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Hellmut Flashar: Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern

2019, Nexus. Studentische Zeitschrift des Seminars für Klassische Philologie an der RUB

Die Verwendung aller Inhalte und insbesondere der Abdruck sowie die kommerzielle Verwendung in Printpublikationen oder im Internet bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung der RechteinhaberInnen und AutorInnen. Die Meinungen, die in den Artikeln zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion wider.

WiSe 2018/19 Ausgabe 8 Nexus STUDENTISCHE ZEITSCHRIFT DES SEMINARS FÜR KLASSISCHE PHILOLOGIE AN DER RUB Impressum Herausgeber: Fachschaft Klassische Philologie RUB Adresse: GB 2/147 Universitätsstr. 150 44801 Bochum Telefon: +49 (0)234/32-23894 Email: fr-klassphil[at]rub.de Verantwortliche Redakteurinnen und Redakteure (V.i.S.d.P.): Jonathan Hartmann (Wissenschaft und Forschung, Rezensionen, Antike interdiszplinär, Vermischtes), Victoria Jöckel (Antike interdisziplinär, Panorama), Joana Kadir (Antike (inter-)national, Panorama, Perspektiven), Ayse Topcu (Rezensionen, Perspektiven) Caroline Wahl (Fachdidaktik, Nexus meets Schule, Ad Personam) Kontakt zu allen Redakteurinnen und Redakteuren: Adresse: GB 2/147 Universitätsstr. 150 44801 Bochum Telefon: +49 (0)234/32-23894 Email: nexus[at]rub.de Mitarbeit: Caroline Fußbach, Katrin Grothus Satz: Joana Kadir Titelbild: Boris Vietinghoff Erscheinungsweise: Halbjährlich ISSN: 2365-6603 Rechtliche Hinweise: Die Verwendung aller Inhalte und insbesondere der Abdruck sowie die kommerzielle Verwendung in Printpublikationen oder im Internet bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung der RechteinhaberInnen und AutorInnen. Die Meinungen, die in den Artikeln zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion wider. Bildrechte: S. 1: Cover © Boris Viethinghoff. S. 4, 5, 76: Kaiserthermen Trier © GDKE-Rheinisches Landesmuseum Trier, Thomas Zühmer. S. 16: Cover © Universitätsverlag Winter. S. 18: Schüler © Hellmut Flashar. S. 20: Assistent © Hellmut Flashar. S. 22: Cover © Romberg Verlag. S. 27-28: THE WICKER MAN © 1974 STUDIOCANAL FILMS Ltd. S. 30: Schiffsbauch © Julia Jennifer Beine, RUB. S. 31: Ofen © Julia Jennifer Beine, RUB. S. 32: Schäfer Schiff © Julia Jennifer Beine, RUB. S. 38: FKP Trier © Julia Jennifer Beine, RUB. S. 40: Assassin’s Creed Odyssee ©Ubisoft. S. 42: Cover © wbg Theiss. S. 46: Antigone und Kreon © Gernot Hoersch, Joe Frohriep. S. 46: Eteokles Polyneikes © Sven Schütze. S. 47: Melanie Haupt und das Schaf © Gernot Hoersch. S. 52: Rheinisches Landesmuseum Trier © Julia Jennifer Beine, RUB. S. 53: Thermen am Viehmarkt © Joana Kadir. S. 53: Kaiserthermen © Joana Kadir. S. 53: Amphitheater © Joana Kadir. S. 54: SAMR © sylviaduckworth.com. S. 55-56: Abb. 1-3 © Nina Toller. S. 58-60: Abb. 1-4 © Anne Friedrich. S. 66: Teacher's Day © Stephanie NatzelGlei, RUB. S. 68: Dr. Weyer-Menkhoff © Martin Steiner. S. 68: Römer © Lara Nowak. S. 69: Die Bibliothek des Görres-Gymnasium © Landeshaupstadt Düsseldorf, der Oberbürgermeister, Schulverwaltungsamt. S. 70: Plakat © Sophia Kollien. S. 72: Ad personam ... Manuel Baumbach © Manuel Baumbach. Editorial Liebe Leserinnen und Leser, der Frühling ist da – und mit ihm auch die achte Ausgabe von Nexus! Wie immer haben wir auch im Wintersemester fleißig gearbeitet, um euch eine ganze Reihe spannender Beiträge zu präsentieren. In unserem Ressort Wissenschaft und Forschung geht dieses Mal Claudia Klodt der Frage nach, weshalb Ovid zwar vielfach seine Frau erwähnt und auch Briefgedichte an sie verfasst, ihren Namen dabei aber stets verschweigt. Auch Victoria Jökel beschäftigt sich in ihrem Artikel mit römischen Frauen, und zwar insbesondere mit deren (heimlichen) Tätigkeiten als Investorinnen. Zuletzt werfen wir noch einen Blick auf das Genre der Fernsehdokumentation, das zwar gut historische Geschehnisse vermitteln kann, dabei aber auch so manche Schwächen aufweist. Wer noch Lesestoff sucht, dürfte auf Rezensionen und Vorstellungen gespannt sein. Wie üblich findet sich hier eine bunte Mischung; das Spektrum reicht diesmal von einer neuen Edition der Sabinusbriefe über Hellmut Flashars Autobiographie bis hin zu einem Band mit Aufsätzen zum antiken Theater, sodass hoffentlich für jeden etwas dabei ist. Gleiches dürfte wohl für Antike interdisziplinär gelten: Hier erfahren wir zum Beispiel, welche Rolle das Gehirn in der griechischen Philosophie spielt. Fans des Horrorfilms dürften dagegen aufhorchen, wenn Alexander Schröder antike Einflüsse im Klassiker The Wicker Man aufzeigt. Außerdem hat Nexus den Historiker Christoph Schäfer interviewt, um herauszufinden, weshalb er römische Schiffe nachbaut und mit diesen dann tatsächlich auch fährt. Wie in den letzten Ausgaben wollen wir in Antike (inter-)national auch dieses Mal Studierende dazu anregen, einen Blick über ihre Heimatuniversität hinaus zu werfen. Dafür bietet sich innerhalb Deutschlands das Programm PONS an, das wir vorstellen. Außerdem hat Nexus Trier besucht und dort u. a. mit Studierenden der Klassischen Philologie gesprochen, um einen Einblick in das Studium dort zu erhalten. Was wir in Augusta Treverorum sonst erlebt haben, erfahrt ihr im Ressort Panorama, das neben dem Exkursionsbericht natürlich auch Arnold Bärtschis mittlerweile traditionelle Kolumne Quid novi präsentiert. Wer übrigens die Ausstellung Irrtümer und Fälschungen der Archäologie in Herne verpasst hat, kann beruhigt sein: Antonia Anstatt ist dort gewesen und schildert uns ihre Erfahrungen. Dass im schulischen Lateinunterricht allen Klischees zum Trotz natürlich auch das dritte Jahrtausend (und zwar nach Christus) angebrochen ist, beweist Nina Toller mit ihrem Artikel zur Digitalisierung im Ressort Fachdidaktik. Für (angehende) LehrerInnen besonders interessant und hilfreich dürfte auch Anne Friedrichs Beitrag sein, der sich mit LRS im Lateinunterricht befasst. Außerdem hat Nexus Annette Meyer interviewt, die uns Einblicke in die Arbeit einer leitenden Regierungsschuldirektorin gewährt. Sie teilt mit uns ihre Erfahrungen im Beruf und verrät ihre Lieblingsautoren. In unserem Ressort Nexus meets Schule besuchen wir dieses Mal zwei Gymnasien, an denen für einen Tag alles im Zeichen der Antike steht. Auf diese Weise sollen insbesondere GrundschülerInnen früh und spielerisch mit Latein und Griechisch in Kontakt kommen – die Nachwuchsarbeit scheint also in vollem Gang zu sein! Außerdem in dieser Ausgabe: Anna Elissa Radke hat wieder zur Feder gegriffen und einige lateinische Gedichte über das Internet verfasst. Zum Schluss haben wir wieder interessante Veranstaltungen in Bochum und Umgebung zusammengestellt, deren Besuch wir euch nur empfehlen können! Zuletzt möchten wir uns ganz herzlich bei allen Autorinnen und Autoren und allen weiteren Personen, die uns bei dieser Ausgabe unterstützt haben, bedanken. Wir hoffen, auch für die nächste Ausgabe zahlreiche Einsendungen und Anregungen sowie Unterstützung zu erhalten, und wünschen bis dahin viel Spaß bei der Lektüre! Eure Nexus-Redaktion Inhaltsverzeichnis WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Die Frau ohne Namen Eine Bemerkung zur Bochumer Epistula uxoris Ein Artikel von Claudia Klodt Inhaltsverzeichnis S. 6 Frauen als Investorinnen und Unternehmerinnen in der römischen Antike Frauen wider gesellschaftliche Konventionen? Ein Essay von Victoria Jökel S. 9 Rome: Rise and Fall of an Empire Betrachtung einer historischen Dokumentation unter geschichtswissenschaftlicher Perspektive Ein Essay von Philipp Trzaska S. 12 REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN Wilfried Lingenbergs Edition der Sabini Epistulae Eine Buchrezension von Jonathan Hartmann S. 15 Antigone und Kreon im Hambacher Wald Bodo Wartke über Antigone und ihre Relevanz für das 21. Jh. Ein Interview von Julia Jennifer Beine S. 43 Troja, Kronen und Motels Die Sonderausstellung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ im LWL-Museum für Archäologie in Herne“ Eine Ausstellungskritik von Antonia Anstatt S. 48 Abenteuer in der Römerstadt an der Mosel Ein Exkursionsbericht von Joana Kadir S. 50 FACHDIDAKTIK Digitale Medien im Lateinunterricht Von Nina Toller S. 54 LRS im Lateinunterricht – wo liegen die Hürden für Lernende und die Herausforderungen für Lehrende? Von Anne Friedrich (Didaktik der Alten Sprachen/ Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) S. 58 Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern Eine Rezension von Julia Jennifer Beine S. 17 Antikes Drama – Moderne Bühne Eine Buchvorstellung von Caroline Wahl S. 21 „Ich liebe es auch, dass ich all die beruflichen Erfahrungen, die ich vorher gemacht habe, so gut gebrauchen kann“ – Einblick in die Arbeit einer leitenden Regierungsschuldirektorin Ein Interview von Caroline Wahl S. 61 S. 23 Teacher's Day in Bielefeld Ein Bericht von Caroline Wahl S.65 ANTIKE INTERDISZIPLINÄR Philosophie und Gehirn in der griechischen Philosophie Ein Artikel von Udo Reinhold Jeck Der gallische Flechtwerkmann und der Folk Horror Auf den Spuren Caesars und Strabos in Robin Hardys The Wicker Man Ein Artikel von Alexander Schröder S. 26 Die antiken Autobahnen auf See Erforschen Christoph Schäfer über die historische Rekonstruktion antiker Schiffe Ein Interview von Julia Jennifer Beine und Joana Kadir S. 29 ANTIKE (INTER-)NATIONAL Die Welt ist ein Buch… Teil 2: Brücken Schlagen mit PONS von Julia Jennifer Beine und Joana Kadir Bochum meets Universitatem Augustae Treverorum Latein und Griechisch Studieren in Trier PANORAMA Quid novi? Antikerezeption in Film, Comics und Videospielen Eine Kolumne von Arnold Bärtschi S. 35 S. 37 S. 39 NEXUS MEETS SCHULE Der „Tag der Antike“ am Görres-Gymnasium Ein Interview von Lara Nowak Die Römertage am Neues Gymnasium Bochum Ein Bericht von Elisa Brenscheidt PERSPEKTIVEN Cyclus carminum interretialium alter Eine Auswahl aus dem Zyklus Internet-Gedichte von Anna Elissa Radke S. 66 S. 69 S. 70 PERSONEN AM SEMINAR Ad personam … Manuel Baumbach S. 72 VERMISCHTES Quid faciam? S. 73 WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Die Frau ohne Namen Eine Bemerkung zur Bochumer Epistula uxoris EIN ARTIKEL VON CLAUDIA KLODT A Stufe stellen. Er präsentiert sie als exemplum coniugis bonae und verspricht ihr ewigen Ruhm in seinem Werk (carminibus vives tempus in omne meis)4. Mittels dieser liebeselegischen carmina-munera-Technik versichert er sich ihrer Hilfe durch das Versprechen der Unsterblichkeit (bzw. setzt sie in den späteren Gedichten mit dem Hinweis auf seine diesbezügliche Vorleistung unter Druck). ls Marie Louise von Orleans im Jahr 1679 mit Karl II von Spanien vermählt worden war und auf der Reise in ihre neue Heimat durch eine Stadt kam, die für ihre SeidenstrumpfManufaktur berühmt war, schickten ihr die Stadtoberen ein Paar feiner Strümpfe als Geschenk. Die spanischen Granden ihrer Begleitung wiesen das Geschenk empört zurück: „Eine Königin von Spanien hat keine Beine“. Die uxor-Gedichte haben aber noch einen zweiten, impliziten Adressaten, den Kaiser Augustus. Vor ihm will sich der wegen seiner Ars amatoria Verbannte vom Vorwurf der Liederlichkeit reinigen. Der lusor amorum und angebliche Beförderer des Ehebruchs zeigt sich nun als treuer Gatte, der die eigene Frau zärtlich liebt – dies soll die Übertragung liebeselegischer Vokabeln und Situationen auf die Gattin signalisieren – und mit ihr in vorbildlicher Ehe lebt; seine ihm ebenfalls innig zugetane Gattin aber ist keine laszive puella, sondern eine grundanständige römische matrona – wofür wiederum ihre weiblichen Tugenden und ihre tatkräftige Unterstützung des unglücklichen Gatten in Rom Ausweis sind. Ein ähnlicher cultural clash, die weibliche Ehre betreffend, liegt der enttäuschten Frage zugrunde, die in der Epistula uxoris, welche ein Dichter-Team moderner Sabini um den Initiator Reinhold Glei1 gekonnt und wunderhübsch in der Art eines Centos aus ovidischen Versen verfertigt hat, der Gattin des verbannten Ovid in den Mund gelegt wird: Sed sine nomine ego, tantum vocor exulis uxor; carmina cur nomen Pontica adusque silent? Penelope – deren Namen sich die treue Gattin im Anfangsvers metonymisch zulegt (tua Penelope) –, Euadne und Laodamia besäßen nomen und fama, „ich aber bin ohne Namen, heiße nur ‚Gattin des Verbannten‘; warum unterdrücken deine Gedichte vom Pontus durchgängig meinen Namen?“ (V.11f ). Lyde und Bittis würden von den Dichtern, die sie liebten, gefeiert; „O dass doch auch ich mit meinem wirklichen Namen erschiene und alle Jahrhunderte meinen Namen kennen würden!“ (V.15f ). Sie habe zwar keinen besseren, aber einen nicht so stummen Mann verdient (digna minus tacito, non meliore viro, V.18)2. Nun spielt in den Exilgedichten die Nennung von Namen durchaus eine Rolle. Die Namen der Adressaten der Tristien-Gedichte und des Ibis nennt Ovid bekanntlich nicht, wohl hingegen die der Empfänger der Ex Ponto-Briefe, und dieses Vorgehen thematisiert und problematisiert er auch5. Genannt wird trist.3,7 der Name der Adressatin Perilla, einer Dichterin und Schülerin. Ovid selbst will sein nomen in Rom bewahrt wissen6, namentlich auch durch seine Frau (trist.1,3,96 nomen et erepti saepe vocasse viri; 3,3,50 clamabis miseri nomen inane viri?; 4,3,18 secum nomen habere tuum), und er selbst ruft sogar im Fiebertraum ihren Namen (trist.3,3,17-20 te vox mea nominat unam; / … ut foret amenti nomen in ore tuum). Der echte Ovid hätte mit der Nennung ihres Namens freilich seiner Frau wie auch sich selbst einen Bärendienst erwiesen. Tatsächlich kennen wir ihren Namen nicht, obwohl nicht weniger als acht Exilbriefe an sie gerichtet sind3. In ihnen rühmt Ovid ihre pietas, probitas, fides und pudicitia, Tugenden, welche sich in ihrem Einsatz für die Rückberufung des verbannten Gatten – ihrer virtus – manifestieren und die bürgerliche Heldin mit großen Frauen des Mythos auf eine Warum nennt er also nicht auch dem Leser ihren Namen? Er muss bei ihr ja nicht dieselbe Vorsicht walten lassen wie bei einigen seiner amici, die aus Angst, mit dem vom Kaiser Verbannten in Verbindung gebracht zu werden, nicht namentlich in den Exilgedichten zu erscheinen wünschten: Die Verbindung seiner Ehefrau zu ihm war ja offenkundig. Warum macht er den Leser sogar darauf aufmerksam, dass er ihren Namen verschweigt? Denn da er ihr vorhält, er O utinam dicar quoque nomine vero, nomen et ignorent saecula nulla meum. 6 habe ihr in seinen Gedichten durch den Preis ihrer Person ein ewiges nomen geschenkt, sie ihm aber diese Gabe noch nicht adäquat durch ausreichend beherzten Einsatz vergolten, fallen in einem Vergleich die nomina sagenberühmter Frauen und Dichtergattinnen, aber eben nicht der ihre: In trist.5,14 Quanta tibi dederim nostris monumenta libellis, worin er seine fama mit der ihren verknüpft, erklärt er: nur einen Wert in Bezug auf einen Mann. Die gender-Forschung spricht hier von „relative creatures“. Die totale Orientierung auf einen Mann hin lässt sich aus einer Vielzahl epigraphischer und literarischer Zeugnisse ablesen. In Grabinschriften für Frauen erscheinen diese ausschließlich in ihrer Funktion für einen Mann, nie als Individuen. Die Laudatio Murdia postuliert sogar, dass Frauen gerade nicht differenziert und individuell, sondern, da aller Frauen Leben gleich sei, nur generell als Trägerin der allgemeinen weiblichen Tugenden zu preisen seien11. Obwohl Murdia und die Heldin der sogenannten Laudatio Turiae Außergewöhnliches vollbrachten – ‚Turia‘ rettete ihren Mann im Bürgerkrieg –, werden auch ihre häuslichen Tugenden hergezählt, damit ihr quasi männlicher Einsatz sie nicht zu „Mannweibern“ herabwürdigte. Turias Name erscheint im – vom dankbaren Gatten verfassten – Text nicht („Turia“ verdankt sich einer irrtümlichen Zuschreibung durch Mommsen)12. Namen hatten nur ‚schlechte‘ Frauen wie eine Fulvia, die ihre Männer beherrschte. Wenn Properz (als einziger Elegiker) im allerersten Vers – Cynthia prima suis miserum me cepit ocellis – ein Gedicht, ein Buch, ja sein Werk mit dem Namen einer Frau, einer Freigelassenen, einer männervernichtenden Dirne beginnt, war das ein gezielter gesellschaftlicher Affront. Eine Römerin von Stand hatte keinen eigenen, sondern nur einen Gentilnamen: Ihre Aufgabe war die Verbindung von Familien durch Ehe und Nachkommen. So hießen die drei Söhne des Konsuls Ap. Claudius Pulcher cos. 79 v. Chr. Appius, Gaius und Publius Claudius Pulcher, die drei Töchter alle unterschiedslos Claudia. Eine von ihnen ist Ciceros Boopis und – vielleicht – Catulls Lesbia. Diese individuelle Heraushebung war aber gerade kein Ruhmestitel für Clodia. Perpetui fructum donavi nominis, „Ich habe dir den Genuss eines ewigen Namens geschenkt“ (V.13), der durch alle Zeit bleiben würde (per saecula nulla tacetur V.33) wie der einer Alkestis, Andromache, Euadne oder Penelope: Aspicis, ut longo teneat laudabilis aevo nomen inextinctum Penelopeia fides? „Siehst du, wie die Treue Penelopes über lange Jahrhunderte einen unauslöschlichen Namen besitzt?“ (V.35f )7. In Pont.3,1, wo er sie mahnt, dem Bild, das er von ihr gezeichnet habe, auch gerecht zu werden, anderenfalls werde sie nicht mehr in seinen Gedichten erscheinen, und ihr mit der öffentlichen Kontrolle droht8, unterstreicht er diese Drohung mit seiner eigenen, durch sein Unglück umso größeren Bekanntheit, die notwendig auch sie einschlösse: Nec te nesciri patitur mea pagina, qua non inferius Coa Bittide nomen habes. „Und auch du kannst nicht unbekannt bleiben, das verhindern meine Bücher, in denen du einen Namen besitzest, der nicht kleiner ist als (derjenige der) Bittis von Kos“ (V.57f ), i. e. der Geliebten oder Gattin des Dichters Philitas, dessen Gedichtsammlung vielleicht ihren Namen trug9. Die auffallende Tatsache, dass eine Namenlose ein nomen hat, wird also von Ovid selbst mehrfach ins Licht gerückt. Unbedingter Einsatz für den Mann unter Aufgabe des eigenen Ich zeichnet auch in literarischen Quellen die ideale Frau aus. Plinius rühmt die Loyalität einer Fannia und Arria gegenüber ihren Gatten trotz eigener Lebensgefahr, aber auch die Selbstaufopferung der Gattinnen zweier unheilbar Kranker, deren eine mit ihrem furchtsamen Mann in den Tod gegangen sei (epist.6,24) und deren andere den ihren trotz dessen Unausstehlichkeit hingebungsvoll gepflegt hätte (epist.8,18); beider Namen aber nennt er nicht, auch nicht den der gehorsamen Tochter, die auf dem Sterbebett dem verzweifelten Vater noch Mut zusprach und die ‚ganz sein Abbild‘ war (5,16) – und das im Nachruf auf sie13! An der eigenen Frau Calpurnia gefällt ihm, dass sie leidenschaftliches Interesse an seinen Schriften und Auftritten zeigt (4,19; 6,7), an der – wiederum ungenannten – Frau des schriftstellernden Pompeius Saturninus gefällt ihm nicht, dass ihr Mann sie als Verfasserin literarischer Briefe nennt, die doch Wir sehen hier ein Paradoxon, eine Absurdität, ermöglicht durch Doppelbedeutung „Namen“ und „Ruhm“ des Wortes „nomen“ – wobei, wenn Ovid von seinem nomen und dem seiner amici spricht, stets beide Bedeutungen präsent sind10. Warum enthält der Dichter der Frau, die er so rühmt, ihr nomen vor? Ist es Gedankenoder Herzlosigkeit? Das ist es wohl nicht. Ovids Zeitgenossen verstanden die Botschaft: Durch Nichtnennung hatte Ovid seiner Frau das größtmögliche Lob erteilt und ihr quasi ein Gütesiegel verliehen. Die höchste Tugend einer römischen Ehefrau bestand in ihrer völligen Hintanstellung hinter ihren Gatten. Alle Eigenschaften und Leistungen einer Frau hatten 7 WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Penelope [!] coniunx semper Ulixis ero). Das hätte Ovids Frau und ihrem Dichter gefallen. klar aus seiner Feder oder wenigstens aus seinem Geist stammen müssten (1,16,6). Auch Priscilla, die Gattin des Abascantus, stellt sich ganz in den Dienst der Karriere ihres Mannes und verwendet sich durch eine Stiftung noch auf dem Totenbett beim Kaiser für ihn, wie Statius im Epicedion auf sie (silv.5,1) wissen will. Statius’ eigene Gattin nimmt ebenfalls intensiven Anteil an der Karriere und Arbeit ihres Mannes – selbst nachts hört sie seine Entwürfe an – und stimmt auch einer Wohnortverlegung in seine Heimat Neapel zu, obwohl sie selbst Rom vorzöge (silv.3,5). Im Gedicht an sie – für das Ovids uxor-Elegien ein Vorbild waren – erscheint ihr Name nicht, wir kennen ihn nur aus dem Vorwort des Buchs (Claudia mea). Seneca preist als ‚der Frauen höchste Zier‘ (unicum exemplum sanctitatis) seine Tante, die inmitten eines Seesturms sich nicht um ihr Leben, sondern nur um die Rettung der Leiche ihres Mannes sorgte (Helv.19); er bedauert, dass die verkommene Gegenwart nicht mehr den Preis einer solchen Alkestis sänge, so dass ihre Heldentat „im Dunkel verborgen bliebe“. Doch was er weiterhin an ihr rühmt, ist ihre totale Zurückgezogenheit und Uneigennützigkeit, da ihr Mann Statthalter von Ägypten war. Viel hätte es bedeutet, wenn man dort über sechzehn Jahre keinen Fehl an ihr gefunden hätte; „mehr bedeutet es, dass man sie gar nicht kannte“, plus est quod ignoravit. Diesen Ruhm zerstört Seneca nicht: Er nennt nicht ihren Namen14. 13 1 2 3 4 5 6 So nennt auch Ovid niemals den Namen seiner Frau – und stößt den Leser sogar eigens auf diese Leerstelle. Er darf ihn nicht nennen. Denn seine Ehe und seine Ehefrau müssen vorbildlich sein: Die ideale Gattin aber hat keinen Namen. 7 8 Ihr Name ist: exulis uxor. Nennt ein anderer sie böswillig so (trist.5,11,2 ~ epist.ux.159f ), verteidigt Ovid sie (und sich) gegen diese Schmähung: Juristisch sei er nur relegatus (relegati, non exulis utitur in me / nomine V.21f ~ epist.ux.171f ). Doch hofft er, sie selbst würde sich dieser Bezeichnung nicht schämen (trist.4,3,49 cum diceris exulis uxor), und preist sie, weil sie sie aushält (sustinuit coniunx exulis esse viri trist.4,10,74). Es ist der Name, den sie sich selbst zulegt, da sie sich so vollkommen mit ihm identifiziert, dass sie ihn ins Exil begleiten will: Te sequar et coniunx exulis exul ero (trist.1,3,82). Die Bochumer Epistula uxoris hat dies in ein Treueversprechen der uxor integriert: 9 10 11 Increpet usque licet – tua sum, tua dicar oportet: Nasonis semper exulis uxor ero. „Lass ihn schmähen – ich bin die Deine, und die Deine soll man mich nennen: Stets werde ich die Gattin des verbannten Ovid sein.“ (V.165f ~ epist.her.1,83f; V.84 12 8 Vgl. NEXUS Nr.6 WS 2017/18, S.10-13; R.F.Glei et al., Epistula uxoris: Ovids Ehefrau an den verbannten Dichter, NLJ 20, 2018, 587-594. Vgl. Ov.trist,4,10,60 nomine non vero dicta Corinna; 5,14,33 virtus … per saecula nulla tacetur bzw. 1,6,4 digna minus misero, non meliore viro. Zu vocor exulis uxor s.u. a.E. trist.1,6; 3,3; 4,3; 5,5; 5,11; 5,14; Pont,1,4; 3,1. Von ihr ist außerdem die Rede in trist.1,2,37-44; 1,3 passim; 3,8,10; 3,11,15; 4,6,46; 4,10,73f; 5,1,39; Pont.1,2,145-150; 1,8,32; 2,10,10; 2,11,13-22; 3,7,11f. Tugenden: trist.5,5,45; 59; 5,14,19-24 u. ö.; exemplum: trist.1,6,26; 4,3,72; Pont.3,1,44 ~ epist.ux.192; Ruhm: trist.1,6,36 u.ö ~ epist.ux.198. Spiel mit den nomen des Maximus Pont.1,2,1 und 2,3,1; metrische Probleme des Namens Tuticanus Pont.4,12,1ff; 4,14,2; vorsichtiger Verzicht auf Namensnennung trist.1,5,7; 3,4,63-72; 4,5,10-17; 5,9,1ff; 32; Entschuldigung für Identifikation trotz dieses Verzichts trist.4,4,7-10; Bitte, das nomen eines Adressaten nennen zu dürfen Pont.3,6,1-6 und 51-54; 4,1,3ff; Ankündigung, es bei treuem Freund zu tun Pont.3,2,3; 4,11,2 bzw. es bei untreuem Freund nicht zu tun trist.4,9,1 und 32; Pont.3,3,1-4. Ovid befürchtet, sein nomen könne bewirken, dass seine Adressaten und Leser sich von ihm distanzierten (Pont.1,1,30; 1,2,7; 2,2,5f; 3,6,45-50; 4,5,12, ähnlich Pont.2,2,56). Er wünscht sich, dass seine Freunde sein nomen nicht vergessen (Pont.3,5,44) bzw. verleugnen (trist.3,10,2; Pont.4,3,10), sondern ehren (trist.3,4,45f; 5,3,49; 58). V.35-38 waren die ‚Fundgrube‘ für V.5-10 der Epistula uxoris. Pont.3,1,43-48 Magna tibi imposita est nostris persona libellis: / coniugis exemplum diceris esse bonae. / Hanc cave degeneres. Ut sint praeconia nostra / vera, vide famae quod tuearis opus. / Ut nihil ipse querar, tacito me fama queretur. / quae debet, fuerit ni tibi cura mei. So die opinio communis. Ihr Name ist als Battis oder Bittis überliefert, Philitas soll sie „besungen“ haben (Hermesianax bei Athen.13,598 f ); zur Interpretation der Stelle und zur Frage der Historizität der Person vgl. K.Spanoudakis, Philitas of Cos, Leiden/Boston/Köln 2002, 31-34. Z.B. trist.3,3,80: Seine libelli werden Ovid ein beständigeres nomen sichern als der Grab-titulus NASO POETA; trist.4,10,122, vgl. Pont.4,16,3ff: Die Muse hat Ovid schon zu Lebzeiten ein nomen geschenkt; Pont.2,6,30 und 34: Ovids Dichtungen garantieren Graecinus ein nomen für alle Zeit. Quom omnium bonarum feminarum simplex similisque esse laudatio soleat, quod naturalia bona propria custodia servata varietates verborum non desiderent … CILVI 10230,20-22. Vgl. Ov.trist.5,5,43-45:Edidit haec (lux scil., der Tag der Geburt seiner Frau) mores … heroisin aequos … / Nata pudicitia est, virtus probitasque fidesque. Vgl. B.von Hesberg-Tonn, Coniunx carissima. Untersuchungen zum Normcharakter im Erscheinungsbild der römischen 14 Frau, Stuttgart 1983; E.A.Hemelrijk, Masculinity and Femininity in the Laudatio Turiae, CQ 54, 2004, 185-197. Auch der durch Tullias Verlust tiefgetroffene Cicero umschreibt die geliebte Tochter in den Briefen nach ihrem Tod nur mit neutralen Ausdrücken, z.B. fam.4,6,2 habebam, quo confugerem, ubi conquiescerem, cuiuis in sermone et suavitate omnes curas doloresque deponerem. Ist es Egoismus oder will er sie als perfekte Tochter preisen, wenn sie nur als Gefäß für seine Sorgen erscheint und nicht ihr Sterben, sondern allein seine Befindlichkeit thematisiert ist? Vgl. G.Viden, Women in Roman Literature. Attitudes of Authors under the Early Empire, Göteborg 1993. Plinius: J.-A.Shelton, Pliny the Younger and the Ideal Wife, C&M 41, 1990, 163-186; F.Jones, Naming in Pliny’s Letters, SO 66, 1991, 147-170; J.M.Carlon, Pliny’s Women: Construc- ting Virtue and Identity in the Roman World, Cambridge 2009; C.Klodt, Patrem mira similitudine exscripserat. Plinius’ Nachruf auf eine perfekte Tochter, Gymnasium 119, 2012, 1-61; J.-A.Shelton, The Women of Pliny’s Letters, London 2013. Statius: C.Klodt, Ad uxorem in eigener Sache. Das Abschlussgedicht der ersten drei Silvenbücher des Statius vor dem Hintergrund von Ovids ‚Autobiographie‘ (trist.4.10) und seinen Briefen an die Gattin, in: M.Reichel (Hg.), Antike Autobiographien. Werke – Epochen –Gattungen, Köln/ Weimar/Wien 2005, 185-222. Seneca: G.B.Lavery, Never Seen in Public: Seneca and the Limits of Cosmopolitanism, Latomus 56, 1997, 3-13. Gattungen, Köln/Weimar/Wien 2005, 185-222. Seneca: G.B.Lavery, Never Seen in Public: Seneca and the Limits of Cosmopolitanism, Latomus 56, 1997, 3-13. Frauen als Investorinnen und Unternehmerinnen in der römischen Antike Frauen wider gesellschaftliche Konventionen? EIN ESSAY VON VICTORIA JÖKEL I m Rahmen der Sachübung „Vermittlung antiker Inhalte in Wissenschafts- und Kulturjournalismus“, geleitet von Julia J. Beine, haben sich journalismusinteressierte Studierende näher mit der klassischen Antike auseinandergesetzt und sich mit Themen beschäftigt, die noch in der Gegenwart von Relevanz sind. In der jüngeren Zeit tritt die Genderbewegung immer mehr auf den Plan und weltweit fühlen sich Menschen mit der Bewegung verbunden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sie ihren Eingang in die Universitäten gefunden und stellt mittlerweile einen eigenen Forschungsbereich dar: die Genderforschung. Immer mehr etabliert sich auch in den deutschsprachigen Altertumswissenschaften ein genderspezifischer Standard, was die Differenzierung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht und die Anerkennung von Geschlechterdifferenzen als einer gesellschaftlichen Ordnungskategorie betrifft. ebenso die Leitung der Hauswirtschaft wie die Kindererziehung und das Spinnen von Wolle.1 Sittsamkeit, Bescheidenheit und Fleiß zählten zu den Tugenden, die eine römische Matrone ausmachen sollten. Ist die römische Frau in der Antike von der Forschung bis vor wenigen Jahren nur in Verbindung mit ihrem Mann betrachtet worden, so rückt nun die Frau als Subjekt in den Vordergrund. Der Historiker Karl-Sigurd Gödde etwa zeigt in einem Kapitel seiner Dissertation2 auf, dass römische Frauen einem Gelderwerb nachgehen konnten, ohne gesellschaftlich geschnitten zu werden. Dabei handelte es sich nicht nur um Frauen aus den sozial niederen Schichten, die ihr Überleben mit einem Gelderwerb sicherten, sondern auch um Frauen aus der römischen Oberschicht. Mit Beginn des Prinzipats um 27 v. Chr. setzte sich unter Kaiser Augustus ab circa 18 v. Chr. die Manus-freie Ehe immer stärker durch und leitete damit einen gesellschaftlich-rechtlichen Umwälzungsprozess ein. Die Manus-freie Ehe befreite die Frau von einem gesetzlichen Vormund und machte sie dadurch geschäftsfähig und juristisch unabhängig. Das Besondere an dieser Form der Ehe stellte aber die Unabhängigkeit der Frau gegenüber ihrem Ehemann dar. Dadurch konnten die Frauen im Notfall die Familie ernähren, sollte der Ehemann das Vermögen der Familie verloren haben. Allerdings wurden die Frauen dadurch keineswegs gleichberechtigt, denn in der Politik hatten Frauen wurden im antiken Rom zunächst einmal als Gefährtin und Ergänzung zu ihrem Ehemann gesehen. Des Weiteren wurden sie als Hausherrinnen bei allen wichtigen Entscheidungen, die die Familie betrafen, mit eingebunden. Die römische Gesellschaft sah darüber hinaus die Hauptaufgabe von Frauen im Gebären von Kindern, um den Nachwuchs für das Römische Reich zu garantieren, allerdings zählte zu ihrem Aufgabenbereich 9 WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG sie weiterhin kein Mitspracherecht, von einer politischen Amtsausübung ganz zu schweigen. Frauen waren danach trotzdem weitestgehend von der Organisation, Verwaltung und Kontrolle des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. So durften Frauen zum Beispiel im Amphitheater nicht neben ihrem Mann sitzen, sondern nur in einem Bereich, der den Frauen vorbehalten war.3 es beispielsweise in einer Schrift des Juristen Ulpian: „Parvi autem refert, qui exercet masculus sit an mulier […]“ – „Es ist von geringer Bedeutung, ob die Person, die ein Reedereiunternehmen betreibt, ein Mann oder eine Frau […] ist.“7 Wer dem Aufruf Folge leistete und vorschriftsmäßig sechs Jahre lang Lebensmittel für die annona transportierte, erhielt Privilegien, die gerade für Frauen lohnend erschienen – so etwa die Befreiung von der Lex Papia Poppaea. Darüber hinaus waren die Frauen generell nicht an die iulisch-papischen Gesetze gebunden, wodurch sie ihr Erbe uneingeschränkt, unverheiratet und ohne Kindersegen antreten konnten Die Lex Papia Poppaea wurde unter Kaiser Augustus 9 n. Chr. im Zuge der augusteischen Ehegesetze erlassen und sah eine Nachkommenschaft von mindestens drei ehelichen Kindern vor. Diese Ehegesetze wurden als Maßnahme gegen Ehe- und Kinderlosigkeit in den höheren Ständen und zur Wiederherstellung der öffentlichen Moral erlassen.8 Erst nachdem Frauen diese Geburtenrate erfüllt hatten, wurden sie geschäftsfähige Personen und konnten ihren Besitz selbstständig verwalten. Weiterhin wurden sie von der Geschlechtsvormundschaft befreit.9 Generell wurden vermögende Frauen mit rechtlichen Vergünstigungen und Privilegien gelockt, um sich in Kriegszeiten oder bei Versorgungskrisen ihre Kollaboration zu sichern.10 Trotz der vorherrschenden patriarchalischen Strukturen genossen selbstständige Unternehmerinnen eine breite Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft und verloren durch ihre Tätigkeit nicht ihr Sozialprestige als Mitglieder der Oberschicht.11 Vom sozialen Rang unabhängig konnten Frauen nach Abschaffung der Manus-Ehe ihr Vermögen nach eigenem Gutdünken verleihen, allerdings nur im privaten Rahmen; als Bankiers durften Frauen nicht auftreten. Aus dem antiken Rollenverständnis heraus hatte die Frau in der Berufswelt keinen Platz, jedoch konnten sich Frauen aus der Oberschicht leichter von ihren häuslichen Zwängen befreien und einer Berufstätigkeit nachgehen. Das Vermögen der Frauen bestand in den meisten Fällen aus der Mitgift, die sie bei ihrer Heirat erhielten. Vornehmlich waren es Frauen aus der Oberschicht, die Geldverleih betrieben oder ihr Kapital in Unternehmen investierten.4 Aus der antiken Überlieferung wissen wir, dass Frauen überdurchschnittlich häufig im Darlehensund Seedarlehensgeschäft vertreten waren.5 Es lag dem wirtschaftlichen Zweck zugrunde, das Vermögen noch weiter zu mehren, und gerade das Seedarlehensgeschäft war für Frauen lukrativ, denn es brachte nicht nur durch die überdurchschnittlich hohen Zinsen ein Vermögen ein, sondern konnte von Zuhause aus abgewickelt werden. Das Seedarlehen unterschied sich von einem einfachen Darlehen vor allem dadurch, dass es vom Schiffseigentümer zum Ausrüsten eines Schiffes und Ankauf von Waren aufgenommen und nur bei einem erfolgreichen Ausgang der Reise zurückgezahlt wurde (während bei einem einfachen Darlehen die Summe an den Darlehensgeber in jedem Fall zurückgezahlt werden musste, egal ob das Geschäft von Erfolg gekrönt war oder nicht). Da die Geschäfte von zu Hause aus geführt wurden, konnten die Frauen das Bild einer römischen Matrone aufrecht erhalten und trotzdem einem Gelderwerb nachgehen. Dabei verstanden es Frauen, die dem Senatorenstand angehörten, meisterhaft, ihre Involvierung in Bankgeschäfte zu verschleiern.6 Frauen mit eigenem Vermögen und solche, die einer Berufstätigkeit nachgingen, bildeten keineswegs die Ausnahme Dass römische Frauen nicht nur im Geldverleih und als Reedereiunternehmerinnen tätig waren, zeigt ihre breite Vertretung in der Baustoffbranche. Dort führten Frauen Ziegeleien und Betriebe zur Herstellung von Bleirohren, die u. a. als Wasserleitungen fungierten. Ziegeleibetriebe wurden als landwirtschaftliche Betriebe gesehen, wodurch sie zu einem legalen Erwerbszweig des Senatorenstandes wurden. In der Regel waren die (Ehe-) Frauen für die Bewirtschaftung der Landgüter zuständig, weshalb es nicht verwundert, dass sie als Wirtschafterinnen oder Besitzerin solcher Betriebe in den Quellen auftauchen. Als das prominenteste Beispiel gilt Euchmachia, die nach dem Tod ihres Ehemannes seine Ziegeleibetriebe in Pompeji weiterführte. Später übernahm Euchmachia das Patronat im Kollegium der Tuchmacher in Pompeji, was wiederum belegt, dass auch Frauen Kollegien angehören konnten.12 Römische Frauen, die einem Gelderwerb nachgehen wollten, waren allerdings nicht nur auf das Darlehensgeschäft beschränkt, sondern konnten ihr Vermögen auch in Reedereiunternehmen investieren, wie am Beispiel der Lebensmittelknappheit unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) gezeigt werden kann. In dieser Zeit erlebte die Stadt Rom eine schwere Lebensmittelkrise und stand kurz vor einer Hungersnot. Um dieser vorzubeugen, rief Claudius zum Ankauf von Schiffen auf, die für sechs Jahre Lebensmittel transportieren sollten. Dass Frauen als Reedereiunternehmerinnen tätig sein konnten, ist durch mehrere Quellen belegt. So heißt Durch antike Zeugnisse ist bekannt, dass Frauen auch verschiedene handwerkliche Tätigkeiten ausübten. Bei 10 und ihren Status als Mitglieder einflussreicher und vermögender Familien. Diese Frauen werden nicht nur in Zusammenarbeit mit Männern, sondern unabhängig von diesen in den Quellen erwähnt. Frauen aus den unteren sozialen Schichten hatten es dagegen deutlich schwerer. Ihr Gelderwerb war wichtig, um ein zusätzliches Einkommen für die Familie zu sichern. Dabei haben sie keinen guten Ruf in der Gesellschaft genossen. Sie wurden oft mit „vulgären“ Tätigkeiten betraut und dazu noch schlecht entlohnt. Frauen aus der Unterschicht, die handwerkliche Tätigkeiten ausübten, waren in den meisten Fällen Sklavinnen oder Freigelassene. Letztere hatten kaum eine Möglichkeit, ihr gesellschaftliches Ansehen groß zu steigern. Frauen mit eigenem Vermögen und solche, die einer Berufstätigkeit nachgingen, bildeten keineswegs die Ausnahme, sondern waren wahrscheinlich eher an der Tagesordnung – auch wenn über die Berufstätigkeit von Frauen aus sozial niederen Schichten nur wenig in antiken Zeugnissen festgehalten worden ist. diesen Frauen handelte es sich um Sklavinnen oder freigelassene Frauen, sodass der Status ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht immer eindeutig ist. Die Forschung ist sich jedoch darin einig, dass Sklavinnen, die eine handwerkliche Tätigkeit ausübten, dies für den Haushalt taten, dem sie angehörten. Auch in Betrieben, die Verkaufsgüter produzierten, konnten Frauen tätig sein. Ebenso konnte es aber sein, dass die Frauen nur den Verkauf der Güter übernahmen. Über die genauen Tätigkeiten von Frauen in handwerklichen Betrieben liegen jedoch keine gesicherten Kenntnisse vor. Ein Berufsfeld, welches überwiegend als Frauenarbeit betrachtet wurde, lag im Textilbereich, der das Spinnen, Weben und Nähen von Stoffen umfasste. Diese Berufsbranche genoss kein überdurchschnittlich hohes Ansehen in der römischen Gesellschaft und wurde nur geringfügig entlohnt. Inwieweit Frauen tatsächlich auch als Weberinnen arbeiteten, ist umstritten, da Untersuchungen des Textilgewerbes in Pompeji und anderen Städten des Römischen Reichs darauf hinweisen, dass überwiegend Männer als Weber tätig waren. Obschon auch Frauen als Weberinnen bezeugt sind, weist Jane Gardner darauf hin, dass diese Frauen alle Sklavinnen waren. Des Weiteren macht sie darauf aufmerksam, dass es nur recht wenig unzweifelhafte Belege dafür gibt, dass Frauen tatsächlich eine Tätigkeit als Weberinnen ausübten.13 Frauen, die in diesem Bereich tätig waren, können nicht mit Frauen aus der Oberschicht, die sich als Unternehmerinnen oder Investorinnen betätigten, gleichgestellt werden. Zum ersten steht der soziale Rang im Weg, und zum zweiten mussten letztere niemals arbeiten, um ihr Überleben zu sichern. Literaturverzeichnis: Gardner, Jane F.: Frauen im antiken Rom. Familie, Alltag, Recht, München 1995. Gödde, Karl-Sigurd: Die Entwicklung der Ökonomie in Italien und den westlichen Provinzen des Imperium Romanum während der Kaiserzeit des 1.-2. Jahrhunderts aus neuzeitlicher wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, Bochum 2017. Höbenreich, Evelyn, Rizzeli, Giuno: Scylla. Fragmente einer juristischen Geschichte der Frauen im antiken Rom. Das Korsett der römischen Familie, Wien 2003. Heinrich Honsell: Römisches Recht, Berlin Heidelberg 2010. Durch den Trend zur Genderforschung bietet sich eine andere Perspektive auf bereits bestehende Forschungsergebnisse, durch die die Möglichkeit entsteht, den gesellschaftlichen Status, die Aufgaben und vor allem die Rechte von Frauen in allen Geschichtsepochen neu zu betrachten. Mit Blick auf die römische Antike fand in der älteren Forschung vor allem eine Beschäftigung mit Einzelproblemen statt: die Aufgabe der Frau im Haus, als Ehefrau, Mutter oder Konkubine, um nur einige Beispiele zu nennen. Erst in der jüngeren Forschung wurden nicht mehr nur Einzelprobleme und Personen in den Blick genommen, sondern die Frau im Ganzen. Dadurch ist zum Beispiel heute bekannt, dass Frauen in der römischen Antike als Unternehmerinnen und Investoreninnen auftraten. Frauen setzten ihr Vermögen renditeorientiert ein und konnten es durch kluge Investitionen (wie im Seedarlehensgeschäft) weiter mehren. Ihre Involvierung in solche Geschäfte wurde geschickt verschleiert, indem sie ihre Sklaven als Unternehmensführung einsetzten. Als selbständige Unternehmerinnen erfuhren sie eine breite Akzeptanz und verloren aufgrund ihrer unternehmerischen Tätigkeiten nicht ihr Ansehen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 11 Höbenreich, Evelyn / Rizzeli, Giuno: Scylla. Fragmente einer juristischen Geschichte der Frauen im antiken Rom. Das Korsett der römischen Familie, Wien 2003. S. 40. Gödde, Karl-Sigurd: Die Entwicklung der Ökonomie in Italien und den westlichen Provinzen des Imperium Romanum während der Kaiserzeit des 1.