Die Lämpchen aus der Kirche Seeberg (Bern)
von Jonathan Frey
Einleitung
Seeberg liegt im Hügelland südwestlich von Herzogenbuchsee. Die erste schriftliche Erwähnung
der Kirche fällt ins Jahr 1076, als Herzog Berchtold II. von Zähringen und seine Frau Agnes
von Rheinfelden die Patronatsrechte der Kirche Seeberg dem Kloster St. Peter im Schwarzwald
schenkten 1. Im Jahr 1999 wurde die Kirche Seeberg durch den Archäologischen Dienst des
Kantons Bern ausgegraben, da die geplante Bodenheizung die archäologische Substanz
gefährdete.
Die archäologischen Grabungen zeigten, dass es an Stelle der Kirche einen römischen Gutshof
gegeben hatte. Nach dessen Auflassung wurde frühestens im 6. Jh. ein Bestattungsplatz
eingerichtet, der möglicherweise bis ins 9. Jh. in Funktion blieb. Über einigen der weitgehend
beigabenlosen Gräber erhoben sich kleine Grabbauten in Holzbauweise. Im 8./9. Jh. wurde
eine erste hölzerne Saalkirche (Anlage I) in Pfostenbauweise errichtet, auf welche im 9./10.
ein Bau in Schwellbalkenbauweise folgte (Anlage II). Im 11./12. Jh. wurde diese Kirche durch
eine steinerne Saalkirche ersetzt (Anlage III). Im 12./13. und in der ersten Hälfte des 14. Jhs.
wurden die Böden dieser Kirche erneuert und der Chorbereich entscheidend abgeändert
(Anlagen IV und V). 1516/17 erfolgte der Bau der heute noch bestehenden Kirche mit
dreiseitig geschlossenem Altarhaus (Anlage VI), die bis heute nur geringe Änderungen vor allem
im Chorbereich erfahren hat (Anlage VII) 2.
Nebst dieser Abfolge von Kirchengebäuden erbrachten die Grabungen über 3300 Funde.
Dies ist für einen kirchlichen Kontext eine erhebliche Menge. Von den 19 Grabungen in Kirchen
und Klöstern des Kantons Bern lieferten nur jene in der ehemaligen Kirche St. Martin in St.
Imier und in der reformierten Kirche von Steffisburg ähnlich grosse Fundmengen. Unter
den Funden aus Seeberg sind 294 Scherben mittelalterlicher Gefässkeramik, die schätzungweise
von 139 Gefässindividuen stammen. Lämpchen sind mit 84 Stück die häufigste Form, der Rest
sind Töpfe, wenige Schüsseln, Dreibeintöpfe und -pfännchen, ein Leuchterfuss sowie eine
beträchtliche Zahl an unbestimmbaren Gefässen. Im gesamten Fundmaterial der Kirche
Seeberg sind 84 Lämpchen vorhanden, womit diese einen Anteil von 60% Prozent an der
Gesamtzahl von 138 Gefässen erreichen. In der Kirche Gelterkinden BL sind die Lämpchen
mit einem Anteil von 75% ebenfalls sehr häufig, während es in der Kirche Hölstein BL nur
24% sind 3. Die relative Häufigkeit der Lämpchen im Fundmaterial von Kirchen überrascht
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nicht, da diese für die Beleuchtung der Kirche oder als Grablichter verwendet wurden.
Da das Fundmaterial in seinem gesamten Umfang stratifiziert ist, können die Funde den
verschiedenen Kirchenbauten zugewiesen werden. Die grössten Mengen an Gefässkeramik
stammen vor allem aus den Bauhorizonten der Anlagen V (14. Jh) und VI (1516/17) sowie
aus dem Friedhofsbereich der Anlagen III, IV oder V. Die stratigraphisch ältesten Lämpchen
stammen aus dem Friedhof ausserhalb der ersten steinernen Kirche (Anlage III) und könnten
aufgrund der Befunddatierung bereits aus dem 11./12. Jh. stammen. Die vorhandenen Typen
datieren typologisch jedoch erst ins 14. und 15. Jh. Der Anteil der Lämpchen aus den
Schichten des Friedhofs beträgt gut 29%.
