WiSe 2018/19
Ausgabe 8
Nexus
STUDENTISCHE ZEITSCHRIFT DES SEMINARS
FÜR KLASSISCHE PHILOLOGIE AN DER RUB
Impressum
Herausgeber:
Fachschaft Klassische Philologie RUB
Adresse: GB 2/147
Universitätsstr. 150
44801 Bochum
Telefon: +49 (0)234/32-23894
Email: fr-klassphil[at]rub.de
Verantwortliche Redakteurinnen und Redakteure (V.i.S.d.P.):
Jonathan Hartmann (Wissenschaft und Forschung, Rezensionen, Antike interdiszplinär, Vermischtes), Victoria Jöckel (Antike interdisziplinär, Panorama), Joana Kadir (Antike (inter-)national, Panorama, Perspektiven), Ayse Topcu (Rezensionen, Perspektiven) Caroline Wahl
(Fachdidaktik, Nexus meets Schule, Ad Personam)
Kontakt zu allen Redakteurinnen und Redakteuren:
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Mitarbeit:
Caroline Fußbach, Katrin Grothus
Satz:
Joana Kadir
Titelbild:
Boris Vietinghoff
Erscheinungsweise:
Halbjährlich
ISSN: 2365-6603
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Die Verwendung aller Inhalte und insbesondere der Abdruck sowie die kommerzielle Verwendung in Printpublikationen oder im Internet
bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung der RechteinhaberInnen und AutorInnen. Die Meinungen, die in den Artikeln zum Ausdruck
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Bildrechte:
S. 1: Cover © Boris Viethinghoff. S. 4, 5, 76: Kaiserthermen Trier © GDKE-Rheinisches Landesmuseum Trier, Thomas Zühmer. S. 16:
Cover © Universitätsverlag Winter. S. 18: Schüler © Hellmut Flashar. S. 20: Assistent © Hellmut Flashar. S. 22: Cover © Romberg Verlag.
S. 27-28: THE WICKER MAN © 1974 STUDIOCANAL FILMS Ltd. S. 30: Schiffsbauch © Julia Jennifer Beine, RUB. S. 31: Ofen ©
Julia Jennifer Beine, RUB. S. 32: Schäfer Schiff © Julia Jennifer Beine, RUB. S. 38: FKP Trier © Julia Jennifer Beine, RUB. S. 40: Assassin’s
Creed Odyssee ©Ubisoft. S. 42: Cover © wbg Theiss. S. 46: Antigone und Kreon © Gernot Hoersch, Joe Frohriep. S. 46: Eteokles Polyneikes
© Sven Schütze. S. 47: Melanie Haupt und das Schaf © Gernot Hoersch. S. 52: Rheinisches Landesmuseum Trier © Julia Jennifer Beine,
RUB. S. 53: Thermen am Viehmarkt © Joana Kadir. S. 53: Kaiserthermen © Joana Kadir. S. 53: Amphitheater © Joana Kadir. S. 54: SAMR
© sylviaduckworth.com. S. 55-56: Abb. 1-3 © Nina Toller. S. 58-60: Abb. 1-4 © Anne Friedrich. S. 66: Teacher's Day © Stephanie NatzelGlei, RUB. S. 68: Dr. Weyer-Menkhoff © Martin Steiner. S. 68: Römer © Lara Nowak. S. 69: Die Bibliothek des Görres-Gymnasium ©
Landeshaupstadt Düsseldorf, der Oberbürgermeister, Schulverwaltungsamt. S. 70: Plakat © Sophia Kollien. S. 72: Ad personam ... Manuel
Baumbach © Manuel Baumbach.
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
der Frühling ist da – und mit ihm auch die achte Ausgabe von Nexus! Wie immer haben wir auch im Wintersemester fleißig gearbeitet, um euch eine ganze Reihe spannender Beiträge zu präsentieren.
In unserem Ressort Wissenschaft und Forschung geht dieses Mal Claudia Klodt der Frage nach, weshalb
Ovid zwar vielfach seine Frau erwähnt und auch Briefgedichte an sie verfasst, ihren Namen dabei aber
stets verschweigt. Auch Victoria Jökel beschäftigt sich in ihrem Artikel mit römischen Frauen, und zwar
insbesondere mit deren (heimlichen) Tätigkeiten als Investorinnen. Zuletzt werfen wir noch einen Blick
auf das Genre der Fernsehdokumentation, das zwar gut historische Geschehnisse vermitteln kann, dabei
aber auch so manche Schwächen aufweist.
Wer noch Lesestoff sucht, dürfte auf Rezensionen und Vorstellungen gespannt sein. Wie üblich findet sich
hier eine bunte Mischung; das Spektrum reicht diesmal von einer neuen Edition der Sabinusbriefe über
Hellmut Flashars Autobiographie bis hin zu einem Band mit Aufsätzen zum antiken Theater, sodass hoffentlich für jeden etwas dabei ist. Gleiches dürfte wohl für Antike interdisziplinär gelten: Hier erfahren
wir zum Beispiel, welche Rolle das Gehirn in der griechischen Philosophie spielt. Fans des Horrorfilms
dürften dagegen aufhorchen, wenn Alexander Schröder antike Einflüsse im Klassiker The Wicker Man
aufzeigt. Außerdem hat Nexus den Historiker Christoph Schäfer interviewt, um herauszufinden, weshalb
er römische Schiffe nachbaut und mit diesen dann tatsächlich auch fährt.
Wie in den letzten Ausgaben wollen wir in Antike (inter-)national auch dieses Mal Studierende dazu anregen, einen Blick über ihre Heimatuniversität hinaus zu werfen. Dafür bietet sich innerhalb Deutschlands
das Programm PONS an, das wir vorstellen. Außerdem hat Nexus Trier besucht und dort u. a. mit Studierenden der Klassischen Philologie gesprochen, um einen Einblick in das Studium dort zu erhalten. Was
wir in Augusta Treverorum sonst erlebt haben, erfahrt ihr im Ressort Panorama, das neben dem Exkursionsbericht natürlich auch Arnold Bärtschis mittlerweile traditionelle Kolumne Quid novi präsentiert.
Wer übrigens die Ausstellung Irrtümer und Fälschungen der Archäologie in Herne verpasst hat, kann beruhigt sein: Antonia Anstatt ist dort gewesen und schildert uns ihre Erfahrungen.
Dass im schulischen Lateinunterricht allen Klischees zum Trotz natürlich auch das dritte Jahrtausend
(und zwar nach Christus) angebrochen ist, beweist Nina Toller mit ihrem Artikel zur Digitalisierung
im Ressort Fachdidaktik. Für (angehende) LehrerInnen besonders interessant und hilfreich dürfte auch
Anne Friedrichs Beitrag sein, der sich mit LRS im Lateinunterricht befasst. Außerdem hat Nexus Annette
Meyer interviewt, die uns Einblicke in die Arbeit einer leitenden Regierungsschuldirektorin gewährt. Sie
teilt mit uns ihre Erfahrungen im Beruf und verrät ihre Lieblingsautoren. In unserem Ressort Nexus meets
Schule besuchen wir dieses Mal zwei Gymnasien, an denen für einen Tag alles im Zeichen der Antike
steht. Auf diese Weise sollen insbesondere GrundschülerInnen früh und spielerisch mit Latein und Griechisch in Kontakt kommen – die Nachwuchsarbeit scheint also in vollem Gang zu sein!
Außerdem in dieser Ausgabe: Anna Elissa Radke hat wieder zur Feder gegriffen und einige lateinische
Gedichte über das Internet verfasst. Zum Schluss haben wir wieder interessante Veranstaltungen in
Bochum und Umgebung zusammengestellt, deren Besuch wir euch nur empfehlen können!
Zuletzt möchten wir uns ganz herzlich bei allen Autorinnen und Autoren und allen weiteren Personen,
die uns bei dieser Ausgabe unterstützt haben, bedanken. Wir hoffen, auch für die nächste Ausgabe zahlreiche Einsendungen und Anregungen sowie Unterstützung zu erhalten, und wünschen bis dahin viel
Spaß bei der Lektüre!
Eure Nexus-Redaktion
Inhaltsverzeichnis
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Die Frau ohne Namen
Eine Bemerkung zur Bochumer Epistula uxoris
Ein Artikel von Claudia Klodt
Inhaltsverzeichnis
S. 6
Frauen als Investorinnen und Unternehmerinnen in der römischen Antike
Frauen wider gesellschaftliche Konventionen?
Ein Essay von Victoria Jökel
S. 9
Rome: Rise and Fall of an Empire
Betrachtung einer historischen Dokumentation unter
geschichtswissenschaftlicher Perspektive
Ein Essay von Philipp Trzaska
S. 12
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
Wilfried Lingenbergs Edition der Sabini Epistulae
Eine Buchrezension von Jonathan Hartmann
S. 15
Antigone und Kreon im Hambacher Wald
Bodo Wartke über Antigone und ihre Relevanz für das 21. Jh.
Ein Interview von Julia Jennifer Beine
S. 43
Troja, Kronen und Motels
Die Sonderausstellung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ im
LWL-Museum für Archäologie in Herne“
Eine Ausstellungskritik von Antonia Anstatt
S. 48
Abenteuer in der Römerstadt an der Mosel
Ein Exkursionsbericht von Joana Kadir
S. 50
FACHDIDAKTIK
Digitale Medien im Lateinunterricht
Von Nina Toller
S. 54
LRS im Lateinunterricht – wo liegen die Hürden für Lernende und die
Herausforderungen für Lehrende?
Von Anne Friedrich (Didaktik der Alten Sprachen/
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
S. 58
Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern
Eine Rezension von Julia Jennifer Beine
S. 17
Antikes Drama – Moderne Bühne
Eine Buchvorstellung von Caroline Wahl
S. 21
„Ich liebe es auch, dass ich all die beruflichen Erfahrungen, die ich vorher gemacht habe,
so gut gebrauchen kann“ – Einblick in die Arbeit einer leitenden
Regierungsschuldirektorin
Ein Interview von Caroline Wahl
S. 61
S. 23
Teacher's Day in Bielefeld
Ein Bericht von Caroline Wahl
S.65
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
Philosophie und Gehirn in der griechischen Philosophie
Ein Artikel von Udo Reinhold Jeck
Der gallische Flechtwerkmann und der Folk Horror
Auf den Spuren Caesars und Strabos in Robin Hardys The Wicker Man
Ein Artikel von Alexander Schröder
S. 26
Die antiken Autobahnen auf See Erforschen
Christoph Schäfer über die historische Rekonstruktion antiker Schiffe
Ein Interview von Julia Jennifer Beine und Joana Kadir
S. 29
ANTIKE (INTER-)NATIONAL
Die Welt ist ein Buch…
Teil 2: Brücken Schlagen mit PONS
von Julia Jennifer Beine und Joana Kadir
Bochum meets Universitatem Augustae Treverorum
Latein und Griechisch Studieren in Trier
PANORAMA
Quid novi? Antikerezeption in Film, Comics und Videospielen
Eine Kolumne von Arnold Bärtschi
S. 35
S. 37
S. 39
NEXUS MEETS SCHULE
Der „Tag der Antike“ am Görres-Gymnasium
Ein Interview von Lara Nowak
Die Römertage am Neues Gymnasium Bochum
Ein Bericht von Elisa Brenscheidt
PERSPEKTIVEN
Cyclus carminum interretialium alter
Eine Auswahl aus dem Zyklus Internet-Gedichte
von Anna Elissa Radke
S. 66
S. 69
S. 70
PERSONEN AM SEMINAR
Ad personam … Manuel Baumbach
S. 72
VERMISCHTES
Quid faciam?
S. 73
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Die Frau ohne Namen
Eine Bemerkung zur Bochumer Epistula uxoris
EIN ARTIKEL VON CLAUDIA KLODT
A
Stufe stellen. Er präsentiert sie als exemplum coniugis
bonae und verspricht ihr ewigen Ruhm in seinem Werk
(carminibus vives tempus in omne meis)4. Mittels dieser
liebeselegischen carmina-munera-Technik versichert er
sich ihrer Hilfe durch das Versprechen der Unsterblichkeit (bzw. setzt sie in den späteren Gedichten mit dem
Hinweis auf seine diesbezügliche Vorleistung unter
Druck).
ls Marie Louise von Orleans im Jahr 1679
mit Karl II von Spanien vermählt worden
war und auf der Reise in ihre neue Heimat
durch eine Stadt kam, die für ihre SeidenstrumpfManufaktur berühmt war, schickten ihr die Stadtoberen ein Paar feiner Strümpfe als Geschenk.
Die spanischen Granden ihrer Begleitung wiesen
das Geschenk empört zurück: „Eine Königin von
Spanien hat keine Beine“.
Die uxor-Gedichte haben aber noch einen zweiten,
impliziten Adressaten, den Kaiser Augustus. Vor ihm
will sich der wegen seiner Ars amatoria Verbannte vom
Vorwurf der Liederlichkeit reinigen. Der lusor amorum
und angebliche Beförderer des Ehebruchs zeigt sich
nun als treuer Gatte, der die eigene Frau zärtlich liebt
– dies soll die Übertragung liebeselegischer Vokabeln
und Situationen auf die Gattin signalisieren – und
mit ihr in vorbildlicher Ehe lebt; seine ihm ebenfalls
innig zugetane Gattin aber ist keine laszive puella,
sondern eine grundanständige römische matrona –
wofür wiederum ihre weiblichen Tugenden und ihre
tatkräftige Unterstützung des unglücklichen Gatten in
Rom Ausweis sind.
Ein ähnlicher cultural clash, die weibliche Ehre betreffend, liegt der enttäuschten Frage zugrunde, die in der
Epistula uxoris, welche ein Dichter-Team moderner
Sabini um den Initiator Reinhold Glei1 gekonnt und
wunderhübsch in der Art eines Centos aus ovidischen
Versen verfertigt hat, der Gattin des verbannten Ovid
in den Mund gelegt wird:
Sed sine nomine ego, tantum vocor exulis uxor;
carmina cur nomen Pontica adusque silent?
Penelope – deren Namen sich die treue Gattin im
Anfangsvers metonymisch zulegt (tua Penelope) –,
Euadne und Laodamia besäßen nomen und fama,
„ich aber bin ohne Namen, heiße nur ‚Gattin des
Verbannten‘; warum unterdrücken deine Gedichte
vom Pontus durchgängig meinen Namen?“ (V.11f ).
Lyde und Bittis würden von den Dichtern, die sie
liebten, gefeiert;
„O dass doch auch ich mit meinem wirklichen Namen
erschiene und alle Jahrhunderte meinen Namen kennen würden!“ (V.15f ). Sie habe zwar keinen besseren,
aber einen nicht so stummen Mann verdient (digna
minus tacito, non meliore viro, V.18)2.
Nun spielt in den Exilgedichten die Nennung von
Namen durchaus eine Rolle. Die Namen der Adressaten
der Tristien-Gedichte und des Ibis nennt Ovid
bekanntlich nicht, wohl hingegen die der Empfänger
der Ex Ponto-Briefe, und dieses Vorgehen thematisiert
und problematisiert er auch5. Genannt wird trist.3,7
der Name der Adressatin Perilla, einer Dichterin und
Schülerin. Ovid selbst will sein nomen in Rom bewahrt
wissen6, namentlich auch durch seine Frau (trist.1,3,96
nomen et erepti saepe vocasse viri; 3,3,50 clamabis miseri
nomen inane viri?; 4,3,18 secum nomen habere tuum),
und er selbst ruft sogar im Fiebertraum ihren Namen
(trist.3,3,17-20 te vox mea nominat unam; / … ut foret
amenti nomen in ore tuum).
Der echte Ovid hätte mit der Nennung ihres Namens
freilich seiner Frau wie auch sich selbst einen Bärendienst erwiesen. Tatsächlich kennen wir ihren Namen
nicht, obwohl nicht weniger als acht Exilbriefe an sie
gerichtet sind3. In ihnen rühmt Ovid ihre pietas, probitas, fides und pudicitia, Tugenden, welche sich in
ihrem Einsatz für die Rückberufung des verbannten
Gatten – ihrer virtus – manifestieren und die bürgerliche Heldin mit großen Frauen des Mythos auf eine
Warum nennt er also nicht auch dem Leser ihren
Namen? Er muss bei ihr ja nicht dieselbe Vorsicht
walten lassen wie bei einigen seiner amici, die aus
Angst, mit dem vom Kaiser Verbannten in Verbindung
gebracht zu werden, nicht namentlich in den Exilgedichten zu erscheinen wünschten: Die Verbindung
seiner Ehefrau zu ihm war ja offenkundig. Warum
macht er den Leser sogar darauf aufmerksam, dass er
ihren Namen verschweigt? Denn da er ihr vorhält, er
O utinam dicar quoque nomine vero,
nomen et ignorent saecula nulla meum.
6
habe ihr in seinen Gedichten durch den Preis ihrer
Person ein ewiges nomen geschenkt, sie ihm aber diese
Gabe noch nicht adäquat durch ausreichend beherzten
Einsatz vergolten, fallen in einem Vergleich die nomina
sagenberühmter Frauen und Dichtergattinnen, aber
eben nicht der ihre: In trist.5,14 Quanta tibi dederim
nostris monumenta libellis, worin er seine fama mit der
ihren verknüpft, erklärt er:
nur einen Wert in Bezug auf einen Mann. Die gender-Forschung spricht hier von „relative creatures“. Die
totale Orientierung auf einen Mann hin lässt sich aus
einer Vielzahl epigraphischer und literarischer Zeugnisse ablesen. In Grabinschriften für Frauen erscheinen diese ausschließlich in ihrer Funktion für einen
Mann, nie als Individuen. Die Laudatio Murdia postuliert sogar, dass Frauen gerade nicht differenziert und
individuell, sondern, da aller Frauen Leben gleich sei,
nur generell als Trägerin der allgemeinen weiblichen
Tugenden zu preisen seien11. Obwohl Murdia und die
Heldin der sogenannten Laudatio Turiae Außergewöhnliches vollbrachten – ‚Turia‘ rettete ihren Mann
im Bürgerkrieg –, werden auch ihre häuslichen Tugenden hergezählt, damit ihr quasi männlicher Einsatz sie
nicht zu „Mannweibern“ herabwürdigte. Turias Name
erscheint im – vom dankbaren Gatten verfassten –
Text nicht („Turia“ verdankt sich einer irrtümlichen
Zuschreibung durch Mommsen)12. Namen hatten nur
‚schlechte‘ Frauen wie eine Fulvia, die ihre Männer
beherrschte. Wenn Properz (als einziger Elegiker) im
allerersten Vers – Cynthia prima suis miserum me cepit
ocellis – ein Gedicht, ein Buch, ja sein Werk mit dem
Namen einer Frau, einer Freigelassenen, einer männervernichtenden Dirne beginnt, war das ein gezielter gesellschaftlicher Affront. Eine Römerin von Stand
hatte keinen eigenen, sondern nur einen Gentilnamen:
Ihre Aufgabe war die Verbindung von Familien durch
Ehe und Nachkommen. So hießen die drei Söhne des
Konsuls Ap. Claudius Pulcher cos. 79 v. Chr. Appius,
Gaius und Publius Claudius Pulcher, die drei Töchter
alle unterschiedslos Claudia. Eine von ihnen ist Ciceros
Boopis und – vielleicht – Catulls Lesbia. Diese individuelle Heraushebung war aber gerade kein Ruhmestitel für Clodia.
Perpetui fructum donavi nominis,
„Ich habe dir den Genuss eines ewigen Namens
geschenkt“ (V.13), der durch alle Zeit bleiben würde
(per saecula nulla tacetur V.33) wie der einer Alkestis,
Andromache, Euadne oder Penelope:
Aspicis, ut longo teneat laudabilis aevo
nomen inextinctum Penelopeia fides?
„Siehst du, wie die Treue Penelopes über lange Jahrhunderte einen unauslöschlichen Namen besitzt?“
(V.35f )7. In Pont.3,1, wo er sie mahnt, dem Bild, das
er von ihr gezeichnet habe, auch gerecht zu werden,
anderenfalls werde sie nicht mehr in seinen Gedichten erscheinen, und ihr mit der öffentlichen Kontrolle
droht8, unterstreicht er diese Drohung mit seiner eigenen, durch sein Unglück umso größeren Bekanntheit,
die notwendig auch sie einschlösse:
Nec te nesciri patitur mea pagina, qua non
inferius Coa Bittide nomen habes.
„Und auch du kannst nicht unbekannt bleiben, das
verhindern meine Bücher, in denen du einen Namen
besitzest, der nicht kleiner ist als (derjenige der) Bittis
von Kos“ (V.57f ), i. e. der Geliebten oder Gattin des
Dichters Philitas, dessen Gedichtsammlung vielleicht
ihren Namen trug9. Die auffallende Tatsache, dass eine
Namenlose ein nomen hat, wird also von Ovid selbst
mehrfach ins Licht gerückt.
Unbedingter Einsatz für den Mann unter Aufgabe
des eigenen Ich zeichnet auch in literarischen Quellen
die ideale Frau aus. Plinius rühmt die Loyalität einer
Fannia und Arria gegenüber ihren Gatten trotz eigener
Lebensgefahr, aber auch die Selbstaufopferung der
Gattinnen zweier unheilbar Kranker, deren eine mit
ihrem furchtsamen Mann in den Tod gegangen sei
(epist.6,24) und deren andere den ihren trotz dessen
Unausstehlichkeit hingebungsvoll gepflegt hätte
(epist.8,18); beider Namen aber nennt er nicht,
auch nicht den der gehorsamen Tochter, die auf dem
Sterbebett dem verzweifelten Vater noch Mut zusprach
und die ‚ganz sein Abbild‘ war (5,16) – und das im
Nachruf auf sie13! An der eigenen Frau Calpurnia
gefällt ihm, dass sie leidenschaftliches Interesse an
seinen Schriften und Auftritten zeigt (4,19; 6,7), an der
– wiederum ungenannten – Frau des schriftstellernden
Pompeius Saturninus gefällt ihm nicht, dass ihr Mann
sie als Verfasserin literarischer Briefe nennt, die doch
Wir sehen hier ein Paradoxon, eine Absurdität, ermöglicht durch Doppelbedeutung „Namen“ und „Ruhm“
des Wortes „nomen“ – wobei, wenn Ovid von seinem
nomen und dem seiner amici spricht, stets beide Bedeutungen präsent sind10. Warum enthält der Dichter der
Frau, die er so rühmt, ihr nomen vor? Ist es Gedankenoder Herzlosigkeit? Das ist es wohl nicht. Ovids Zeitgenossen verstanden die Botschaft: Durch Nichtnennung hatte Ovid seiner Frau das größtmögliche Lob
erteilt und ihr quasi ein Gütesiegel verliehen.
Die höchste Tugend einer römischen Ehefrau bestand
in ihrer völligen Hintanstellung hinter ihren Gatten.
Alle Eigenschaften und Leistungen einer Frau hatten
7
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Penelope [!] coniunx semper Ulixis ero). Das hätte Ovids
Frau und ihrem Dichter gefallen.
klar aus seiner Feder oder wenigstens aus seinem
Geist stammen müssten (1,16,6). Auch Priscilla, die
Gattin des Abascantus, stellt sich ganz in den Dienst
der Karriere ihres Mannes und verwendet sich durch
eine Stiftung noch auf dem Totenbett beim Kaiser für
ihn, wie Statius im Epicedion auf sie (silv.5,1) wissen
will. Statius’ eigene Gattin nimmt ebenfalls intensiven
Anteil an der Karriere und Arbeit ihres Mannes – selbst
nachts hört sie seine Entwürfe an – und stimmt auch
einer Wohnortverlegung in seine Heimat Neapel zu,
obwohl sie selbst Rom vorzöge (silv.3,5). Im Gedicht
an sie – für das Ovids uxor-Elegien ein Vorbild waren
– erscheint ihr Name nicht, wir kennen ihn nur aus
dem Vorwort des Buchs (Claudia mea). Seneca preist
als ‚der Frauen höchste Zier‘ (unicum exemplum
sanctitatis) seine Tante, die inmitten eines Seesturms
sich nicht um ihr Leben, sondern nur um die Rettung
der Leiche ihres Mannes sorgte (Helv.19); er bedauert,
dass die verkommene Gegenwart nicht mehr den Preis
einer solchen Alkestis sänge, so dass ihre Heldentat
„im Dunkel verborgen bliebe“. Doch was er weiterhin
an ihr rühmt, ist ihre totale Zurückgezogenheit und
Uneigennützigkeit, da ihr Mann Statthalter von
Ägypten war. Viel hätte es bedeutet, wenn man dort
über sechzehn Jahre keinen Fehl an ihr gefunden hätte;
„mehr bedeutet es, dass man sie gar nicht kannte“, plus
est quod ignoravit. Diesen Ruhm zerstört Seneca nicht:
Er nennt nicht ihren Namen14.
13
1
2
3
4
5
6
So nennt auch Ovid niemals den Namen seiner Frau –
und stößt den Leser sogar eigens auf diese Leerstelle. Er
darf ihn nicht nennen. Denn seine Ehe und seine Ehefrau müssen vorbildlich sein: Die ideale Gattin aber hat
keinen Namen.
7
8
Ihr Name ist: exulis uxor. Nennt ein anderer sie böswillig so (trist.5,11,2 ~ epist.ux.159f ), verteidigt Ovid
sie (und sich) gegen diese Schmähung: Juristisch sei er
nur relegatus (relegati, non exulis utitur in me / nomine
V.21f ~ epist.ux.171f ). Doch hofft er, sie selbst würde
sich dieser Bezeichnung nicht schämen (trist.4,3,49
cum diceris exulis uxor), und preist sie, weil sie sie aushält (sustinuit coniunx exulis esse viri trist.4,10,74).
Es ist der Name, den sie sich selbst zulegt, da sie sich
so vollkommen mit ihm identifiziert, dass sie ihn ins
Exil begleiten will: Te sequar et coniunx exulis exul ero
(trist.1,3,82). Die Bochumer Epistula uxoris hat dies in
ein Treueversprechen der uxor integriert:
9
10
11
Increpet usque licet – tua sum, tua dicar oportet:
Nasonis semper exulis uxor ero.
„Lass ihn schmähen – ich bin die Deine, und die Deine
soll man mich nennen: Stets werde ich die Gattin des
verbannten Ovid sein.“ (V.165f ~ epist.her.1,83f; V.84
12
8
Vgl. NEXUS Nr.6 WS 2017/18, S.10-13; R.F.Glei et al.,
Epistula uxoris: Ovids Ehefrau an den verbannten Dichter,
NLJ 20, 2018, 587-594.
Vgl. Ov.trist,4,10,60 nomine non vero dicta Corinna; 5,14,33
virtus … per saecula nulla tacetur bzw. 1,6,4 digna minus misero, non meliore viro. Zu vocor exulis uxor s.u. a.E.
trist.1,6; 3,3; 4,3; 5,5; 5,11; 5,14; Pont,1,4; 3,1. Von ihr ist
außerdem die Rede in trist.1,2,37-44; 1,3 passim; 3,8,10;
3,11,15; 4,6,46; 4,10,73f; 5,1,39; Pont.1,2,145-150; 1,8,32;
2,10,10; 2,11,13-22; 3,7,11f.
Tugenden: trist.5,5,45; 59; 5,14,19-24 u. ö.; exemplum:
trist.1,6,26; 4,3,72; Pont.3,1,44 ~ epist.ux.192; Ruhm:
trist.1,6,36 u.ö ~ epist.ux.198.
Spiel mit den nomen des Maximus Pont.1,2,1 und 2,3,1;
metrische Probleme des Namens Tuticanus Pont.4,12,1ff;
4,14,2; vorsichtiger Verzicht auf Namensnennung trist.1,5,7;
3,4,63-72; 4,5,10-17; 5,9,1ff; 32; Entschuldigung für Identifikation trotz dieses Verzichts trist.4,4,7-10; Bitte, das nomen eines Adressaten nennen zu dürfen Pont.3,6,1-6 und
51-54; 4,1,3ff; Ankündigung, es bei treuem Freund zu tun
Pont.3,2,3; 4,11,2 bzw. es bei untreuem Freund nicht zu tun
trist.4,9,1 und 32; Pont.3,3,1-4.
Ovid befürchtet, sein nomen könne bewirken, dass seine Adressaten und Leser sich von ihm distanzierten (Pont.1,1,30;
1,2,7; 2,2,5f; 3,6,45-50; 4,5,12, ähnlich Pont.2,2,56). Er
wünscht sich, dass seine Freunde sein nomen nicht vergessen (Pont.3,5,44) bzw. verleugnen (trist.3,10,2; Pont.4,3,10),
sondern ehren (trist.3,4,45f; 5,3,49; 58).
V.35-38 waren die ‚Fundgrube‘ für V.5-10 der Epistula uxoris.
Pont.3,1,43-48 Magna tibi imposita est nostris persona libellis:
/ coniugis exemplum diceris esse bonae. / Hanc cave degeneres. Ut
sint praeconia nostra / vera, vide famae quod tuearis opus. / Ut
nihil ipse querar, tacito me fama queretur. / quae debet, fuerit
ni tibi cura mei.
So die opinio communis. Ihr Name ist als Battis oder Bittis
überliefert, Philitas soll sie „besungen“ haben (Hermesianax
bei Athen.13,598 f ); zur Interpretation der Stelle und zur
Frage der Historizität der Person vgl. K.Spanoudakis, Philitas
of Cos, Leiden/Boston/Köln 2002, 31-34.
Z.B. trist.3,3,80: Seine libelli werden Ovid ein beständigeres nomen sichern als der Grab-titulus NASO POETA;
trist.4,10,122, vgl. Pont.4,16,3ff: Die Muse hat Ovid schon
zu Lebzeiten ein nomen geschenkt; Pont.2,6,30 und 34: Ovids
Dichtungen garantieren Graecinus ein nomen für alle Zeit.
Quom omnium bonarum feminarum simplex similisque esse
laudatio soleat, quod naturalia bona propria custodia servata
varietates verborum non desiderent … CILVI 10230,20-22.
Vgl. Ov.trist.5,5,43-45:Edidit haec (lux scil., der Tag der Geburt seiner Frau) mores … heroisin aequos … / Nata pudicitia
est, virtus probitasque fidesque.
Vgl. B.von Hesberg-Tonn, Coniunx carissima. Untersuchungen zum Normcharakter im Erscheinungsbild der römischen
14
Frau, Stuttgart 1983; E.A.Hemelrijk, Masculinity and Femininity in the Laudatio Turiae, CQ 54, 2004, 185-197.
Auch der durch Tullias Verlust tiefgetroffene Cicero umschreibt die geliebte Tochter in den Briefen nach ihrem Tod
nur mit neutralen Ausdrücken, z.B. fam.4,6,2 habebam, quo
confugerem, ubi conquiescerem, cuiuis in sermone et suavitate
omnes curas doloresque deponerem. Ist es Egoismus oder will
er sie als perfekte Tochter preisen, wenn sie nur als Gefäß für
seine Sorgen erscheint und nicht ihr Sterben, sondern allein
seine Befindlichkeit thematisiert ist?
Vgl. G.Viden, Women in Roman Literature. Attitudes of
Authors under the Early Empire, Göteborg 1993. Plinius:
J.-A.Shelton, Pliny the Younger and the Ideal Wife, C&M
41, 1990, 163-186; F.Jones, Naming in Pliny’s Letters, SO
66, 1991, 147-170; J.M.Carlon, Pliny’s Women: Construc-
ting Virtue and Identity in the Roman World, Cambridge
2009; C.Klodt, Patrem mira similitudine exscripserat. Plinius’
Nachruf auf eine perfekte Tochter, Gymnasium 119, 2012,
1-61; J.-A.Shelton, The Women of Pliny’s Letters, London
2013. Statius: C.Klodt, Ad uxorem in eigener Sache. Das Abschlussgedicht der ersten drei Silvenbücher des Statius vor
dem Hintergrund von Ovids ‚Autobiographie‘ (trist.4.10)
und seinen Briefen an die Gattin, in: M.Reichel (Hg.), Antike Autobiographien. Werke – Epochen –Gattungen, Köln/
Weimar/Wien 2005, 185-222. Seneca: G.B.Lavery, Never
Seen in Public: Seneca and the Limits of Cosmopolitanism,
Latomus 56, 1997, 3-13. Gattungen, Köln/Weimar/Wien
2005, 185-222. Seneca: G.B.Lavery, Never Seen in Public:
Seneca and the Limits of Cosmopolitanism, Latomus 56,
1997, 3-13.
Frauen als Investorinnen und Unternehmerinnen in der
römischen Antike
Frauen wider gesellschaftliche Konventionen?