-2. Jahrhunderts aus neuzeitlicher wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, Bochum 2017. S. 196. Höbenreich, Evelyn / Rizzeli, Giuno: S. 41. Gardner, Jane F.: Frauen im antiken Rom. Familie, Alltag, Recht, München 1995. S. 237f. Vgl. Gödde, Karl-Sigurd: S. 196. Höbenreich, Evelyn / Rizzeli, Giuno: S. 171. Ulp. dig. 14, 1, 1, 16 Heinrich Honsell: Römisches Recht, Berlin Heidelberg 2010. S. 178. Höbenreich, Evelyn / Rizzeli, Giuno: S. 175. Ebd. S. 175. Gödde, Karl-Sigurd: S. 159. Ebd.: S. 198. Gardner, Jane F.: S. 239f. WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Rome: Rise and Fall of an Empire Betrachtung einer historischen Dokumentation unter geschichtswissenschaftlicher Perspektive EIN ESSAY VON PHILIPP TRZASKA R Zu beachten ist jedoch, dass es sich bei dem Medium der Dokumentation per se um eine Darstellungsform des (Wissenschafts-)Journalismus handelt. Die Intention ist hierbei, „komplexes Spezialwissen nahezu kindergerecht [zu] erklären […], dass es […] überhaupt verstanden wird“ (Hermann, S. 157f.). Dieses Selbstverständnis impliziert bereits, dass es sich um keine wissenschaftliche Auseinandersetzung wie beispielswiese in einem historischen Fachbuch handeln kann. Ob dennoch geschichtswissenschaftliche Charakteristika einfließen, was eine Dokumentation überhaupt leisten kann, welches Bild der Geschichtswissenschaft des 21. Jahrhunderts vermittelt wird, dem wird im Folgenden nachgegangen. Zunächst soll eine objektive Beschreibung der Dokumentation erfolgen und diese im Anschluss aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive gewertet werden. om wurde nicht an einem Tag erbaut und auch das Leben des Gaius Julius Caesar konnte nicht in nur einem medialen Werk aufgearbeitet werden. Im Kontext des Aufstieges und Unterganges des römischen Reiches behandelte die 2008 auf dem History Channel veröffentlichte Dokumentationsreihe Rome: Rise and Fall of an Empire in der dritten der dreizehn Episoden die Person des Julius Caesar. Geschichte ist im Fernsehen ein omnipräsentes Thema, welches sich in diversen Gattungen, unterschiedlichen Narrativen sowie Intentionen artikuliert – Historienfilme, Serien, Quizshows oder Dokumentationen sind nur einige Vertreter. Grund für das hohe mediale Angebot ist die hohe Nachfrage – welche sich laut einer Umfrage der ZDFMedienforschung in einem Interesse an Geschichte im Fernsehen bei 40% der Befragten zeigte (Stolte, S. 21). So ist es auch nachvollziehbar, dass die Geschichtskultur durch das Fernsehen immer stärker geprägt wird; das Medium Fernsehen fungiert nicht nur „zur Vermittlung von Geschichtswissen, das andere erarbeitet haben, sondern [ist] auch eine eigene Instanz der öffentlichen Geschichtskultur“ (Quandt, S. 10). Da jedoch diese Geschichtskultur von Filmemachern, und nicht Historikern – letztere fungieren maximal als Berater in der Produktion – geprägt wird, ist es umso wichtiger, diese kritisch zu reflektieren. Was für ein Verständnis von Geschichte wird präsentiert und wie wurde dieses erarbeitet? Julius Caesar ist ein prägnantes Beispiel, wenn es um das mediale Interesse von Geschichte geht. Obwohl Caesar noch vor der Zeitenwende starb, ist seine Geschichte noch lange nicht auserzählt worden: Joseph Mankiewicz’ Filmdrama Julius Caesar (1953) und Astérix et Obélix contre César (1997) setzten sich bereits im letzten Jahrhundert mit der Thematik auseinander. Doch auch im 21. Jahrhundert gerät Caesar nicht in Vergessenheit: Die Monographie Caesar und das Problem der Monarchie in Rom wurde von dem Althistoriker Mischa Meier 2014 publiziert. Markus Schauer veröffentlichte im März des Jahres 2016 das Buch Der Gallische Krieg. Geschichte und Täuschung in Caesars Meisterwerk. Im selben Jahr wurde in der Baltimore Shakespeare Factory das Theaterstück von Chris Cotterman mit dem Titel Julius Caesar aufgeführt, außerdem zeigte das National Theatre 2018 in London eine moderne Uraufführung von William Shakespeares Klassiker. Im selben Jahr erschien zudem das Buch The Cambridge Companion to the Writings of Julius Caesar in New York. Da Dokumentationen einen höheren Anspruch als beispielsweise historisch geprägte Spielfilme im Sinne der Wissensvermittlung haben, wird eine Dokumentation zur Betrachtung hinzugezogen. Dafür soll die dritte Episode der Reihe Rom: Rise and Fall of an Empire näher untersucht werden. Selbstverständlich lässt sich aufgrund dieser einen Dokumentation nicht auf alle anderen schließen und das Ergebnis sich nicht prinzipiell verallgemeinern. Da jedoch viele moderne Dokumentationen nach dem gleichen Schema aufgebaut sind und ähnlich arbeiten, soll dennoch das abschließende Ergebnis so gut wie möglich verallgemeinernd ausgewertet werden. Da die Medien jährlich neues Material nachliefern, ist der Name Caesar den meisten ein geläufiger Begriff; stärker Interessierte oder Laien greifen in der Regel zu einer Dokumentation statt zu einem Fachbuch: Ancient Rom: Rise and Fall of an Empire (2006), Rom: Rise and Fall of an Empire (2008) oder Rom und seine großen Herrscher (2011) sind nur einige Beispiele von vielen. 12 Geschichte forscht, anhand seiner Publikationen und Forschungsprojekte lässt sich jedoch erkennen, dass er kein wirklicher Experte bezüglich Julius Caesar sein kann. Man könnte so beliebig fortfahren und jeden der fünf Historiker analysieren und ihnen ihren Expertenstatus absprechen, jedoch ist dies nicht das ausschlaggebende Argument zur Beurteilung der Dokumentation, sondern lässt sich nur als geringfügiges Manko anführen. Beim ersten Schauen von Rome: Rise and Fall of an Empire entsteht doch, zumindest zunächst, ein seriöser erster Eindruck: Fünf Historiker, welche sich allesamt in einem romanisierten Büro befinden und dem Zuschauer die historischen Zusammenhänge und Umstände erläutern. Mit Peter Wells und David S. Potter (beide von der University of Michigan) treten zwei Personen auf, welche einem belesenen Zuschauer bekannt vorkommen könnten. In ihrer Präsentation wirken alle fünf Historiker wie Experten für die Thematik und sollen das Gesagte durch ihr suggeriertes Fachwissen authentifizieren. Hinzu kommt die Verwendung von Quellen; so werden von einem externen Sprecher per Voice-Over Schriften von Caesar, Plutarch und Sueton zitiert, welche dazu dienen, das Geschilderte zu verifizieren. Durch die Vortragsweise des Sprechers wird zudem das Gefühl erzeugt, dass die zitierten Persönlichkeiten direkt zum Zuschauer selbst sprechen. Womöglich dient dies als Ersatz von Zeitzeugen, welche den Produzenten der Dokumentation selbstverständlich nicht zur Verfügung standen. Verschiedene Ereignisse werden außerdem mit Karten, Graphiken oder Gemälden veranschaulicht. Graphiken und Karten dienen oftmals dazu, komplexere Ereignisse vereinfacht darzustellen; Gemälde können dazu genutzt werden, Geschehnisse zu visualisieren. All diese aufgezählten Mittel kann man als Authentifizierungswerkzeuge bezeichnen, die einen „so-ist-es-gewesen“-Effekt (Hoffman, S. 142) erzeugen und eine „historische Wahrheit“ vermitteln sollen. Grundsätzlich kann zumindest festgestellt werden, dass die Historiker keine wirklichen Experten bezüglich der Thematik der Dokumentation sind. Deshalb ist es fraglich, inwieweit sie das Gesagte überhaupt authentifizieren und ihrer Aufgabe als Authentifizierungswerkzeug gerecht werden können. Verdeutlicht man sich nun, was die Historiker im Verlauf der Dokumentation leisten, so kommt man zu der Erkenntnis, dass dies nicht wissenschaftlicher Natur ist. Ihre Aufgabe beschränkt sich lediglich auf das Wiedergeben von Ereignissen, die zudem noch sehr vereinfacht für den Zuschauer erklärt werden. Eben dies ist nicht die Aufgabe der modernen Geschichtswissenschaft; zu behaupten, dass das Nacherzählen die Geschichtswissenschaft charakterisiert, ist ein Fehler. Vielmehr ist der wissenschaftliche und kritische Umgang mit Quellen der Faktor, der der Geschichte eine Wissenschaftlichkeit verleiht. Das Ziel eines Historikers ist es grundsätzlich, „seine Forschungsergebnisse in allen Einzelheiten dar[zu] stellen, es geht ihm um die Komplexität seiner Deutungen“ (Balzer, S. 144). Eine gewisse Komplexität in den Gedankengängen der Historiker ist nicht erkennbar. David S. Potter beispielsweise vergleicht den Barbarenführer Ariovist mit dem ehemaligen Staatspräsidenten des Iraks, Saddam Hussein. Potter nutzt diesen Vergleich wohl, um der Person des Ariovist eine Persönlichkeit zu verleihen, welche den Zuschauern ein Begriff sein sollte und ihn zugleich als unmoralischen Menschen kategorisiert. Da der Tod Husseins (2006) und die Veröffentlichung der Dokumentation (2008) zeitlich relativ eng beieinanderliegen, sollte dieser Vergleich den Zuschauern zusagen können. Abgesehen davon, dass diese Gegenüberstellung bezüglich ihrer Vergleichbarkeit schwierig ist, ist diese Reduktion der Person des Ariovist auf einen Diktator der 21. Jahrhunderts nicht im Sinne der Geschichtswissenschaft. Hinzu kommen noch einige Fehler bezüglich der Historizität, welche den Historikern nicht hätten unterlaufen dürfen. Aufgrund dieser Fehler ist es auch fraglich, inwieweit die Historiker als Berater fungiert haben oder lediglich als Authentifizierungswerkzeuge vor der Kamera genutzt werden. So werden Gemälde aus ihrem Kontext herausgerissen, um etwas zu visualisieren, was sie jedoch nicht darstellen: Eine Darstellung des brennenden Rom wurde fälschlicherweise als Das, was die Dokumentation dem Zuschauer zeigt, vermittelt einen seriösen und wissenschaftlichen Eindruck: Historiker, Quellenarbeit und diverse Hilfsmittel. Beschäftigt man sich jedoch intensiver mit der Materie und beachtet all das, was die Dokumentation (eventuell bewusst) verschweigt, so trügt der seriöse Eindruck: Die zuvor schon angeführten Peter Wells und David S. Potter genossen ihre Ausbildung an einer renommierten Eliteuniversität in den Vereinigten Staaten, der Harvard University. Die University of Michigan, an welcher beide lehren, gilt zudem ebenfalls als renommierte Lehreinrichtung. Dies spricht zunächst für beide Historiker; ein Blick auf die Homepage der Universität hingegen nicht: Peter Wells ist Archäologe, nicht Historiker. Die Archäologie ist zwar mit der Geschichtswissenschaft eng verbunden, jedoch wurde Wells im Verlauf der Dokumentation lediglich in geschichtlicher Hinsicht befragt. Grundsätzlich ist es kein Fehler, einen Archäologen bezüglich der römischen Antike in einer Dokumentation zu Wort kommen zu lassen, dies kann sogar sehr vorteilhaft sein. Wenn er sich jedoch nicht zu seinem Fachgebiet äußern darf, ist er deplatziert. David S. Potter hingegen ist zwar Historiker, welcher in Richtung der römisch-griechischen 13 WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN neuer Forschungsergebnisse oder Anregungen zu einem neuen Diskurs sind dabei in der Regel nicht das primäre Ziel des Wissenschaftsjournalismus. Vielmehr ist es das Ziel, dem Zuschauer Sachverhalte verständig zu übersetzen und gleichzeitig den Unterhaltungsfaktor nicht zu vernachlässigen – also ein ganz anderer Ansatz als der eines Fachbuches. der Brand der Curia (Sitzungsgebäude des Senats) auf dem Forum Romanum ausgelegt. Die Darstellung der Curia von innen – sie wurde ähnlich wie der US-Senat inszeniert – ist ebenfalls nicht zutreffend. Außerdem wurde sich des Klischees der „weißen Antike“ bedient, indem Skulpturen und Statuen allesamt weiß dargestellt wurden. Dank den Erkenntnissen der modernen Forschung weiß man jedoch, dass diese bunt gestaltet gewesen sind. Das Ziel dieser Ausführung war es nicht, den nicht vorhandenen wissenschaftlichen Anspruch von Dokumentationen zu widerlegen, sondern auf die „Gefahr“ aufmerksam zu machen, welche von ihnen im Zusammenhang mit der modernen Geschichtskultur ausgeht. Problematisch ist es, dass historische Filme jeglicher Art mehr Menschen erreichen als Historiker und somit eine Geschichtsvorstellung geprägt wird, die (zumindest teilweise) verfälscht ist. Immer mehr Menschen reduzieren die Geschichtswissenschaft auf die Reproduktion von Ereignissen – also auf einen wissenschaftsjournalistischen Ansatz. Die Dokumentation für sich ist genau genommen das, was der Wissenschaftsjournalismus sein will. Es wäre nicht richtig, die Dokumentation für etwas zu kritisieren, was sie aus ihrem Selbstverständnis heraus weder leisten will noch kann. Jedoch muss auf die „Gefahr“ hingewiesen werden, die von Dokumentationen ausgeht und die Geschichtskultur und Vorstellung der Geschichtswissenschaft im großen Maße beeinflussen kann. Der wissenschaftliche Umgang mit Quellen ist, wie bereits angesprochen, der wichtigste Aspekt der Geschichtswissenschaft. In dieser Dokumentation nimmt das von Caesar verfasste Werk Bellum Gallicum (Der Gallische Krieg) eine immense Rolle ein. Da die Quellenlage in der Antike recht dünn ist, gilt dieses als das wichtigste Zeugnis über jenen Krieg. Eben weil es aber von Caesar selbst verfasst worden, nicht objektiv geschrieben ist und zudem einer Propagandaschrift nahekommt, darf und kann man es nicht unreflektiert lesen. Die ganze Dokumentation stützt sich jedoch fast ausschließlich auf diese Quelle und behandelt ihren Inhalt als richtige Wiedergabe der Vergangenheit. Zum einen sind Quellen nicht in der Lage, ein vollständig zuverlässiges Bild der Vergangenheit wiederzugeben, der Historiker muss versuchen, anhand von Quellen dieses möglichst genau zu rekonstruieren. Außerdem wird das Bellum Gallicum weder kritisch reflektiert noch auf die die beschriebene Problematik, die mit diesem Text verbunden ist, aufmerksam gemacht. Die oben skizzierten Punkte verdeutlichen allesamt, dass die Dokumentation nicht vollständig den wissenschaftlichen Standards der Geschichtswissenschaften entspricht. Man muss diesbezüglich aber auch ergänzen, dass eine Dokumentation nicht wirklich den Anspruch hat, Wissenschaft zu betreiben. Wie bereits eingangs erwähnt wurde, handelt es sich um eine Form des Wissenschaftsjournalismus, welcher grundsätzlich nicht der selbigen Intention folgt wie ein Historiker, der seine Forschungen publiziert. Der Dokumentation ergeht es wie allen anderen Sendeformaten im kommerziellen Fernsehen; sie will den Zuschauer erreichen, wodurch sie hohe Einschaltquoten erzielen und somit Profite erwirtschaften kann. In dem Sinne ist es auch keinesfalls störend, dass komplexe Ereignisse für den Zuschauer vereinfacht (Ariovist wird mit Hussein verglichen) oder dass mit Sehgewohnheiten (Klischee der „weißen Antike“) nicht gebrochen wird. Für die Aussage über das Leben und Wirken Caesars spielt es keine große Rolle, ob die Antike weiß oder bunt dargestellt wird. Es wäre unnötig, die primär aus Laien und Fachinteressierten bestehende Zielgruppe durch zu komplexe Erkenntnisse zu verwirren und von der eigentlichen Thematik abzulenken. Die Verbreitung Literatur Balzer, Thomas: Die Fernsehdokumentation – ein Werkstadtbericht, in: Horn, Sabine (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 144-152. Handro, Saskia: Mutationen. Geschichte im kommerziellen Fernsehen, in: Oswalt, Vadim (Hg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart, Schwalbach am Taunus 2009, S. 75-97. Hermann, Renate: Wissenschaftsjournalismus, in: Kaiser, Markus (Hg.): Special Interest. Ressortjournalismus – Konzepte, Ausbildung Praxis, Berlin 2012, S. 157–180. Hoffman, Hilde: Geschichte und Film – Film und Geschichte, in: Horn, Sabine (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 135-143. Keilbach, Judith: Geschichte im Fernsehen, in: Horn, Sabine (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 153-160. Quandt, Siegfried: Geschichte im Fernsehen. Perspektiven der Wissenschaft, in: Quandt, Siegfried (Hg.): Geschichte im Fernsehen, Darmstadt 1988, S. 10-20. Stolte, Dieter: Geschichte als Programmauftrag, in: Quandt, Siegfried (Hg.): Geschichte im Fernsehen, Darmstadt 1988, S. 21-26. 14 Wilfried Lingenbergs Edition der Sabini Epistulae EINE BUCHREZENSION VON JONATHAN HARTMANN H es zumindest unpraktisch, ständig auf einen anderen Text zu verweisen. Auch im Kommentar wird wiederholt darauf verwiesen, sodass der Leser diesen Aufsatz teilweise zurate ziehen muss, um Lingenbergs Argumentation wirklich sinnvoll nachvollziehen zu können. Da die vorliegende Edition ja erklärtermaßen zum Ziel hat, die Entscheidungen des Herausgebers für eine bestimmte Textgestalt zu erklären, scheitert sie somit in dieser Hinsicht; ohne besagten Aufsatz bleibt Lingenbergs Darstellung teilweise nicht verständlich. Es wäre daher auf jeden Fall notwendig gewesen, die Einleitung um wesentliche Aspekte zu erweitern. inter der Bezeichnung Sabini Epistulae verbergen sich drei Briefgedichte, die als Antwortschreiben auf drei der Ovid zugeschriebenen Heroidenbriefe konzipiert sind; wir lesen hier die Antworten von Odysseus an Penelope, von Demophoon an Phyllis sowie von Paris an Oinone. Die Briefe können auf eine wechselvolle Rezeptionsgeschichte zurückblicken: Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts noch für ein Stück antiker Literatur gehalten, wurden sie schließlich als vermeintliche Fälschungen eines Humanisten erkannt und daher vernachlässigt. Erst B. W. Häuptli äußerte in seiner Ausgabe1 wieder den Verdacht, dass die Entstehung dieser Texte vielleicht doch in der Antike zu verorten ist. In der Folge gerieten die Briefe wieder mehr ins Blickfeld der Forschung und erfuhren durch T.-Ch. Spieß eine eigenständige Edition.2 Nur sechs Jahre später präsentiert W. Lingenberg nun eine weitere Ausgabe der Sabini Epistulae. Nach der Einleitung findet sich noch ein Quellenverzeichnis (15-19), unterteilt in „Textzeugen“, „Ausgaben“, „Textkritisches Schrifttum“ und „Deutsche Übersetzungen“. Im Sinne der erstrebten möglichst vollständigen Berücksichtigung der Textgeschichte ist dieser Überblick folgerichtig und auch hilfreich. Gleiches gilt im Prinzip für das weiter hinten folgende übersichtliche Verzeichnis aller Konjekturen (49-61), das praktischerweise in doppelter Ausführung vorhanden ist (einmal nach Urhebern, einmal nach Stellen sortiert). Was aber fehlt, ist ein Verzeichnis der Sekundärliteratur, die nur in Fußnoten oder im Fließtext selbst angegeben wird. Der Leser muss sich die weiterführende Literatur daher entweder mühsam selbst zusammensuchen oder aber etwa auf Spieß’ Ausgabe zurückgreifen. Lingenberg richtet sich mit seiner Edition der Sabinusbriefe an eine doppelte Leserschaft: Zum einen ist es sein erklärtes Ziel, nun endlich eine (seiner Meinung nach bislang fehlende) verlässliche Textgrundlage für eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Werk zu schaffen. Zum anderen richtet sich die Ausgabe aber nicht nur an Wissenschaftler, sondern explizit auch an Studierende bzw. alle, die anhand der übersichtlichen Quellenlage der Sabini Epistulae eine praktische Einführung in die Methoden der Textkritik erhalten wollen. Dieser Ansatz ist natürlich löblich, aber auch ambitioniert, und es bleibt zu untersuchen, inwieweit Lingenberg dieser Spagat gelingt. Dem eigentlichen Text ist eine Übersetzung beigegeben (21-47), die bewusst schlicht gehalten ist, da sie nur dem Verständnis des Originals dienen soll (vgl. 8). Die Neuerung für die Erstellung der lateinischen Textfassung ist, dass Lingenberg die bislang in Editionen übergangene Handschrift U,4 „de[n] bessere[n] der beiden Textzeugen“ (7), erstmals mit für die Konstitution des Textes verwendet. Diese Handschrift bildet nun zusammen mit der Editio Parmensis (π)5 Grundlage für sämtliche textkritischen Erörterungen und Anmerkungen. Die vertretene These, dass beide Textzeugen unmittelbar auf der gleichen Vorlage, eine wohl in beneventanischer Schrift verfasste mittelalterliche Handschrift (64), zurückgehen, erscheint auf ersten Blick plausibel, wird aber nicht richtig begründet. Stattdessen wird an entscheidender Stelle wieder auf Lingenbergs noch nicht erschienenen Aufsatz verwiesen (11, Anm. 12); lediglich ein Teilargument, dass nämlich π nicht auf Grundlage von U entstanden ist, wird im Kommentar anhand einer Lücke in Dem Text und der Übersetzung vorangestellt ist eine Einleitung (7-14), die sich vor allem mit der Frage nach der Autorschaft der Sabinusbriefe und der Textgeschichte befasst. Vor allem aufgrund ihrer Kürze bleibt diese Einführung jedoch problematisch: Insbesondere die in der Forschung kontrovers diskutierte Frage nach der Autorschaft bzw. der Abfassungszeit wird auf knapp einer Seite behandelt, sodass vor allem weniger kundige Leser keinen wirklichen Einblick in die Forschungsdiskussion erhalten dürften; wer dagegen in dieser Debatte bereits über eine Meinung verfügt, braucht nicht damit zu rechnen, von Lingenbergs neuen Thesen überzeugt zu werden. Freilich verweist der Verfasser auf einen Aufsatz, der sich ausführlich mit dieser Thematik befasst,3 doch abgesehen davon, dass sich dieser Aufsatz noch im Druck befindet, ist 15 REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN offenbart jedoch, dass drei Gelehrte an dieser Stelle ihre Konjekturen gesetzt haben. Möchte man also eine Textstelle genauer betrachten, so muss man an drei verschiedenen Stellen nachschlagen, was etwas unpraktisch ist. Auch könnte man sich fragen, warum Lingenberg die Konjekturen nicht im Kommentar bespricht (und verwirft) oder welche Stellen überhaupt im Kommentar besprochen werden: So wurden Vers 2,70 und die dazu getroffenen Konjekturen bei Spieß ausführlich besprochen (vgl. Spieß, S. 228f.), während sich bei Lingenberg wieder nur Erwähnungen im Konjekturenverzeichnis finden. An vielen Stellen setzt sich Lingenberg ausführlich mit der Textgestalt älterer Editionen auseinander; warum dies aber nicht Es scheint nämlich auch nicht so zu sein, dass die Handschrift U für Wilfried Lingenberg (Hg.): Sabini Epistulae. immer geschieht, ist leider nicht zu Lingenbergs Textgestaltung eine Mit Übersetzung und kritischem Kommentar. erkennen. derartig hohe Bedeutung zukommt, Universitätsverlag Winter: Heidelberg 2018. wie es die Einleitung vielleicht (Antike Texte I) 107 S. 25 € (kartoniert oder Der Kritische Kommentar (63-97) fällt ausführlich aus, was wieder mit nahelegt. Im Kommentar zu 2,47e-book). ISBN <978-3-8253-6854-8>. dem Zielpublikum zusammenhängt: 49 heißt es, dies sei „die zweite Stelle Wer noch wenig Erfahrung in Sachen Textkritik […], wo der Text des Archetypus […] erst mit Hilfe des hat, kann den Kommentar daher mit Gewinn Codex Urbinas wieder rekonstruiert worden ist“ (78). nutzen. Die Entscheidung für eine bestimmte Lesart Diese Einsicht nach knapp der Hälfte des Textes ist wird in der Regel ausführlich begründet, wozu bezeichnend: Insgesamt weist nach flüchtiger Zählung naturgemäß inhaltliche, sprachliche und insbesondere Lingenbergs Edition auch nur vier Unterschiede zu der paläographische Argumente angeführt werden. Vor von Spieß auf, bei denen ersterer sich ausschließlich allem in Letzterem scheint Lingenbergs Stärke zu nach U richtet; an acht Stellen druckt der Herausgeber liegen, so beschreibt er vielfach ausführlich, wie und zudem eigene Konjekturen. Allzu viel an neuem weshalb einem Schreiber bzw. Drucker ein bestimmter Material wird im Vergleich zu Spieß’ Edition also Fehler unterlaufen sein könnte. Wer bislang nur über nicht geboten. Natürlich ist es prinzipiell nicht falsch, theoretische Grundkenntnisse der Paläographie bzw. einen weiteren Textzeugen hinzuzuziehen, doch fällt Textkritik generell verfügt, wird hier bei der praktischen es angesichts der soeben beschriebenen Sachverhalte Anwendung dieser an die Hand genommen und schwer zu glauben, dass Spieß’ Edition tatsächlich kann dank beschriebener grundsätzlicher Phänomene „unzulänglich“ (7) ist. Dies heißt umgekehrt jedoch (Nasalstrich, a-/o-Verschreibungen o. ä.) das erworbene natürlich nicht, dass Lingenbergs Vorschlägen zur Wissen theoretisch künftig auch selbst anwenden. Textgestalt kein Wert zukäme; sie sind in weiten Teilen Hilfreich ist hier auch das Register (99-107), das aber nicht in solchem Maße plausibler, wie in der nicht nur alle im Band auftauchenden (mythischen) Einleitung angedeutet wird. Namen oder aufgerufenen Stellen der antiken Literatur verzeichnet, sondern als Sachregister u. a. auch auf die Der Aufbau der Edition bringt mit sich, dass TextDarstellung paläographischer Phänomene verweist, varianten an drei Stellen, nämlich im Apparat, im sodass der Leser bei Bedarf schnell die Stelle finden Konjekturenverzeichnis und im Kommentar, auftaukann, wo die jeweilige Sache erklärt wird. chen können. Das Zusammenspiel dieser drei Bereiche funktioniert leider nicht immer reibungslos; dies Einzig bleibt im gesamten Kommentar erwähntermakann am besten mit konkreten Beispielen gezeigt werßen das Manko, dass in manchen Fällen wieder auf den: So druckt Lingenberg in 1,11 „curas“; im textden bereits öfters erwähnten Aufsatz von Lingenberg kritischen Apparat sowie im Kommentar findet sich verwiesen wird, der im Zweifelsfalle als Supplement dazu keine Bemerkung, das Konjekturenverzeichnis U plausibel begründet (76f.). Wie Lingenberg also zu seinem Stemma gekommen ist, ist anhand seiner Edition allein nicht genau zu erkennen. Wenn aber Studierenden exemplarisch erklärt werden soll, wie eine kritische Ausgabe zustande kommt, dann ist es doch wohl von grundlegender Bedeutung, etwas Basales wie das Stemma genau und verständlich zu erklären; genau dies ist hier aber leider nicht der Fall. Ebenfalls wird nicht klar, warum U für die Rekonstruktion des Archetypus tatsächlich so wichtig sein soll, wie behauptet wird. Dies mag tatsächlich der Fall sein – begründet wird dies keineswegs so, dass man diese These tatsächlich ernst nehmen könnte. 16 dass Lingenbergs Thesen in seiner Edition weder überzeugend wissenschaftlich begründet noch didaktisch verständlich dargelegt werden. Es ist ernsthaft zu hoffen, dass der noch erscheinende Aufsatz des Verfassers hier manches erhellt, womit immer noch das Problem bestehen bleibt, dass die vorliegende Ausgabe für sich genommen unzulänglich ist. Das ist schade, zumal insbesondere der Kommentar erwähntermaßen für Lernende potentiell durchaus nützlich sein könnte. Für die wissenschaftliche Arbeit hingegen scheint Spieß’ Ausgabe daher immer noch eine verlässlichere Textgrundlage zu bieten, wenngleich Lingenberg an manchen Stellen auf jeden Fall zumindest beachtenswerte Vorschläge zur Textgestaltung bietet. herangezogen werden muss. Betont sei auch noch einmal, dass natürlich keine generelle Einführung in die Textkritik oder die Paläographie gegeben wird; über Grundkenntnisse, etwa aus paläographischen Einführungswerken oder -übungen, muss der Leser auf jeden Fall verfügen. Was der Kommentar ebenfalls nur sehr begrenzt bietet, sind (mythologische) Sacherklärungen u. ä. Lingenberg möchte sich bewusst auf Anmerkungen zu textkritischen Fragen beschränken und verweist für alles andere auf den Kommentar bei Spieß (8). Wenn nun aber auch Anfänger die Ausgabe benutzen sollen, die vielleicht noch nicht über ein allzu großes mythisches Hintergrundwissen verfügen, so wären zumindest an manchen Stellen ein paar Anmerkungen hilfreich, denn die dem Text beigegebene Übersetzung reicht zum vollständigen Verständnis nicht immer aus. Dass der Kommentar in seiner beschriebenen Form natürlich für „erfahrenere“ Wissenschaftler vielfach regelrecht überflüssig erscheinen mag, ist evident; dies muss jedoch im Anbetracht des doppelten Lesepublikums und der doppelten Zielsetzung der Edition in Kauf genommen werden. 1 2 3 Dass Lingenbergs Edition insgesamt unzureichend bleibt, liegt nämlich nicht an diesem eingangs beschriebenen Spagat, Wissenschaftler wie Anfänger zugleich zu adressieren; beides für sich genommen misslingt schon: Aufgrund der beschriebenen Probleme ergibt sich leider die Situation, dass keine der beiden Zielgruppen den Band mit großem Gewinn nutzen kann. Insbesondere die zu kurze Einleitung und die nicht überzeugende Erstellung des Stemma ziehen nach sich, 4 5 B. W. Häuptli: Publius Ovidius Naso, Ibis – Fragmente – Ovidiana. Lateinisch-deutsch. Zürich 1996, hier S.358f. T.-Ch. Spieß: Die Sabinus-Briefe: Humanistische Fälschung oder antike Literatur? Einleitung – Edition – Übersetzung – Kommentar. Trier 2012. W. Lingenberg: „Überlieferung, Datierung und Autorschaft der Sabinusbriefe“, in: Rheinisches Museum [im Druck]. Der Aufsatz war zur Zeit der Abfassung dieser Rezension dem Rezensenten noch nicht zugänglich, daher kann eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit Lingenbergs Thesen hier leider nicht erfolgen. Codex Vaticanus Urbinas latinus 353, 88r-94r (die meisten Autoren nehmen als Entstehungszeitraum die Jahre 1474 bis 1482 an; Lingeneberg datiert den Teil, der die Sabinusbriefe enthält, auf ca. 1475 bis 1477); ein Digitalisat ist online verfügbar unter https://digi.vatlib.it/view/MSS_Urb.lat.353. Ovidius Naso, Publius: Opera. Parma: Stephanus Corallus, 1.VII.1477; Digitalisate sind ebenfalls online verfügbar. Die Sabinusbriefe bilden den Abschluss des zweiten Bandes. Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern EINE REZENSION VON JULIA JENNIFER BEINE M 2017. Ein wichtiger Ort ist die Stadt und Universität Bochum: Hier hat Flashar als Gründungsordinarius der Gräzistik gewirkt und hierher ist er nach seiner Emeritierung in München zurückgekehrt.1 it bald 90 Jahren kann Hellmut Flashar auf ein ereignisreiches Leben zurückblicken. Bis heute hat der Klassische Philologe vor allem die Forschung zur antiken Philosophie unter besonderer Berücksichtigung des Aristoteles geprägt sowie die Arbeit am antiken Drama und seiner Rezeption. Dabei hat er sich stets für eine Auseinandersetzung und Kommunikation der Klassischen Philologie mit der breiteren Öffentlichkeit stark gemacht. In einer seiner neuesten Veröffentlichungen, Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern. Eine autobiografische Skizze, herausgegeben im Brockmeyer-Verlag, nimmt er die LeserInnen mit auf seinen Werdegang – von 1929 bis Ganz dem Titel entsprechend findet der Leser/die Leserin hier kein detailliertes, manieristisches oder ausschweifendes Portrait, sondern gewinnt auf etwas mehr als 200 Seiten in 7 Kapiteln nur einen groben Einblick in das Leben des Altphilologen. Gleich einem Skizzenbuch reihen sich einzelne Binnenerzählungen, Anekdoten etc. aneinander, zusammengebunden durch den roten Faden, Flashars Werdegang: Orientierende Vorbemerkungen (S. 7–9), Kapitel 1: Kindheit in Hamburg. 17 REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN Wissenschaft und Verlagslandschaft gesäumt, und das am Anfang oft zufällig: so ist z. B. die Vermieterin der Flashars in Berlin keine geringere als Ellen de Gruyter, die Tochter des gleichnamigen Verlegers. Jugend in Berlin und woanders (S. 11–38), Kapitel 2: Studium in Berlin und in Tübingen (S. 39–67), Kapitel 3: Platon im Schwarzwald (S. 69–97), Kapitel 4: Wieder in Tübingen (S. 99–114), Kapitel 5: Bochum – die große Herausforderung (S. 115–154), Kapitel 6: München – lebendige Tradition (S. 155–186), Kapitel 7: Der unruhige Ruhestand (S. 187–220). Für heutige (Nexus-)LeserInnen und/oder BochumerInnen dürfte hier natürlich sofort das 5. Kapitel ins Auge stechen. Warum ist Bochum „die große Herausforderung“? Hellmut Flashar ist der Gründungsordinarius des Lehrstuhls für Gräzistik an der RUB, hat also zusammen mit dem Gründungsordinarius des Lehrstuhls für Latinistik, Godo Lieberg, das Seminar für Klassische Philologie aufgebaut – was für ihn wie auch für viele andere Neuland gewesen ist: Es war eine große Herausforderung, an einer neu gegründeten Universität zu wirken, in einer Stadt, die keine entsprechende Tradition hatte. Kaiser Wilhelm II. hatte verfügt, dass im Ruhr-Gebiet keine Universität entstehen dürfe. Hier müsse „malocht“ werden. Alles war also neu. (S. 115) Die LeserInnen erleben die von Improvisation geprägten Anfangsjahre, erhalten Einblicke in das Zusammenleben und -arbeiten der ersten ProfessorInnen in der Overbergstraße, verfolgen das Entstehen einer rein philologischen Fakultät (üblich ist eine Philosophische Fakultät gewesen, die Philosophie, Geschichtswissenschaften und Philologien vereint) und den allmählichen Aufbau der Universitätsgebäude und Infrastrukturen. Flashars Kapitel lädt gerade heutige Studierende der RUB dazu ein, gleich einer Zeitreise mit ihm ab 1964 auf dem Campus zu wandeln. Hierbei wird deutlich, wie sehr die einzelnen Gründungsordinarii in den Altertumswissenschaften und verwandten Fächern mit ihrer Zusammenarbeit die Weichen für heutige Strukturen gestellt haben. So haben beispielsweise der Archäologe Bernard Andreae und der Kunsthistoriker Max Imdahl die Kunstsammlungen mit ihrer einzigartigen Kombination und Interaktion von antiker und moderner Kunst ins Leben gerufen oder es sind Reihen wie die dezidiert interdisziplinäre Poetica oder das BAC gegründet worden, die bis heute bestehen. Auch erfährt der Leser/die Leserin in diesem Kapitel, wann an der RUB das einzige Mal Talare getragen worden sind oder welche Fächer es damals noch alles gegeben hat – wie Byzantinische und Neugriechische Philologie. Hellmut Flashar als Schüler. einer Schulbildung geprägt, die im Hinblick auf die Alten Sprachen eher unbefriedigend ausgefallen sein soll – wohl vor allem wegen der äußeren Umstände. Über den Unterricht an der Waldschule in Berlin-Grunewald, die im Zuge des Zweiten Weltkrieges mehrmals verlegt worden ist, berichtet er, wie sein Lateinlehrer (ein ehemaliger Frontoffizier) den Unterricht mit zeitgenössischen militärischen oder umgangssprachlichen (Kraft-)Ausdrücken in der Übersetzung bestreitet (S. 35). Während seine LehrerInnen seine (Sprach-)Kompetenzen also nicht genug fördern, ist es letztendlich Flashars Patenonkel Hans Michaelis, ein Studienrat für Latein und Geschichte, dessen Vater Gerhard Michaelis den Ludus Latinus verfasst hat, der mit ihm die klassischen Autoren liest. So wird es schnell zu seinem Ziel, nach seinem Abschluss 1948 Lateinische Philologie zu studieren. Da zu dieser Zeit Wolfgang Schadewaldt sein Ruf bereits vorauseilt, fällt die Wahl des Zweitfachs schnell auf das Altgriechische – das Flashar hierzu in einem Dreivierteljahr erlernt. Hier ist es eine Lehrerin, Elisabeth Holl, Tochter des Kirchenhistorikers Karl Holl, die ihm ebenfalls unentgeltlich hilft. Schon im 1. Kapitel wird so deutlich, dass es oft einzelne Personen gewesen sind, die Flashar seinen Werdegang ermöglicht haben und diesen auch in den nachfolgenden Kapiteln prägen. Er ist mit dem Who-is-Who der deutschen Dass Flashar später einmal in Bochum und München einen Lehrstuhl für Klassische Philologie bekleiden würde, ist dabei allerdings nicht von Anfang an vorhersehbar gewesen, wie die vorangehenden Kapitel zeigen. So sind Flashars Kindheit und Jugend (Kapitel 1) von 18 oder Grumach: „Klaffenbach kannte jede Inschrift, brachte gelegentlich noch unpublizierte Inschriften mit, war von einer unendlichen Geduld und natürlicher Bescheidenheit. […] Ich verdanke diesem ganz für seine Inschriften lebenden, integren Gelehrten, in Stil und Eigenart von Inschriften eingeführt worden zu sein.“ (S. 44). Das 2. Kapitel zeigt dementsprechend zwar skizzenhafte, aber dennoch anschauliche Portraits der Dozenten der Klassischen Philologie in Berlin und Tübingen Ende der 1940er bzw. Anfang der 1950er. An der Universität in Berlin befinden sich beispielsweise der Latinist Johannes Stroux, der Epigraphiker Günther Klaffenbach, der Gräzist Ernst Grumach, der Althistoriker Ernst Hohl, der Archäologe Carl Weickert oder der Indogermanist Wilhelm Wissmann. Doch, um es mit Flashars Worten zu schreiben: „Glanz- und Mittelpunkt war Wolfgang Schadewaldt.“ (S. 50). Wohl jede/-r Studierende der (Klassischen) Philologie kennt diesen Namen, sieht ihn vielleicht zuhause auf den Buchrücken seiner deutsch- oder zweisprachigen Iliasund Odyssee-Ausgabe. Mit Flashar kann man den Gräzisten eindrucksvoll Vorlesungen halten hören und ein wenig erahnen, wie es wohl gewesen sein muss, sein Student und später Doktorand gewesen zu sein. Schadewaldt soll Flashar sogar so sehr begeistern, dass er 1950, nach einem Semester an der neugegründeten Freien Universität Berlin, den Studienort wechselt: Flashar lässt die LeserInnen nicht nur an den Veranstaltungen teilhaben, sondern auch an seinem Studentenalltag, zeigt sogar dezidiert Unterschiede zu heute auf: „Das [i. e. der Wechsel von Berlin nach Tübingen] war ein finanzielles Risiko, gab es doch damals noch nicht ein festes System der Studienförderung (BAFÖG) und von zuhause war keine finanzielle Unterstützung zu erwarten.“ (S. 52f.). Flashar wohnt in Tübingen im Bahnhof in einem Zimmer, das zum einen er und ein weiterer Student bewohnen, zum anderen die Kinder eines Bahnhofsbeamten – für 15DM Warmmiete –; die Mensa ist zu teuer, eine Suppe für 40 Pfennig aus der Volksküche muss reichen. Erst ein Stipendium ermöglicht den Umzug ins Studentenwohnheim. Studentische LeserInnen gewinnen so neue Blickwinkel auf Dinge, die heute selbstverständlich erscheinen, wie ein Wohnheimzimmer oder ein Mensabesuch. Das Kapitel über Flashars Studienzeit endet mit einem heute recht eigenwillig anmutenden Rigorosum durch Schadewaldt, mit dem er 1954 promoviert wird. Unter den wenigen Studenten der Klassischen Philologie herrschte eine freundschaftliche Atmosphäre. Und doch wurde mir bald klar, dass ich hier nicht länger bleiben könne. Da traf ich zufällig an einem späten Abend in einer nur spärlich beleuchteten S-Bahn Schadewaldt. Wie ein deus ex machina stand er plötzlich vor mir, aus Tübingen noch ein paar Tage nach Berlin zurückkehrend. Er ermutigte mich nach einem kurzen Gespräch, nach Tübingen zu wechseln. (S. 52) Der Leser/die Leserin folgt Flashar dann im 3. Kapitel weiter ans Platon-Archiv mit angebundener Schule im Schwarzwald, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Platon-Lexikon mitwirkt. Eindrucksvoll schildert er den Kreis um den Leiter Georg Picht, der vor allem als ein Visionär geschildert wird, der in der Praxis mit seinem Projekt scheitern sollte. Das Kapitel durchzieht neben der Schilderung der Projektarbeit und des Schulalltags vor allem der unentwegte Rauch aus Pichts Pfeife, der nicht nur MitarbeiterInnen in die Flucht zu schlagen vermag. Einmal mehr macht sich Flashars spitze und pointierte Erzählweise bemerkbar, die nicht etwa vor der eigenen Familie haltmacht. Steht diese auch generell eher im Hintergrund, dürften einen die seltenen Einschübe familiärer Natur amüsiert schmunzeln lassen, hier über das Jahr 1955: Mit diesem Wechsel begegnet der Leser/die Leserin dann den Tübinger Akademikern wie den Philosophen Eduard Spranger und Gerhard Krüger, dem Archäologen Bernhard Schweitzer, dem Althistoriker Joseph Vogt oder den Altphilologen Otto Weinreich, Walter F. Otto sowie Walter Jens. Nicht nur in diesem Kapitel, sondern im ganzen Buch fällt dabei auf, dass Flashar gewählt, pointiert, aber auch stets mit einer gewissen Direktheit und Spitze über seine LehrerInnen, später dann über seine KollegInnen, MitarbeiterInnen etc. schreibt – einige Ausführungen wären den heutigen Plattformen www.ratemyprofessors.com oder www. meinprof.de würdig. So heißt es über Stroux: „Die Vorlesungen von Stroux waren sachlich, routiniert, aber ohne dass man davon wirklich berührt wäre.