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Was ist eine (gute) Institution?

2009, In: Rainer Forst/Martin Hartmann/Rahel Jaeggi/Martin Saar (Hrsg.), Sozialphilosophie und Kritik, Frankfurt a. M. (Suhrkamp), S. 528–544.

Institutionen sind das Rückgrat des Sozialen, sie sind das, was ihm Gestalt und Beständigkeit verleiht. Gehören sie damit zur Infrastruktur menschlichen Zusammenlebens, so ist die Frage nach den Bedingungen ihres Gelingens und Scheiterns eine der genuinen Fragestellungen der Sozialphilosophie.

RahelJaeggi Was ist eine (gute) Institution? lnstitutionen sind das Riickgrat des Sozialen, sie sind das, was ihm Gestalt und Bestandigkeit verleiht. Gehoren sie damit zur Infrastruktur menschlichen Zusammenlebens, so ist die Frage nach den Bedingungen ihres Gelingens und Scheiterns eine der genuinen Fragestellungen der Sozialphilosophie. Nicht nur namlich pragen Institutionen einen nicht unbetrachtlichen Teil der Umstande, unter denen Individuen ihr Leben fiihren: Wir sind, wie haufig bemerkt worden ist, buchstablich »von der Wiege bis zur Bahre« mit lnstitutionen konfrontiert. Auch gehoren lnstitutionen, weiter gehend, zu dem, was Axel Honneth als »iiberindividuelle Bedingungen fiir individuelle Selbstverwirklichung«1 bezeichnet hat. Wenn man,sie so, und das bedeutet, aus einer spezifisch sozialphilosophischen Perspektive, betrachtet, kommen lnstitutionen weniger hinsichtlich des Problems der Stabilitat politischer Ordnungen in den Blick; und sie interessieren auch nicht lediglich im Zusammenhang der Frage nach ihrer Legitimitat · oder ihrer gerechten Verfasstheit. Die sozialphilosophische Perspektive thematisiert namlich Weisen des Scheiterns von lnstitutionen, die nicht mit deren Legitimitat oder Stabilitat zusammenfallen, obwohl sich die hiermit angespro-:chenen Probleme andererseits auch nicht vollstandig voneinander trennen lassen. Sie interessiert sich fiir den Charakter von lnstitutionen als solchen, fiir das Gut- oder Schlechtsein der Institution als Institution und hinsichtlich der Beforderung des guten Lebens · der von den lnstitutionen gepragten und diese tragenden lndividuen. D~it geht die Oberlegung einher, <lasslnstitutio~en nicht einfach neutrale Mittlerinstanzen unserer Ziele oder unparteiliche Zuteilungsinstanzen von sozialen Giitern und Rechten sind. Wenn das aber so ist, dann sollte man lnstitutionen nicht einfach als black box behandeln. Man kann sich dann, anders gesagt, nicht mit der Beurteilung der Effekte von lnstitutionen begniigen, sondetn muss sich dem sozialontologischen Grundlagenproblem zuwenden, was iiberhaupt eine Institution ist, wie sie funktioniert und wirkt - um I Zur Aufgabenstellung der Sozialphilosophie vgl. Axel Honnech, Pathologiendes Sozia/e1!· Die Aufgabender Sozialphilosophie,Frankfurc/M, 1994. sich davon ausgehend der Frage nahern zu konnen, warm sie als Instimtion gut oder schlecht ist. Wenn ich im Folgenden erste Voriiberlegungen und Klarungen zu einem philosophischen Verstandnis dessen anstelle, was soziale lnstitutionen sind und woran sie - als lnstitutionen - scheitern konnen, so stehen zwei Merkmale im Zentrum meines lnteresses. Erstens:lnstitutionen sind <lurch den Umstand ausgezeichnet, dass sie auf naher zu untersuchende Weise »gleichzeitig gegeben und gemacht« sind. Sie sind Resultate menschlichen Handelns, stellen sich aber selbst ihren Urhebern in mancher Hinsicht als unverfiigbar dar. Mit diesem Aspekt hangt nun zweitens eine spezifischeWei~ se des Scheiterns von Institutionen zusammen, auf die ich mich in diesem Aufsatz konzentrieren werde: Institutionen konnen verfallen oder »erodieren«, sie sind dann »entleert«, unlebendig oder erstarrt. lch werde im ersten Abschnitt, ausgehend von unseren alltaglichen Verwendungsweisen dieses notorisch unklaren Begriffs, die Frage verfolgen, was eigentlich eine Institution ist, um in einem zweiten Abschnitt zu analysieren, wie Institutionen wirken, was sie. leisten und was sie tun. Aus den Kernelementen <lessen,was so in dner ersten Annaherung die Institution und den Vorgang der Institutionalisierung ausmacht, werde ich schlie:Blichin einem dritten Abschnitt das Motiv der Verselbststandigung und Entlebendigung(als einer der Weisen; in denen Institutionen verfallen oder erodieren konnen) untersuchen, um daraus umgekehrt Bedingungen ihres Gelingens oder Gutseins abzuleiten. I. Was ist eine Institution? Eine Universitat ist eine Institution. Die Ehe ist eine Institution. Eige.t?-tumgilt als Institution, aber auch die Sklaverei ist eine Institution. Theater und Ministerien, Gefangnisse und Krankenhauser, der europaische Gerichtshof und der deutsche Filmpreis, die UNO und die Weltbank, all dies sind Institutionen. Und von manchen Einrichtungen - vom weihnachtlichen Platzchenbacken im Kindergarten bis zum jahrlich stattfindenden Weltsozialforum - sagt man ebenfalls manchmal, sie seien »bereits zur Institution geworden«. Selbst wenn ein Teil dieser Redeweisen metaphorisch oder 529 abgeleitet sein sollte, so enthiillen .sie <loch einiges iiber den Charakter <lessen,was mit dem Begriff der Institution auf dem Spiel steht. 