EIN ESSAY VON VICTORIA JÖKEL
I
m Rahmen der Sachübung „Vermittlung antiker Inhalte in Wissenschafts- und Kulturjournalismus“, geleitet von Julia J. Beine, haben sich
journalismusinteressierte Studierende näher mit der
klassischen Antike auseinandergesetzt und sich mit
Themen beschäftigt, die noch in der Gegenwart von
Relevanz sind. In der jüngeren Zeit tritt die Genderbewegung immer mehr auf den Plan und weltweit
fühlen sich Menschen mit der Bewegung verbunden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat
sie ihren Eingang in die Universitäten gefunden und
stellt mittlerweile einen eigenen Forschungsbereich
dar: die Genderforschung. Immer mehr etabliert
sich auch in den deutschsprachigen Altertumswissenschaften ein genderspezifischer Standard, was
die Differenzierung zwischen biologischem und
sozialem Geschlecht und die Anerkennung von
Geschlechterdifferenzen als einer gesellschaftlichen
Ordnungskategorie betrifft.
ebenso die Leitung der Hauswirtschaft wie die Kindererziehung und das Spinnen von Wolle.1
Sittsamkeit, Bescheidenheit und Fleiß zählten zu den
Tugenden, die eine römische Matrone ausmachen sollten. Ist die römische Frau in der Antike von der Forschung bis vor wenigen Jahren nur in Verbindung mit
ihrem Mann betrachtet worden, so rückt nun die Frau
als Subjekt in den Vordergrund. Der Historiker Karl-Sigurd Gödde etwa zeigt in einem Kapitel seiner Dissertation2 auf, dass römische Frauen einem Gelderwerb
nachgehen konnten, ohne gesellschaftlich geschnitten
zu werden. Dabei handelte es sich nicht nur um Frauen
aus den sozial niederen Schichten, die ihr Überleben mit
einem Gelderwerb sicherten, sondern auch um Frauen
aus der römischen Oberschicht. Mit Beginn des Prinzipats um 27 v. Chr. setzte sich unter Kaiser Augustus ab
circa 18 v. Chr. die Manus-freie Ehe immer stärker durch
und leitete damit einen gesellschaftlich-rechtlichen
Umwälzungsprozess ein. Die Manus-freie Ehe befreite
die Frau von einem gesetzlichen Vormund und machte
sie dadurch geschäftsfähig und juristisch unabhängig.
Das Besondere an dieser Form der Ehe stellte aber die
Unabhängigkeit der Frau gegenüber ihrem Ehemann
dar. Dadurch konnten die Frauen im Notfall die Familie
ernähren, sollte der Ehemann das Vermögen der Familie
verloren haben. Allerdings wurden die Frauen dadurch
keineswegs gleichberechtigt, denn in der Politik hatten
Frauen wurden im antiken Rom zunächst einmal als
Gefährtin und Ergänzung zu ihrem Ehemann gesehen.
Des Weiteren wurden sie als Hausherrinnen bei allen
wichtigen Entscheidungen, die die Familie betrafen, mit
eingebunden. Die römische Gesellschaft sah darüber
hinaus die Hauptaufgabe von Frauen im Gebären von
Kindern, um den Nachwuchs für das Römische Reich zu
garantieren, allerdings zählte zu ihrem Aufgabenbereich
9
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
sie weiterhin kein Mitspracherecht, von einer politischen
Amtsausübung ganz zu schweigen. Frauen waren danach
trotzdem weitestgehend von der Organisation, Verwaltung und Kontrolle des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. So durften Frauen zum Beispiel im Amphitheater
nicht neben ihrem Mann sitzen, sondern nur in einem
Bereich, der den Frauen vorbehalten war.3
es beispielsweise in einer Schrift des Juristen Ulpian:
„Parvi autem refert, qui exercet masculus sit an mulier
[…]“ – „Es ist von geringer Bedeutung, ob die Person,
die ein Reedereiunternehmen betreibt, ein Mann oder
eine Frau […] ist.“7 Wer dem Aufruf Folge leistete und
vorschriftsmäßig sechs Jahre lang Lebensmittel für die
annona transportierte, erhielt Privilegien, die gerade für
Frauen lohnend erschienen – so etwa die Befreiung von
der Lex Papia Poppaea. Darüber hinaus waren die Frauen
generell nicht an die iulisch-papischen Gesetze gebunden, wodurch sie ihr Erbe uneingeschränkt, unverheiratet und ohne Kindersegen antreten konnten Die Lex
Papia Poppaea wurde unter Kaiser Augustus 9 n. Chr. im
Zuge der augusteischen Ehegesetze erlassen und sah eine
Nachkommenschaft von mindestens drei ehelichen Kindern vor. Diese Ehegesetze wurden als Maßnahme gegen
Ehe- und Kinderlosigkeit in den höheren Ständen und
zur Wiederherstellung der öffentlichen Moral erlassen.8
Erst nachdem Frauen diese Geburtenrate erfüllt hatten, wurden sie geschäftsfähige Personen und konnten
ihren Besitz selbstständig verwalten. Weiterhin wurden
sie von der Geschlechtsvormundschaft befreit.9 Generell
wurden vermögende Frauen mit rechtlichen Vergünstigungen und Privilegien gelockt, um sich in Kriegszeiten oder bei Versorgungskrisen ihre Kollaboration zu
sichern.10 Trotz der vorherrschenden patriarchalischen
Strukturen genossen selbstständige Unternehmerinnen
eine breite Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft und
verloren durch ihre Tätigkeit nicht ihr Sozialprestige als
Mitglieder der Oberschicht.11
Vom sozialen Rang unabhängig konnten Frauen nach
Abschaffung der Manus-Ehe ihr Vermögen nach eigenem Gutdünken verleihen, allerdings nur im privaten Rahmen; als Bankiers durften Frauen nicht auftreten. Aus dem antiken Rollenverständnis heraus hatte die
Frau in der Berufswelt keinen Platz, jedoch konnten sich
Frauen aus der Oberschicht leichter von ihren häuslichen Zwängen befreien und einer Berufstätigkeit nachgehen. Das Vermögen der Frauen bestand in den meisten
Fällen aus der Mitgift, die sie bei ihrer Heirat erhielten.
Vornehmlich waren es Frauen aus der Oberschicht, die
Geldverleih betrieben oder ihr Kapital in Unternehmen
investierten.4 Aus der antiken Überlieferung wissen wir,
dass Frauen überdurchschnittlich häufig im Darlehensund Seedarlehensgeschäft vertreten waren.5 Es lag dem
wirtschaftlichen Zweck zugrunde, das Vermögen noch
weiter zu mehren, und gerade das Seedarlehensgeschäft
war für Frauen lukrativ, denn es brachte nicht nur durch
die überdurchschnittlich hohen Zinsen ein Vermögen
ein, sondern konnte von Zuhause aus abgewickelt werden. Das Seedarlehen unterschied sich von einem einfachen Darlehen vor allem dadurch, dass es vom Schiffseigentümer zum Ausrüsten eines Schiffes und Ankauf
von Waren aufgenommen und nur bei einem erfolgreichen Ausgang der Reise zurückgezahlt wurde (während
bei einem einfachen Darlehen die Summe an den Darlehensgeber in jedem Fall zurückgezahlt werden musste,
egal ob das Geschäft von Erfolg gekrönt war oder nicht).
Da die Geschäfte von zu Hause aus geführt wurden,
konnten die Frauen das Bild einer römischen Matrone
aufrecht erhalten und trotzdem einem Gelderwerb nachgehen. Dabei verstanden es Frauen, die dem Senatorenstand angehörten, meisterhaft, ihre Involvierung in
Bankgeschäfte zu verschleiern.6
Frauen mit eigenem Vermögen und solche, die einer
Berufstätigkeit nachgingen, bildeten keineswegs die
Ausnahme
Dass römische Frauen nicht nur im Geldverleih und als
Reedereiunternehmerinnen tätig waren, zeigt ihre breite
Vertretung in der Baustoffbranche. Dort führten Frauen
Ziegeleien und Betriebe zur Herstellung von Bleirohren, die u. a. als Wasserleitungen fungierten. Ziegeleibetriebe wurden als landwirtschaftliche Betriebe gesehen, wodurch sie zu einem legalen Erwerbszweig des
Senatorenstandes wurden. In der Regel waren die (Ehe-)
Frauen für die Bewirtschaftung der Landgüter zuständig, weshalb es nicht verwundert, dass sie als Wirtschafterinnen oder Besitzerin solcher Betriebe in den Quellen
auftauchen. Als das prominenteste Beispiel gilt Euchmachia, die nach dem Tod ihres Ehemannes seine Ziegeleibetriebe in Pompeji weiterführte. Später übernahm
Euchmachia das Patronat im Kollegium der Tuchmacher
in Pompeji, was wiederum belegt, dass auch Frauen Kollegien angehören konnten.12
Römische Frauen, die einem Gelderwerb nachgehen
wollten, waren allerdings nicht nur auf das Darlehensgeschäft beschränkt, sondern konnten ihr Vermögen
auch in Reedereiunternehmen investieren, wie am Beispiel der Lebensmittelknappheit unter Kaiser Claudius
(41–54 n. Chr.) gezeigt werden kann. In dieser Zeit
erlebte die Stadt Rom eine schwere Lebensmittelkrise
und stand kurz vor einer Hungersnot. Um dieser vorzubeugen, rief Claudius zum Ankauf von Schiffen auf,
die für sechs Jahre Lebensmittel transportieren sollten.
Dass Frauen als Reedereiunternehmerinnen tätig sein
konnten, ist durch mehrere Quellen belegt. So heißt
Durch antike Zeugnisse ist bekannt, dass Frauen auch
verschiedene handwerkliche Tätigkeiten ausübten. Bei
10
und ihren Status als Mitglieder einflussreicher und vermögender Familien. Diese Frauen werden nicht nur
in Zusammenarbeit mit Männern, sondern unabhängig von diesen in den Quellen erwähnt. Frauen aus den
unteren sozialen Schichten hatten es dagegen deutlich
schwerer. Ihr Gelderwerb war wichtig, um ein zusätzliches Einkommen für die Familie zu sichern. Dabei
haben sie keinen guten Ruf in der Gesellschaft genossen. Sie wurden oft mit „vulgären“ Tätigkeiten betraut
und dazu noch schlecht entlohnt. Frauen aus der Unterschicht, die handwerkliche Tätigkeiten ausübten, waren
in den meisten Fällen Sklavinnen oder Freigelassene.
Letztere hatten kaum eine Möglichkeit, ihr gesellschaftliches Ansehen groß zu steigern. Frauen mit eigenem
Vermögen und solche, die einer Berufstätigkeit nachgingen, bildeten keineswegs die Ausnahme, sondern waren
wahrscheinlich eher an der Tagesordnung – auch wenn
über die Berufstätigkeit von Frauen aus sozial niederen
Schichten nur wenig in antiken Zeugnissen festgehalten
worden ist.
diesen Frauen handelte es sich um Sklavinnen oder freigelassene Frauen, sodass der Status ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht immer eindeutig ist. Die Forschung
ist sich jedoch darin einig, dass Sklavinnen, die eine
handwerkliche Tätigkeit ausübten, dies für den Haushalt taten, dem sie angehörten. Auch in Betrieben, die
Verkaufsgüter produzierten, konnten Frauen tätig sein.
Ebenso konnte es aber sein, dass die Frauen nur den Verkauf der Güter übernahmen. Über die genauen Tätigkeiten von Frauen in handwerklichen Betrieben liegen
jedoch keine gesicherten Kenntnisse vor. Ein Berufsfeld,
welches überwiegend als Frauenarbeit betrachtet wurde,
lag im Textilbereich, der das Spinnen, Weben und Nähen
von Stoffen umfasste. Diese Berufsbranche genoss kein
überdurchschnittlich hohes Ansehen in der römischen
Gesellschaft und wurde nur geringfügig entlohnt. Inwieweit Frauen tatsächlich auch als Weberinnen arbeiteten, ist umstritten, da Untersuchungen des Textilgewerbes in Pompeji und anderen Städten des Römischen
Reichs darauf hinweisen, dass überwiegend Männer als
Weber tätig waren. Obschon auch Frauen als Weberinnen bezeugt sind, weist Jane Gardner darauf hin, dass
diese Frauen alle Sklavinnen waren. Des Weiteren macht
sie darauf aufmerksam, dass es nur recht wenig unzweifelhafte Belege dafür gibt, dass Frauen tatsächlich eine
Tätigkeit als Weberinnen ausübten.13 Frauen, die in diesem Bereich tätig waren, können nicht mit Frauen aus
der Oberschicht, die sich als Unternehmerinnen oder
Investorinnen betätigten, gleichgestellt werden. Zum
ersten steht der soziale Rang im Weg, und zum zweiten
mussten letztere niemals arbeiten, um ihr Überleben zu
sichern.
Literaturverzeichnis:
Gardner, Jane F.: Frauen im antiken Rom. Familie, Alltag,
Recht, München 1995.
Gödde, Karl-Sigurd: Die Entwicklung der Ökonomie in Italien
und den westlichen Provinzen des Imperium Romanum während der Kaiserzeit des 1.-2. Jahrhunderts aus neuzeitlicher
wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, Bochum 2017.
Höbenreich, Evelyn, Rizzeli, Giuno: Scylla. Fragmente einer juristischen Geschichte der Frauen im antiken Rom. Das Korsett der römischen Familie, Wien 2003.
Heinrich Honsell: Römisches Recht, Berlin Heidelberg 2010.
Durch den Trend zur Genderforschung bietet sich eine
andere Perspektive auf bereits bestehende Forschungsergebnisse, durch die die Möglichkeit entsteht, den gesellschaftlichen Status, die Aufgaben und vor allem die
Rechte von Frauen in allen Geschichtsepochen neu zu
betrachten. Mit Blick auf die römische Antike fand in
der älteren Forschung vor allem eine Beschäftigung mit
Einzelproblemen statt: die Aufgabe der Frau im Haus,
als Ehefrau, Mutter oder Konkubine, um nur einige Beispiele zu nennen. Erst in der jüngeren Forschung wurden nicht mehr nur Einzelprobleme und Personen in
den Blick genommen, sondern die Frau im Ganzen.
Dadurch ist zum Beispiel heute bekannt, dass Frauen in
der römischen Antike als Unternehmerinnen und Investoreninnen auftraten. Frauen setzten ihr Vermögen renditeorientiert ein und konnten es durch kluge Investitionen (wie im Seedarlehensgeschäft) weiter mehren.
Ihre Involvierung in solche Geschäfte wurde geschickt
verschleiert, indem sie ihre Sklaven als Unternehmensführung einsetzten. Als selbständige Unternehmerinnen
erfuhren sie eine breite Akzeptanz und verloren aufgrund
ihrer unternehmerischen Tätigkeiten nicht ihr Ansehen
1
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11
Höbenreich, Evelyn / Rizzeli, Giuno: Scylla. Fragmente einer juristischen Geschichte der Frauen im antiken Rom. Das
Korsett der römischen Familie, Wien 2003. S. 40.
Gödde, Karl-Sigurd: Die Entwicklung der Ökonomie in Italien und den westlichen Provinzen des Imperium Romanum
während der Kaiserzeit des 1.-2. Jahrhunderts aus neuzeitlicher wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, Bochum
2017. S. 196.
Höbenreich, Evelyn / Rizzeli, Giuno: S. 41.
Gardner, Jane F.: Frauen im antiken Rom. Familie, Alltag,
Recht, München 1995. S. 237f.
Vgl. Gödde, Karl-Sigurd: S. 196.
Höbenreich, Evelyn / Rizzeli, Giuno: S. 171.
Ulp. dig. 14, 1, 1, 16
Heinrich Honsell: Römisches Recht, Berlin Heidelberg 2010.
S. 178.
Höbenreich, Evelyn / Rizzeli, Giuno: S. 175.
Ebd. S. 175.
Gödde, Karl-Sigurd: S. 159.
Ebd.: S. 198.
Gardner, Jane F.: S. 239f.
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Rome: Rise and Fall of an Empire
Betrachtung einer historischen Dokumentation unter geschichtswissenschaftlicher Perspektive
EIN ESSAY VON PHILIPP TRZASKA
R
Zu beachten ist jedoch, dass es sich bei dem Medium
der Dokumentation per se um eine Darstellungsform
des (Wissenschafts-)Journalismus handelt. Die Intention ist hierbei, „komplexes Spezialwissen nahezu kindergerecht [zu] erklären […], dass es […] überhaupt
verstanden wird“ (Hermann, S. 157f.). Dieses Selbstverständnis impliziert bereits, dass es sich um keine
wissenschaftliche Auseinandersetzung wie beispielswiese in einem historischen Fachbuch handeln kann.
Ob dennoch geschichtswissenschaftliche Charakteristika einfließen, was eine Dokumentation überhaupt
leisten kann, welches Bild der Geschichtswissenschaft
des 21. Jahrhunderts vermittelt wird, dem wird im Folgenden nachgegangen. Zunächst soll eine objektive
Beschreibung der Dokumentation erfolgen und diese
im Anschluss aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive gewertet werden.
om wurde nicht an einem Tag erbaut und
auch das Leben des Gaius Julius Caesar
konnte nicht in nur einem medialen Werk
aufgearbeitet werden. Im Kontext des Aufstieges
und Unterganges des römischen Reiches behandelte die 2008 auf dem History Channel veröffentlichte Dokumentationsreihe Rome: Rise and Fall of
an Empire in der dritten der dreizehn Episoden die
Person des Julius Caesar.
Geschichte ist im Fernsehen ein omnipräsentes
Thema, welches sich in diversen Gattungen,
unterschiedlichen Narrativen sowie Intentionen
artikuliert – Historienfilme, Serien, Quizshows
oder Dokumentationen sind nur einige Vertreter.
Grund für das hohe mediale Angebot ist die hohe
Nachfrage – welche sich laut einer Umfrage der ZDFMedienforschung in einem Interesse an Geschichte
im Fernsehen bei 40% der Befragten zeigte (Stolte,
S. 21). So ist es auch nachvollziehbar, dass die
Geschichtskultur durch das Fernsehen immer stärker
geprägt wird; das Medium Fernsehen fungiert nicht
nur „zur Vermittlung von Geschichtswissen, das andere
erarbeitet haben, sondern [ist] auch eine eigene Instanz
der öffentlichen Geschichtskultur“ (Quandt, S. 10).
Da jedoch diese Geschichtskultur von Filmemachern,
und nicht Historikern – letztere fungieren maximal als
Berater in der Produktion – geprägt wird, ist es umso
wichtiger, diese kritisch zu reflektieren. Was für ein
Verständnis von Geschichte wird präsentiert und wie
wurde dieses erarbeitet?
Julius Caesar ist ein prägnantes Beispiel, wenn es um das
mediale Interesse von Geschichte geht. Obwohl Caesar
noch vor der Zeitenwende starb, ist seine Geschichte
noch lange nicht auserzählt worden: Joseph Mankiewicz’ Filmdrama Julius Caesar (1953) und Astérix et
Obélix contre César (1997) setzten sich bereits im letzten Jahrhundert mit der Thematik auseinander. Doch
auch im 21. Jahrhundert gerät Caesar nicht in Vergessenheit: Die Monographie Caesar und das Problem der
Monarchie in Rom wurde von dem Althistoriker Mischa
Meier 2014 publiziert. Markus Schauer veröffentlichte
im März des Jahres 2016 das Buch Der Gallische Krieg.
Geschichte und Täuschung in Caesars Meisterwerk. Im
selben Jahr wurde in der Baltimore Shakespeare Factory
das Theaterstück von Chris Cotterman mit dem Titel
Julius Caesar aufgeführt, außerdem zeigte das National
Theatre 2018 in London eine moderne Uraufführung
von William Shakespeares Klassiker. Im selben Jahr
erschien zudem das Buch The Cambridge Companion to
the Writings of Julius Caesar in New York.
Da Dokumentationen einen höheren Anspruch
als beispielsweise historisch geprägte Spielfilme im
Sinne der Wissensvermittlung haben, wird eine
Dokumentation zur Betrachtung hinzugezogen. Dafür
soll die dritte Episode der Reihe Rom: Rise and Fall of
an Empire näher untersucht werden. Selbstverständlich
lässt sich aufgrund dieser einen Dokumentation nicht
auf alle anderen schließen und das Ergebnis sich nicht
prinzipiell verallgemeinern. Da jedoch viele moderne
Dokumentationen nach dem gleichen Schema
aufgebaut sind und ähnlich arbeiten, soll dennoch
das abschließende Ergebnis so gut wie möglich
verallgemeinernd ausgewertet werden.
Da die Medien jährlich neues Material nachliefern, ist
der Name Caesar den meisten ein geläufiger Begriff;
stärker Interessierte oder Laien greifen in der Regel zu
einer Dokumentation statt zu einem Fachbuch: Ancient
Rom: Rise and Fall of an Empire (2006), Rom: Rise and
Fall of an Empire (2008) oder Rom und seine großen
Herrscher (2011) sind nur einige Beispiele von vielen.
12
Geschichte forscht, anhand seiner Publikationen und
Forschungsprojekte lässt sich jedoch erkennen, dass er
kein wirklicher Experte bezüglich Julius Caesar sein
kann. Man könnte so beliebig fortfahren und jeden der
fünf Historiker analysieren und ihnen ihren Expertenstatus absprechen, jedoch ist dies nicht das ausschlaggebende Argument zur Beurteilung der Dokumentation, sondern lässt sich nur als geringfügiges Manko
anführen.
Beim ersten Schauen von Rome: Rise and Fall of an
Empire entsteht doch, zumindest zunächst, ein seriöser erster Eindruck: Fünf Historiker, welche sich allesamt in einem romanisierten Büro befinden und dem
Zuschauer die historischen Zusammenhänge und
Umstände erläutern. Mit Peter Wells und David S.
Potter (beide von der University of Michigan) treten
zwei Personen auf, welche einem belesenen Zuschauer
bekannt vorkommen könnten. In ihrer Präsentation
wirken alle fünf Historiker wie Experten für die Thematik und sollen das Gesagte durch ihr suggeriertes
Fachwissen authentifizieren. Hinzu kommt die Verwendung von Quellen; so werden von einem externen Sprecher per Voice-Over Schriften von Caesar,
Plutarch und Sueton zitiert, welche dazu dienen, das
Geschilderte zu verifizieren. Durch die Vortragsweise
des Sprechers wird zudem das Gefühl erzeugt, dass die
zitierten Persönlichkeiten direkt zum Zuschauer selbst
sprechen. Womöglich dient dies als Ersatz von Zeitzeugen, welche den Produzenten der Dokumentation selbstverständlich nicht zur Verfügung standen.
Verschiedene Ereignisse werden außerdem mit Karten, Graphiken oder Gemälden veranschaulicht. Graphiken und Karten dienen oftmals dazu, komplexere
Ereignisse vereinfacht darzustellen; Gemälde können
dazu genutzt werden, Geschehnisse zu visualisieren. All
diese aufgezählten Mittel kann man als Authentifizierungswerkzeuge bezeichnen, die einen „so-ist-es-gewesen“-Effekt (Hoffman, S. 142) erzeugen und eine „historische Wahrheit“ vermitteln sollen.
Grundsätzlich kann zumindest festgestellt werden, dass
die Historiker keine wirklichen Experten bezüglich der
Thematik der Dokumentation sind. Deshalb ist es fraglich, inwieweit sie das Gesagte überhaupt authentifizieren und ihrer Aufgabe als Authentifizierungswerkzeug
gerecht werden können. Verdeutlicht man sich nun,
was die Historiker im Verlauf der Dokumentation leisten, so kommt man zu der Erkenntnis, dass dies nicht
wissenschaftlicher Natur ist. Ihre Aufgabe beschränkt
sich lediglich auf das Wiedergeben von Ereignissen,
die zudem noch sehr vereinfacht für den Zuschauer
erklärt werden. Eben dies ist nicht die Aufgabe der
modernen Geschichtswissenschaft; zu behaupten, dass
das Nacherzählen die Geschichtswissenschaft charakterisiert, ist ein Fehler. Vielmehr ist der wissenschaftliche und kritische Umgang mit Quellen der Faktor,
der der Geschichte eine Wissenschaftlichkeit verleiht.
Das Ziel eines Historikers ist es grundsätzlich, „seine
Forschungsergebnisse in allen Einzelheiten dar[zu]
stellen, es geht ihm um die Komplexität seiner Deutungen“ (Balzer, S. 144). Eine gewisse Komplexität in
den Gedankengängen der Historiker ist nicht erkennbar. David S. Potter beispielsweise vergleicht den Barbarenführer Ariovist mit dem ehemaligen Staatspräsidenten des Iraks, Saddam Hussein. Potter nutzt diesen
Vergleich wohl, um der Person des Ariovist eine Persönlichkeit zu verleihen, welche den Zuschauern ein
Begriff sein sollte und ihn zugleich als unmoralischen
Menschen kategorisiert. Da der Tod Husseins (2006)
und die Veröffentlichung der Dokumentation (2008)
zeitlich relativ eng beieinanderliegen, sollte dieser Vergleich den Zuschauern zusagen können. Abgesehen
davon, dass diese Gegenüberstellung bezüglich ihrer
Vergleichbarkeit schwierig ist, ist diese Reduktion der
Person des Ariovist auf einen Diktator der 21. Jahrhunderts nicht im Sinne der Geschichtswissenschaft.
Hinzu kommen noch einige Fehler bezüglich der Historizität, welche den Historikern nicht hätten unterlaufen dürfen. Aufgrund dieser Fehler ist es auch fraglich, inwieweit die Historiker als Berater fungiert
haben oder lediglich als Authentifizierungswerkzeuge
vor der Kamera genutzt werden. So werden Gemälde
aus ihrem Kontext herausgerissen, um etwas zu visualisieren, was sie jedoch nicht darstellen: Eine Darstellung des brennenden Rom wurde fälschlicherweise als
Das, was die Dokumentation dem Zuschauer zeigt,
vermittelt einen seriösen und wissenschaftlichen Eindruck: Historiker, Quellenarbeit und diverse Hilfsmittel. Beschäftigt man sich jedoch intensiver mit
der Materie und beachtet all das, was die Dokumentation (eventuell bewusst) verschweigt, so trügt der
seriöse Eindruck: Die zuvor schon angeführten Peter
Wells und David S. Potter genossen ihre Ausbildung
an einer renommierten Eliteuniversität in den Vereinigten Staaten, der Harvard University. Die University
of Michigan, an welcher beide lehren, gilt zudem ebenfalls als renommierte Lehreinrichtung. Dies spricht
zunächst für beide Historiker; ein Blick auf die Homepage der Universität hingegen nicht: Peter Wells ist
Archäologe, nicht Historiker. Die Archäologie ist zwar
mit der Geschichtswissenschaft eng verbunden, jedoch
wurde Wells im Verlauf der Dokumentation lediglich
in geschichtlicher Hinsicht befragt. Grundsätzlich ist
es kein Fehler, einen Archäologen bezüglich der römischen Antike in einer Dokumentation zu Wort kommen
zu lassen, dies kann sogar sehr vorteilhaft sein. Wenn er
sich jedoch nicht zu seinem Fachgebiet äußern darf, ist
er deplatziert. David S. Potter hingegen ist zwar Historiker, welcher in Richtung der römisch-griechischen
13
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
neuer Forschungsergebnisse oder Anregungen zu
einem neuen Diskurs sind dabei in der Regel nicht das
primäre Ziel des Wissenschaftsjournalismus. Vielmehr
ist es das Ziel, dem Zuschauer Sachverhalte verständig zu übersetzen und gleichzeitig den Unterhaltungsfaktor nicht zu vernachlässigen – also ein ganz anderer
Ansatz als der eines Fachbuches.
der Brand der Curia (Sitzungsgebäude des Senats) auf
dem Forum Romanum ausgelegt. Die Darstellung der
Curia von innen – sie wurde ähnlich wie der US-Senat
inszeniert – ist ebenfalls nicht zutreffend. Außerdem
wurde sich des Klischees der „weißen Antike“ bedient,
indem Skulpturen und Statuen allesamt weiß dargestellt wurden. Dank den Erkenntnissen der modernen
Forschung weiß man jedoch, dass diese bunt gestaltet
gewesen sind.
Das Ziel dieser Ausführung war es nicht, den nicht
vorhandenen wissenschaftlichen Anspruch von Dokumentationen zu widerlegen, sondern auf die „Gefahr“
aufmerksam zu machen, welche von ihnen im Zusammenhang mit der modernen Geschichtskultur ausgeht.
Problematisch ist es, dass historische Filme jeglicher
Art mehr Menschen erreichen als Historiker und somit
eine Geschichtsvorstellung geprägt wird, die (zumindest teilweise) verfälscht ist. Immer mehr Menschen
reduzieren die Geschichtswissenschaft auf die Reproduktion von Ereignissen – also auf einen wissenschaftsjournalistischen Ansatz. Die Dokumentation für sich
ist genau genommen das, was der Wissenschaftsjournalismus sein will. Es wäre nicht richtig, die Dokumentation für etwas zu kritisieren, was sie aus ihrem
Selbstverständnis heraus weder leisten will noch kann.
Jedoch muss auf die „Gefahr“ hingewiesen werden, die
von Dokumentationen ausgeht und die Geschichtskultur und Vorstellung der Geschichtswissenschaft im
großen Maße beeinflussen kann.
Der wissenschaftliche Umgang mit Quellen ist, wie
bereits angesprochen, der wichtigste Aspekt der
Geschichtswissenschaft. In dieser Dokumentation
nimmt das von Caesar verfasste Werk Bellum Gallicum
(Der Gallische Krieg) eine immense Rolle ein. Da die
Quellenlage in der Antike recht dünn ist, gilt dieses
als das wichtigste Zeugnis über jenen Krieg. Eben weil
es aber von Caesar selbst verfasst worden, nicht objektiv geschrieben ist und zudem einer Propagandaschrift
nahekommt, darf und kann man es nicht unreflektiert
lesen. Die ganze Dokumentation stützt sich jedoch fast
ausschließlich auf diese Quelle und behandelt ihren
Inhalt als richtige Wiedergabe der Vergangenheit. Zum
einen sind Quellen nicht in der Lage, ein vollständig
zuverlässiges Bild der Vergangenheit wiederzugeben,
der Historiker muss versuchen, anhand von Quellen
dieses möglichst genau zu rekonstruieren. Außerdem
wird das Bellum Gallicum weder kritisch reflektiert
noch auf die die beschriebene Problematik, die mit diesem Text verbunden ist, aufmerksam gemacht.
Die oben skizzierten Punkte verdeutlichen allesamt,
dass die Dokumentation nicht vollständig den wissenschaftlichen Standards der Geschichtswissenschaften
entspricht. Man muss diesbezüglich aber auch ergänzen, dass eine Dokumentation nicht wirklich den
Anspruch hat, Wissenschaft zu betreiben. Wie bereits
eingangs erwähnt wurde, handelt es sich um eine Form
des Wissenschaftsjournalismus, welcher grundsätzlich
nicht der selbigen Intention folgt wie ein Historiker,
der seine Forschungen publiziert. Der Dokumentation
ergeht es wie allen anderen Sendeformaten im kommerziellen Fernsehen; sie will den Zuschauer erreichen, wodurch sie hohe Einschaltquoten erzielen und
somit Profite erwirtschaften kann. In dem Sinne ist es
auch keinesfalls störend, dass komplexe Ereignisse für
den Zuschauer vereinfacht (Ariovist wird mit Hussein
verglichen) oder dass mit Sehgewohnheiten (Klischee
der „weißen Antike“) nicht gebrochen wird. Für die
Aussage über das Leben und Wirken Caesars spielt es
keine große Rolle, ob die Antike weiß oder bunt dargestellt wird. Es wäre unnötig, die primär aus Laien
und Fachinteressierten bestehende Zielgruppe durch
zu komplexe Erkenntnisse zu verwirren und von der
eigentlichen Thematik abzulenken. Die Verbreitung
Literatur
Balzer, Thomas: Die Fernsehdokumentation – ein Werkstadtbericht, in: Horn, Sabine (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit.
Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 144-152.
Handro, Saskia: Mutationen. Geschichte im kommerziellen
Fernsehen, in: Oswalt, Vadim (Hg.): Geschichtskultur. Die
Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart, Schwalbach am Taunus 2009, S. 75-97.
Hermann, Renate: Wissenschaftsjournalismus, in: Kaiser, Markus (Hg.): Special Interest. Ressortjournalismus – Konzepte,
Ausbildung Praxis, Berlin 2012, S. 157–180.
Hoffman, Hilde: Geschichte und Film – Film und Geschichte, in: Horn, Sabine (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit.
Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 135-143.
Keilbach, Judith: Geschichte im Fernsehen, in: Horn, Sabine
(Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 153-160.
Quandt, Siegfried: Geschichte im Fernsehen. Perspektiven der
Wissenschaft, in: Quandt, Siegfried (Hg.): Geschichte im
Fernsehen, Darmstadt 1988, S. 10-20.