“ (S. 41); über Vogt: „Von seinen Vorlesungen war ich jedoch enttäuscht. Sie waren so langweilig, dass ich bald daran nicht mehr teilnahm.“ (S. 60). Doch so wie er kritisiert, lobt er auch Dozenten wie Klaffenbach, Schadewaldt Picht pflegte auch während des Unterrichts Pfeife zu rauchen, durch irgendeinen frechen Zuruf eines Schülers fühlte er sich so provoziert, dass er die Klasse verließ, ohne je in sie zurückzukehren. Nach einigen Wochen ohne Griechisch wurde ich von den Schülern gefragt, ob ich den Unterricht übernehmen würde. Picht meinte, ich könne es ja mal versuchen, aber die Schüler dieser Klasse würden sich gegenseitig geistig und moralisch unterbieten. In dieser Klasse war meine künftige Frau. (S. 88) 19 REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN vertrete bis heute die Auffassung, dass unsere Fächer sich mit ihren Inhalten an die Öffentlichkeit wenden sollen, weil sie wirklich etwas zu bieten haben.“ (S. 135). So erfahren die LeserInnen ab Kapitel 4 von Projekten, bei denen Flashar mit Theaterintendanten, Komponisten usw. zusammengearbeitet hat: mit dem Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker, Othmar Mága, hat er Mendelssohns Schauspielmusik zu Antigone und Oedipus in Kolonos 1979 auf die Bühne gebracht, mit dem Universitätsmusikdirektor Hans Jaskulsky 1981 Max von Schillings’ Musik zur Orestie (S. 129–131), um nur zwei zu nennen. Flashars Engagement in der Öffentlichkeitsarbeit prägt dann auch seine Zeit als Professor in München mit KollegInnen wie Werner Suerbaum, Wilfried Stroh, Jula Kerschensteiner, Siegmar Döpp und Niklas Holzberg (Kapitel 6) und hält bis heute trotz Ruhestand ungebrochen an (Kapitel 7). Nach mehr als 60 Jahren Lehre zieht Flashar noch ein warnendes, eindringliches Fazit zur heutigen Relevanz der Klassischen Philologie, die leider eine „Randerscheinung“ geworden sei (S. 217): Hellmut Flashar als Assistent im Platon-Archiv in Hinterzarten. Im 4. Kapitel berichtet Flashar über seine Zeit als Assistent am Leibniz-Kolleg von 1956 bis 1961 in Tübingen unter Leitung des Biochemikers Paul Ohlmeyer und über die (Lehr-)Tätigkeiten nach seiner Habilitation 1961. Hier beginnt ein neuer Erzählstrang, da der nun habilitierte Flashar als neues Mitglied der Mommsen-Gesellschaft und der Fondation Hardt lesenswerte Einblicke in die Funktionsweisen solcher Vereinigungen geben kann. So gibt er hier noch die Eindrücke eines ‚Neulings‘ wieder, in Kapitel 5 dann die eines Vorsitzenden der Mommsen-Gesellschaft (1970– 1976). Für heutige Studierende sind Flashars Berichte besonders interessant: Die 1970er sind von einer Kontroverse der AltphilologInnen geprägt, ob es eine „nicht mehr an eine gemeinsame Klassische Philologie gebundene, dann aber über die Antike hinausgehende Latinistik“ geben solle (Manfred Fuhrmann) oder aber weiterhin „‚Vollphilologen‘“ (Hermann Tränkle) (S. 135). Das alles hängt auch mit der Wandlung des Bildungsbegriffes zusammen. Während die alte Bildungsidee als komplementärer Gegensatz zur Ausbildung konzipiert war, fallen heute Bildung und Ausbildung zusammen. Bildung ist Ausbildung geworden, und zwar im Hinblick auf die Verwendbarkeit am Arbeitsmarkt. (S. 218) Flashar entwirft mit Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern ein eindrucksvolles Skizzenbuch: Durch viele anschauliche Schilderungen und Anekdoten einzelner Personen und Begebenheiten gewinnt der Leser/ die Leserin nach und nach einen Einblick in die Forschungsgemeinschaft der Klassischen Philologie und ihre Entwicklung. Dabei wird stets auch die jeweilige Zeitgeschichte mitgeführt, die auf manchmal unerwartete Weise in die scheinbare Wissenschaftsidylle hineinbricht: Noch ein weiterer Erzählstrang durchzieht das Buch: Flashars großes Interesse an kulturellen Veranstaltungen wie Theaterinszenierungen oder musikalischen Darbietungen. Mit jeder Stadt, in der Flashar arbeitet, lernt der Leser/die Leserin daher nicht nur ihr akademisches Leben kennen, sondern auch ihr kulturelles. Aus dem anfänglichen Interesse heraus entdeckt Flashar bald das Potential für die Öffentlichkeitsarbeit der Klassischen Philologie: „Deutlich wurde mir, dass das Theater diejenige Form ist, in der das antike Drama in welcher Gestalt auch immer – heute einer weiteren Öffentlichkeit vermittelt werden kann. Darauf habe ich seither meine ganze Aufmerksamkeit gerichtet.“ (S. 132) und später: „Ich vertrat von Anfang an und Mit Studenten der Philologie und Archäologie haben Andreae und ich auch ein Seminar gehalten, in dem wir das erste Buch des Reiseschriftstellers Pausanias gelesen haben, um dann auf einer Exkursion den Weg des Pausanias an Ort und Stelle nachzugehen. Zur Vorbereitung der Exkursion waren wir im Frühjahr 1967 in Athen. Am letzten Abend saßen wir mit Freunden in einer Taverne nahe des Syntagmaplatzes, als plötzlich ein Panzer an uns vorbeirollte. Mehr im Scherz sagte einer der Freunde: „Passen Sie auf, morgen haben wir eine Militärdiktatur!“ Und so war es auch. (S. 125) Auf solche und ähnliche Weise2 blickt der Leser/die Leserin mit Flashar auf das Dritte Reich, den Zweiten 20 Weltkrieg, die Nachkriegszeit, die 68er-Bewegung etc. zurück. Sein Blick ist dabei der eines Kindes, Jugendlichen, Studierenden und später der eines Geisteswissenschaftlers, was für manch eine/-n neue Blickwinkel eröffnen dürfte. Die Einschübe sind paradigmatisch gewählt und nehmen nicht überhand; sind aber dennoch wichtig. Sie zeigen einmal mehr, dass die Wissenschaftsgemeinschaft nicht unberührt, entrückt oder gar teilnahmslos in einem Elfenbeinturm fernab der Gesellschaft sitzt. Damit dürfte Flashar sein Vorhaben gelungen sein: ein Buch zu schreiben, das paradigmatische Einblicke in die jeweilige Zeit und Gesellschaft vermitteln soll und damit heute von Relevanz ist (vgl. S. 7–9). Hellmut Flashar: Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern. Eine autobiografische Skizze. Brockmeyer Verlag: Bochum 2017. 14,90€. 1 2 Für Nexus wird im Folgenden eine studentische, Bochumorientierte Leseweise verfolgt. Auch Flashars portraithafte Skizzen zeigen, dass die akademische Laufbahn der jeweiligen Person oft durch eine Auseinandersetzung mit dem NS-Regime, Geheimdiensten oder anderen Regierungen geprägt gewesen ist. Antikes Drama – Moderne Bühne EINE BUCHVORSTELLUNG VON CAROLINE WAHL D Tabuthemen mehr seien. Genau darum sei es für Philologen lohnend, sich mit dem antiken Drama auf der heutigen Bühne zu beschäftigen.3 ie Inszenierung antiker Dramen auf der Bühne ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Oft werden die Handlungen antiker Dramen für moderne Theaterstücke aufgegriffen, interpretiert und aufgeführt. Dabei ist zu erkennen, dass einige Produktionen gut, manche jedoch leider weniger gelungen sind. Das Buch Antikes Drama – Moderne Bühne von Hellmut Flashar, welches im Dezember 2018 erschienen ist, stellt verschiedene Inszenierungen von antiken Dramen der Dramenautoren Euripides, Sophokles und Aischylos vor, skizziert die modernen Produktionen und rezensiert sie teilweise. Supplement II stellt mit derselben Methode wie Supplement I die in den Jahren 2011 bis 2014 aufgeführten Dramen der antiken Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides dar. Besonders in diesen Zeiten sei eine „Lockerung im Verhältnis von Text und Spiel zu verzeichnen.“4 Neben stark gekürzten Überlieferungen und dem Verzicht auf Architektur sowie Gedankenführung der antiken Dramen seien für diesen Zeitraum speziell dramenübergreifende Inszenierungen charakteristisch. So fasste Sebastian Nübling vier Tragödien (Oedipus auf Kolonos von Sophokles, Sieben gegen Theben von Aischylos, die Phoenissen von Euripides und die Antigone von Sophokles) unter dem Titel Oedipus und seine Kinder zusammen und brachte das Stück 2011 in der Halle des „Schiffbau“ in Zürich auf die Bühne. Zu einem Theaterstück zusammengefasste Stücke werden im Supplement II weiter von Flashar analysiert. Auch in diesem Zeitraum sei weiterhin festzuhalten, dass das antike Drama eine Faszination auslöse, wie die in dem Kapitel genannten Uraufführungen beweisen: Allltagsphänomene der heutigen Zeit würden in die Stücke integriert und Textpassagen der Kunst und der Darstellung wegen neu angeordnet. Die alten Grundsätze der Aufführungen, die von Dieter Dorn, Peter Stein, Hansgünther Heyme und Andrea Breth stammen, würden selten noch berücksichtigt.5 Dies gelte auch für die Jahre 2014-2018, die in Supplement III vom Verfasser behandelt werden. Die Inszenierungen seien charakteristisch für die Phantasien der Regisseure, die die Antikes Drama – Moderne Bühne ist in 9 Kapitel unterteilt, wobei das erste Kapitel in drei Supplemente gegliedert wurde. Bei den Supplementen handelt es sich um Ergänzungen zu der von Flashar im Jahr 2009 veröffentlichten zweiten Auflage seines Buches Inszenierung der Antike1. Im ersten Supplement erläutert Flashar zunächst die in den Jahren 2008 bis 2010 aufgeführten Inszenierungen der Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides2 auf diversen Theaterbühnen, meist unter Beigabe der zugrundeliegenden Übersetzung des Stückes zu den Orten der Uraufführungen. In dem Zeitraum sei festzustellen, so resümiert Flashar, dass sowohl die Bandbreite der verwendeten Übersetzungen bunter als auch die RegisseurInnen, die sich der griechischen Tragödie annehmen und sie auf die Bühne bringen, „jünger“ geworden seien. Im Gegensatz zu der Zeit vor 2008 seien Probleme und Konflikte, die die Tragödien andeuten, offener behandelt, sodass Themen wie der Umgang mit Gewalt und dem Fremden keine 21 REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN ANTIKE INTERDISZIPLINÄR mythologischen Idomeneus von Homer und Vergil und die unterschiedlichen Verarbeitungen von Fénelon und Jolyot de Crébillon. Den gleichen Aufbau verfolgt das nächste Kapitel Iphigenie auf Tauris zwischen Euripides und Gluck: Zunächst werden die verschiedenen Überlieferungen des Iphigenie-Mythos vorgestellt. Im Mittelpunkt steht die Interpretation des Euripides, da mit Ausnahme von ein paar Fragmenten die Tragödien von Sophokles und Aischylos zu Iphigenie verloren gegangen sind. Gluck hat beide IphigenieOpern (Iphigénie en Aulide und Iphigénie en Tauride) in der richtigen Handlungsabfolge komponiert und in Paris uraufgeführt. Ein Libretto von Nicolas François Guillard entstand, das jedoch auf das Drama von Guismond de la Touche zurückgeht, weshalb Flashar Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Dramas zu Euripides und Gluck benennt. Probleme der Gegenwart, deren Ursprünge sich bereits in antiken Tragödien finden lassen, in ihre Produktionen aufnehmen.6 In den nächsten Kapiteln werden von Flashar Schauspielmusik, Inszenierungen und Übersetzungen – fokussiert wird hier die Übertragung von Hölderlin – antiker Dramen angeführt. So erklärt Flashar im nachfolgenden Kapitel Felix Mendelssohn Bartholdys Schauspielmusik zu den Tragödien Antigone und Oedipus in Kolonos von Sophokles vor dem Hintergrund der an der Antike orientierten schulischen Erziehung Mendelssohn Bartholdys durch Heyse und die Kulturpolitik, die sich in den entsprechenden Jahren für die Antigone aussprach. Den Text der Schauspielmusik von Antigone lieferte Donner (1799-1875). Zu Mendelssohn und seinen Kompositionen berichtete Flashar bereits in einigen Aufsätzen,7 wobei er in Antikes Drama – Moderne Bühne die eben genannte Fokussierung verfolgt. Auch die mythologische Figur der Ariadne, die nach Catull von Theseus auf Naxos zurückgelassen worden war, wurde auf die moderne Bühne gebracht. Dabei ist zu Auch Friedrich Hölderlin (1770– beachten, dass es differenzierte 1843) fertigte eine Antigone- und Überlieferungen von Ariadne gibt. König Oedipus-Übersetzung an, die Plutarch beispielsweise berichtet von zunächst wenig Zustimmung fand vielen widersprüchlichen Versionen und erst durch glückliche Verbinvon Ariadnes Schicksal, wobei dungen zu dem Germanisten Wilauch Pherekydes von einer anderen helm Michel Aufmerksamkeit bekam. Version des Mythos berichtet. Diese Misserfolge und anschließenOvid setzt wiederum einen neuen den Erfolge von Hölderlin werden Schwerpunkt: Er beschreibt in in diesem Kapitel beschrieben. Eine Ars Amatoria die Verbindung von umfassende chronologische AnordAriadne mit Dionysos, wobei die nung – beginnend mit Sophokles und endend mit Orff – von Aufführungen Hellmut Flashar: Antikes Drama – Moderne Klage der Ariadne im Mittelpunkt der Antigone und des König Oedipus Bühne. Rombach-Verlag Freiburg 2018. € 38,- seiner Heroidenbriefe steht. Im 16.18. Jahrhundert wird die Klage der beschreibt Flashar im nachfolgenden ISBN 978-3-7930-9932-1. Ariadne besonders für die moderne Kapitel. Dabei stehen hauptsächlich Bühne aufgegriffen, beispielsweise in der Oper Arianna sowohl schauspielerische Inszenierungen als auch entvon Monteverdi sowie 42 weiteren Opern, die bei standene Schauspielmusik im Vordergrund. Flashar Erwähnung finden. Zum Schluss beschreibt er Friedrich Nietzsches Klage der Ariadne, die eine nicht zu Mit anderen musikalischen Stücken antiken Inhalts verachtende Rolle im Zyklus der Dionysos-Dithyramben setzen sich die nächsten beiden Kapitel auseinander: einnimmt. Flashar behandelt zunächst die Oper Dionysos von Wolfgang Rihm, die aus den Texten von Friedrich Das letzte Kapitel greift Orffs Bühnenwerke auf, die vor Nietzsche besteht und einzelne Stationen in seinem dem Hintergrund des Briefwechsels Orff–Schadewaldt Leben widerspiegelt (wobei das Thema immer reflektiert werden. Flashar stellt bereits zu Anfang fest, noch Dionysos bleibt). Die Person Dionysos habe dass diese Analyse jedoch nur ergänzend zu dem FacetRihm mit musikalischen Raffinessen „aufleuchten lassen“.8 Das darauffolgende Kapitel beschäftigt sich tenreichtum von ersten Plänen, Entwürfen und Reamit der mythologischen Gestalt des Idomeneus, zu lisierungsversuchen gesehen werden dürfe, da ein der Mozart eine Oper komponierte. Dabei steht Brief weniger abgesichert sei.9 Trotzdem bietet dieser allerdings zunächst nicht die Oper im Vordergrund, Abschnitt von Flashars Werk neue Aspekte, die private sondern die verschiedenen Überlieferungen des Einblicke in Orffs Bühnenwerke geben. 22 Es kann zusammengefasst werden, dass der Verfasser einen ausführlichen Überblick zu antiken Stücken auf modernen Bühnen bietet. Er verfolgt dabei das Ziel, aktuelle Ergänzungen zu den Tragödien vorzunehmen, die er bereits in vorherigen Werken für frühere Zeiträume behandelt hat. Gleichzeitig werden nicht nur reine Theateraufführungen analysiert, sondern auch die Schauspielmusik von verschiedenen Komponisten und Regisseuren. Dabei fokussiert sich Flashar hauptsächlich auf die Tragödien von Euripides, Sophokles und Aischylos. 1 2 3 4 5 6 7 Flashar, H.: Inszenierung der Antike: Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. München 22009. Die Stücke der aufgeführten Autoren werden in oben genann- 8 9 ter Reihenfolge behandelt. Vgl. Flashar, H.: Antikes Drama – Moderne Bühne. in: Zimmermann Bernhard (Hrsg.): Rombach Wissenschaften. Reihe Paradeigmata (Bd. 46). Freiburg, Berlin, Wien 2018. S. 37f. Fortan zitiert als Flashar (2018). Ebd. S. 39. Vgl. ebd. S. 65f. Vgl. ebd. S. 95f. Siehe Flashar, H.: F. Mendelssohn Bartholdys Vertonung antiker Dramen. in: Arenhövel, W.; Schreiber, C.: Berlin und die Antike. Berlin 1979, S. 351-361; Flashar, H.: August Böckh und Felix Mendelssohn Bartholdy. In: Schmidt-Biggemann, W. (Hrsg.): Disiecta membra. Studien, Karlfried Gründer zum 60. Geburtstag. Basel 1989. S. 60-81. Vgl. Flashar (2018). S. 183. Vgl. ebd. S. 215. Philosophie und Gehirn in der griechischen Philosophie EIN ARTIKEL VON UDO REINHOLD JECK N die Forschung lediglich auf minimale Quellen stützen kann.3 Theophrast, ein Schüler des Aristoteles, schrieb ihm folgende These zu: ἁπάσας δὲ τὰς αἰσθήσεις συνηρτῆσθαί πως πρὸς τὸν ἐγκέφαλον.4 („Sämtliche Wahrnehmungen hängen irgendwie mit dem Gehirn zusammen“). icht erst die moderne Neurophilosophie, sondern schon die griechischen Philosophen suchten nach einem angemessenen Verständnis des Gehirns. Alkmaion von Kroton lehrte die zerebrale Konstitution der Wahrnehmung, doch Platon lehnte diese These strikt ab, lokalisierte jedoch den Geist im Gehirn. Aristoteles reduzierte dagegen radikal die Bedeutung des Gehirns für Seele und Geist, beschrieb allerdings detailliert das Gehirn und erwähnte ein paradoxes Gehirnphänomen, das für die Neurochirurgie eine große Bedeutung besitzt. 2. Später diskutierte Platon diese Konzeption, indem er im Phaidon dem Sokrates eine merkwürdige und im Corpus Platonicum singuläre Aussage in den Mund legte.5 Sie trägt die Bezeichnung ‚Autobiographie des Sokrates‘6, gibt sich als Auskunft über eine frühe Phase im Denkweg des Philosophen und enthält eine Aufzählung der naturphilosophischen Studien des jungen Sokrates: 1. Die Neurowissenschaften stehen heute nicht ohne Grund im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Große Aufmerksamkeit verschafften ihnen spektakuläre Forschungsergebnisse, deren Konsequenzen das traditionell überlieferte Menschenbild erschütterten. Auch die Philosophie reagierte auf diese Entwicklung, Ende des 20. Jahrhunderts entstand die Neurophilosophie. Die Philosophie des Gehirns ist jedoch viel älter und reicht bis in den Anfang des abendländischen Denkens.1 Weil dazu nur wenige Zeugnisse erhalten blieben, ist diese Zeit in große Dunkelheit gehüllt.2 „In meiner Jugend nämlich, o Kebes, hatte ich ein wundergroßes Bestreben nach jener Weisheit, welche man die Naturkunde nennt; denn es dünkte mich etwas Herrliches, die Ursachen von allem zu wissen, wodurch jegliches entsteht und wodurch es vergeht und wodurch es besteht, und hundertmal wendete ich mich bald hier-, bald dorthin, indem ich bei mir selbst zuerst dergleichen überlegte: ob, wenn das Warme und Kalte in Fäulnis gerät, wie Einige gesagt haben, dann Tiere sich bilden? Und ob es wohl das Blut ist, wodurch wir denken, oder die Luft oder das Feuer? Oder keines von diesen, sondern das Gehirn bringt uns alle Wahrnehmungen hervor, die des Sehens und Hörens und Riechens, und aus diesen entsteht dann Gedächtnis und Vorstellung, und aus Erinnerung und Vorstellung, wenn sie zur In diese Epoche gehört auch Alkmaion (6./5. Jht. v. Chr.), der im Umkreis der Pythagoreer wirkte und aus Kroton stammte. Zu seiner Lehre blieben ebenfalls nur wenige Nachrichten erhalten, so dass sich 23 ANTIKE INTERDISZIPLINÄR ANTIKE INTERDISZIPLINÄR argumentieren und dabei sukzessiv andersartige Hypothesen destruieren. Hauptsächlich bedurfte es, modern gesprochen, der Widerlegung aller traditionellen Versuche einer Naturalisation der Seele, oder mit anderen Worten, jener Thesen, die seelische Funktionen aus der Aktivität des Gehirns als eines Naturgegenstandes ableiteten: Wenn Seele und Geist, bzw. die seelischen Funktionen der Wahrnehmung – und daraus hervorgehend: Gedächtnis, Vorstellung, Erinnerung und Erkenntnis – ein Produkt oder eine Eigenschaft des natürlichen Objektes Gehirn sind, dann gehen diese Phänomene zwangsläufig mit dem Tod des Gehirns, das sie hervorbringt, zugrunde. Ruhe kommen, entstehe dann auf diese Weise Erkenntnis? Und wenn ich wiederum das Vergehen von all diesem betrachtete und die Veränderungen am Himmel und auf der Erde, so kam ich mir am Ende zu dieser ganzen Untersuchung so untauglich vor, dass gar nichts darüber geht.“7 Nach diesem Bericht interessierte sich Sokrates zunächst sehr für die Thesen der frühen Denker und prüfte ihre Spekulationen zu den Ursachen der innerweltlichen Entitäten, dachte aber auch über das Entstehen und das Vergehen als Grundstruktur der Physis nach. Innerhalb dieser umfassenden Ursachenforschung beschäftigte er sich zudem mit einigen uralten Auffassungen zum Ursprung des Denkens. Dabei stieß er auf Überlegungen der frühen Naturphilosophen zu Gehirn und Wahrnehmung. Sokrates vertiefte sich zeitweise darin mit jener intensiven Wissbegierde, die Platon in seinen Dialogen so eindrucksvoll vor Augen führt. Später wandte sich Sokrates jedoch von diesen Forschungen ab und ging anderen Untersuchungen nach. Platon geriet demnach auf seine Weise in die Nähe der Frage nach dem Gehirntod, ein aktuelles Thema der Medizinethik. Aber nur in die Nähe, denn er ließ diese Fragestellung erst gar nicht aufkommen, sondern erstickte sie schon im Keim, indem er Sokrates nachweisen ließ, dass sie zu nichts führe: Das alte ionische Denken greift aus seiner Perspektive längst nicht mehr. Die Rede vom Gehirn als Ursprung seelischer Funktionen, so deutet er an, ist ebenso überholt und nicht besser als die ehrwürdigen Theorien des Anaximander, Heraklit und Parmenides über den Ursprung der Dinge. Im Phaidon diente die ‚Autobiographie des Sokrates‘ und dessen Verwerfung der frühen Gehirntheorie daher zur Bezeichnung einer Wende und eines Weges, der weg von der Naturalisation der Seele und ihrer zeitlich begrenzten Existenz zum Beweis ihres wahrhaften und dauerhaften Seins führte. Doch Sokrates als Philosoph des Gehirns? Das passt nicht in die gängigen Schemata der Philosophiehistoriker und einiger Exegeten der griechischen Philosophie. Selbst dort, wo die ‚Autobiographie des Sokrates‘ Aufmerksamkeit erregte, drängte ein traditionelles Philosophieren die gehirntheoretischen Mitteilungen dieser Quelle an den Rand oder in den Hintergrund. Dennoch besitzt sie eine große Bedeutung für das Verständnis der antiken Philosophie des Gehirns. 4. Später legte Platon dann im Timaios eine eigene Gehirntheorie vor8, sprach dort aber in schwer verständlicher und poetischer Diktion: Nach der Konstitution des Kosmos formt der göttliche Demiurg die menschliche Leiblichkeit. Der Mensch sollte zudem einen Geist besitzen bzw. dieser seinem Körper innewohnen. Dazu bedurfte es einer besonderen leiblichen Sphäre. Im Hinblick darauf wählt der kreative Gott eine bestimmte Art von Mark aus, bezeichnet sie als Gehirn (ὁ ἐγκέφαλος) und positioniert darin den Geist. 3. Allerdings ging es Platon im Phaidon nur vordergründig darum, etwas zur Denkgeschichte des Sokrates zu berichten. Ebenso wenig stand die Philosophie des Gehirns im Mittelpunkt seines Interesses, obwohl er, wie der Timaios zeigt, physiologische Kenntnisse besaß. Platon nutzte ‚Sokrates‘ vielmehr als Kunstfigur und wies ihm in dieser Funktion oft ganz unterschiedliche Problemfelder zu. Im Phaidon stellte Platon sorgfältige und subtile Überlegungen zum Verhältnis von Leib und Seele an: Sokrates, der im Mittelpunkt dieses Dialogs steht, saß im Gefängnis. Kurz vor seiner Hinrichtung dachte er dort in Gemeinschaft mit Schülern und Freunden über die letzten Dinge nach: Er stellte die Sterblichkeit des Menschen auf den Prüfstand, fragte nach dem Sinn des Todes und durchdachte die Möglichkeit einer postmortalen Weiterexistenz der Seele durch ihre andauernde Trennung vom Leib. Platon schrieb zu diesem Sachverhalt nur einen Satz, der überdies noch mit Dunkelheiten und mythologischen Formeln belastet ist. Er bezeichnet das Gehirn als ‚Saatfeld‘ (ἡ ἄρουρα) des Geistes, ihn selbst als ‚göttlichen Samen‘ (τὸ θεῖον σπέρμα): „Und denjenigen Teil des Markes, der, gleich einem Saatfeld, den göttlichen Samen in sich enthalten sollte, nannte er, indem er allerwärts in sich zurücklaufend ihn gestaltete, das Hauptmark [Gehirn], weil nach Vollendung jedes Lebenden das Haupt zum Gefäß für dasselbe bestimmt war.“9 Aus Platons Sicht sprach vieles für die Unsterblichkeit der Seele. Dafür führte er aber keine religiösen Motive an, sondern ließ Sokrates im Phaidon philosophisch 24 6. Aristoteles hat sich oft und an verschiedenen Stellen über das Gehirn geäußert. Die überlieferten Zeugnisse überragen quantitativ weit jene dürftigen Nachrichten, die aus der vorsokratischen Philosophie erhalten blieben. Man kann also ziemlich genau seine Konzeption erkennen: Größere Abschnitte mit interessanten Zeugnissen dazu finden sich in den Schriften Historia animalium, De partibus animalium und De generatione animalium, aber auch in anderen Teilen des Corpus Aristotelicum. Vor allem ein Abschnitt aus De partibus animalium besitzt in diesem Zusammenhang große Bedeutung10, denn er enthält den Grundriss seiner philosophisch durchdachten Hirntheorie11. Wenn der Demiurg den göttlichen Samen (eine geistige Potenz von göttlicher Qualität) auf ein dafür geeignetes Saatfeld wirft, dann heißt das: Der intellektuelle, unsterbliche Teil der Seele, der Geist, benötigt einen spezifischen Boden, auf dem er gedeiht und wächst. Der Geist gilt dann zwar als ein Gewächs des Gehirns, aber sein Ursprung liegt nicht in diesem materialen Substrat. Platon bestimmte das Gehirn demnach anders als Alkmaion: Es ist zwar ein besonderer leiblicher Stoff, aber nicht mehr. Insofern qualifizierte er dieses Organ ab und verweigerte ihm jenen Status, den der Pythagoreer ihm einst gewährte. Diese Tendenz setzte sich bei Aristoteles fort und sollte erst nach ihm wieder eine Korrektur erfahren. Neben zahlreichen anderen Problemen besprach Aristoteles dort auch die seit dem Anfang der Philosophie gestellte Frage nach der Beziehung zwischen Gehirn und sinnlicher Wahrnehmung. Dabei verfuhr er gemäß einer vielfach erprobten Methodik seines Denkens: Während heute oft Forschungen zur Geschichte der Philosophie und die Ausarbeitung neuer Denkentwürfe, also historisches und systematisches Denken, auseinander fallen, formte der Stagirit seine eigenen Konzeptionen im Dialog mit den Alten; er ließ ihre Meinung nach Art der Moderne nicht einfach rücksichtslos hinter sich, sondern griff konstruktiv auf die Thesen seiner Vorgänger zurück. Aristoteles begriff, dass diese Theoretiker ihm erst jenen Denk-Raum eröffneten, in dem er seinen eigenen Standpunkt verorten konnte. 5. Von allen antiken Gehirntheorien hat die Konzeption des Aristoteles den schlechtesten Ruf. Man misst sie an den gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und tut ihr und ihm damit Unrecht, denn in einer Zeit, in der Neurowissenschaftler in der Gehirnforschung von Computern gesteuerte Verfahren zur bildlichen Darstellung innerzerebraler Prozesse einsetzen, ist es leicht, einen antiken Denker und Naturforscher zu kritisieren, dem das empirische Wissen der Neuzeit und ihre sensationelle Technik nicht zur Verfügung standen. Gewöhnlich fassen populärwissenschaftliche Schriftsteller die Hypothesen des Aristoteles zu Aufbau und Funktion des Gehirns auf folgende Weise zusammen: Dieses Organ, so heißt es, fehle nach der Auffassung des Stagiriten jede Beziehung zur Intellektualität des Menschen. Es erfülle nach seiner physiologischen Vorstellung lediglich eine Kühlfunktion für das zirkulierende Blut. Anders als Platon vertrete Aristoteles keine zephalozentrische, sondern eine kardiozentrische Theorie, denn für ihn sei das Herz, nicht das Gehirn das Zentralorgan und damit der Sitz der Seele. Dass das alles offensichtlich falsch sei, wisse heute jeder. Daher setzte sich Aristoteles mit jener älteren Gehirntheorie auseinander, die einen Bezug zwischen Wahrnehmung und Gehirn postulierte. Namen nannte er allerdings nicht. Weil er das Herz für das eigentliche Prinzip der Sinnlichkeit hielt, stimmte er dieser älteren These nicht zu, sondern glaubte, dass das Gehirn nicht der Urheber der sinnlichen Wahrnehmung sein könne. Aristoteles behauptete das nicht nur, sondern führte einen empirischen Beweis für seine Behauptung an; das Gehirn, so meinte er, ist empfindungslos (ἀναίσθητος)12: Es gilt, diese oberflächlichen Interpretationen zu stoppen und Aristoteles wieder selbst sprechen zu lassen. Nur wer seine Texte liest und sie aus ihrem Kontext begreift, kann qualifizierter über die aristotelische Gehirntheorie des Aristoteles urteilen: Die oben genannten gängigen Meinungen über die Gehirntheorie des Aristoteles sind zwar zum größten Teil, aber nicht völlig richtig. Wer genauer hinsieht, kann nämlich in der Gehirntheorie des Aristoteles wichtige, bisher wenig beachtete Momente wahrnehmen: Schon die Tatsache, dass Aristoteles auf diesem Gebiet – anders als Platon – nicht mit mythologischen Bildern operierte, bewirkte einen erheblichen Erkenntnisfortschritt. „…auch vermittelt es keinerlei Empfindung, da es selbst empfindungslos ist, wie jede andere Ausscheidung; da sie aber nicht entdeckten, aus welcher Ursache sich einige der Sinne bei den Tieren am Kopfe befinden, und doch sahen, dass dieser eigentümlicher ist als die übrigen Teile, so brachten sie beides durch einen Vernunftschluss mit einander in Verbindung. Dass übrigens der Ursprung der Sinne in der Umgegend des Herzens liege, wurde schon früher in den Bemerkungen über die Empfindung dargetan…“13 25 ANTIKE INTERDISZIPLINÄR ANTIKE INTERDISZIPLINÄR erstmals zur Diskussion stellten, ist immer noch ungeklärt. Nach Ansicht mancher Theoretiker bleibt sie wohl noch lange eine offene Frage. Ein Sinnesorgan, so Aristoteles, fühlt und reagiert auf Reize. Was keine Empfindung zeigt, so schloss er, ist daher auch kein Empfindungsorgan; und da das Gehirn, wie die Erfahrung zeigt, nicht auf Berührungen reagiert, kann es auch keine Beziehung zwischen Gehirn und Wahrnehmung geben. 1 Ob Aristoteles dabei auf eigene Forschungen zurückgriff oder ältere Literatur herbeizog, muss offen bleiben. Jedenfalls schob er die These über die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Gehirn nicht einfach (wie Platon im Phaidon) beiseite, sondern bezog sich zu ihrer Widerlegung auf die medizinische Erfahrung. 2 3 Mit diesem Hinweis auf die Unempfindlichkeit des Gehirns hob er zudem ein Phänomen hervor, das noch in der gegenwärtigen Medizin große Bedeutung besitzt: Der moderne Neurochirurg nutzt es auf vielfältige Weise bei operativen Eingriffen ins Gehirn. 4 5 6 7 7. Die spätere antike Forschung nach Aristoteles ging schnell neue Wege: Alexandrinische Ärzte korrigierten zahlreiche Auffassungen des Stagiriten zur Anatomie und Physiologie des Gehirns. Galen kehrte in gewisser Weise sogar zu Platons Gehirntheorie zurück. Von ihm lernten dann die Araber und stellten ihn aus Hochachtung sogar neben Aristoteles. Jedenfalls beeinflusste die Differenz zwischen der Konzeption Galens und der Gehirntheorie des Aristoteles Mediziner und Philosophen noch bis weit über das Mittelalter hinaus. 8 9 10 11 12 13 Gegenwärtig wissen wir sehr viel mehr über Gehirn und Wahrnehmung, aber die Beziehung zwischen Geist und Gehirn, die einige originelle antike Philosophen Vgl. U. R. Jeck, „Geist und Gehirn in der Antike“, in: Ch. Jamme, U. R. Jeck, Natur und Geist. Die Philosophie entdeckt das Gehirn, München 2013, 51-73. Vgl. G. S. Kirk, J. E. Raven, M. Schofield, Die vorsokratischen Philosophen. Einführung, Texte und Kommentare, Stuttgart, Weimar 1994. Vgl. H. Diels, W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, 18. Aufl., Zürich, Hildesheim 1989, (24 [14]) 210-216. Ebd., (24 [14] A. 5), 212, 6-7. Vgl. Platon, Phaedo, in: Platonis opera I, Oxonii 1900, 79172. Vgl. G. Figal, Sokrates, München 2006, 86. Platon, Phaidon, 96a6-c2, in: Sämtliche Werke. Bd. 3, Hamburg 1958, 46. Vgl. Platon, Timaeus, in: Platonis opera IV, Oxonii 1902. Platon, Timaeus, 73c6-d2, in: Sämtliche Werke, Bd. 6, Hamburg 1959, 195. Vgl. Aristoteles, De partibus animalium, in: Aristotelis Opera ex. rec. I. Bekkeri ed. Academia Regia Borussica. Editio altera quam cur. O. Gigon. Volumen primum, Berolini MCMLX (1960), 639a-697b. Vgl. Ders., ebd. II 10, 656a3-b36. Vgl. Ders., ebd. II 10, 656a23-24: τῶν τ’ αἰσθήσεων οὐκ αἴτιος οὐδεμιᾶς, ὅς γε ἀναίσθητος καὶ αὐτός ἐστιν ὥσπερ ὁτιοῦν τῶν περιττωμάτων. Vgl. Aristoteles, De part. animal. II 10, 656a23-29, in: Werke. III. Schriften zur Naturphilosophie. Neuntes Bändchen. Von den Theilen der Thiere. Vier Bücher. Uebers. u. erl. v. Ph. H. Külb, Stuttgart 1857, 1194. Der gallische Flechtwerkmann und der Folk Horror Auf den Spuren Caesars und Strabos in Robin Hardys The Wicker Man EIN ARTIKEL VON ALEXANDER SCHRÖDER antiker Quellen zurück. Der Artikel zeichnet den verschlungenen Pfad des Motivs von Caesar und Strabo bis hin zu einer der größten Ikonen des britischen Horrorkinos nach. „Let’s face it, there are strange communities in this world.“1 - Christopher Lee D ie geheimnisumwitterte Filmproduktion The Wicker Man, deren vollständige Version als verschollen gilt, wirkt bis heute einflussreich in der Populärkultur nach. Der brennende Flechtwerkriese, im Film Teil eines archaischen Fruchtbarkeitsrituals, ist jedoch keine Neuerfindung, sondern geht auf die Beschreibungen Als „CITIZEN KANE of horror films“2 wurde Robin Hardys The Wicker Man (1973) einmal bezeichnet. Gemeinsam mit Witchfinder General (1968) und Blood on Satan’s Claw (1971) etablierte er ein neues Subgenre des britischen Horrorfilms, welches mit den klassischen 26 kaum spektakulärer opfern. Hardy und Drehbuchautor Anthony Shaffer waren der festen Überzeugung, der Film brauche ein wirkmächtiges Symbol, um seine beunruhigende Wirkung zu entfalten. In der vorchristlichen keltischen Praxis des Brandopfers im Weidenmann wurden sie fündig, so Hardy: „It was the most alarming and imposing image that I have […] ever seen – and I thought: That’s it!“3 Schauermotiven der populären Gothic HorrorProduktionen brach. Die Vertreter dieser neuen, als Folk Horror bezeichneten Strömung, verlegten ihre Handlung aus den spukenden Schlössern und modrigen Gruften in die abgelegene Peripherie der britischen Inseln. Anstelle der Vampirfiguren, Wolfsmenschen, Gespenster und Frankensteinschen Homunkuli, welche die früheren, meist an Shelley oder Stoker orientierten Filme bevölkerten, sahen sich ihre Protagonisten mit den bizarren Erscheinungen einer archaischen Welt konfrontiert, die dem Geist der Moderne gänzlich fern stand: Heidentum, Aberglaube und Hexerei – Elemente, welche die Zivilisation durch Wissenschaft und Kirche längst hinter sich gelassen hatte, die in jenen abgelegenen Winkeln des Königreiches jedoch noch zu florieren schienen. Gewalt und Blutvergießen – obwohl insbesondere in Blood on Satan’s Claw durchaus präsent – rückten hinter einen subtileren, elementaren Grusel zurück, der seine Wirkung durch eine sich bei den Protagonisten einschleichende Vorahnung entfaltete, die ihre Selbstgewissheit durch die Konfrontation mit dem Unbegreiflichen nach und nach verloren. Hinter der geordneten, durch Wissenschaft und/oder christlichen Glauben erklärten und erschlossenen vermeintlichen Realität, lauerte noch etwas Anderes, Älteres – und Albtraumhaftes. Christopher Lee spielt Lord Summerisle. Wenn auch gallische Menschen- und/oder Brandopfer mehrfach in der antiken Geschichtsschreibung thematisiert werden, ist der Brauch des Weidenbzw. Flechtwerkmannes ausgesprochen schlecht nachzuvollziehen. Er findet sich nur an zwei Stellen, zuerst in Caesars Gallischem Krieg: Die abgelegene, ländliche Kulisse in The Wicker Man ist die fiktive schottische Summerisle. Der pflicht- und selbstbewusste Gesetzeshüter und gute Christ Neil Howie (Edward Woodward) folgt einem mysteriösen Schreiben, in welchem er um Hilfe auf der Suche nach einem verschwundenen Mädchen gebeten wird, auf die Insel. Dort sieht er sich bald mit einem wahren Kuriositätenkabinett karnevalesker Riten, heidnischer Naturverehrung und sexueller Ausschweifungen konfrontiert, das für ihn nach und nach zum Albtraum wird. Die Insulaner um den schillernden, stets etwas zu gut gelaunten Lord Summerisle (Christoper Lee) wollen nichts von einer Vermissten wissen; stattdessen wächst in Howie, der sich selbst immer weiter in das Treiben dieser fremden Welt verstrickt (so versucht die Wirtstochter Willow (Britt Ekland) sogar, ihn durch ekstatischen Tanz und Gesang zu verführen), ein furchtbarer Verdacht: Die kleine Gemeinde bereite ein primitives Opferritual vor, in dem das verschwundene Mädchen möglicherweise das Schlimmste erwarte. alii immani magnitudine simulacra habent, quorum contexta viminibus membra vivis hominibus complent; quibus succensis circumventi flamma exanimantur homines. Andere [gallische Druiden] haben Standbilder von ungeheurer Größe, deren aus Ruten geflochtene Glieder sie mit lebenden Menschen anfüllen; dann zündet man unten an, die Menschen werden von der Flamme eingeschlossen und kommen darin um4. Grund für die Opferung von Menschen, welche von den Druiden vorgenommen werde, ist nach Caesar zumeist das Leiden unter schwerer Krankheit („morbus gravis“), eine bevorstehende Schlacht („proelium“), oder sonstige Gefahr („periculum“). Die Gallier hingen nämlich der abergläubischen Vorstellung an, ihre Götter forderten stets ein Leben im Austausch für ein Leben: … quod pro vita hominis nisi hominis vita reddatur, non posse aliter deorum immortalium numen placari arbitrantur, publiceque eiusdem generis habent instituta sacrificia. Der namensgebende Wicker Man taucht erst in der finalen Szene des Films auf. Hier laufen alle Fäden zusammen: Es handelt sich tatsächlich um ein Brandopfer, wenn auch nicht ganz unter den von Howie befürchteten Umständen. Der Weidenmann fungiert hierbei als eine turmhohe Ikone heidnischen Brauchtums, kann man jemanden oder etwas doch … weil sie meinen, die unsterblichen Götter könnten nur besänftigt werden, wenn man für das Leben eines Menschen wiederum ein Menschenleben darbringe; auch im Namen des Stammes finden solche Opfer regelmäßig statt.5 27 ANTIKE INTERDISZIPLINÄR ANTIKE INTERDISZIPLINÄR Besonders beliebt sei die Opferung von mutmaßlichen Verbrechern („eorum, qui in furto aut in latrocinio aut aliqua noxii sint comprehensi“). Dies sind jedoch bereits alle Informationen, welche Caesar über den Flechtwerkmann liefert. Auch seine einzige andere Erwähnung in antiken Quellen, in Strabos Geographie, lässt nicht viel mehr Erkenntnisse zu; Strabo fügt Caesars Schilderungen lediglich hinzu, dass zusammen mit menschlichen Opfern auch Tiere in den Koloss (κολοσσός) gesperrt und verbrannt worden seien.6 Kolossalfiguren aus Flechtwerk oder Holz und Gras wurden hergestellt. Hier hinein steckte man lebende Menschen, Vieh und Tiere aller Art. Darauf wurden die Figuren in Brand gesteckt und mit ihrem lebendigen Inhalt verbrannt.7 Frazer sichtete Material des 17.-19. Jahrhunderts und fand zahlreiche „Kolossalfiguren“ im traditionellen Brauchtum.8 Obgleich zum Teil in keinster Weise anthropomorph und/oder mit irgendeiner Art von Opfer oder dessen Symbolik verbunden, fügte er Weidenkörbe, hölzerne Prozessionsfiguren und Scheiterhaufen gleich Puzzleteilen in sein Modell ein: Frazer zwischen antikem Opfer und ländlichem Brauchtum zog, als Infrastruktur für das, was Sergeant Howie einen gehörigen Kulturschock versetzt: In The Wicker Man geht es um Heidentum, wie dieses den bäuerlichen Alltag der Insulaner durchzieht, und darum, wie es die selbstgewisse Vorstellungswelt des Protagonisten aufsprengt. Der Rückbezug zur Antike stellt den Höhepunkt dar, entpuppt sich die keltische Opferpraxis doch als Fluchtpunkt, auf welchen die verschiedenen Ränkespiele des Films zulaufen. Der arme Howie ist auf der abgelegenen Summerisle nicht nur verloren im Raum, sondern auch in der Zeit. Shaffer, UK: British Lion Films, 1973. Fassung: The Wicker Man. The Final Cut, DVD Video, London: Studiocanal Limited 2013, Disc 1. 