'Was sagen uns also die oben angefiihrten alltaglichen Verwendungsweisen iiber den Gehalt des lnstitutionenbegriffs? Wenn man vom jahrlichen vorweihnachtlichen Platzchenbacken im Kindergarten als »Institution« spricht, so tut man das vermutlich nur in einem losen Zusammenhang mit dem Kerngehalt des Begriffs. Dennoch: Worauf diese Rede hinweist, ist det Umstand, <lasses sich hier um eine jahrlich wiederholte Aktivitat handelt, deren Ablauf einigermaBen unumstritten und mehr oder weniger vorhersagbar ist. Sie ist allen Beteiligten »zur Gewohnheit gewor.:. den«. Dass es sich hier um eine Institution handeln soll; impliziert dariiber hinaus, <lass die Beteiligung ihr erwartet zu werden scheint. Es gibt also wechselseitigeVerhaltenserwartungen und einen gewissen (wenn in diesem Fall auch nicht strengen) normativen Druck. Komplexer wird die Sache schon, wenn man vom Weltsozialforum anerkennend behauptet, es sei »zur Institution gewordert«. Was man damit ausdriickt, ist der Umstand, <lasses von einem Treffpunkt lose verbundener sozialer Bewegungen zu einer Einrichtung geworden ist, deren Organisation sich verstetigt hat und deren Aktivitaten - im Gegensatz zum spontanen Volksaufstand einer gewissen Planbarkeit und Berechenbarkeit unterliegen. Man weist damit auEerdem darauf hin, <lassdas Weltsozialforum in den Jahren seines Bestehens einen gewissen Einfluss und eine gewisse Wirksamkeit erlangt hat, die sich zum Beispiel darin ausdriickt, <lassmittlerweile seine Vertreter auch bei den offiziellen Treffen der Weltbank angehort werden. Nicht zuletzt daran sieht man, <lass die Zuschreibung des Institutionenstatus an ein soziales Gebilde so etwas wie <lessenojfentlicheAnerkentiung beinhaltet .. Wenn nun die Ehe eine Institution ist, so ist auch sie das deshalb, weil sie offentliche Anerkennung genieBt und dariiber hinaus, im Unterschied zu informellen Weisen des Zusammenlebens,.als Form des Zusammenlebens rechtlich wie »sittlich<<kodifiziert ist. Wir stoBen hier auf den Aspekt der Legitimitat. Nicht umsonst sagte man friiher von der EheschlieBung, <lass<lurch sie ein Verhaltnis »legitimiert« werde. Und noch die offentliche Debatte um die Ehe zwisch.en gleichgeschlechtlichen Partnern zeigt, wie sehr sich mit der Institution der Ehe - so iiberlebt sie in anderer Hinsicht sein an 530 mag - immer noch eine Vielfalt von Anspriichen und Befugnissen verbindet. Das Beispiel der Ehe konfrontiert uns aber mit einem weiteren Umstand: lnstitutionen sind so beschaffen, classdie Institution und ihr »Inhalt« auseinandertreten konnen. So kann die Ehe als Institution die »lebendige« Bedeutung der Ehe - die Liebe - manchmal iiberdauern. Man sagt in solchen Fallen dann beispielsweise: »Wir sind :nur noch auf dem Papier verheiratet.« (Der junge Hegel hat dieses Phanomen als »Positivitat«hezeichnet, und es wird mich weiter unten :noch beschaftigen, wie diese zu verstehen ist.) . Betrachten wir schlieBlich einige Gebilde, die sicherlich das Kernverstandnis des lnstitutionenbegriffs ausmachen: soziale Einrichtungen wie den Europaischen Gerichtshof, Gefangnisse, Schulen oder Krankenhauser. Abgesehen davon, <lassauch diese offentlich anerkannt und auf Dauer angelegt sind, und abgesehen davon, <lass sich die Arbeit auch dieser Institutionen (idealiter) <lurch regelmaBige, routinisierte und berechenbare. Ablaufe auszeichnet - welche Elemente kommen noch dazu? Zunachst einmal der Umstand, <lasses sich hierbei um komplexe, intern gegliederte Gebildehandelt, die <lurch formalisierte Ablaufe und interne Arbeitsteilung, also die Aufteilung in spezifische Funktions- und Kompetenzbereiche gekennzeichnet sind. Weiterhin aber tritt hier ein Merkmal besonders deutlich hervor, das in den vorher diskutierten Beispielen noch keine ausdriickliche Rolle gespielt hat: Das Element der Delegation und entsprechend der Vertretbarkeit det einzelnen an einer Institution teilhabenden Personen. Jeder, der sich an einer bestimmten Position einer Institution befindet, sollte sich etwa so verhalten wie jeder andere, der an dieser Stelle stehen konnte. In lnstitutionen dieses Typs miissen Handlungen so reglementiert sein, <lassfestgelegt und erwartbar ist, was der einzdne institutionell Handelnde tun wird. Damit geht das einher, was man als »iiberpersonlichen« Charakter der Institution bezeichnen und als die »Verdopplung in Mensch und Rolle« bzw. Amtstrager ausbuchstabieren kann. Zwar agieren in lnstitutionen individuelle Personen, sie aiieren hier aber nicht als. solche. Das macht einen Teil <lessenaus, was als die spezifische »Harte« von Institutionen · in den Blick treten mag. Sie hat den bekannten Effekt, <lasseinem in Konfrontationen mit Institutionen beschie- . den werden kann: »Ich verstehe Sieja als Mensch; aber als Trager 531 institutioneller Verantwortung darf ich Ihnen diesen Zuschuss nicht gewahren.