Beim Bau der Anlage V wurden über dem Boden der Anlage IV zwei Planierschichten
eingebracht, die als Unterlage für einen Bretterboden dienten. Aus diesen Schichten stammen
mindestens 18 Lämpchen, von denen 8 im Bereich des Altarhauses lagen. Die Lämpchen
wurden in der Anlage IV für die Beleuchtung der Kirche und die Liturgie, aber nicht als
Grablichter verwendet, da in der Anlage IV nicht bestattet worden ist. Die Lämpchen sind
mit einem Anteil von 75% die häufigste Gefässform dieser Anlage (Mindestindividuenzahl
24). Als man 1516/17 die heute noch bestehende Kirche errichtete, wurden erneut
Planierschichten eingebracht, die eine grosse Menge an Fundmaterial enthielten. 48 der 73
Gefässmindestindividuen sind Lämpchen, was einem Anteil von 64% entspricht.
Typologie und Chronologie der Lämpchen
Wie die stratigraphische Analyse gezeigt hat, ist ein stattlicher Teil der Lämpchen aus Seeberg
historisch vor 1516/17 datiert. Wie sämtliche Formen der Gefässkeramik sind auch die
Lämpchen einem formalen und technologischen Wandel unterworfen. Da in den stratigraphisch
getrennten Bauhorizonten der Anlage V und VI von Seeberg viele Lämpchen vorhanden
sind, konnte die formale Entwicklung während des Spätmittelalters beobachtet werden. Die
grobe Entwicklung der Lämpchen des 13. Jhs. mit gerader Wandung und unverdicktem
Rand zu denjenigen des 15. und 16. Jhs. mit stark geschwungener Wandung und eingebogenen
Rand ist schon lange bekannt 4. Dementsprechend wurden denn auch die zehn verschiedenen
Typen definiert, die meistens noch in Untertypen unterteilt sind (Abb. 218), um eine möglichst
feine Unterscheidung der Lämpchenformen zu ermöglichen. Diese ist nötig, weil es sich bei
den Lämpchen um eine sehr kleine Form handelt und daher Unterschiede bei der Randform
und der Wandung sofort ins Auge fallen.
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Die chronologische Abfolge der Lämpchenformen in Seeberg
Die Lämpchenformen L1 bis L3, die vor allem während des 13. Jhs. häufig verwendet wurden,
sind in Seeberg nicht vorhanden. Während die Formen L4 und L5 nur sporadisch auftreten,
sind die Typen L6, L7 und L8 typisch für den Bauhorizont der Anlage V. Die Bedeutung von
L6 nimmt im Bauhorizont von 1516/17 deutlich ab, da nun die Formen L7, L8, L9 und vor
allem L10 dominierend sind. Somit lässt sich in Seeberg die Entwicklung von den auf der
Oberseite gekehlten Rändern zu den unterschnittenen und schliesslich zu den eingebogenen
Rändern beobachten.
Die chronologische Abfolge der Lämpchenformen in den Vergleichskomplexen der westlichen
Deutschschweiz
Um die einzelnen Lämpchenformen zeitlich besser einordnen zu können, wurden absolut datierte
Vergleichskomplexe aus der westlichen Deutschschweiz herangezogen.
Lämpchen mit gerader Wandung (L1 und L2) kommen mit grosser Wahrscheinlichkeit nur
im 13. Jh. vor, wobei die Mehrheit dieser Lämpchen aus der ersten Hälfte des 13. Jhs. stammt.