1 2 3 4 5 6 So lassen sich also die Opferriten der Gallier in den Volksfesten des heutigen Europa nachweisen. […] Die hier auftretenden Bräuche der Verbrennung von Riesen aus Flechtwerk […] werden gewöhnlich […] zur Zeit der Sommersonnenwende abgehalten. Hieraus dürfen wir schließen, daß die ursprünglichen Riten, deren entartete Nachkommen diese sind, um die Sommersonnenwende begangen wurden.9 Frazers Studien besitzen heute kaum noch fachliche Relevanz außerhalb der Wissenschaftsgeschichte und stehen bezüglich ihrer hochproblematischen ethischen Fragwürdigkeit ganz unter dem Stern ihrer Entstehungszeit. Bei seinem Erscheinen 1890 wirkte The Golden Bough jedoch bahnbrechend: Noch nie zuvor hatte sich jemand derart intensiv mit dem „Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker“, so der deutsche Untertitel, auseinandergesetzt. Und der Einfluss wirkt bis heute nach: „Read any book about the so-called celts, the so-called druids and you will come up with Julius Caesars great image of the wicker man itself“10, so der englische Historiker Ronald Hutton. Der brennende Weidenmann thront über der Insel. Wie kommt es also, dass diese spärlich beschriebene gallische Opferpraxis zentrales Element von The Wicker Man geworden ist? Weder liegt die Summerisle in Gallien, noch stellt Christopher Lee in seiner Rolle als gleichnamiger Landsherr einen „Druiden“ dar, obgleich er sich auf die keltischen Gottheiten Taranis und Nuada beruft; auch ist der das Wicker Man-Ritual begleitende mittelenglische Kanon, Sumer is Icumen In, offensichtlich nicht keltisch. Zwar droht der kleinen Inselgemeinde durchaus Gefahr („periculum“): Bisher trugen die Pflanzen der Insel aufgrund biologischer Besonderheiten ungewöhnlich reiche Frucht, welche seit einiger Zeit jedoch stark abzunehmen scheint. Doch wieso wurde von allen möglichen Opferpraktiken ausgerechnet der gallische Flechtwerkriese gewählt? Und es ist vor allem die Faszination der von Frazer gezeichneten vergangenen, verzauberten Welt, welche bis heute insbesondere Künstler anzieht – so auch im Falle von The Wicker Man. Obgleich fachlich in den 70er Jahren bereits überaus kritisch gelesen, bildet Frazer einen perfekten Ausgangspunkt für den Folk Horror: Für den frommen Sergeant Howie sind die Praktiken der Insulaner „entartete Nachkommen“ „primitiver“ Rituale, für ihn entfaltet sich hinter dem Maibaum, dem traditionellen Schwerttanz und der vielfältigen Tiersymbolik langsam aber sicher ein archaischer Schrecken. Die dem fachlich geschulten Zuschauer gebotene, scheinbar wirre Kollage – die apotropäischen Augensymbole am Bootsbug, der Green Man auf dem Schild des gleichnamigen Gasthauses, Feuerrituale, Schwerttanz, Karneval, die grausige, handförmige Hexenkerze11 auf Howies Nachttisch – entspringt keineswegs einer willkürlichen Zusammenstellung all dessen, was den Filmern interessant zu sein schien. Hardy und Shaffer nutzen die Verbindungen, welche Aufschluss gibt eine Bemerkung Robin Hardys, der Film sei maßgeblich vom Buch The Golden Bough (1890) des schottischen Religionsethnologen James G. Frazer beeinflusst. Frazer, dessen evolutionistische Religionstheorie eine Entwicklung von der Magie hin zur Religion und schließlich zur Wissenschaft beschreibt, begab sich auf Spurensuche in antiken Quellen ebenso wie in Märchen und volkstümlicher Folklore. Er versuchte, die evolutionären Ursprünge „bäuerlichen Aberglaubens“ ebenso wie christlicher Natursymbolik, etwa des Pfingstbaums, zu ergründen und ihre Entwicklung nachzuvollziehen. Aus Caesars und Strabos Beschreibungen zeichnet er ein Bild allgemeiner gallischer Brandopferkultur: 28 Quellen: 7 Gaius Julius Caesar: Der gallische Krieg. De bello gallico, hrsg., übers. u. erl. von Otto Schönberger, 4., überarbeitete Auflage, (Sammlung Tusculum), Berlin: Akademie 2013. Strabo: Geographica, übers. u. komm. v. A. Fobinger, Wiesbaden: Marix 2005. 8 Literatur: Bartholomew, David: The Wicker Man, in: Cinefantastique 6/3, (1977),S. 4-48. Frazer, James George: Der Goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, Reinbek: Rowolth 62011. Mannhardt, Wilhelm: Die Korndämonen. Beitrag zur germanischen Sittenkunde, Berlin: Harrwitz und Gossmann 1868. 9 Filmmaterial: 10 Burnt Offering: The Cult of the Wicker Man, Regie: Andrew Abbot/Russel Leven, UK: Nobles Gate 2001. Fassung: The Wicker Man. The Final Cut, DVD Video, London: Studiocanal Limited 2013, Disc 3. The Wicker Man, Regie: Robin Hardy, Drehbuch: Anthony 11 Zit. nach Bartholomew, David: The Wicker Man, in: Cinefantastique 6/3, (1977),S. 4-48, hier: S. 10. Ebd., S. 5. Burnt Offering (R: Andrew Abbot/Russel Leven, UK 2001), Min. 08-09. Caes. gall. 6,16,4. Caes. gall. 6,16,3. Vgl. Caes. gall. 6,16; Strab., geogr. 4,32,6. Frazer, James George: Der Goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, Reinbek: Rowohlt 2011, S. 949. Frazers Studie fußt hier maßgeblich auf der Arbeit des deutschen Volkskundlers Wilhelm Mannhardt. Dieser verstand verschiedene Elemente bäuerlichen Brauchtums – auch den Wicker Man – als Ausdruck einer an Ernte- und Jahreszeiten orientierten Opfertradition, der die Vorstellung einer rhythmischen Tötung und Wiedererweckung der Getreidegeister zugrunde lag. Vgl. Mannhardt, Wilhelm: Die Korndämonen. Beitrag zur germanischen Sittenkunde, Berlin: Harrwitz und Gossmann 1868, S. xi-xii. Frazer: Der Goldene Zweig, S. 952-953. Burnt Offering, Min. 08-09. Nach Frazer dienten derartige, „Hand des Ruhmes“ genannte Kerzen aus menschlichem Fett dazu, Schlaf- bzw. Paralysezauber zu wirken, vgl. Frazer: Der Goldene Zweig, S. 43-44. Die antiken Autobahnen auf See Erforschen Christoph Schäfer über die historische Rekonstruktion antiker Schiffe EIN INTERVIEW VON JULIA JENNIFER BEINE UND JOANA KADIR I des spätantiken Schiffes Laurons II. Leiter dieses DFG-Projektes ist Christoph Schäfer, Lehrstuhlinhaber der Alten Geschichte. Voller Begeisterung erklärt er uns hier die raffinierten Kniffe der antiken Schiffsbauer, zeigt uns die entsprechenden Werkzeuge und natürlich den Bauplan. Bei einem so spannenden Projekt haben wir auf unserer Exkursion nach Trier natürlich nicht widerstehen können und haben Schäfer um ein Interview gebeten. Mit Freude hat er uns für Nexus am 24.09.2018 einen Einblick in seine Arbeiten aus dem Bereich der experimentellen Archäologie gegeben. n einem unscheinbaren Container auf einem Parkplatz der Universität Trier, unweit des Gebäudes der Historischen Fakultät, steigt uns der Duft von frisch gehobeltem Holz in die Nase, um uns zahlreiche Gerätschaften zur Holzbearbeitung. Eine kleine Klettereinlage später und wir befinden uns auf dem Deck eines römischen Handelsschiffes – was unsere Historikerinnenherzen gleich höher schlagen lässt. Der Container ist natürlich keine Zeitreisemaschine, aber in ihm kann man einen Teil der römischen Geschichte mit allen Sinnen wahrnehmen: Hier nämlich entsteht die Rekonstruktion 29 ANTIKE INTERDISZIPLINÄR ANTIKE INTERDISZIPLINÄR Strom und Wind. Diese verfälscht natürlich die Daten, d. h. wir kriegen keine vergleichbaren Daten, mit denen wir nachher Modelle berechnen können […] Das alles kann man händisch ganz schwer machen, weil es einfach zu viele verschiedene Windwinkeldaten usw. gibt bei verschiedenen Windgeschwindigkeiten, Fahrgeschwindigkeiten etc. Es gibt Leute, die so etwas für historische Schiffe gemacht haben, aber das ist ganz selten. […] Das können wir alles mit diesem hochmodernen nautischen Instrumentarium sehr schnell und präzise erfassen. I. Ihr vielleicht ausgefallenstes Forschungsgebiet ist die antike Schifffahrt. Wie sind Sie dazu gekommen? Es gibt zwei Anlässe: Ich bin seit vielen Jahrzehnten Segler und dadurch mit Nautik und Wasser im Binnenbereich wie auf dem Meer sehr gut vertraut. Aber die eigentliche Idee für die erste Schiffsrekonstruktion stammte aus dem Kreis der Studierenden in Regensburg. Ich habe es am Anfang nicht ganz ernst genommen, so etwas zu bauen und dann zu testen, aber nachdem ich mir das alles in Ruhe überlegt hatte, haben wir uns ein paar Tage später zusammengesetzt, ein Konzept entwickelt und dann auf sehr abenteuerliche Weise von 2003 bis 2004 das allererste Schiff in Regensburg rekonstruiert. Dann haben wir ein Messinstrumentarium dafür entwickelt, welches es uns ermöglicht, die Leistungsdaten [des Schiffes] elektronisch zu erheben. Das ist das Spannende dabei; es ging von vornherein darum, dass wir die Leistungsfähigkeit der Schiffe herauskriegen wollten. II. Sie haben mit der Zeit ein Team aus NaturwissenschaftlerInnen und TechnikerInnen aufgebaut. Wie waren die ersten Reaktionen, als Sie mit Ihrem Anliegen an diese Leute herangetreten sind? Die waren eigentlich total klasse, denn ich habe noch keine einzige Absage gekriegt. Sie fanden das irgendwie cool. Das betraf einmal die Astrophysiker, die haben sich sowieso dafür interessiert und kamen sogar auf mich zu. Wir haben dann auch Chemiker aus der analytischen Chemie und Maschinenbauer in dieses Projekt eingebunden, also eine ganze Fülle an Kompetenzen, die wir selber nur teilweise oder gar nicht hatten. Überall – das muss man sagen – läuft man offene Türen ein, weil die Kollegen einen Mehrwert sehen in dem, was wir da tun; sehen, dass das nicht In diesem Fall ging es um die Frage der Grenzverteidigung auf Rhein und Donau mit dem Schiffstyp der Lusoria, welcher bei Ammian und Vegetius literarisch belegt ist – das ist ein Terminus Technicus für das Standardschiff auf diesen Flüssen. Im Mainzer Museum für Antike Schifffahrt haben wir einen hervorragenden Befund. Das sind Schiffe aus dem Ende des 4. Jh und sie sind so gut erhalten, dass man einen Nachbau anfertigen kann. Wir haben nur wenig Varianz in diesem Nachbau und wir können die Werte deshalb gut verwenden – sofern wir sie ordentlich messen. Die Messungen erfolgen über ein System1 , das wir adaptiert und an dem wir uns haben schulen lassen. Dann haben Astrophysiker der TUHH in Hamburg-Harburg – einer ist inzwischen am MIT in Massachusetts – im Laufe von 15 Jahren die Software immer weiterentwickelt und an unsere Bedürfnisse angepasst. […] Ein Blick in den noch leeren Schiffsbauch des Typs Laurons II: In der Antike lagerten hier die Handelswaren. auch abnimmt – am Anfang hätte die DFG niemals in so etwas investiert. Aber inzwischen sieht man es nicht mehr als high risk an, sondern hat gesehen, dass wir das solide machen, dass wir eine absolut nachvollziehbare Methode entwickelt haben, dass wir ein perfektes Messinstrument haben und entsprechende Partner, und das führt dazu, dass der Löwenanteil von der DFG kommt. Trotzdem sind Firmen aus der Region dabei. Da sind wir wirklich äußerst zufrieden; es ist aber auch immer stressig, so etwas zu pflegen und das alles anzuschieben. Am Ende klingt es locker, aber der Weg dahin ist nicht immer einfach. nur ein Amüsement oder Hobby, sondern ein klares Forschungsanliegen ist und man da ein Themenspektrum erweitern kann – auch das der Naturwissenschaftler, der Technikwissenschaftler, die darin einfach eine Herausforderung sehen; denn unsere Fragen sind nicht einfach. Das erfordert Arbeit, macht aber auch Spaß. […] III. Wie überzeugt man GeldgeberInnen davon, ein antikes Schiff zu bauen? Das ist ein ganz schwieriges Feld. Am Anfang war es eine Brauerei; der Brauereidirektor hat uns empfangen und wir haben ihm unser Vorhaben vorgestellt. Eingestiegen bin ich mit der Frage: „Sie kennen doch das Becks-Schiff?“. Dann haben wir uns darüber unterhalten; er war am Anfang etwas skeptisch, hat dann aber den Mehrwert darin gesehen, was das für Werbung gibt. Also haben wir ihm das Segel verkauft und das Schiff in den Farben der Brauerei angestrichen. Sonst hätten wir es nicht realisieren können, das muss man einfach sagen. Mir kam es nicht darauf an, ob da ein Banner drauf ist oder nicht, sondern mir ging es wirklich darum, dass wir die Chance nutzen, die Daten zu erheben. Und das hat am Ende geklappt. […] IV. Im Zuge Ihrer Forschung zur Schlacht von Actium haben Sie die dortigen Wind- und Strömungsverhältnisse gemessen und daraufhin die Hypothese entwickelt, dass Marcus Antonius höchstwahrscheinlich bewusst auf diese gesetzt habe, weil er sich so mit dem geringsten Verlust habe zurückziehen können. Es sei also keine überstürzte, unüberlegte Flucht gewesen. Sie haben Marcus Antonius, der in der augusteischen Literatur als der große Verlierer dargestellt wird, gewissermaßen rehabilitiert. Wie ist es zu diesem Projekt gekommen und hätten Sie mit diesem Ergebnis gerechnet? Ich habe damals, als wir die Möglichkeiten hatten, unser Schiffsinstrumentarium zu entwickeln, eine Biografie über Kleopatra geschrieben und da kam mir der Schlachtbericht schon komisch vor. Wir sehen − mit wenigen Ausnahmen − immer durch die augusteische Brille auf Antonius und das heißt, dass wir eigentlich sehr wenig sagen können. Je weiter wir bei solchen antiken Schlachtschilderungen forschen, umso mehr wird klar, wie wenig präzise sie sind. Es klingt wunderbar, wie das alles abläuft, aber das ist ein Narrativ und hat oft gar nichts oder nur am Rande mit der Realität zu tun. So verhält es sich etwa bei Herodot bezüglich der Schlacht von Plataiai, für die ich das schon vor längerer Zeit nachgewiesen habe. […] Genauso habe ich mich gefragt: Wie ist das eigentlich bei Actium? In der nautischen Literatur finden sich Hinweise, dass es eine Strömung gab. Durch die Erfahrung mit unseren Schiffen war [die Problematik] klar: Wie halte ich ein solches Schiff, ein gerudertes Kriegsschiff, bei einer solchen Strömung und bei entsprechenden Windverhältnissen auf der Stelle? Denn es klingt bei Plutarch und Cassius Dio, die im Wesentlichen die Quellen für die Schlacht bei Actium darstellen, so, als ob sich die gegnerischen Flotten stundenlang gegenüberstehen; alles ist wie eine Landschlacht aufgebaut. Auf See halten Sie diese Position nicht und schon gar nicht mit Hunderten von Schiffen, die brauchen Raum, um zu manövrieren, die driften ab! Das hat mich dazu gebracht, das genauer nachzuprüfen. Das neueste Schiff wird im Wesentlichen durch die DFG gefördert. Das [Projekt] ist im Fachkollegium sehr hoch gerankt worden, weil man es uns inzwischen In diesem Ofen werden die Planken zunächst ‚gekocht‘, bevor sie dann am Schiffskörper gebogen montiert werden. Dann kamen Anfragen, ob wir als Botschafter etwas für die LWL-Ausstellung IMPERIUM KONFLIKT MYTHOS (2009) machen würden. Hier bot sich eines der Oberstimm-Schiffe an: In Oberstimm bei Ingolstadt sind zwei hervorragend erhaltene, römische Flusskriegsschiffe oder Mannschaftsboote gefunden worden, und eines von denen haben wir nachgebaut und in Hamburg, auf dem Ratzeburger See und anderenorts durchgetestet. Wir haben Segeldaten und Ruderdaten bei beiden Schiffstypen erhoben; auch weil unklar war, wie wichtig das Segel ist. Dafür ist das System aus dem America’s Cup ganz besonders wichtig. Denn Sie haben in jedem Gewässer in der Regel Strömung und Sie haben eine Drift durch den Wind – der Fachmann spricht von Versetzung durch 30 31 ANTIKE INTERDISZIPLINÄR ANTIKE INTERDISZIPLINÄR Wir haben verschiedene Möglichkeiten, das zu tun: einmal über ganz normale Veranstaltungen, in denen wir maritime Themen behandeln – das muss nicht immer direkt mit dem Projekt zu tun haben; es geht auch um die Frage von Handelsverbindungen, Transaktionskosten und antike Wirtschaft, vor allem im römischen Bereich. […] Dann machen wir Exkursionen: Wir haben verschiedene Segel-Exkursionen in die Ägäis durchgeführt. Mit 27 bis 36 Teilnehmern auf 3 bzw. 4 Segelyachten sind wir die Inseln abgefahren, jeweils mit Referaten, Besichtigungen usw. Zwischendurch sind wir gesegelt, weil man da die Verhältnisse erlebt und nicht mehr nur theoretisiert, sondern spürt, wie es ist, wenn der Wind ein Schiff bewegt, und was das für Schwierigkeiten bereitet. Dazu bot sich die Gelegenheit, als das ZDF einen Kleopatra-Film für Abenteuer Wissen machte. […] Wir haben uns darauf geeinigt, dass sie uns 14 Tage Messungen in der Bucht von Actium ermöglichen. Wir sind die Bucht von Actium mit einem geliehenen Segelschiff abgefahren, mit unserem Messinstrumentarium. Das haben wir umgekehrt eingesetzt, denn wir kannten die Performance dieses Schiffes und konnten so die Abweichungen durch die Strömung und den Wind berechnen. Und das bei einem Szenario, das dem der Schlacht entsprach – da hatten wir Glück: es gab einen Sturm und dann zwei Tage Ruhe. So haben wir nach dem Sturm unsere Messreihen in der Bucht von Actium machen können; wir sind nur hin und her gefahren. Dabei haben wir gesehen, wie stark Strömung und Wind die Verhältnisse beeinflussen und dass die Schlacht nicht wie in den Quellen dargestellt funktioniert haben kann. Damit konnten wir die Geschichte erst einmal widerlegen; das heißt aber noch nicht, dass man etwas anderes dagegenstellt. Es gibt wilde Theorien, aber niemand hat Daten eingesetzt, und das haben wir versucht. Ich brauche nur endlich die Zeit, um es in Ruhe [für eine Publikation] auszuarbeiten (lacht). Wir haben einmal eine Segelausbildung in Holland gemacht, wo wir Leute mit kleinen Jollen zum Segeln gebracht haben – bis hin zur Prüfung! Wir nutzen auch die Möglichkeiten, die der Bachelor mit dem Praxismodul bietet: Nach einer Einführung durch unsere Leute, die schon am letzten Schiff mitgebaut haben und inzwischen so fit sind, dass sie rückgekoppelt mit dem Bootsbaumeister die Leitung der Arbeitsvorgänge übernehmen können, werden die Studierenden an die Arbeit herangeführt. Es gibt aber auch viele, die den Schein nicht brauchen und einfach nur mitbauen wollen; das ist natürlich eine tolle Sache. […] Insofern sind die Studierenden ganz stark in die Thematik und die direkte Projektarbeit eingebunden und werden auch beim Testen entsprechende Möglichkeiten haben. […] Es gibt auch viele ehrenamtliche auswärtige Helfer: Es kommen Leute aus der Region, Lehrer, Schüler, ein V. Sie binden auch Studierende in Ihr aktuelles DFG-Projekt Laurons 2 – Untersuchungen zu Potential und Intensität des römischen Seehandels unter besonderer Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit eines rekonstruierten seegängigen Handelsschiffs2 ein. Wie führen Sie die Studierenden an das Thema heran und vermitteln ihnen die notwendigen Kompetenzen zum Schiffbau? Christoph Schäfer vor seinem neuesten Projekt: Das römische Handelsschiff Laurons II. 32 wo wir entsprechende Bedingungen haben, die dann variieren müssen: Mal starken Wind, mal schwachen Wind, aus verschiedensten Richtungen, Strömung, keine Strömung […]. Darüber können wir wirklich solide Daten erheben und stellen so sicher, dass die Qualität stimmt. Wenn wir diese Daten für die Leistung des Schiffes haben, entwickeln wir weitere Modellrechnungen, und können dann mit diesen das Schiff über eine Simulation mit den jeweiligen Wetterdaten tausendfach virtuell fahren lassen. Das ist ein enormer Mehrwert, denn damit kommen wir auf diesem Sektor in die Quantifizierung hinein. Das ist eine Forschungsrichtung, die vor 10 Jahren in Oxford von Andrew Wilson losgetreten wurde, wobei wir auf diesem maritimen Sektor bisher alleine tätig sind. […] Schreinermeister im Ruhestand. […] Allein hier haben schon über 50 Studierende intensiv mitgebaut. VI. Wie weit geht die originalgetreue Rekonstruktion? Sind alle Arbeitsschritte und Materialien der Antike nachempfunden? Sind überhaupt alle in Quellen belegt? Wir haben einen sehr guten archäologischen Befund: Wir können das gleiche Holz nehmen oder ein Holz, das dem Original entspricht. Dann nehmen wir für die Nägel ein ähnliches Material – wir haben das antike analysieren lassen und nachgeschmiedet. Das sind Dinge, die sehr nah am Original liegen. Die Werkzeuge, die wir nutzen, sind teils elektrisch, für die grobe Arbeit: Bandsäge, Kreissäge etc. Aber für die Feinarbeit werden ganz normale Handwerkzeuge genommen, wie sie in der Antike eingesetzt wurden – mit Ausnahme der Bohrmaschine: Der [antike] Handbohrer wird durch einen Akkubohrer ersetzt, einfach weil es sonst zu lange dauern würde. Und Sie können mir glauben, dass die Kommilitonen keine Lust haben, ewig mit einem Handbohrer zu bohren. Wir sind keine Reenactors; es ist wirklich experimentelle Archäologie: Wir wollen nicht nachfühlen, wir wollen möglichst exakt gemessene Ergebnisse haben. […] Das Polardiagramm Ein Polardiagramm beschreibt die Eigenschaften eines Schiffs, wenn es in verschiedene Richtungen segelt. Direkt gegen den Wind kann man nicht segeln, aber man kann seitlich zum Wind, sogar leicht gegen den Wind segeln und wenn man etwas stärker gegen Wind segelt, dann kann man sich im Grunde auch gegen die Windrichtung sehr langsam und aufwendig hochhalten. Das nennt der Fachmann die Höhe am Wind (denn man gewinnt Höhe gegen den Wind). Das ist der Kern des Polardiagramms; da können wir nämlich bei jeder Windrichtung, jeder Windstärke die Bewegung des Schiffes in der entsprechenden Richtung bei entsprechender Segelstellung dokumentieren und das sieht dann am Ende so aus wie ein Apfel. VII. Sie möchten mit den rekonstruierten Schiffen Erkenntnisse über die antike Schifffahrt gewinnen. Wie stellen Sie sicher, dass die Ergebnisse authentisch sind? Schließlich müssen Sie teils eine Zeit von 2.000 Jahren überbrücken. Wir bauen keine Phantasiegebilde, wir bauen nicht nach Reliefs oder nach Vasenbildern und ein paar schriftlichen Informationen, sondern es bildet immer ein sehr guter archäologischer Befund die Grundlage und deshalb ist die Varianz bei den Schiffskörpern sehr gering. Wir kommen so sehr nah ans Original heran. Dabei arbeiten wir mit dem Kollegen Ronald Bockius (das ist der Direktor des Museums für Antike Schifffahrt in Mainz) sehr eng zusammen, weil der wiederum in der Lage ist, die Risszeichnung der Schiffe zu machen. Dann haben wir mit Maschinenbauern und mit Konstrukteuren entsprechende Konstruktionsmodelle entwickelt; zum Teil mit 3 D-Verfahren, wo man virtuell Schiffsplanken anzeichnen kann – man projiziert sozusagen ein Objekt direkt in den Raum. […] Insgesamt kommen wir dadurch unheimlich gut an die ursprüngliche Konstruktion heran; da ist nicht viel an Variabilität. Wenn wir schon die Konstruktion des Rumpfs und des restlichen Apparats so nah am Original haben, wie das der Fall ist, dann kommt unser Messinstrumentarium ins Spiel, das absolut exakt ist. Wir versuchen, Messszenarien herzustellen, VIII. Rechnen Sie mit einem ähnlichen Erkenntnisgewinn wie bei Ihrem Actium-Projekt? Bei Actium haben wir eine interessante Beobachtung. Sie wird unsere Sichtweise vielleicht etwas korrigieren, aber wir kennen den Ausgang des Krieges: Auch wenn Antonius die Seeschlacht vielleicht mit Vorteil für sich beendet hat, hilft es nichts, am Ende sind sie [i. e. Antonius und Cleopatra] tot. Beim aktuellen Projekt geht es eigentlich viel weiter, weil wir schon darüber nachdenken, ob wir die für die Kaiserzeit entwickelte Methode übertragen können, beispielsweise ins Mittelalter. […] Damit sind wir in einer ganz modernen Diskussion: Wenn man heute Wirtschaftsgeschichte für die Antike betreibt, dann muss man sich mit der Neuen Institutionenökonomik auseinandersetzen. Einer meiner Doktoranden hat eine preisgekrönte Dissertation geschrieben, in der er aus eigenem Antrieb ein Berechnungsmodell entwickelt hat, das sich an den heutigen Modellen und Komponenten aus dem Handel orientiert und sie in die Antike 33 ANTIKE (INTER-)NATIONAL ANTIKE INTERDISZIPLINÄR Ja, wir haben Geschütze gebaut, zusammen mit den Kollegen der Universität Osnabrück, der Bundeswehr-Universität in Hamburg und einer Schule in Ising in Bayern.4 […] Weil die Geschütztypen nicht so gut nachzubauen sind – da gibt es gute Befunde, was das Metall angeht, aber schlechte, was das Holz angeht – haben wir 3 Varianten aus 5 Jh. gewählt, die dann mit den unterschiedlichsten Materialien durchgetestet und mit Hilfe von Ballistikern gemessen wurden. Als Wissenschaftler brauche ich solide Daten und in diesem Fall sind die Flugkurven das Entscheidende. […] Ansonsten haben wir noch ein kleines Projekt – aber da bin ich nur ein kleinerer Partner – zu sumerischem Bier. Die Orientalistik und Theologie haben mich da angefragt. Wir arbeiten mit einer großen Brauerei, mit Bitburger, zusammen und versuchen da, eine neue Interpretation der sogenannten Ninkasi-Hymne, einer Art Bierbraurezept, zu schaffen und diese in der Praxis umzusetzen. überträgt (also Liegekosten, Gebühren, Zölle, Umladen, Verluste etc.). Allerdings fehlte ihm noch das Polardiagramm zu einem antiken Handelsschiff.3 Auf der Basis dieser Berechnungsmodelle können wir das nächste Projekt weiter treiben, denn jetzt können wir zum ersten Mal ein antikes Handelsschiff messen und kriegen ein richtiges Polardiagramm. Damit können wir dann sehen: Was passiert, wenn ich am 3. März, in Hispalis (Sevilla) ein Schiff losschicke? Mit welcher Fahrzeit muss ich maximal rechnen; wie sieht es mit der Wahrscheinlichkeit für eine längere Fahrtzeit aus; wie hoch ist das Risiko, dass es nicht ankommt usw.? […] Das ist das, was wichtig wird, wenn wir über Transportkostenökonomie reden; darüber, was das Schiff wirtschaftlich abwirft und wie ein Reeder, ein Eigner eines Schiffes oder der Kaufmann, der die Ladung verschiffen will, kalkuliert. Damit kann ich die Computer-Schifffahrtsmodelle noch viel präziser fahren. Darüber wissen Sie jetzt auch, wie die Autobahnen über See laufen, und oftmals sind das Einbahnstraßen. Die Straße von Messina beispielsweise, da fährt man nicht nach Norden durch, sondern außen um Sizilien herum – wer weiß das schon? Auch, wie stark diese Autobahn ist, können wir zeigen und wir können anhand der Rahmenbedingungen die Wahrscheinlichkeit dafür bestimmen, wo es lang geht. Das versetzt uns in die Lage, neue Aussagen über den antiken Handel zu treffen. XI. Sehen Sie sich in 10 Jahren mit einem Ihrer Schiffe über das Mittelmehr fahren? Ich hoffe, dass es nicht 10 Jahre dauert, denn das ist eigentlich der Plan beim aktuell im Bau befindlichen Schiff. […] Wir wüssten gerne: Wie verhält sich ein solches Fahrzeug bei schwerem Wetter, d. h. bei Starkwind, vielleicht sogar bei Sturm, das wäre eine Herausforderung. Das finde ich wichtig – mal schauen, ob wir das finanziert kriegen. Erst einmal muss es schwimmen, aber da bin ich optimistisch – wir haben bislang ja alle Schiffe zum Schwimmen gebracht – und dann muss man weitersehen. Das wäre noch ein Traum. IX. Was passiert mit den Schiffen, wenn die Projekte abgeschlossen sind? Werden sie z. B. Museen zur Verfügung gestellt? Die Schiffe fahren zum allergrößten Teil. Die Victoria, die in Hamburg gebaut worden ist, war viel auf Tournee und liegt ansonsten meistens in Haltern auf dem Trockenen, weil sie dort nicht fahren darf; aber das Schiff in Germersheim ist in Betrieb. Pro Jahr schleusen die Betreiber rund 6.000 Leute auf 300 Fahrten durch dieses Schiff, die nach einer professionellen Instruktion alle selbst gerudert sind. […] Das neueste Schiff wird erst einmal in Trier bleiben. […] Wir würden Laurons II nur für wissenschaftliche Zwecke, für die Ausbildung von Studierenden und für außergewöhnliche Events nehmen; […] wenn diejenigen, die das Ganze unterstützt haben, irgendetwas mit dem Schiff anfangen wollen. […] Ich denke, es hat in dem Moment seinen Dienst getan, wo wir das Polardiagramm ermittelt und das Schiff vielleicht auch bei schwerem Wetter getestet haben. Wir drücken die Daumen und bedanken uns für das Interview! 1 2 3 X. Leiten Sie noch weitere Projekte in der experimentellen Archäologie? 34 Bei der Software handelt es sich um das NX2, das ursprünglich von SILVA, einem schwedischen Instrumentenhersteller für Yachten und Rennsport, entwickelt worden ist. Ausführliche Informationen zu dem Projekt finden sich hier: Alte Geschichte Universität Trier: Rekonstruktion eines römischen Handelsschiffs Laurons 2. https://www.uni-trier.de/ index.php?id=62438; Labor für Digitale Produktentwicklung und Fertigung: LAURONS II: 3D-Rekonstruktion und Simulationen zur Leistungsfähigkeit eines seegängigen römischen Handelsschiffes. https://www.hochschule-trier.de/ hauptcampus/technik/labor-fuer-digitale-produktentwicklung-und-fertigung-ldpf/projekte/laurons2/ (zuletzt abgerufen am 12.12.18). Stattdessen hat er die Leistungsdaten aus Militärschiffen wie der Gorch Fock u. a. extrapoliert. Für die Berechnung hat er eine Software genutzt, die ein Neuseeländer im Rahmen des Volvo Ocean Race entwickelt hat. 4 Ausführliche Informationen zu dem Projekt finden sich hier: Alte Geschichte Universität Trier: Rekonstruktion und Test römischer Feldgeschütze. https://www.uni-trier.de/index.php?id=65223 (zuletzt abgerufen am 12.12.18). Die Welt ist ein Buch… Teil 2: Brücken Schlagen mit PONS VON JULIA JENNIFER BEINE UND JOANA KADIR B Ansprechpartnerin; sie hat bereits PONS-Archäologie (2010–2015) betreut. In jedem Fach und an jedem Standort gibt es AnsprechpartnerInnen für die Studierenden. ei dem Wort „Pons“ dürften LateinkennerInnen an eine Brücke denken oder viele SchülerInnen und Studierende an den bekannten Wörterbuchverlag, doch wohl nur wenige dürften das Wort mit einem innerdeutschen, universitären Austauschprogramm assoziieren. 2010 hat PONS als ein Netzwerk deutscher archäologischer Institute angefangen, heute umfasst es 12 weitere geisteswissenschaftliche Fächer an derzeit 37 deutschen Universitäten (Stand: Dezember 2018). In dem Programm sind auch 8 altphilologische Institute vertreten. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu PONS. III. Welche Universitäten und Fächer nehmen teil? An der Ruhr-Universität Bochum nehmen die Alte Geschichte, Germanistische Mediävistik, Gender Studies, Anglistik/Amerikanistik, Klassische Archäologie und Ur- und Frühgeschichte an PONS teil. Im Fachbereich Klassische Philologie nehmen die Universitäten Freiburg, Gießen, Göttingen, Heidelberg, Köln, Leipzig, Mainz und Würzburg teil. I. Was ist PONS? „PONS bedeutet Brücke und genau das möchte das PONS-Projekt sein. Eine Brücke zwischen den deutschen Universitäten – eine Brücke für die Studierenden! Mit PONS ist es möglich, ein bis zwei Semester während des Studiums an einer anderen deutschen Universität zu studieren – quasi eine Art Erasmus in Deutschland.“1 Der Name PONS steht dabei auch für: Persönlichkeit, Orientierung, Netzwerk und Spezialisierung sowie Kompetenz. IV. Wie viele Plätze gibt es pro Semester und Fach? Pro Semester und Fach stehen in der Regel bis zu 5 Plätze für PONS-Studierende zur Verfügung. V. Wie können sich Studierende bewerben? Studierende sollten die Bewerbungsfristen berücksichtigen und eine entsprechende Vorbereitungszeit einplanen. Die Frist für das Wintersemester ist der 15. Juni, die fürs Sommersemester der 15. Januar. Die Bewerbung betreut der/die zuständige StudienfachberaterIn oder der/die PONS-Beauftragte des Heimatseminars. 14 Tage nach Bewerbungsschluss wird die Entscheidung mitgeteilt. Die Auswahlkriterien sind die fachliche Durchschnittsnote, der bisherige Studienverlauf und besondere fachliche Qualifikationen sowie die Teilnahmebegründung. Die Bewertung erfolgt durch Punkte: Max. 7 Punkte können für die Durchschnittsnote vergeben werden; Teilnahmebegründung und Qualifikation zusammen können ebenfalls mit max. 7 Punkten bewertet werden. Beide Punktevergaben sind dabei für die Entscheidung gleichrangig. II. Wer sind die Personen hinter PONS und wie ist PONS entstanden? Die Projektidee stammt von Johannes Bergemann (Klassische Archäologie, Göttingen). Er hat 2009 einige KollegInnen aus der Klassischen Archäologie dafür gewinnen können, den Studierenden an zunächst 9 archäologischen Instituten den Studienortswechsel wieder zu ermöglichen. Vor den Bologna-Reformen war ein solcher Wechsel problemlos möglich und in der Archäologie üblich gewesen; nach den Bologna-Reformen und der Einführung ganz unterschiedlicher B.A.- und M.A.-Studiengänge ist die Mobilität innerhalb Deutschlands fast unmöglich geworden. 2014 ist das Projekt dann auf 24 archäologische Institute in Deutschland ausgeweitet worden und seit Ende 2015 sind 12 weitere Fächer dazu gekommen. VI. Wirkt sich eine Teilnahme an PONS auf den BAföG-Bezug und dessen Förderungshöchstdauer aus? PONS ist auch für BAföG-EmpfängerInnen möglich, dabei muss jedoch auf den Studierendenstatus geachtet werden. Es kann z. B. besser sein, sich nicht beurlauben Die zentrale Koordination ist in Göttingen angesiedelt. Dort ist Rebecca Diana Klug die allgemeine 35 ANTIKE (INTER-)NATIONAL ANTIKE (INTER-)NATIONAL zu lassen und an der Gasthochschule als ZweithörerIn oder ähnliches immatrikuliert zu sein. Auf die Förderungshöchstdauer wirkt PONS sich nicht aus. Wichtig ist es, frühzeitig mit dem Fachberater und dem BAföGAmt Kontakt aufzunehmen und die individuellen Möglichkeiten zu besprechen. da auch das Nebenfach/Begleitfach studiert werden kann – es sei denn, es gibt dieses an der gewünschten Gastuniversität nicht. PONS erhebt allerdings keine statistischen Daten über den tatsächlichen Studienabschluss der TeilnehmerInnen, sodass die Theorie nicht in der Praxis nachgeprüft werden kann. VII. Unterstützt PONS Studierende bei der Wohnungssuche? Gibt es diesbezügliche Kooperationen? PONS unterstützt Studierende bei der Wohnungssuche, kann aber keine Garantie für eine Wohnung geben. Es ist geplant, mit den jeweiligen Studentenwerken an den Standorten zu verhandeln und Zimmer zu reservieren, um eine langfristige Lösung schaffen zu können. XII. Wie viele Studierende haben bereits teilgenommen? Ca. 100. XIII. Was bedeutet eine Teilnahme für Institute? Entstehen für sie Kosten? Für die Institute entstehen keine Kosten. Für eine Teilnahme muss zum einen ein/-e Kooperationsbeauftragte/-r benannt werden, um den Kontakt zur Zentralen Koordination (aktuell in Göttingen) zu halten; zum anderen wird ein Beratungsangebot benötigt, das sich an die eigenen und an die ankommenden Studierenden richtet. Dies kann aber in der Regel von der/dem StudienfachberaterIn oder ERASMUS-Beauftragten übernommen werden. Es sollte jedes Semester eine Informationsveranstaltung stattfinden; alternativ kann PONS aber auch in den Kursen vorgestellt werden (z. B. in den ersten 10 Minuten der ersten Sitzung). VIII. Gibt es Stipendien für Studierende? Ja, pro Semester und pro teilnehmendem Fach werden bis zum WiSe 2019/20 pro Semester und pro Fach 5 bis 6 Stipendien in einer Höhe von 250€ monatlich vergeben. Ermöglicht werden sie durch die Projektförderung der VolkswagenStiftung. Die Auswahlkriterien sind dieselben wie für die Teilnahme. IX. Wer finanziert PONS? PONS-Archäologie (2010–2015) hat den bundesweiten Wettbewerb „Bologna – Zukunft der Lehre“ gewonnen, der von der VolkswagenStiftung und Stiftung Mercator veranstaltet worden ist, und auch PONS-Geistes- und Kulturwissenschaften wird durch die Förderung der VolkswagenStiftung ermöglicht (2015–2019).2 XIV. Was sind die Vorteile und Nachteile des Programms? Vorteile: 1.Es ist wieder möglich, das Studium an mehreren deutschen Universitäten zu absolvieren, wie es in vielen Fächern im Magister üblich gewesen ist. 2.Studierende können komplementäre Lehrangebote an einem anderen Studienort nutzen. 3.TeilnehmerInnen haben die Möglichkeit, ihren Studienverlauf aktiv zu gestalten und individuelle Schwerpunkte zu setzen. 4.Studierende profitieren von einem Wissensaufbau und Ausbau persönlicher und fachlicher Kompetenzen. 5.TeilnehmerInnen können Kontakte für ein weiterführendes Masterstudium, eine Promotion, Praktika oder die spätere Berufslaufbahn knüpfen. X. Das Studium an der Heimatuniversität und das an der Gastuniversität unterscheiden sich im Aufbau und den einzelnen Veranstaltungen. Können sich Studierende trotzdem alle besuchten Veranstaltungen der Gastuniversität an ihrer Heimatuniversität anrechnen lassen? „Im Rahmen des PONS-Projektes ist es vorgesehen, dass alle an der Fremduniversität erbrachten Leistungen an der Heimatuniversität angerechnet werden, so dass den Studierenden durch einen Wechsel keine Nachteile entstehen.“3 Um dies zu gewährleisten, wird vor dem Aufenthalt an der Gastuniversität ein Learning-Agreement abgeschlossen – vergleichbar mit dem Verfahren im ERASMUS-Programm. Hierbei werden die Module der Heimatuniversität mit Veranstaltungen der Partneruniversität gefüllt, sodass es nach dem Aufenthalt zu keinen Problemen bei der Anrechnung der Leistungen kommt. Nachteile: 1.Es handelt sich nur um einen temporären Studienortswechsel für 1 bis 2 Semester, danach muss man an seine Heimatuniversität zurück – allerdings kann das Programm mehrfach genutzt werden, auch für das gleiche Fach. 2.Nach der Förderungsperiode durch die VolkswagenStiftung können keine Stipendien mehr vergeben werden. 3.Momentan sind nur 13 Fächer am PONS-Netzwerk beteiligt. XI. Halten die TeilnehmerInnen die Regelstudienzeit ein? In der Theorie ja. Durch das Learning-Agreement soll es unproblematisch sein, die Regelstudienzeit einzuhalten, 36 XV. Wo sehen die InitiatorInnen PONS in 10 Jahren? Rebecca Diana Klug hofft auf einen größeren Bekanntheitsgrad als bisher und darauf, dass ein innerdeutscher Studienortswechsel wieder als normal angesehen wird. Außerdem soll PONS sukzessive auf weitere Fächer ausgeweitet werden, denn das Ziel ist es, dass der Studienortswechsel für Studierende aller Fachrichtungen wieder möglich werden soll – aber das schafft das PONS-Team vielleicht nicht innerhalb der nächsten 10 Jahre. PONS (Hg.): PONS. Austausch-Programm deutscher Universitäten. Homepage. http://pons-geisteswissenschaften.de/ (zuletzt abgerufen am 09.02.2019). Bei der Zusammenstellung der Informationen hat uns netterweise Rebecca Diana Klug unterstützt. 1 2 Diese und weitere Informationen sind auf der Homepage des Programms zu finden: 3 PONS (Hg.): PONS. Das innerdeutsche Austauschprogramm. Geistes- und Kulturwissenschaften. Info-Paket. http:// pons-geisteswissenschaften.de/wp-content/uploads/2018/01/ PONS_Info-Paket.pdf (zuletzt abgerufen am 09.02.2019). S. 3. PONS (Hg.): PONS. Vision. http://pons-geisteswissenschaften.de/about/vision (zuletzt abgerufen am 09.02.2019). S. Anm. 1. S. 6. Bochum meets Universitatem Augustae Treverorum Latein und Griechisch studieren in Trier die Latinistik und die Einführung in die Gräzistik, der Georges und Michael von Albrechts Die römische bzw. Die griechische Literatur in Text und Darstellung. Diese Studiengänge bietet unser Seminar an: B. Ed. Latinistik und B. Ed. Gräzistik, B. A. Latinistik und B. A. Gräzistik, M. Ed. Latein und M. Ed. Altgriechisch, M. A. Klassische Philologie. Außerdem besteht im Lehramtsstudium die Möglichkeit, sich neben den zwei Hauptfächern und Bildungswissenschaften auch für ein Erweiterungsfach („Drittfach“) einzuschreiben. Studierende absolvieren ca. 6 Module des regulären B. Ed./M. Ed.-Studiengangs in dem gewählten Fach. Der Studiengang „Erweiterungsprüfung (B. Ed./M. Ed.)“ wird mit einem Zertifikat abgeschlossen. Darüber hinaus gibt es hier den interdisziplinären B. A.