Stolte, Dieter: Geschichte als Programmauftrag, in: Quandt,
Siegfried (Hg.): Geschichte im Fernsehen, Darmstadt 1988,
S. 21-26.
14
Wilfried Lingenbergs Edition der Sabini Epistulae
EINE BUCHREZENSION VON JONATHAN HARTMANN
H
es zumindest unpraktisch, ständig auf einen anderen
Text zu verweisen. Auch im Kommentar wird wiederholt darauf verwiesen, sodass der Leser diesen Aufsatz
teilweise zurate ziehen muss, um Lingenbergs Argumentation wirklich sinnvoll nachvollziehen zu können. Da die vorliegende Edition ja erklärtermaßen zum
Ziel hat, die Entscheidungen des Herausgebers für eine
bestimmte Textgestalt zu erklären, scheitert sie somit in
dieser Hinsicht; ohne besagten Aufsatz bleibt Lingenbergs Darstellung teilweise nicht verständlich. Es wäre
daher auf jeden Fall notwendig gewesen, die Einleitung
um wesentliche Aspekte zu erweitern.
inter der Bezeichnung Sabini Epistulae
verbergen sich drei Briefgedichte, die als
Antwortschreiben auf drei der Ovid zugeschriebenen Heroidenbriefe konzipiert sind; wir
lesen hier die Antworten von Odysseus an Penelope, von Demophoon an Phyllis sowie von Paris
an Oinone. Die Briefe können auf eine wechselvolle
Rezeptionsgeschichte zurückblicken: Bis in die erste
Hälfte des 19. Jahrhunderts noch für ein Stück antiker Literatur gehalten, wurden sie schließlich als vermeintliche Fälschungen eines Humanisten erkannt
und daher vernachlässigt. Erst B. W. Häuptli
äußerte in seiner Ausgabe1 wieder den Verdacht,
dass die Entstehung dieser Texte vielleicht doch in
der Antike zu verorten ist. In der Folge gerieten die
Briefe wieder mehr ins Blickfeld der Forschung und
erfuhren durch T.-Ch. Spieß eine eigenständige Edition.2 Nur sechs Jahre später präsentiert W. Lingenberg nun eine weitere Ausgabe der Sabini Epistulae.
Nach der Einleitung findet sich noch ein Quellenverzeichnis (15-19), unterteilt in „Textzeugen“, „Ausgaben“, „Textkritisches Schrifttum“ und „Deutsche
Übersetzungen“. Im Sinne der erstrebten möglichst
vollständigen Berücksichtigung der Textgeschichte ist
dieser Überblick folgerichtig und auch hilfreich. Gleiches gilt im Prinzip für das weiter hinten folgende
übersichtliche Verzeichnis aller Konjekturen (49-61),
das praktischerweise in doppelter Ausführung vorhanden ist (einmal nach Urhebern, einmal nach Stellen
sortiert). Was aber fehlt, ist ein Verzeichnis der Sekundärliteratur, die nur in Fußnoten oder im Fließtext
selbst angegeben wird. Der Leser muss sich die weiterführende Literatur daher entweder mühsam selbst
zusammensuchen oder aber etwa auf Spieß’ Ausgabe
zurückgreifen.
Lingenberg richtet sich mit seiner Edition der Sabinusbriefe an eine doppelte Leserschaft: Zum einen ist
es sein erklärtes Ziel, nun endlich eine (seiner Meinung
nach bislang fehlende) verlässliche Textgrundlage für
eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Werk zu schaffen. Zum anderen richtet sich die
Ausgabe aber nicht nur an Wissenschaftler, sondern
explizit auch an Studierende bzw. alle, die anhand der
übersichtlichen Quellenlage der Sabini Epistulae eine
praktische Einführung in die Methoden der Textkritik erhalten wollen. Dieser Ansatz ist natürlich löblich,
aber auch ambitioniert, und es bleibt zu untersuchen,
inwieweit Lingenberg dieser Spagat gelingt.
Dem eigentlichen Text ist eine Übersetzung beigegeben (21-47), die bewusst schlicht gehalten ist, da sie
nur dem Verständnis des Originals dienen soll (vgl. 8).
Die Neuerung für die Erstellung der lateinischen Textfassung ist, dass Lingenberg die bislang in Editionen
übergangene Handschrift U,4 „de[n] bessere[n] der
beiden Textzeugen“ (7), erstmals mit für die Konstitution des Textes verwendet. Diese Handschrift bildet
nun zusammen mit der Editio Parmensis (π)5 Grundlage für sämtliche textkritischen Erörterungen und
Anmerkungen. Die vertretene These, dass beide Textzeugen unmittelbar auf der gleichen Vorlage, eine
wohl in beneventanischer Schrift verfasste mittelalterliche Handschrift (64), zurückgehen, erscheint auf
ersten Blick plausibel, wird aber nicht richtig begründet. Stattdessen wird an entscheidender Stelle wieder auf Lingenbergs noch nicht erschienenen Aufsatz
verwiesen (11, Anm. 12); lediglich ein Teilargument,
dass nämlich π nicht auf Grundlage von U entstanden ist, wird im Kommentar anhand einer Lücke in
Dem Text und der Übersetzung vorangestellt ist eine
Einleitung (7-14), die sich vor allem mit der Frage
nach der Autorschaft der Sabinusbriefe und der Textgeschichte befasst. Vor allem aufgrund ihrer Kürze
bleibt diese Einführung jedoch problematisch: Insbesondere die in der Forschung kontrovers diskutierte
Frage nach der Autorschaft bzw. der Abfassungszeit
wird auf knapp einer Seite behandelt, sodass vor allem
weniger kundige Leser keinen wirklichen Einblick in
die Forschungsdiskussion erhalten dürften; wer dagegen in dieser Debatte bereits über eine Meinung verfügt, braucht nicht damit zu rechnen, von Lingenbergs
neuen Thesen überzeugt zu werden. Freilich verweist
der Verfasser auf einen Aufsatz, der sich ausführlich
mit dieser Thematik befasst,3 doch abgesehen davon,
dass sich dieser Aufsatz noch im Druck befindet, ist
15
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
offenbart jedoch, dass drei Gelehrte
an dieser Stelle ihre Konjekturen
gesetzt haben. Möchte man also
eine Textstelle genauer betrachten,
so muss man an drei verschiedenen Stellen nachschlagen, was etwas
unpraktisch ist. Auch könnte man
sich fragen, warum Lingenberg die
Konjekturen nicht im Kommentar
bespricht (und verwirft) oder welche Stellen überhaupt im Kommentar besprochen werden: So wurden
Vers 2,70 und die dazu getroffenen
Konjekturen bei Spieß ausführlich
besprochen (vgl. Spieß, S. 228f.),
während sich bei Lingenberg wieder
nur Erwähnungen im Konjekturenverzeichnis finden. An vielen Stellen setzt sich Lingenberg ausführlich
mit der Textgestalt älterer Editionen
auseinander; warum dies aber nicht
Es scheint nämlich auch nicht so
zu sein, dass die Handschrift U für Wilfried Lingenberg (Hg.): Sabini Epistulae. immer geschieht, ist leider nicht zu
Lingenbergs Textgestaltung eine Mit Übersetzung und kritischem Kommentar. erkennen.
derartig hohe Bedeutung zukommt, Universitätsverlag Winter: Heidelberg 2018.
wie es die Einleitung vielleicht (Antike Texte I) 107 S. 25 € (kartoniert oder Der Kritische Kommentar (63-97)
fällt ausführlich aus, was wieder mit
nahelegt. Im Kommentar zu 2,47e-book). ISBN <978-3-8253-6854-8>.
dem Zielpublikum zusammenhängt:
49 heißt es, dies sei „die zweite Stelle
Wer noch wenig Erfahrung in Sachen Textkritik
[…], wo der Text des Archetypus […] erst mit Hilfe des
hat, kann den Kommentar daher mit Gewinn
Codex Urbinas wieder rekonstruiert worden ist“ (78).
nutzen. Die Entscheidung für eine bestimmte Lesart
Diese Einsicht nach knapp der Hälfte des Textes ist
wird in der Regel ausführlich begründet, wozu
bezeichnend: Insgesamt weist nach flüchtiger Zählung
naturgemäß inhaltliche, sprachliche und insbesondere
Lingenbergs Edition auch nur vier Unterschiede zu der
paläographische Argumente angeführt werden. Vor
von Spieß auf, bei denen ersterer sich ausschließlich
allem in Letzterem scheint Lingenbergs Stärke zu
nach U richtet; an acht Stellen druckt der Herausgeber
liegen, so beschreibt er vielfach ausführlich, wie und
zudem eigene Konjekturen. Allzu viel an neuem
weshalb einem Schreiber bzw. Drucker ein bestimmter
Material wird im Vergleich zu Spieß’ Edition also
Fehler unterlaufen sein könnte. Wer bislang nur über
nicht geboten. Natürlich ist es prinzipiell nicht falsch,
theoretische Grundkenntnisse der Paläographie bzw.
einen weiteren Textzeugen hinzuzuziehen, doch fällt
Textkritik generell verfügt, wird hier bei der praktischen
es angesichts der soeben beschriebenen Sachverhalte
Anwendung dieser an die Hand genommen und
schwer zu glauben, dass Spieß’ Edition tatsächlich
kann dank beschriebener grundsätzlicher Phänomene
„unzulänglich“ (7) ist. Dies heißt umgekehrt jedoch
(Nasalstrich, a-/o-Verschreibungen o. ä.) das erworbene
natürlich nicht, dass Lingenbergs Vorschlägen zur
Wissen theoretisch künftig auch selbst anwenden.
Textgestalt kein Wert zukäme; sie sind in weiten Teilen
Hilfreich ist hier auch das Register (99-107), das
aber nicht in solchem Maße plausibler, wie in der
nicht nur alle im Band auftauchenden (mythischen)
Einleitung angedeutet wird.
Namen oder aufgerufenen Stellen der antiken Literatur
verzeichnet, sondern als Sachregister u. a. auch auf die
Der Aufbau der Edition bringt mit sich, dass TextDarstellung paläographischer Phänomene verweist,
varianten an drei Stellen, nämlich im Apparat, im
sodass der Leser bei Bedarf schnell die Stelle finden
Konjekturenverzeichnis und im Kommentar, auftaukann, wo die jeweilige Sache erklärt wird.
chen können. Das Zusammenspiel dieser drei Bereiche funktioniert leider nicht immer reibungslos; dies
Einzig bleibt im gesamten Kommentar erwähntermakann am besten mit konkreten Beispielen gezeigt werßen das Manko, dass in manchen Fällen wieder auf
den: So druckt Lingenberg in 1,11 „curas“; im textden bereits öfters erwähnten Aufsatz von Lingenberg
kritischen Apparat sowie im Kommentar findet sich
verwiesen wird, der im Zweifelsfalle als Supplement
dazu keine Bemerkung, das Konjekturenverzeichnis
U plausibel begründet (76f.). Wie
Lingenberg also zu seinem Stemma
gekommen ist, ist anhand seiner
Edition allein nicht genau zu erkennen. Wenn aber Studierenden exemplarisch erklärt werden soll, wie eine
kritische Ausgabe zustande kommt,
dann ist es doch wohl von grundlegender Bedeutung, etwas Basales wie
das Stemma genau und verständlich
zu erklären; genau dies ist hier aber
leider nicht der Fall. Ebenfalls wird
nicht klar, warum U für die Rekonstruktion des Archetypus tatsächlich so
wichtig sein soll, wie behauptet wird.
Dies mag tatsächlich der Fall sein
– begründet wird dies keineswegs
so, dass man diese These tatsächlich
ernst nehmen könnte.
16
dass Lingenbergs Thesen in seiner Edition weder überzeugend wissenschaftlich begründet noch didaktisch
verständlich dargelegt werden. Es ist ernsthaft zu hoffen, dass der noch erscheinende Aufsatz des Verfassers
hier manches erhellt, womit immer noch das Problem
bestehen bleibt, dass die vorliegende Ausgabe für sich
genommen unzulänglich ist. Das ist schade, zumal insbesondere der Kommentar erwähntermaßen für Lernende potentiell durchaus nützlich sein könnte. Für
die wissenschaftliche Arbeit hingegen scheint Spieß’
Ausgabe daher immer noch eine verlässlichere Textgrundlage zu bieten, wenngleich Lingenberg an manchen Stellen auf jeden Fall zumindest beachtenswerte
Vorschläge zur Textgestaltung bietet.
herangezogen werden muss. Betont sei auch noch einmal, dass natürlich keine generelle Einführung in die
Textkritik oder die Paläographie gegeben wird; über
Grundkenntnisse, etwa aus paläographischen Einführungswerken oder -übungen, muss der Leser auf jeden
Fall verfügen.
Was der Kommentar ebenfalls nur sehr begrenzt bietet,
sind (mythologische) Sacherklärungen u. ä. Lingenberg möchte sich bewusst auf Anmerkungen zu textkritischen Fragen beschränken und verweist für alles
andere auf den Kommentar bei Spieß (8). Wenn nun
aber auch Anfänger die Ausgabe benutzen sollen, die
vielleicht noch nicht über ein allzu großes mythisches
Hintergrundwissen verfügen, so wären zumindest an
manchen Stellen ein paar Anmerkungen hilfreich,
denn die dem Text beigegebene Übersetzung reicht
zum vollständigen Verständnis nicht immer aus. Dass
der Kommentar in seiner beschriebenen Form natürlich für „erfahrenere“ Wissenschaftler vielfach regelrecht überflüssig erscheinen mag, ist evident; dies muss
jedoch im Anbetracht des doppelten Lesepublikums
und der doppelten Zielsetzung der Edition in Kauf
genommen werden.
1
2
3
Dass Lingenbergs Edition insgesamt unzureichend
bleibt, liegt nämlich nicht an diesem eingangs beschriebenen Spagat, Wissenschaftler wie Anfänger zugleich
zu adressieren; beides für sich genommen misslingt
schon: Aufgrund der beschriebenen Probleme ergibt
sich leider die Situation, dass keine der beiden Zielgruppen den Band mit großem Gewinn nutzen kann.
Insbesondere die zu kurze Einleitung und die nicht
überzeugende Erstellung des Stemma ziehen nach sich,
4
5
B. W. Häuptli: Publius Ovidius Naso, Ibis – Fragmente –
Ovidiana. Lateinisch-deutsch. Zürich 1996, hier S.358f.
T.-Ch. Spieß: Die Sabinus-Briefe: Humanistische Fälschung
oder antike Literatur? Einleitung – Edition – Übersetzung –
Kommentar. Trier 2012.
W. Lingenberg: „Überlieferung, Datierung und Autorschaft
der Sabinusbriefe“, in: Rheinisches Museum [im Druck]. Der
Aufsatz war zur Zeit der Abfassung dieser Rezension dem Rezensenten noch nicht zugänglich, daher kann eine ernsthafte
inhaltliche Auseinandersetzung mit Lingenbergs Thesen hier
leider nicht erfolgen.
Codex Vaticanus Urbinas latinus 353, 88r-94r (die meisten
Autoren nehmen als Entstehungszeitraum die Jahre 1474 bis
1482 an; Lingeneberg datiert den Teil, der die Sabinusbriefe enthält, auf ca. 1475 bis 1477); ein Digitalisat ist online
verfügbar unter https://digi.vatlib.it/view/MSS_Urb.lat.353.
Ovidius Naso, Publius: Opera. Parma: Stephanus Corallus,
1.VII.1477; Digitalisate sind ebenfalls online verfügbar. Die
Sabinusbriefe bilden den Abschluss des zweiten Bandes.
Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern
EINE REZENSION VON JULIA JENNIFER BEINE
M
2017. Ein wichtiger Ort ist die Stadt und Universität Bochum: Hier hat Flashar als Gründungsordinarius der Gräzistik gewirkt und hierher ist er nach
seiner Emeritierung in München zurückgekehrt.1
it bald 90 Jahren kann Hellmut Flashar
auf ein ereignisreiches Leben zurückblicken. Bis heute hat der Klassische
Philologe vor allem die Forschung zur antiken
Philosophie unter besonderer Berücksichtigung
des Aristoteles geprägt sowie die Arbeit am antiken Drama und seiner Rezeption. Dabei hat er sich
stets für eine Auseinandersetzung und Kommunikation der Klassischen Philologie mit der breiteren
Öffentlichkeit stark gemacht. In einer seiner neuesten Veröffentlichungen, Halbes Vergessen – Sanftes
Erinnern. Eine autobiografische Skizze, herausgegeben im Brockmeyer-Verlag, nimmt er die LeserInnen mit auf seinen Werdegang – von 1929 bis
Ganz dem Titel entsprechend findet der Leser/die
Leserin hier kein detailliertes, manieristisches oder ausschweifendes Portrait, sondern gewinnt auf etwas mehr
als 200 Seiten in 7 Kapiteln nur einen groben Einblick
in das Leben des Altphilologen. Gleich einem Skizzenbuch reihen sich einzelne Binnenerzählungen, Anekdoten etc. aneinander, zusammengebunden durch den
roten Faden, Flashars Werdegang: Orientierende Vorbemerkungen (S. 7–9), Kapitel 1: Kindheit in Hamburg.
17
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
Wissenschaft und Verlagslandschaft gesäumt, und das
am Anfang oft zufällig: so ist z. B. die Vermieterin der
Flashars in Berlin keine geringere als Ellen de Gruyter,
die Tochter des gleichnamigen Verlegers.
Jugend in Berlin und woanders (S. 11–38), Kapitel 2:
Studium in Berlin und in Tübingen (S. 39–67), Kapitel 3: Platon im Schwarzwald (S. 69–97), Kapitel 4:
Wieder in Tübingen (S. 99–114), Kapitel 5: Bochum
– die große Herausforderung (S. 115–154), Kapitel 6:
München – lebendige Tradition (S. 155–186), Kapitel 7: Der unruhige Ruhestand (S. 187–220).
Für heutige (Nexus-)LeserInnen und/oder BochumerInnen dürfte hier natürlich sofort das 5. Kapitel ins
Auge stechen. Warum ist Bochum „die große Herausforderung“? Hellmut Flashar ist der Gründungsordinarius des Lehrstuhls für Gräzistik an der RUB, hat also
zusammen mit dem Gründungsordinarius des Lehrstuhls für Latinistik, Godo Lieberg, das Seminar für
Klassische Philologie aufgebaut – was für ihn wie auch
für viele andere Neuland gewesen ist:
Es war eine große Herausforderung, an einer neu gegründeten
Universität zu wirken, in einer Stadt, die keine entsprechende Tradition hatte. Kaiser Wilhelm II. hatte verfügt, dass im Ruhr-Gebiet keine Universität entstehen dürfe. Hier müsse „malocht“
werden. Alles war also neu. (S. 115)
Die LeserInnen erleben die von Improvisation geprägten Anfangsjahre, erhalten Einblicke in das Zusammenleben und -arbeiten der ersten ProfessorInnen in
der Overbergstraße, verfolgen das Entstehen einer rein
philologischen Fakultät (üblich ist eine Philosophische
Fakultät gewesen, die Philosophie, Geschichtswissenschaften und Philologien vereint) und den allmählichen Aufbau der Universitätsgebäude und Infrastrukturen. Flashars Kapitel lädt gerade heutige Studierende
der RUB dazu ein, gleich einer Zeitreise mit ihm ab
1964 auf dem Campus zu wandeln. Hierbei wird deutlich, wie sehr die einzelnen Gründungsordinarii in den
Altertumswissenschaften und verwandten Fächern
mit ihrer Zusammenarbeit die Weichen für heutige
Strukturen gestellt haben. So haben beispielsweise der
Archäologe Bernard Andreae und der Kunsthistoriker
Max Imdahl die Kunstsammlungen mit ihrer einzigartigen Kombination und Interaktion von antiker und
moderner Kunst ins Leben gerufen oder es sind Reihen
wie die dezidiert interdisziplinäre Poetica oder das BAC
gegründet worden, die bis heute bestehen. Auch erfährt
der Leser/die Leserin in diesem Kapitel, wann an der
RUB das einzige Mal Talare getragen worden sind oder
welche Fächer es damals noch alles gegeben hat – wie
Byzantinische und Neugriechische Philologie.
Hellmut Flashar als Schüler.
einer Schulbildung geprägt, die im Hinblick auf die
Alten Sprachen eher unbefriedigend ausgefallen sein
soll – wohl vor allem wegen der äußeren Umstände.
Über den Unterricht an der Waldschule in Berlin-Grunewald, die im Zuge des Zweiten Weltkrieges mehrmals verlegt worden ist, berichtet er, wie sein Lateinlehrer (ein ehemaliger Frontoffizier) den Unterricht
mit zeitgenössischen militärischen oder umgangssprachlichen (Kraft-)Ausdrücken in der Übersetzung
bestreitet (S. 35).
Während seine LehrerInnen seine (Sprach-)Kompetenzen also nicht genug fördern, ist es letztendlich Flashars
Patenonkel Hans Michaelis, ein Studienrat für Latein
und Geschichte, dessen Vater Gerhard Michaelis den
Ludus Latinus verfasst hat, der mit ihm die klassischen
Autoren liest. So wird es schnell zu seinem Ziel, nach
seinem Abschluss 1948 Lateinische Philologie zu studieren. Da zu dieser Zeit Wolfgang Schadewaldt sein
Ruf bereits vorauseilt, fällt die Wahl des Zweitfachs
schnell auf das Altgriechische – das Flashar hierzu in
einem Dreivierteljahr erlernt. Hier ist es eine Lehrerin,
Elisabeth Holl, Tochter des Kirchenhistorikers Karl
Holl, die ihm ebenfalls unentgeltlich hilft. Schon im 1.
Kapitel wird so deutlich, dass es oft einzelne Personen
gewesen sind, die Flashar seinen Werdegang ermöglicht
haben und diesen auch in den nachfolgenden Kapiteln
prägen. Er ist mit dem Who-is-Who der deutschen
Dass Flashar später einmal in Bochum und München
einen Lehrstuhl für Klassische Philologie bekleiden
würde, ist dabei allerdings nicht von Anfang an vorhersehbar gewesen, wie die vorangehenden Kapitel zeigen.
So sind Flashars Kindheit und Jugend (Kapitel 1) von
18
oder Grumach: „Klaffenbach kannte jede Inschrift,
brachte gelegentlich noch unpublizierte Inschriften
mit, war von einer unendlichen Geduld und natürlicher Bescheidenheit. […] Ich verdanke diesem ganz
für seine Inschriften lebenden, integren Gelehrten, in
Stil und Eigenart von Inschriften eingeführt worden zu
sein.“ (S. 44).
Das 2. Kapitel zeigt dementsprechend zwar skizzenhafte, aber dennoch anschauliche Portraits der Dozenten der Klassischen Philologie in Berlin und Tübingen Ende der 1940er bzw. Anfang der 1950er. An der
Universität in Berlin befinden sich beispielsweise der
Latinist Johannes Stroux, der Epigraphiker Günther
Klaffenbach, der Gräzist Ernst Grumach, der Althistoriker Ernst Hohl, der Archäologe Carl Weickert oder
der Indogermanist Wilhelm Wissmann. Doch, um es
mit Flashars Worten zu schreiben: „Glanz- und Mittelpunkt war Wolfgang Schadewaldt.“ (S. 50). Wohl
jede/-r Studierende der (Klassischen) Philologie kennt
diesen Namen, sieht ihn vielleicht zuhause auf den
Buchrücken seiner deutsch- oder zweisprachigen Iliasund Odyssee-Ausgabe. Mit Flashar kann man den Gräzisten eindrucksvoll Vorlesungen halten hören und ein
wenig erahnen, wie es wohl gewesen sein muss, sein
Student und später Doktorand gewesen zu sein. Schadewaldt soll Flashar sogar so sehr begeistern, dass er
1950, nach einem Semester an der neugegründeten
Freien Universität Berlin, den Studienort wechselt:
Flashar lässt die LeserInnen nicht nur an den
Veranstaltungen teilhaben, sondern auch an seinem
Studentenalltag, zeigt sogar dezidiert Unterschiede
zu heute auf: „Das [i. e. der Wechsel von Berlin
nach Tübingen] war ein finanzielles Risiko, gab
es doch damals noch nicht ein festes System der
Studienförderung (BAFÖG) und von zuhause
war keine finanzielle Unterstützung zu erwarten.“
(S. 52f.). Flashar wohnt in Tübingen im Bahnhof in
einem Zimmer, das zum einen er und ein weiterer
Student bewohnen, zum anderen die Kinder eines
Bahnhofsbeamten – für 15DM Warmmiete –; die
Mensa ist zu teuer, eine Suppe für 40 Pfennig aus
der Volksküche muss reichen. Erst ein Stipendium
ermöglicht den Umzug ins Studentenwohnheim.
Studentische LeserInnen gewinnen so neue Blickwinkel
auf Dinge, die heute selbstverständlich erscheinen, wie
ein Wohnheimzimmer oder ein Mensabesuch. Das
Kapitel über Flashars Studienzeit endet mit einem
heute recht eigenwillig anmutenden Rigorosum durch
Schadewaldt, mit dem er 1954 promoviert wird.
Unter den wenigen Studenten der Klassischen Philologie
herrschte eine freundschaftliche Atmosphäre. Und doch wurde
mir bald klar, dass ich hier nicht länger bleiben könne. Da traf ich
zufällig an einem späten Abend in einer nur spärlich beleuchteten
S-Bahn Schadewaldt. Wie ein deus ex machina stand er plötzlich
vor mir, aus Tübingen noch ein paar Tage nach Berlin zurückkehrend. Er ermutigte mich nach einem kurzen Gespräch, nach
Tübingen zu wechseln. (S. 52)
Der Leser/die Leserin folgt Flashar dann im 3. Kapitel
weiter ans Platon-Archiv mit angebundener Schule im
Schwarzwald, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter
an einem Platon-Lexikon mitwirkt. Eindrucksvoll
schildert er den Kreis um den Leiter Georg Picht, der
vor allem als ein Visionär geschildert wird, der in der
Praxis mit seinem Projekt scheitern sollte. Das Kapitel
durchzieht neben der Schilderung der Projektarbeit
und des Schulalltags vor allem der unentwegte Rauch
aus Pichts Pfeife, der nicht nur MitarbeiterInnen in die
Flucht zu schlagen vermag. Einmal mehr macht sich
Flashars spitze und pointierte Erzählweise bemerkbar,
die nicht etwa vor der eigenen Familie haltmacht.
Steht diese auch generell eher im Hintergrund, dürften
einen die seltenen Einschübe familiärer Natur amüsiert
schmunzeln lassen, hier über das Jahr 1955:
Mit diesem Wechsel begegnet der Leser/die Leserin
dann den Tübinger Akademikern wie den Philosophen
Eduard Spranger und Gerhard Krüger, dem Archäologen Bernhard Schweitzer, dem Althistoriker Joseph
Vogt oder den Altphilologen Otto Weinreich, Walter
F. Otto sowie Walter Jens. Nicht nur in diesem Kapitel,
sondern im ganzen Buch fällt dabei auf, dass Flashar
gewählt, pointiert, aber auch stets mit einer gewissen
Direktheit und Spitze über seine LehrerInnen, später
dann über seine KollegInnen, MitarbeiterInnen etc.
schreibt – einige Ausführungen wären den heutigen
Plattformen www.ratemyprofessors.com oder www.
meinprof.de würdig. So heißt es über Stroux: „Die Vorlesungen von Stroux waren sachlich, routiniert, aber
ohne dass man davon wirklich berührt wäre.“ (S. 41);
über Vogt: „Von seinen Vorlesungen war ich jedoch
enttäuscht. Sie waren so langweilig, dass ich bald daran
nicht mehr teilnahm.“ (S. 60). Doch so wie er kritisiert,
lobt er auch Dozenten wie Klaffenbach, Schadewaldt
Picht pflegte auch während des Unterrichts Pfeife zu rauchen,
durch irgendeinen frechen Zuruf eines Schülers fühlte er sich
so provoziert, dass er die Klasse verließ, ohne je in sie zurückzukehren. Nach einigen Wochen ohne Griechisch wurde ich von
den Schülern gefragt, ob ich den Unterricht übernehmen würde.
Picht meinte, ich könne es ja mal versuchen, aber die Schüler dieser Klasse würden sich gegenseitig geistig und moralisch unterbieten. In dieser Klasse war meine künftige Frau. (S. 88)
19
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
vertrete bis heute die Auffassung, dass unsere Fächer
sich mit ihren Inhalten an die Öffentlichkeit wenden sollen, weil sie wirklich etwas zu bieten haben.“
(S. 135). So erfahren die LeserInnen ab Kapitel 4 von
Projekten, bei denen Flashar mit Theaterintendanten,
Komponisten usw. zusammengearbeitet hat: mit dem
Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker,
Othmar Mága, hat er Mendelssohns Schauspielmusik zu Antigone und Oedipus in Kolonos 1979 auf die
Bühne gebracht, mit dem Universitätsmusikdirektor
Hans Jaskulsky 1981 Max von Schillings’ Musik zur
Orestie (S. 129–131), um nur zwei zu nennen. Flashars
Engagement in der Öffentlichkeitsarbeit prägt dann
auch seine Zeit als Professor in München mit KollegInnen wie Werner Suerbaum, Wilfried Stroh, Jula
Kerschensteiner, Siegmar Döpp und Niklas Holzberg
(Kapitel 6) und hält bis heute trotz Ruhestand ungebrochen an (Kapitel 7).
Nach mehr als 60 Jahren Lehre zieht Flashar noch ein
warnendes, eindringliches Fazit zur heutigen Relevanz der Klassischen Philologie, die leider eine „Randerscheinung“ geworden sei (S. 217):
Hellmut Flashar als Assistent im Platon-Archiv in
Hinterzarten.
Im 4. Kapitel berichtet Flashar über seine Zeit als Assistent am Leibniz-Kolleg von 1956 bis 1961 in Tübingen unter Leitung des Biochemikers Paul Ohlmeyer
und über die (Lehr-)Tätigkeiten nach seiner Habilitation 1961. Hier beginnt ein neuer Erzählstrang, da der
nun habilitierte Flashar als neues Mitglied der Mommsen-Gesellschaft und der Fondation Hardt lesenswerte
Einblicke in die Funktionsweisen solcher Vereinigungen geben kann. So gibt er hier noch die Eindrücke
eines ‚Neulings‘ wieder, in Kapitel 5 dann die eines
Vorsitzenden der Mommsen-Gesellschaft (1970–
1976). Für heutige Studierende sind Flashars Berichte
besonders interessant: Die 1970er sind von einer Kontroverse der AltphilologInnen geprägt, ob es eine „nicht
mehr an eine gemeinsame Klassische Philologie gebundene, dann aber über die Antike hinausgehende Latinistik“ geben solle (Manfred Fuhrmann) oder aber weiterhin „‚Vollphilologen‘“ (Hermann Tränkle) (S. 135).
Das alles hängt auch mit der Wandlung des Bildungsbegriffes
zusammen. Während die alte Bildungsidee als komplementärer
Gegensatz zur Ausbildung konzipiert war, fallen heute Bildung
und Ausbildung zusammen. Bildung ist Ausbildung geworden,
und zwar im Hinblick auf die Verwendbarkeit am Arbeitsmarkt.
(S. 218)
Flashar entwirft mit Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern ein eindrucksvolles Skizzenbuch: Durch viele
anschauliche Schilderungen und Anekdoten einzelner Personen und Begebenheiten gewinnt der Leser/
die Leserin nach und nach einen Einblick in die Forschungsgemeinschaft der Klassischen Philologie und
ihre Entwicklung. Dabei wird stets auch die jeweilige
Zeitgeschichte mitgeführt, die auf manchmal unerwartete Weise in die scheinbare Wissenschaftsidylle
hineinbricht:
Noch ein weiterer Erzählstrang durchzieht das Buch:
Flashars großes Interesse an kulturellen Veranstaltungen wie Theaterinszenierungen oder musikalischen
Darbietungen. Mit jeder Stadt, in der Flashar arbeitet,
lernt der Leser/die Leserin daher nicht nur ihr akademisches Leben kennen, sondern auch ihr kulturelles.
Aus dem anfänglichen Interesse heraus entdeckt Flashar bald das Potential für die Öffentlichkeitsarbeit der
Klassischen Philologie: „Deutlich wurde mir, dass das
Theater diejenige Form ist, in der das antike Drama in welcher Gestalt auch immer – heute einer weiteren
Öffentlichkeit vermittelt werden kann. Darauf habe
ich seither meine ganze Aufmerksamkeit gerichtet.“
(S. 132) und später: „Ich vertrat von Anfang an und
Mit Studenten der Philologie und Archäologie haben Andreae
und ich auch ein Seminar gehalten, in dem wir das erste Buch
des Reiseschriftstellers Pausanias gelesen haben, um dann auf
einer Exkursion den Weg des Pausanias an Ort und Stelle nachzugehen. Zur Vorbereitung der Exkursion waren wir im Frühjahr 1967 in Athen. Am letzten Abend saßen wir mit Freunden
in einer Taverne nahe des Syntagmaplatzes, als plötzlich ein Panzer an uns vorbeirollte. Mehr im Scherz sagte einer der Freunde:
„Passen Sie auf, morgen haben wir eine Militärdiktatur!“ Und so
war es auch. (S. 125)
Auf solche und ähnliche Weise2 blickt der Leser/die
Leserin mit Flashar auf das Dritte Reich, den Zweiten
20
Weltkrieg, die Nachkriegszeit, die 68er-Bewegung etc.
zurück. Sein Blick ist dabei der eines Kindes, Jugendlichen, Studierenden und später der eines Geisteswissenschaftlers, was für manch eine/-n neue Blickwinkel
eröffnen dürfte. Die Einschübe sind paradigmatisch
gewählt und nehmen nicht überhand; sind aber dennoch wichtig. Sie zeigen einmal mehr, dass die Wissenschaftsgemeinschaft nicht unberührt, entrückt oder
gar teilnahmslos in einem Elfenbeinturm fernab der
Gesellschaft sitzt. Damit dürfte Flashar sein Vorhaben
gelungen sein: ein Buch zu schreiben, das paradigmatische Einblicke in die jeweilige Zeit und Gesellschaft
vermitteln soll und damit heute von Relevanz ist (vgl.