« An den Umstand der Vertretbarkeit schliefst sich aber noch ein weiteres Element an: lnstitutionen konnen versprechen,und man kann sie verantwortlichmachen. Jemand ist »institutionell verantwortlich<<,auch ohne an einem bestimmten Vorgang personlich beteiligt zu sein, wenn er eine bestimmte Position in einem (hietarchisch gegliederten) institutionellen Gefiige einnimmt. Deshalb ist der Abteilungsleiter verantwortlich fiir die Vergehen seiner Untergebenen, auch wenn er von ihnen nichts gewusst hat. Man kann sagen: Die in der Moralphilosophie heiB umstrittene Frage, inwiefern man fiir etwas zur Rechenschaft gezogen werden kann, das man nicht gewusst hat und nicht hat absehen konnen, und die damit zusammenhangende Frage, ob ·man jemandem die Verpflichtung zuschreiben kann, bestimmte Dinge zu wissen, ist im Fall der Institution immer schon beantwortet. Zurn Charakter jeder Institution gehort eine spezifische Gestalt institutioneller Verantwortung. Und es ist umgekehrt Zeichen fiir den Verfall einer Institution, wenn sich Verantwortlichkeit nicht mehr zuschreiben lasst. Die Institution selbst tritt damit - als etwas, das versprechen, das wollen, das handeln· kann - auf wie eine Person. Kernelemente des Institutionenbegriffi Aus dieser ersten Vorverstandigung hat sich ein Set von Eigenschaften ergeben, die zum lnstitutionencharakter eines sozialen Gebildes zu gehoren scheinen: ihre RegelmaBigkeit und die mit ihne.n verbundene Gewohnheitsbildung und Dauerhaftigkeit; die Existenz von wechselseitigen Verhaltenserwartungen und der normative Druck, der diese befestigt; die interne Strukturiertheit der Institution, ihre funktionale Ordnung bis hin zur Rollendifferenzierung bzw. der Differenzierung von ·Statuspositionen; schlieBlich ihre Berechenbarkeit, das Element der Uberpersonlichkeit und Vertretbarkeit und die spezifische Verantwortungsstruktur der Institution sowie das Element der offentlichen Wirkung und Anerkennung. Eine vorlaufige Definition von »Institution« lasst sich so wie. folgt formulieren: · lnstitutionen sind durch soziale Praktiken konstituierte Einrichtungen mit Gewohnheitscharakter, die mehr oder weniger kom532 plexe Systeme dauerhaf!:er wechselseitiger Verhaltenserwartungen darstellen, mehr oder weniger stabile Statuspositionen etablieren und sich durch offentliche Wirksamkeit und Anerkennung auszeichnen. Je nach Umfang und internet Differenziertheit der von der Institution zugeteilten Rollen bzw. institutionellen Positionen gibt es dann komplexeund wenigerkomplexelnstitutionen, und es gibt starkere und schwachereInstitutionen, je nachdem wie stark die Erwartungen sind, die an die in ihnen versammelten sozialen Praktiken gerichtet werden und mit welchen Mitteln sie durchgesetzt werden. . lnstitutionen sind dementsprechend ein graduelles Phanomen. Sie sind aus sozialen Praktiken und Normen bestehende Gefiige oder »Gehause des menschlichen Zusammenlebens<<2,die sich zu einer - eben institutionellen - Gestalt verfestigt haben. Es lassen sich also verschiedene (lntensitats-)Grade der lnstitutionalisierung und damit verschiedene »Aggregatszustande« sozialer Praxis unterscheiden. 3 Was aber passiert beim Ubergang von einer - nichtinstutionalisierten - sozialen Praxis zur Institution bzw. zur institutionalisierten Praxis? Was genau macht diese Verfestigung und den spezifischen (normativen) Status einer Institution aus? Mehrere Aspekte drangen sich hier auf: Erstens:Der instituierte Charakter von lnstitutionen. lnstitutionen sind geschaffen, sie entwickeln sich nicht ungeregelt, »naturwiichsig« oder spontan:, sondern werden »ins Werk gesetzt« und gestaltet. lnstitutionen, so konnte man sagen, sind eingerichtetoder gestiftet - eben: instituiert. Selbst da, wo sie,. wie im Beispiel des V gl. Heinrich Popitz, SozialeNormen, Frankfurt/M. 2006, S. 90. 3 Die Grenzen zwischen Institutionen und anderen Gebilden.sozialer Praxis waren dann also, wie graduelle Begriffe es an ·sich haben, flieisend. Im Imeresse eines moglichst spezifischen Begriffs der sozialen Institution schlage ich allerdings vor, diesen einerseits auf »verhartetere« Gebilde sozialer Praxis zu beschranken; ande-. rerseits sollte man ihn nur fur komplexere Gefiige von Praktiken und Normen; nicht fiir einzelne Praktiken und Normen verwenden. Nur so !asst sich die mit Institutionen verbundene und aus sozialphil~sophischer Sicht interessante Komplexitat uii.d Dynamik von Institutionen fassen. (So wenig, wie man es dann zum Beispiel auf der Grundlage eines graduellen Institutionenverstandnisses kategorial auschlieisen kann, »Freundschaft« als Institution zu bezeichnen, so sehr sollte man sich andererseits die Mogliclikeit erhalten, dariiber nachzudenken, was passiert, wenn eine Liebesbeziehung den institutionellen Charakter der Ehe annimmt oder wenn das Eigentum nicht mehr nur faktisch, sondern als Institution in Kraft ist.) 2 533 Weltsozialforums, aus ungeregelt-spontanen Aktivitaten hervorgegangen sind, gehort zum Vorgang der lnstitutionalisierung dieser A.ktiviriitenein Moment der Griindung. Ein Anzeichen fi.ir diesen Griindungscharakter ist es, class man lnstitutionen, genauso wie man sie schaffen kann, auch abschaffen kann. Soziale Brauche, Sitten oder Lebensformen dagegen zum Beispiel andern sich, sie werde.n aber nur in den seltensten Fallen (und dann selten mit Erfolg) ab~schafft. Zweitens: Eine zweite Moglichkeit der Abgrenzung von Institutionen zu anderen Formen sozialer Praxis ware ihr kodifizierter Charakter. Dafti.r steht paradigmatisch die rechtliche Kodifizierung - und nicht umsonst erlautert der Stammvater der rechtswissenschaftlichen lnstitutionentheorie, Maurice Hauriou: »lnstitutionen entstehen, leben und sterben nach den Regeln des Rechts.