-Studiengang Antike Welt: Archäologie, Sprachen und Kulturen. Unser Fehlerquotient für Übersetzungsklausuren ist … uns nicht bekannt. So sehen unsere Abschlussprüfungen im Bachelor und Master aus: Im Bachelor setzt sich die Abschlussnote aus den Modulnoten zusammen. Die Modulprüfungen bestehen aus einer mündlichen Vergil-Prüfung, schriftlichen Prüfungen und 3 Hausarbeiten. Im Master wird das kleine Staatsexamen absolviert. Hier wird ein Autor gelesen und ein bekanntes sowie unbekanntes Corpus besprochen. Zudem gibt es auch hier Modulabschlussprüfungen: Eine Hausarbeit und schriftliche Prüfungen. Das sind unsere LehrstuhlinhaberInnen: Prof. Dr. Stephan Busch (Latinistik) und Prof. Dr. Georg Wöhrle (Gräzistik). Unser Werbeslogan für den Studiengang: Interessiert, motiviert und engagiert – Lateinstudium, wer’s wohl einmal probiert?! Das Alleinstellungsmerkmal unseres Studiengangs ist … die Verknüpfung mit anderen Disziplinen wie Byzantinistik oder Papyrologie. Außerdem haben wir hier auch die Möglichkeit, in die Schatzkammern zu gehen, und auf dem Campus wird ein römisches Handelsschiff rekonstruiert, das man sich ansehen kann. Allerdings werden in den Veranstaltungen Anknüpfungspunkte und Inhalte verwandter Disziplinen oft nur angerissen und sonst selbstständig erarbeitet. Bei Interesse kann man jedoch eine Veranstaltung im Studienverlauf auch in einer verwandten Disziplin besuchen. Das sollte jede/-r Studierende mitbringen: Motivation, Durchhaltevermögen, Interesse und Neugierde – und am besten das Graecum. Mit unserem Studiengang geht man auf Streifzug durch folgende Literaturepochen: Im Altgriechischen durch die Archaik, Klassik, den Hellenismus und die Kaiserzeit und im Lateinischen vom Altlatein bis zum Humanismus. So viele AltphilologInnen studieren bei uns: ca. 125. Unsere Standardwerke fürs Studium sind … der Rubenbauer-Hofmann, der Vischer, die Einführung in Das Verhältnis von Latinistik und Gräzistik bei uns ist … 9:1. 37 ANTIKE (INTER-)NATIONAL PANORAMA Bei Euch studiert man im Bachelor nicht Klassische Philologie, sondern Latinistik oder Gräzistik. Kann man das eine wirklich ohne das andere studieren? Was sind Eurer Meinung nach die Vor- und Nachteile? J.: Für die Latinistik muss man sein Graecum machen und dann hat man im Bachelor und im Master noch je eine Veranstaltung im Griechischen. Ich muss sagen, ich komme in meinem Lateinstudium auch wunderbar ohne Griechisch aus. kein Praktikum macht. Da kann man dann auch mal eine Stunde geben. Petrarca-Seminar lief über die Module in der Latinistik und die Landeskunde-Seminare im Master auch. Habt ihr ein Praxissemester? J.: Nein, leider nicht. Wir haben zwei orientierende Praktika im Bachelor à 3 Wochen; dann gibt es je noch eins im Bachelor und im Master. Das heißt, man macht insgesamt 12 Wochen Praktikum. Was meiner Meinung nach viel zu wenig ist. Ich hätte gerne ein Praxissemester. Unser Highlight im Studium ist … die Leute, die man im Studium kennenlernt, die Lage der Universität in einer Römerstadt und die Gemeinschaft der Studierenden und Lehrenden. B.: Für die Schule reicht es. Wobei ich feststellen musste, dass diejenigen, die Griechisch im Zweitfach oder auch Drittfach machen, fachlich besser sind – auch wenn es darum geht, den SuS ein Allgemeinwissen zu vermitteln. Das würde ich schon sagen. Ich fand es schade, dass Griechisch quasi nur zweimal im Studium vorkommt, deswegen mache ich es als Drittfach, auch weil es mir Spaß macht. Diese/-n DozentIn sollte man live erleben: Prof. Dr. Stephan Busch und Apl. Prof. Dr. Luc Deitz, weil sie beide es schaffen, ihre Leidenschaft für das Fach auch auf ihre Studierenden zu übertragen. J.: Ich überlege gerade, ob man auch Griechisch ohne Latein machen könnte. Ich kenne nur eine, die studiert nämlich Griechisch und Französisch. Sie musste einen Kurs in Latein machen und fand das ganz schrecklich. Im Sommersemester 2018 hat man im Themenbereich Literatur- und Kulturgeschichte Petrarca lesen und mehr über Platons Einfluss auf die Romantik erfahren können. Außerdem gibt es Veranstaltungen zur Landeskunde. Das bietet nicht jedes altphilologische Seminar an. Wie steht Ihr dazu? J.: Ich fand das super. Apl. Prof. Dr. Luc Deitz, der das Petrarca-Seminar unterrichtet hat, hatte auch oft die Original-Bücher mit, das war klasse. Das ist jemand, der für das Fach lebt, und selbst wenn du kein Latein studierst, würdest du nach dem Seminar sagen: „Das muss ich lernen!“ Wie wir gesehen haben, hattet Ihr einen Dozenten aus Oxford zu Gast; Guy Brindley (Oxford, Jesus College) hat ein Tutorial zur griechischen Tragödie nach Oxforder Vorbild angeboten. Gibt es solche Angebote öfter und werden sie von den Studierenden wahrgenommen? J.: Da der Gastdozent im Bereich Griechisch gelehrt hat, habe ich seinen Kurs nicht besuchen können. Unsere Lieblingsanekdote: Ein Kommilitone von uns hat im 1. Semester Prof. Dr. Busch gefragt, was fui heißt, und dieser hat ihn daraufhin bis zum Master den „fuiJungen“ genannt. B.: Ich fände es schon schön, wenn man ein bisschen mehr von beidem hätte. So viele von uns verschlägt es nicht zurück in die Schule: Vielleicht 2%, die dann z. B. in der Forschung oder als ÜbersetzerInnen arbeiten. So viele von uns gehen mit ERASMUS und Co. ins Ausland: Sehr wenige, aktuell sind zwei bekannt. Standorte gibt es hingegen viele: Bologna und Arcavacata in Italien, Nikosia auf Zypern, Poznan in Polen, Thessaloniki in Griechenland. Unser Seminar steht im Austausch mit den Fachdisziplinen … Byzantinistik, Papyrologie, Archäologie, Alte Geschichte und Germanistik. An der Universität Trier kann man den B. Ed. in Latinistik oder Gräzistik studieren oder man studiert eine der beiden Disziplinen als Nebenfach im B. A. Welche Vorteile hat es, sich schon im Bachelor mit der Fachdidaktik auseinander zu setzen? J.: Ich finde das sehr gut, denn wir wollen alle LehrerInnen werden. Man bekommt ab dem 2. Semester Methodenkenntnisse vermittelt. Wir haben im ersten Semester ein Seminar namens Fachdidaktische Lektüre, aber da steht noch mehr der Text und der Autor im Vordergrund. Dort wird auch das ‚Grundmaterial‘ gefestigt, damit man z. B. in der Dichtung mit den wichtigsten Bausteinen wie Metrik, Hyperbata, Besonderheiten dichterischer Sprache etc. umzugehen lernt. Die eigentliche Didaktik wird später von den LehrerInnen in den anderen Didaktikveranstaltungen vertieft. Diese kommen dann hier aus Trier und sitzen damit ja direkt an der Quelle. Wenn die LehrerInnen ein Seminar machen, merkt man das auch, allein an den Medien, die genutzt werden: da gibt es dann nicht nur den Text, sondern da wird dann auch mal eine PPP gezeigt. Und wir arbeiten viel mit Fallbeispielen. So kennen wir, wenn wir ins Praktikum gehen, schon Methoden. Die Grammatik wird auch noch einmal wiederholt; allerdings schülernah, also so, wie wir das SuS beibringen. Da die Lehrenden immer LehrerInnen aus Trier sind, bieten sie einem an, dass man an die jeweilige Schule kommen kann – auch wenn man gerade Das wünschen wir uns für unser Studium: Erfolg und Motivation sowie bessere Transparenz im Studienverlauf. Da wir dieses Mal persönlich vor Ort gewesen sind, haben wir ein paar Zusatzfragen für Julia und Benedikt vorbereitet: Julia Schwarz und Benedikt Weber vom Fachschaftsrat der Klassischen Philologie (FKP) in Trier stellen ihr Studium vor. 38 B.: Der Kurs war leider auf Englisch, daher konnte ich das nicht machen. J.: Wir haben öfter Gastvorträge und die Latinistik bemüht sich auch viel um eigene Gastvorträge für SeniorenstudentInnen. Ich glaube, das Problem ist, dass man durch das Studium schon ausgelastet ist und die Sachen, die man zusätzlich machen kann, darum nicht wahrnimmt. In dem Fall des Gastdozenten hätte ich die Veranstaltung besucht, wenn sie auf Deutsch gewesen wäre oder wenn ich mir die Veranstaltung hätte anrechnen lassen können. Wir hatten z. B. schon einmal einen Gastdozenten aus Wien, der ein Vergil-Tutorium angeboten hat, und da war ich auch immer. Das war gut. Zum Seminar Römische Landeskunde: Dort wechselt das Thema. Ich habe das in diesem Semester gemacht und unser Thema war Totenkult. An sich finde ich es gut, dass es diese Seminare gibt, weil man dann nicht nur übersetzt, sondern auch mal etwas anderes lernt. B.: Ich hatte im Bachelor Geometrisches Griechenland. Das war eher für Archäologie-Studierende, wenn man da ohne Vorkenntnis reingeht, ist das sehr, sehr trocken. Da wäre eine Einführung gut. Ihr studiert in der ehemaligen Augusta Treverorum. Inwiefern bereichert das Euer Studium? Gibt es z. B. Kooperationen mit Museen etc.? J.: Einmal hatte ich ein Proseminar zu Nero und hier im Museum gab es zeitgleich die Nero-Ausstellung. Und das war richtig gut. Also wenn man das Thema im Semester behandelt hat und dann ins Museum geht, hat man einen viel größeren Bezug dazu. Die Ausstellung war auch wunderschön gemacht. J.: Die Einführung in die Antike Geschichte war super, weil man da das lernt, was in den Seminaren fehlt. Werden solche Kurse von der Latinistik angeboten? J.: Die Kurse im Bachelor sind Kooperationen. Das Erstellt von Julia Jennifer Beine und Joana Kadir Quid novi? Antikerezeption in Film, Comics und Videospielen EINE KOLUMNE VON ARNOLD BÄRTSCHI W näher unter die Lupe nehmen, die aus den zahlreichen Publikationen der großen Comicverlage hervorsticht. Drittens soll ein kleiner Überblick zur antiken Ausbeute der vergangenen Gesellschaftsspielemesse Spielʼ 18 Lust auf die eine oder andere Partie machen, um kalte und dunkle Winterabende zu vertreiben. ie in der letzten Ausgabe angekündigt, wollen wir dieses Mal zunächst einen Blick auf die Videospiele-Landschaft der letzten Jahrzehnte sowie aktuelle Entwicklungen werfen, die der Antike auf unabsehbare Zeit einen neuen Stellenwert in diesem Medium verschaffen dürften. Zweitens wollen wir eine Comic-Neuerscheinung 39 PANORAMA PANORAMA dafür ist Rome: Total War II (Creative Assembly. 2013 [PC / OS X / Linux]. Horsham, West Sussex, GB. Sega), das in der zweiten Ausgabe dieser Kolumne besprochen wurde. Zumeist sind diese Spiele historisch ausgerichtet mit einem sorgfältigen Bestreben, die antike Lebenswelt möglichst korrekt zu rekonstruieren, und orientieren sich eng an historischen Ereignissen wie den Perserkriegen, den Alexanderfeldzügen oder den zahllosen Eroberungskampagnen der Römer. Als Assassine unterwegs im antiken Ägypten und Griechenland Im Gegensatz zum Antikenfilm, der sich für unbestimmte Zeit im Winterschlaf befindet, zeichnen sich am Horizont der Videospielneuerscheinungen Entwicklungen ab, die antiken Themen eine bislang nicht erreichte Tiefe verleihen. Maßgeblich dafür verantwortlich ist das Bestreben, packende Narrative mit der Faszination an antiken Settings zu verbinden. Doch zunächst ein kurzer Rückblick: Betrachtet man die Videospiele der letzten Jahrzehnte, die einer antiken Thematik gewidmet sind, so beschränkten sich diese überwiegend auf drei Genres, nämlich Aufbauspiele, Strategiespiele und Action-Rollenspiele. Ebenso stark vertreten wie die antike Geschichte ist auch die griechisch-römische Mythologie, die überwiegend in Action-Rollenspielen herangezogen wird – was würde sich für ein Schnetzel-Abenteuer besser eignen als der schier unerschöpfliche Pool von Monstern und Mischwesen? Geschickt verbunden werden mythische Monster und Strategie im Spiel Age of Mythology (Ensemble Studios. 2002 [PC]. Dallas, US: Microsoft Game Studios / Mac Soft), das insofern über andere Videospiele zur Antike hinausgeht, als es in der Einzelspielerkampagne ein spannendes neomythologisches Narrativ um den Atlantiker Arkantos und seine Abenteuer im Anschluss an den Trojanischen Krieg entspinnt.2 Im Zentrum von Aufbauspielen steht zumeist die wirtschaftliche und zivilisatorische Entwicklung einer antiken Siedlung bzw. Kultur von ihren Anfängen bis zu ihrer größtmöglichen Blüte. Ein Publikumsliebling dieses Genres ist etwa die deutsche Spielereihe Die Siedler (Blue Byte. 1993–2010 [Amiga / MS-DOS / PC / OS X / Nintendo DS]. Düsseldorf, DE. Ubisoft), die in drei von sieben Haupttiteln in der Antike angesiedelt ist.1 In ähnlicher Weise belebte über ein Jahrzehnt lang die Spieleserie God of War (SCE Santa Monica Studio. 2005–2013 [PS2 / PS Portable / PS3 / PS Vita / PS4]. Playa Vista, US: Sony Computer Entertainment) die Videospiele-Landschaft und fesselte Spieler*innen trotz ihrer Zugehörigkeit zum blutigen Action-Genre mit In Strategiespielen wiederum geht es vornehmlich darum, militärisch besonders hervorragenden Kulturen wie Griechenland, Makedonien oder Rom in Auseinandersetzung mit ihren Erzfeinden zum Sieg zu verhelfen. Ein besonders prominentes Beispiel Assassin’s Creed Odyssee zeigt Liebe fürs Detail und epische Bildgewalt. 40 einem komplexen Narrativ um den Spartaner Kratos. In sieben Einzelinstallationen entspinnt sich eine packende Handlung um den blutrünstigen Krieger, der zuerst als gedungene Klinge der olympischen Götter gezwungen wird, seine eigene Familie zu ermorden, sich dann von seinen Zwingherren befreit und in einem groß angelegten Rachefeldzug nicht nur eine zweite Titanomachie entfacht, sondern auch eigenhändig das gesamte olympische Pantheon vernichtet. Dabei werden Spieler*innen durch eine detailreich ausgestaltete und lebendige antike Welt geführt, in der sich Hopliten genauso wie Legionen mythischer Mischwesen tummelten. Obwohl sich die Geschichte im neuesten Teil God of War (SCE Santa Monica Studio. 2018 [PS4]. Playa Vista, US: Sony Computer Entertainment) der nordischen Mythologie zuwendet, lässt der Protagonist Kratos seine antike Vergangenheit nicht vollständig hinter sich – denn wie soll ein ehemaliger Kriegsgott als abermaliger Witwer alleine seinen minderjährigen Sohn Atreus erziehen, wenn Gewalt und Konflikt das einzige Wissen darstellen, das er weitergeben kann? Nicht umsonst hat die Neuerfindung der Reihe, die diese emotional ausgestaltete familiäre Beziehung in den Vordergrund rückt, einhellige Zustimmung bei Spieler*innen wie Kritiker*innen gefunden.3 Verhalten ihrer Bewohner*innen gegenüber den Handlungen der Spieler*innen – man darf sich also nicht wundern, wenn man im antiken Griechenland jemanden anrempelt und dafür ein herzhaftes μαλάκα! kassiert, das freilich eher modernem griechischen Sprachgebrauch entlehnt ist (tatsächlich gehört es zu den Wörtern, die man im Spielverlauf mitunter am häufigsten vernimmt). Details wie diese und insgesamt über 30 Stunden eingesprochene Dialoge in Assassinʼs Creed: Odyssey sorgen dafür, dass man sich tatsächlich fühlt, als befinde man sich mitten im antiken Leben. Auf die Spielewelt nimmt man als Spieler*in nicht nur durch die Wahl bestimmter Gesprächsoptionen, sondern auch durch die Ermordung dubioser Gestalten und zahllose Kämpfe Einfluss. Die Eingangsszene, in der man sich als Leonidas durch eine endlose Horde Perser metzelt, lässt erkennen, inwiefern der Kultfilm 300 (R.: Zack Snyder. US 200) auf das Kampfsystem dieses Spiels spürbaren Einfluss hinterlassen hat. Kontrovers diskutiert wurde beim Erscheinen des Spiels denn auch die Vielfalt an Tötungsarten, die Spieler*innen in Form verschiedener Attacken zur Verfügung stehen, womit an die seit jeher geführte Debatte um Gewaltverherrlichung in Videospielen angeknüpft wird. Dazu nur ein grundsätzlicher Gedankenanstoß: Was kann man von einem Spiel erwarten, dessen Hauptfigur als Assassin*in angelegt ist? Mit den neuesten beiden Installationen der Spielereihe Assassinʼs Creed (Ubisoft Montreal. PC / OS X / PS3 / Xbox 360 / Nintendo DS / Nintendo Wii U / PS Vita / PS4 / Xbox One. Montreal, CA: Ubisoft) werden ebenfalls detailliert ausgestaltete Protagonist*innen ins Zentrum gerückt – der ägyptische Gesetzeshüter Bayek bzw. wahlweise die Spartanerin Kassandra oder der Spartaner Alexios, wobei der heutige technische Stand der Programmierung eine Lebendigkeit und Immersion in die Handlung ermöglicht wie nie zuvor. Ihren Ausgangspunkt nahm die Spielereihe, die bekannt ist für ihre detailgetreuen und sorgfältig recherchierten wie nachgebildeten historischen Settings, im dritten Kreuzzug. Im Anschluss daran wurden in fortschreitender Chronologie Epochen wie die italienische Renaissance, die Kolonialzeit, die französische, die industrielle und die Oktoberrevolution behandelt. In den neuesten Titeln Assassinʼs Creed: Origins (2017) und Assassinʼs Creed: Odyssey (2018) wenden sich die Entwickler*innen erstmals der Antike zu und erzählen die Vorgeschichte des titelgebenden Assassinenordens.4 Während die Handlung in Assassinʼs Creed: Origins im Ägypten zur Zeit Kleopatras und Caesars angesiedelt ist, mischen sich Spieler*innen in Assassinʼs Creed: Odyssey unmittelbar in den Peloponnesischen Krieg ein. Dass beide Spiele in enger Zusammenarbeit mit Klassischen Archäolog*innen, Historiker*innen und Ägyptolog*innen entstanden sind, beweisen nicht nur die von alltäglichem Leben erfüllten antiken Siedlungen, sondern auch das Ein Gegengewicht zu diesem kontroversen Aspekt bildet die sogenannte Discovery Tour, die als Zusatzangebot in Assassinʼs Creed: Origins implementiert wurde. In diesem Modus, der für Bildungseinrichtungen auch als separate Spieleversion vertrieben wird, werden Kämpfe und Auftragsmorde komplett deaktiviert und stattdessen haben Spieler*innen die Möglichkeit, an Führungen durch die realistisch nachgebildete Spielewelt teilzunehmen, in deren Rahmen antike Geschichte und Kultur lebendig und unmittelbar greifbar werden und somit ein nachhaltiger Lernprozess angestoßen wird.5 Auch hieran fasziniert die Liebe zum Detail: Wer möchte denn nicht gerne einmal durch genau diejenigen Schächte und Gänge der Pyramiden von Gizeh klettern, die Archäolog*innen tatsächlich vorgefunden haben? Ganz abgesehen davon, dass man im Anschluss die Seitenwand der Pyramide hinuntersurfen kann…! Alter Plunder Weniger komisch als durch den Titel zu erwarten geht es in der Graphic Novel Habt ihr wieder nur alten kaputten Plunder gefunden? Ein gezeichnetes Grabungstagebuch des Kunststudenten Jonas Fischer aus dem Verlag wbgTheiss zu und her. Statt einfach eine Reihe von lächerlichen Fehlinterpretationen durch einen Nichtarchäologen zu präsentieren, wird mit detaillierten Schilderungen 41 PANORAMA PANORAMA Menschen vor Ort großer Raum gegeben, wobei durch die Beschreibungen etwa der improvisierten Unterkünfte der Abenteuercharakter der Unternehmung spürbar wird, der einen ganz besonderen Zusammenhalt unter den Grabungsteilnehmer*innen und ein spezifisches Lebensgefühl der Angehörigen dieser wissenschaftlichen Disziplin vermittelt. und Zeichnungen der Grabungsalltag eines deutschmoldawischen Teams bei einer Ausgrabung der bronzezeitlichen Siedlung Stolniceni nacherzählt, wodurch nicht nur archäologische Arbeitsabläufe auch für Unkundige plastisch greifbar gemacht werden. Insbesondere die Schwierigkeit, anhand der zumeist spärlichen oder rätselhaften Befunde (= Fundkontext) und Funde (= Objekte) gesicherte Interpretationen vorzunehmen, wird offen thematisiert und lässt archäologische Denkprozesse transparent werden, die bemerkenswerte detektivische Schlussfolgerungen und weitreichende Hypothesen anhand weniger Indizien und auf der Basis vergleichbarer Ausgrabungen entwickeln. Neben archäologischem Handwerkszeug werden auch die historischen Hintergründe der Ausgrabung beleuchtet und die faszinierende TripoljeCucuteni-Kultur beleuchtet, deren Siedlungen sich an Umfang und Einwohnerzahl selbst mit den zeitgleich existierenden Metropolen Mesopotamiens messen konnten, aus ungeklärten Gründen jedoch spätestens nach wenigen Jahrhunderten der Besiedlung wieder aufgegeben wurden. Vor diesem Hintergrund besteht eines der zentralen Forschungsanliegen darin, die Frage nach dem Grad an Urbanisierung zu bestimmen, den diese Siedlungen erreichten. Antike auf dem Wohnzimmertisch Ähnlich wie im Bereich der Videospiele ist auch die Mehrzahl der Gesellschaftsspiele von Aufbaumechanismen und Strategie geprägt – ein Eindruck, der sich auch auf der letzten Gesellschaftsspielemesse Spielʼ 2018 in Essen bestätigte. Überraschend war jedoch die unglaubliche Fülle an Neuerscheinungen, die einem antiken Thema oder Setting gewidmet waren: Nicht weniger als 35 Titel konnten aufmerksame Besucher*innen entdecken und ausprobieren! Angesichts einer solchen Anzahl kann hier nur ein erster Überblick mitsamt der Empfehlung gegeben werden, sich die Spiele auf den Websites der Spieleverlage und Spielevereinigungen genauer anzuschauen.6 Los gehtʼs mit der kleinsten Gruppe, den beiden Holzspielen Pyrami (Gerhards Spiel und Design) und Rock Me Archimedes (Spin Master International), die als Geschicklichkeits- und Denkspiele konzipiert sind. Dicht folgen ihnen die Würfelspiele Atlandice (Ludonaute), Dicium (Geek Attitude Games) und Titan Dice (Eagle-Gryphoon Games), die vor allem die Vorliebe für Wortspiele von Spielemacher*innen unter Beweis stellen. Um reine Kartenspiele handelt es sich bei Amun-Re: The Card Game (Super Meeple SAS), mit dem das gleichnamige Brettspiel im Kartenformat umgesetzt wird, dem Aufbauspiel Athens (Baccum Inc.), Emporion (The Wood Games), in dem die griechische Kolonisierung Hispaniens thematisiert wird, dem überaus blutig gestalteten Gorus Maximus (Inside Up Games), dem etwas familienfreundlicheren Ludi Gladiatori (Gen X Games) und dem Monstergemetzel Nessos (Iello). Zu den Brettspielen zählen Atlantica (Piatnik) für Schatzsucher*innen, Cerberus (La Boîte de Jeux) für Freund*innen mythischer Monster, die Aufbauspiele Forum Trajanum (Huch!) und Carpe Diem (Alea), Concordia Venus (PD-Verlag), in dem Spieler*innen in Zweierteams gegeneinander antreten, das strategische Spiel Farao (Czech Board Games) und Gentes (Game Brewer). Das monumentale Strategiespiel Lords of Hellas (Awaken Realms) sticht durch seine außergewöhnliche Mischung aus antikem Setting und futuristischer Technik sowie die bis zu 120mm hohen Spielfiguren Fischer, Jonas: Habt ihr wieder nur alten kaputten Plunder gefunden? Ein gezeichnetes Grabungstagebuch von wbgTheiss. Abgesehen von diesen fachwissenschaftlichen Inhalten versucht der Autor jedoch in erster Linie, ein lebendiges Bild des aus Wissenschaftler*innen und einheimischen Grabungshelfer*innen zusammengewürfelten Teams zu zeichnen. Ganz der jahrhundertealten Tradition von Grabungstagebüchern folgend, wird der Kultur und den 42 aus der Menge hervor. Den Abschluss bilden die Aufbauspiele Passing Through Petra (Renegade Games) und Reise zu Osiris mit der Erweiterung Statthalter und Gesandte (Schwerkraft Verlag) sowie das Glücksspiel Vae Victis (2Tomatoes), in dem die Spieler*innen flüchtige Allianzen eingehen. setzt auf die Kooperation der Spieler*innen, um Herakles seine legendären Heldentaten überstehen zu lassen, während in Trade on the Tigris (Tasty Minstrel Games) jede*r Händler*in auf sich allein gestellt ist. Wer angesichts dieser Fülle noch nicht genügend Anregungen für spannende Spielenachmittage erhalten hat, der muss sich bis Oktober 2019 gedulden, wenn die Spielʼ 19 uns mit weiteren Neuheiten überrascht… Die letzte und umfangreichste Kategorie umfasst die Legespiele, die von Karten, Plättchen und diversen Tokens Gebrauch machen, welche anstelle eines zentralen Spielbretts mit strategischem Geschick zusammengelegt werden. Die ständige Präsenz von 7 Wonders Armada (Repos Production SPRL) wurde auf der Spielʼ 18 durch eine von Freiwilligen durch die Hallen getragene Galeere sichergestellt. Atlantis: Island of Gods (Redimp Games) lässt sich aus eigener Erfahrung als simples, aber anspruchsvolles Strategiespiel empfehlen. Neben den materialreichen Aufbauspielen City of Rome (Abacusspiele) und Civilization – Ein neues Zeitalter (Fantasy Flight Games) nimmt sich das überschaubare Legespiel Expedition Luxor (Queen Games) richtig bescheiden aus. In Huns (La Boîte de Jeux) lenken Spieler*innen das SchicKsal der Hunnen, in Imhotep – Das Duell (Kosmos), der für zwei Kontrahent*innen adaptierten Version des gleichnamigen Brettspiels, setzen sie geschickt die Ressourcen Ägyptens für den Bau von Monumenten ein. Micropolis (Matagot SAS) lässt epische Kriege von den ganz Kleinen bestreiten, indem Ameisen und ihre Bauten in den Mittelpunkt dieses Aufbaustrategiespiels gestellt werden. Konventioneller präsentiert sich das Spiel Minerva (Pandasaurus LLC), nicht nur dem Namen nach erinnert das Legespiel Ominoes: Hieroglyphs (YAY Games) an den Spielearchetypen Domino. Onus! Rome vs. Carthage mit den Erweiterungen Terrain and Fortress und Greeks and Persians (Draco Ideas S.L.) dagegen nimmt als episches Strategiespiel mit zahllosen Karten und Plättchen den gesamten Wohnzimmerboden ein. The Labours of Herakles (The Wood Games) Haben Sie bestimmte Titel vermisst oder hätten Sie zu einigen Neuerscheinungen gerne ausführlichere Besprechungen erhalten? Wünsche, Anregungen oder Ergänzungen zur Kolumne können Sie jederzeit gerne an arnold. baertschi[at]rub.de senden, damit die Kolumne auch Ihre Interessen abdeckt! 1 2 3 4 5 6 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Siedler [letzter Zugriff am 07.01.2019]. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Age_of_Mythology [letzter Zugriff am 07.01.2019]. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/God_of_War_(2018_video_game) [letzter Zugriff am 07.01.2019]. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Assassin%27s_Creed [letzter Zugriff am 07.01.2019]. Vgl. https://www.assassinscreed.de/ac_origins/dlc/discovery-entdeckungs-tour [letzter Zugriff am 07.01.2019]. Wenn im Folgenden die Spieleautor*innen unterschlagen werden, so geschieht dies nicht aus Geringschätzung, sondern lediglich aus Platzgründen. Auch bei der Einteilung in grundlegende Spielarten handelt es sich um eine praktikable Vereinfachung, um eine grobe Sortierung der Spiele zu ermöglichen. Vgl. etwa die deutschen Websites www.brettspiele-report.de, www.cliquenabend.de, www.gesellschaftsspiele.de oder www.spielkult.de bzw. die englische Website www.boardgamegeek.com [letzter Zugriff am 07.01.2019]. Antigone und Kreon im Hambacher Wald Bodo Wartke über Antigone und ihre Relevanz für das 21. Jh. EIN INTERVIEW VON JULIA JENNIFER BEINE W Wartke am Werk gewesen. Wie schon in seinem Solotheater König Ödipus aus dem Jahr 2009 bringt er seit 2018 auch Antigone ins 21. Jh. – mit zahlreichen Referenzen auf die Hoch-, Pop- und Jugendkultur und das in feinster Reimkultur. 2016 hat Wartke Nexus einen Einblick gegeben, warum und enn Ödipus und Teiresias als Blues Brothers im Auftrag des Herrn gen Athen ziehen, Kreon und sein Sohn Haimon sich auf Cajóns ein Rap-Battle liefern und eine plüschige Handpuppe als antikes Monster über die Bühne jagt, dann ist mit ziemlicher Sicherheit Bodo 43 PANORAMA PANORAMA Grunde um etwas anderes, als es mir geht, und das war das Schwierigste, das erst einmal herauszufinden: Was will ich eigentlich erzählen und wo können mir die anderen Autoren Hilfestellung leisten und wo ist es wichtig, mich von ihnen abzugrenzen? wie er mit antiken Stoffen wie König Ödipus arbeitet und erste Ideen für seine Antigone vorgestellt (Ausgabe 3, S. 18–22). Zwei Jahre später, am 20.09.2018, gibt Bodo Wartke Nexus erneut ein Interview. Seine Antigone hat vor 5 Monaten Premiere gefeiert, an diesem Abend spielt er in Marl. Welche Ideen hat er umgesetzt? Was kann Antigone heute leisten und wie geht es nach dem Ende der Geschichte um Ödipus und Antigone nun weiter? III. Mit dieser Kombination ergeben sich noch mehr Figuren als in König Ödipus; nicht jede/-r im Publikum kennt den Stoff. Wie machst du deine ZuschauerInnen in kurzer Zeit mit den vielen Figuren vertraut? I. Bei König Ödipus hat es ca. 15 Jahre von der Idee bis zur Uraufführung gebraucht, die Arbeit an Antigone hast du 2016 begonnen, schon dieses Jahr hat die Premiere stattgefunden. Warum ging das im Vergleich so schnell? König Ödipus fassen wir zu Beginn des Stücks in Liedform zusammen, also da spielen wir ein Songmedley aus allen Liedern aus Ödipus und stellen alle Figuren vor beziehungsweise das, was man wissen muss, um Antigone verstehen zu können: Warum ist Ödipus blind, warum ist er im Exil, was ist da los? Denn tatsächlich tauchen ja viele Charaktere aus Ödipus in beiden Dramen auf. Und mir steht natürlich dieses Mal meine Duett- und Bühnenpartnerin Melanie Haupt zur Seite, sodass ich nicht alle Rollen alleine spielen muss. Weil ich mir diesmal eine klare Deadline gesetzt habe, das habe ich damals [bei König Ödipus] nicht gemacht. Da hatte ich Zeit, nach und nach Szene um Szene fertig zu schreiben – ich war ja auch beschäftigt mit meinem Klavierkabarettprogramm – und irgendwann war das Stück [i. e. König Ödipus] dann fertig. Bei Antigone war klar: Dann und dann würden wir das gerne rausbringen und da musste ich mich ranhalten. II. Bist du dabei geblieben, Sophokles’ Antigone, Ödipus auf Kolonos und Jean Anouilhs Antigone von 1942 zu verarbeiten und so die Geschichte von Ödipus’ Exil über die Sieben gegen Theben bis hin zum tragischen Ende von Antigone, Haimon und Eurydike zu erzählen? KREON: Sie hat sich vor allem durch ihr Spiel miteinbringen können. Der Wächter beispielsweise ist eine zentrale Rolle, der von dem her, was er sagt, gar nicht unbedingt so lustig ist, aber durch die Art und Weise, wie Melanie ihn spielt, ist der Charakter einfach saukomisch. VI. Zu den Rollen gleich eine Frage: Wie genau habt ihr entschieden, wer welche Rolle übernimmt? Gibt es auch Rollen, die ihr beide spielt, oder ist eine Rolle immer fest an eine/-n von euch gebunden? Was an den anderen Inszenierungen von Sophokles und von Anouilh nicht so zeitgemäß und nicht so interessant ist, ist das Folgende: Bei Sophokles pocht Kreon ja sehr darauf, dass die Männer im Staat ja schließlich die Ich teile mir mit Melanie schon sehr lange die Bühne, tatsächlich schon seit fast 20 Jahren [seit 1999]. Es entstehen momentan nach und nach auch ganz viele musikalische Duette [von uns] und es lag einfach nahe, sie dafür [i. e. Antigone] auch zu fragen, weil ich sie für eine ganz grandiose Schauspielerin halte. Ja. Im Original spricht man ja von der thebanischen Trilogie, also König Ödipus, Ödipus auf Kolonos und Antigone – die Sophokles witzigerweise nicht in dieser chronologischen Reihenfolge geschrieben hat. Nun ist allerdings Antigone ein Stück, für das die Geschehnisse aus Ödipus auf Kolonos wichtig sind. Deswegen wollte ich sie eben auch gerne zeigen. Aber das Stück Ödipus auf Kolonos hängt ein bisschen in der Luft; da wird einfach sehr viel gelabert zwischen Staatsmännern, zwischen Ödipus und Theseus, das Ende ist tatsächlich ein bisschen langweilig: Ödipus stirbt, nachdem er seinen Frieden gemacht hat – inwieweit er ihn wirklich gemacht hat, ist die nächste Frage; er trennt sich ja von seinem Sohn Polyneikes und auch von Kreon im Unfrieden. Das ist ein Stück, da möchte man eigentlich wissen: Wie geht es jetzt weiter? Das ist ein bisschen wie Das Imperium schlägt zurück und ich habe mich entschieden, Das Imperium schlägt zurück und Die Rückkehr der Jedi-Ritter an einem Abend zu erzählen. Dabei habe ich mich tatsächlich auch von Jean Anouilh inspirieren lassen. Aber ich finde Antigone so, wie sowohl Sophokles als auch Anouilh sie anlegen, heute nicht mehr zeitgemäß. In beiden Stücken geht es im In König Ödipus wird ein guter Herrscher gezeichnet, der unwissend ein schlimmes Schicksal erfüllt. In Antigone haben wir dagegen Kreon, der zusehends tyrannische Züge zeigt, indem er auf einem menschlichen, von ihm erlassenen Gesetz beharrt. Wie war es für dich, diese zwei so unterschiedlichen Herrschertypen darzustellen und ein Stück weit in die heutige Zeit zu bringen? Kreon ist eine der wenigen Figuren, die in allen drei Dramen der thebanischen Trilogie auftaucht, und in allen drei Stücke übernimmt er eine ziemlich wichtige Rolle, ist aber jedes Mal ein komplett anderer – gerade, wenn man die Stücke im Verlauf liest, erkennt man Kreon eigentlich nicht wieder. Also im ersten Stück, König Ödipus, ist Kreon derjenige, der hinter den Kulissen den Laden zusammenhält, in Ödipus auf Kolonos ist er ein Opportunist und in Antigone ein Tyrann. Das passt alles nicht zusammen. Da eine Entwicklung reinzuschreiben, die das nachvollziehbar macht – warum Kreon derjenige ist beziehungsweise derjenige wird, der er in Antigone ist, – das war eine ganz große Herausforderung, vor der ich stand. Und tatsächlich ist Kreon ja König wider Willen: Er war früher schon zwischendurch König, wollte das aber immer nie sein, und jetzt, wo alle anderen männlichen Thronfolger tot sind, bleibt ihm nichts anderes übrig: er muss in den sauren Apfel beißen und versucht, dieses Amt nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben. Das bedeutet für ihn, sich an die Gesetze zu halten – auch an sein eigenes Gesetz, das er erlässt. Er erlässt dieses Gesetz, dass Polyneikes nicht begraben werden darf, in allerbester Absicht, weil er glaubt, dass das Volk das von ihm erwartet, und ausgerechnet seine eigene Nichte begehrt dagegen auf. Er steckt wirklich in einem Dilemma und wird auch vom Schicksal mehrfach heimgesucht: Menoikeus, einer seiner Söhne, stirbt im Kampf um Theben und in einer Sagenüberlieferung um Ödipus ist es sogar so, dass ein zweiter Sohn von der Sphinx gefressen wird, als sie die Stadt [i. e. Theben] belagert. Kreon hat es also echt nicht leicht. IV. Dazu auch die nächste Frage: Als wir 2016 mit dir über die Vorbereitungen zu Antigone gesprochen haben, ist noch nicht ersichtlich gewesen, dass du statt eines Solotheaters wie bei König Ödipus eine Spielpartnerin miteinbinden würdest. Wie ist es dazu gekommen? V. Du hast wie schon bei König Ödipus die Bühnenfassung mit der Dramaturgin Carmen Kalisch und dem Regisseur Sven Schütze erarbeitet; Melanie Haupt war also nicht am Dichten beteiligt. Hattest du sie damals schon für bestimmte Passagen im Sinn und hat sie sich eventuell mit eigenen Ideen doch noch in den Text einbringen können? Chefs seien und die Frauen nicht so viel zu sagen hätten. Da denke ich, aus diesen Zeiten sind wir zum Glück inzwischen raus, und das ist auch nicht das, worum es geht. Bei Anouilh kann man ab einem gewissen Punkt Antigone nicht mehr ernstnehmen. Also da benimmt sie sich in einer Art und Weise, wo man denkt: Sag mal, was ist los mit der? Das führt für mich beides weg vom Thema, das ja an und für sich total spannend ist. Ich habe versucht, zwei Charaktere zu schaffen, die man beide ernstnehmen kann, die man beide verstehen und nachvollziehen kann, die man beide in ihrem Dilemma begreift, und da wird es dann eben interessant: Dass da im Grunde zwei Leute aufeinanderprallen, mit denen man sich jeweils auch identifizieren kann. […] __________________________________________ Also bestimmte Dinge waren mir klar: dass es einfach sinnvoll ist, dass ich Kreon spiele und Melanie Antigone. Zuerst war es vorgesehen oder zumindest eine Idee von mir, dass Melanie Teiresias spielt, aber dann hat sich herausgestellt, dass diese Rolle seit König Ödipus doch sehr mit mir verwachsen ist und dass es besser ist, wenn ich ihn spiele. Vieles haben wir durch Ausprobieren herausgefunden, z. B. auch, dass Melanie den Wächter spielt – ich dachte erst, dass ich ihn spielen würde. […] ANTIGONE: KREON: ANTIGONE: KREON: ANTIGONE: KREON: ANTIGONE: KREON: ANTIGONE: KREON: ANTIGONE: Ob er nun hier oder im Hades durch die Gegend streunt, der Feind wird nie, auch nicht im Tod, zum Freund! Polyneikes war durchtrieben! Und das erheblich! Nicht, um den Feind zu hassen, nein, den Freund zu lieben, leb’ ich! Was bist du nur so anti, Antigóne? Antígoné. Im Altgriechischen betont man deinen Namen auf dem „o“! Das ist mir egal. Man sagt es aber so! Du sagst es so. Ich tue es nicht. Und warum nicht? Weil ich finde, dass es mir so nicht entspricht. Weil es dir so nicht entspricht!? Es heißt Antigóne, nicht Antígoné. Man sagt auch Antilópe, nicht Antílopé. Wenn hier jeder täte, wonach ihm grad der Sinn steht, nach eigenem Gutdünken, was glaubst du, wo’s mit dieser Stadt am Ende hingeht?! Sie würde im Chaos versinken! Dann brauchst du wohl ein Volk, das sich gar nie beklagt und zu allem brav Ja und Amen sagt. Doch ich passe nun mal nicht in deine Schablone. Und mein Name ist Antígoné, nicht Antigóne!1 __________________________________________ 44 VII. Im Gegensatz zu den sich erfüllenden Orakelsprüchen in König Ödipus scheint in Antigone eine Alternative zu dem tragischen Ende möglich zu 45 PANORAMA PANORAMA „Ich bin der König. Der Leichnam von Polyneikes wird nicht bestattet.“ Es ist trotzdem das Falsche. Und in beiden Fällen braucht es Leute, die zivilen Ungehorsam dagegen leisten.2 sein, wenn Kreon nur nachgeben würde. Erst, als er Antigones Strafe beschlossen hat, prophezeit ihm Teiresias die Konsequenzen seiner Entscheidung. Bei dem modernen Dramatiker Anouilh hingegen wird die Tragödie als zuverlässiges Uhrwerk bestimmt: Jede Rolle läuft auf ihr Ende zu, egal, was die Figuren unternehmen, egal, was sie eigentlich wollen. Was zeigst du? Ein zuverlässiges und sichtbares tragisches Uhrwerk oder ein teils hoffnungsvolles Stück? Ein interessanter Vergleich … VIII. Jean Anouilh hat die Geschichte auf seine ganz eigene Art erzählt, mit Familienkonflikten wie einer Konkurrenzsituation zwischen den Schwestern, Sauftouren der Brüder und Mordanschlägen der Brüder auf ihren Vater Ödipus. Welche dieser Anouilh’schen Konflikte hast du aus welchem Grund übernommen? Weder noch würde ich sagen. Also mir ist es wichtig, zu zeigen, wo das durchaus noch sein könnte, dass Antigone gerettet wird, dass ihr Tod eben nicht von Vorneherein feststeht. Aber unabhängig davon, wie es ausgeht, sind die Prinzipien interessant, für die beide Antagonisten/Protagonisten stehen, nämlich Kreon für Recht und Gesetz und Antigone für zivilen Ungehorsam. Nun hat Anouilh seine Antigone 1942 geschrieben, also zu der Zeit, als Frankreich von den Nazis besetzt war, und der Mythos wurde auf die Zeit umgedeutet – ein Vergleich, der aber nur teilweise funktioniert. So nach dem Motto: Antigone ist die Résistance und Kreon steht für das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime. Aber der Vergleich hinkt. Man kann nachvollziehen, dass Anouilhs Antigone in dem Kontext der Geschichte ein revolutionäres Stück war und man dachte: Ja Mann, genau so! Aber eigentlich passt es nicht. […] Was ich spannend finde, ist ein Aspekt, den Anouilh ganz deutlich hereinbringt: klar zu machen, dass von Polyneikes und Eteokles keiner besser war als der andere. Also je nach Überlieferung – da gibt es ja unterschiedliche – denkt man immer: Ja, ja; der Sohn, der der die Stadt verteidigt, das ist der Gute und der, der sie angreift, ist der Böse. So einfach ist es eben nicht; Polyneikes wird von Eteokles verraten. Auch da war es mir wichtig, dass man beide total nachvollziehen kann. […] IX. Stichwort Familie: Was passiert eigentlich mit deinem Ödipus? Greifst du die Darstellung seines Lebensendes aus Ödipus auf Kolonos auf? Ich jedoch finde bestimmte Parallelen zur heutigen Zeit total naheliegend und ziehe sie auch. Ich gehe sogar soweit, dass ich sie nenne. Ich wurde vor ein paar Tagen gefragt: Wenn Antigone heute leben würde, was würde sie sagen? Und das erste, das mir einfiel, war: „Rettet den Hambacher Wald!