S. 7–9).
Hellmut Flashar: Halbes Vergessen – Sanftes Erinnern. Eine autobiografische Skizze. Brockmeyer
Verlag: Bochum 2017. 14,90€.
1
2
Für Nexus wird im Folgenden eine studentische, Bochumorientierte Leseweise verfolgt.
Auch Flashars portraithafte Skizzen zeigen, dass die
akademische Laufbahn der jeweiligen Person oft durch eine
Auseinandersetzung mit dem NS-Regime, Geheimdiensten
oder anderen Regierungen geprägt gewesen ist.
Antikes Drama – Moderne Bühne
EINE BUCHVORSTELLUNG VON CAROLINE WAHL
D
Tabuthemen mehr seien. Genau darum sei es für Philologen lohnend, sich mit dem antiken Drama auf der
heutigen Bühne zu beschäftigen.3
ie Inszenierung antiker Dramen auf der
Bühne ist ein fester Bestandteil unserer
Gesellschaft. Oft werden die Handlungen
antiker Dramen für moderne Theaterstücke aufgegriffen, interpretiert und aufgeführt. Dabei ist zu
erkennen, dass einige Produktionen gut, manche
jedoch leider weniger gelungen sind. Das Buch Antikes Drama – Moderne Bühne von Hellmut Flashar,
welches im Dezember 2018 erschienen ist, stellt verschiedene Inszenierungen von antiken Dramen der
Dramenautoren Euripides, Sophokles und Aischylos vor, skizziert die modernen Produktionen und
rezensiert sie teilweise.
Supplement II stellt mit derselben Methode wie Supplement I die in den Jahren 2011 bis 2014 aufgeführten Dramen der antiken Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides dar. Besonders in diesen Zeiten sei
eine „Lockerung im Verhältnis von Text und Spiel zu
verzeichnen.“4 Neben stark gekürzten Überlieferungen
und dem Verzicht auf Architektur sowie Gedankenführung der antiken Dramen seien für diesen Zeitraum
speziell dramenübergreifende Inszenierungen charakteristisch. So fasste Sebastian Nübling vier Tragödien
(Oedipus auf Kolonos von Sophokles, Sieben gegen Theben von Aischylos, die Phoenissen von Euripides und die
Antigone von Sophokles) unter dem Titel Oedipus und
seine Kinder zusammen und brachte das Stück 2011 in
der Halle des „Schiffbau“ in Zürich auf die Bühne. Zu
einem Theaterstück zusammengefasste Stücke werden
im Supplement II weiter von Flashar analysiert. Auch
in diesem Zeitraum sei weiterhin festzuhalten, dass das
antike Drama eine Faszination auslöse, wie die in dem
Kapitel genannten Uraufführungen beweisen: Allltagsphänomene der heutigen Zeit würden in die Stücke
integriert und Textpassagen der Kunst und der Darstellung wegen neu angeordnet. Die alten Grundsätze
der Aufführungen, die von Dieter Dorn, Peter Stein,
Hansgünther Heyme und Andrea Breth stammen, würden selten noch berücksichtigt.5 Dies gelte auch für die
Jahre 2014-2018, die in Supplement III vom Verfasser behandelt werden. Die Inszenierungen seien charakteristisch für die Phantasien der Regisseure, die die
Antikes Drama – Moderne Bühne ist in 9 Kapitel unterteilt, wobei das erste Kapitel in drei Supplemente gegliedert wurde. Bei den Supplementen handelt es sich um
Ergänzungen zu der von Flashar im Jahr 2009 veröffentlichten zweiten Auflage seines Buches Inszenierung
der Antike1. Im ersten Supplement erläutert Flashar
zunächst die in den Jahren 2008 bis 2010 aufgeführten Inszenierungen der Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides2 auf diversen Theaterbühnen, meist
unter Beigabe der zugrundeliegenden Übersetzung des
Stückes zu den Orten der Uraufführungen. In dem
Zeitraum sei festzustellen, so resümiert Flashar, dass
sowohl die Bandbreite der verwendeten Übersetzungen
bunter als auch die RegisseurInnen, die sich der griechischen Tragödie annehmen und sie auf die Bühne
bringen, „jünger“ geworden seien. Im Gegensatz zu der
Zeit vor 2008 seien Probleme und Konflikte, die die
Tragödien andeuten, offener behandelt, sodass Themen
wie der Umgang mit Gewalt und dem Fremden keine
21
REZENSIONEN UND VORSTELLUNGEN
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
mythologischen Idomeneus von Homer und Vergil und
die unterschiedlichen Verarbeitungen von Fénelon und
Jolyot de Crébillon. Den gleichen Aufbau verfolgt das
nächste Kapitel Iphigenie auf Tauris zwischen Euripides
und Gluck: Zunächst werden die verschiedenen
Überlieferungen des Iphigenie-Mythos vorgestellt. Im
Mittelpunkt steht die Interpretation des Euripides,
da mit Ausnahme von ein paar Fragmenten die
Tragödien von Sophokles und Aischylos zu Iphigenie
verloren gegangen sind. Gluck hat beide IphigenieOpern (Iphigénie en Aulide und Iphigénie en Tauride)
in der richtigen Handlungsabfolge komponiert und in
Paris uraufgeführt. Ein Libretto von Nicolas François
Guillard entstand, das jedoch auf das Drama von
Guismond de la Touche zurückgeht,
weshalb Flashar Gemeinsamkeiten
und Unterschiede des Dramas zu
Euripides und Gluck benennt.
Probleme der Gegenwart, deren Ursprünge sich bereits
in antiken Tragödien finden lassen, in ihre Produktionen aufnehmen.6
In den nächsten Kapiteln werden von Flashar Schauspielmusik, Inszenierungen und Übersetzungen –
fokussiert wird hier die Übertragung von Hölderlin – antiker Dramen angeführt. So erklärt Flashar im
nachfolgenden Kapitel Felix Mendelssohn Bartholdys
Schauspielmusik zu den Tragödien Antigone und Oedipus in Kolonos von Sophokles vor dem Hintergrund
der an der Antike orientierten schulischen Erziehung
Mendelssohn Bartholdys durch Heyse und die Kulturpolitik, die sich in den entsprechenden Jahren für
die Antigone aussprach. Den Text der
Schauspielmusik von Antigone lieferte Donner (1799-1875). Zu Mendelssohn und seinen Kompositionen
berichtete Flashar bereits in einigen
Aufsätzen,7 wobei er in Antikes Drama
– Moderne Bühne die eben genannte
Fokussierung verfolgt.
Auch die mythologische Figur
der Ariadne, die nach Catull von
Theseus auf Naxos zurückgelassen
worden war, wurde auf die moderne
Bühne gebracht. Dabei ist zu
Auch Friedrich Hölderlin (1770–
beachten, dass es differenzierte
1843) fertigte eine Antigone- und
Überlieferungen von Ariadne gibt.
König Oedipus-Übersetzung an, die
Plutarch beispielsweise berichtet von
zunächst wenig Zustimmung fand
vielen widersprüchlichen Versionen
und erst durch glückliche Verbinvon Ariadnes Schicksal, wobei
dungen zu dem Germanisten Wilauch Pherekydes von einer anderen
helm Michel Aufmerksamkeit bekam.
Version des Mythos berichtet.
Diese Misserfolge und anschließenOvid setzt wiederum einen neuen
den Erfolge von Hölderlin werden
Schwerpunkt: Er beschreibt in
in diesem Kapitel beschrieben. Eine
Ars Amatoria die Verbindung von
umfassende chronologische AnordAriadne mit Dionysos, wobei die
nung – beginnend mit Sophokles und
endend mit Orff – von Aufführungen Hellmut Flashar: Antikes Drama – Moderne Klage der Ariadne im Mittelpunkt
der Antigone und des König Oedipus Bühne. Rombach-Verlag Freiburg 2018. € 38,- seiner Heroidenbriefe steht. Im 16.18. Jahrhundert wird die Klage der
beschreibt Flashar im nachfolgenden
ISBN 978-3-7930-9932-1.
Ariadne besonders für die moderne
Kapitel. Dabei stehen hauptsächlich
Bühne aufgegriffen, beispielsweise in der Oper Arianna
sowohl schauspielerische Inszenierungen als auch entvon Monteverdi sowie 42 weiteren Opern, die bei
standene Schauspielmusik im Vordergrund.
Flashar Erwähnung finden. Zum Schluss beschreibt er
Friedrich Nietzsches Klage der Ariadne, die eine nicht zu
Mit anderen musikalischen Stücken antiken Inhalts
verachtende Rolle im Zyklus der Dionysos-Dithyramben
setzen sich die nächsten beiden Kapitel auseinander:
einnimmt.
Flashar behandelt zunächst die Oper Dionysos von
Wolfgang Rihm, die aus den Texten von Friedrich
Das letzte Kapitel greift Orffs Bühnenwerke auf, die vor
Nietzsche besteht und einzelne Stationen in seinem
dem Hintergrund des Briefwechsels Orff–Schadewaldt
Leben widerspiegelt (wobei das Thema immer
reflektiert werden. Flashar stellt bereits zu Anfang fest,
noch Dionysos bleibt). Die Person Dionysos habe
dass diese Analyse jedoch nur ergänzend zu dem FacetRihm mit musikalischen Raffinessen „aufleuchten
lassen“.8 Das darauffolgende Kapitel beschäftigt sich
tenreichtum von ersten Plänen, Entwürfen und Reamit der mythologischen Gestalt des Idomeneus, zu
lisierungsversuchen gesehen werden dürfe, da ein
der Mozart eine Oper komponierte. Dabei steht
Brief weniger abgesichert sei.9 Trotzdem bietet dieser
allerdings zunächst nicht die Oper im Vordergrund,
Abschnitt von Flashars Werk neue Aspekte, die private
sondern die verschiedenen Überlieferungen des
Einblicke in Orffs Bühnenwerke geben.
22
Es kann zusammengefasst werden, dass der Verfasser
einen ausführlichen Überblick zu antiken Stücken auf
modernen Bühnen bietet. Er verfolgt dabei das Ziel,
aktuelle Ergänzungen zu den Tragödien vorzunehmen,
die er bereits in vorherigen Werken für frühere Zeiträume behandelt hat. Gleichzeitig werden nicht nur
reine Theateraufführungen analysiert, sondern auch die
Schauspielmusik von verschiedenen Komponisten und
Regisseuren. Dabei fokussiert sich Flashar hauptsächlich auf die Tragödien von Euripides, Sophokles und
Aischylos.
1
2
3
4
5
6
7
Flashar, H.: Inszenierung der Antike: Das griechische Drama
auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.
München 22009.
Die Stücke der aufgeführten Autoren werden in oben genann-
8
9
ter Reihenfolge behandelt.
Vgl. Flashar, H.: Antikes Drama – Moderne Bühne. in: Zimmermann Bernhard (Hrsg.): Rombach Wissenschaften. Reihe
Paradeigmata (Bd. 46). Freiburg, Berlin, Wien 2018. S. 37f.
Fortan zitiert als Flashar (2018).
Ebd. S. 39.
Vgl. ebd. S. 65f.
Vgl. ebd. S. 95f.
Siehe Flashar, H.: F. Mendelssohn Bartholdys Vertonung antiker Dramen. in: Arenhövel, W.; Schreiber, C.: Berlin und die
Antike. Berlin 1979, S. 351-361; Flashar, H.: August Böckh
und Felix Mendelssohn Bartholdy. In: Schmidt-Biggemann, W.
(Hrsg.): Disiecta membra. Studien, Karlfried Gründer zum
60. Geburtstag. Basel 1989. S. 60-81.
Vgl. Flashar (2018). S. 183.
Vgl. ebd. S. 215.
Philosophie und Gehirn in der griechischen Philosophie
EIN ARTIKEL VON UDO REINHOLD JECK
N
die Forschung lediglich auf minimale Quellen stützen
kann.3 Theophrast, ein Schüler des Aristoteles, schrieb
ihm folgende These zu: ἁπάσας δὲ τὰς αἰσθήσεις
συνηρτῆσθαί πως πρὸς τὸν ἐγκέφαλον.4 („Sämtliche
Wahrnehmungen hängen irgendwie mit dem Gehirn
zusammen“).
icht erst die moderne Neurophilosophie,
sondern schon die griechischen Philosophen suchten nach einem angemessenen
Verständnis des Gehirns. Alkmaion von Kroton
lehrte die zerebrale Konstitution der Wahrnehmung, doch Platon lehnte diese These strikt ab,
lokalisierte jedoch den Geist im Gehirn. Aristoteles reduzierte dagegen radikal die Bedeutung des
Gehirns für Seele und Geist, beschrieb allerdings
detailliert das Gehirn und erwähnte ein paradoxes
Gehirnphänomen, das für die Neurochirurgie eine
große Bedeutung besitzt.
2. Später diskutierte Platon diese Konzeption, indem
er im Phaidon dem Sokrates eine merkwürdige und
im Corpus Platonicum singuläre Aussage in den Mund
legte.5 Sie trägt die Bezeichnung ‚Autobiographie des
Sokrates‘6, gibt sich als Auskunft über eine frühe Phase
im Denkweg des Philosophen und enthält eine Aufzählung der naturphilosophischen Studien des jungen
Sokrates:
1. Die Neurowissenschaften stehen heute nicht ohne
Grund im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.
Große Aufmerksamkeit verschafften ihnen spektakuläre Forschungsergebnisse, deren Konsequenzen das
traditionell überlieferte Menschenbild erschütterten.
Auch die Philosophie reagierte auf diese Entwicklung,
Ende des 20. Jahrhunderts entstand die Neurophilosophie. Die Philosophie des Gehirns ist jedoch viel
älter und reicht bis in den Anfang des abendländischen
Denkens.1 Weil dazu nur wenige Zeugnisse erhalten
blieben, ist diese Zeit in große Dunkelheit gehüllt.2
„In meiner Jugend nämlich, o Kebes, hatte ich ein wundergroßes
Bestreben nach jener Weisheit, welche man die Naturkunde
nennt; denn es dünkte mich etwas Herrliches, die Ursachen von
allem zu wissen, wodurch jegliches entsteht und wodurch es
vergeht und wodurch es besteht, und hundertmal wendete ich
mich bald hier-, bald dorthin, indem ich bei mir selbst zuerst
dergleichen überlegte: ob, wenn das Warme und Kalte in Fäulnis
gerät, wie Einige gesagt haben, dann Tiere sich bilden? Und ob
es wohl das Blut ist, wodurch wir denken, oder die Luft oder
das Feuer? Oder keines von diesen, sondern das Gehirn bringt
uns alle Wahrnehmungen hervor, die des Sehens und Hörens
und Riechens, und aus diesen entsteht dann Gedächtnis und
Vorstellung, und aus Erinnerung und Vorstellung, wenn sie zur
In diese Epoche gehört auch Alkmaion (6./5. Jht.
v. Chr.), der im Umkreis der Pythagoreer wirkte und
aus Kroton stammte. Zu seiner Lehre blieben ebenfalls nur wenige Nachrichten erhalten, so dass sich
23
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
argumentieren und dabei sukzessiv andersartige Hypothesen destruieren. Hauptsächlich bedurfte es, modern
gesprochen, der Widerlegung aller traditionellen Versuche einer Naturalisation der Seele, oder mit anderen Worten, jener Thesen, die seelische Funktionen aus
der Aktivität des Gehirns als eines Naturgegenstandes
ableiteten: Wenn Seele und Geist, bzw. die seelischen
Funktionen der Wahrnehmung – und daraus hervorgehend: Gedächtnis, Vorstellung, Erinnerung und
Erkenntnis – ein Produkt oder eine Eigenschaft des
natürlichen Objektes Gehirn sind, dann gehen diese
Phänomene zwangsläufig mit dem Tod des Gehirns,
das sie hervorbringt, zugrunde.
Ruhe kommen, entstehe dann auf diese Weise Erkenntnis? Und
wenn ich wiederum das Vergehen von all diesem betrachtete und
die Veränderungen am Himmel und auf der Erde, so kam ich mir
am Ende zu dieser ganzen Untersuchung so untauglich vor, dass
gar nichts darüber geht.“7
Nach diesem Bericht interessierte sich Sokrates zunächst
sehr für die Thesen der frühen Denker und prüfte ihre
Spekulationen zu den Ursachen der innerweltlichen
Entitäten, dachte aber auch über das Entstehen und
das Vergehen als Grundstruktur der Physis nach.
Innerhalb dieser umfassenden Ursachenforschung
beschäftigte er sich zudem mit einigen uralten
Auffassungen zum Ursprung des Denkens. Dabei stieß
er auf Überlegungen der frühen Naturphilosophen
zu Gehirn und Wahrnehmung. Sokrates vertiefte sich
zeitweise darin mit jener intensiven Wissbegierde, die
Platon in seinen Dialogen so eindrucksvoll vor Augen
führt. Später wandte sich Sokrates jedoch von diesen
Forschungen ab und ging anderen Untersuchungen
nach.
Platon geriet demnach auf seine Weise in die Nähe
der Frage nach dem Gehirntod, ein aktuelles Thema
der Medizinethik. Aber nur in die Nähe, denn er
ließ diese Fragestellung erst gar nicht aufkommen,
sondern erstickte sie schon im Keim, indem er
Sokrates nachweisen ließ, dass sie zu nichts führe:
Das alte ionische Denken greift aus seiner Perspektive
längst nicht mehr. Die Rede vom Gehirn als Ursprung
seelischer Funktionen, so deutet er an, ist ebenso
überholt und nicht besser als die ehrwürdigen
Theorien des Anaximander, Heraklit und Parmenides
über den Ursprung der Dinge. Im Phaidon diente die
‚Autobiographie des Sokrates‘ und dessen Verwerfung
der frühen Gehirntheorie daher zur Bezeichnung einer
Wende und eines Weges, der weg von der Naturalisation
der Seele und ihrer zeitlich begrenzten Existenz zum
Beweis ihres wahrhaften und dauerhaften Seins führte.
Doch Sokrates als Philosoph des Gehirns? Das passt nicht
in die gängigen Schemata der Philosophiehistoriker
und einiger Exegeten der griechischen Philosophie.
Selbst dort, wo die ‚Autobiographie des Sokrates‘
Aufmerksamkeit erregte, drängte ein traditionelles
Philosophieren die gehirntheoretischen Mitteilungen
dieser Quelle an den Rand oder in den Hintergrund.
Dennoch besitzt sie eine große Bedeutung für das
Verständnis der antiken Philosophie des Gehirns.
4. Später legte Platon dann im Timaios eine eigene
Gehirntheorie vor8, sprach dort aber in schwer verständlicher und poetischer Diktion: Nach der Konstitution des Kosmos formt der göttliche Demiurg die
menschliche Leiblichkeit. Der Mensch sollte zudem
einen Geist besitzen bzw. dieser seinem Körper innewohnen. Dazu bedurfte es einer besonderen leiblichen Sphäre. Im Hinblick darauf wählt der kreative
Gott eine bestimmte Art von Mark aus, bezeichnet sie
als Gehirn (ὁ ἐγκέφαλος) und positioniert darin den
Geist.
3. Allerdings ging es Platon im Phaidon nur vordergründig darum, etwas zur Denkgeschichte des Sokrates zu berichten. Ebenso wenig stand die Philosophie
des Gehirns im Mittelpunkt seines Interesses, obwohl
er, wie der Timaios zeigt, physiologische Kenntnisse
besaß. Platon nutzte ‚Sokrates‘ vielmehr als Kunstfigur
und wies ihm in dieser Funktion oft ganz unterschiedliche Problemfelder zu.
Im Phaidon stellte Platon sorgfältige und subtile Überlegungen zum Verhältnis von Leib und Seele an: Sokrates, der im Mittelpunkt dieses Dialogs steht, saß im
Gefängnis. Kurz vor seiner Hinrichtung dachte er dort
in Gemeinschaft mit Schülern und Freunden über
die letzten Dinge nach: Er stellte die Sterblichkeit des
Menschen auf den Prüfstand, fragte nach dem Sinn
des Todes und durchdachte die Möglichkeit einer postmortalen Weiterexistenz der Seele durch ihre andauernde Trennung vom Leib.
Platon schrieb zu diesem Sachverhalt nur einen Satz,
der überdies noch mit Dunkelheiten und mythologischen Formeln belastet ist. Er bezeichnet das Gehirn
als ‚Saatfeld‘ (ἡ ἄρουρα) des Geistes, ihn selbst als
‚göttlichen Samen‘ (τὸ θεῖον σπέρμα):
„Und denjenigen Teil des Markes, der, gleich einem Saatfeld, den
göttlichen Samen in sich enthalten sollte, nannte er, indem er
allerwärts in sich zurücklaufend ihn gestaltete, das Hauptmark
[Gehirn], weil nach Vollendung jedes Lebenden das Haupt zum
Gefäß für dasselbe bestimmt war.“9
Aus Platons Sicht sprach vieles für die Unsterblichkeit
der Seele. Dafür führte er aber keine religiösen Motive
an, sondern ließ Sokrates im Phaidon philosophisch
24
6. Aristoteles hat sich oft und an verschiedenen
Stellen über das Gehirn geäußert. Die überlieferten
Zeugnisse überragen quantitativ weit jene dürftigen
Nachrichten, die aus der vorsokratischen Philosophie
erhalten blieben. Man kann also ziemlich genau
seine Konzeption erkennen: Größere Abschnitte mit
interessanten Zeugnissen dazu finden sich in den
Schriften Historia animalium, De partibus animalium
und De generatione animalium, aber auch in anderen
Teilen des Corpus Aristotelicum. Vor allem ein
Abschnitt aus De partibus animalium besitzt in diesem
Zusammenhang große Bedeutung10, denn er enthält
den Grundriss seiner philosophisch durchdachten
Hirntheorie11.
Wenn der Demiurg den göttlichen Samen (eine geistige Potenz von göttlicher Qualität) auf ein dafür geeignetes Saatfeld wirft, dann heißt das: Der intellektuelle,
unsterbliche Teil der Seele, der Geist, benötigt einen
spezifischen Boden, auf dem er gedeiht und wächst.
Der Geist gilt dann zwar als ein Gewächs des Gehirns,
aber sein Ursprung liegt nicht in diesem materialen
Substrat.
Platon bestimmte das Gehirn demnach anders als Alkmaion: Es ist zwar ein besonderer leiblicher Stoff, aber
nicht mehr. Insofern qualifizierte er dieses Organ ab
und verweigerte ihm jenen Status, den der Pythagoreer
ihm einst gewährte. Diese Tendenz setzte sich bei Aristoteles fort und sollte erst nach ihm wieder eine Korrektur erfahren.
Neben zahlreichen anderen Problemen besprach Aristoteles dort auch die seit dem Anfang der Philosophie
gestellte Frage nach der Beziehung zwischen Gehirn
und sinnlicher Wahrnehmung. Dabei verfuhr er
gemäß einer vielfach erprobten Methodik seines Denkens: Während heute oft Forschungen zur Geschichte
der Philosophie und die Ausarbeitung neuer Denkentwürfe, also historisches und systematisches Denken,
auseinander fallen, formte der Stagirit seine eigenen
Konzeptionen im Dialog mit den Alten; er ließ ihre
Meinung nach Art der Moderne nicht einfach rücksichtslos hinter sich, sondern griff konstruktiv auf die
Thesen seiner Vorgänger zurück. Aristoteles begriff,
dass diese Theoretiker ihm erst jenen Denk-Raum
eröffneten, in dem er seinen eigenen Standpunkt verorten konnte.
5. Von allen antiken Gehirntheorien hat die Konzeption
des Aristoteles den schlechtesten Ruf. Man misst sie an
den gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen
und tut ihr und ihm damit Unrecht, denn in einer Zeit,
in der Neurowissenschaftler in der Gehirnforschung
von Computern gesteuerte Verfahren zur bildlichen
Darstellung innerzerebraler Prozesse einsetzen, ist es
leicht, einen antiken Denker und Naturforscher zu
kritisieren, dem das empirische Wissen der Neuzeit
und ihre sensationelle Technik nicht zur Verfügung
standen.
Gewöhnlich fassen populärwissenschaftliche Schriftsteller die Hypothesen des Aristoteles zu Aufbau und
Funktion des Gehirns auf folgende Weise zusammen:
Dieses Organ, so heißt es, fehle nach der Auffassung
des Stagiriten jede Beziehung zur Intellektualität des
Menschen. Es erfülle nach seiner physiologischen
Vorstellung lediglich eine Kühlfunktion für das
zirkulierende Blut. Anders als Platon vertrete Aristoteles
keine zephalozentrische, sondern eine kardiozentrische
Theorie, denn für ihn sei das Herz, nicht das Gehirn
das Zentralorgan und damit der Sitz der Seele. Dass das
alles offensichtlich falsch sei, wisse heute jeder.
Daher setzte sich Aristoteles mit jener älteren Gehirntheorie auseinander, die einen Bezug zwischen Wahrnehmung und Gehirn postulierte. Namen nannte er
allerdings nicht. Weil er das Herz für das eigentliche
Prinzip der Sinnlichkeit hielt, stimmte er dieser älteren
These nicht zu, sondern glaubte, dass das Gehirn nicht
der Urheber der sinnlichen Wahrnehmung sein könne.
Aristoteles behauptete das nicht nur, sondern führte
einen empirischen Beweis für seine Behauptung
an; das Gehirn, so meinte er, ist empfindungslos
(ἀναίσθητος)12:
Es gilt, diese oberflächlichen Interpretationen zu stoppen
und Aristoteles wieder selbst sprechen zu lassen. Nur
wer seine Texte liest und sie aus ihrem Kontext begreift,
kann qualifizierter über die aristotelische Gehirntheorie
des Aristoteles urteilen: Die oben genannten gängigen
Meinungen über die Gehirntheorie des Aristoteles sind
zwar zum größten Teil, aber nicht völlig richtig. Wer
genauer hinsieht, kann nämlich in der Gehirntheorie
des Aristoteles wichtige, bisher wenig beachtete
Momente wahrnehmen: Schon die Tatsache, dass
Aristoteles auf diesem Gebiet – anders als Platon –
nicht mit mythologischen Bildern operierte, bewirkte
einen erheblichen Erkenntnisfortschritt.
„…auch vermittelt es keinerlei Empfindung, da es selbst
empfindungslos ist, wie jede andere Ausscheidung; da sie aber
nicht entdeckten, aus welcher Ursache sich einige der Sinne bei
den Tieren am Kopfe befinden, und doch sahen, dass dieser
eigentümlicher ist als die übrigen Teile, so brachten sie beides
durch einen Vernunftschluss mit einander in Verbindung.
Dass übrigens der Ursprung der Sinne in der Umgegend des
Herzens liege, wurde schon früher in den Bemerkungen über die
Empfindung dargetan…“13
25
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
erstmals zur Diskussion stellten, ist immer noch ungeklärt. Nach Ansicht mancher Theoretiker bleibt sie
wohl noch lange eine offene Frage.
Ein Sinnesorgan, so Aristoteles, fühlt und reagiert
auf Reize. Was keine Empfindung zeigt, so schloss er,
ist daher auch kein Empfindungsorgan; und da das
Gehirn, wie die Erfahrung zeigt, nicht auf Berührungen reagiert, kann es auch keine Beziehung zwischen
Gehirn und Wahrnehmung geben.
1
Ob Aristoteles dabei auf eigene Forschungen zurückgriff oder ältere Literatur herbeizog, muss offen bleiben. Jedenfalls schob er die These über die Beziehung
zwischen Wahrnehmung und Gehirn nicht einfach
(wie Platon im Phaidon) beiseite, sondern bezog sich
zu ihrer Widerlegung auf die medizinische Erfahrung.
2
3
Mit diesem Hinweis auf die Unempfindlichkeit des
Gehirns hob er zudem ein Phänomen hervor, das
noch in der gegenwärtigen Medizin große Bedeutung
besitzt: Der moderne Neurochirurg nutzt es auf vielfältige Weise bei operativen Eingriffen ins Gehirn.
4
5
6
7
7. Die spätere antike Forschung nach Aristoteles ging
schnell neue Wege: Alexandrinische Ärzte korrigierten
zahlreiche Auffassungen des Stagiriten zur Anatomie
und Physiologie des Gehirns. Galen kehrte in gewisser
Weise sogar zu Platons Gehirntheorie zurück. Von
ihm lernten dann die Araber und stellten ihn aus
Hochachtung sogar neben Aristoteles. Jedenfalls
beeinflusste die Differenz zwischen der Konzeption
Galens und der Gehirntheorie des Aristoteles Mediziner
und Philosophen noch bis weit über das Mittelalter
hinaus.
8
9
10
11
12
13
Gegenwärtig wissen wir sehr viel mehr über Gehirn
und Wahrnehmung, aber die Beziehung zwischen Geist
und Gehirn, die einige originelle antike Philosophen
Vgl. U. R. Jeck, „Geist und Gehirn in der Antike“, in:
Ch. Jamme, U. R. Jeck, Natur und Geist. Die Philosophie
entdeckt das Gehirn, München 2013, 51-73.
Vgl. G. S. Kirk, J. E. Raven, M. Schofield, Die vorsokratischen
Philosophen. Einführung, Texte und Kommentare, Stuttgart,
Weimar 1994.
Vgl. H. Diels, W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker,
18. Aufl., Zürich, Hildesheim 1989, (24 [14]) 210-216.
Ebd., (24 [14] A. 5), 212, 6-7.
Vgl. Platon, Phaedo, in: Platonis opera I, Oxonii 1900, 79172.
Vgl. G. Figal, Sokrates, München 2006, 86.
Platon, Phaidon, 96a6-c2, in: Sämtliche Werke. Bd. 3,
Hamburg 1958, 46.
Vgl. Platon, Timaeus, in: Platonis opera IV, Oxonii 1902.
Platon, Timaeus, 73c6-d2, in: Sämtliche Werke, Bd. 6,
Hamburg 1959, 195.
Vgl. Aristoteles, De partibus animalium, in: Aristotelis Opera
ex. rec. I. Bekkeri ed. Academia Regia Borussica. Editio altera
quam cur. O. Gigon. Volumen primum, Berolini MCMLX
(1960), 639a-697b.
Vgl. Ders., ebd. II 10, 656a3-b36.
Vgl. Ders., ebd. II 10, 656a23-24: τῶν τ’ αἰσθήσεων οὐκ
αἴτιος οὐδεμιᾶς, ὅς γε ἀναίσθητος καὶ αὐτός ἐστιν ὥσπερ
ὁτιοῦν τῶν περιττωμάτων.
Vgl. Aristoteles, De part. animal. II 10, 656a23-29, in: Werke.
III. Schriften zur Naturphilosophie. Neuntes Bändchen. Von
den Theilen der Thiere. Vier Bücher. Uebers. u. erl. v. Ph. H.
Külb, Stuttgart 1857, 1194.
Der gallische Flechtwerkmann und der Folk Horror
Auf den Spuren Caesars und Strabos in Robin Hardys The Wicker Man
EIN ARTIKEL VON ALEXANDER SCHRÖDER
antiker Quellen zurück. Der Artikel zeichnet den
verschlungenen Pfad des Motivs von Caesar und
Strabo bis hin zu einer der größten Ikonen des britischen Horrorkinos nach.
„Let’s face it, there are strange communities in this world.“1
- Christopher Lee
D
ie geheimnisumwitterte Filmproduktion
The Wicker Man, deren vollständige Version als verschollen gilt, wirkt bis heute
einflussreich in der Populärkultur nach. Der brennende Flechtwerkriese, im Film Teil eines archaischen Fruchtbarkeitsrituals, ist jedoch keine
Neuerfindung, sondern geht auf die Beschreibungen
Als „CITIZEN KANE of horror films“2 wurde Robin
Hardys The Wicker Man (1973) einmal bezeichnet.
Gemeinsam mit Witchfinder General (1968) und Blood
on Satan’s Claw (1971) etablierte er ein neues Subgenre
des britischen Horrorfilms, welches mit den klassischen
26
kaum spektakulärer opfern. Hardy und Drehbuchautor
Anthony Shaffer waren der festen Überzeugung,
der Film brauche ein wirkmächtiges Symbol, um
seine beunruhigende Wirkung zu entfalten. In der
vorchristlichen keltischen Praxis des Brandopfers im
Weidenmann wurden sie fündig, so Hardy: „It was the
most alarming and imposing image that I have […]
ever seen – and I thought: That’s it!“3
Schauermotiven der populären Gothic HorrorProduktionen brach. Die Vertreter dieser neuen, als
Folk Horror bezeichneten Strömung, verlegten ihre
Handlung aus den spukenden Schlössern und modrigen
Gruften in die abgelegene Peripherie der britischen
Inseln. Anstelle der Vampirfiguren, Wolfsmenschen,
Gespenster und Frankensteinschen Homunkuli, welche
die früheren, meist an Shelley oder Stoker orientierten
Filme bevölkerten, sahen sich ihre Protagonisten mit
den bizarren Erscheinungen einer archaischen Welt
konfrontiert, die dem Geist der Moderne gänzlich
fern stand: Heidentum, Aberglaube und Hexerei –
Elemente, welche die Zivilisation durch Wissenschaft
und Kirche längst hinter sich gelassen hatte, die in jenen
abgelegenen Winkeln des Königreiches jedoch noch zu
florieren schienen. Gewalt und Blutvergießen – obwohl
insbesondere in Blood on Satan’s Claw durchaus präsent
– rückten hinter einen subtileren, elementaren Grusel
zurück, der seine Wirkung durch eine sich bei den
Protagonisten einschleichende Vorahnung entfaltete,
die ihre Selbstgewissheit durch die Konfrontation
mit dem Unbegreiflichen nach und nach verloren.