«4 Nun ist diese Auffassung zu eng, will man als Institution auch diejenigen Phanomene thematisieren, die auf inforrrielleren Formen der Kodifizierung beruhen und dennoch bindender und vor allem expliziter sind als die haufig implizit bleibenden Regeln anderer Zusammenhange von Praktiken, Wenn dennoch die rechtliche Kodifizierung und die damit verbundene Sanktionierung abweichender Verhaltensmuster auch in unserem Alltagsverstandnis in starkem Maise Pate zu stehen scheint fur das, was den lnstitutionencharakter einer Einrichtung oder einer sozialeri Praxis ausmacht, so liegt das daran, dass sie besonders greifbar und offensichtlich etWas tut, das dem institutionellen Handeln generell zugrunde liegt. Die rechtliche Kodifizierung bestimmter Handlungen ist namlich eine spezifische Form dessen, was John Searle als die Zuweisung von Statusfunktionen beschrieben hat und fi.ir den Grundbaustein der »Konstitution sozialer Wirklichkeit;, halt. 5 Die logische Struktur einer institutionellen Tatsache besteht, so Searles vieldiskutierter Arisatz, in Statuszuweisungen der Form x zahlt als y in c. So eine Statuszuweisung kann etwa lauten: »Dieses Stuck bedrucktes Papier gilt als Geld innerhalb Europas.« Mit einer solchen Zuweisung und nur mittels dieser wird der Status :einer institutionellen Entitat ge4 Maurice Hauriou, Die Theorieder Jmtitution, Berlin 1965, S. 35. 5 V gl. John R. Searle, »What is an Institution?«, in:]ournal of Imiitutional Economics 1:1 (2005), S. 1-22, hier S. 7, sowie, ausfiihrlicher in: ders., Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit.Zur Ontologiesozialer Tatsachen,Reinbek bei Hamburg 1997. 534 schaffen - zum Beispiel eben der Status des Geldes. Jede Institution (im von mir gesuchten Sinn) ist ein komplexes Gebilde von solchen Statuszuweisungen und den damit verbundenen Befugnissen und Erwartungen. Diese Kodifizierung muss nicht rechtlich sein, sie muss aber auf irgendeine Weise kollektiv akzeptiert sein. Damit ist bereits angedeutet, worin die spezifische Leistu.':1-g von Institutionen besteht, womit ich beim zweiten Teil meiner Uberlegungen angelangt bin. II. Was leisten Institutionen? Was leisten lnstitutionen? Welche ihrer spezifischen Eigenschaften sind es die sie so unersetzlich fur das Gewebe der sozialen Welt zu mache~ scheinen? Es sind vor allem zwei Umstande, die in diesem Zusammenhang entscheidend zu sein scheinen. · Erstens:lnstitutionen konnen Bedeutungensetzen. Sie haben Definitionsmacht. Sie »sagen, was ist und was wichtig ist«.6 Nur innerhalb einer institutionell verfassten Wirklichkeit lasst sich sagen: »Das ist eine Ehe«, »Das ist eine Vorlesung«, »Das ist eine Berufungskommission«. Wir verstehen dann etwas als Ehe, als Vorlesung, als Berufungskommission und verhalten uns entsprechend. Mit solchen Statuszuschreibungen wird - das ist die Pointe (nicht nur) vori Searles Uberlegungen - etwas geschaffen, das vorher bzw. ohne diese nicht da war und das dennoch so wirkmachtig ist, wie die beobachterunabhangige »wirkliche Wirklichkeit«, die sich unsentgegenstellt. Unsere sozialeWelt ist aus dem »Stoff«der Institutionen gewebt, und sie ist umso dichter, je mehr es davon gibt. Institutionen schaffen dabei nicht nur iiberhaupt das .Geflecht des Sozialen; sie schaffen es als normativ geregeltes und ethisch dichtes Geflecht. lnstitutionen beinhalten Kriterien dafi.ir, was es bedeutet, zu ihnen zu gehi:iren und sie zu erfullen. ·Und sie haben Kriterien dafi.ir,.was es heiBt, sie gut zu erfi.illen. Beides ist nicht voneinander zu .trennen. Es ist fi.ir Institutionen charakteristisch, classman sie mit Bemerkungen des Typs »Das ist ja gar keine Ehe mehr« oder »Und das soll eine Vorlesung sein?« kritisieren kann. Man kann sie also an Anspriichen messen, die mit ihnen selbst 6 Soder Soziologe Luc Boltanski in seinen Frankfurter »Adorno-Vorlesungen« im November 2008. 535 __:eben sind - und das flihrt zu der philosophisch komplexen Situation, dass man (wie Searle ausgefiihrt hat) jedenfalls in diesem speziellen Fall aus dem Sein auf ein Sollen schlieBen kann. 7 Zweitens: Institutionen stabilisierendie soziale Welt. Zu dieser Stabilisierung tragt, so jedenfalls will es eine prominente Deutung des Institutionenproblems, der Charakter des Dauerhaften und des GewohnheitsmaBigen bei. Aber auch die oben beschriebenen Momente der Herstellung von Zurechenbarkeit und das Dberpersi:inlicheder Institution schaffen Stabilitat. Wenn ich es mit Institutionen zu tun habe oder in ihnen agiere, so weiB ich,. womit ich es zu tun habe, und ich weiB ohne weitere Reflexion, was ich zu tun habe. Dass Institutionen damit eine »Entlastungsfunktion«zukommt, ist vielleicht die bekannteste imd wirkmachtigste These der lnstitutionentheorie Arnold Gehlens. Gehlen fundiert die Existenz von Institutionen bekanntlich insofern anthropologisch »tiefo, als er die Notwendigkeit solcher Endastung durch die konstitutive Instinktarmut des Menschen motiviert. Aber die These von der »Endastung« ist ·in ihren Konsequenzen problematisch. Sie ist suggestiv. einerseits, abschreckend andererseits, wenn Gehlen in diesem Zusammenhang fast diabolisch von der »verzehrenden« Macht der Institution als einem gleichwohl zu bejahendem »Verhangnis«spricht und damit zur bedingungslosen Unterwerfung unter die Autoritat der Institution aufzufordern scheint. 