Lämpchen mit mehr oder weniger stark geschwungener Wandung (L3, L4 und L5), deren Rand
unverdickt, leicht verdickt oder gekehlt sein kann, sind mehrheitlich seit der Mitte des 13. Jhs.
in Gebrauch und werden möglicherweise auch noch zu Beginn des 14. Jhs. verwendet. Die
Lämpchen mit geschwungener Wandung und Randlippe (L6) sind bereits in der ersten Hälfte
des 13. Jhs. nachgewiesen und scheinen auch noch in der ersten Hälfte des 14. Jhs.
vorzukommen. Bei den Lämpchenformen L7 und L8, die erstmals in den vor 1356 datierten
Komplexen der Basler Erdbebenburgen nachgewiesen sind, wird die Randlippe durch eine
Unterschneidung ersetzt bzw. fällt gänzlich weg. Diese Randformen sind mit Ausnahme eines
einzigen Exemplars im 13. Jh. nicht belegt und treten daher erst im 14. Jh. auf. Da der Typ
L8 sich wahrscheinlich fliessend zu L9 weiterentwickelt, ist das erstmalige Auftreten von L9
schwierig zu fassen, doch scheint die Form in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. einzusetzen. Die
Lämpchen mit eingebogenen Rändern (L10) treten erst nach 1415 auf und bleiben zumindest
bis ans Ende des 16. Jhs. in Gebrauch 5. Diese Form weist oft auch einen kurzen Grifflappen
auf, der an seinem Ende umgelegt ist. Gegen Ende des 16. und im 17. Jh. scheinen dann auch
Lämpchen mit stark gerundeter Wandung und eher kleinerem Durchmesser aufzutreten
(L10c), wobei die Zahl der Lämpchen generell abnimmt. Im 18. Jh. endet die Produktion der
Lämpchen sehr wahrscheinlich fast vollständig 6.
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Allgemeine Entwicklung der Randformen
Betrachtet man nur die Randformen in pauschaler Weise, so lässt sich eine Entwicklung von
den gerundeten zu den horizontal abgestrichenen und dann von den schräg abgestrichenen
zu den senkrecht stehenden und schliesslich den eingebogenen Rändern beobachten. Die
gerundeten Ränder sind fast nur in der ersten Hälfte des 13. Jhs. nachgewiesen, während
horizontal abgestrichene Ränder während des gesamten 13. Jhs. vorkommen und dann
vermutlich in der ersten Hälfte des 14. Jhs. allmählich verschwinden. Die schräg abgestrichenen
Ränder treten ebenfalls während des 13. und 14. Jhs. auf und werden in der zweiten Hälfte
des 14. Jhs. oder in der ersten Hälfte des 15. Jhs. von den eingebogenen Rändern abgelöst,
die fortan alleine vorherrschen.
Entwicklung der Brennweisen und der Glasurverwendung
Die Entwicklung der Brennweisen, die bei den Lämpchen der vier untersuchten Jahrhunderte
angewandt wurden, ist rasch überblickt. Die Lämpchen des 13. und beginnenden 14. Jhs., die
zu den Typen L1–L7 gehören, sind in der Regel reduzierend gebrannt. Hinweise auf eine
grau–rötliche, eine rötlich–beige oder eine ziegelrote Tonfarbe und damit auf einen oxidierenden
Brand gibt es nur in Einzelfällen. Mit der Form L8 treten neben den reduzierend gebrannten
Lämpchen nun auch oxidierend gebrannte und glasierte Lämpchen auf. Reduzierend gebrannte
und unglasierte oxidierend gebrannte Lämpchen treten auch noch bei der Form L9 auf,
während die Lämpchen des Typs 10 alle oxidierend gebrannt und glasiert sind. Erst bei dieser
Form treten denn seit der Mitte des 15. Jhs. auch die über einer Engobe glasierten Lämpchen
auf 7.
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Abb. / Fig. 217. Ausgewählte Lämpchen aus der
Kirche Seeberg. 1: Friedhoferde der Gräber 20, 23,
24 und 25, Anlagen IV oder V bis 1516/17. 2:
Lämpchen der Anlage V, 1. Hälfte 14. Jh. 3:
Lämpchen der Anlage VI, datiert vor 1516/17. /
Choix de lampes de l’église de Seeberg. 1: terrain du
cimetière, tombes n. 20, 23, 24 et 25, Phases IV ou V
jusqu’à 1516 / 1517. 2: Lampes de la phase V, 1ère
moitié du XIVe siècle. 3: Lampes de la phase VI, daté de
1516 / 1517.
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