Hinter der geordneten, durch Wissenschaft und/oder
christlichen Glauben erklärten und erschlossenen
vermeintlichen Realität, lauerte noch etwas Anderes,
Älteres – und Albtraumhaftes.
Christopher Lee spielt Lord Summerisle.
Wenn auch gallische Menschen- und/oder Brandopfer
mehrfach in der antiken Geschichtsschreibung
thematisiert werden, ist der Brauch des Weidenbzw. Flechtwerkmannes ausgesprochen schlecht
nachzuvollziehen. Er findet sich nur an zwei Stellen,
zuerst in Caesars Gallischem Krieg:
Die abgelegene, ländliche Kulisse in The Wicker Man
ist die fiktive schottische Summerisle. Der pflicht- und
selbstbewusste Gesetzeshüter und gute Christ Neil
Howie (Edward Woodward) folgt einem mysteriösen
Schreiben, in welchem er um Hilfe auf der Suche nach
einem verschwundenen Mädchen gebeten wird, auf die
Insel. Dort sieht er sich bald mit einem wahren Kuriositätenkabinett karnevalesker Riten, heidnischer Naturverehrung und sexueller Ausschweifungen konfrontiert, das für ihn nach und nach zum Albtraum wird.
Die Insulaner um den schillernden, stets etwas zu gut
gelaunten Lord Summerisle (Christoper Lee) wollen
nichts von einer Vermissten wissen; stattdessen wächst
in Howie, der sich selbst immer weiter in das Treiben
dieser fremden Welt verstrickt (so versucht die Wirtstochter Willow (Britt Ekland) sogar, ihn durch ekstatischen Tanz und Gesang zu verführen), ein furchtbarer
Verdacht: Die kleine Gemeinde bereite ein primitives
Opferritual vor, in dem das verschwundene Mädchen
möglicherweise das Schlimmste erwarte.
alii immani magnitudine simulacra habent, quorum contexta
viminibus membra vivis hominibus complent; quibus succensis
circumventi flamma exanimantur homines.
Andere [gallische Druiden] haben Standbilder von ungeheurer
Größe, deren aus Ruten geflochtene Glieder sie mit lebenden
Menschen anfüllen; dann zündet man unten an, die Menschen
werden von der Flamme eingeschlossen und kommen darin um4.
Grund für die Opferung von Menschen, welche von
den Druiden vorgenommen werde, ist nach Caesar
zumeist das Leiden unter schwerer Krankheit („morbus gravis“), eine bevorstehende Schlacht („proelium“),
oder sonstige Gefahr („periculum“). Die Gallier hingen nämlich der abergläubischen Vorstellung an, ihre
Götter forderten stets ein Leben im Austausch für ein
Leben:
… quod pro vita hominis nisi hominis vita reddatur, non posse
aliter deorum immortalium numen placari arbitrantur, publiceque eiusdem generis habent instituta sacrificia.
Der namensgebende Wicker Man taucht erst in der
finalen Szene des Films auf. Hier laufen alle Fäden
zusammen: Es handelt sich tatsächlich um ein
Brandopfer, wenn auch nicht ganz unter den von
Howie befürchteten Umständen. Der Weidenmann
fungiert hierbei als eine turmhohe Ikone heidnischen
Brauchtums, kann man jemanden oder etwas doch
… weil sie meinen, die unsterblichen Götter könnten nur besänftigt werden, wenn man für das Leben eines Menschen wiederum
ein Menschenleben darbringe; auch im Namen des Stammes finden solche Opfer regelmäßig statt.5
27
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
Besonders beliebt sei die Opferung von mutmaßlichen
Verbrechern („eorum, qui in furto aut in latrocinio aut
aliqua noxii sint comprehensi“). Dies sind jedoch bereits
alle Informationen, welche Caesar über den Flechtwerkmann liefert. Auch seine einzige andere Erwähnung in
antiken Quellen, in Strabos Geographie, lässt nicht viel
mehr Erkenntnisse zu; Strabo fügt Caesars Schilderungen lediglich hinzu, dass zusammen mit menschlichen
Opfern auch Tiere in den Koloss (κολοσσός) gesperrt
und verbrannt worden seien.6
Kolossalfiguren aus Flechtwerk oder Holz und Gras wurden
hergestellt. Hier hinein steckte man lebende Menschen, Vieh und
Tiere aller Art. Darauf wurden die Figuren in Brand gesteckt und
mit ihrem lebendigen Inhalt verbrannt.7
Frazer sichtete Material des 17.-19. Jahrhunderts und
fand zahlreiche „Kolossalfiguren“ im traditionellen
Brauchtum.8 Obgleich zum Teil in keinster Weise anthropomorph und/oder mit irgendeiner Art von Opfer
oder dessen Symbolik verbunden, fügte er Weidenkörbe, hölzerne Prozessionsfiguren und Scheiterhaufen
gleich Puzzleteilen in sein Modell ein:
Frazer zwischen antikem Opfer und ländlichem
Brauchtum zog, als Infrastruktur für das, was Sergeant
Howie einen gehörigen Kulturschock versetzt: In The
Wicker Man geht es um Heidentum, wie dieses den
bäuerlichen Alltag der Insulaner durchzieht, und
darum, wie es die selbstgewisse Vorstellungswelt des
Protagonisten aufsprengt. Der Rückbezug zur Antike
stellt den Höhepunkt dar, entpuppt sich die keltische
Opferpraxis doch als Fluchtpunkt, auf welchen die
verschiedenen Ränkespiele des Films zulaufen. Der
arme Howie ist auf der abgelegenen Summerisle nicht
nur verloren im Raum, sondern auch in der Zeit.
Shaffer, UK: British Lion Films, 1973. Fassung: The Wicker
Man. The Final Cut, DVD Video, London: Studiocanal Limited 2013, Disc 1.
1
2
3
4
5
6
So lassen sich also die Opferriten der Gallier in den Volksfesten des heutigen Europa nachweisen. […] Die hier auftretenden
Bräuche der Verbrennung von Riesen aus Flechtwerk […] werden gewöhnlich […] zur Zeit der Sommersonnenwende abgehalten. Hieraus dürfen wir schließen, daß die ursprünglichen Riten,
deren entartete Nachkommen diese sind, um die Sommersonnenwende begangen wurden.9
Frazers Studien besitzen heute kaum noch fachliche
Relevanz außerhalb der Wissenschaftsgeschichte
und stehen bezüglich ihrer hochproblematischen
ethischen Fragwürdigkeit ganz unter dem Stern ihrer
Entstehungszeit. Bei seinem Erscheinen 1890 wirkte
The Golden Bough jedoch bahnbrechend: Noch nie zuvor
hatte sich jemand derart intensiv mit dem „Geheimnis
von Glauben und Sitten der Völker“, so der deutsche
Untertitel, auseinandergesetzt. Und der Einfluss wirkt
bis heute nach: „Read any book about the so-called
celts, the so-called druids and you will come up with
Julius Caesars great image of the wicker man itself“10,
so der englische Historiker Ronald Hutton.
Der brennende Weidenmann thront über der Insel.
Wie kommt es also, dass diese spärlich beschriebene gallische Opferpraxis zentrales Element von The
Wicker Man geworden ist? Weder liegt die Summerisle in Gallien, noch stellt Christopher Lee in seiner
Rolle als gleichnamiger Landsherr einen „Druiden“ dar,
obgleich er sich auf die keltischen Gottheiten Taranis
und Nuada beruft; auch ist der das Wicker Man-Ritual begleitende mittelenglische Kanon, Sumer is Icumen In, offensichtlich nicht keltisch. Zwar droht der
kleinen Inselgemeinde durchaus Gefahr („periculum“):
Bisher trugen die Pflanzen der Insel aufgrund biologischer Besonderheiten ungewöhnlich reiche Frucht, welche seit einiger Zeit jedoch stark abzunehmen scheint.
Doch wieso wurde von allen möglichen Opferpraktiken ausgerechnet der gallische Flechtwerkriese gewählt?
Und es ist vor allem die Faszination der von Frazer
gezeichneten vergangenen, verzauberten Welt, welche
bis heute insbesondere Künstler anzieht – so auch im
Falle von The Wicker Man. Obgleich fachlich in den
70er Jahren bereits überaus kritisch gelesen, bildet Frazer
einen perfekten Ausgangspunkt für den Folk Horror:
Für den frommen Sergeant Howie sind die Praktiken
der Insulaner „entartete Nachkommen“ „primitiver“
Rituale, für ihn entfaltet sich hinter dem Maibaum,
dem traditionellen Schwerttanz und der vielfältigen
Tiersymbolik langsam aber sicher ein archaischer
Schrecken. Die dem fachlich geschulten Zuschauer
gebotene, scheinbar wirre Kollage – die apotropäischen
Augensymbole am Bootsbug, der Green Man auf dem
Schild des gleichnamigen Gasthauses, Feuerrituale,
Schwerttanz, Karneval, die grausige, handförmige
Hexenkerze11 auf Howies Nachttisch – entspringt
keineswegs einer willkürlichen Zusammenstellung all
dessen, was den Filmern interessant zu sein schien.
Hardy und Shaffer nutzen die Verbindungen, welche
Aufschluss gibt eine Bemerkung Robin Hardys, der
Film sei maßgeblich vom Buch The Golden Bough
(1890) des schottischen Religionsethnologen James G.
Frazer beeinflusst. Frazer, dessen evolutionistische Religionstheorie eine Entwicklung von der Magie hin zur
Religion und schließlich zur Wissenschaft beschreibt,
begab sich auf Spurensuche in antiken Quellen ebenso
wie in Märchen und volkstümlicher Folklore. Er versuchte, die evolutionären Ursprünge „bäuerlichen
Aberglaubens“ ebenso wie christlicher Natursymbolik, etwa des Pfingstbaums, zu ergründen und ihre Entwicklung nachzuvollziehen. Aus Caesars und Strabos
Beschreibungen zeichnet er ein Bild allgemeiner gallischer Brandopferkultur:
28
Quellen:
7
Gaius Julius Caesar: Der gallische Krieg. De bello gallico, hrsg.,
übers. u. erl. von Otto Schönberger, 4., überarbeitete Auflage,
(Sammlung Tusculum), Berlin: Akademie 2013.
Strabo: Geographica, übers. u. komm. v. A. Fobinger, Wiesbaden: Marix 2005.
8
Literatur:
Bartholomew, David: The Wicker Man, in: Cinefantastique 6/3,
(1977),S. 4-48.
Frazer, James George: Der Goldene Zweig. Das Geheimnis von
Glauben und Sitten der Völker, Reinbek: Rowolth 62011.
Mannhardt, Wilhelm: Die Korndämonen. Beitrag zur germanischen Sittenkunde, Berlin: Harrwitz und Gossmann 1868.
9
Filmmaterial:
10
Burnt Offering: The Cult of the Wicker Man, Regie: Andrew
Abbot/Russel Leven, UK: Nobles Gate 2001. Fassung: The
Wicker Man. The Final Cut, DVD Video, London: Studiocanal Limited 2013, Disc 3.
The Wicker Man, Regie: Robin Hardy, Drehbuch: Anthony
11
Zit. nach Bartholomew, David: The Wicker Man, in: Cinefantastique 6/3, (1977),S. 4-48, hier: S. 10.
Ebd., S. 5.
Burnt Offering (R: Andrew Abbot/Russel Leven, UK 2001),
Min. 08-09.
Caes. gall. 6,16,4.
Caes. gall. 6,16,3.
Vgl. Caes. gall. 6,16; Strab., geogr. 4,32,6.
Frazer, James George: Der Goldene Zweig. Das Geheimnis
von Glauben und Sitten der Völker, Reinbek: Rowohlt
2011, S. 949.
Frazers Studie fußt hier maßgeblich auf der Arbeit des
deutschen Volkskundlers Wilhelm Mannhardt. Dieser
verstand verschiedene Elemente bäuerlichen Brauchtums –
auch den Wicker Man – als Ausdruck einer an Ernte- und
Jahreszeiten orientierten Opfertradition, der die Vorstellung
einer rhythmischen Tötung und Wiedererweckung der
Getreidegeister zugrunde lag. Vgl. Mannhardt, Wilhelm:
Die Korndämonen. Beitrag zur germanischen Sittenkunde,
Berlin: Harrwitz und Gossmann 1868, S. xi-xii.
Frazer: Der Goldene Zweig, S. 952-953.
Burnt Offering, Min. 08-09.
Nach Frazer dienten derartige, „Hand des Ruhmes“
genannte Kerzen aus menschlichem Fett dazu, Schlaf- bzw.
Paralysezauber zu wirken, vgl. Frazer: Der Goldene Zweig,
S. 43-44.
Die antiken Autobahnen auf See Erforschen
Christoph Schäfer über die historische Rekonstruktion antiker Schiffe
EIN INTERVIEW VON JULIA JENNIFER BEINE UND JOANA KADIR
I
des spätantiken Schiffes Laurons II. Leiter dieses
DFG-Projektes ist Christoph Schäfer, Lehrstuhlinhaber der Alten Geschichte. Voller Begeisterung
erklärt er uns hier die raffinierten Kniffe der antiken
Schiffsbauer, zeigt uns die entsprechenden Werkzeuge und natürlich den Bauplan. Bei einem so
spannenden Projekt haben wir auf unserer Exkursion nach Trier natürlich nicht widerstehen können
und haben Schäfer um ein Interview gebeten. Mit
Freude hat er uns für Nexus am 24.09.2018 einen
Einblick in seine Arbeiten aus dem Bereich der
experimentellen Archäologie gegeben.
n einem unscheinbaren Container auf einem
Parkplatz der Universität Trier, unweit des
Gebäudes der Historischen Fakultät, steigt uns
der Duft von frisch gehobeltem Holz in die Nase, um
uns zahlreiche Gerätschaften zur Holzbearbeitung.
Eine kleine Klettereinlage später und wir befinden
uns auf dem Deck eines römischen Handelsschiffes
– was unsere Historikerinnenherzen gleich höher
schlagen lässt. Der Container ist natürlich keine
Zeitreisemaschine, aber in ihm kann man einen Teil
der römischen Geschichte mit allen Sinnen wahrnehmen: Hier nämlich entsteht die Rekonstruktion
29
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
Strom und Wind. Diese verfälscht natürlich die Daten,
d. h. wir kriegen keine vergleichbaren Daten, mit
denen wir nachher Modelle berechnen können […]
Das alles kann man händisch ganz schwer machen,
weil es einfach zu viele verschiedene Windwinkeldaten
usw. gibt bei verschiedenen Windgeschwindigkeiten,
Fahrgeschwindigkeiten etc. Es gibt Leute, die so
etwas für historische Schiffe gemacht haben, aber das
ist ganz selten. […] Das können wir alles mit diesem
hochmodernen nautischen Instrumentarium sehr
schnell und präzise erfassen.
I. Ihr vielleicht ausgefallenstes Forschungsgebiet
ist die antike Schifffahrt. Wie sind Sie dazu gekommen?
Es gibt zwei Anlässe: Ich bin seit vielen Jahrzehnten
Segler und dadurch mit Nautik und Wasser im Binnenbereich wie auf dem Meer sehr gut vertraut. Aber
die eigentliche Idee für die erste Schiffsrekonstruktion
stammte aus dem Kreis der Studierenden in Regensburg. Ich habe es am Anfang nicht ganz ernst genommen, so etwas zu bauen und dann zu testen, aber nachdem ich mir das alles in Ruhe überlegt hatte, haben wir
uns ein paar Tage später zusammengesetzt, ein Konzept
entwickelt und dann auf sehr abenteuerliche Weise
von 2003 bis 2004 das allererste Schiff in Regensburg
rekonstruiert. Dann haben wir ein Messinstrumentarium dafür entwickelt, welches es uns ermöglicht, die
Leistungsdaten [des Schiffes] elektronisch zu erheben.
Das ist das Spannende dabei; es ging von vornherein
darum, dass wir die Leistungsfähigkeit der Schiffe herauskriegen wollten.
II. Sie haben mit der Zeit ein Team aus
NaturwissenschaftlerInnen und TechnikerInnen
aufgebaut. Wie waren die ersten Reaktionen, als Sie
mit Ihrem Anliegen an diese Leute herangetreten
sind?
Die waren eigentlich total klasse, denn ich habe noch
keine einzige Absage gekriegt. Sie fanden das irgendwie cool. Das betraf einmal die Astrophysiker, die
haben sich sowieso dafür interessiert und kamen sogar
auf mich zu. Wir haben dann auch Chemiker aus der
analytischen Chemie und Maschinenbauer in dieses
Projekt eingebunden, also eine ganze Fülle an Kompetenzen, die wir selber nur teilweise oder gar nicht
hatten. Überall – das muss man sagen – läuft man
offene Türen ein, weil die Kollegen einen Mehrwert
sehen in dem, was wir da tun; sehen, dass das nicht
In diesem Fall ging es um die Frage der Grenzverteidigung auf Rhein und Donau mit dem Schiffstyp der
Lusoria, welcher bei Ammian und Vegetius literarisch
belegt ist – das ist ein Terminus Technicus für das Standardschiff auf diesen Flüssen. Im Mainzer Museum für
Antike Schifffahrt haben wir einen hervorragenden
Befund. Das sind Schiffe aus dem Ende des 4. Jh und
sie sind so gut erhalten, dass man einen Nachbau anfertigen kann. Wir haben nur wenig Varianz in diesem
Nachbau und wir können die Werte deshalb gut verwenden – sofern wir sie ordentlich messen. Die Messungen erfolgen über ein System1 , das wir adaptiert
und an dem wir uns haben schulen lassen. Dann haben
Astrophysiker der TUHH in Hamburg-Harburg –
einer ist inzwischen am MIT in Massachusetts – im
Laufe von 15 Jahren die Software immer weiterentwickelt und an unsere Bedürfnisse angepasst. […]
Ein Blick in den noch leeren Schiffsbauch des Typs Laurons II: In der Antike lagerten hier die Handelswaren.
auch abnimmt – am Anfang hätte die DFG niemals in
so etwas investiert. Aber inzwischen sieht man es nicht
mehr als high risk an, sondern hat gesehen, dass wir das
solide machen, dass wir eine absolut nachvollziehbare
Methode entwickelt haben, dass wir ein perfektes Messinstrument haben und entsprechende Partner, und das
führt dazu, dass der Löwenanteil von der DFG kommt.
Trotzdem sind Firmen aus der Region dabei. Da sind
wir wirklich äußerst zufrieden; es ist aber auch immer
stressig, so etwas zu pflegen und das alles anzuschieben.
Am Ende klingt es locker, aber der Weg dahin ist nicht
immer einfach.
nur ein Amüsement oder Hobby, sondern ein klares
Forschungsanliegen ist und man da ein Themenspektrum erweitern kann – auch das der Naturwissenschaftler, der Technikwissenschaftler, die darin einfach eine
Herausforderung sehen; denn unsere Fragen sind nicht
einfach. Das erfordert Arbeit, macht aber auch Spaß.
[…]
III. Wie überzeugt man GeldgeberInnen davon, ein
antikes Schiff zu bauen?
Das ist ein ganz schwieriges Feld. Am Anfang war es
eine Brauerei; der Brauereidirektor hat uns empfangen
und wir haben ihm unser Vorhaben vorgestellt. Eingestiegen bin ich mit der Frage: „Sie kennen doch das
Becks-Schiff?“. Dann haben wir uns darüber unterhalten; er war am Anfang etwas skeptisch, hat dann aber
den Mehrwert darin gesehen, was das für Werbung
gibt. Also haben wir ihm das Segel verkauft und das
Schiff in den Farben der Brauerei angestrichen. Sonst
hätten wir es nicht realisieren können, das muss man
einfach sagen. Mir kam es nicht darauf an, ob da ein
Banner drauf ist oder nicht, sondern mir ging es wirklich darum, dass wir die Chance nutzen, die Daten zu
erheben. Und das hat am Ende geklappt. […]
IV. Im Zuge Ihrer Forschung zur Schlacht von
Actium haben Sie die dortigen Wind- und Strömungsverhältnisse gemessen und daraufhin die Hypothese entwickelt, dass Marcus Antonius höchstwahrscheinlich bewusst auf diese gesetzt habe, weil
er sich so mit dem geringsten Verlust habe zurückziehen können. Es sei also keine überstürzte, unüberlegte Flucht gewesen. Sie haben Marcus Antonius, der in der augusteischen Literatur als der
große Verlierer dargestellt wird, gewissermaßen rehabilitiert. Wie ist es zu diesem Projekt gekommen
und hätten Sie mit diesem Ergebnis gerechnet?
Ich habe damals, als wir die Möglichkeiten hatten,
unser Schiffsinstrumentarium zu entwickeln, eine Biografie über Kleopatra geschrieben und da kam mir der
Schlachtbericht schon komisch vor. Wir sehen − mit
wenigen Ausnahmen − immer durch die augusteische
Brille auf Antonius und das heißt, dass wir eigentlich
sehr wenig sagen können. Je weiter wir bei solchen
antiken Schlachtschilderungen forschen, umso mehr
wird klar, wie wenig präzise sie sind. Es klingt wunderbar, wie das alles abläuft, aber das ist ein Narrativ und
hat oft gar nichts oder nur am Rande mit der Realität zu tun. So verhält es sich etwa bei Herodot bezüglich der Schlacht von Plataiai, für die ich das schon vor
längerer Zeit nachgewiesen habe. […] Genauso habe
ich mich gefragt: Wie ist das eigentlich bei Actium? In
der nautischen Literatur finden sich Hinweise, dass es
eine Strömung gab. Durch die Erfahrung mit unseren
Schiffen war [die Problematik] klar: Wie halte ich ein
solches Schiff, ein gerudertes Kriegsschiff, bei einer solchen Strömung und bei entsprechenden Windverhältnissen auf der Stelle? Denn es klingt bei Plutarch und
Cassius Dio, die im Wesentlichen die Quellen für die
Schlacht bei Actium darstellen, so, als ob sich die gegnerischen Flotten stundenlang gegenüberstehen; alles
ist wie eine Landschlacht aufgebaut. Auf See halten Sie
diese Position nicht und schon gar nicht mit Hunderten von Schiffen, die brauchen Raum, um zu manövrieren, die driften ab! Das hat mich dazu gebracht, das
genauer nachzuprüfen.
Das neueste Schiff wird im Wesentlichen durch die
DFG gefördert. Das [Projekt] ist im Fachkollegium
sehr hoch gerankt worden, weil man es uns inzwischen
In diesem Ofen werden die Planken zunächst ‚gekocht‘,
bevor sie dann am Schiffskörper gebogen montiert werden.
Dann kamen Anfragen, ob wir als Botschafter etwas
für die LWL-Ausstellung IMPERIUM KONFLIKT
MYTHOS (2009) machen würden. Hier bot sich
eines der Oberstimm-Schiffe an: In Oberstimm bei
Ingolstadt sind zwei hervorragend erhaltene, römische
Flusskriegsschiffe oder Mannschaftsboote gefunden
worden, und eines von denen haben wir nachgebaut
und in Hamburg, auf dem Ratzeburger See und
anderenorts durchgetestet. Wir haben Segeldaten und
Ruderdaten bei beiden Schiffstypen erhoben; auch
weil unklar war, wie wichtig das Segel ist. Dafür ist
das System aus dem America’s Cup ganz besonders
wichtig. Denn Sie haben in jedem Gewässer in der
Regel Strömung und Sie haben eine Drift durch den
Wind – der Fachmann spricht von Versetzung durch
30
31
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
Wir haben verschiedene Möglichkeiten, das zu tun:
einmal über ganz normale Veranstaltungen, in denen wir
maritime Themen behandeln – das muss nicht immer
direkt mit dem Projekt zu tun haben; es geht auch um die
Frage von Handelsverbindungen, Transaktionskosten
und antike Wirtschaft, vor allem im römischen
Bereich. […] Dann machen wir Exkursionen: Wir
haben verschiedene Segel-Exkursionen in die Ägäis
durchgeführt. Mit 27 bis 36 Teilnehmern auf 3 bzw.
4 Segelyachten sind wir die Inseln abgefahren, jeweils
mit Referaten, Besichtigungen usw. Zwischendurch
sind wir gesegelt, weil man da die Verhältnisse erlebt
und nicht mehr nur theoretisiert, sondern spürt, wie es
ist, wenn der Wind ein Schiff bewegt, und was das für
Schwierigkeiten bereitet.
Dazu bot sich die Gelegenheit, als das ZDF einen
Kleopatra-Film für Abenteuer Wissen machte. […]
Wir haben uns darauf geeinigt, dass sie uns 14 Tage
Messungen in der Bucht von Actium ermöglichen.
Wir sind die Bucht von Actium mit einem
geliehenen Segelschiff abgefahren, mit unserem
Messinstrumentarium. Das haben wir umgekehrt
eingesetzt, denn wir kannten die Performance dieses
Schiffes und konnten so die Abweichungen durch
die Strömung und den Wind berechnen. Und das bei
einem Szenario, das dem der Schlacht entsprach – da
hatten wir Glück: es gab einen Sturm und dann zwei
Tage Ruhe. So haben wir nach dem Sturm unsere
Messreihen in der Bucht von Actium machen können;
wir sind nur hin und her gefahren. Dabei haben wir
gesehen, wie stark Strömung und Wind die Verhältnisse
beeinflussen und dass die Schlacht nicht wie in den
Quellen dargestellt funktioniert haben kann. Damit
konnten wir die Geschichte erst einmal widerlegen;
das heißt aber noch nicht, dass man etwas anderes
dagegenstellt. Es gibt wilde Theorien, aber niemand
hat Daten eingesetzt, und das haben wir versucht. Ich
brauche nur endlich die Zeit, um es in Ruhe [für eine
Publikation] auszuarbeiten (lacht).
Wir haben einmal eine Segelausbildung in Holland
gemacht, wo wir Leute mit kleinen Jollen zum Segeln
gebracht haben – bis hin zur Prüfung! Wir nutzen auch
die Möglichkeiten, die der Bachelor mit dem Praxismodul bietet: Nach einer Einführung durch unsere
Leute, die schon am letzten Schiff mitgebaut haben
und inzwischen so fit sind, dass sie rückgekoppelt mit
dem Bootsbaumeister die Leitung der Arbeitsvorgänge
übernehmen können, werden die Studierenden an die
Arbeit herangeführt. Es gibt aber auch viele, die den
Schein nicht brauchen und einfach nur mitbauen wollen; das ist natürlich eine tolle Sache. […] Insofern sind
die Studierenden ganz stark in die Thematik und die
direkte Projektarbeit eingebunden und werden auch
beim Testen entsprechende Möglichkeiten haben. […]
Es gibt auch viele ehrenamtliche auswärtige Helfer: Es
kommen Leute aus der Region, Lehrer, Schüler, ein
V. Sie binden auch Studierende in Ihr aktuelles
DFG-Projekt Laurons 2 – Untersuchungen zu Potential und Intensität des römischen Seehandels unter
besonderer Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit
eines rekonstruierten seegängigen Handelsschiffs2
ein. Wie führen Sie die Studierenden an das Thema
heran und vermitteln ihnen die notwendigen Kompetenzen zum Schiffbau?
Christoph Schäfer vor seinem neuesten Projekt: Das römische Handelsschiff Laurons II.
32
wo wir entsprechende Bedingungen haben, die dann
variieren müssen: Mal starken Wind, mal schwachen
Wind, aus verschiedensten Richtungen, Strömung,
keine Strömung […]. Darüber können wir wirklich
solide Daten erheben und stellen so sicher, dass
die Qualität stimmt. Wenn wir diese Daten für die
Leistung des Schiffes haben, entwickeln wir weitere
Modellrechnungen, und können dann mit diesen
das Schiff über eine Simulation mit den jeweiligen
Wetterdaten tausendfach virtuell fahren lassen. Das ist
ein enormer Mehrwert, denn damit kommen wir auf
diesem Sektor in die Quantifizierung hinein. Das ist
eine Forschungsrichtung, die vor 10 Jahren in Oxford
von Andrew Wilson losgetreten wurde, wobei wir auf
diesem maritimen Sektor bisher alleine tätig sind. […]
Schreinermeister im Ruhestand. […] Allein hier haben
schon über 50 Studierende intensiv mitgebaut.
VI. Wie weit geht die originalgetreue Rekonstruktion? Sind alle Arbeitsschritte und Materialien der
Antike nachempfunden? Sind überhaupt alle in
Quellen belegt?
Wir haben einen sehr guten archäologischen Befund:
Wir können das gleiche Holz nehmen oder ein Holz,
das dem Original entspricht. Dann nehmen wir für die
Nägel ein ähnliches Material – wir haben das antike
analysieren lassen und nachgeschmiedet. Das sind
Dinge, die sehr nah am Original liegen. Die Werkzeuge, die wir nutzen, sind teils elektrisch, für die grobe
Arbeit: Bandsäge, Kreissäge etc. Aber für die Feinarbeit
werden ganz normale Handwerkzeuge genommen, wie
sie in der Antike eingesetzt wurden – mit Ausnahme
der Bohrmaschine: Der [antike] Handbohrer wird
durch einen Akkubohrer ersetzt, einfach weil es sonst
zu lange dauern würde. Und Sie können mir glauben,
dass die Kommilitonen keine Lust haben, ewig mit
einem Handbohrer zu bohren. Wir sind keine Reenactors; es ist wirklich experimentelle Archäologie: Wir
wollen nicht nachfühlen, wir wollen möglichst exakt
gemessene Ergebnisse haben. […]
Das Polardiagramm
Ein Polardiagramm beschreibt die Eigenschaften eines
Schiffs, wenn es in verschiedene Richtungen segelt.
Direkt gegen den Wind kann man nicht segeln, aber
man kann seitlich zum Wind, sogar leicht gegen den
Wind segeln und wenn man etwas stärker gegen Wind
segelt, dann kann man sich im Grunde auch gegen
die Windrichtung sehr langsam und aufwendig hochhalten. Das nennt der Fachmann die Höhe am Wind
(denn man gewinnt Höhe gegen den Wind). Das ist der
Kern des Polardiagramms; da können wir nämlich bei
jeder Windrichtung, jeder Windstärke die Bewegung
des Schiffes in der entsprechenden Richtung bei entsprechender Segelstellung dokumentieren und das sieht
dann am Ende so aus wie ein Apfel.
VII. Sie möchten mit den rekonstruierten Schiffen
Erkenntnisse über die antike Schifffahrt gewinnen.
Wie stellen Sie sicher, dass die Ergebnisse authentisch sind? Schließlich müssen Sie teils eine Zeit von
2.000 Jahren überbrücken.
Wir bauen keine Phantasiegebilde, wir bauen nicht
nach Reliefs oder nach Vasenbildern und ein paar
schriftlichen Informationen, sondern es bildet immer
ein sehr guter archäologischer Befund die Grundlage
und deshalb ist die Varianz bei den Schiffskörpern sehr
gering. Wir kommen so sehr nah ans Original heran.
Dabei arbeiten wir mit dem Kollegen Ronald Bockius
(das ist der Direktor des Museums für Antike Schifffahrt
in Mainz) sehr eng zusammen, weil der wiederum in
der Lage ist, die Risszeichnung der Schiffe zu machen.
Dann haben wir mit Maschinenbauern und mit
Konstrukteuren entsprechende Konstruktionsmodelle
entwickelt; zum Teil mit 3 D-Verfahren, wo man
virtuell Schiffsplanken anzeichnen kann – man
projiziert sozusagen ein Objekt direkt in den Raum.
[…] Insgesamt kommen wir dadurch unheimlich gut
an die ursprüngliche Konstruktion heran; da ist nicht
viel an Variabilität. Wenn wir schon die Konstruktion
des Rumpfs und des restlichen Apparats so nah am
Original haben, wie das der Fall ist, dann kommt
unser Messinstrumentarium ins Spiel, das absolut
exakt ist. Wir versuchen, Messszenarien herzustellen,
VIII. Rechnen Sie mit einem ähnlichen Erkenntnisgewinn wie bei Ihrem Actium-Projekt?
Bei Actium haben wir eine interessante Beobachtung.
Sie wird unsere Sichtweise vielleicht etwas korrigieren,
aber wir kennen den Ausgang des Krieges: Auch wenn
Antonius die Seeschlacht vielleicht mit Vorteil für sich
beendet hat, hilft es nichts, am Ende sind sie [i. e.
Antonius und Cleopatra] tot. Beim aktuellen Projekt
geht es eigentlich viel weiter, weil wir schon darüber
nachdenken, ob wir die für die Kaiserzeit entwickelte
Methode übertragen können, beispielsweise ins
Mittelalter. […] Damit sind wir in einer ganz modernen
Diskussion: Wenn man heute Wirtschaftsgeschichte
für die Antike betreibt, dann muss man sich mit der
Neuen Institutionenökonomik auseinandersetzen.
