt sich die Situation im nördlichen Dümmerbecken dar. Die hier entdeckten Wege durchquerten die Hochmoore über eine Länge von 2 bis 4 km. War es ihr Ziel, den weit ins Moor ragenden Mineralbodensporn, die Lindloge, als bevorzugte und geschützte Siedlungs- und Wirtschaftsfläche zu erreichen, oder bildeten sie Teile vorgeschichtlicher Wege- und Handelsnetze, ja sogar befahrener Fernwege, wie Hayen vermutete? Sind sie im Zusammenhang mit den täglich anfallenden Transportaufgaben einer bäuerlichen Gemeinschaft zu sehen oder wurden Handelsgüter transportiert? In jedem Fall ist der hinter ihrer Konstruktion stehende logistische Aufwand enorm. Be- Bohlenwege im Großen Moor zwischen Diepholz und Lohne, einem der fundreichsten Moorgebiete Niedersachsens. Infolge von Torfabbau (braune Flächen) und Landwirtschaft dürfte der größte Teil zerstört worden sein. Digitale Erfassung ermöglicht neue Forschungsansätze Heute stehen uns mit der GIS-gestützten Denkmaldatenbank ADABweb effektive Methoden zur Verfügung, um zeitgleiche Fundstellen kleinräumig und großräumig herausfiltern und siedlungsgeografische Schlüsse zu ziehen. Eine Voraussetzung hierfür war die Übertragung des bislang analog geführten Moorweg-Katasters in die ADABweb. Die nun fertiggestellte Kartierung erlaubt jetzt einen Überblick über die Lage und den Verlauf der Moorwege sowie ihre Konzentrationen. Zugleich macht sie deutlich, in welchen Regionen es noch Potenzial für weitere Forschungen gibt. Mit Sicherheit zerstörte Wege häufen sich als Folge des Torfabbaus vor allem im Regierungsbezirk Oldenburg. Doch auch von den nicht als zerstört markierten Wegen dürfte nur noch ein kleiner Teil existieren, da die Moore heute meist entwässert sind und landwirtschaftlich genutzt werden. Künftig sollten neben der Erforschung und siedlungsgeografischen Analyse der Fundstellen die Erhaltung dieser Bodendenkmale überprüft, eine systematische Überwachung aufgebaut und wo möglich Schutzzonen geschaffen werden.