“ Denn der Wald gehört RWE – laut einem Vertrag, der vor 40 Jahren geschlossen wurde. Das heißt, RWE ist laut Gesetz im Recht, diesen Wald für den Braunkohleabbau abzuholzen. Es ist aber trotzdem das Falsche. Und bei Kreon und Antigone ist es genauso: Kreon ist im Recht, zu sagen: Die gibt es bei uns auch. X. Also verabschiedest du ihn gewissermaßen von deiner Bühne? Ja, mit Style natürlich – so, wie man das von [meinem] Ödipus kennt. Er verabschiedet sich standesgemäß … Ich möchte nicht zu viel verraten. In ihren Positionen unversöhnlich: Antigone (Melanie Haupt) und Kreon (Bodo Wartke). Polyneikes und Eteokles im Kampf um Theben. Mal sehen … man kennt das ja so von Superheldenfilmen, dass nach dem Abspann, wenn die ganze Schrift durchgelaufen ist, dann ganz oft so eine zusätzliche kleine Szene kommt, die auf den nächsten Teil oder auf den nächsten Film aus dem Kosmos hindeutet. So etwas haben wir auch vor; das haben wir nur noch nicht fertig geprobt. Da wird es früher oder später wahrscheinlich noch einen Cliffhanger geben, aber da möchte ich nicht zu viel verraten. __________________________________________ ÖDIPUS: Wenn ich schon hinabfahr in den Hades auf dieser letzten Etappe meines Pfades, dann mit Style, wie es meine Art is’, weil Oedipus Rex auch jetzt noch am Start is’!3 … __________________________________________ Dann lassen wir uns einmal überraschen und danken für das Interview! XI. Ist Kreon nach dieser intensiven Auseinandersetzung immer noch nicht nur eine Schlüsselfigur, sondern auch eine Lieblingsfigur von dir wie 2016? Wer Lust bekommen hat, sich Bodo Wartkes Antigone anzuKreon ist wirklich eine ganz zentrale, eine echte schauen, sollte sich folgende Termine im Kalender anstreiSchlüsselfigur in König Ödipus. Nun ist er hier, in chen: 10.05.2019 Gelsenkirchen, 13.06.2019 Wuppertal, Antigone, die Hauptfigur. […] Aber wer ist denn meine 16.10.2019 Essen, 17.10.2019 Recklinghausen. Lieblingsfigur? Mal überlegen ... wahrscheinlich der Im April 2019 wird Antigone voraussichtlich im StadttheMinotauros. Also der Minotauros wird von einem Schaf ater Fürth aufgezeichnet. Die Bühnenfassung gibt es jetzt gespielt und das ist aus der Not heraus geboren. Denn schon als Buch: wir wollten die Szene – das war die erste, die fertig war ANTIGONE. Nach dem antiken Drama von Sophokles. – in einem kleinen Theater in Berlin spielen und die Textdichtung von Bodo Wartke. Konzeption von Carmen Puppe war nicht da. Wir hatten eigentlich so eine BisonKalisch, Sven Schütze, Bodo Wartke. Mit einem Glossar Handpuppe, die auch als Stier durchgehen konnte. von Til Tessin. Hamburg: Reinkultur GmbH & Co. KG Und als sie weg war, habe ich im Spielwarengeschäft bei 2018. 14,90€. mir um die Ecke diese Schaf-Handpuppe gesehen und dachte: Ehe wir die Nummer gar nicht spielen, kaufe Weitere Informationen und Updates gibt es hier: www. ich jetzt diese Schaf-Handpuppe. Wir spielen eben mit antigone.de. diesem Schaf und gehen irgendwie damit um, dass der Minotauros jetzt ein Schaf ist. Daraus ist eine Reihe von richtig tollen Gags Zum Taktschlag des Paso Doble España cañí 1 ANTIGONE. Nach dem antiken Drama von entstanden. Es ist uns treffen der furchteinflößende Minotauros Sophokles. Textdichtung von Bodo Wartke. gelungen, aus der Not (Lucy das Schaf ) und Theseus (Melanie Haupt) Konzeption von Carmen Kalisch, Sven Schütze, eine Tugend zu machen. aufeinander. Bodo Wartke. Mit einem Glossar von Til Tessin. Dadurch, dass es an der Hamburg: Reinkultur GmbH & Co. KG 2018. S. Stelle nicht perfekt ist 53. und nicht richtig, wird 2 Einen Tag nach unserem Interview hat Bodo Wartke es gerade erst interessant. ein Lied veröffentlicht, in dem er Stellung zum Streit um den Hambacher Wald bezieht: Bodo Wartke: Bodo Wartke - Hambacher Wald. 21.09.2018. https://www.youtube.com/watch?v=tTKcnlp0x_Y (zuletzt abgerufen am 23.11.2018). 3 ANTIGONE. Nach dem antiken Drama von Sophokles. Textdichtung von Bodo Wartke. Konzeption von Carmen Kalisch, Sven Schütze, Bodo Wartke. Mit einem Glossar von Til Tessin. Hamburg: Reinkultur GmbH & Co. KG 2018. S. 40. 4 Bodo Wartke: Bodo Wartke - Antigone Teaser Nr. 1 - Ödipus trifft Theseus. 20.03.2018. https://www. (zuletzt youtube.com/watch?v=FW5xvKmzwdg abgerufen am 20.11.2018). Da haben wir auch ein interessantes YouTubeVideo mit Melanie und dem Schaf oder viel mehr mit Theseus und dem Minotaurus gesehen.4 XII. Mit Antigone hast du den thebanischen Sagenkreis gewissermaßen zu Ende erzählt. Ist das Kapitel Antikenrezeption damit für dich geschlossen? 46 47 PANORAMA PANORAMA Troja, Kronen und Motels Die Sonderausstellung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ im LWL-Museum für Archäologie in Herne EINE AUSSTELLUNGSKRITIK VON ANTONIA ANSTATT F anschaulich gemacht: Wie Howard Carson wird der Besucher in das mysteriöse „Zimmer 26“ geführt, die einzige ungestörte Grabkammer der Anlage. Dort findet er zwei Skelette und allerhand faszinierende Dinge: Von Glühbirnen über Colaflaschen bis zu einem Fernseher – Carson stellt bei allem einen Bezug zu den vermeintlichen Götterkulten der Yankees her. Das Allerheiligste glaubt er, im angrenzenden Badezimmer gefunden zu haben – und macht ein Foto seiner Frau, wie sie sich mit den kostbarsten der Grabbeigaben schmückt: Zahnbürsten als Ohrgehänge, ein Toilettensitz als Brust- und Kopfschmuck und ein Badewannenstöpsel als Halskette. Spätestens jetzt fällt auf: Macaulays Geschichte ist nicht so weit hergeholt, wie es zunächst scheinen mag, sondern stützt sich auf verschiedene Aspekte der berühmtesten archäologischen Funde der Menschheit. Nicht alle von denen waren aber das, wofür sie zunächst gehalten wurden: Wie eine Toilette nicht der Zugang zur Unterwelt ist und ein Samsung-Fernseher nicht der Kontaktaufnahme mit dem Gott „Sam“ dient, so ist der Goldschmuck, den Sophia Schliemann auf dem berühmt gewordenen Porträtfoto von sich trägt, nicht der legendäre Schmuck des Priamos. ür fünfeinhalb Monate, vom 23. März bis zum 9. September 2018, fand die Sonderausstellung „Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“ im LWL-Museum für Archäologie in Herne statt. Am 19. Mai besuchten wir die Ausstellung mit dem Kurs „Vermittlung antiker Inhalte in Wissenschafts- und Kulturjournalismus“. Wir erhielten eine Führung der Archäologin und Leiterin des Fördervereins des Museums Ruth Pingel, die uns nicht nur in die inhaltlichen, sondern auch in die gestalterischen Hintergründe der sorgfältig durchdachten Ausstellung einführte. Der Aufbau des Museums ist denkbar einfach: Durch den Eingang hindurch und eine Treppe hinunter gelangt man in die geräumige Eingangshalle mit Kasse, Schließfächern und Museumsshop. Am Ende des Raumes geht es geradeaus in ein kleines Kino, in dem unterstützende Filme zu aktuellen Ausstellungen gezeigt werden. Nach links geht es in die fest installierte Dauer-, nach rechts in die regelmäßig wechselnde Sonderausstellung. Beide sind in jeweils einer großen Halle untergebracht, in der durch geschickt platzierte Raumtrenner, Fußwege und „Informationswürfel“ ein schlüssiges museumspädagogisches Konzept umgesetzt wird. Besonders die aktuellste Sonderausstellung glänzte durch ihren zum Thema passenden Aufbau. Und damit wurde der Besucher der Ausstellung dort abgeholt, wo er sich auskennt, und elegant und amüsant in das Thema der Ausstellung eingeführt. Nach Verlassen des nachgestellten Grabkammern-Badezimmers stand er in einer großen Halle, in der einzeln verstreute, begehbare, rechteckige Räume von unterschiedlicher Größe aufgebaut waren. Manche davon waren durch gespannten Stoff kenntlich gemacht, andere hatten solide, schwarze Wände. Natürlich hatte das einen Sinn, wie uns Frau Pingel erklärte: In den Räumen mit Stoffwänden wurden Irrtümer der Archäologie vorgestellt, innerhalb der soliden Wände dagegen bewusste Fälschungen. Bei den präsentierten Beispielen handelte es sich dabei um exemplarische Fallstudien, die in keiner besonderen Reihenfolge im Ausstellungsraum angeordnet waren. Die Mischung war sehr bunt und durch alle Epochen hindurch, wobei der Fokus natürlich auf archäologischen Irrtümern und Fälschungen lag. Bevor der/die BesucherIn allerdings die vorgestellten Irrtümer und Fälschungen der Archäologie bestaunen konnte, gab es zunächst eine amüsante und ungewöhnliche Einführung: Die BesucherInnen wurden durch Zeichnungen und kurze Texte über den Archäologen Howard Carson informiert, der im Jahr 4022, 2000 Jahre nach dem Untergang der Zivilisation der „Yankees“, eine sensationelle Entdeckung macht: Auf dem Gebiet der heutigen USA fällt er in ein Loch und stößt so durch Zufall auf etwas, das er für eine Grabanlage der Yankees hält – das „Motel der Mysterien“. So heißt eine 1979 erschienene Graphic Novel des US-amerikanischen Autoren und Grafikers David Macaulay, der mit seinem fiktiven Archäologen Howard Carson einen interessanten Blick auf das Leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts ermöglicht. In Zusammenarbeit mit dem Autor, der dafür eine Woche in Herne verbrachte, wurde die Entdeckung Carsons im Archäologiemuseum So beschäftigte sich etwa der erste Irrtums-Raum, den wir genauer betrachteten, mit dem „Schreibset“ des merowingischen Königs Childerich: Es wurde in einem 48 einer der verblüffendsten und am wenigsten in dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verankerten Irrtümer der klassischen Archäologie dargestellt wurde: die Farbigkeit klassischer Statuen. Sah man in den Raum hinein, standen zunächst vor einer Trennwand eine Reihe klassischer weißer Statuen. Ging man aber um diese Trennwand herum, standen auf ihrer anderen Seite mehrere farbige Statuen verschiedener Größe. Anhand dieser wurden verschiedene Farbmuster sowie die Entwicklung der Farbgebung in der griechischen und römischen Antike dargestellt. Gleichzeitig wurde angesichts der geradezu schrillen und für uns eher unangenehmen Farben auch verständlich gemacht, warum sich bis heute in der Öffentlichkeit der Mythos hält, antike Statuen seien weiß gewesen. Begleitet wurden die Statuen von Tafeln, die anhand von Texten und Abbildungen erklärten, wie man auf die ursprüngliche Farbgebung schließen könne, wie verschiedene Farben ausgesehen haben könnten und wie sich der Farbgeschmack im Laufe der Antike verändert habe. 1653 in Belgien ausgegrabenen Grab entdeckt – nur dass sich später herausstellte, dass es sich bei den kleinen goldenen Instrumenten um Verzierungen eines Schwertes und eine Fibel zum Zusammenhalten eines Umhangs handelte. Noch amüsanter war der Irrtum, der in Xanten begangen wurde, nachdem dort 1838 ein angebliches Fürstengrab ausgegraben worden war: Zu Beginn wunderten die Entdecker des Grabes sich noch, warum der gewölbte Bügel einer dort entdeckten Krone beweglich war. Bald darauf stellte sich heraus, dass es sich mitnichten um eine Krone handelte, sondern vielmehr um die gezackten Beschläge am oberen Rand eines Holzeimers – der angebliche „Bügel“ war der Henkel des Eimers.1 Die meisten anderen Beispiele für Irrtümer in der Ausstellung stammten allerdings aus der Antike und nicht aus mittelalterlichen Königsgräbern. Das wohl prominenteste drehte sich um Heinrich Schliemann, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts glaubte, Troja entdeckt zu haben, in Wahrheit aber eine deutlich ältere Siedlung ausgegraben hatte. Diesem Irrtum war einer der größten Räume aus Stoff gewidmet, in dem die Hintergründe Schliemanns und Trojas vorgestellt und die „Entdeckung“ Trojas durch Schliemann sowie seine Methoden und Ergebnisse nachvollzogen wurden. – Hier begegnete dem/der BesucherIn auch das Porträt von Schliemanns Ehefrau mit dem angeblichen „Schmuck des Priamos“ wieder. Außerdem war hier das wertvollste Exponat der ganzen Ausstellung zu finden: Während die meisten Exponate Kopien und Nachbildungen waren, stand in diesem Raum eine Originalbüste von Homer. Nicht zu kurz kamen aber auch die wissenschaftlichen Methoden, mit denen schließlich Schliemanns Irrtum nachgewiesen werden konnte, ebenso wie die Erkenntnisse, die mittlerweile darüber gewonnen wurden. Die dargestellten Beispiele für Fälschungen waren nicht minder spektakulär – oder im Nachhinein unfreiwillig komisch – als die Irrtümer: Das markanteste Beispiel der Ausstellung war zweifellos die „Tiara des Saitaphernes“. Bei dieser kronenartigen Haube aus Gold handelte es sich angeblich um ein antikes Kunstwerk von unglaublich feiner Bearbeitung. Aber erst nachdem der Pariser Louvre die Tiara Ende des 19. Jahrhunderts für ganze 200 000 Francs gekauft hatte, stellte sich heraus, dass das „antike“ Kunstwerk in Wahrheit von einem zeitgenössischen Ukrainer Goldschmied stammte. Neben dieser Fälschung fanden sich in der Ausstellung auch andere Beispiele dafür, wie scheinbar archäologisch wertvolle Stücke für Geldmacherei benutzt worden waren: Seien es zwei angebliche ägyptische Skarabäen oder massenhaft „römische Figuren“, die der Mauerer Johann Michael Kaufmann in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgab, bei Rheinzabern ausgegraben zu haben – alle präsentierten Fälschungen zielten darauf ab, die Stücke für einen hohen Preis verkaufen zu können. Das zeichnete überhaupt die ganze Ausstellung aus: Sowohl Irrtümer als auch Fälschungen waren mit zahlreichen Hintergrundinformationen ausgestattet. Vor allem bei den Irrtümern wurde darauf eingegangen, wie der Fehler zustande gekommen und entdeckt worden war und was der nun korrigierte aktuelle Forschungsstand ist. Das Ganze wurde auch räumlich unterstützt: In jedem der „Irrtums-Räume“ sah man zunächst das, was die jeweiligen Entdecker zunächst angenommen hatten. Es wurde plausibel gemacht und Verständnis dafür geweckt, wie die falsche Meinung zustande gekommen war. Erst, wenn man um eine Wand herumging, sich umdrehte oder eine an einem Tisch angebrachte Klappe öffnete, wurde die revidierte Forschungsmeinung anhand von Grafiken oder Bildern anschaulich dargestellt. Besonders deutlich wurde dieses Konzept in einem weiteren Raum aus Stoff, in dem Etwas aus der Reihe fiel dagegen ein Raum, der sich gefälschten mittelalterlichen Klosterurkunden widmete. Das passte deshalb nicht ganz zu den anderen Themen, weil es sich erstens nicht um archäologische Funde handelte und die Urkunden zweitens schon im Mittelalter, also verhältnismäßig kurz nach ihrer angeblichen Entstehungszeit, gefälscht worden waren. Drittens sollten sie dem Fälscher nicht durch ihren angeblichen historischen Wert Gewinn bringen, sondern wurden durch die Klöster aktiv genutzt, um sich selber Privilegien zuzuschreiben oder Rechte zu sichern. 49 PANORAMA PANORAMA Die gefälschten mittelalterlichen Klosterurkunden waren zwar sehr interessant und wie alles andere auch sehr informativ und anschaulich dargestellt, aber sie zeigten auch ein strukturelles Problem der Ausstellung. Zwar waren die Exponate hervorragend ausgesucht, um völlig unterschiedliche Ursachen und Arten der Irrtümer und Fälschungen aufzuzeigen – durch alle Epochen und Länder und von dem Irrtum bei der Verwendung von goldenen Spangen über ein in der Öffentlichkeit flächendeckend verbreitetes, dennoch falsches, Bild der antiken Raumgestaltung, bis zu den führenden Kunsthistorikern und Archäologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die dennoch auf eine Fälschung hereinfielen. Aber diese Vielfalt ging etwas zulasten eines sich durch die Ausstellung ziehenden roten Fadens. Es war nicht möglich, eine durchgängige ‚Geschichte‘ von Irrtümern und Fälschungen in der Archäologie nachzuvollziehen. Auch konnte man zwar an den einzelnen Fallbeispielen erkennen, dass die Fehler allesamt vor Beginn des 20. Jahrhunderts aufgedeckt worden waren, aber das wurde nicht entsprechend erklärt und eingeordnet. Ebenso wenig wurden Informationen darüber geliefert, wie häufig entsprechende Irrtümer und Fälschungen waren oder es sogar noch sind. Das war schade, gerade weil die Ausstellung sonst so hervorragend aufgebaut und konzipiert war. Wahrscheinlich hätte es schon geholfen, die einzelnen Räume grob chronologisch zu ordnen und dazwischen ein paar Tafeln mit Hintergrundinformationen zu der Wissenschaftsgeschichte der entsprechenden Zeit anzubringen. Denn obwohl in den einzelnen Räumen hervorragend über den Stand der Wissenschaft in der jeweiligen Zeit aufgeklärt wurde, bezog sich das immer nur auf das entsprechende Objekt und wurde nicht systematisch dargestellt. vorherrschten. Das allerletzte Exponat der Ausstellung brach erneut aus dem archäologischen Rahmen aus und riss nur kurz das Thema Fälschungen innerhalb des letzten Jahrhunderts an: Ausgestellt wurde eines der Hitler-Tagebücher. Insgesamt war die Ausstellung „Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“ in dem LWL-Museum für Archäologie in Herne definitiv sehenswert – sehr interessante Fallstudien wurden mit einem durchdachten Konzept sorgfältig aufbereitet und gut verständlich dargestellt. Gerade Fachfremde wurden hervorragend und auf amüsante Art und Weise in das Thema eingeführt und es war für jeden etwas dabei. Das einzige, das fehlte, war eine übergeordnete Verbindung der einzelnen Fallbeispiele miteinander. Wer die aberwitzigsten Irrtümer und Fälschungen der Archäologie in Herne verpasst hat, kann die Sonderausstellung noch bis zum 26. Mai 2019 im Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim besuchen oder alles darüber im durch das LWL-Museum für Archäologie Herne herausgegebenen Ausstellungskatalog lernen. Literaturverzeichnis Masthoff, Eva: Ausstellung im LWL-Museum für Archäologie Herne, http://www.irrtuemer-ausstellung.lwl.org/de/ausstellung/, abgerufen am 22.05.2018. Mühlenbrock, Josef; Esch, Tobias (Hgg.): Irrtümer & Fälschungen der Archäologie. Katalog zur Ausstellung in Herne und im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, Mainz 2018. Tafertshofer, Frank: Alles im Eimer? Ein Exponat aus Xanten, http://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=44076, 16.02.2018, abgerufen am 22.05.2018. Während es in der Ausstellung selber auch keinen vorgegebenen „Pfad“ gab, wurde man ganz am Ende in einen Raum geführt, der einen schönen Abschluss bildete: Hier wurden einzelne archäologische Funde aus der Region dargestellt, bei denen zwar keine sehr spektakulären, dafür aber umso amüsantere Irrtümer 1 Tafertshofer, Frank: Alles im Eimer? Ein Exponat aus Xanten, http://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung. php?urlID=44076, 16.02.2018, abgerufen am 22.05.2018. Abenteuer in der Römerstadt an der Mosel EIN EXKURSIONSBERICHT VON JOANA KADIR I m Winter 2018 hat die Nexus-Redaktion im Rahmen der inSTUDIES Förderung eine Exkursion nach Berlin (vgl. Ausgabe 7) durchführen können. Auch im Sommer hat uns diese Möglichkeit offen gestanden und unser nächstes Ziel war schnell gefunden: die Stadt Trier oder auch die Augusta Treverorum. Die Stadt an der Mosel, die zwischen 18 v. Chr. und 14 n. Chr. gegründet worden ist, ist für LiebhaberInnen der Antike in Deutschland immer einen Besuch wert und auch für Nexus ist Trier eine ideale Anlaufstelle. Das Rheinische Landesmuseum, das Amphitheater, die Kaiserthermen, die 50 Forschung zu Seefahrt und Handel in der Antike (S. 29–35). Für uns als Althistorikerinnen ist das Gespräch eine außergewöhnliche Gelegenheit, für uns als entschiedene Landratten jedoch auch eine Herausforderung, da der Segeljargon uns doch nicht so geläufig ist. Unser persönliches Highlight der Exkursion ist die anschließende Besichtigung der „Werft“ auf dem Campus, d. h. einer Blechhüte auf einem Parkplatz. In der Halle, die mit Hügeln von Sägespäne und Werkzeugen übersät ist und in der der ein starker Holzgeruch in der Luft liegt, liegt die 17 m lange, noch im Bau befindliche Rekonstruktion des Schiffstyps der Laurons 2, die auch bei uns unerfahrenen Seefahrerinnen das Herz höherschlagen lässt. Hier werden die vorherigen Ausführungen zur antiken Seefahrt und den experimentellen Messungen verständlicher und so manche Hausarbeiten über Piraterie und Handel kommen mir wieder ins Gedächtnis. Bei der Begehung des Schiffs wird einem dann doch etwas mulmig zumute, wenn man sich vorstellt, mit einem solchen Schiff aufs Meer hinauszufahren und Waren zu befördern. Im Hinterhof befinden sich die Baumstämme aus dem Trierer Wald sowie das Gerät zum Biegen der Hölzer. Die Arbeit, die hinter diesem Projekt steckt, wird uns hier noch einmal eindrücklich bewusst. Zu bald müssen wir die Halle verlassen und Schäfer verabschieden. Es ist zu schade, dass Trier nicht näher an Bochum liegt, sonst würden wir demnächst zurückkommen, um bei der Fertigstellung zu helfen. Den informativen, aber auch anstrengenden Tag lassen wir anschließend im Stadtkern unweit unserer Unterkunft mit einer leckeren Lasagne ausklingen. Römerbrücke und die Porta Nigra standen für den 24. und 25. September auf unserer Liste; die Bauten sind seit 1986 als UNESCO-Weltkulturerbe eingetragen. Neben der Erkundung der Stadt haben wir auch die Möglichkeit, mit Mitgliedern des Fachschaftsrats Latinistik und Gräzistik zu reden und ein Interview mit Christoph Schäfer zu führen. Aber auch über Antike hinaus hat Trier viel zu bieten – zu viel, als dass wir es in zwei Tagen hätten besichtigen können. 24. September: Die Universität Trier Nach einer Odyssee mit dem Zug, bedingt durch den Ausfall von Zügen auf der Strecke zwischen Bochum und Düsseldorf wegen Schäden an der Oberleitung, erreichen wir Trier mit knapp 2 Stunden Verspätung und unter Zeitdruck, da bis zu unserem ersten Termin nicht mehr viel Zeit bleibt. Die Unterkunft ist zum Glück schnell gefunden, so dass wir unser Gepäck ablegen und uns auf den Weg zur Universität machen können. Wie die RUB so ist auch die Universität Trier eine Campus-Uni, die am Rande der Stadt liegt; statt einer U-Bahn fährt uns jedoch ein Bus zur Universität. Als RUB-erprobte Studentinnen stellt das Labyrinth der Universität Trier für uns keine große Schwierigkeit dar und der Treffpunkt vor der Cafeteria ist schnell gefunden. Hier werden wir bereits von Julia und Benedikt – mit dem RubenbauerHofmann als Erkennungszeichen bewaffnet – erwartet. Die beiden stehen uns stellvertretend für die Fachschaft Latinistik und Gräzistik Rede und Antwort. Fragen zum Studium in Trier haben wir zur Genüge (siehe Steckbrief S. 37–39). Einer der am meisten herausstechenden Unterschiede findet sich im Lehramtsstudium: in Trier kann man auf Bachelor of Education studieren, auch für mich als Nicht-Lateinerin interessant. Der Vergleich der Studienabläufe, der Inhalte, der Standorte und der Austausch von Anekdoten aus dem Studium lassen die Zeit verfliegen. Zum Schluss kriegen wir auch noch Tipps für die Abendgestaltung in Trier, insbesondere für studentenfreundliche Lokale – in der Touristenhochburg ist das nicht unwichtig. Dann geht es auch schon weiter zum nächsten Interviewtermin. 25. September: how to Trier Nach einem ausgiebigen Frühstück machen wir uns auf den Weg, um die Augusta Treverorum in all ihrer Pracht zu Fuß zu erobern. Unser erster Halt ist das Rheinische Landesmuseum Trier. Auf dem Weg passieren wir die Konstantinbasilika und den Kurfürstlichen Palais. Diese sind zwar nicht antik, aber deswegen nicht etwa weniger interessant. Es ist eine wahre Herausforderung, die Stadt zu besichtigen, ohne dabei auf historisch relevante Gebäude zu treffen – für Bochumer Studierende eine doch ungewohnte Gegebenheit – und sich von diesen nicht ablenken zu lassen. Denn unser enger Zeitplan lässt es uns leider nicht zu die mittelalterlichen und neuzeitlichen Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Wir durchqueren den wunderschönen Palastgarten mit seiner barocken Gartenkunst und stehen schon vor dem Rheinischen Landesmuseum Trier. Dieses klärt über die Geschichte des Gebiets von den Anfängen in der Steinzeit über die Gründung der Stadt in der Römerzeit bis hin zum kurfürstlichen Trier auf. Ein Großteil der Dauerausstellung widmet sich der Augusta Treverorum, die für uns natürlich besonders interessant ist. Das Die ebenerwähnte Sicherheit der Fährtenfindung verloren, begeben wir uns auf eine große Irrfahrt über den Campus, um vor verschlossenen Türen zu stehen. Die freundlichen Mitarbeiter*innen der Alten Geschichte können uns jedoch weiterhelfen, so dass wir das Ziel der Unternehmung doch noch erreichen können: das Büro von Christoph Schäfer, Inhaber des Lehrstuhls für Alte Geschichte an der Universität Trier, mit dem wir zu einem Interview verabredet sind. Hier erzählt er uns von seinen Projekten im Bereich der experimentellen Archäologie, allen voran von der historischen Rekonstruktion antiker Schiffe und der damit verbundenen 51 PANORAMA PANORAMA Museum ist offen und weitläufig gestaltet, so dass jedes Exponat genug Platz hat, um auf die Besucher*innen zu wirken. Für uns wird der Rundgang auch zu einer kleinen Schnitzeljagd, da über das Museum verteilt Rezepte ausliegen, die man sammeln und mit nach Hause nehmen kann. guten Blick auf die gesamte arena und die Weinberge, die auf den nahegelegenen Hängen liegen. Die Kaiserthermen, die den Leser*innen seit Ausgabe 5 als Hintergrundbild des Nexus bekannt sind, sind die größten Thermen nördlich der Alpen. Im 4. Jh. sind sie als kaiserlicher Repräsentationsbau begonnen, aber nie fertiggestellt worden. Die Thermen sind jedoch nicht immer Thermen gewesen; bereits unter Valentinian I ist die Anlage als Exerzierhalle zweckentfremdet worden und im Mittelalter sind Teile zur Alderburg ausgebaut worden. Heute liegen sie direkt an einem Verkehrsknotenpunkt der Stadt Trier. Die riesige Anlage ist um einen kleines Kassenhaus inklusive Ausstellungsraum ergänzt worden. Die Fassade des caldarium ist wohl der allgemein bekannteste Teil der Anlagen, in dessen Genuss wir jedoch nicht kommen, da er hinter Bauzaun und -gerüsten versteckt ist. Stattdessen gehen wir auf Erkundungstour unter der Erde: der Spaziergang durch die unterirdischen Bedienungsgänge mit ihren Lichtschächten, die ein großartiges Spiel von Licht und Schatten inszenieren und der Anlage eine geheimnisvolle Atmosphäre geben, macht den Besuch doch zu einem eindrucksvollen Erlebnis. Dieser erfreuen sich auch die zahlreichen SchülerInnen, die in den Gängen Verstecken spielen. Das Rheinische Landesmuseum Trier beherbergt eine Vielzahl and Grabreliefs und Mosaiken, die aufgrund der gewitzten Architektur auch von der obersten Etage in ihrer Gänze betrachtet werden können. Ein Highlight des Museums ist die 45-minütige Rauminszenierung Im Reich der Schatten im Saal Römische Grabmonumente. Hier wird durch die mediale Aufarbeitung der beindruckenden und gut erhaltenen Grabmonumente die fiktive Reise des Trierer Kaufmanns Gaius Albinius Asper und des Götterboten Merkur in die Unterwelt erzählt. Über modernes Equipment werden im ganzen Museum Informationen zu Exponaten oder auch allgemeinen Informationen präsentiert. Dies geschieht insbesondere durch Touch-Bildschirme, die dazu genutzt werden, Videos etc. zu Exponaten sowie zu archäologischen Methoden ihrer Aufarbeitung und Analyse bereitzustellen. Neben diesen Exponaten beherbergt das Museum auch den größten römischen Goldschatz, den wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Die Römerbrücke ist der nächste Anlaufpunkt. Sie ist die älteste Brücke Deutschlands und datiert sich auf 17 Auf diese Weise mit Wissen über die Stadtgeschichte v. Chr., die jetzige Gestalt ist ihr 144 n. Chr. gegeben gerüstet ist es nun an der Zeit, die vielen fußläufig worden. Leider sind von der Brücke lediglich die Pfeigut zu erreichenden archäologischen Stätten des ler erhalten; nichtsdestotrotz lohnt sich der Weg, denn römischen Triers zu erkunden. Für unsere Tour nutzen so können wir einen Blick auf die Mosel erhaschen. wir die ANTIKENCARD Premium der Stadt Trier, Von hier geht es wieder zurück die den Eintritt zu allen antiken Sehenswürdigkeiten und dem Julia Jennifer Beine und Joana Kadir für Nexus im ins Stadtzentrum. Auf dem Weg Rheinischen Landesmuseum Trier. kommen wir an den Thermen am Landesmuseum beinhaltet und die Viehmarkt vorbei – sogenannt, wir wärmstens weiterempfehlen weil hier ein Viehmarkt ansäskönnen. Als erstes geht es zum sig gewesen ist. Hier sind jedoch Amphitheater. Dieses ist zwischen nicht nur die Überreste der anti160 und 220 n. Chr. errichtet ken Badeanlage, sondern auch worden und ist in die Stadtmauer Fundamente römischer Häuser eingebaut gewesen. Die Überreste aus der Gründungszeit sowie die sind heute für Besucher*innen Fundamente eines weiteren Großkomplett zugänglich. So kann baus und auch Überreste eines man den Arenakeller besichtigen, jüdischen Friedhofs gefunden der ehemals eine Holzbühne worden. Die gewaltige Anlage, beherbergt hat. Von dieser sehen im 3. und 4. Jh. erbaut, liegt wir heute nur noch die Sockel. zum Großteil unter der Erde, ist Im Keller ist es nicht nur dunkel, jedoch in Teilen für Besucher*insondern auch nass, da hier auch nen begehbar. Der freigelegte Teil der antike Entwässerungskanal wird durch einen eindrucksvollen entlangläuft. Nach dem Abstieg modernen Überbau von Oswald in die Dunkelheit wollen wir hoch Mathias Ungers geschützt, deshinaus: auf die Zuschauerränge, sen Stahlträger leider das antike die gänzlich mit Gras überwachsen Mauerwerk durchdringen. Die sind. Von hier aus hat man einen 52 Anlage wird auch als Ausstellungsraum genutzt: So können wir bei unserem Besuch die Ausstellung Begegnung mit China – ein kulturelles Austauschprojekt zum 200. Geburtstag von Karl Marx besichtigen. Die Nutzung der Anlage als Ausstellungsraum ist nur möglich, da sie noch nicht in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste aufgenommen worden ist, weil sie erst in den 90er-Jahren entdeckt worden ist. Das alte Gemäuer und das Wissen, unter der Stadt zu stehen, bereiten einem schon ein bedrückendes Gefühl. Einen kurzen Fußweg später erreichen wir schon die letzte Station unseres Rundgangs und das Wahrzeichen Triers, die Porta Nigra. Das Gebäude gleicht heute wieder dem Tor, das es in der Antike auch gewesen ist. Wie fast alles in Trier hat auch die Porta Nigra eine lange Geschichte der Umbauten hinter sich. Das im 2. Jh. n. Chr. errichtete Tor in der Stadtmauer ist im 11. Jh. zum Rückzugort des Eremiten Simeon geworden und ist in Gedenken an ihn in eine Doppelkirche umgebaut worden. Der Name Porta Nigra ist dem Bauwerk im Mittelalter gegeben worden und leitet sich von Verfärbung des ehemals weißen Sandsteins ab. Die Porta Nigra, die 4 Geschosse umfasst, wird nicht als Ausstellungsfläche genutzt; lediglich im Erdgeschoss gibt es eine kleine Filmvorstellung zum Leben Simeons, Informationen gibt es stattdessen über Multimediaguides. Die Übergänge zwischen römischen Stadttor und christlicher Kirche sind teilweise noch gut sichtbar und so hat man das Gefühl, in einer merkwürdigen Zwischenwelt zu stehen. Für den Aufstieg über die Wendeltreppe bis in das oberste Geschoss werden wir mit einem großartigen Blick auf das Stadtpanorama belohnt. Das Amphitheater von der Aussichtsplattform. Die Gänge unter den Kaiserthermen. Natürlich können zwei Historikerinnen Trier nicht verlassen, ohne vorher noch die ein oder andere Sehenswürdigkeit mitzunehmen. So geht es als nächstes zur neu eingeweihten Karl Marx-Statue, die nicht unweit der Porta Nigra steht, da die Zeit für einen Besuch der Karl Marx-Ausstellung Leben. Werk. Zeit. im Stadtmuseum Simeonstift und im Rheinischen Landesmuseum leider nicht mehr reicht. Denn jetzt geht es in die Hohe Domkirche St. Peter in Trier, die älteste Bischofskirche Deutschlands. Die Kirche blickt auf eine 1.700 Jahre umfassende Geschichte mit diversen Erneuerungen, Erweiterungen und Umgestaltungen zurück, die sie zu einer spannenden Sehenswürdigkeit macht, da die verschiedenen Elemente und Stile teilweise gut sichtbar sind. Das lichtdurchflutete Kirchenschiff beeindruckt vor allem durch die hohe Decke, die wegen der doch sehr dezenten Dekoration noch höher erscheint. Nach diesem anstrengenden Tag haben wir uns eine kleine Belohnung verdient und machen es uns in einem kleinen schmucken Café in unmittelbarer Nähe zum Dom gemütlich, um uns mit Eis und Kaffee zu stärken. Vor Die Thermen am Viehmarkt. der Rückfahrt graut es uns schon jetzt, denn es scheint keinen IC zu geben, der Bochum anfährt. Daher machen wir uns nach einem kurzen Abstecher in unsere Unterkunft nach Düsseldorf auf, mit dem Plan, ab dort zu improvisieren. Kurz vor der Ankunft in Düsseldorf erreicht uns aber die freudige Nachricht, dass die Oberleitungen repariert worden sind und der Zug in Bochum hält. So endet unser Tag doch glücklich und wir können die Eindrücke aus Trier ungetrübt mit nach Hause nehmen. 53 FACHDIDAKTIK FACHDIDAKTIK Digitale Medien im Lateinunterricht VON NINA TOLLER Sprachaufnahmen (die ich als MP3 bei GoogleDrive gespeichert hatte) verlinken. Bestimmen von Ablativen sind. Diese Station ist optional und kann bei Bedarf von den Schülern* bearbeitet werden. Die Schüler* hatten wirklich Spaß dabei und meldeten zurück, dass sie besonders die vielen unterschiedlichen Aufgabenarten aus einem analogen und digitalen Mix schätzten. Auch mein Fazit ist positiv: Zwar hat die Vorbereitung einiges an Zeit gekostet, dafür war der Unterricht aber für einige Wochen im Voraus vorbereitet. In den Stunden selbst konnte ich meiner Lehrerrolle als Begleiter und Coach nachkommen, bei Fragen und Problemen helfen und mich daran erfreuen, wie viel mehr Spaß es macht, wenn man z.B. eine Sinnrichtung „erwürfeln“ darf. V erstaubtes Schulfach? Tote Sprache? Unnütz? Von wegen! Auch und vielleicht gerade diese alte Sprache kann sehr gut von digitalen Medien und den damit verbundenen Förder- und Fordermöglichkeiten profitieren. In diesem Artikel möchte ich gern zeigen, wie einfach man das NRWLandesvorhaben, dass die „Digitalisierung“ Einzug in alle Fächer erhalten soll, in seinem eigenen Unterricht selbst mit wenig Ausstattung umsetzen kann. Die im Folgenden verwendeten Bezeichnungen Schüler* und Kollegen* umfassen jegliches Geschlecht (m/f/d). Praktische Umsetzung Um beim Bild des Teiches zu bleiben: Man kann nicht direkt mit dem Tauchgang beginnen. Die angestrebten offenen Aufgabenstellungen müssen schrittweise erweitert werden, um die Schüler* nicht zu überfordern. Sie müssen Entscheidungen treffen, obwohl sie im Normalfall nicht an solche Freiheiten gewohnt sind. Außerdem müssen sie erst einmal ein paar (digitale) Möglichkeiten kennenlernen, bevor sie kritisch mit den Formaten umgehen können. Theoretischer Hintergrund Grundsätzlich orientiere ich meinen Unterricht an der lateinischen Fachdidaktik und gängigen Pädagogik. Dabei setze ich auf einen Mix aus kooperativen Lernformen, Lehrervorträgen sowie den so genannten „21st century skills“ und dem „SAMR-Modell“. Letztere möchte ich im Folgenden etwas genauer erklären. Zu den Kompetenzen, die jeder im 21. Jahrhundert beherrschen sollte, gehören die sogenannten „4K“: Kommunikation, Kritisches Denken, Kreativität und Kollaboration. Die Schüler* arbeiten gemeinsam an Aufgaben, besprechen ihre Ideen und Vorhaben, hinterfragen gewählte Formate und Inhalte kritisch und erstellen kreative Produkte.1 Diese Vorbereitung benötigt Zeit. Doch der anfängliche MehrAUFWAND lohnt sich am Ende immer. Diese zeitliche Komponente muss einer Lehrkraft aber bewusst sein: Ein Thema von den Schülern* induktiv und selbstentdeckend, vielleicht sogar noch in einer Gruppenarbeit erschließen zu lassen, dauert länger als ein Lehrervortrag. Das muss man sich ebenfalls bei dem Einsatz der genannten pädagogischen Modelle besonders in Kombination mit digitalen Medien bewusst machen. Dadurch ändert sich auch die Aufgabenstellung, die die Lehrkraft entwickeln muss. Die Aufgaben werden im Laufe der Zeit immer offener und selbstbestimmter auf Seiten der Schüler*. Ich möchte daher drei Beispiele anführen, die vor allem eine Mischung aus analogen und digitalen Materialien zeigen, die man recht schnell umsetzen kann. Wenn sie mit digitalen Medien erweitert werden, eignet sich die Orientierung am SAMR-Modell nach Pentedura2. Es geht nicht darum, eine Aufgabenstellung einfach nur zu digitalisieren, also beispielsweise ein Arbeitsblatt statt in Papierform einfach nur als digitale Datei auf einem mobilen Gerät zu bearbeiten. Das Ziel sollte sein, sie zu „redefinieren“ (für die „Redefinition“ steht das „R“ in der Abkürzung SAMR) und die Schüler* quasi tiefer in das Thema eintauchen zu lassen: Beispiel 1: Stationenlernen Manchen Grammatikthemen begegnet auch eine Lehrkraft mit Respekt und vielleicht sogar Ehrfurcht – aus didaktischer Sicht. Man weiß, es wird schwierig, dauert lang und wird vielleicht sogar zäh. Der Ablativus Absolutus ist solch ein Thema im Lateinunterricht. Der oft skeptisch hinterfragte Mehrwert ergibt sich also vor allem daraus, dass die Schüler* sich intensiver mit einem Themenbereich auseinandersetzen und aktiver an ihrem eigenen Lernprozess beteiligt sind. Ich habe mich dazu für ein Stationenlernen entschieden, das inhaltlich an den Lernzirkel des V & R Verlags3 angelehnt ist. Dieses habe ich aber digital erweitert. So habe ich QR-Codes4 eingesetzt, die z.B. auf Spiele bei Learning Apps5 oder auf meine eigenen 54 Entdeckendes Lernen: Die Schüler* untersuchen lateinische Sätze auf mögliche Besonderheiten. Das ansprechende Material unterstützt das Entdecken visuell, da es einfach strukturierte Sätze mit Bildern zusätzlich erklärt. Das Participium Coniunctum (PC) ist den Schülern* bereits bekannt, sodass sie auf Vorwissen einer ähnlichen Struktur zurückgreifen können, aber dennoch Unterschiede bemerken. Spielerisches Lernen: Manche Stationen sind als Würfelspiel aufbereitet. Die Würfel sind dabei so präpariert, dass sie beispielsweise Zeitverhältnisse oder Personen anzeigen. Der Zufall, das gemeinsame Bearbeiten und der kleine Wettbewerbscharakter durch die Punktevergabe motivieren die Schüler*, sodass sie kaum merken, dass sie in dem Moment „trockene Grammatik“ wiederholen und anwenden. Schüler* als Experten: Die intensive Vorbereitung und Aufbereitung ihres Unterthemas für die Videoproduktion lässt die Schüler* zu wahren Wissensexperten werden und dieses Wissen sehr tief verankern. Man kennt dieses Phänomen bereits aus dem Unterricht, wenn sich Schüler* gewisse Inhalte erklären sollen, selbst wenn es nur mündlich ist. Die Verarbeitung des Gelernten ist tiefergehend, wenn man den Sachverhalt (am besten in eigenen Worten) jemand anderem erklären muss. Die Tatsache, dass die hier entstandenen Videos noch veröffentlicht werden sollten und die Schüler* damit an einem Wettbewerb teilnahmen, spornte natürlich noch mehr an.7 Im Anschluss drehten die Schüler* in Gruppen noch eigene Erklärvideos zu einem Unterthema. Dazu hatte ich vom städtischen Schulmedienzentrum iPads ausgeliehen und vorher um die Installation einiger kostenloser Apps gebeten, mit denen man auf unterschiedliche Art und Weise Erklärvideos produzieren kann. Wichtig ist mir an Apps immer, dass sie recht intuitiv aufgebaut sind, sodass sie von den Schülern* schnell verstanden werden und ich diese nicht erst lange erklären muss. Die Apps, die die Schüler* in diesem Fall nutzten, sind StopMotion (iOS und Android), Baiboard (iOS), Adobe (Spark) Video (iOS und Android) sowie iMovie (iOS). Die Ergebnisse der Schüler* kann man sich bei YouTube in meinem Kanal ansehen: tinyurl. com/yc9x5pqk. Beispiel 2: Kulturkompetenz mal anders Differenziertes Unterrichten ist auch im Lateinunterricht nicht nur möglich, sondern sehr sinnvoll. An unserer Schule wird in den meisten Klassen mit dem Lehrwerk Felix Neu unterrichtet, zu dem auch eine Handreichung mit eben diesem Namen Differenziert unterrichten8 erschienen ist. Außerdem bewahrheitet sich hier wieder die Redewendung vom neuen Rad erfinden: Man kann auch bestehendes Material verwenden, man muss nicht alles neu machen – nur „frisieren“.6 In der Lektion 49, die in die „Herrscher-Reihe“ über Cäsar und Augustus gehört, sind das Niveau und die Menge der neuen Grammatik nicht sehr hoch. Das bot allein zeitlich die Möglichkeit, die (leider öfter vernachlässigte) Kulturkompetenz in den Vordergrund zu stellen. Aus didaktisch-pädagogischer Sicht mit Bezug auf die anfangs erwähnten Modelle möchte ich hier exemplarisch Folgendes einmal ausführlicher darstellen: Zur Info: „Die Schülerinnen und Schüler kennen überwiegend personen- und handlungsorientierte Darstellungen der griechisch-römischen Welt und sind in der Lage, mit diesen Kenntnissen ein erstes Verständnis für Binnendifferenzierung: Bevor es an das neue grammatische Thema geht, wiederholen die Schüler* die bereits bekannten Ablativ-Formen, damit sie sicher beim 55 FACHDIDAKTIK FACHDIDAKTIK ihren Computer, ihre Stimme usw. benutzen konnten, empfanden sie es gar nicht als Pflicht, sondern es hat ihnen Spaß gemacht. Ich denke, dass man das auch gut in den Ergebnissen sieht. die Welt der Antike zu entwickeln.