Einer meiner Doktoranden hat eine preisgekrönte
Dissertation geschrieben, in der er aus eigenem
Antrieb ein Berechnungsmodell entwickelt hat, das
sich an den heutigen Modellen und Komponenten
aus dem Handel orientiert und sie in die Antike
33
ANTIKE (INTER-)NATIONAL
ANTIKE INTERDISZIPLINÄR
Ja, wir haben Geschütze gebaut, zusammen
mit den Kollegen der Universität Osnabrück,
der
Bundeswehr-Universität
in
Hamburg
und einer Schule in Ising in Bayern.4
[…] Weil die Geschütztypen nicht so gut nachzubauen
sind – da gibt es gute Befunde, was das Metall
angeht, aber schlechte, was das Holz angeht – haben
wir 3 Varianten aus 5 Jh. gewählt, die dann mit den
unterschiedlichsten Materialien durchgetestet und
mit Hilfe von Ballistikern gemessen wurden. Als
Wissenschaftler brauche ich solide Daten und in diesem
Fall sind die Flugkurven das Entscheidende. […]
Ansonsten haben wir noch ein kleines Projekt – aber
da bin ich nur ein kleinerer Partner – zu sumerischem
Bier. Die Orientalistik und Theologie haben mich da
angefragt. Wir arbeiten mit einer großen Brauerei, mit
Bitburger, zusammen und versuchen da, eine neue
Interpretation der sogenannten Ninkasi-Hymne, einer
Art Bierbraurezept, zu schaffen und diese in der Praxis
umzusetzen.
überträgt (also Liegekosten, Gebühren, Zölle,
Umladen, Verluste etc.). Allerdings fehlte ihm noch
das Polardiagramm zu einem antiken Handelsschiff.3
Auf der Basis dieser Berechnungsmodelle können wir
das nächste Projekt weiter treiben, denn jetzt können
wir zum ersten Mal ein antikes Handelsschiff messen
und kriegen ein richtiges Polardiagramm. Damit
können wir dann sehen: Was passiert, wenn ich am
3. März, in Hispalis (Sevilla) ein Schiff losschicke? Mit
welcher Fahrzeit muss ich maximal rechnen; wie sieht
es mit der Wahrscheinlichkeit für eine längere Fahrtzeit
aus; wie hoch ist das Risiko, dass es nicht ankommt
usw.? […] Das ist das, was wichtig wird, wenn wir
über Transportkostenökonomie reden; darüber, was
das Schiff wirtschaftlich abwirft und wie ein Reeder,
ein Eigner eines Schiffes oder der Kaufmann, der die
Ladung verschiffen will, kalkuliert.
Damit kann ich die Computer-Schifffahrtsmodelle
noch viel präziser fahren. Darüber wissen Sie jetzt
auch, wie die Autobahnen über See laufen, und oftmals sind das Einbahnstraßen. Die Straße von Messina beispielsweise, da fährt man nicht nach Norden
durch, sondern außen um Sizilien herum – wer weiß
das schon? Auch, wie stark diese Autobahn ist, können
wir zeigen und wir können anhand der Rahmenbedingungen die Wahrscheinlichkeit dafür bestimmen, wo
es lang geht. Das versetzt uns in die Lage, neue Aussagen über den antiken Handel zu treffen.
XI. Sehen Sie sich in 10 Jahren mit einem Ihrer
Schiffe über das Mittelmehr fahren?
Ich hoffe, dass es nicht 10 Jahre dauert, denn das ist
eigentlich der Plan beim aktuell im Bau befindlichen
Schiff. […] Wir wüssten gerne: Wie verhält sich ein
solches Fahrzeug bei schwerem Wetter, d. h. bei
Starkwind, vielleicht sogar bei Sturm, das wäre eine
Herausforderung. Das finde ich wichtig – mal schauen,
ob wir das finanziert kriegen. Erst einmal muss es
schwimmen, aber da bin ich optimistisch – wir haben
bislang ja alle Schiffe zum Schwimmen gebracht – und
dann muss man weitersehen. Das wäre noch ein Traum.
IX. Was passiert mit den Schiffen, wenn die Projekte abgeschlossen sind? Werden sie z. B. Museen zur
Verfügung gestellt?
Die Schiffe fahren zum allergrößten Teil. Die Victoria,
die in Hamburg gebaut worden ist, war viel auf
Tournee und liegt ansonsten meistens in Haltern auf
dem Trockenen, weil sie dort nicht fahren darf; aber das
Schiff in Germersheim ist in Betrieb. Pro Jahr schleusen
die Betreiber rund 6.000 Leute auf 300 Fahrten durch
dieses Schiff, die nach einer professionellen Instruktion
alle selbst gerudert sind. […] Das neueste Schiff wird
erst einmal in Trier bleiben. […] Wir würden Laurons II
nur für wissenschaftliche Zwecke, für die Ausbildung
von Studierenden und für außergewöhnliche Events
nehmen; […] wenn diejenigen, die das Ganze
unterstützt haben, irgendetwas mit dem Schiff anfangen
wollen. […] Ich denke, es hat in dem Moment seinen
Dienst getan, wo wir das Polardiagramm ermittelt und
das Schiff vielleicht auch bei schwerem Wetter getestet
haben.
Wir drücken die Daumen und bedanken uns für das
Interview!
1
2
3
X. Leiten Sie noch weitere Projekte in der
experimentellen Archäologie?
34
Bei der Software handelt es sich um das NX2, das ursprünglich von SILVA, einem schwedischen Instrumentenhersteller
für Yachten und Rennsport, entwickelt worden ist.
Ausführliche Informationen zu dem Projekt finden sich hier:
Alte Geschichte Universität Trier: Rekonstruktion eines römischen Handelsschiffs Laurons 2. https://www.uni-trier.de/
index.php?id=62438; Labor für Digitale Produktentwicklung und Fertigung: LAURONS II: 3D-Rekonstruktion und
Simulationen zur Leistungsfähigkeit eines seegängigen römischen Handelsschiffes. https://www.hochschule-trier.de/
hauptcampus/technik/labor-fuer-digitale-produktentwicklung-und-fertigung-ldpf/projekte/laurons2/ (zuletzt abgerufen
am 12.12.18).
Stattdessen hat er die Leistungsdaten aus Militärschiffen wie
der Gorch Fock u. a. extrapoliert. Für die Berechnung hat er
eine Software genutzt, die ein Neuseeländer im Rahmen des
Volvo Ocean Race entwickelt hat.
4
Ausführliche Informationen zu dem Projekt finden sich hier:
Alte Geschichte Universität Trier: Rekonstruktion und Test
römischer Feldgeschütze. https://www.uni-trier.de/index.php?id=65223 (zuletzt abgerufen am 12.12.18).
Die Welt ist ein Buch…
Teil 2: Brücken Schlagen mit PONS
VON JULIA JENNIFER BEINE UND JOANA KADIR
B
Ansprechpartnerin; sie hat bereits PONS-Archäologie (2010–2015) betreut. In jedem Fach und an
jedem Standort gibt es AnsprechpartnerInnen für die
Studierenden.
ei dem Wort „Pons“ dürften LateinkennerInnen an eine Brücke denken oder viele SchülerInnen und Studierende an den bekannten
Wörterbuchverlag, doch wohl nur wenige dürften
das Wort mit einem innerdeutschen, universitären
Austauschprogramm assoziieren. 2010 hat PONS
als ein Netzwerk deutscher archäologischer Institute angefangen, heute umfasst es 12 weitere geisteswissenschaftliche Fächer an derzeit 37 deutschen
Universitäten (Stand: Dezember 2018). In dem Programm sind auch 8 altphilologische Institute vertreten. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu
PONS.
III. Welche Universitäten und Fächer nehmen teil?
An der Ruhr-Universität Bochum nehmen die
Alte Geschichte, Germanistische Mediävistik,
Gender Studies, Anglistik/Amerikanistik, Klassische
Archäologie und Ur- und Frühgeschichte an PONS
teil.
Im Fachbereich Klassische Philologie nehmen die Universitäten Freiburg, Gießen, Göttingen, Heidelberg,
Köln, Leipzig, Mainz und Würzburg teil.
I. Was ist PONS?
„PONS bedeutet Brücke und genau das möchte das
PONS-Projekt sein. Eine Brücke zwischen den deutschen Universitäten – eine Brücke für die Studierenden! Mit PONS ist es möglich, ein bis zwei Semester
während des Studiums an einer anderen deutschen
Universität zu studieren – quasi eine Art Erasmus in
Deutschland.“1 Der Name PONS steht dabei auch für:
Persönlichkeit, Orientierung, Netzwerk und Spezialisierung sowie Kompetenz.
IV. Wie viele Plätze gibt es pro Semester und Fach?
Pro Semester und Fach stehen in der Regel bis zu 5
Plätze für PONS-Studierende zur Verfügung.
V. Wie können sich Studierende bewerben?
Studierende sollten die Bewerbungsfristen berücksichtigen und eine entsprechende Vorbereitungszeit
einplanen. Die Frist für das Wintersemester ist der
15. Juni, die fürs Sommersemester der 15. Januar. Die
Bewerbung betreut der/die zuständige StudienfachberaterIn oder der/die PONS-Beauftragte des Heimatseminars. 14 Tage nach Bewerbungsschluss wird die Entscheidung mitgeteilt. Die Auswahlkriterien sind die
fachliche Durchschnittsnote, der bisherige Studienverlauf und besondere fachliche Qualifikationen sowie die
Teilnahmebegründung. Die Bewertung erfolgt durch
Punkte: Max. 7 Punkte können für die Durchschnittsnote vergeben werden; Teilnahmebegründung und
Qualifikation zusammen können ebenfalls mit max. 7
Punkten bewertet werden. Beide Punktevergaben sind
dabei für die Entscheidung gleichrangig.
II. Wer sind die Personen hinter PONS und wie ist
PONS entstanden?
Die Projektidee stammt von Johannes Bergemann
(Klassische Archäologie, Göttingen). Er hat 2009
einige KollegInnen aus der Klassischen Archäologie
dafür gewinnen können, den Studierenden an zunächst
9 archäologischen Instituten den Studienortswechsel
wieder zu ermöglichen. Vor den Bologna-Reformen
war ein solcher Wechsel problemlos möglich und in
der Archäologie üblich gewesen; nach den Bologna-Reformen und der Einführung ganz unterschiedlicher
B.A.- und M.A.-Studiengänge ist die Mobilität innerhalb Deutschlands fast unmöglich geworden. 2014
ist das Projekt dann auf 24 archäologische Institute in
Deutschland ausgeweitet worden und seit Ende 2015
sind 12 weitere Fächer dazu gekommen.
VI. Wirkt sich eine Teilnahme an PONS auf den
BAföG-Bezug und dessen Förderungshöchstdauer
aus?
PONS ist auch für BAföG-EmpfängerInnen möglich,
dabei muss jedoch auf den Studierendenstatus geachtet
werden. Es kann z. B. besser sein, sich nicht beurlauben
Die zentrale Koordination ist in Göttingen angesiedelt. Dort ist Rebecca Diana Klug die allgemeine
35
ANTIKE (INTER-)NATIONAL
ANTIKE (INTER-)NATIONAL
zu lassen und an der Gasthochschule als ZweithörerIn
oder ähnliches immatrikuliert zu sein. Auf die Förderungshöchstdauer wirkt PONS sich nicht aus. Wichtig
ist es, frühzeitig mit dem Fachberater und dem BAföGAmt Kontakt aufzunehmen und die individuellen Möglichkeiten zu besprechen.
da auch das Nebenfach/Begleitfach studiert werden
kann – es sei denn, es gibt dieses an der gewünschten
Gastuniversität nicht. PONS erhebt allerdings keine
statistischen Daten über den tatsächlichen Studienabschluss der TeilnehmerInnen, sodass die Theorie nicht
in der Praxis nachgeprüft werden kann.
VII. Unterstützt PONS Studierende bei der
Wohnungssuche? Gibt es diesbezügliche Kooperationen?
PONS unterstützt Studierende bei der Wohnungssuche,
kann aber keine Garantie für eine Wohnung geben. Es
ist geplant, mit den jeweiligen Studentenwerken an den
Standorten zu verhandeln und Zimmer zu reservieren,
um eine langfristige Lösung schaffen zu können.
XII. Wie viele Studierende haben bereits teilgenommen?
Ca. 100.
XIII. Was bedeutet eine Teilnahme für Institute?
Entstehen für sie Kosten?
Für die Institute entstehen keine Kosten.
Für eine Teilnahme muss zum einen ein/-e
Kooperationsbeauftragte/-r benannt werden, um
den Kontakt zur Zentralen Koordination (aktuell
in Göttingen) zu halten; zum anderen wird ein
Beratungsangebot benötigt, das sich an die eigenen und
an die ankommenden Studierenden richtet. Dies kann
aber in der Regel von der/dem StudienfachberaterIn
oder ERASMUS-Beauftragten übernommen werden.
Es sollte jedes Semester eine Informationsveranstaltung
stattfinden; alternativ kann PONS aber auch in den
Kursen vorgestellt werden (z. B. in den ersten 10
Minuten der ersten Sitzung).
VIII. Gibt es Stipendien für Studierende?
Ja, pro Semester und pro teilnehmendem Fach werden
bis zum WiSe 2019/20 pro Semester und pro Fach 5
bis 6 Stipendien in einer Höhe von 250€ monatlich
vergeben. Ermöglicht werden sie durch die Projektförderung der VolkswagenStiftung. Die Auswahlkriterien
sind dieselben wie für die Teilnahme.
IX. Wer finanziert PONS?
PONS-Archäologie (2010–2015) hat den bundesweiten
Wettbewerb „Bologna – Zukunft der Lehre“ gewonnen,
der von der VolkswagenStiftung und Stiftung Mercator
veranstaltet worden ist, und auch PONS-Geistes- und
Kulturwissenschaften wird durch die Förderung der
VolkswagenStiftung ermöglicht (2015–2019).2
XIV. Was sind die Vorteile und Nachteile des
Programms?
Vorteile:
1.Es ist wieder möglich, das Studium an mehreren
deutschen Universitäten zu absolvieren, wie es in
vielen Fächern im Magister üblich gewesen ist.
2.Studierende können komplementäre Lehrangebote
an einem anderen Studienort nutzen.
3.TeilnehmerInnen haben die Möglichkeit, ihren Studienverlauf aktiv zu gestalten und individuelle Schwerpunkte zu setzen.
4.Studierende profitieren von einem Wissensaufbau und
Ausbau persönlicher und fachlicher Kompetenzen.
5.TeilnehmerInnen können Kontakte für ein
weiterführendes Masterstudium, eine Promotion,
Praktika oder die spätere Berufslaufbahn knüpfen.
X. Das Studium an der Heimatuniversität und das
an der Gastuniversität unterscheiden sich im Aufbau
und den einzelnen Veranstaltungen. Können sich
Studierende trotzdem alle besuchten Veranstaltungen der Gastuniversität an ihrer Heimatuniversität
anrechnen lassen?
„Im Rahmen des PONS-Projektes ist es vorgesehen,
dass alle an der Fremduniversität erbrachten Leistungen
an der Heimatuniversität angerechnet werden, so dass
den Studierenden durch einen Wechsel keine Nachteile
entstehen.“3 Um dies zu gewährleisten, wird vor dem
Aufenthalt an der Gastuniversität ein Learning-Agreement abgeschlossen – vergleichbar mit dem Verfahren
im ERASMUS-Programm. Hierbei werden die Module
der Heimatuniversität mit Veranstaltungen der Partneruniversität gefüllt, sodass es nach dem Aufenthalt zu
keinen Problemen bei der Anrechnung der Leistungen
kommt.
Nachteile:
1.Es handelt sich nur um einen temporären
Studienortswechsel für 1 bis 2 Semester, danach muss
man an seine Heimatuniversität zurück – allerdings
kann das Programm mehrfach genutzt werden, auch
für das gleiche Fach.
2.Nach der Förderungsperiode durch die VolkswagenStiftung können keine Stipendien mehr vergeben
werden.
3.Momentan sind nur 13 Fächer am PONS-Netzwerk
beteiligt.
XI. Halten die TeilnehmerInnen die Regelstudienzeit ein?
In der Theorie ja. Durch das Learning-Agreement soll es
unproblematisch sein, die Regelstudienzeit einzuhalten,
36
XV. Wo sehen die InitiatorInnen PONS in 10
Jahren?
Rebecca Diana Klug hofft auf einen größeren Bekanntheitsgrad als bisher und darauf, dass ein innerdeutscher Studienortswechsel wieder als normal angesehen wird. Außerdem soll PONS sukzessive auf weitere
Fächer ausgeweitet werden, denn das Ziel ist es, dass
der Studienortswechsel für Studierende aller Fachrichtungen wieder möglich werden soll – aber das schafft
das PONS-Team vielleicht nicht innerhalb der nächsten 10 Jahre.
PONS (Hg.): PONS. Austausch-Programm deutscher
Universitäten. Homepage. http://pons-geisteswissenschaften.de/ (zuletzt abgerufen am 09.02.2019). Bei der
Zusammenstellung der Informationen hat uns netterweise
Rebecca Diana Klug unterstützt.
1
2
Diese und weitere Informationen sind auf der Homepage
des Programms zu finden:
3
PONS (Hg.): PONS. Das innerdeutsche Austauschprogramm. Geistes- und Kulturwissenschaften. Info-Paket. http://
pons-geisteswissenschaften.de/wp-content/uploads/2018/01/
PONS_Info-Paket.pdf (zuletzt abgerufen am 09.02.2019).
S. 3.
PONS (Hg.): PONS. Vision. http://pons-geisteswissenschaften.de/about/vision (zuletzt abgerufen am 09.02.2019).
S. Anm. 1. S. 6.
Bochum meets Universitatem Augustae Treverorum
Latein und Griechisch studieren in Trier
die Latinistik und die Einführung in die Gräzistik, der
Georges und Michael von Albrechts Die römische bzw.
Die griechische Literatur in Text und Darstellung.
Diese Studiengänge bietet unser Seminar an: B. Ed.
Latinistik und B. Ed. Gräzistik, B. A. Latinistik und
B. A. Gräzistik, M. Ed. Latein und M. Ed. Altgriechisch, M. A. Klassische Philologie. Außerdem besteht
im Lehramtsstudium die Möglichkeit, sich neben den
zwei Hauptfächern und Bildungswissenschaften auch
für ein Erweiterungsfach („Drittfach“) einzuschreiben.
Studierende absolvieren ca. 6 Module des regulären
B. Ed./M. Ed.-Studiengangs in dem gewählten Fach. Der
Studiengang „Erweiterungsprüfung (B. Ed./M. Ed.)“
wird mit einem Zertifikat abgeschlossen. Darüber hinaus gibt es hier den interdisziplinären B. A.-Studiengang
Antike Welt: Archäologie, Sprachen und Kulturen.
Unser Fehlerquotient für Übersetzungsklausuren ist
… uns nicht bekannt.
So sehen unsere Abschlussprüfungen im Bachelor
und Master aus: Im Bachelor setzt sich die Abschlussnote aus den Modulnoten zusammen. Die Modulprüfungen bestehen aus einer mündlichen Vergil-Prüfung, schriftlichen Prüfungen und 3 Hausarbeiten. Im
Master wird das kleine Staatsexamen absolviert. Hier
wird ein Autor gelesen und ein bekanntes sowie unbekanntes Corpus besprochen. Zudem gibt es auch hier
Modulabschlussprüfungen: Eine Hausarbeit und schriftliche Prüfungen.
Das
sind
unsere
LehrstuhlinhaberInnen:
Prof. Dr. Stephan Busch (Latinistik) und Prof. Dr. Georg
Wöhrle (Gräzistik).
Unser Werbeslogan für den Studiengang: Interessiert,
motiviert und engagiert – Lateinstudium, wer’s wohl
einmal probiert?!
Das Alleinstellungsmerkmal unseres Studiengangs ist
… die Verknüpfung mit anderen Disziplinen wie Byzantinistik oder Papyrologie. Außerdem haben wir hier
auch die Möglichkeit, in die Schatzkammern zu gehen,
und auf dem Campus wird ein römisches Handelsschiff
rekonstruiert, das man sich ansehen kann. Allerdings
werden in den Veranstaltungen Anknüpfungspunkte
und Inhalte verwandter Disziplinen oft nur angerissen
und sonst selbstständig erarbeitet. Bei Interesse kann
man jedoch eine Veranstaltung im Studienverlauf auch
in einer verwandten Disziplin besuchen.
Das sollte jede/-r Studierende mitbringen: Motivation,
Durchhaltevermögen, Interesse und Neugierde – und
am besten das Graecum.
Mit unserem Studiengang geht man auf Streifzug
durch folgende Literaturepochen: Im Altgriechischen
durch die Archaik, Klassik, den Hellenismus und die
Kaiserzeit und im Lateinischen vom Altlatein bis zum
Humanismus.
So viele AltphilologInnen studieren bei uns: ca. 125.
Unsere Standardwerke fürs Studium sind … der
Rubenbauer-Hofmann, der Vischer, die Einführung in
Das Verhältnis von Latinistik und Gräzistik bei uns
ist … 9:1.
37
ANTIKE (INTER-)NATIONAL
PANORAMA
Bei Euch studiert man im Bachelor nicht Klassische
Philologie, sondern Latinistik oder Gräzistik. Kann
man das eine wirklich ohne das andere studieren? Was
sind Eurer Meinung nach die Vor- und Nachteile?
J.: Für die Latinistik muss man sein Graecum machen
und dann hat man im Bachelor und im Master noch
je eine Veranstaltung im Griechischen. Ich muss sagen,
ich komme in meinem Lateinstudium auch wunderbar
ohne Griechisch aus.
kein Praktikum macht. Da kann man dann auch mal
eine Stunde geben.
Petrarca-Seminar lief über die Module in der Latinistik
und die Landeskunde-Seminare im Master auch.
Habt ihr ein Praxissemester?
J.: Nein, leider nicht. Wir haben zwei orientierende
Praktika im Bachelor à 3 Wochen; dann gibt es je noch
eins im Bachelor und im Master. Das heißt, man macht
insgesamt 12 Wochen Praktikum. Was meiner Meinung
nach viel zu wenig ist. Ich hätte gerne ein Praxissemester.
Unser Highlight im Studium ist … die Leute, die man
im Studium kennenlernt, die Lage der Universität in einer
Römerstadt und die Gemeinschaft der Studierenden
und Lehrenden.
B.: Für die Schule reicht es. Wobei ich feststellen musste,
dass diejenigen, die Griechisch im Zweitfach oder auch
Drittfach machen, fachlich besser sind – auch wenn es
darum geht, den SuS ein Allgemeinwissen zu vermitteln.
Das würde ich schon sagen. Ich fand es schade, dass
Griechisch quasi nur zweimal im Studium vorkommt,
deswegen mache ich es als Drittfach, auch weil es mir
Spaß macht.
Diese/-n DozentIn sollte man live erleben: Prof. Dr.
Stephan Busch und Apl. Prof. Dr. Luc Deitz, weil sie
beide es schaffen, ihre Leidenschaft für das Fach auch auf
ihre Studierenden zu übertragen.
J.: Ich überlege gerade, ob man auch Griechisch ohne
Latein machen könnte. Ich kenne nur eine, die studiert
nämlich Griechisch und Französisch. Sie musste einen
Kurs in Latein machen und fand das ganz schrecklich.
Im Sommersemester 2018 hat man im Themenbereich
Literatur- und Kulturgeschichte Petrarca lesen und
mehr über Platons Einfluss auf die Romantik erfahren
können. Außerdem gibt es Veranstaltungen zur
Landeskunde. Das bietet nicht jedes altphilologische
Seminar an. Wie steht Ihr dazu?
J.: Ich fand das super. Apl. Prof. Dr. Luc Deitz, der das
Petrarca-Seminar unterrichtet hat, hatte auch oft die
Original-Bücher mit, das war klasse. Das ist jemand,
der für das Fach lebt, und selbst wenn du kein Latein
studierst, würdest du nach dem Seminar sagen: „Das
muss ich lernen!“
Wie wir gesehen haben, hattet Ihr einen Dozenten
aus Oxford zu Gast; Guy Brindley (Oxford, Jesus
College) hat ein Tutorial zur griechischen Tragödie
nach Oxforder Vorbild angeboten. Gibt es solche
Angebote öfter und werden sie von den Studierenden
wahrgenommen?
J.: Da der Gastdozent im Bereich Griechisch gelehrt hat,
habe ich seinen Kurs nicht besuchen können.
Unsere Lieblingsanekdote: Ein Kommilitone von uns
hat im 1. Semester Prof. Dr. Busch gefragt, was fui heißt,
und dieser hat ihn daraufhin bis zum Master den „fuiJungen“ genannt.
B.: Ich fände es schon schön, wenn man ein bisschen
mehr von beidem hätte.
So viele von uns verschlägt es nicht zurück in die
Schule: Vielleicht 2%, die dann z. B. in der Forschung
oder als ÜbersetzerInnen arbeiten.
So viele von uns gehen mit ERASMUS und Co.
ins Ausland: Sehr wenige, aktuell sind zwei bekannt.
Standorte gibt es hingegen viele: Bologna und Arcavacata
in Italien, Nikosia auf Zypern, Poznan in Polen,
Thessaloniki in Griechenland.
Unser Seminar steht im Austausch mit den
Fachdisziplinen … Byzantinistik, Papyrologie,
Archäologie, Alte Geschichte und Germanistik.
An der Universität Trier kann man den B. Ed. in
Latinistik oder Gräzistik studieren oder man studiert
eine der beiden Disziplinen als Nebenfach im B. A.
Welche Vorteile hat es, sich schon im Bachelor mit
der Fachdidaktik auseinander zu setzen?
J.: Ich finde das sehr gut, denn wir wollen alle
LehrerInnen werden. Man bekommt ab dem 2.
Semester Methodenkenntnisse vermittelt. Wir haben
im ersten Semester ein Seminar namens Fachdidaktische
Lektüre, aber da steht noch mehr der Text und der Autor
im Vordergrund. Dort wird auch das ‚Grundmaterial‘
gefestigt, damit man z. B. in der Dichtung mit den
wichtigsten Bausteinen wie Metrik, Hyperbata,
Besonderheiten dichterischer Sprache etc. umzugehen
lernt. Die eigentliche Didaktik wird später von den
LehrerInnen in den anderen Didaktikveranstaltungen
vertieft. Diese kommen dann hier aus Trier und sitzen
damit ja direkt an der Quelle. Wenn die LehrerInnen
ein Seminar machen, merkt man das auch, allein an
den Medien, die genutzt werden: da gibt es dann nicht
nur den Text, sondern da wird dann auch mal eine
PPP gezeigt. Und wir arbeiten viel mit Fallbeispielen.
So kennen wir, wenn wir ins Praktikum gehen, schon
Methoden. Die Grammatik wird auch noch einmal
wiederholt; allerdings schülernah, also so, wie wir das
SuS beibringen. Da die Lehrenden immer LehrerInnen
aus Trier sind, bieten sie einem an, dass man an die
jeweilige Schule kommen kann – auch wenn man gerade
Das wünschen wir uns für unser Studium: Erfolg und
Motivation sowie bessere Transparenz im Studienverlauf.
Da wir dieses Mal persönlich vor Ort gewesen
sind, haben wir ein paar Zusatzfragen für Julia und
Benedikt vorbereitet:
Julia Schwarz und Benedikt Weber vom Fachschaftsrat der
Klassischen Philologie (FKP) in Trier stellen ihr Studium vor.
38
B.: Der Kurs war leider auf Englisch, daher konnte ich
das nicht machen.
J.: Wir haben öfter Gastvorträge und die Latinistik
bemüht sich auch viel um eigene Gastvorträge für
SeniorenstudentInnen. Ich glaube, das Problem ist,
dass man durch das Studium schon ausgelastet ist und
die Sachen, die man zusätzlich machen kann, darum
nicht wahrnimmt. In dem Fall des Gastdozenten hätte
ich die Veranstaltung besucht, wenn sie auf Deutsch
gewesen wäre oder wenn ich mir die Veranstaltung hätte
anrechnen lassen können. Wir hatten z. B. schon einmal
einen Gastdozenten aus Wien, der ein Vergil-Tutorium
angeboten hat, und da war ich auch immer. Das war gut.
Zum Seminar Römische Landeskunde: Dort wechselt
das Thema. Ich habe das in diesem Semester gemacht
und unser Thema war Totenkult. An sich finde ich es
gut, dass es diese Seminare gibt, weil man dann nicht
nur übersetzt, sondern auch mal etwas anderes lernt.
B.: Ich hatte im Bachelor Geometrisches Griechenland.
Das war eher für Archäologie-Studierende, wenn man da
ohne Vorkenntnis reingeht, ist das sehr, sehr trocken. Da
wäre eine Einführung gut.
Ihr studiert in der ehemaligen Augusta Treverorum.
Inwiefern bereichert das Euer Studium? Gibt es z. B.
Kooperationen mit Museen etc.?
J.: Einmal hatte ich ein Proseminar zu Nero und hier
im Museum gab es zeitgleich die Nero-Ausstellung.
Und das war richtig gut. Also wenn man das Thema im
Semester behandelt hat und dann ins Museum geht, hat
man einen viel größeren Bezug dazu. Die Ausstellung
war auch wunderschön gemacht.
J.: Die Einführung in die Antike Geschichte war super,
weil man da das lernt, was in den Seminaren fehlt.
Werden solche Kurse von der Latinistik angeboten?
J.: Die Kurse im Bachelor sind Kooperationen. Das
Erstellt von Julia Jennifer Beine und Joana Kadir
Quid novi? Antikerezeption in Film, Comics und
Videospielen
EINE KOLUMNE VON ARNOLD BÄRTSCHI
W
näher unter die Lupe nehmen, die aus den zahlreichen Publikationen der großen Comicverlage hervorsticht. Drittens soll ein kleiner Überblick zur
antiken Ausbeute der vergangenen Gesellschaftsspielemesse Spielʼ 18 Lust auf die eine oder andere
Partie machen, um kalte und dunkle Winterabende
zu vertreiben.
ie in der letzten Ausgabe angekündigt,
wollen wir dieses Mal zunächst einen
Blick auf die Videospiele-Landschaft der
letzten Jahrzehnte sowie aktuelle Entwicklungen werfen, die der Antike auf unabsehbare Zeit einen neuen
Stellenwert in diesem Medium verschaffen dürften.
Zweitens wollen wir eine Comic-Neuerscheinung
39
PANORAMA
PANORAMA
dafür ist Rome: Total War II (Creative Assembly. 2013
[PC / OS X / Linux]. Horsham, West Sussex, GB.
Sega), das in der zweiten Ausgabe dieser Kolumne
besprochen wurde. Zumeist sind diese Spiele historisch
ausgerichtet mit einem sorgfältigen Bestreben, die
antike Lebenswelt möglichst korrekt zu rekonstruieren,
und orientieren sich eng an historischen Ereignissen
wie den Perserkriegen, den Alexanderfeldzügen oder
den zahllosen Eroberungskampagnen der Römer.
Als Assassine unterwegs im antiken Ägypten und
Griechenland
Im Gegensatz zum Antikenfilm, der sich für unbestimmte Zeit im Winterschlaf befindet, zeichnen sich
am Horizont der Videospielneuerscheinungen Entwicklungen ab, die antiken Themen eine bislang nicht
erreichte Tiefe verleihen. Maßgeblich dafür verantwortlich ist das Bestreben, packende Narrative mit der Faszination an antiken Settings zu verbinden. Doch zunächst
ein kurzer Rückblick: Betrachtet man die Videospiele
der letzten Jahrzehnte, die einer antiken Thematik
gewidmet sind, so beschränkten sich diese überwiegend
auf drei Genres, nämlich Aufbauspiele, Strategiespiele
und Action-Rollenspiele.
Ebenso stark vertreten wie die antike Geschichte
ist auch die griechisch-römische Mythologie, die
überwiegend in Action-Rollenspielen herangezogen
wird – was würde sich für ein Schnetzel-Abenteuer
besser eignen als der schier unerschöpfliche Pool von
Monstern und Mischwesen? Geschickt verbunden
werden mythische Monster und Strategie im Spiel Age
of Mythology (Ensemble Studios. 2002 [PC]. Dallas,
US: Microsoft Game Studios / Mac Soft), das insofern
über andere Videospiele zur Antike hinausgeht, als
es in der Einzelspielerkampagne ein spannendes
neomythologisches Narrativ um den Atlantiker
Arkantos und seine Abenteuer im Anschluss an den
Trojanischen Krieg entspinnt.2
Im Zentrum von Aufbauspielen steht zumeist die wirtschaftliche und zivilisatorische Entwicklung einer antiken Siedlung bzw. Kultur von ihren Anfängen bis zu
ihrer größtmöglichen Blüte. Ein Publikumsliebling dieses Genres ist etwa die deutsche Spielereihe Die Siedler (Blue Byte. 1993–2010 [Amiga / MS-DOS / PC /
OS X / Nintendo DS]. Düsseldorf, DE. Ubisoft), die
in drei von sieben Haupttiteln in der Antike angesiedelt ist.1
In ähnlicher Weise belebte über ein Jahrzehnt lang
die Spieleserie God of War (SCE Santa Monica Studio.