8 Gehlens These ist aber vor allem alles andere als klar, und sie ist nicht alternativelos. Was namlich macht die Endastungsfunktion von Institutionen aus? Nach Gehlen ist es ihr objektiver, objektivierender Charakter, der die Handlungen des Einzelnen (instinktanalog) bahnt und damit den »subjektiven Einsatz«, die Reflexion auf das eigene Han7 Vgl. John Searle, »How To Derive ,Ought< From ,Is«<,in: 7hePh4osophical Review 73=10anuar 1964), S.43-58. 8 Vgl. dazu Zitate wie dieses: »Die Institutionen sind die gro/sen, bewahrenden und verzehrenden uns weit iiberdauernden Ordnungen und Verhangnisse, in die die Menschen sich Sehenden Auges hineinbegeben, mit einer fur den, der wagt; vielleicht hoheren Art von Freiheit, als der, die in ,Selbstbetatigung< bestiinde.« (Arnold Gehlen, »Die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung«, in: ders., PhilosophischeAnthropologieund Handlungslehre,Gesamtausgabe, Band 4, Frankfurt/M. 1983,S. 366-379, hier S, 379). Die beriihmte Tues~ von der »Entlastungsfunktion« der Institutionen findet sich unter anderem in. ders.; Urmenschund Spatkultur, Gesamtausgabe, Band 5, Frankfurt/M. 2004, S. 48. , unni:itig macht. Mit dem Rechts- und Moralphilosophen ph Raz kann man denselben Sachverhalt etwas nuchterner beschreiben: lnstitutionen sind Systeme von »ausschlieBenden Grun9 Solche »ausschlieBenden Grunde« sind .den« (exclusionaryreasons). beiRaz Griinde zweiter Ordnung, die andere Grunde in der Weise betreffen, dass sie sie nicht wirksam werden !assen. Es ist namlich, so argumentiert Raz, manchmal rational, nicht alle mi:iglichen Griinde fiir eine Handlung in Erwagung zu ziehen. In der damit verbundenen Zeit- und Aufvvandsersparnis liegt die Rationalitat schon der einfachsten Gewohnheitsbildung. So kann es manchmal sogar rational sein, guten Grunden, die ich kenne, nicht Folge zu leisten. Das dafiit einschlagige Beispiel von Raz, das Zuruckstellen ·von Grunden, die gegen die Ausfiihrung eines bestimmten Befehls sprechen, zugunsten des ausschlieBenden Grundes der Einhaltung der militarischen Befehlshierarchie, fiihrt uns nun schon tief in die (zweischneidige) Logik der Institution. Auch diese namlich setzt auf eine ihrerseits begrundete Weise Reflexion aus und grenzt da.mit den Raum praktischer Fragen ein. lnstitutionen beanspruchen iinmer auch eine dem konkreten Fall ubergeordnete Rationalitat im lnteresse des Funktionierens von - eben: institutionellen - Handlungsablaufen. Es handelt sich - bei Raz nicht anders als bei Gehlen - um eine Ermi:iglichungqua Beschrankung; um eine Ermi:iglichung von Handlungen qua Beschrankung der Handlungsfreiheit. Von Gehlens Auffassung allerdings unterscheidet sich die mit Razzu leistende Beschreibung nicht nur durch den Verzicht auf das.Gehlen'sche Pathos und anthropologische Fundierung zugunsten »flacher« angelegter handlungspraktischer Erwagungen. Sie . unterscheidet sich auch darin, dass wir, wenn wir »ausschlieBenden Grunden« folgen, im »Raum der Grunde« bleiben und nicht etwa gezwungen sind, eine Dichotomie zwischen Reflexion und _ institutionellet Vernunft aufzumachen. Hier geht es nicht um die schlichte Aussetzung von Grunden, sondern um eine bestimmte Weise der Hierarchisierungdes Raums der Grunde. Das aber hat, wie wir noch sehen werden, Konsequenzen fiir die Beurteilung und Beurteilbarkeit von lnstitutionen. Und diese wiederum ware eine Voraussetzung dafiir, sich der positiven Bedeutung von lnstitutionen zu nahern, also einem Verstandnis von lnstitutionen, das 9. Vgl. Joseph Raz,PraktischeGrundeund Normen,Frankfurt/M. 2006. Zuin Begriff der »ausschlieBenden Griinde« siehe besonders Kap. 1.2 und Kap. 2.3. 