“ (NRW Kernlehrplan Latein SI „Kulturkompetenz“, S. 24) Eingangs erwähnte Handreichung macht für diese Lektion zwei sehr gute Vorschläge, die ich als Grundlage benutzt habe: Bei dieser Aufgabe konnte ich bereits auf das Wissen der Schüler* bezüglich des Umgangs mit einigen digitalen Medien und eine dazugehörige Routine zurückgreifen. Daher ist die Umsetzung der Aufgabe auch bewusst offen gehalten: „Lass dir etwas einfallen“, also „Sei kreativ“.9 1. Der Lektionstext kann arbeitsteilig behandelt werden. Der erste Teil hat den jungen Oktavian zum Inhalt, der sich als besonders grausam gegenüber seinen Zeitgenossen darstellt. Im zweiten Teil des Lektionstextes steht der alte Oktavian, nun Kaiser Augustus, im Mittelpunkt, wie er sich als Vorbild an Gerechtigkeit erweist. Einige Beispiele durfte ich mit Genehmigung veröffentlichen. Auch diese sind in meinem Kanal bei YouTube zu sehen: tinyurl.com/y9llcnbx. 2. Passend zum Lektionstext druckte das Lehrwerk ein Bild der Panzerstatue des Augustus von Prima Porta ab und schlägt eine Forscheraufgabe zu unterschiedlichen Themenbereichen vor. Siehe: Felix Neu, differenziert unterrichten, S. 172-173 Beispiel 3: Klassenarbeiten mit QR-Codes korrigieren Ich überlege oft, wie ich meine Schüler* besser motivieren kann, die Kommentare und Übungs-/ Fördermöglichkeiten intensiver zu lesen und zu bearbeiten, die ich immer unter die Klassenarbeiten schreibe. Für meinen Kurs entwickelte ich die Aufgabenstellungen etwas weiter und passte vor allem die Hausaufgabe an: Latein 9 TL L49 Zwei Gesichter eines Herrschers Aus einer Gesprächsrunde10 mit anderen Kollegen* ist folgende Idee entstanden: Man könnte auch hier QR-Codes verwenden. Wenn Schüler* ihre Berichtigung direkt mit dem Handy machen dürfen – noch dazu während des Unterrichts – müsste das doch einen größeren Ansporn geben. November 2016 Hausaufgabe – Kultur S. 161 Bild der Statue Entscheide dich unter den folgenden Aufgaben für diejenige, die dich am meisten interessiert: ‣ Du hast Interesse an Politik und Geschichte: ‣ Du interessierst dich für Kunst: Informiere dich bei Fachleuten (z. B. einem Kunstlehrer) und/oder im Internet darüber, was die Statue über die römische Kunst verrät. Finde heraus, warum die abgebildete Statue ein wichtiges Mittel der politischen Propaganda des Kaisers Augustus war. → Tipp: Die Statue war ursprünglich bunt! (S. 166) ‣ ‣ ‣ Anfangs druckte ich die erstellten QR-Codes auf Etiketten aus und klebte sie bei den Schülern* direkt neben die Aufgabe in das Klassenarbeitsheft, bei der sie zum Beispiel zu wenig Punkte erzielt hatten. Du hast Freude an der Mythologie: Finde heraus, was die kleine Figur zu Füßen des Kaisers bedeutet. Ohne sie würde der Statue eine wichtige Aussage verloren gehen. Was verbindet die kleine Figur wohl mit dem mächtigen Kaiser? Du interessierst dich für Mode: Untersuche die Gewänder, die Augustus trägt. Aus welchem Material wären sie, wenn sie nicht aus Marmor wären? Welche Farbe hätten sie? Zu welcher Gelegenheit trug er wohl diese Kleidung? Warum trägt er keine Schuhe? Du interessierst dich für Technik: Wie wurde diese Statue hergestellt? Recherchiere in der Fachliteratur oder im Internet nach dem Verfahren, wie aus dem Rohstoff Marmor eine solche Statue entstehen konnte. ! Allerdings wollten nach und nach auch die Schüler* die Übungen machen können, die die Aufgabe gut gelöst haben. Also änderte ich meinen Diagnosebogen und fügte für alle Teile der Arbeit mögliche Übungen mit QR-Codes ein. Wer ein Kreuz beim roten Smiley hatte, musste die Übung machen. Alle anderen konnten sie freiwillig bearbeiten. Präsentationsform: Benutze dein Handy! Mache eine Sprachaufnahme, ein Video, eine Snapchat- oder Instagram-Story, eine Art Comic (www.storyboardthat.com), … Lass dir etwas einfallen " # Sende dein "Werk" bis Montag Abend 20 Uhr entweder per Email oder per Nachricht an mich. ⚠ Gib die Informations- und Bildquellen an, die du benutzt hast – überprüfe, ob du sie nutzen darfst! BILD: CCO Public Domain https://pixabay.com/en/laurel-wreath-wreath-greek-victory-297101/ Nina Toller | tollerunterricht.com Die Rückmeldung der Schüler* war durchweg positiv. Sie haben besonders zwei Aspekte hervorgehoben: 1. Ihnen gefiel das Thema der Hausaufgabe sehr – das Auseinandersetzen mit einer anderen Art „Text“, den man analysieren und interpretieren kann. (Ich sage ja, dass diese Art Kompetenz leider zu oft stiefmütterlich behandelt wird!) 2. Die Präsentationsform und die Freiheit dabei sagten ihnen besonders zu. Da sie ihr Smartphone, 56 Das klappte hervorragend. Die Schüler* bearbeiteten die Aufgaben sowohl im Unterricht als auch zu Hause – und hatten nach eigener Auskunft merklich Spaß dabei. einfach alle Seiten darüber im Bilde sind, was passiert. Es kann sich sogar mehr Interesse entwickeln, was eigentlich im Unterricht passiert – beispielsweise wissen die Eltern plötzlich, was ihr Kind in einigen Stunden in der Schule „so macht“. Kleine Beispiele – Große Wirkung Man muss einfach anfangen, „einfach machen“ und ausprobieren. Das geht mit kleinen Schritten. Beispielsweise kann eine Vokabelüberprüfung mit einem Quiz wie Kahoot! oder Quizlet gemacht werden. Das führt nicht gleich zu einer „Quizifizierung“ des Unterrichts, sondern, wenn maßvoll eingesetzt, zu mehr Motivation beim Vokabellernen auf Seiten der Schüler*. Eigenes Fazit und Ausblick Natürlich jammere auch ich manchmal, besonders über das fehlende WLAN. Das passiert besonders dann, wenn ich vergessen habe, meinen Laptop mitzunehmen oder in einem Raum bin, der keinen LAN-Anschluss hat. Dann merke ich erst, wie sehr ich mittlerweile digital arbeite und fühle mich dann nur noch in meinen Möglichkeiten eingeschränkt. Dass sich in dieser Hinsicht noch so Einiges tun muss, auch von schulpolitischer Seite aus, ist jedem klar, denke ich. Wenn man andere Materialien, die online bereits verfügbar sind, in den Unterricht einbetten will, muss man die Schüler* nicht lange Links abtippen lassen. Dazu kann man kurzerhand mit einem sogenannten QR-Code-Generator online den Link in einen QR-Code verwandeln, diesen als Bild herunterladen, ausdrucken oder direkt in ein Arbeitsblatt einfügen und die Schüler* scannen lassen. Viel hängt daher mit Entlastung, Schnelligkeit und Bequemlichkeit zusammen. Ich nutze meine wertvolle Unterrichtszeit lieber für „handfeste“ Inhalte, Diskussion und Vertiefung statt immer alles abschreiben lassen zu müssen, wenn entweder auch ein Foto genügte oder sogar direkt alle kollaborativ in einem Dokument gearbeitet und somit immer Zugriff auf die Ergebnisse haben. Es gibt so viele kleine Beispiele, die man direkt im Unterricht umsetzen kann11. Lassen Sie einfach mal die Schwierigkeiten im Hintergrund. Ich persönlich habe an meiner Schule kein WLAN. Ich habe keine mobilen Geräte zur Verfügung, die ich den Schülern* ausleihen könnte. Die Schüler* nutzen also vor allem ihre eigenen Smartphones entweder mit ihrem eigenen Datenvolumen oder über einen sogenannten Hotspot, den ich erstelle, sodass die Schüler* sich mit ihrem Handy in dem Raum für die Stunde in mein generiertes WLAN einwählen könne12. Das bereichert meinen Unterricht nicht nur, sondern erleichtert mir tatsächlich das Arbeiten. Vielleicht brauche ich auch nicht immer Internetzugang. Ein QR-Code, der mir lediglich die Formen einer Konjugation als Text anzeigen soll, benötigt beispielsweise kein Internet. Digital zu unterrichten muss man tatsächlich an erster Stelle wollen – und nicht nur darüber jammern, was alles nicht geht. Bezogen auf den Lateinunterricht wünsche ich mir eine Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten gerade im Augmented-Reality-Bereich13: Es wäre dann möglich, indem ich ein mobiles Gerät auf den Übersetzungstext halte, mir bei Bedarf Vokabeln oder Erklärungen anzeigen zu lassen, die mir nicht nur die Übersetzung erleichtern, sondern in der Software/ App gleichzeitig gespeichert werden, sodass mir meine individuelle Lernübersicht im Anschluss angezeigt wird. Ich versuche meinen Kollegen* also oft das (Ver-)Trauen zu vermitteln, den ersten Schritt zur Digitalisierung ihres Unterrichts zu tun. Machen Sie, erleben Sie und probieren Sie weiter aus! Wenn Sie über diesen Artikel hinaus weitere Beispiele, Unterrichtsmaterial und Ideen sehen wollen, besuchen Sie einfach meinen Blog tollerunterricht.com und schauen Sie sich meine Profile bei Facebook, Instagram und Twitter an. Die direkten Links auf meine Profile finden Sie ebenso auf dem Blog. Rückmeldungen Ich bekomme hauptsächlich positive Rückmeldungen sowohl von den Schülern* als auch von den Eltern. Ich habe außerdem das Glück, dass auch meiner Schulleitung gefällt, was ich tue. Ich setze immer alle in Kenntnis über mein Vorhaben und genau diese Transparenz ist, glaube ich, auch der beste Weg. Ich muss mich als Lehrkraft fragen: Was will ich tun, was will ich erreichen, welche Medien möchte ich dazu einsetzen, welche Daten müssen dafür „freigegeben“ werden? Darüber setze ich meine Schulleitung in Kenntnis, schreibe einen Elternbrief mit all diesen Punkten und sammle dadurch das schriftliche Einverständnis der Eltern ein. Das hört sich nach Aufwand an, ist es aber nicht, weil Um auf die weiteren, in den Fußnoten angegebenen Internetseiten zu gelangen, benutzen Sie bitte die Hyperlinks auf unserer Internetseite. 57 FACHDIDAKTIK 1 2 3 4 5 6 7 FACHDIDAKTIK 21st century learning und 4K (Kritisches Denken, Kommunikation, Kreativität, Kollaboration) • Übersicht bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/4K-Modell_des_Lernens • Forschungsserie: http://www.p21.org/our-work/4cs-research-series • Vortrag von Andreas Schleicher auf der re:publica 2013: https://youtu.be/Ibb5KE6Cl_w. http://homepages.uni-paderborn.de/wilke/blog/2016/01/06/ SAMR-Puentedura-deutsch/. Den Lernzirkel findet man hier: https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/themen-entdecken/schule-und-unterricht/latein/unterrichtsmaterialien/2672/lernzirkel-zum-ablativus-absolutus?number=114468. QR-Codes sind zweidimensionale Barcodes, in die verschiedenste Informationen eingebettet werden können. Sie können bis zu 300 Zeichen Text enthalten oder zu Internetseiten weiterleiten, sobald man sie mit einem QR-Code-Scanner auf seinem Mobilgerät scannt. Eine kleine Übersicht, was man alles mit QRCodes machen könnte: https://tollerunterricht.com/?s=qr-code. Learning Apps sind kleine Übungen, die man im Browser unter learningapps.org bearbeiten kann. „LearningApps.org unterstützt Lern- und Lehrprozesse mit kleinen interaktiven, multimedialen Bausteinen, die online erstellt und in Lerninhalte eingebunden werden. Für die Bausteine (Apps genannt) steht eine Reihe von Vorlagen (Zuordnungsübungen, Multiple Choice-Tests etc.) zur Verfügung.“ (https://learningapps.org/about.php). Der komplette Blogeintrag „Analog meets digital“: https://tollerunterricht.com/2017/05/06/analog-meets-digital-grammatik-in-stationen-lernen/. Übersicht, wie man Schüler* als Lernhelfer im Unterricht nut- 8 9 10 11 12 13 zen kann: https://www.beltz.de/fachmedien/paedagogik/zeitschriften/paedagogik/themenschwerpunkte/schueler_als_lernhelfer.html. Die Handreichung findet man hier: https://www.ccbuchner.de/ titel-1-1/differenziert_unterrichten-2861/. Der komplette Blogeintrag „Kulturkompetenz mal anders“: https://tollerunterricht.com/2016/11/11/latein-kulturkompetenz-mal-anders/. Der komplette Blogeintrag „Klassenarbeiten mit QR-Codes korrigieren“: https://tollerunterricht.com/2017/09/09/klassenarbeiten-mit-qr-codes-berichtigen/. Eine kleine Übersicht mit möglichen Einsatzmöglichkeiten findet man im Blogeintrag „WORKSHOPS Digitalisierung im Lateinunterricht“, die ich für die NRW-Fachleiter und später Referendare in Köln gegeben habe: https://tollerunterricht. com/2018/06/10/workshops-digitalisierung-im-lateinunterricht/. Anfangs nutzte ich dazu noch mein eigenes Handy oder Tablet, mittlerweile nehme ich meinen privaten Laptop mit und erzeuge darüber einen Hotspot, den auch mehr als nur fünf Schüler* nutzen können. Dazu nutze ich den Internetanschluss, den ich über Kabel in manchen Klassenräumen erhalten kann. Augmented Reality, als eine erweiterte Realität „könnte in praktisch allen Bereichen des Alltags zum Einsatz kommen. Monteure könnten sich den nächsten Arbeitsschritt direkt in ihr Sichtfeld einblenden lassen; Soldaten oder Katastrophenhelfer könnten sich Ziele und Gefahrenzonen im Gelände anzeigen lassen und Designer könnten mit tatsächlich und virtuell anwesenden Kollegen am selben dreidimensionalen Modell arbeiten.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Erweiterte_Realität) LRS im Lateinunterricht – wo liegen die Hürden für Lernende und die Herausforderungen für Lehrende? VON ANNE FRIEDRICH (DIDAKTIK DER ALTEN SPRACHEN/ MARTIN-LUTHERUNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG) U nabhängig von der Schulform haben Lehrkräfte der Sekundarstufe zunehmend mit Lese-Rechtschreib-Problemen ihrer Schülerinnen und Schüler zu kämpfen und sind um Hintergrundwissen und Lösungsansätze bemüht. Wie ist Latein-Unterricht zu gestalten, um den Lernenden in ihren spezifischen Problemen entgegenzukommen und dennoch fair fördernd und fordernd im Sinne des gesamten Kursverbandes zu agieren? Zu den Ursachen und Einflussfaktoren von LRS In der Fachliteratur wird unterschieden zwischen personalen Faktoren und Umweltfaktoren.1 Zu ersteren gehören biologische Ursachen wie die genetische Ausstattung und zerebrale Prozesse: Störungen in der auditiven und visuellen Wahrnehmungsverarbeitung haben zur Folge, dass LRS-Betroffene Wörter deutlich langsamer als andere wahrnehmen und die Reizverarbeitung verlangsamt stattfindet Ich hatte (Arbeitsgedächtniskapazität!). Während normalerweise doch noch beim Lesen eines Wortes im Gehirn die visuellen einmal ge- graphischen Informationen sofort zu auditiven lautlichen schrieben. Informationen umgeformt werden, ein gelesenes Wort im Kopf also quasi erklingt, bleibt das Wort im Kopf 58 eines Legasthenikers zunächst stumm. LRS-Betroffene nehmen Wörter, Sprache und Text mühsamer und in kleineren Einheiten auf; ihre Augen müssen deutlich mehr vor- und zurückspringen (die sogenannten Sakkaden des Leseprozesses), um sich einen Satz bzw. Text als Einheit zu erschließen. Man geht von durchschnittlich 20% mehr Zeit im Texterschließungsprozess aus – im Unterrichtsvollzug deutlich bemerkbar. betroffen sein. Bei umschriebenen Lesestörungen sind Rechtschreibstörungen häufig und persistieren oft bis in die Adoleszenz, auch wenn einige Fortschritte im Lesen gemacht werden. Umschriebenen Entwicklungsstörungen des Lesens gehen Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus. Während der Schulzeit sind begleitende Störungen im emotionalen und Verhaltensbereich häufig.“4 Hinsichtlich der Genetik zeigen Studien2, dass die Erblichkeit von Legasthenie bei circa 50-60% liegt, also recht hoch ist. Haben Kinder Legasthenie, so meist auch ein Drittel der Eltern und die Hälfte der Geschwister; Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Ursprünglich musste eine Legasthenie-Diagnose mit einem Intelligenztest gekoppelt sein, um intellektuelle Entwicklungsverzögerungen als Ursache auszuschließen, doch mittlerweile werden allgemein leistungsschwache Kinder mit diesen Lese-Rechtschreib-Auffälligkeiten mit eingeschlossen – auch die Verwaltungsvorschriften der einzelnen Bundesländer hinsichtlich des Nachteilsausgleichs in Schulen differenzieren hier kaum noch, sondern gehen wie beim Autismus von einer Spektrum-Störung aus. Dazu kommen Umweltfaktoren wie Anregungen zum Spracherwerb in der Familie oder auch die Methoden des Lese- und Rechtschreibunterrichts in der Grundschule. Vor allem hierüber gibt es in letzter Zeit erbittert geführte Debatten. Eine aktuelle Untersuchung von 3000 Kindern in NRW nach den Schreiblernmethoden stellte klar die Vorteile des systematischen Fibel-Ansatzes gegenüber Methoden wie der ‚Rechtschreibwerkstatt‘ oder ‚Lesen durch Schreiben‘ heraus: Bei diesen Methoden wird, um zum freien und kreativen Schreiben zu ermutigen, sehr lange nicht korrigiert – durchaus ungünstig für korrekte Orthographie, die dann erst zum Ende der Grundschulzeit wichtig bzw. den weiterführenden Schulen als Aufgabe mitgegeben wird.3 Erkennungsmerkmale von LRS im Unterricht Nicht alle LRS-Betroffenen sind diagnostiziert. Auch handelt es sich um Fehler, die jedem einmal unterlaufen können und eher durch die Häufigkeit ihres Auftretens der Lehrkraft einen Hinweis auf LRS geben können. Beim Schreiben sind zu beobachten: • viele Fehler beim (Ab-)Schreiben von Texten; Wörter werden teilweise nur in Bruchstücken (sog. Wortruinen) geschrieben; dasselbe Wort wird innerhalb eines Textes verschieden falsch geschrieben; Interpunktionsfehler • unleserliche Handschrift (tw. in unterschiedlicher Schriftgröße innerhalb eines Textes) • Diskrepanz zwischen sehr gutem mündlichem Ausdrucksvermögen und betont knapper Beantwortung schriftlicher Aufgaben. Diagnose LRS Die bisherigen Ausführungen lassen erkennen, dass sehr verschiedene Ursachen und Schweregrade vorliegen: Während an der genetischen Ausstattung nichts änderbar ist und die Betroffenen auch im Erwachsenenalter massiv beeinträchtigt sein können – wenngleich sie dies im Laufe ihrer Bildungsbiographie zu kompensieren lernen –, scheinen andere Ursachen geradezu hausgemacht und ausmerzbar. Diese Spannbreite sollte man als Lehrkraft im Hinterkopf haben, wenn eine Schülerin oder ein Schüler mit LRS-Diagnose kommt. Häufig wird nicht (genug) zwischen der stark ausgeprägten Legasthenie und der minder starken Lese-Rechtschreib-Schwäche unterschieden. Im ICD (International Classifiction of Diseases) wird die Lese-Rechtschreib-Störung unter den Entwicklungsstörungen eingeordnet und folgendermaßen definiert: Beim Lesen sind zu beobachten: • langsames Lesetempo, häufiges Stocken, Probleme v.a. bei längeren Wörtern • Verrutschen zwischen den Zeilen längerer Texte, Überspringen von Wörtern • Auslassung, Verdrehen oder Ersetzung einzelner Buchstaben/Silben (bis hin zu ganzen Wörtern) • Gliederung in Silben gelingt nicht immer • Nichtlesen bzw. Erfinden von Wortendungen oder ganzen Wörtern als Kompensationsstrategie • Ignorieren der Interpunktion • bei Fragestellungen zum Text oft nur Verwendung von allgemeinem Wissen anstatt der Informationen aus dem Gelesenen. „Das Hauptmerkmal ist eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wieder zu erkennen, vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit nötig ist, können sämtlich Gestaltung von Lateinunterricht für LRS-Betroffene5 Da das Übersetzen Kern und Königsaufgabe des 59 FACHDIDAKTIK FACHDIDAKTIK Für die Grammatikarbeit lässt sich grob sagen, dass deduktive Verfahren den induktiven vorzuziehen sind, man die metasprachliche Terminologie auf das Nötigste begrenzen sollte und auf jeden Fall ein einheitliches Markierungssystem für Satzglieder einführen sollte. Das Baukastensystem der lateinischen Sprache lässt sich gut mit Legekarten sowie farblich verdeutlichen (Präfixe, Wortstamm, Bindevokale, Tempuskennzeichen, Personal- oder Kasusendungen), überhaupt sollten immer verschiedene Sinneskanäle angesprochen werden. Grammatisch-syntaktische Phänomene (z.B. AcI) sollte man wo nur möglich visualisieren und nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich einüben.6 Tafelbilder zur neuen Grammatik kann man eventuell als (Lücken) kopie aushändigen, damit der LRS-Schüler nicht so viel abschreiben muss, denn häufig ist gleichzeitiges Hören und Mitarbeiten sowie das oft langsame und fehlerhafte Abschreiben ein Problem. Abb. 2 und 3 Mitschriften eines Schülers mit LRSDiagnose (8. Klasse, 3. Lernjahr Latein). Lateinunterrichts darstellt, soll zunächst hierauf eingegangen werden. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Texterschließung sich auf drei Ebenen vollzieht. Zunächst einmal muss die Textoberfläche dekodiert werden: Die Erkenntnispsychologie versteht hierunter das flüssige Lesen ohne tieferes Textverständnis; hier haben LRS-Betroffene im Vergleich zu ihren Mitschülern bereits Probleme und benötigen mehr Zeit. Geeignet zur Übung sind z.B. Laut-Lese-Tandems, indem ein lesekompetenter Schüler den bereits in Sinneinheiten gegliederten Text mit dem LRS-Schüler möglichst expressiv zu lesen übt. Für die Wortschatzarbeit gilt, insbesondere für den Anfangsunterricht, Wörter haptisch erfahrbar machen, z.B. durch Schreiben auf Wachstafeln. Vokabelkartei oder Vokabelheft (beim Abschreiben von Lernvokabeln: Schauen – Abdecken – Abschreiben - Kontrollieren) sind zu empfehlen, statt Wortlisten sollte man lieber Mindmaps anfertigen lassen! Übungen mit Buchstabenvertauschungen (Buchstabensalate, Wortschlangen ...) o.ä. sollte man vermeiden, wie Abb. 4 zeigt: Die zweite Ebene ist die der Textbasis, des Durchdringens der Mikro- und Makrostruktur eines Textes, der Schaffung von Bedeutungseinheiten und der Analyse von syntaktischen Strukturen. Auch hier haben LRS-Schüler große Probleme wegen der starken Verdichtung und Komplexität/ Bedeutungsambivalenz des Lateinischen, z.B. die Notwendigkeit, Prädikate zu segmentieren und daraus Tempus- und Personalinformationen zu entnehmen. Aufgrund der LRS-Schwierigkeit, Texte ganzheitlich zu ‚scannen‘ und gezielt Informationen zu entnehmen, wie es zum Beispiel die transphrastische Text(vor)erschließung verlangt, bieten sich also eher linear vorgehende Texterschließungsmethoden an, die zunächst auf der Satzebene operieren. Empfehlenswert ist, LRS-Betroffenen den zu übersetzenden Text in größerer Kopie und mit mehr Zeilenabstand auszudrucken – bei digitalen Lehrwerken ist dies ohne großen Aufwand machbar. Was die Wörterbuchnutzung angeht, so ist die Orientierung in Print-Wörterbüchern, wenn die Lemmata nicht klar voneinander geschieden und in sich strukturiert sind, häufig verwirrend. Eine WörterbuchApp setzt zwar voraus, dass man das zu suchende Wort auch korrekt eintippt, schränkt aber andererseits die Menge der zu sondierenden Informationen ein. Leistungen muss deutlich werden. Ziel der Nachteilsregelungen ist, ein schulisches Scheitern zu vermeiden, nicht, zu viel besseren Noten zu verhelfen!8 Latein vs. andere Schulfremdsprachen Den Ausgangspunkt für mein Interesse an LRS bildete vor einigen Jahren die Äußerung von Latein- und Griechischkolleginnen und -kollegen, sie würden ihren Schülerinnen und Schülern mit LRS dezidiert die Alten Sprachen empfehlen und hätten gute Erfahrungen damit. Dies lässt sich einerseits bestätigen, andererseits einschränken: Vorteilhaft ist natürlich, dass die lautlich-phonologische Sprachebene im Gegensatz zu auf Kommunikationskompetenz ausgerichteten Fremdsprachen (insb. Französisch) für Latein kaum eine Rolle spielt. Doch sind gute Kompetenzen auf der morphologisch-syntaktischen und der semantisch-lexikalischen Ebene gefragt: abwägende Schülertypen mit abstraktem Denkvermögen und starken auditiven aber weniger visuellen Wahrnehmungsproblemen sind, zumal bei entsprechender Frustrationstoleranz, sehr gut aufgehoben im Lateinunterricht. 1 2 3 4 5 6 Als Einstieg bestens geeignet: Scheerer-Neumann, Gerheid: Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie. Grundlagen, Diagnostik und Förderung, Stuttgart 2015, hier S. 13 ein Mehrebenenmodell der LRS-Einflussfaktoren; Klicpera, Christian/ Schabmann, Alfred/ Klicpera-Gasteiger, Barbara: Legasthenie – LRS, München/Basel 2010³. Siehe Scheerer-Neumann, Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie (2015) 32f. Siehe den Artikel: Kinder lernen Rechtschreibung am besten mit der Fibel. Früja wa ales bässa? Zumindest beim Schreibenlernen 7 8 scheint da etwas dran zu sein: In einer Studie schneidet die klassische Fibel am besten ab. Eine besonders umstrittene Methode fällt durch. Beitrag vom 16.09.2018 (eingesehen unter http:// www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/rechtschreibung-kinderlernen-rechtschreibung-am-besten-mit-der-fibel-a-1228351. html am 12.01.2019). Vgl: https://www.zdf.de/nachrichten/ heute/lehrerverband-fordert-verbot-der-lesen-durch-schreibenmethode-100.html (eingesehen am 12.01.2019). http://www.icd-code.de/icd/code/F81.-.html (eingesehen am 12.01.2019). Hier können nur kurze Anmerkungen gemacht werden; wer sich intensiver damit beschäftigen möchte, sei auf meinen Grundsatzbeitrag dazu verwiesen: Friedrich, Anne: LRS und Lateinunterricht, in: Pegasus-Onlinezeitschrift 1 (2017) 14-75 (mit Anhang zu den Verwaltungsvorschriften der einzelnen Bundesländer), einzusehen unter http://www.pegasus-onlinezeitschrift.de/. Ausgezeichnetes Material bietet Bethlehem, Ulrike: Latine loqui – gehört, gesprochen, gelernt (2015) 25-34 und 45-56 und 63-70: Kopiervorlagen zur lebendig-versprachlichten Grammatikeinführung unter Beachtung der jeweiligen Funktionalität (Akkusativ-Übung mittels Bildbeschreibung, Genitiv-Übungen anhand des genitivus possessivus, AcI mit gelenkten Sprechübungen). Beschrieben bei Wittich, Peggy/ Mallon, Sven: „Tres, tres, tria“ Lernspiele für Latein ab dem 1. Lernjahr, Berlin 2015. Siehe zum Beispiel die Empfehlungen zur Umsetzung der Verwaltungsvorschrift „Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben vom 28.8.2007/ Rheinland Pfalz: https://deutsch.bildung-rp. de/fileadmin/user_upload/deutsch.bildung-rp.de/Sek_I/Dateien/2013-08_HR_Rechtschreibfoerderung_VV_final__2_.pdf (eingesehen am 12.01.2019). Abb. 4 Mitschrift einer Schülerin mit LRS-Diagnose (7. Klasse, 2. Lernjahr Latein). Geeignete Wortschatzübungen (nicht nur) für LRS-Schülerinnen und Schüler stellen dar: Bingo, Wortnetzwerkstatt, Memory, Vokabelkreis, Formpuzzle Trimino, Omnium optimus/optima.7 Nachteilsausgleich und Bewertung bei LRS im Lateinunterricht In den Verwaltungsvorschriften zum Nachteilsausgleich wird stets die Bereitstellung von technischen und didaktischen Hilfsmitteln (z.B. Laptop, Tafelbildkopien) vorgeschlagen, dazu auch die Ausweitung der Arbeitszeit bei schriftlichen Leistungserhebungen (günstiger als eine Kürzung der Aufgaben, denn dies ruft schnell den Widerspruch der Lerngruppe hervor). Wie viel Zeit man zusätzlich gibt, sollte individuell bestimmt und der Lernprogression angepasst werden. Überhaupt sollte man im Blick behalten, dass die LRS-Diagnose und der damit erhaltene Nachteilsausgleich nicht ausgenutzt werden: die Anstrengung des/der LRS-Betroffenen für bessere Die dritte Ebene ist das sg. Situationsmodell, die Integration der Textinformationen in das individuelle Vorund Weltwissen des Lesers. Alle Ebenen laufen parallel und rekursiv ab, die dritte Ebene ist für die Verankerung der Textinhalte im Langzeitgedächtnis die effektivste – und sollte dementsprechend im Unterricht Thema sein. 60 „Ich liebe es auch, dass ich all die beruflichen Erfahrungen, die ich vorher gemacht habe, so gut gebrauchen kann“ Ein Einblick in die Arbeit einer leitenden Regierungsschuldirektorin EIN INTERVIEW VON CAROLINE WAHL N exus durfte am 14.01.2019 mit Frau Meyer, der leitenden Regierungsschuldirektorin, ein Interview führen. In diesem berichtet sie ausführlich über ihre vielfältigen Tätigkeiten, ihren Werdegang als Lehrerin, Schulleiterin, Fachleiterin und anschließend als schulfachliche Aufsicht in der Bezirksregierung Arnsberg und als Regionalkoordinatorin im Lenkungskreis der Stadt Bochum. I. Frau Meyer, Sie sind Regionalkoordinatorin der Schulaufsicht für die Regionalen Bildungsnetzwerke in Bochum. Welche Aufgaben müssen Sie innerhalb Ihres Berufs ausüben? „Regionalkoordinatorin“ ist nur ein ganz kleiner Teil meiner Aufgaben und man kann den Beruf grundsätzlich in vier Teile teilen: Einmal die Zusammenarbeit mit 61 FACHDIDAKTIK FACHDIDAKTIK Kommunen, zum Zweiten die Zusammenarbeit mit den Schulleitungen, zum Dritten die Arbeit für besondere Themen und zum Vierten die Arbeit an Unterrichtsfächern […]. Das sind vier Teile und in einen gehört diese Regionalkoordination im Bildungsnetzwerk Bochum. ganz neu Ansprechpartnerin – worüber ich mich sehr freue – für kulturelle Bildung. Das heißt auch über die Schulformen hinweg. Dazu gehören viele interessante Projekte, u.a. das Projekt „Das NRW-Junior Ballett besucht Schulen in der Bezirksregierung Arnsberg“. Nicht zuletzt bin ich für die Qualität von Unterrichtsfächern zuständig und zwar für Biologie und Latein und alles was so im Groben damit zusammenhängt. Das bedeutet, dass ich für beide Fächer mit den Kolleg*innen in anderen Bezirksregierungen Prüfungen verantworte, Staatsexamensprüfungen besuche, zentrale Prüfungen aufsichtlich abnehme, aber auch Widersprüche bearbeite, bei der Fortbildung mitarbeite, wenn Fortbildungsmodule für Lehrer*innen erarbeitet werden, z.B. für die Durchführung des mündlichen Abiturs, dann arbeite ich in den Gruppen für Biologie und für Latein mit. Damit möglichst viele Schüler*innen einen guten Schulabschluss machen und einen für sie passenden Ausbildungsplatz und/oder ein Studium finden, (auch wenn individuell nicht alles so glatt läuft, z.B. wenn es Probleme in der Familie gibt oder Sprachschwierigkeiten oder die Schüler*innen zugewandert sind) [...], gibt es in den Kommunen und kreisfreien Städten, also z.B. in Bochum, eine Zusammenarbeit vieler kommunaler Institutionen, Bildungseinrichtungen und Schulen […] Damit die Zusammenarbeit langfristig koordiniert wird, gibt es Lenkungskreise und hier sitzen dann Leitungspersonen aus diesen Institutionen […] und Dezernent*innen der Schulaufsicht und der Kommune. In Bochum bin ich eine der Dezernentinnen. Da geht es gar nicht um Fächer, da geht es einfach um Zusammenarbeit unabhängig von Schulformen, um die Zusammenarbeit mit der Kommune mit der Brille immer aus der Schule heraus. Als Regionalkoordinatorin vertrete ich hier viele Schulformen. Man trifft sich dann dafür regelmäßig und macht Pläne für eine weitere Zusammenarbeit, z.B. beim Thema „Übergänge zwischen den Schulformen“ gibt Aufträge und schaut, wo man Dinge optimieren kann. […] II. Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Tätigkeit? Ich liebe es, dass meine Tätigkeit so unterschiedlich ist und ich liebe es auch, dass ich all die beruflichen Erfahrungen, die ich vorher gemacht habe, so gut gebrauchen kann. Also es schließen sich immer wieder neue Kreise; man trifft Menschen wieder, die man schon einmal getroffen hat, und ich kann sehr gut Fähigkeiten für die fachliche Arbeit verwenden, die ich mir aus meiner früheren Tätigkeit als Fachleiterin für Latein, für Biologie und als Hauptseminarleiterin angeeignet habe. Bei der Beratung von Schulen kann ich darauf zurückgreifen, dass ich selber eine Schule geleitet habe, sodass ich […] viele der Probleme erstmal verstehen kann, um gemeinsam eine Lösung zu suchen. So kann es sein, dass ich an einem Tag ganz ruhig mit Menschen Texte übersetze und am nächsten Tag in der Prüfung sitze, weil jemand stellvertretender Schulleiter werden möchte und mir ein ganz anderes Fach oder eine Fachkonferenz anschaue oder am dritten Tag im Ministerium für Schule und Bildung bin, um gemeinsam mit den anderen Dezernenten zu erfahren und zu besprechen, wie z.B. G9 umgesetzt werden soll. Ich bin Regionalkoordinatorin in Bochum, weil ich u.a. für die Gymnasien in Bochum zuständig bin. Das ist sozusagen der zweite Part: Ich unterstütze die Schulleiter*innen bei der Schulentwicklungsarbeit. Wenn es Probleme gibt, die sie nicht alleine lösen können, z.B. wenn Unterrichtsausfall droht oder wenn Bildungsbiographien bedroht sind, berate und unterstütze ich sie. Aber ich bin auch sonst bei allen möglichen großen und kleinen Problemen die erste Ansprechadresse und berate, unterstütze und sichere Qualität, z.B. indem ich mit den Schulen Ziele für die zukünftige Schul- und Unterrichtsentwicklung zwischen den externen Qualitätsanalysen vereinbare. Das ist ein konsensualer Prozess. III. Wenn Sie Ihren jetzigen Aufgabenbereich, mit denen der Lehrer*innen vergleichen, welche Unterschiede gibt es? Würden Sie nochmal in den aktiven Schuldienst wechseln? Der dritte Aufgabenbereich beinhaltet meistens übergreifende Themen: Ich bin jetzt zum Beispiel Ansprechpartnerin für die Ganztagsgymnasien in der Bezirksregierung Arnsberg und nicht nur für die in Bochum und Herne und treffe mich regelmäßig mit den Schulleiter*innen, gebe Informationen weiter, unterstütze und berate; ich bin für alle Fragen der Sekundarstufe I zuständig innerhalb der Bezirksregierung Arnsberg, das bedeutet, für die nächste Zeit für die Umsetzung von G9 und darüber hinaus Im Unterschied zu den Lehrer*innen habe ich jetzt nur noch selten direkten Kontakt mit Eltern und mit Schüler*innen, meistens telefonisch. Mit Lehrerinnen und Lehrern habe ich Arbeitskontakte z.B. in Arbeitsgruppen und Dienstbesprechungen. Der direkte Kontakt mit einem Lehrerkollegium über eine längere Zeit fehlt in der jetzigen Arbeit, durch den man Beziehungen in 62 rüberbringen können. Das kann auch ein wenig skurril sein, aber Schüler*innen lieben es. Wenn der Lehrende in einer Sache richtig gut ist, ganz viel weiß und davon auch unheimlich gerne erzählt, lassen sich Schüler*innen begeistern und sie sehen auch, dass der Lehrende auch selbst ein Lernender ist und in seinem Lieblingsthema (und hoffentlich auch darüber hinaus) gerne weiterlernt. Das finde ich gerade für Latein und Griechisch ungemein wichtig: Studierende, die mit Liebe zu ihren Fächern Latein oder/und Griechisch studieren, verfügen in der Regel über die Sekundärtugenden, die ich wichtig finde, sowieso schon: Sie sind fleißig, frustrationstolerant, ein Stück weit ehrgeizig, können relativ gut planen und sind oft ist ein bisschen detailverliebt und sachorientiert. Das ist vorteilhaft, weil Lehrer*innen die eben genannten Verhaltensweisen vorleben müssen, um als Vorbild glaubhaft und tauglich zu sein: Man darf, wenn man selber nicht fleißig ist, keinen Fleiß erwarten, wenn man nicht pünktlich und verlässlich ist, keine Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Wenn Lehrer*innen nicht zeigen, dass Sie selber gerne weiterlernen, dann brauchen sie nicht erwarten, dass alle anderen das gerne machen oder einen Sinn darin sehen. einer Schulgemeinde aufbauen und pflegen, schnell Vertrauensverhältnisse herstellen, gemeinsam an der Entwicklung von Schüler*innen direkt mitarbeiten und unterstützen konnte. Jetzt arbeite ich über eine lange Zeit in der eben genannten Weise mit mehreren Schulleiter*innen zusammen. Das finde ich auch sehr befriedigend. Aber sonst ist der Kontakt zu Schüler*innen weiter weg. […]. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, wieder direkt vor einer Klasse zu stehen, weil ich glaube, dass alles seine Zeit hat, aber ich habe das sehr gerne gemacht. Ich bin sicher, dass ich noch unterrichten kann und es in keiner Katastrophe enden würde. Ich kann mir vorstellen, dass ich mir, wenn ich irgendwann mal in Rente gehe, noch einmal Kinder in Deutsch und auch gerne in Latein unterstütze, z.B. im Rahmen von Integrationsmaßnahmen. Diese Perspektiven kann ich mir gut vorstellen. Das Unterrichten fehlt mir manchmal. Ich habe so gerne Latein unterrichtet. IV. Durch Ihre jetzige Tätigkeit als Schulaufsichtsbeamtin und Ihre damaligen Aufgaben als Fachleiterin und Schulleiterin hospitierten und bewerteten Sie auch den Unterricht von Lehrer*innen. Was muss jetzt speziell ein*e gute*r Latein- bzw. Griechischlehrer*in Ihrer Meinung nach mitbringen und was nicht? Menschen sind ungeeignet für den Beruf, wenn sie nicht täglich und stündlich dem Grundsatz folgen „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, wenn sie Schüler*innen durch abschätzige Sprüche und Beleidigungen beschämen: „Schon wieder eine fünf. Das schaffst du eh nicht. Du gehörst sowieso nicht auf diese Schule“ insbesondere solche Erniedrigungen in einer Situation, denen sich der Lernende nicht entziehen kann und im schlimmsten Fall noch öffentlich in der Klasse - das ist absolut indiskutabel. Sich so nicht zu verhalten, sondern wertschätzend, freundlich und voll Vertrauen in die Möglichkeiten der Schüler*innen ist das Beste, was wir – neben richtig gutem Unterricht natürlich – für die alten Sprachen an den Schulen tun können. Erstmal alles, was andere Lehrer*innen in anderen Fächern auch mitbringen müssen: Sie müssen Menschen mögen. Wenn man das nicht tut, möge man das bitte sofort lassen. Menschen mögen bedeutet, dass man grundsätzlich erstmal neugierig auf die anderen ist, ihnen vertraut, Vertrauen zu sich selber hat, dass man etwas gütig und großzügig ist und viel Freiheit gewährt. Das ist so eine Grundkonstante. Humor ist, glaube ich, sehr wichtig, um in diesem Beruf gesund zu bleiben. Es ist auch wünschenswert, dass Lehrer*innen erwachsen sind. Ich verstehe unter erwachsenen Menschen Personen, die Selbstbewusstsein haben und in ihrer Rolle (als Lehrer*in) sicher sind. In der Rolle sicher sein, bedeutet, dass ihnen klar ist, dass sie keine Schüler*innen mehr sind, dass sie auf der anderen Seite vom Tisch sitzen und die Verantwortung für die Lernprozesse und den Erziehungsprozess in der Schule haben, in aller Freundschaft. Des Weiteren sollten ein*e Lehrer*in klar in ihrer/seiner Profession und in ihrer/seiner Rolle als Beamter in einem demokratischen Rechtsstaat sein. Das muss ein*e angehende*r Lehrer*in vor Augen haben. Da dürfen er und sie sich nicht dauernd ausklinken. V. Gab es für Sie als Lehrerin und/oder als Beobachterin irgendwelche prägende Ereignisse im Unterricht, die Sie nie vergessen werden? Es gibt unendlich viele positive Ereignisse. Das, was ich jetzt schildere, ist eher so ein Klischee, aber hat sich tatsächlich ereignet. Die Schulen haben 2015 – alle Schulformen, aber auch die Gymnasien, die Gesamtschulen im Wesentlichen – Flüchtlingskinder aufgenommen. In Bochum z.B. hat jedes der zehn Gymnasien zwischenzeitlich 45 Schüler*innen ohne deutsche Sprachkenntnisse, z.T. Analphabeten aufgenommen. Das sind sehr viele, wenn man bedenkt, dass ungefähr 600 Kinder an der Schule sind. […] Ich besuche die Schulen regelmäßig aus den unterschiedlichsten Gründen und ich erinnere mich, Für Latein und Griechisch gilt besonders, dass man ein Modell für das Lernen ist. Man muss seine Fächer lieben, d.h. man muss nicht für alles in den Fächern brennen, aber mindestens für ein Thema sollte man sich begeistern können und Experte sein und das muss man 63 FACHDIDAKTIK FACHDIDAKTIK dass 2015 ein Schulleiter – und es war immer eine Herausforderung für ein Gymnasium – sich gefragt hat: „Was mache ich mit neuen Schüler*innen? Woher nehme ich die Ressourcen und die Experten?“ Er hat das Kollegium für diese Aufgabe gewonnen. Bei meinem nächsten Besuch hat er mich eingeladen „Sie müssen mal mitkommen in unsere eine internationale Klasse.