2005–2013 [PS2 / PS Portable / PS3 / PS Vita / PS4].
Playa Vista, US: Sony Computer Entertainment) die
Videospiele-Landschaft und fesselte Spieler*innen trotz
ihrer Zugehörigkeit zum blutigen Action-Genre mit
In Strategiespielen wiederum geht es vornehmlich
darum, militärisch besonders hervorragenden
Kulturen wie Griechenland, Makedonien oder Rom
in Auseinandersetzung mit ihren Erzfeinden zum
Sieg zu verhelfen. Ein besonders prominentes Beispiel
Assassin’s Creed Odyssee zeigt Liebe fürs Detail und epische Bildgewalt.
40
einem komplexen Narrativ um den Spartaner Kratos.
In sieben Einzelinstallationen entspinnt sich eine
packende Handlung um den blutrünstigen Krieger, der
zuerst als gedungene Klinge der olympischen Götter
gezwungen wird, seine eigene Familie zu ermorden,
sich dann von seinen Zwingherren befreit und in einem
groß angelegten Rachefeldzug nicht nur eine zweite
Titanomachie entfacht, sondern auch eigenhändig das
gesamte olympische Pantheon vernichtet. Dabei werden
Spieler*innen durch eine detailreich ausgestaltete und
lebendige antike Welt geführt, in der sich Hopliten
genauso wie Legionen mythischer Mischwesen
tummelten. Obwohl sich die Geschichte im neuesten
Teil God of War (SCE Santa Monica Studio. 2018 [PS4].
Playa Vista, US: Sony Computer Entertainment) der
nordischen Mythologie zuwendet, lässt der Protagonist
Kratos seine antike Vergangenheit nicht vollständig
hinter sich – denn wie soll ein ehemaliger Kriegsgott
als abermaliger Witwer alleine seinen minderjährigen
Sohn Atreus erziehen, wenn Gewalt und Konflikt das
einzige Wissen darstellen, das er weitergeben kann?
Nicht umsonst hat die Neuerfindung der Reihe, die
diese emotional ausgestaltete familiäre Beziehung in
den Vordergrund rückt, einhellige Zustimmung bei
Spieler*innen wie Kritiker*innen gefunden.3
Verhalten ihrer Bewohner*innen gegenüber den Handlungen der Spieler*innen – man darf sich also nicht
wundern, wenn man im antiken Griechenland jemanden anrempelt und dafür ein herzhaftes μαλάκα! kassiert, das freilich eher modernem griechischen Sprachgebrauch entlehnt ist (tatsächlich gehört es zu den
Wörtern, die man im Spielverlauf mitunter am häufigsten vernimmt). Details wie diese und insgesamt über
30 Stunden eingesprochene Dialoge in Assassinʼs Creed:
Odyssey sorgen dafür, dass man sich tatsächlich fühlt,
als befinde man sich mitten im antiken Leben. Auf die
Spielewelt nimmt man als Spieler*in nicht nur durch
die Wahl bestimmter Gesprächsoptionen, sondern auch
durch die Ermordung dubioser Gestalten und zahllose
Kämpfe Einfluss. Die Eingangsszene, in der man sich
als Leonidas durch eine endlose Horde Perser metzelt,
lässt erkennen, inwiefern der Kultfilm 300 (R.: Zack
Snyder. US 200) auf das Kampfsystem dieses Spiels
spürbaren Einfluss hinterlassen hat. Kontrovers diskutiert wurde beim Erscheinen des Spiels denn auch die
Vielfalt an Tötungsarten, die Spieler*innen in Form
verschiedener Attacken zur Verfügung stehen, womit
an die seit jeher geführte Debatte um Gewaltverherrlichung in Videospielen angeknüpft wird. Dazu nur ein
grundsätzlicher Gedankenanstoß: Was kann man von
einem Spiel erwarten, dessen Hauptfigur als Assassin*in
angelegt ist?
Mit den neuesten beiden Installationen der Spielereihe
Assassinʼs Creed (Ubisoft Montreal. PC / OS X / PS3 /
Xbox 360 / Nintendo DS / Nintendo Wii U / PS Vita /
PS4 / Xbox One. Montreal, CA: Ubisoft) werden ebenfalls detailliert ausgestaltete Protagonist*innen ins Zentrum gerückt – der ägyptische Gesetzeshüter Bayek bzw.
wahlweise die Spartanerin Kassandra oder der Spartaner
Alexios, wobei der heutige technische Stand der Programmierung eine Lebendigkeit und Immersion in die
Handlung ermöglicht wie nie zuvor. Ihren Ausgangspunkt nahm die Spielereihe, die bekannt ist für ihre
detailgetreuen und sorgfältig recherchierten wie nachgebildeten historischen Settings, im dritten Kreuzzug.
Im Anschluss daran wurden in fortschreitender Chronologie Epochen wie die italienische Renaissance, die
Kolonialzeit, die französische, die industrielle und die
Oktoberrevolution behandelt. In den neuesten Titeln
Assassinʼs Creed: Origins (2017) und Assassinʼs Creed:
Odyssey (2018) wenden sich die Entwickler*innen erstmals der Antike zu und erzählen die Vorgeschichte des
titelgebenden Assassinenordens.4 Während die Handlung in Assassinʼs Creed: Origins im Ägypten zur Zeit
Kleopatras und Caesars angesiedelt ist, mischen sich
Spieler*innen in Assassinʼs Creed: Odyssey unmittelbar
in den Peloponnesischen Krieg ein. Dass beide Spiele
in enger Zusammenarbeit mit Klassischen Archäolog*innen, Historiker*innen und Ägyptolog*innen entstanden sind, beweisen nicht nur die von alltäglichem
Leben erfüllten antiken Siedlungen, sondern auch das
Ein Gegengewicht zu diesem kontroversen Aspekt bildet die sogenannte Discovery Tour, die als Zusatzangebot in Assassinʼs Creed: Origins implementiert wurde. In
diesem Modus, der für Bildungseinrichtungen auch als
separate Spieleversion vertrieben wird, werden Kämpfe
und Auftragsmorde komplett deaktiviert und stattdessen haben Spieler*innen die Möglichkeit, an Führungen durch die realistisch nachgebildete Spielewelt
teilzunehmen, in deren Rahmen antike Geschichte
und Kultur lebendig und unmittelbar greifbar werden und somit ein nachhaltiger Lernprozess angestoßen wird.5 Auch hieran fasziniert die Liebe zum Detail:
Wer möchte denn nicht gerne einmal durch genau diejenigen Schächte und Gänge der Pyramiden von Gizeh
klettern, die Archäolog*innen tatsächlich vorgefunden
haben? Ganz abgesehen davon, dass man im Anschluss
die Seitenwand der Pyramide hinuntersurfen kann…!
Alter Plunder
Weniger komisch als durch den Titel zu erwarten geht es
in der Graphic Novel Habt ihr wieder nur alten kaputten
Plunder gefunden? Ein gezeichnetes Grabungstagebuch des
Kunststudenten Jonas Fischer aus dem Verlag wbgTheiss
zu und her. Statt einfach eine Reihe von lächerlichen
Fehlinterpretationen durch einen Nichtarchäologen
zu präsentieren, wird mit detaillierten Schilderungen
41
PANORAMA
PANORAMA
Menschen vor Ort großer Raum gegeben, wobei durch
die Beschreibungen etwa der improvisierten Unterkünfte
der Abenteuercharakter der Unternehmung spürbar
wird, der einen ganz besonderen Zusammenhalt unter
den Grabungsteilnehmer*innen und ein spezifisches
Lebensgefühl der Angehörigen dieser wissenschaftlichen
Disziplin vermittelt.
und Zeichnungen der Grabungsalltag eines deutschmoldawischen Teams bei einer Ausgrabung der
bronzezeitlichen Siedlung Stolniceni nacherzählt,
wodurch nicht nur archäologische Arbeitsabläufe auch
für Unkundige plastisch greifbar gemacht werden.
Insbesondere die Schwierigkeit, anhand der zumeist
spärlichen oder rätselhaften Befunde (= Fundkontext)
und Funde (= Objekte) gesicherte Interpretationen
vorzunehmen, wird offen thematisiert und lässt
archäologische Denkprozesse transparent werden, die
bemerkenswerte detektivische Schlussfolgerungen und
weitreichende Hypothesen anhand weniger Indizien
und auf der Basis vergleichbarer Ausgrabungen
entwickeln. Neben archäologischem Handwerkszeug
werden auch die historischen Hintergründe der
Ausgrabung beleuchtet und die faszinierende TripoljeCucuteni-Kultur beleuchtet, deren Siedlungen sich an
Umfang und Einwohnerzahl selbst mit den zeitgleich
existierenden Metropolen Mesopotamiens messen
konnten, aus ungeklärten Gründen jedoch spätestens
nach wenigen Jahrhunderten der Besiedlung wieder
aufgegeben wurden. Vor diesem Hintergrund besteht
eines der zentralen Forschungsanliegen darin, die Frage
nach dem Grad an Urbanisierung zu bestimmen, den
diese Siedlungen erreichten.
Antike auf dem Wohnzimmertisch
Ähnlich wie im Bereich der Videospiele ist
auch die Mehrzahl der Gesellschaftsspiele von
Aufbaumechanismen
und
Strategie
geprägt
– ein Eindruck, der sich auch auf der letzten
Gesellschaftsspielemesse Spielʼ 2018 in Essen bestätigte.
Überraschend war jedoch die unglaubliche Fülle an
Neuerscheinungen, die einem antiken Thema oder
Setting gewidmet waren: Nicht weniger als 35 Titel
konnten aufmerksame Besucher*innen entdecken und
ausprobieren! Angesichts einer solchen Anzahl kann
hier nur ein erster Überblick mitsamt der Empfehlung
gegeben werden, sich die Spiele auf den Websites
der Spieleverlage und Spielevereinigungen genauer
anzuschauen.6
Los gehtʼs mit der kleinsten Gruppe, den beiden
Holzspielen Pyrami (Gerhards Spiel und Design) und
Rock Me Archimedes (Spin Master International), die
als Geschicklichkeits- und Denkspiele konzipiert
sind. Dicht folgen ihnen die Würfelspiele Atlandice
(Ludonaute), Dicium (Geek Attitude Games) und
Titan Dice (Eagle-Gryphoon Games), die vor allem die
Vorliebe für Wortspiele von Spielemacher*innen unter
Beweis stellen. Um reine Kartenspiele handelt es sich
bei Amun-Re: The Card Game (Super Meeple SAS),
mit dem das gleichnamige Brettspiel im Kartenformat
umgesetzt wird, dem Aufbauspiel Athens (Baccum Inc.),
Emporion (The Wood Games), in dem die griechische
Kolonisierung Hispaniens thematisiert wird, dem
überaus blutig gestalteten Gorus Maximus (Inside
Up Games), dem etwas familienfreundlicheren Ludi
Gladiatori (Gen X Games) und dem Monstergemetzel
Nessos (Iello).
Zu den Brettspielen zählen Atlantica (Piatnik) für
Schatzsucher*innen, Cerberus (La Boîte de Jeux) für
Freund*innen mythischer Monster, die Aufbauspiele
Forum Trajanum (Huch!) und Carpe Diem (Alea),
Concordia Venus (PD-Verlag), in dem Spieler*innen in
Zweierteams gegeneinander antreten, das strategische
Spiel Farao (Czech Board Games) und Gentes (Game
Brewer). Das monumentale Strategiespiel Lords of Hellas
(Awaken Realms) sticht durch seine außergewöhnliche
Mischung aus antikem Setting und futuristischer
Technik sowie die bis zu 120mm hohen Spielfiguren
Fischer, Jonas: Habt ihr wieder nur alten kaputten
Plunder gefunden? Ein gezeichnetes Grabungstagebuch von wbgTheiss.
Abgesehen von diesen fachwissenschaftlichen Inhalten
versucht der Autor jedoch in erster Linie, ein lebendiges
Bild des aus Wissenschaftler*innen und einheimischen
Grabungshelfer*innen zusammengewürfelten Teams zu
zeichnen. Ganz der jahrhundertealten Tradition von
Grabungstagebüchern folgend, wird der Kultur und den
42
aus der Menge hervor. Den Abschluss bilden die
Aufbauspiele Passing Through Petra (Renegade Games)
und Reise zu Osiris mit der Erweiterung Statthalter und
Gesandte (Schwerkraft Verlag) sowie das Glücksspiel Vae
Victis (2Tomatoes), in dem die Spieler*innen flüchtige
Allianzen eingehen.
setzt auf die Kooperation der Spieler*innen, um Herakles seine legendären Heldentaten überstehen zu lassen,
während in Trade on the Tigris (Tasty Minstrel Games)
jede*r Händler*in auf sich allein gestellt ist. Wer angesichts dieser Fülle noch nicht genügend Anregungen für
spannende Spielenachmittage erhalten hat, der muss
sich bis Oktober 2019 gedulden, wenn die Spielʼ 19
uns mit weiteren Neuheiten überrascht…
Die letzte und umfangreichste Kategorie umfasst die
Legespiele, die von Karten, Plättchen und diversen
Tokens Gebrauch machen, welche anstelle eines zentralen Spielbretts mit strategischem Geschick zusammengelegt werden. Die ständige Präsenz von 7 Wonders
Armada (Repos Production SPRL) wurde auf der Spielʼ 18
durch eine von Freiwilligen durch die Hallen getragene
Galeere sichergestellt. Atlantis: Island of Gods (Redimp
Games) lässt sich aus eigener Erfahrung als simples,
aber anspruchsvolles Strategiespiel empfehlen. Neben
den materialreichen Aufbauspielen City of Rome (Abacusspiele) und Civilization – Ein neues Zeitalter (Fantasy
Flight Games) nimmt sich das überschaubare Legespiel
Expedition Luxor (Queen Games) richtig bescheiden aus.
In Huns (La Boîte de Jeux) lenken Spieler*innen das
SchicKsal der Hunnen, in Imhotep – Das Duell (Kosmos), der für zwei Kontrahent*innen adaptierten Version des gleichnamigen Brettspiels, setzen sie geschickt
die Ressourcen Ägyptens für den Bau von Monumenten ein. Micropolis (Matagot SAS) lässt epische Kriege
von den ganz Kleinen bestreiten, indem Ameisen und
ihre Bauten in den Mittelpunkt dieses Aufbaustrategiespiels gestellt werden. Konventioneller präsentiert sich
das Spiel Minerva (Pandasaurus LLC), nicht nur dem
Namen nach erinnert das Legespiel Ominoes: Hieroglyphs (YAY Games) an den Spielearchetypen Domino.
Onus! Rome vs. Carthage mit den Erweiterungen Terrain
and Fortress und Greeks and Persians (Draco Ideas S.L.)
dagegen nimmt als episches Strategiespiel mit zahllosen Karten und Plättchen den gesamten Wohnzimmerboden ein. The Labours of Herakles (The Wood Games)
Haben Sie bestimmte Titel vermisst oder hätten Sie zu
einigen Neuerscheinungen gerne ausführlichere Besprechungen erhalten? Wünsche, Anregungen oder Ergänzungen zur Kolumne können Sie jederzeit gerne an arnold.
baertschi[at]rub.de senden, damit die Kolumne auch Ihre
Interessen abdeckt!
1
2
3
4
5
6
Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Siedler [letzter Zugriff am 07.01.2019].
Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Age_of_Mythology [letzter Zugriff am 07.01.2019].
Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/God_of_War_(2018_video_game) [letzter Zugriff am 07.01.2019].
Vgl.
https://en.wikipedia.org/wiki/Assassin%27s_Creed
[letzter Zugriff am 07.01.2019].
Vgl.
https://www.assassinscreed.de/ac_origins/dlc/discovery-entdeckungs-tour [letzter Zugriff am 07.01.2019].
Wenn im Folgenden die Spieleautor*innen unterschlagen
werden, so geschieht dies nicht aus Geringschätzung, sondern lediglich aus Platzgründen. Auch bei der Einteilung in
grundlegende Spielarten handelt es sich um eine praktikable Vereinfachung, um eine grobe Sortierung der Spiele zu
ermöglichen. Vgl. etwa die deutschen Websites www.brettspiele-report.de, www.cliquenabend.de, www.gesellschaftsspiele.de oder www.spielkult.de bzw. die englische Website
www.boardgamegeek.com [letzter Zugriff am 07.01.2019].
Antigone und Kreon im Hambacher Wald
Bodo Wartke über Antigone und ihre Relevanz für das 21. Jh.
EIN INTERVIEW VON JULIA JENNIFER BEINE
W
Wartke am Werk gewesen. Wie schon in seinem
Solotheater König Ödipus aus dem Jahr 2009 bringt
er seit 2018 auch Antigone ins 21. Jh. – mit zahlreichen Referenzen auf die Hoch-, Pop- und Jugendkultur und das in feinster Reimkultur. 2016 hat
Wartke Nexus einen Einblick gegeben, warum und
enn Ödipus und Teiresias als Blues Brothers im Auftrag des Herrn gen Athen
ziehen, Kreon und sein Sohn Haimon
sich auf Cajóns ein Rap-Battle liefern und eine plüschige Handpuppe als antikes Monster über die
Bühne jagt, dann ist mit ziemlicher Sicherheit Bodo
43
PANORAMA
PANORAMA
Grunde um etwas anderes, als es mir geht, und das
war das Schwierigste, das erst einmal herauszufinden:
Was will ich eigentlich erzählen und wo können mir
die anderen Autoren Hilfestellung leisten und wo ist es
wichtig, mich von ihnen abzugrenzen?
wie er mit antiken Stoffen wie König Ödipus arbeitet
und erste Ideen für seine Antigone vorgestellt (Ausgabe 3, S. 18–22). Zwei Jahre später, am 20.09.2018,
gibt Bodo Wartke Nexus erneut ein Interview. Seine
Antigone hat vor 5 Monaten Premiere gefeiert, an
diesem Abend spielt er in Marl. Welche Ideen hat er
umgesetzt? Was kann Antigone heute leisten und wie
geht es nach dem Ende der Geschichte um Ödipus
und Antigone nun weiter?
III. Mit dieser Kombination ergeben sich noch
mehr Figuren als in König Ödipus; nicht jede/-r im
Publikum kennt den Stoff. Wie machst du deine
ZuschauerInnen in kurzer Zeit mit den vielen
Figuren vertraut?
I. Bei König Ödipus hat es ca. 15 Jahre von der
Idee bis zur Uraufführung gebraucht, die Arbeit an
Antigone hast du 2016 begonnen, schon dieses Jahr
hat die Premiere stattgefunden. Warum ging das im
Vergleich so schnell?
König Ödipus fassen wir zu Beginn des Stücks in Liedform zusammen, also da spielen wir ein Songmedley aus
allen Liedern aus Ödipus und stellen alle Figuren vor
beziehungsweise das, was man wissen muss, um Antigone verstehen zu können: Warum ist Ödipus blind,
warum ist er im Exil, was ist da los? Denn tatsächlich
tauchen ja viele Charaktere aus Ödipus in beiden Dramen auf. Und mir steht natürlich dieses Mal meine
Duett- und Bühnenpartnerin Melanie Haupt zur Seite,
sodass ich nicht alle Rollen alleine spielen muss.
Weil ich mir diesmal eine klare Deadline gesetzt habe,
das habe ich damals [bei König Ödipus] nicht gemacht.
Da hatte ich Zeit, nach und nach Szene um Szene fertig
zu schreiben – ich war ja auch beschäftigt mit meinem
Klavierkabarettprogramm – und irgendwann war das
Stück [i. e. König Ödipus] dann fertig. Bei Antigone war
klar: Dann und dann würden wir das gerne rausbringen
und da musste ich mich ranhalten.
II. Bist du dabei geblieben, Sophokles’ Antigone,
Ödipus auf Kolonos und Jean Anouilhs Antigone von
1942 zu verarbeiten und so die Geschichte von Ödipus’ Exil über die Sieben gegen Theben bis hin zum
tragischen Ende von Antigone, Haimon und Eurydike zu erzählen?
KREON:
Sie hat sich vor allem durch ihr Spiel miteinbringen
können. Der Wächter beispielsweise ist eine zentrale
Rolle, der von dem her, was er sagt, gar nicht unbedingt
so lustig ist, aber durch die Art und Weise, wie Melanie
ihn spielt, ist der Charakter einfach saukomisch.
VI. Zu den Rollen gleich eine Frage: Wie genau habt
ihr entschieden, wer welche Rolle übernimmt? Gibt
es auch Rollen, die ihr beide spielt, oder ist eine Rolle immer fest an eine/-n von euch gebunden?
Was an den anderen Inszenierungen von Sophokles und
von Anouilh nicht so zeitgemäß und nicht so interessant ist, ist das Folgende: Bei Sophokles pocht Kreon ja
sehr darauf, dass die Männer im Staat ja schließlich die
Ich teile mir mit Melanie schon sehr lange die Bühne,
tatsächlich schon seit fast 20 Jahren [seit 1999]. Es
entstehen momentan nach und nach auch ganz viele
musikalische Duette [von uns] und es lag einfach nahe,
sie dafür [i. e. Antigone] auch zu fragen, weil ich sie für
eine ganz grandiose Schauspielerin halte.
Ja. Im Original spricht man ja von der thebanischen
Trilogie, also König Ödipus, Ödipus auf Kolonos und
Antigone – die Sophokles witzigerweise nicht in dieser
chronologischen Reihenfolge geschrieben hat. Nun ist
allerdings Antigone ein Stück, für das die Geschehnisse
aus Ödipus auf Kolonos wichtig sind. Deswegen wollte
ich sie eben auch gerne zeigen. Aber das Stück Ödipus
auf Kolonos hängt ein bisschen in der Luft; da wird
einfach sehr viel gelabert zwischen Staatsmännern,
zwischen Ödipus und Theseus, das Ende ist tatsächlich
ein bisschen langweilig: Ödipus stirbt, nachdem er
seinen Frieden gemacht hat – inwieweit er ihn wirklich
gemacht hat, ist die nächste Frage; er trennt sich ja
von seinem Sohn Polyneikes und auch von Kreon im
Unfrieden. Das ist ein Stück, da möchte man eigentlich
wissen: Wie geht es jetzt weiter? Das ist ein bisschen
wie Das Imperium schlägt zurück und ich habe mich
entschieden, Das Imperium schlägt zurück und Die
Rückkehr der Jedi-Ritter an einem Abend zu erzählen.
Dabei habe ich mich tatsächlich auch von Jean Anouilh
inspirieren lassen. Aber ich finde Antigone so, wie
sowohl Sophokles als auch Anouilh sie anlegen, heute
nicht mehr zeitgemäß. In beiden Stücken geht es im
In König Ödipus wird ein guter Herrscher gezeichnet, der
unwissend ein schlimmes Schicksal erfüllt. In Antigone
haben wir dagegen Kreon, der zusehends tyrannische
Züge zeigt, indem er auf einem menschlichen, von ihm
erlassenen Gesetz beharrt. Wie war es für dich, diese
zwei so unterschiedlichen Herrschertypen darzustellen
und ein Stück weit in die heutige Zeit zu bringen?
Kreon ist eine der wenigen Figuren, die in allen drei
Dramen der thebanischen Trilogie auftaucht, und in
allen drei Stücke übernimmt er eine ziemlich wichtige
Rolle, ist aber jedes Mal ein komplett anderer – gerade,
wenn man die Stücke im Verlauf liest, erkennt man
Kreon eigentlich nicht wieder. Also im ersten Stück,
König Ödipus, ist Kreon derjenige, der hinter den Kulissen den Laden zusammenhält, in Ödipus auf Kolonos
ist er ein Opportunist und in Antigone ein Tyrann. Das
passt alles nicht zusammen. Da eine Entwicklung reinzuschreiben, die das nachvollziehbar macht – warum
Kreon derjenige ist beziehungsweise derjenige wird, der
er in Antigone ist, – das war eine ganz große Herausforderung, vor der ich stand. Und tatsächlich ist Kreon
ja König wider Willen: Er war früher schon zwischendurch König, wollte das aber immer nie sein, und jetzt,
wo alle anderen männlichen Thronfolger tot sind, bleibt
ihm nichts anderes übrig: er muss in den sauren Apfel
beißen und versucht, dieses Amt nach bestem Wissen
und Gewissen auszuüben. Das bedeutet für ihn, sich
an die Gesetze zu halten – auch an sein eigenes Gesetz,
das er erlässt. Er erlässt dieses Gesetz, dass Polyneikes
nicht begraben werden darf, in allerbester Absicht, weil
er glaubt, dass das Volk das von ihm erwartet, und ausgerechnet seine eigene Nichte begehrt dagegen auf. Er
steckt wirklich in einem Dilemma und wird auch vom
Schicksal mehrfach heimgesucht: Menoikeus, einer seiner Söhne, stirbt im Kampf um Theben und in einer
Sagenüberlieferung um Ödipus ist es sogar so, dass ein
zweiter Sohn von der Sphinx gefressen wird, als sie die
Stadt [i. e. Theben] belagert. Kreon hat es also echt
nicht leicht.
IV. Dazu auch die nächste Frage: Als wir 2016 mit
dir über die Vorbereitungen zu Antigone gesprochen
haben, ist noch nicht ersichtlich gewesen, dass du
statt eines Solotheaters wie bei König Ödipus eine
Spielpartnerin miteinbinden würdest. Wie ist es
dazu gekommen?
V. Du hast wie schon bei König Ödipus die Bühnenfassung mit der Dramaturgin Carmen Kalisch
und dem Regisseur Sven Schütze erarbeitet; Melanie
Haupt war also nicht am Dichten beteiligt. Hattest
du sie damals schon für bestimmte Passagen im Sinn
und hat sie sich eventuell mit eigenen Ideen doch
noch in den Text einbringen können?
Chefs seien und die Frauen nicht so viel zu sagen hätten.
Da denke ich, aus diesen Zeiten sind wir zum Glück
inzwischen raus, und das ist auch nicht das, worum es
geht. Bei Anouilh kann man ab einem gewissen Punkt
Antigone nicht mehr ernstnehmen. Also da benimmt
sie sich in einer Art und Weise, wo man denkt: Sag mal,
was ist los mit der? Das führt für mich beides weg vom
Thema, das ja an und für sich total spannend ist. Ich
habe versucht, zwei Charaktere zu schaffen, die man
beide ernstnehmen kann, die man beide verstehen und
nachvollziehen kann, die man beide in ihrem Dilemma
begreift, und da wird es dann eben interessant: Dass da
im Grunde zwei Leute aufeinanderprallen, mit denen
man sich jeweils auch identifizieren kann.
[…]
__________________________________________
Also bestimmte Dinge waren mir klar: dass es einfach
sinnvoll ist, dass ich Kreon spiele und Melanie Antigone.
Zuerst war es vorgesehen oder zumindest eine Idee von
mir, dass Melanie Teiresias spielt, aber dann hat sich
herausgestellt, dass diese Rolle seit König Ödipus doch
sehr mit mir verwachsen ist und dass es besser ist, wenn
ich ihn spiele. Vieles haben wir durch Ausprobieren
herausgefunden, z. B. auch, dass Melanie den Wächter
spielt – ich dachte erst, dass ich ihn spielen würde. […]
ANTIGONE:
KREON:
ANTIGONE:
KREON:
ANTIGONE:
KREON:
ANTIGONE:
KREON:
ANTIGONE:
KREON:
ANTIGONE:
Ob er nun hier oder im Hades durch die
Gegend streunt,
der Feind wird nie, auch nicht im Tod, zum
Freund!
Polyneikes war durchtrieben! Und das
erheblich!
Nicht, um den Feind zu hassen, nein, den
Freund zu lieben, leb’ ich!
Was bist du nur so anti, Antigóne?
Antígoné.
Im Altgriechischen betont man deinen
Namen auf dem „o“!
Das ist mir egal.
Man sagt es aber so!
Du sagst es so. Ich tue es nicht.
Und warum nicht?
Weil ich finde, dass es mir so nicht entspricht.
Weil es dir so nicht entspricht!?
Es heißt Antigóne, nicht Antígoné.
Man sagt auch Antilópe, nicht Antílopé.
Wenn hier jeder täte, wonach ihm grad der
Sinn steht,
nach eigenem Gutdünken,
was glaubst du, wo’s mit dieser Stadt am
Ende hingeht?!
Sie würde im Chaos versinken!
Dann brauchst du wohl ein Volk, das sich
gar nie beklagt
und zu allem brav Ja und Amen sagt.
Doch ich passe nun mal nicht in deine
Schablone.
Und mein Name ist Antígoné, nicht
Antigóne!1
__________________________________________
44
VII. Im Gegensatz zu den sich erfüllenden
Orakelsprüchen in König Ödipus scheint in Antigone
eine Alternative zu dem tragischen Ende möglich zu
45
PANORAMA
PANORAMA
„Ich bin der König. Der Leichnam von Polyneikes wird
nicht bestattet.“ Es ist trotzdem das Falsche. Und in
beiden Fällen braucht es Leute, die zivilen Ungehorsam
dagegen leisten.2
sein, wenn Kreon nur nachgeben würde. Erst, als er
Antigones Strafe beschlossen hat, prophezeit ihm
Teiresias die Konsequenzen seiner Entscheidung. Bei
dem modernen Dramatiker Anouilh hingegen wird
die Tragödie als zuverlässiges Uhrwerk bestimmt:
Jede Rolle läuft auf ihr Ende zu, egal, was die Figuren
unternehmen, egal, was sie eigentlich wollen. Was
zeigst du? Ein zuverlässiges und sichtbares tragisches
Uhrwerk oder ein teils hoffnungsvolles Stück?
Ein interessanter Vergleich …
VIII. Jean Anouilh hat die Geschichte auf seine ganz
eigene Art erzählt, mit Familienkonflikten wie einer
Konkurrenzsituation zwischen den Schwestern,
Sauftouren der Brüder und Mordanschlägen der
Brüder auf ihren Vater Ödipus. Welche dieser
Anouilh’schen Konflikte hast du aus welchem Grund
übernommen?
Weder noch würde ich sagen. Also mir ist es wichtig, zu
zeigen, wo das durchaus noch sein könnte, dass Antigone gerettet wird, dass ihr Tod eben nicht von Vorneherein feststeht. Aber unabhängig davon, wie es ausgeht,
sind die Prinzipien interessant, für die beide Antagonisten/Protagonisten stehen, nämlich Kreon für Recht
und Gesetz und Antigone für zivilen Ungehorsam. Nun
hat Anouilh seine Antigone 1942 geschrieben, also zu
der Zeit, als Frankreich von den Nazis besetzt war, und
der Mythos wurde auf die Zeit umgedeutet – ein Vergleich, der aber nur teilweise funktioniert. So nach dem
Motto: Antigone ist die Résistance und Kreon steht für
das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime. Aber
der Vergleich hinkt. Man kann nachvollziehen, dass
Anouilhs Antigone in dem Kontext der Geschichte ein
revolutionäres Stück war und man dachte: Ja Mann,
genau so! Aber eigentlich passt es nicht.
[…] Was ich spannend finde, ist ein Aspekt, den
Anouilh ganz deutlich hereinbringt: klar zu machen,
dass von Polyneikes und Eteokles keiner besser war als
der andere. Also je nach Überlieferung – da gibt es ja
unterschiedliche – denkt man immer: Ja, ja; der Sohn,
der der die Stadt verteidigt, das ist der Gute und der,
der sie angreift, ist der Böse. So einfach ist es eben nicht;
Polyneikes wird von Eteokles verraten. Auch da war es
mir wichtig, dass man beide total nachvollziehen kann.
[…]
IX. Stichwort Familie: Was passiert eigentlich mit
deinem Ödipus? Greifst du die Darstellung seines
Lebensendes aus Ödipus auf Kolonos auf?
Ich jedoch finde bestimmte Parallelen zur heutigen Zeit
total naheliegend und ziehe sie auch. Ich gehe sogar
soweit, dass ich sie nenne. Ich wurde vor ein paar Tagen
gefragt: Wenn Antigone heute leben würde, was würde
sie sagen? Und das erste, das mir einfiel, war: „Rettet
den Hambacher Wald!“ Denn der Wald gehört RWE
– laut einem Vertrag, der vor 40 Jahren geschlossen
wurde. Das heißt, RWE ist laut Gesetz im Recht,
diesen Wald für den Braunkohleabbau abzuholzen.
Es ist aber trotzdem das Falsche. Und bei Kreon und
Antigone ist es genauso: Kreon ist im Recht, zu sagen:
Die gibt es bei uns auch.
X. Also verabschiedest du ihn gewissermaßen von
deiner Bühne?
Ja, mit Style natürlich – so, wie man das von [meinem]
Ödipus kennt. Er verabschiedet sich standesgemäß …
Ich möchte nicht zu viel verraten.
In ihren Positionen unversöhnlich:
Antigone (Melanie Haupt) und Kreon (Bodo Wartke).
Polyneikes und Eteokles im Kampf um Theben.
Mal sehen … man kennt das ja so von Superheldenfilmen,
dass nach dem Abspann, wenn die ganze Schrift
durchgelaufen ist, dann ganz oft so eine zusätzliche
kleine Szene kommt, die auf den nächsten Teil oder auf
den nächsten Film aus dem Kosmos hindeutet. So etwas
haben wir auch vor; das haben wir nur noch nicht fertig
geprobt. Da wird es früher oder später wahrscheinlich
noch einen Cliffhanger geben, aber da möchte ich nicht
zu viel verraten.