537 diese nicht nur als stabilisierende, die Intentionen der Individuen »eindammende« Grofse, sondern als die Bedingung ihrer Verwirklichung und Verkorperung ihres durch Griinde geleiteten Wollens fassen konnte. Ich komme dami~ zum dritten Teil meiner Uberlegungen und zu der Frage danach, was eine gute Instituion ausmacht und woran diese umgekehrt scheitern kann. III. Gute und schlechte Institutionen An dieser Stelle sei noch einmal an den Umstand erin~ert class sich meine Frage nach gutert oder schlechten Institutionen 'nicht auf deren Effekt oder Inhalt richtet. Natiirlich ist die Sklaverei eine schlechte Institution. Aber sie ist es nicht als Institution. (Oder jedenfalls ist das nicht der lTmstand, auf den sich unser Augenmerk hier richten sollte.) Es geht mir also um das spezifische Gelingen oder Scheitern, um die spezifische Qualitat der Institution als sozialem Gefiige selbst. Wie aber kann ein Gebilde als Institution gut oder schlecht sein, gelingen oder scheitern? Konnen Institutionen nicht nur entweder sein oder eben nicht sein? Gehlens Institutionentheorie jedenfalls lasst zwischen dem Faktum der Stabilitat und dem Faktum der Ins.:abilitat wenig Raum fiir qualitative, die Institution bewertende Uberlegungen; und auch mit Searle betrachtet sind Institutionen entweder da (also: in Kraft) oder nicht da. Entweder die Statuszuschreibungen wirken, oder sie wirken eben nicht oder jedenfalls nicht mehr. Ein Kriterium allerdings der Bestimmung moglicher Defizite von Institutionen haben wir oben bereits gestreift: Es ist das Hegefsche Kriterium der »Positivitat« bzw. der Entleerung und Entlebendigung von Institutionen, dem er umgekehrt ein mehr oder weniger bestimmtes Bild von lebendigen Institutionen bzw. der lebendigen ldentifikation mit den Institutionen entgegensetzt. Auf der Phanomenebene trifft die Hegel'sche Beschreibung Erscheinungen, deren Existenz und Problematik man schlecht leugnen kann. Die Ehe, die nur noch auf dem Papier steht, hatte ich bereits erwahnt. Aber auch im Bereich demokratischer Mitbestimmung sind Institutionen allgegenwartig, die zwar existieren (und auch legitim sind), 538 aber seltsam entleert wirken. Fiir den jungen Hegel selbst war das Christentum der paradigmatische Fall einer Institution, die nur noch positiv gesetzt, also geltend ist, aber ihren lebendigen Sinn und die· lebendige Unterstiitzung der an ihr Partizipierenden zu verlieren droht. 10 Was aber soll dieses mehr oder weniger ini:uitiv einleuchtende Motiv bedeuten, wie soll man die Behauptung verstehen, classdas »Leben aus einer Institution gewichen«.sein kann - ein Umstand, der bei Hegel, wohlgemerkt, nicht lebensphilosophisch verstanden wird, sondern gleichbedeutend mit einem Defizit an Rationalitat ist? Wenn es hier um das Leben in den lnstitutionen und nicht etwa um die Idee einer Riicknahme des (verfestigten) Institutionellen in die verfliissigte reine Praxis gehen soll, muss man den in den lnstitutionen liegenden Doppelcharakter noch einmal genauer beleuchten. Der Umstand, class sich in Institutionen menschliches Handeln »objektiviert«, und die in diesem Umstand arigelegteVerselbstandigungsmoglichkeit sind ja einerseits ein entscheidender Aspekt der produktiven, positiven Wirkung· von lnstitutionen. Er ist andererseits die Quelle der oben genannten Probleme der Entlebendigung, Entleerung und Erosion: Es gilt also, den Unterschied zwischen Objektivierung iiberhaupt und (schlechter) Positivitat zu bestimmen. Dazu ist es zunachst notig, dem Moment der »Verselbststandigung« genauer nachzugehen. Verselbststi.indigung als Paradoxieder Institution Dieses Verselbststandigungsmciment von Institutionen ist vielfach beschrieben worden. Pragnant hatte schon Adam Ferguson in seinem Essayon the Historyof Civil Societyformuliert: »Volker [befinden] sich unerwartet im Besitze von Einrichtungen [... ], die wohl das Ergebnis menschlichen Handelnssind, aber nicht das Ergebnis menschlicher Absicht.«11 Und Peter L. Berger und Thomas Luckmann bauen in ihrem fiir die Sozialphanomenologie klassisch gero Vgl. hierzu Hegels Schrift von 1795'1796: »Die Po_sitivitatder chrisdichen Religion«, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werkein zwanzig Biinden,Band 1, Frankfurt/M. 1971,S. 104-190. 11 V gL Adam Ferguson, Versuchuber die Geschichteder burgerlichenGesellschaft, Frankfurt/M. 1986. 539 wordenen Buch Die sozialeKonstruktionder Wirklichkeit(das nicht nur dem Titel nach einiges mit Searles Fragestellung teilt) ihre gesamte Analyse der »Institutionalisierung« um den objektiv/objektivierenden Charakter der Institutionen auf, um den Umstand also, dass diese, obzwar sie von Menschen gescha.ffen und von ihnen reproduziert werden, eine »auEermenschliche Faktizitat«12 gewinnen, der die Menschen sich nicht mehr entziehen konnen. Berger und Luckmann nennen diesen Objektivierungsvorgang das »Paradoxon, daB der Mensch fahig ist, eine Welt zu produzieren, die er dann anders als ein menschliches Produkt erlebt«, 13 oder gar »eine Wirklichkeit hervorzubringen, die ihn verleugnet«. 14 Und tatsachlich gibt es Anlass dazu, hier eine Paradoxie zu vermuten. Wenn das eigene Handeln eine Faktizitat gewinnt, der n{an sich nicht entziehen kann, scheint hier eine Macht am Werk zu sein, deren Quelle nicht mehr »man selbst« ist. Man ware dann nicht mehr Urheber der eigenen Handlungen, obwohl man selbst es ist, der handelt. Und auch wenn Adam Ferguson Institutionen als das Ergebnis menschlichen Handelns,aber nicht menschlicher Absicht beschreibt, wird er nicht gemeint haben, dass es sich hier einfach um ein Handeln ohrie Absi.cht handelt. Was er beschreibt, ist der Umstand, dass hier handelnd Absichten verfolgt worden sind, die sich gegeniiber ihren Urhebern in der Weise verselbststandigt haben, dass sich das Ergebnis dieser Handlungen nicht mehr als Verwirklichung der mit ihnen verfolgten Absichten verstehen lasst. . Tatsachlich handelt es sich hier aber natiirlich nicht um eine Paradoxie. In Searles Vokabular beispielsweise lasst sich das Problem folgendermaBen auflosen: Wenn Institutionen auf kollektiv akzeptierten Zuschreibungen von Statusfunktionen beruhen, so sind diese »von Menschen gemacht«, weil nur Menschen bzw. Kollektive ~on Menschen in mehr oder weniger expliziter wechselseitiger Ubereinkunft ·solche Statuszuschreibungen leisten konnen. 