“ Da saßen 12 Kinder unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Die zwei Lehrerinnen waren total stolz. Der Schulleiter stellte mich vor. Das haben die Schüler*innen zwar nicht ganz verstanden, aber sie verstanden, dass sie jetzt ihren neugelernten Satz anbringen können, nämlich „ich heiße“ und „ich komme aus“. Also habe ich allen 12 Schüler*innen die Hand geschüttelt und alle 12 haben mir gesagt, wie sie heißen und woher sie kommen. Das war schon so eine Situation… Das war schön. Ich habe nichts dazu beigetragen, sondern nur die Schulen bei der Verteilung unterstützt und ein bisschen Überzeugungsarbeit geleistet, aber ich fand diese Situation sehr gut: Die Kinder mussten in die Schule gehen. Politisch kann man das sehen, wie man das möchte. Aber die Kinder waren nun einmal in Deutschland, standen sozusagen vor der Tür, haben ein Recht auf Bildung, wurden und werden an den Schulen aufgenommen und dürfen lernen. […] geht es eigentlich wirklich geht. Viele der „modernen“ didaktischen Ansätze sind vor 30 Jahren entstanden. Damit bin ich schon sozialisiert. Ich sage mal, ich bin mit Prof. Dr. Glücklich sozialisiert. Was sich in den letzten Jahren verändert hat, insbesondere durch Veränderungen im Schulgesetz, ist die Verpflichtung zur individuellen Förderung auch in allen Schulformen. Mit Blick auf individuelle Förderung machen binnendifferenzierende Verfahren im Unterricht viel Sinn. […] Wichtig ist, dass wir möglichst gleiche Chancen eröffnen und Schüler*innen in ihren Lernbiographien unterstützen. Da hat sich in der Lateindidaktik und im Unterricht sehr viel getan. Was sich auch getan hat, ist, dass diese kreativen Möglichkeiten stärker genutzt werden und stärker in den Fokus geraten. Gut und notwendig finde ich, dass auch bei den modernen Didaktiken der Text im Zentrum steht. […] Was sich noch entwickelt hat, nicht zuletzt durch zunehmende Heterogenität der Gesellschaft, ist sicherlich der Blick auf das Fach Latein als Fach, in dem Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit angebahnt durch die Reflexion über Sprache angebahnt werden. In der Didaktik bekommt dieser Aspekt mehr Raum u.a. durch die zugewanderten Kinder. Latein bietet tertium comparationis beim Erlernen weiterer Sprachen. Im Lateinunterricht wird beim Übersetzen auch die Verwendung der deutschen Sprache, insbesondere der Bildungssprache, reflektiert eingeübt. Über den Ausbau der Sprachkompetenz in der deutschen Sprache wird Teilhabe ermöglicht für Menschen, deren Eltern in Deutschland geboren sind und für die, die zugewandert sind. Darüber hinaus werden die Muttersprachen der Schüler*innen deutlicher als Stärken genutzt. Diesen Aspekt nimmt die Fachdidaktik stärker in den Fokus im Kontext mit den Sprachen, die die Kinder schon mitbringen im Sinne von Mehrsprachigkeit oder Würdigung dieser Mehrsprachigkeit und in Zusammenarbeit mit den anderen Fächern, zusammen mit den anderen Fremdsprachen. Das hat sich auch geändert. Darüber hat in meiner Schulzeit kein Mensch geredet. VI. Denken Sie bitte noch einmal an Ihre Schulzeit zurück. Wie hat sich der Lateinunterricht damals im Gegensatz zu heute verändert? Wie hat sich speziell die Fachdidaktik verändert? Ich habe 1986 Abitur gemacht. Ich hatte recht modernen Lateinunterricht. Das habe ich natürlich erst viel später mitgekriegt, weil wenn man irgendwo an einer Schule ist, denkt man, dass der Lateinunterricht überall so und nicht anders ist. Ich komme aus einer nicht-akademischen Familie, d.h. ich hatte absolut keine Vergleichsmöglichkeiten. Mein Studium habe ich als absoluten Rückfall in die Steinzeit erlebt und war völlig frustriert, als ich meine erste Hausarbeit damals zurückbekam. Der Professor kritisierte mich, dass ich mich mehr mit der Sekundärliteratur hätte beschäftigen sollen und weniger mit meiner eigenen Meinung. Es hätten viele kluge Leute schon darüber geschrieben, da müsste ich nicht noch meine eigene Meinung dazu schreiben. Ich war damals sehr irritiert, weil ich das ja in der Schule anders gelernt hatte […]. Metamorphosen begleiten mich schon 35 Jahre. Diese sprachliche Schönheit war für mich ein Türöffner zu Kunst und Musik. Da ich ja nicht aus einem akademischen Haushalt komme, hat Ovid und tut es immer noch, mir z.B. viele Bilder erschlossen und Museumsbesuche fruchtbar gemacht. Es ist einfach schön zu wissen, woher ein Zitat stammt, was bestimmte Symbole bedeuten. Das macht ein Stück weit meine Freude an der bildenden Kunst aus, dass ich das verknüpfen kann, dass ich weiß, dass der/die Künstler*in das auch gelesen und interpretiert hat. Diese Brücke bietet mir an ganz vielen Stellen unter anderem Ovid. Ich mag den Sprachstil unheimlich gerne. Mich fasziniert der Mensch, der mit seinem großen Selbstbewusstsein schon sehr genau wusste, dass er mit diesem Werk unsterblich werden würde. Bescheidenheit geht anders, aber damit hatte er Recht. Bafögs begrenzt war, habe ich in der Mitte des Studiums Chemie aufgeben müssen. VIII. Ist Latein noch in Ihren Alltag integriert? Kommen Sie zum Beispiel dazu, etwas zu übersetzen? Ich übersetze sehr häufig Texte und zwar überwiegend im Kontext von Prüfungszusammenhängen. Die Bezirksregierungen sind zuständig für die Latinumsprüfungen an den Schulen und an den Universitäten. Ich bekomme Vorschläge aus Kommissionen, die ich beauftragt habe. Aber zum Schluss geschieht die Endredaktion über mich. Ich arbeite immer mit und das bedeutet dann, Texte zu übersetzen und Modellübersetzungen anzufertigen und zu überlegen, welche Hilfen angegeben werden […]. Es gibt Arbeitsgruppen der Qualitäts- und Unterstützungsagentur in Soest, die Modellvorhaben und Materialien für neue Schwerpunkte, wenn es neue Abiturvorgaben gibt, entwickeln. Da werde ich eingebunden und auch da übersetze ich immer. Nicht zuletzt arbeite ich in den Fortbildungsgruppen mit; wenn in einer Lehrerfortbildung ein Modul angeboten wird, kommt man nicht umhin zu schauen, was ist das jetzt für ein Text, passt der zur Zielsetzung der Fortbildung […]. Das macht deshalb viel Spaß, weil ich dort mit Lehrer*innen in den verschiedensten Arbeitsgruppen zusammenarbeitet, die z.B. Spezialisten für bestimmte Autoren oder für Didaktik sind und gleichzeitig auch an unterschiedlichen Schulen unterrichten. Des Weiteren liebe ich Caesar. Ich habe ihn immer gerne selbst und mit Schüler*innen übersetzt, weil ich zum einen diese Sprache präzise, modellhaft und wunderschön finde. Je älter ich werde und je länger ich mich mit ihm beschäftige, umso brillanter finde ich, wie er uns Leser lenkt. Ich finde, dass man das mit Schüler*innen daran gut und klar erarbeiten kann, was er mit Sprache, mit Propaganda machte. Im Moment beschäftige ich mich sehr vertieft mit Augustinus, weil er im Zentralabitur neu ist. Ich verliebe mich gerade in dessen Fähigkeit, wie Cicero zu schreiben, aber die Gedanken dann wieder zu transformieren und Begriffe umzudeuten. […] IX. Welchen lateinischen Autoren mögen Sie am liebsten? Am meisten Freude bereitet es mir, mit anderen gemeinsam um die Aussage eines Textes zu ringen, im Diskurs selbst zu einem vertieften Textverständnis zu kommen und gemeinsam eine gute, dem Text in Aussage und Struktur würdige deutsche Übersetzung zu finden. Ich kann es nicht sagen, welchen ich am liebsten mag. Wenn ich mich aber festlegen müsste, dann ist es Ovid, seine Metamorphosen. Es gibt viele Gründe, warum er immer noch oder immer wieder im Kanon und in Schulbüchern auftaucht und immer wieder neue Schulbücher geschrieben werden. Ovid und gerade seine VII. Warum haben sie sich dafür entschieden, das Fach Latein zu studieren? Die Wahrheit ist, dass ich Bio und Chemie studieren wollte. Aber in der Stadt, in der ich dann studieren wollte, hatte die Uni kurzfristig die Zulassung geändert, so dass man zusätzlich ein Langfach dazu studieren musste. Ich stand schon in der Schlange zum Anmelden. Dann habe ich mich wieder hintenangestellt und habe gedacht: „Ach du große Güte! Was machst du denn jetzt?“ „In Latein warst du immer ganz gut.“ Ich hatte Leistungskurs, ich habe in dem Fach Abitur gemacht und es hat mir immer großen Spaß gemacht. „Na, dann studierst du drei Fächer.“ Da die Laufzeit des Insofern habe ich das Referendariat dann wieder sehr genossen, weil die modernen Tendenzen, die jetzt immer noch modern genannt werden, mir da schon nicht fremd waren, also transphrastische Verfahren, Textvorerwartungen zu formulieren, sich nicht sofort in den ersten Satz zu vergraben, zu überlegen, worum 64 Teacher’s Day in Bielefeld EIN BERICHT VON CAROLINE WAHL Stuttgart ist, einen Vortrag zum Thema „PhaedrusFabeln binnendifferenziert und schülerorientiert unterrichten“. Der Teacher’s Day in Bielefeld wurde am 26.09.2018 unter dem Thema „Latein, Übergangslektüre, neue Perspektiven“ für die LehrerInnen angeboten. Nach einigen begrüßenden Worten von Frau Prof. Benz und Herrn Dr. Sauer hielt Frau Ingvelde Scholz, die unter anderem Fachleiterin für Latein am Seminar Der zweite Vortrag von Dr. Tom van de Loo, Schulleiter des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Bad 65 NEXUS MEETS SCHULE NEXUS MEETS SCHULE Oeynhausen, erläuterte verschiedene mittelalterliche Texte zur Übergangslektüre. Nach einer Mittagspause wurden Workshops angeboten. Ein Workshop beinhaltet, dass wir, Frau Dr. Stephanie Natzel-Glei, Marie-Sophie Grober, Mirka Philipps und Caroline Wahl, unser Grammatik-Workout, das auf der Masterarbeit von Madleine Swietek beruht und in dem die Texte von Jacobus de Voragine von uns medial aufbereitet wurden, den TeilnehmerInnen vorstellten. Der krönende Abschluss des Teacher’s Day war der auf Latein gehaltene Vortrag von Özséb Áron Tóth (Eusebius) zur lateinischen Lyrik, die teils durch ihn selbst, teils mithilfe des lateinischen Chors der Universität Bielefeld musikalisch untermalt wurde. Dankesblumen für die Referentinnen: (v. links) MarieSophie Grober, Caroline Wahl, Mirka Philipps und Stephanie Natzel-Glei. Der „Tag der Antike“ am Görres-Gymnasium EIN INTERVIEW VON LARA NOWAK D Serien oder doch online veröffentlichte Fachzeitschriften auf dem aktuellen Forschungsstand – das ‚Alte‘ hat seinen beständigen Anteil am vermeintlich ‚Neuen‘. Um diese Fusion auch bildungspolitisch über die Bühne zu bringen, laden viele (humanistisch-)altsprachlichen Gymnasien, „extra curriculum“, zur Auseinandersetzung mit einer scheinbar weit zurückliegenden, im europäischen (Sprach-) Gedächtnis hingegen stets präsenten Epoche ein. Das altsprachliche Profil, als Achillesferse, d. h. als Schwachstelle verschrien, entpuppt sich vielmehr als Stärke der betreffenden Gymnasien. Der belächelte Orchideencharakter erblüht als vielversprechendes Alleinstellungsmerkmal. ie Alten Sprachen sehen sich, in schulischer wie auch universitärer „arena“, kontinuierlich mit ihrem ‚Überlebenskampf‘ konfrontiert. Die Anforderungen, welche ihr Erhalt stellt, eine Herkulesaufgabe, die Bemühungen um ihre Fortdauer eine Sisyphosarbeit, behaupten böse Zungen. Doch ihre LiebhaberInnen tragen diese Last bereitwillig, (mehr oder minder) Atlas und seinem Weltgewicht gleich. Manchmal macht es gar den Anschein, als sei ihr Lebensinhalt unweigerlich an den Sieg über das Totschlagargument „Tote Sprachen“ geknüpft. Ihre berufliche Existenz, sofern mit den Alten Sprachen verbunden, steht definitiv auf dem Spiel: Kappt man den Lebensfaden dieser ‚ehemaligen Optimaten‘ in Lehre und Forschung, sind gerade auch ihre ‚Prediger‘ gefährdet. Die Moiren, welche dem griechischen Mythos nach die Schere führen, treten in heutiger Gestalt als reale Federführer einer Entwicklung hin zu reinen Kommunikationssprachen auf. Dass Latein und Griechisch zwar nicht mehr zur unmittelbaren Verständigung beitragen können, jedoch einen geistigen Austausch auf ‚ur-menschlicher‘ Ebene erlauben, wird dabei oft außen vor gelassen. Schließlich vermögen die antiken Zeugnisse und Sagenschätze, in moderne (Pop-)Kultur transformiert, einen gemeinsamen Nenner europäischer Kommunikation zu bilden.1 Die Rezeption antiker Zivilisation setzt sich in Zeiten des Internets, das durch seine schiere Unendlichkeit jeder ‚Randgruppe‘ ihren Platz zugestehen kann, in beträchtlichem Maße fort: Seien es (pseudo-)historische Ein rauer Wind umweht das sandsteinfarbene Gebäude, welches von den verbliebenen Plantanen-Riesen in Schach gehalten wird; der ‚Brunnenjunge‘ an der Ecke blickt hilflos in das leere Becken zu seinen Füßen. Umso einladender scheint das; was sich hinter dem eisernen Gitter befindet, eine sirenengleich lockende Wärme. Ein Traditionsversprechen liegt in der Luft, wenn man dem vom römischen Dichter Horaz entlehnten Motto „Sapere aude!“2 des Görres Glauben schenken mag. Die denkmalgeschützte Fassade und historische Turmbibliothek des Düsseldorfer Gymnasiums lassen hoffen. Dessen Alltag, hinter dicken Mauern verborgen, offenbart sich der außerschulischen Öffentlichkeit lediglich an besonderen Tagen. Dieser Freitagnachmittag, der 18.01., ist einer von ihnen: Neugierige GrundschülerInnen und ihre Eltern 66 Wie haben die Lehrenden des Görres ihren Einsatz am „Tag der Antike empfunden? Wie schätzen sie die Früchte ihrer Bemühungen ein und trägt ihr Engagement zum Fortleben der Alten Sprachen bei? Inwiefern? durchqueren heute die unsichtbare Barriere – in Form des historisch-selbstvergessenen Charmes, welcher das Görres vom geschäftigen Treiben der Luxusmeile „Königsallee“ abzuschirmen scheint. Vom Innenleben der Schule absorbiert, werden die BesucherInnen von in Tuniken gehüllte Jungen und Mädchen empfangen, welche sich vor den massiven Toren des Haupteingangs postiert haben. Stolz prangt den kleinen LotsInnen das Schulwappen auf der Brust, als sie ihre ‚Schützlinge‘ in die Welt antiker Alltäglichkeit entführen. Die hohen Gänge des Altbaus füllen sich auf dem Weg zur Aula, dem pulsierenden Herzen der Schule, langsam mit dem Stimmengewirr der Gäste und Gastgebenden an. Die Verwandlung in einen ‚kulturellen Hort der Griechen und Römer‘ ist vor allem der engen Zusammenarbeit von Schüler- und LehrerInnen zu verdanken, welche die Gäste als derjenige Gemeinschaftsgeist umgibt, auf den das Görres so großen Wert legt. Die „OLYMPIA Goerresiana“, für welche weder Kosten noch Mühen gescheut wurden, beweist – wie auch das Profil der Schule –, dass sich fairer Wettbewerb und gesellschaftliches Streben wohlvertragen, ja sogar gegenseitig fördern. Der Konkurrenzcharakter der Olympiade lässt die ‚Neuen‘ anfängliche Scheu überwinden und führt sie spielerisch durch das Haus. An jeder der vier Stationen, welche auf einem Laufzettel in lateinischen-deutscher Übersetzung verzeichnet sind, können die Kinder punkten. Die Disziplinen, welche es zu meistern gilt, erfordern Geschicklichkeit (Nuss- und Knochenspiele), Intelligenz (Rätsel und Aufgaben, Platons Höhle) und Schnelligkeit (Wagenrennen). In Ergänzung finden sich auch künstlerischer Angebote wie das der Schmuckherstellung, Scherbenmalerei oder dem Verkleiden, die jedoch nicht in die Bewertung mit einfließen. Zum Ende des Nachmittags hin werden die Ergebnisse der TeilnehmerInnen addiert und mit den Leistungen der Übrigen verglichen. Den fünf Besten unter ihnen winkt schließlich je eine echte römische Münze, welche sie wiederum auf großer Bühne in der Aula entgegennehmen dürfen. Dort ist auch für das leibliche Wohl der Gäste gesorgt: Ein reichhaltiges Kaffee- und Kuchenbuffet lässt den Austausch zwischen den Gästen untereinander und mit den Gastgebenden in gelöster Atmosphäre zu. Während die jungen BesucherInnen also mit „panem et circenses“ bei Laune gehalten werden, steht ihren Eltern die fachliche Beratung der Lehrkräfte zur Verfügung. Den Abschluss bildet eine Informationseinheit zum Fächerkanon am Görres, welche speziell an die Erwachsenen adressiert ist. Anschließend trennen sich die Wege der Anwesenden wieder; die Moderne hält Einzug: Requisiten wandern in die Tiefen des Kellers zurück, Handys werden gezückt und die neueste Mode ersetzt ehemals weite Gewänder. Ein denkwürdiger3 Nachmittag weicht nahtlos der Dunkelheit des erst beginnenden Abends. I. Frau Wanders, Ihre Station widmet sich dem „Verkleiden“. Anschließend können die Kinder sich fotografieren und ihre Bilder sogar ausdrucken lassen – nicht anders als bei einem modernen ‚Shooting‘. Lässt diese oberflächliche Beschäftigung noch eine tiefere Verbindung mit antiker Kultur zu? „Einmal eine Toga in Originalgröße umgewickelt, einmal ein schweres Kettenhemd auf den Schultern, einmal ein Lorbeerkranz auf dem Kopf: Für die Kinder ist es eine kleine Fantasiereise in eine vergangene Welt und – bei allem Spaß – ein ganz wertvoller Beitrag historischer Kommunikation, den Lateinunterricht auch im Alltag bieten kann. Was haben die Römer eigentlich gegessen? Warum haben wir keine Fotos von ihnen? Haben die Kinder auch ‚Mama‘ gesagt? Diese Fragen stellen mir meine SchülerInnen jeden Tag neugierig. Denn durch das Hineinversetzen in die fremde, vergangene Welt können sie auch etwas für sich und ihre Kultur lernen. Es fordert Empathie und Fremdverstehen, das Annehmen einer fremden, – vielleicht auf den ersten Blick – irritierenden Perspektive. In diesem Zusammenhang stillt das visuelle und haptische Erleben unseres Verkleidens ein subjektives Bedürfnis, das nicht zu unterschätzen ist – ganz neben dem Spaßfaktor und dem Schaffen von ‚memoria‘!“ II. Während die Kinder im Altsprachen-Paradies umhertollen, können Sie sich in Ruhe der Beratung ihrer Eltern widmen. Småland nach Art von IKEA oder maskiert das spielerische Flair gar eine pädagogische Intention? Vernachlässigt dieser sorglose Touch nicht etwa den lernintensiven Charakter der Alten Sprachen? „Die Motivation und Neugier der Kinder, an die der Tag der Antike sicherlich appelliert, ist gerade zum Start der Sextaner sehr hoch – auch im Hinblick auf Sprache. Für viele ist Latein der Schlüssel zu einer Welt, die sie verstehen wollen. Der Tag der Antike bietet uns die Chance, uns vorzustellen, unsere Fächer, die Alten Sprachen zu feiern und ihre Faszination kindgerecht spürbar zu machen. Doch wir informieren an diesem Tag auch die Eltern eingehend: Sprach- und Textkompetenz kann man nicht ‚ergooglen‘. Und natürlich darf nicht unterschlagen werden, dass z. B. Vokabeln einfach gelernt werden müssen. Ihr Kind stellt sich bei uns einer Herausforderung, die es an anderen Schulen nicht gibt. Meinem Verständnis nach ist es eine Herausforderung, aber keine Schwierigkeit. Viele Eltern schätzen es, 67 NEXUS MEETS SCHULE NEXUS MEETS SCHULE dass das Lernen an sich ebenfalls gelernt werden muss und der Lateinunterricht, welcher an unserer Schule bereits in der Fünften einsetzt, einen Teil dazu beiträgt.“ Herr Dr. WeyerMenkhoff im weihnachtlichen Dekofieber – die 475 Jahre GörresTradition sieht man ihm gar nicht an... III. Herr Weyer-Menkhoff, Ihre Station ist nicht mit Platons Stammkneipe zu verwechseln! Die „Spelunca Platonis“ soll das Höhlengleichnis nachstellen; wie gelingt Ihnen eine altersgerechte Umsetzung und welche Rolle kommt den GrundschülerInnen zu? kulturelle Konflikte zu stoßen. Lateinische Texte stoßen urmenschliche Fragen an und ich darf im Unterricht immer wieder erleben, wie diese wertvollen Impulse für einen wertfreien Diskurs sorgen. Dasselbe gilt für die Sprache: Latein kann als Modell verhandelt werden, einerseits für grammatische Phänomene (‚Aha, Latein macht das so, aber im Englischen gibt es doch gar keine Endungen? Und auf Deutsch?‘) und andererseits für pragmatische und translatologische Fragen (‚Sollten wir den Richter nicht eigentlich siezen?‘). Latein kann eine Brücke bilden, um sprachreflexive Betrachtungen bewusst zu machen – ohne unter dem Druck zu stehen, sie simultan produktiv umsetzten zu müssen. Es lebe Latein!“ Hr. Weyer-Menkhoff: „Wie bei allem gilt auch hier, dass das, worum man sich nicht (richtig) kümmert, auch keinen Reiz ausüben kann. Wenn man sich aber mit Dingen auseinandersetzt, werden sie zum Gegenüber und somit ‚lebendig‘.“ „Wir bauen die Höhle nach: Die Kinder schauen in einem dunklen Raum nach vorne und sehen vor sich die Projektionen einzelner Gegenstände. Die Projektionen haben weniger Eigenschaften als die projizierten Dinge (keine Farbe, keine dritte Dimension, nichts Haptisches usw.). Im Dialog kommen die Kinder anlässlich dieser Differenz darauf, dass die Philosophie danach fragt, wie Dinge beschaffen sind.“ Paritätischer Einsatz für das Fortleben der Alten Sprachen. Ihre Verfechter Herr Dr. Deerberg und Frau Kapna, umrahmt von Frau Wanders und Herrn Dr. Hamm, sind diversen Alters und Geschlechts. IV. „Die Thematisierung des Höhlengleichnisses ist für den Philosophieunterricht der achten Klasse angesetzt – Sie nehmen diesen Stoff bereits dem eigentlichen Übertritt auf das Gymnasium vorweg. Ein Ausblick auf den Leistungsanspruch des Görres?“ „Ich bin schon etwa sechs Jahre für die ‚Historische Bibliothek‘ am Görres zuständig – in Zusammenarbeit mit wechselnden Kollegen. Wir sichten, ordnen, inventarisieren und pflegen die Buchbestände. In der Realität des existierenden Schulalltags bleibt dafür aber sehr, sehr wenig Zeit.“ VII. Das Görres bekennt sich durch die Auszeichnung „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zu Gleichberechtigung, einem Grundpfeiler des Humanismus, und dem aktiven Abbau von Vorurteilen; doch verträgt sich das altsprachlich Profil der Schule auch mit Multikulturalismus und der Integration nicht deutscher Muttersprachler? IX. „Können Sie diese Schätze mit Ihren SchülerInnen teilen oder sie sogar in Ihre Arbeit mit einbeziehen?“ Hr. Weyer-Menkhoff: „Latein und vor allem Griechisch waren die Sprachen der verschiedensten Völker, Religionen, Staaten usw. – Multikulturalismus ergibt sich da von selbst.“ VIII. „Herr Hamm, mit Ihrem Schlüsselbund wecken Sie bei mir Assoziationen an Hagrid, auch die dicken Bücher, die Sie so behändig zuschnappen lassen, könnten bald ein Paar Reißzähne offenbaren. Doch Sie sind Hüter einer Turmbibliothek – wie lange haben Sie Ihr Amt schon inne? Welche Freuden und Pflichten des Alltags bringt es mit sich?“ Wenn da mal kein Bücherwurm am Werk war... „Gute Philosophie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht schwierige Fachsprache verwenden muss, sondern alltägliche. Platon benutzt das Gleichnis ja gerade, damit man seine Philosophie versteht. Gleichzeitig ist das, was verhandelt wird, nicht trivial. Meiner Meinung nach sollte das die Maxime auf einem altsprachlichen, allgemeinbildenden Gymnasium sein.“ VI. In der öffentlichen Wahrnehmung haftet den Alten Sprachen hartnäckig ein verstaubter Ruf an. Was tun Sie und Ihre KollegInnen, um dieser einseitigen Wahrnehmung entgegenzuwirken? Hr. Weyer-Menkhoff: „In mancher Hinsicht stimmt er ja auch. Ich finde, dass wir die Alten Sprachen nicht dafür nutzen sollten, um vor der Gegenwart in eine glorifizierte Vergangenheit zu fliehen. Nur weil es sich um so ‚bedeutsame‘ Texte handelt, sollte man nicht schweigend davorstehen, sondern den Mut haben, die Texte wirklich in die Gegenwart zu übersetzen, um die Strukturen des ‚heiligen Originals‘ nicht blindlings auf das Deutsche zu übertragen. Wir knüpfen damit an einen Sprachkompass an, den jeder hat, der oder die spricht.“ V. „Die Frage aller Fragen: Ist Latein tot? Ja oder nein? ‚42‘ gilt nicht…“ Fr. Wanders: „Ja (R. I. P. )! Und das ist klasse! Denn dieser Fakt macht es mir erst möglich, Latein als Sprache und das Alte Rom, als Kultur, völlig unbedarft als Projektionsfläche zu nutzen. Damit meine ich: Ich kann mit den Kindern herrlich darüber diskutieren, ob ‚garum‘ und Ketchup nicht eigentlich dieselbe Sache sind, ob es wohl spannender ist, Politiker auf dem ‚forum‘ oder auf YouTube zu beobachten, ob Aeneas ein Macho war und ob Coca Cola Werbung vielleicht bei Cicero kopiert hat – ohne dabei auf Hr. Hamm: „Wir behandeln Latein und Griechisch als normale Sprachen mit den Rechten normaler Sprachen (vor allem dem Recht auf Sinnhaftigkeit). Ansonsten sind wir einfach wir selbst…“ […] 68 „Die ‚Historische Bibliothek‘ für die Schulöffentlichkeit zu erschließen, ist ein Hauptziel, das allerdings – vor allem aufgrund des Zeitmangels – sehr schwer zu erreichen ist. Wir streben an, dass alle SchülerInnen des Görres die Bibliothek aus eigener Anschauung kennen und mindestens dreimal (jeweils einmal in der Unter-, Mittel- und Oberstufe) mit ihr zu tun haben.“ Vielen Dank! 1 2 3 Vgl. Trabant, Jürgen. „Was ist Sprache“. München 2008. S.202-204 und derselbe. „Die Sprache“. München 2009. S.5867. Das Motto des Görres, „Sapere aude!“, wird auf der offiziellen Schulwebsite mit „Wage es zu denken!“ übersetzt http:// www.goerres.de/. [26.02.2019]. Der erklärte Witz: Eine Anspielung auf das Schulmotto, übersetzt „Wage es zu denken!“ http://www.goerres.de/. [26.02.2019]. Die Römertage am Neues Gymnasium Bochum EIN BERICHT VON ELISA BRENSCHEIDT D er Römertag am Neuen Gymnasium Bochum wurde am 01.02.2019 durchgeführt. Ich packte die letzten Sachen noch schnell ein und ging los. Pünktlich um 15:00 Uhr kam ich in der Schule an, die für diesen Tag zum Forum Romanum wurde. daneben waren weitere Kinder damit beschäftigt, kleine Wachstäfelchen zu bauen; sie sägten und bohrten die kleinen Rahmen zurecht, natürlich alles unter Aufsicht. Schnell fiel auf, dass auch die Väter hier nicht zu kurz kamen, denn jeder werkelt doch gerne rum und macht Dinge selber. Ich wurde direkt von einem römischen Legionär begrüßt; hinter ihm stand eine kleine Truppe von Kindern, die ebenfalls als Legionäre verkleidet waren. Als ich mich weiter umschaute, hörte ich nur noch, wie sie einen Angriff auf die Gallier planten, aber dazu später mehr. Ich schaute mich also weiter um und entdeckte die verschiedenen Aktionen, die man machen konnte. Eine meiner Freundinnen war gerade schon dabei, an ihrem Stand jungen Mädchen schöne Frisuren zu flechten und sie für ein Polaroid-Bild einzukleiden. Direkt An den weiteren Tischen wurde auch für Spaß gesorgt. Ob Schmuck und Buttons selber machen, oder auch Mosaiktäfelchen bekleben und Römerhelme basteln, jeder fand etwas Schönes. Für viele Kinder war aber auch die griechische Schrift sehr interessant. Auf Papyrus konnten sie mit einer Feder und Tinte die griechischen Buchstaben üben. Dabei war auch wieder ein Lehrer, der den Kindern anschaulich und spannend die griechische Sprache näherbringen konnte. 69 PERSPEKTIVEN PERSPEKTIVEN Geschichten ging. Schüler aus allen Stufen konnten teilnehmen. In der vordersten Reihe saßen diejenigen, die bei dem Zuschauerjoker mithalfen. Die Kinder waren sehr motiviert, aber auch informiert, was vielleicht daran lag, dass es Süßigkeiten zu gewinnen gab. Plötzlich lenkte aber etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich: Die Römer griffen das gallische Dorf an, Asterix und Obelix rannten mit anderen kleinen Galliern auf die Römer zu und bewarfen sie mit Stofffischen. Wie man es von den Römern kennt, nahmen sie ihre Verteidigungsformation ein und wehrten mit ihren Schilden die Fische ab. Nach diesem Kampf wollte ich aber auch mal das gallische Dorf sehen. Hier wurde ich auch direkt von Obelix in Empfang genommen, er zeigte mir das Hinkelsteinwerfen, eine kleine Hütte und ein weiteres Spiel, bei dem man Süßes gewinnen konnte. Ich probierte natürlich alles, unter anderem weil es für die, die mitmachten, auch noch einen Zaubertrank gab. Römertag 01. Februar '19 Nach einer kleinen Stärkung begann auch schon die nächste Aktion: Zwei Frauen zeigten uns Besuchern typisch griechische Tänze. Immer mehr Menschen tanzten mit ihnen. Auch wenn an diesem Tag viel für jüngere Kinder angeboten wurde, hat es mir sehr viel Spaß gemacht, denn jeder konnte etwas selber bauen oder basteln. Es gab immer was zu sehen. Was natürlich auch schön war, war, dass auch ältere SchülerInnen noch Spaß daran hatten, mitzuhelfen, den Kindern die Fächer Latein und Griechisch auf sehr kreative Art nahezubringen und ihnen zu zeigen, wie viel noch in diesen toten Sprachen steckt. Cyclus carminum interretialium alter Eine Auswahl aus dem Zyklus Internet-Gedichte VON ANNA ELISSA RADKE I De imagine Maximi cuiusdam prosopobiblica ex libris composita Personam et speciem induis librorum: ne veram aspiciant imaginem umquam tuam istae indociles ubique turbae? Invidorum oculos timesne acutos? Personae clipeum abice, o diserte Maximille, mihi deus videris! Über das Facebook-Profilbild eines Maximus, das aus Büchern zusammengesetzt ist. Tarnst du dich mit der Maske vieler Bücher, daß dein Antlitz verborgen bleib´ den Massen ungebildet sind sie und auch nicht bildbar? Oder fürchtest du bösen Blick der Neider? Wirf den Schild dieser Maske weg, gelehrter, lieber Max, offenbarst dich noch als Gottheit! II De interrete Ante cadent caelo rores1 et desuper astra: decidet Orion Pleiadesque simul, exsilient pisces2 e retibus insidiosis, aethere ut insidant, cervus in arbore erit, quam quem dimittet latum rete omnia cingens: semper in obscuro, si libet, omne tenet 2 Über Facebook Auf, ihr Vermummten, tanzt auf dem Maskenball, wer auch Verkleidung und die Verstellung liebt, kommt her zum Reigen, der nie endet, tarnt und vertuscht eure Eitelkeiten! Quidnam est poetae cum petulantia? Cordi est poetae nil nisi veritas: seu mortis inducet periclum seu referet necopinum amorem. Was geht den Dichter an diese Nichtigkeit! Am Herzen liegt ihm nichts als Wahrhaftigkeit, ob sie ihn bringt in Todesnähe oder beschert - unerwartet - Liebe. Ergo politam deice parmulam: larvam fabrilem detrahe vultui, ut splendeas humanitate ingenua facieque aperta. So wirf den Schutzschild fort, den geschliffenen, zieh vom Gesicht auch künstliche Maske fort, mit offenem Visier erstrahle nur in dem Glanze humaner Bildung! IV De paradiso (vel potius inferno) virtuali Arva perlustrant sine corpore umbrae, arva felicis paradisi amoena, et mutuo sermone student perennem fallere noctem. Über das virtuelle Paradies (oder Hölle) Körperlos durchstreifen die Felder Schatten, Felder glücklichen Paradieses, wo die Schatten in Gesprächen, die niemals enden, Nächte verbringen. Manium turbis similes pererrant rete personae facieque ficta, rete et exaequat iuvenes, puellas et seniores. Ähnlich Totengeistern durchirren Scharen von Maskierten, streifen durch Netz und Facebook, gleichgemacht wird dort Männlich-Weiblich und auch Alte und Junge. Retis obscuri laqueos relinque, et tuam veram faciem revela! Denique agnoscemus et alter alterum et merum amorem. Mach dich frei vom Netz, das so undurchschaubar, zeige unverhüllt mir dein wahres Antlitz! So erkennen endlich wir auch einander und echte Liebe. 15.00 - 18.00 Uhr Irgendwann folgte ich einer Gruppe, die in die Aula ging. Ich setze mich hin und sah mir ein Quiz an, welches ein Referendar erstellt hatte und in dem es um lateinische 1 III De libro facierum Saltate larvae, ludite scurrulae, quemquem iuvabit fallere imaginem: concurrite ad saltationem perpetuam, abdite vanitatem! Über das Internet Eher stürzen wie Tautropfen noch die Sterne vom Himmel, und mit Orion zugleich stürzen Plejaden herab, springen die Fische heraus aus den alles umgarnenden Netzen, um auf den Wolken zu ruh´n, Hirsche besteigen den Baum, als daß das weltweite Netz wieder freilasse, was es gefangen, alles, und wie´s grad gefällt, hält es im Dunkeln geheim. cf. Antiphonam „rorate caeli“ cf. Verg. E. I, 59ssq 70 V Hero et Leander anno MMXVIII redivivi Qualis prospiciens in litore constitit Hero, quaesivit iuvenem nantem et in Oceano. „Nunc, piscatores, vestrum rete est iaciendum, ne forte horibilis devoret unda virum!“ Nocte dieque puella adiit supplex malefidam turbam perpetuis sollicitudinibus, talis ego vasti maris invisibile rete quaero iterumque iterum, quo natet ille meus. Prodidit et raro rete illud garrulum, ubi sit, quid faciat, quocum, quando loqui libeat ille Leander amor meus, interque aequoris undas quem medio in ficto rete natare iuvet. Hero und Leander im Jahr 2018 Wie einst am Ufer stand auf das Meer hinausschauend Hero, sucht´ in der See ihren Schatz, der wollte schwimmen zu ihr. „Jetzt ist es Zeit, ihr Fischer, ihr müßt die Netze auswerfen, daß nicht verschlinge den Mann diese erschreckende Flut.“ In ihrer ständigen Sorge und Angst bedrängte das Mädchen tags und auch nachts, ohne Schlaf, flehentlich bittend die Schar. So durchsuchte auch ich das Netz wie die Wüste des Meeres, wieder und wieder frag ich: Wo nur schwimmt Meiner darin? Selten verriet das geschwätzige Netz den Ort, wo er weilte, was er grad machte, mit wem, wann er Gespräche geführt. Doch mein Leander, er fühlt sich wohl im weltweiten Netze, schwimmt darin, wie ein Fisch schwimmt in den Wellen des Meers. 71 I. Mein Cognomen wäre … Philhellenos. Zu Latein bin ich gekommen … durch meinen Vater, der Latein- und Griechischlehrer war. X. IX. Mein Highlight des Jahres … eine Reise nach Indien im Januar. Diese drei Dinge würde ich auf meiner Zeitreise aus der Antike zurück in die Zukunft heimlich mitgehen lassen: Eine Ausgabe der Werke Menipps von Gadara, Homers Margites und die Kypseloslade. PERSPEKTIVEN II. Dieses Buch lege ich nicht mehr aus der Hand: Homers Odyssee. XII. XV. Damit macht man mir eine Freude: Mit Zeit. XVI. Mein Lieblingsessen ist: Spaghetti alle vongole. XVII. Mit 1 Million Euro würde ich … eine Wohnung in Rom kaufen. XVIII. Wenn ich mir einen anderen Beruf aussuchen müsste, wäre ich … Politiker. XIX. Damit kann man mich jagen: Mit Pilzen, Talk Shows, Zugverspätungen. XX. Mein verborgenes/geheimes Talent ist … Snooker. Erstellt von Julia Jennifer Beine und Mirka Philipps Ad personam … Manuel Baumbach III. XI. Meine Superkraft wäre … gestaltwandelnd durch Zeit und Raum reisen zu können. IV. V. Das ist das Verrückteste/Lustigste, was ich je gelesen/gehört habe: Lukians Wahre Geschichten. XIII. Das will ich unbedingt noch machen: Eine Bergtour im Himalaya. Wenn ich für einen Tag eine andere Person sein könnte, wäre ich … ein Schüler an der platonischen Akademie. VI. Hier fühle ich mich am wohlsten: Überall im Urlaub. XIV. Mein Lieblingscharakter der Antike ist … Diogenes von Sinope. Der größte Schurke der Antike ist für mich … Es gibt zu viele, als dass man einen herausheben könnte; ein Kandidat wäre sicherlich Phalaris von Akragas. VII. Mein lateinisches Lieblings(sprich)wort ist … fortiter in re, suaviter in modo. VIII. Diesen Film/diese Serie könnte ich tausendmal anschauen: Ein Herz und eine Seele. 72 Quid faciam? Einzeltermine bis zum 01.04.2019 QUANDO? UBI? CUR? Seminar für Klassische Philologie, Freunde der Klassischen Studien an der RUB e. V. Fortsetzung der Reihe Faszination Mischwesen Di., 09.04.2019, Di., 14.05.2019, Di., 11.06.2019 jeweils ab 18 Uhr Blue Square Kortumstr. 90 (Eingang Passage Voswinkel/ Wonderwaffel) 44787 Bochum Schon seit Februar läuft die Fortsetzung der Mischwesenreihe. Diesmal dürfen wir etwas von der Chimäre, von Wolverine und noch von vielen weiteren Mischwesen hören. Ihr dürft also gespannt sein. Theater Dortmund Echnaton von Philip Glass Oper in drei Akten von Philip Glass. Libretto vom Komponisten, S. Goldmann, R. Israel und R. Riddell. In deutscher, ägyptischer, akkadischer & aramäischer Sprache mit deutschen Übertiteln Premiere Fr., 24.05.2019, 19:30 Uhr; weitere Termine werden auf der Homepage des Theaters Dortmund bekanntgegeben. www.theaterdo.de/detail/event/ echnaton/ Theater Dortmund Theaterkarree 1–3 44137 Dortmund Das Sujet von Philip Glass’ Echnaton entstammt zwar nicht der griechisch-römischen Antike, doch lohnt sich der Besuch allemal. Allein die Vielfalt der verwendeten Sprachen, die vom Deutschen über das Akkadische bis zum Ägyptischen reicht, ist wohl einmalig; Glass’ trotz (oder gerade wegen) ihrer Eigenarten faszinierende Musik tut das Übrige. Schauspielhaus Bochum Iphigenie Text nach Iphigenie in Aulis von Euripides und Ein Sportstück von Elfriede Jelinek Regie: Dušan David Pařízek Premiere Sa., 16.03.2019, 19:30 Uhr, weitere Termine werden auf der Homepage des Schauspielhauses bekannt gegeben. www.schauspielhausbochum.de/de/ stuecke/200/iphigenie Schauspielhaus Bochum Königsallee 15 44789 Bochum Der Regisseur: „Das Opfer, das es im Moment der Krise aufgrund der Staatsraison zu bringen gilt, konfrontiert uns mit den Ursprüngen unserer abendländischen Identität. Ethische Fragen, mit denen sich der Einzelne wie die Gesellschaft in Zeiten der Bedrohung konfrontiert sehen, individuelle und höhere Werte, das Mit- und Gegeneinander von Freiheit und Autorität werden von Euripides in Iphigenie in Aulis auf ihren primitiven Gehalt hin überprüft. Klar, verständlich und nachvollziehbar.“ (Schauspielhaus Bochum. 2018/2019, S.14.) Schauspielhaus Bochum Orest in Mossul Text: Milo Rau und Ensemble nach Aischylos Regie: Milo Rau Fr., 17.05.2019, 19:30 Uhr Mi., 22.05.2019, 19:30 Uhr Fr., 24.05.2019, 19:30 Uhr So., 26.05.2019, 17:00 Uhr Schauspielhaus Bochum, Kammerspiele Königsallee 15, 44789 Bochum Diese Inszenierung der Orestie versetzt Aischylos’ Trilogie in die Gegenwart, mitten in den Bürgerkrieg im Nordirak. Es wird klar: Das schon in den antiken Tragödien behandelte Problem des Kreislaufs von Gewalt und Gegengewalt ist von brisanter Aktualität. VERMISCHTES QUID? 73 QUIS? Regelmäßige Termine im Sommersemester 2019 Nexus wants you! VERMISCHTES Call for Papers Du möchtest deine Hausarbeiten nicht nur fürs heimatliche Bücherregal schreiben? QUIS? QUID? QUANDO? UBI? Archäologische Wissenschaften Forschungskolloquium „Neue Funde und Forschungen“ Do., 18 Uhr c.t. Raum wird auf der Homepage des archäologischen Instituts bekanntgegeben. https://www.ruhr-uni-bochum.de/archaeologie/ Du sprühst vor Ideen und hast Lust, über ein spannendes Thema zu schreiben? Du hast einen spannenden Film gesehen oder ein fesselndes Buch mit Antikebezug gelesen? Dann bist du bei uns genau richtig! Und so einfach geht’s: Klass. Philologie / Archäologische Wissenschaften / Alte Geschichte Interdisziplinäres Kolloquium zur Literatur und Kultur des griechisch-römischen Mittelmeerraumes Di., 16–18 Uhr RUB, GABF 04/714 Klass. Philologie / Kath. Theologie / Ev. Theologie / Philosophie Kolloquium antike und mittelalterliche Philosophie Do., 16–18 Uhr RUB GA 6/134 Theaterwissenschaft Seminar: Neue Mythologie 1 Fr, 12:00–16:00 Uhr ab dem 03.05.2019 alle 14 Tage RUB, GB 03/46 Die Termine und das Programm werden auf der Homepage der Kunstsammlungen bekannt gegeben. www.ruhr-uni-bochum.de/kusa/ RUB, Kunstsammlungen Kunstsammlungen der RuhrUniversität Bochum Ran an den PC und losgetippt. Anregungen, Tipps und unseren Leitfaden zum Schreiben eines Nexus-Artikels findest du auf unserer Homepage https://nexus.blogs.ruhr-uni-bochum.de/?page_id=53. Schick uns deinen Artikel für die nächste Ausgabe bis zum 30.06.2019 an nexus[at]rub.de. Wir freuen uns auf deinen Beitrag! Bei Fragen und Anregungen könnt ihr uns gerne persönlich (GB 2/147) oder per Mail kontaktieren. Call for Members Sonntagsführungen Du interessierst dich für die journalistische Aufbereitung der Antike? Dann besuch das Nexus-Team, schau hinter die Kulissen und bring deine Ideen ein! Sammle bei uns erste Erfahrungen im Journalismusbetrieb und lerne mögliche Berufsfelder kennen. Wir freuen uns immer über neue Gesichter! Kontaktiere uns einfach per Mail (nexus[at]rub.de) oder persönlich (GB 2/147), lerne die Nectentes kennen und werde Teil des Nexus-Teams. Nexus gibt es jetzt auch online und als Download unter https://nexus.blogs.ruhr-uni-bochum.de/ Erstellt von Jonathan Hartmann Wenn Ihnen/Euch Nexus gefallen hat und Sie/Ihr Nexus mit einer Spende unterstützen möchten/t, ist dies nun über folgendes Konto möglich: Ruhr-Universität Bochum Sparkasse Bochum IBAN DE53 4305 0001 0001 4868 28 BIC WELADED1BOC Verwendungszweck: Zeitschrift Nexus Herzlichen Dank für Ihre/Eure Unterstützung! 74