1hr Status - z. B. als Geld - liegt nicht in den Dingen selbst. Gleichzeitig sind die so geschaffenen institutionellen Tatsachen, wie oben erwahnt, widerstandig und unverfiigbar. Eine von Searle Peter L. Berger und Thomas Luckmann, Die gesellschaftlicheKonstruktion der Wirklichkeit.Eine 7heorieder Wissenssoziologie, Frankfurt/M. 1979, S. 94. 13 Ebd., S.65. 14 Ebd., S. 96. l 2 540 eingefiihrte Unterscheidung ist hier zum Verstandnis hilfreich: lnstitutionen sind zwar ontologisch subjektiv(namlich: nicht einfach so da, wie ein Berg vorhanden ist, sondern abhangig von ebendiesen Zuschreibungen), aber gleichzeitig epistemologisch objektiv (also in ihrem Bestehen nicht abhangig von unserer · subjektiven ·Einstellung zu ihnen).15 Der institutionelle Status der uns umgeb~nd~n sozialen Entitaten ist uns Menschen geschuldet, von uns abhang1g, aber er ist dies nicht in dem Sinne, dass der Einzelne seine Geltung einfachhin leugnen konnte. Das scheinbare Parad9x lost sich so in den kategorialen Unterschied zwischen der onto~ogischen u~d d~r epistemologischen Hinsicht auf. Institutionen smd dann mcht m derselben Hinsicht subjektiv und objektiv, gegeben oder gemacht, sondern in zwei zu unterscheidenden Hinsichten. Wenri man sich also fragt, wie es zu den oben beschriebenen Momenten der Verselbststandigung kommen kann, so ist die Antwort: Weil durch das (kollektive) Handeln etwas epistem_ologisch Objektives geschaffen worden ist, das eben dadurch eine eigenstandige Existenz auch gegeniiber denjenigen, die es ins Leben gerufen haben, bekommen hat. Verdeckungdes Gemachtseinsals Pathologieder Institution Will man nun aber wissen, warum sich daraus ein Problem (ini Sinne einer Quelle des Ubels) for die Institution ergeben kann, so lautet die Antwort: Der Umstand der Konstitution einer solchen institutionellen Objektivitat an sich ist unproblematisch. Problematisch wird es, wenn sich das nur epistemologisch Objektive wie Objektives darstellt. (Also: Wenn sich uns das ein auch ontologisch Geld so darstellt, als sei es unverfiigbar gegeben wie ein Berg. Marx hat genau diese Verwechslung fur die Ware als Fetischcharakter und Verdinglichung beschrieben, ohne class ihm dabei die Searle'sche ·. Differenzierung zur Verfugung gestanden hatte.) Damit ist zwar die Dimension der Verselbststandigung an sich konstitutiv und pro. duktiv fiir die soziale Welt; diejenige Art der Verselbststandigung allerdings, in der die subjektive Ontologie dieses epistemologisch objektiven Gebildes verleugnet, kas~iert, n~giert w_ird,_ ist _probl~matisch. Anders gesagt: Das Gdd, eme Ausb1ldungsmst1tl).t1on,die r 5 Vgl. Searle, »What is an Institution?«. 541 Institutionen des Rechtssystems (und moglicherweise selbst die In~titution der Ehe?) miissen meine und unsere fliichtigen Neigungen uberdauern. Wenn ich oder wir nach Belieben dariiber befinden konnten, ob dieser bedruckte Schein Geld ist oder nicht, gabe es die Institution des Geldes nicht. Es darf sich aber andererseits dennoch nicht so darstellen, als stiinde es nicht in unserem (wohlgemerkt) kollektiven Vermogen, Institutionen, die wir oder unsere Vorfahren geschaffen haben, auch wieder umzudefinieren, zu modifizieren, oder auch abzuschaffen. Aus dieser Uberlegung ergibt sich nun ein erster - iibergreifender - Gesichtspunkt zur Beurteilung der Qualitat einer Institution: Eine gute Institution darf nicht so verfasst sein, classsie den Umstand ihres »Gemachtseins«, den Umstand also, class sie Resultat menschlicher Praxis, das heiBt Resultat kollektiver Instituierung und Akzeptanz ist, verdeckt. Wir sind damit zuriick beim Problem der Lebendigkeitvon Institutionen: Dass »Leben« in den Institutionen steckt und class es aus diesen auch entweichen kann, iibersetzt sich in den· Umstand, class dieses Praxismoment wirksam sein oder unwirksam werden kann, classes offenliegen oder verschiittet sein kann. Das Ausbuchs~abieren.nun verschiedener Weisen wie auch verschiedener Folgen d1eserVerdeckung konnte uns zu mehreren Hinsichten fiihren, die fiir die Beurteilung von lnstitutionen relevant sind. So fiihrt die yerdeckung des Praxismoments nicht zur Entleerung im Sinne der Uberlebtheit einer Institution, sondern auch, ganz anders, zu der dynamischen Form der Verselbststandigung von Institutionen, die mit dem Kontrollverlust der Individuen gegeniiber den selbstgeschaffenen lnstitutionen einhergeht. Verfolgt man in diesem Sinne .die Problematik der Endeben-· digung weiter, fiihrt das .auBerdem zuriick zu der (wiederum Hegel'schen) Annahme (oder Einsichi:), class lnstitutionen eben nicht nur »entlastend«, sondern in einem viel weitgehenderen Sinne ermoglichend sind, sofern Institutionen iiberindividuelle Verwirkli~h~gsbe~ing~ng menschlicher Freiheit sind. Eine gute Institution 1st ctann eme, m der die Individuen ihre lnteressen realisieren und mit der sie sich identifizieren konnen. Eine unlebendige Institutio? b!eibt auBerer Zwang. Sie ist gekennzeichnet <lurch Rigiditat, ~e ~1c~unter anderem darin zeigt, dass Widerstandiges und dem mst1tut1onellen Ablauf riicht Entsprechendes nicht mehr in den 542 Gesichtskreis der Institution treten kann. Das beinhaltet auch, class das Moment der Reflexion keineswegs einfach ausgeschaltet werden darf. Um hier mit den mit Raz eingefiihrten Begriffen zu arbeiteri: Eine dauerhafte und zu starke Diskr~panz zwischen Grunden erster und zweiter Ordnung, aber auch der Verlust von Grunden fur die ausschlieBenden Griinde selbst sind Anzeichen fiir das lrrationalwerden der institutionellen Rationalitat. Das alles fiihrt zusammengenommen zu einem Umstand, der in der Beschaffenheit der Institution selbst fundiert ist: Eine im von mir erfragten Sinne gute, also lebendige Institution besteht nicht in der blinden Befolgung von Regeln und Routinen, sondern in ihrer aneignenden Reaktualisierung, und man konnte es geradezu zum Charakteristikum institutioneller Bestandserhaltung selbst zahlen, classsie sich nie einfachhin reproduziert, sondern immer wieder der neuen, aneignenden Interpretation und der reaktualisierenden Affirmation bedarf. Das beinhaltet angesichts standig sich wandelnder Anwendungsbedingungen auch, class eine (gute) Institution sich - trotz Bestandigkeit - <lurch Lem- und Transformationsprozesse auszeichnet. Man darf vermuten, classes solche Institution en sind, als deren Autor sich lndividuen - auch wenn.es hier nie eine einfache Autorschaft geben kann - erkennen konnen. IV. Schlussbemerkung · Ich mochte abschlieBend wenigstens andeutungsweise zwei Konsequenzen meiner Dberlegungen skizziei:en. Ich hatte eingangs angedeutet, classes einen Zusammenhang zwischen der Illegitimitat und dem Phanomen der Endebendigung von lnstitutionen geben konnte. Nun bestimmen nicht wenige Positionen in der politischen Philosophie die Legitimitateiner Institution iiber die Urheberschaft, die Autorschaft der Betroffenen an den sie betreffenden lnstitutionen. Die Erkennbarkeit und Verwirklichung dieser Autorschaft aber hat sich (meiner These zufolge) auch als Kriterium fur die Lebendigkeitvon lnstitutionen herausgestellt. Nicht nur gehen also, wenn wir uns Phanomene des Zusammenbr:echens institutioneller Ordnungen ansehen, Illegitimitat und die Eros.ion bzw. Ermudung von Institutionen haufig miteinander einher. Auch systematisch deutet sich hier ein Zusammenhang an. Naturlich sind 543 nicht alle ermiideten Institutionen ·illegitim; und leider sind nicht alle illegitimen Institutionen ermiidet. Dennoch !assen sich die Momente bestimmen, in deneri - mit Habermas gesag!:- Motivationskrisen und Legitimationskrisen ineinandergreifen. Und damit ist auch der Grund dafur angedeutet, warum die Beschaftigung mit dem Charakter von Institutionen ein Thema ist, das auch fur die im engeren Sinne politische Philosophie von Interesse sein muss. Nur dann namlich, wenn man Institutionen nicht als neutrales Medium der Verteilung von Rechten und Giitern behandelt, sondern nach ihrer qualitativen Verfasstheit fragt, wird man die (eben: institutionellen) Voraussetzungen fur die gerechte Ordnung einer Gesellschaft in den Blick bekommen konnen. Wenn die Frage nach der gerechten Einrichtung der Gesellschaft die Basisinstitutionen dieser Gesellschaft betrifft, so ist die Moglichkeit der Umsetzung von Gerechtigkeitsprinzipien abhangig von der Gestalt der Institutionen selbst, davon, was Institutionen als Institutionen eigentlich sind und leisten und wann sie das als Institutionen auf gute oder schlechte Weise tun. Aber noch eine zweite Konsequenz deutet sich an. In der Fluchtlinie der Beschaftigung mit dem Charakter von Institutionen liegt ein Problem, das die gesellschaftstheoretischen Grundlagen des Projekts der Kritischen Theorie betrifft und sicli mit einer friihen Intuition Axel Honneths beriihrt. Eine vom lnstitutfonenbegriff geleitete Analyse sozialer Pathologien ware namlich nicht mehr darauf angewiesen, bestimmte Bereiche der Gesellschaft - wie die Okonomie - als »System« der »Lebenswelt« gegeniiberzustellen. Solche Diagnosen sahen sich dann mit einem Kontinuum von mehr oder weniger verfestigten und mehr oder weniger guten In~ stitutionen konfrontiert und konnten damit dem Eigensinn und der Eigenmachtigkeit komplexer sozialer Vorgange gerecht werden, ohne dabei die handlungstheoretische Grundlage ganzlich zu verlassen. Die »Kolonialisierung der Lebenswelt« durch das »System«, wie sie im Zentrum der Habermas'schen Pathologiediagnose steht, wiirde so durch das Theorem einer »Pathologie von Institutionen« abgelost. Damit ist ein weites Feld sozialphilosophischer Untersuchungsmoglichkeiten eroffnet. 544