__________________________________________
ÖDIPUS:
Wenn ich schon hinabfahr in den Hades
auf dieser letzten Etappe meines Pfades,
dann mit Style, wie es meine Art is’,
weil Oedipus Rex auch jetzt noch am Start
is’!3
…
__________________________________________
Dann lassen wir uns einmal überraschen und danken
für das Interview!
XI. Ist Kreon nach dieser intensiven Auseinandersetzung immer noch nicht nur eine Schlüsselfigur,
sondern auch eine Lieblingsfigur von dir wie 2016?
Wer Lust bekommen hat, sich Bodo Wartkes Antigone anzuKreon ist wirklich eine ganz zentrale, eine echte
schauen, sollte sich folgende Termine im Kalender anstreiSchlüsselfigur in König Ödipus. Nun ist er hier, in
chen: 10.05.2019 Gelsenkirchen, 13.06.2019 Wuppertal,
Antigone, die Hauptfigur. […] Aber wer ist denn meine
16.10.2019 Essen, 17.10.2019 Recklinghausen.
Lieblingsfigur? Mal überlegen ... wahrscheinlich der
Im April 2019 wird Antigone voraussichtlich im StadttheMinotauros. Also der Minotauros wird von einem Schaf
ater Fürth aufgezeichnet. Die Bühnenfassung gibt es jetzt
gespielt und das ist aus der Not heraus geboren. Denn
schon als Buch:
wir wollten die Szene – das war die erste, die fertig war
ANTIGONE. Nach dem antiken Drama von Sophokles.
– in einem kleinen Theater in Berlin spielen und die
Textdichtung von Bodo Wartke. Konzeption von Carmen
Puppe war nicht da. Wir hatten eigentlich so eine BisonKalisch, Sven Schütze, Bodo Wartke. Mit einem Glossar
Handpuppe, die auch als Stier durchgehen konnte.
von Til Tessin. Hamburg: Reinkultur GmbH & Co. KG
Und als sie weg war, habe ich im Spielwarengeschäft bei
2018. 14,90€.
mir um die Ecke diese Schaf-Handpuppe gesehen und
dachte: Ehe wir die Nummer gar nicht spielen, kaufe
Weitere Informationen und Updates gibt es hier: www.
ich jetzt diese Schaf-Handpuppe. Wir spielen eben mit
antigone.de.
diesem Schaf und gehen irgendwie damit um, dass der
Minotauros jetzt ein Schaf ist. Daraus ist eine Reihe
von richtig tollen Gags
Zum Taktschlag des Paso Doble España cañí
1 ANTIGONE. Nach dem antiken Drama von
entstanden. Es ist uns
treffen der furchteinflößende Minotauros
Sophokles. Textdichtung von Bodo Wartke.
gelungen, aus der Not (Lucy das Schaf ) und Theseus (Melanie Haupt) Konzeption von Carmen Kalisch, Sven Schütze,
eine Tugend zu machen.
aufeinander.
Bodo Wartke. Mit einem Glossar von Til Tessin.
Dadurch, dass es an der
Hamburg: Reinkultur GmbH & Co. KG 2018. S.
Stelle nicht perfekt ist
53.
und nicht richtig, wird
2 Einen Tag nach unserem Interview hat Bodo Wartke
es gerade erst interessant.
ein Lied veröffentlicht, in dem er Stellung zum Streit
um den Hambacher Wald bezieht: Bodo Wartke:
Bodo Wartke - Hambacher Wald. 21.09.2018.
https://www.youtube.com/watch?v=tTKcnlp0x_Y
(zuletzt abgerufen am 23.11.2018).
3 ANTIGONE. Nach dem antiken Drama von
Sophokles. Textdichtung von Bodo Wartke. Konzeption von Carmen Kalisch, Sven Schütze, Bodo Wartke. Mit einem Glossar von Til Tessin. Hamburg:
Reinkultur GmbH & Co. KG 2018. S. 40.
4 Bodo Wartke: Bodo Wartke - Antigone Teaser Nr.
1 - Ödipus trifft Theseus. 20.03.2018. https://www.
(zuletzt
youtube.com/watch?v=FW5xvKmzwdg
abgerufen am 20.11.2018).
Da haben wir auch ein
interessantes YouTubeVideo mit Melanie
und dem Schaf oder
viel mehr mit Theseus
und dem Minotaurus
gesehen.4
XII. Mit Antigone hast
du den thebanischen
Sagenkreis
gewissermaßen zu Ende erzählt.
Ist das Kapitel Antikenrezeption damit für
dich geschlossen?
46
47
PANORAMA
PANORAMA
Troja, Kronen und Motels
Die Sonderausstellung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ im
LWL-Museum für Archäologie in Herne
EINE AUSSTELLUNGSKRITIK VON ANTONIA ANSTATT
F
anschaulich gemacht: Wie Howard Carson wird der
Besucher in das mysteriöse „Zimmer 26“ geführt, die
einzige ungestörte Grabkammer der Anlage. Dort findet er zwei Skelette und allerhand faszinierende Dinge:
Von Glühbirnen über Colaflaschen bis zu einem Fernseher – Carson stellt bei allem einen Bezug zu den vermeintlichen Götterkulten der Yankees her. Das Allerheiligste glaubt er, im angrenzenden Badezimmer gefunden
zu haben – und macht ein Foto seiner Frau, wie sie sich
mit den kostbarsten der Grabbeigaben schmückt: Zahnbürsten als Ohrgehänge, ein Toilettensitz als Brust- und
Kopfschmuck und ein Badewannenstöpsel als Halskette. Spätestens jetzt fällt auf: Macaulays Geschichte
ist nicht so weit hergeholt, wie es zunächst scheinen
mag, sondern stützt sich auf verschiedene Aspekte der
berühmtesten archäologischen Funde der Menschheit.
Nicht alle von denen waren aber das, wofür sie zunächst
gehalten wurden: Wie eine Toilette nicht der Zugang
zur Unterwelt ist und ein Samsung-Fernseher nicht
der Kontaktaufnahme mit dem Gott „Sam“ dient, so
ist der Goldschmuck, den Sophia Schliemann auf dem
berühmt gewordenen Porträtfoto von sich trägt, nicht
der legendäre Schmuck des Priamos.
ür fünfeinhalb Monate, vom 23. März bis zum
9. September 2018, fand die Sonderausstellung „Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“ im LWL-Museum für Archäologie in Herne
statt. Am 19. Mai besuchten wir die Ausstellung
mit dem Kurs „Vermittlung antiker Inhalte in Wissenschafts- und Kulturjournalismus“. Wir erhielten
eine Führung der Archäologin und Leiterin des Fördervereins des Museums Ruth Pingel, die uns nicht
nur in die inhaltlichen, sondern auch in die gestalterischen Hintergründe der sorgfältig durchdachten
Ausstellung einführte.
Der Aufbau des Museums ist denkbar einfach: Durch
den Eingang hindurch und eine Treppe hinunter gelangt
man in die geräumige Eingangshalle mit Kasse, Schließfächern und Museumsshop. Am Ende des Raumes geht
es geradeaus in ein kleines Kino, in dem unterstützende
Filme zu aktuellen Ausstellungen gezeigt werden. Nach
links geht es in die fest installierte Dauer-, nach rechts
in die regelmäßig wechselnde Sonderausstellung. Beide
sind in jeweils einer großen Halle untergebracht, in der
durch geschickt platzierte Raumtrenner, Fußwege und
„Informationswürfel“ ein schlüssiges museumspädagogisches Konzept umgesetzt wird. Besonders die aktuellste Sonderausstellung glänzte durch ihren zum Thema
passenden Aufbau.
Und damit wurde der Besucher der Ausstellung dort
abgeholt, wo er sich auskennt, und elegant und amüsant
in das Thema der Ausstellung eingeführt. Nach Verlassen
des nachgestellten Grabkammern-Badezimmers stand
er in einer großen Halle, in der einzeln verstreute,
begehbare, rechteckige Räume von unterschiedlicher
Größe aufgebaut waren. Manche davon waren durch
gespannten Stoff kenntlich gemacht, andere hatten
solide, schwarze Wände. Natürlich hatte das einen
Sinn, wie uns Frau Pingel erklärte: In den Räumen
mit Stoffwänden wurden Irrtümer der Archäologie
vorgestellt, innerhalb der soliden Wände dagegen
bewusste Fälschungen. Bei den präsentierten Beispielen
handelte es sich dabei um exemplarische Fallstudien, die
in keiner besonderen Reihenfolge im Ausstellungsraum
angeordnet waren. Die Mischung war sehr bunt und
durch alle Epochen hindurch, wobei der Fokus natürlich
auf archäologischen Irrtümern und Fälschungen lag.
Bevor der/die BesucherIn allerdings die vorgestellten
Irrtümer und Fälschungen der Archäologie bestaunen
konnte, gab es zunächst eine amüsante und ungewöhnliche Einführung: Die BesucherInnen wurden durch
Zeichnungen und kurze Texte über den Archäologen
Howard Carson informiert, der im Jahr 4022, 2000
Jahre nach dem Untergang der Zivilisation der „Yankees“, eine sensationelle Entdeckung macht: Auf dem
Gebiet der heutigen USA fällt er in ein Loch und stößt
so durch Zufall auf etwas, das er für eine Grabanlage
der Yankees hält – das „Motel der Mysterien“. So heißt
eine 1979 erschienene Graphic Novel des US-amerikanischen Autoren und Grafikers David Macaulay,
der mit seinem fiktiven Archäologen Howard Carson
einen interessanten Blick auf das Leben zu Beginn des
21. Jahrhunderts ermöglicht. In Zusammenarbeit mit
dem Autor, der dafür eine Woche in Herne verbrachte,
wurde die Entdeckung Carsons im Archäologiemuseum
So beschäftigte sich etwa der erste Irrtums-Raum, den
wir genauer betrachteten, mit dem „Schreibset“ des
merowingischen Königs Childerich: Es wurde in einem
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einer der verblüffendsten und am wenigsten in dem
Bewusstsein der Öffentlichkeit verankerten Irrtümer
der klassischen Archäologie dargestellt wurde: die Farbigkeit klassischer Statuen. Sah man in den Raum hinein, standen zunächst vor einer Trennwand eine Reihe
klassischer weißer Statuen. Ging man aber um diese
Trennwand herum, standen auf ihrer anderen Seite
mehrere farbige Statuen verschiedener Größe. Anhand
dieser wurden verschiedene Farbmuster sowie die Entwicklung der Farbgebung in der griechischen und römischen Antike dargestellt. Gleichzeitig wurde angesichts
der geradezu schrillen und für uns eher unangenehmen
Farben auch verständlich gemacht, warum sich bis heute
in der Öffentlichkeit der Mythos hält, antike Statuen
seien weiß gewesen. Begleitet wurden die Statuen von
Tafeln, die anhand von Texten und Abbildungen erklärten, wie man auf die ursprüngliche Farbgebung schließen könne, wie verschiedene Farben ausgesehen haben
könnten und wie sich der Farbgeschmack im Laufe der
Antike verändert habe.
1653 in Belgien ausgegrabenen Grab entdeckt – nur
dass sich später herausstellte, dass es sich bei den kleinen goldenen Instrumenten um Verzierungen eines
Schwertes und eine Fibel zum Zusammenhalten eines
Umhangs handelte. Noch amüsanter war der Irrtum,
der in Xanten begangen wurde, nachdem dort 1838 ein
angebliches Fürstengrab ausgegraben worden war: Zu
Beginn wunderten die Entdecker des Grabes sich noch,
warum der gewölbte Bügel einer dort entdeckten Krone
beweglich war. Bald darauf stellte sich heraus, dass es
sich mitnichten um eine Krone handelte, sondern vielmehr um die gezackten Beschläge am oberen Rand eines
Holzeimers – der angebliche „Bügel“ war der Henkel
des Eimers.1
Die meisten anderen Beispiele für Irrtümer in der Ausstellung stammten allerdings aus der Antike und nicht
aus mittelalterlichen Königsgräbern. Das wohl prominenteste drehte sich um Heinrich Schliemann, der
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts glaubte,
Troja entdeckt zu haben, in Wahrheit aber eine deutlich ältere Siedlung ausgegraben hatte. Diesem Irrtum
war einer der größten Räume aus Stoff gewidmet, in
dem die Hintergründe Schliemanns und Trojas vorgestellt und die „Entdeckung“ Trojas durch Schliemann
sowie seine Methoden und Ergebnisse nachvollzogen
wurden. – Hier begegnete dem/der BesucherIn auch
das Porträt von Schliemanns Ehefrau mit dem angeblichen „Schmuck des Priamos“ wieder. Außerdem war
hier das wertvollste Exponat der ganzen Ausstellung
zu finden: Während die meisten Exponate Kopien und
Nachbildungen waren, stand in diesem Raum eine Originalbüste von Homer. Nicht zu kurz kamen aber auch
die wissenschaftlichen Methoden, mit denen schließlich Schliemanns Irrtum nachgewiesen werden konnte,
ebenso wie die Erkenntnisse, die mittlerweile darüber
gewonnen wurden.
Die dargestellten Beispiele für Fälschungen waren nicht
minder spektakulär – oder im Nachhinein unfreiwillig
komisch – als die Irrtümer: Das markanteste Beispiel der
Ausstellung war zweifellos die „Tiara des Saitaphernes“.
Bei dieser kronenartigen Haube aus Gold handelte
es sich angeblich um ein antikes Kunstwerk von
unglaublich feiner Bearbeitung. Aber erst nachdem der
Pariser Louvre die Tiara Ende des 19. Jahrhunderts für
ganze 200 000 Francs gekauft hatte, stellte sich heraus,
dass das „antike“ Kunstwerk in Wahrheit von einem
zeitgenössischen Ukrainer Goldschmied stammte.
Neben dieser Fälschung fanden sich in der Ausstellung
auch andere Beispiele dafür, wie scheinbar archäologisch wertvolle Stücke für Geldmacherei benutzt worden waren: Seien es zwei angebliche ägyptische Skarabäen oder massenhaft „römische Figuren“, die der
Mauerer Johann Michael Kaufmann in der Mitte des
19. Jahrhunderts vorgab, bei Rheinzabern ausgegraben
zu haben – alle präsentierten Fälschungen zielten darauf ab, die Stücke für einen hohen Preis verkaufen zu
können.
Das zeichnete überhaupt die ganze Ausstellung aus:
Sowohl Irrtümer als auch Fälschungen waren mit zahlreichen Hintergrundinformationen ausgestattet. Vor
allem bei den Irrtümern wurde darauf eingegangen, wie
der Fehler zustande gekommen und entdeckt worden
war und was der nun korrigierte aktuelle Forschungsstand ist. Das Ganze wurde auch räumlich unterstützt:
In jedem der „Irrtums-Räume“ sah man zunächst das,
was die jeweiligen Entdecker zunächst angenommen
hatten. Es wurde plausibel gemacht und Verständnis dafür geweckt, wie die falsche Meinung zustande
gekommen war. Erst, wenn man um eine Wand herumging, sich umdrehte oder eine an einem Tisch
angebrachte Klappe öffnete, wurde die revidierte Forschungsmeinung anhand von Grafiken oder Bildern
anschaulich dargestellt. Besonders deutlich wurde dieses Konzept in einem weiteren Raum aus Stoff, in dem
Etwas aus der Reihe fiel dagegen ein Raum, der sich
gefälschten mittelalterlichen Klosterurkunden widmete.
Das passte deshalb nicht ganz zu den anderen Themen,
weil es sich erstens nicht um archäologische Funde handelte und die Urkunden zweitens schon im Mittelalter,
also verhältnismäßig kurz nach ihrer angeblichen Entstehungszeit, gefälscht worden waren. Drittens sollten
sie dem Fälscher nicht durch ihren angeblichen historischen Wert Gewinn bringen, sondern wurden durch die
Klöster aktiv genutzt, um sich selber Privilegien zuzuschreiben oder Rechte zu sichern.
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PANORAMA
PANORAMA
Die gefälschten mittelalterlichen Klosterurkunden
waren zwar sehr interessant und wie alles andere auch
sehr informativ und anschaulich dargestellt, aber sie
zeigten auch ein strukturelles Problem der Ausstellung.
Zwar waren die Exponate hervorragend ausgesucht, um
völlig unterschiedliche Ursachen und Arten der Irrtümer und Fälschungen aufzuzeigen – durch alle Epochen
und Länder und von dem Irrtum bei der Verwendung
von goldenen Spangen über ein in der Öffentlichkeit
flächendeckend verbreitetes, dennoch falsches, Bild der
antiken Raumgestaltung, bis zu den führenden Kunsthistorikern und Archäologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die dennoch auf eine Fälschung hereinfielen.
Aber diese Vielfalt ging etwas zulasten eines sich durch
die Ausstellung ziehenden roten Fadens. Es war nicht
möglich, eine durchgängige ‚Geschichte‘ von Irrtümern
und Fälschungen in der Archäologie nachzuvollziehen.
Auch konnte man zwar an den einzelnen Fallbeispielen
erkennen, dass die Fehler allesamt vor Beginn des 20.
Jahrhunderts aufgedeckt worden waren, aber das wurde
nicht entsprechend erklärt und eingeordnet. Ebenso
wenig wurden Informationen darüber geliefert, wie
häufig entsprechende Irrtümer und Fälschungen waren
oder es sogar noch sind. Das war schade, gerade weil die
Ausstellung sonst so hervorragend aufgebaut und konzipiert war. Wahrscheinlich hätte es schon geholfen, die
einzelnen Räume grob chronologisch zu ordnen und
dazwischen ein paar Tafeln mit Hintergrundinformationen zu der Wissenschaftsgeschichte der entsprechenden Zeit anzubringen. Denn obwohl in den einzelnen
Räumen hervorragend über den Stand der Wissenschaft
in der jeweiligen Zeit aufgeklärt wurde, bezog sich das
immer nur auf das entsprechende Objekt und wurde
nicht systematisch dargestellt.
vorherrschten. Das allerletzte Exponat der Ausstellung
brach erneut aus dem archäologischen Rahmen aus
und riss nur kurz das Thema Fälschungen innerhalb
des letzten Jahrhunderts an: Ausgestellt wurde eines der
Hitler-Tagebücher.
Insgesamt war die Ausstellung „Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“ in dem LWL-Museum für Archäologie in Herne definitiv sehenswert – sehr interessante
Fallstudien wurden mit einem durchdachten Konzept
sorgfältig aufbereitet und gut verständlich dargestellt.
Gerade Fachfremde wurden hervorragend und auf amüsante Art und Weise in das Thema eingeführt und es war
für jeden etwas dabei. Das einzige, das fehlte, war eine
übergeordnete Verbindung der einzelnen Fallbeispiele
miteinander.
Wer die aberwitzigsten Irrtümer und Fälschungen der
Archäologie in Herne verpasst hat, kann die Sonderausstellung noch bis zum 26. Mai 2019 im Roemer- und
Pelizaeus-Museum in Hildesheim besuchen oder alles
darüber im durch das LWL-Museum für Archäologie
Herne herausgegebenen Ausstellungskatalog lernen.
Literaturverzeichnis
Masthoff, Eva: Ausstellung im LWL-Museum für Archäologie
Herne, http://www.irrtuemer-ausstellung.lwl.org/de/ausstellung/, abgerufen am 22.05.2018.
Mühlenbrock, Josef; Esch, Tobias (Hgg.): Irrtümer & Fälschungen der Archäologie. Katalog zur Ausstellung in Herne und
im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, Mainz
2018.
Tafertshofer, Frank: Alles im Eimer? Ein Exponat aus Xanten,
http://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=44076, 16.02.2018, abgerufen am 22.05.2018.
Während es in der Ausstellung selber auch keinen
vorgegebenen „Pfad“ gab, wurde man ganz am Ende
in einen Raum geführt, der einen schönen Abschluss
bildete: Hier wurden einzelne archäologische Funde
aus der Region dargestellt, bei denen zwar keine sehr
spektakulären, dafür aber umso amüsantere Irrtümer
1
Tafertshofer, Frank: Alles im Eimer? Ein Exponat aus Xanten, http://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.
php?urlID=44076, 16.02.2018, abgerufen am 22.05.2018.
Abenteuer in der Römerstadt an der Mosel
EIN EXKURSIONSBERICHT VON JOANA KADIR
I
m Winter 2018 hat die Nexus-Redaktion im Rahmen der inSTUDIES Förderung eine Exkursion
nach Berlin (vgl. Ausgabe 7) durchführen können. Auch im Sommer hat uns diese Möglichkeit
offen gestanden und unser nächstes Ziel war schnell
gefunden: die Stadt Trier oder auch die Augusta
Treverorum. Die Stadt an der Mosel, die zwischen 18
v. Chr. und 14 n. Chr. gegründet worden ist, ist für
LiebhaberInnen der Antike in Deutschland immer
einen Besuch wert und auch für Nexus ist Trier
eine ideale Anlaufstelle. Das Rheinische Landesmuseum, das Amphitheater, die Kaiserthermen, die
50
Forschung zu Seefahrt und Handel in der Antike (S.
29–35). Für uns als Althistorikerinnen ist das Gespräch
eine außergewöhnliche Gelegenheit, für uns als entschiedene Landratten jedoch auch eine Herausforderung, da der Segeljargon uns doch nicht so geläufig
ist. Unser persönliches Highlight der Exkursion ist die
anschließende Besichtigung der „Werft“ auf dem Campus, d. h. einer Blechhüte auf einem Parkplatz. In der
Halle, die mit Hügeln von Sägespäne und Werkzeugen
übersät ist und in der der ein starker Holzgeruch in der
Luft liegt, liegt die 17 m lange, noch im Bau befindliche
Rekonstruktion des Schiffstyps der Laurons 2, die auch
bei uns unerfahrenen Seefahrerinnen das Herz höherschlagen lässt. Hier werden die vorherigen Ausführungen zur antiken Seefahrt und den experimentellen
Messungen verständlicher und so manche Hausarbeiten über Piraterie und Handel kommen mir wieder ins
Gedächtnis. Bei der Begehung des Schiffs wird einem
dann doch etwas mulmig zumute, wenn man sich vorstellt, mit einem solchen Schiff aufs Meer hinauszufahren und Waren zu befördern. Im Hinterhof befinden sich die Baumstämme aus dem Trierer Wald sowie
das Gerät zum Biegen der Hölzer. Die Arbeit, die hinter
diesem Projekt steckt, wird uns hier noch einmal eindrücklich bewusst. Zu bald müssen wir die Halle verlassen und Schäfer verabschieden. Es ist zu schade, dass
Trier nicht näher an Bochum liegt, sonst würden wir
demnächst zurückkommen, um bei der Fertigstellung
zu helfen. Den informativen, aber auch anstrengenden
Tag lassen wir anschließend im Stadtkern unweit unserer Unterkunft mit einer leckeren Lasagne ausklingen.
Römerbrücke und die Porta Nigra standen für den
24. und 25. September auf unserer Liste; die Bauten
sind seit 1986 als UNESCO-Weltkulturerbe eingetragen. Neben der Erkundung der Stadt haben wir auch
die Möglichkeit, mit Mitgliedern des Fachschaftsrats
Latinistik und Gräzistik zu reden und ein Interview
mit Christoph Schäfer zu führen. Aber auch über
Antike hinaus hat Trier viel zu bieten – zu viel, als
dass wir es in zwei Tagen hätten besichtigen können.
24. September: Die Universität Trier
Nach einer Odyssee mit dem Zug, bedingt durch den
Ausfall von Zügen auf der Strecke zwischen Bochum und
Düsseldorf wegen Schäden an der Oberleitung, erreichen
wir Trier mit knapp 2 Stunden Verspätung und unter
Zeitdruck, da bis zu unserem ersten Termin nicht mehr
viel Zeit bleibt. Die Unterkunft ist zum Glück schnell
gefunden, so dass wir unser Gepäck ablegen und uns
auf den Weg zur Universität machen können. Wie die
RUB so ist auch die Universität Trier eine Campus-Uni,
die am Rande der Stadt liegt; statt einer U-Bahn fährt
uns jedoch ein Bus zur Universität. Als RUB-erprobte
Studentinnen stellt das Labyrinth der Universität Trier
für uns keine große Schwierigkeit dar und der Treffpunkt
vor der Cafeteria ist schnell gefunden. Hier werden wir
bereits von Julia und Benedikt – mit dem RubenbauerHofmann als Erkennungszeichen bewaffnet – erwartet.
Die beiden stehen uns stellvertretend für die Fachschaft
Latinistik und Gräzistik Rede und Antwort. Fragen zum
Studium in Trier haben wir zur Genüge (siehe Steckbrief
S. 37–39). Einer der am meisten herausstechenden
Unterschiede findet sich im Lehramtsstudium: in Trier
kann man auf Bachelor of Education studieren, auch
für mich als Nicht-Lateinerin interessant. Der Vergleich
der Studienabläufe, der Inhalte, der Standorte und der
Austausch von Anekdoten aus dem Studium lassen die
Zeit verfliegen. Zum Schluss kriegen wir auch noch
Tipps für die Abendgestaltung in Trier, insbesondere für
studentenfreundliche Lokale – in der Touristenhochburg
ist das nicht unwichtig. Dann geht es auch schon weiter
zum nächsten Interviewtermin.
25. September: how to Trier
Nach einem ausgiebigen Frühstück machen wir uns auf
den Weg, um die Augusta Treverorum in all ihrer Pracht
zu Fuß zu erobern. Unser erster Halt ist das Rheinische
Landesmuseum Trier. Auf dem Weg passieren wir die
Konstantinbasilika und den Kurfürstlichen Palais. Diese
sind zwar nicht antik, aber deswegen nicht etwa weniger
interessant. Es ist eine wahre Herausforderung, die
Stadt zu besichtigen, ohne dabei auf historisch relevante
Gebäude zu treffen – für Bochumer Studierende eine
doch ungewohnte Gegebenheit – und sich von diesen
nicht ablenken zu lassen. Denn unser enger Zeitplan
lässt es uns leider nicht zu die mittelalterlichen und
neuzeitlichen Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Wir
durchqueren den wunderschönen Palastgarten mit
seiner barocken Gartenkunst und stehen schon vor dem
Rheinischen Landesmuseum Trier. Dieses klärt über
die Geschichte des Gebiets von den Anfängen in der
Steinzeit über die Gründung der Stadt in der Römerzeit
bis hin zum kurfürstlichen Trier auf. Ein Großteil der
Dauerausstellung widmet sich der Augusta Treverorum,
die für uns natürlich besonders interessant ist. Das
Die ebenerwähnte Sicherheit der Fährtenfindung verloren, begeben wir uns auf eine große Irrfahrt über den
Campus, um vor verschlossenen Türen zu stehen. Die
freundlichen Mitarbeiter*innen der Alten Geschichte
können uns jedoch weiterhelfen, so dass wir das Ziel
der Unternehmung doch noch erreichen können: das
Büro von Christoph Schäfer, Inhaber des Lehrstuhls für
Alte Geschichte an der Universität Trier, mit dem wir
zu einem Interview verabredet sind. Hier erzählt er uns
von seinen Projekten im Bereich der experimentellen
Archäologie, allen voran von der historischen Rekonstruktion antiker Schiffe und der damit verbundenen
51
PANORAMA
PANORAMA
Museum ist offen und weitläufig gestaltet, so dass jedes
Exponat genug Platz hat, um auf die Besucher*innen
zu wirken. Für uns wird der Rundgang auch zu einer
kleinen Schnitzeljagd, da über das Museum verteilt
Rezepte ausliegen, die man sammeln und mit nach
Hause nehmen kann.
guten Blick auf die gesamte arena und die Weinberge,
die auf den nahegelegenen Hängen liegen.
Die Kaiserthermen, die den Leser*innen seit Ausgabe
5 als Hintergrundbild des Nexus bekannt sind, sind die
größten Thermen nördlich der Alpen. Im 4. Jh. sind sie
als kaiserlicher Repräsentationsbau begonnen, aber nie
fertiggestellt worden. Die Thermen sind jedoch nicht
immer Thermen gewesen; bereits unter Valentinian I
ist die Anlage als Exerzierhalle zweckentfremdet worden
und im Mittelalter sind Teile zur Alderburg ausgebaut
worden. Heute liegen sie direkt an einem Verkehrsknotenpunkt der Stadt Trier. Die riesige Anlage ist um einen
kleines Kassenhaus inklusive Ausstellungsraum ergänzt
worden. Die Fassade des caldarium ist wohl der allgemein bekannteste Teil der Anlagen, in dessen Genuss wir
jedoch nicht kommen, da er hinter Bauzaun und -gerüsten versteckt ist. Stattdessen gehen wir auf Erkundungstour unter der Erde: der Spaziergang durch die unterirdischen Bedienungsgänge mit ihren Lichtschächten,
die ein großartiges Spiel von Licht und Schatten inszenieren und der Anlage eine geheimnisvolle Atmosphäre
geben, macht den Besuch doch zu einem eindrucksvollen Erlebnis. Dieser erfreuen sich auch die zahlreichen
SchülerInnen, die in den Gängen Verstecken spielen.
Das Rheinische Landesmuseum Trier beherbergt eine
Vielzahl and Grabreliefs und Mosaiken, die aufgrund
der gewitzten Architektur auch von der obersten Etage
in ihrer Gänze betrachtet werden können. Ein Highlight des Museums ist die 45-minütige Rauminszenierung Im Reich der Schatten im Saal Römische Grabmonumente. Hier wird durch die mediale Aufarbeitung der
beindruckenden und gut erhaltenen Grabmonumente
die fiktive Reise des Trierer Kaufmanns Gaius Albinius
Asper und des Götterboten Merkur in die Unterwelt
erzählt. Über modernes Equipment werden im ganzen
Museum Informationen zu Exponaten oder auch allgemeinen Informationen präsentiert. Dies geschieht insbesondere durch Touch-Bildschirme, die dazu genutzt
werden, Videos etc. zu Exponaten sowie zu archäologischen Methoden ihrer Aufarbeitung und Analyse
bereitzustellen. Neben diesen Exponaten beherbergt das
Museum auch den größten römischen Goldschatz, den
wir uns natürlich nicht entgehen lassen.
Die Römerbrücke ist der nächste Anlaufpunkt. Sie ist
die älteste Brücke Deutschlands und datiert sich auf 17
Auf diese Weise mit Wissen über die Stadtgeschichte
v. Chr., die jetzige Gestalt ist ihr 144 n. Chr. gegeben
gerüstet ist es nun an der Zeit, die vielen fußläufig
worden. Leider sind von der Brücke lediglich die Pfeigut zu erreichenden archäologischen Stätten des
ler erhalten; nichtsdestotrotz lohnt sich der Weg, denn
römischen Triers zu erkunden. Für unsere Tour nutzen
so können wir einen Blick auf die Mosel erhaschen.
wir die ANTIKENCARD Premium der Stadt Trier,
Von hier geht es wieder zurück
die den Eintritt zu allen antiken
Sehenswürdigkeiten und dem Julia Jennifer Beine und Joana Kadir für Nexus im ins Stadtzentrum. Auf dem Weg
Rheinischen Landesmuseum Trier.
kommen wir an den Thermen am
Landesmuseum beinhaltet und die
Viehmarkt vorbei – sogenannt,
wir wärmstens weiterempfehlen
weil hier ein Viehmarkt ansäskönnen. Als erstes geht es zum
sig gewesen ist. Hier sind jedoch
Amphitheater. Dieses ist zwischen
nicht nur die Überreste der anti160 und 220 n. Chr. errichtet
ken Badeanlage, sondern auch
worden und ist in die Stadtmauer
Fundamente römischer Häuser
eingebaut gewesen. Die Überreste
aus der Gründungszeit sowie die
sind heute für Besucher*innen
Fundamente eines weiteren Großkomplett zugänglich. So kann
baus und auch Überreste eines
man den Arenakeller besichtigen,
jüdischen Friedhofs gefunden
der ehemals eine Holzbühne
worden. Die gewaltige Anlage,
beherbergt hat. Von dieser sehen
im 3. und 4. Jh. erbaut, liegt
wir heute nur noch die Sockel.
zum Großteil unter der Erde, ist
Im Keller ist es nicht nur dunkel,
jedoch in Teilen für Besucher*insondern auch nass, da hier auch
nen begehbar. Der freigelegte Teil
der antike Entwässerungskanal
wird durch einen eindrucksvollen
entlangläuft. Nach dem Abstieg
modernen Überbau von Oswald
in die Dunkelheit wollen wir hoch
Mathias Ungers geschützt, deshinaus: auf die Zuschauerränge,
sen Stahlträger leider das antike
die gänzlich mit Gras überwachsen
Mauerwerk durchdringen. Die
sind. Von hier aus hat man einen
52
Anlage wird auch als Ausstellungsraum genutzt: So können wir bei unserem Besuch die Ausstellung Begegnung
mit China – ein kulturelles Austauschprojekt zum 200.
Geburtstag von Karl Marx besichtigen. Die Nutzung
der Anlage als Ausstellungsraum ist nur möglich, da sie
noch nicht in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste aufgenommen worden ist, weil sie erst in den 90er-Jahren
entdeckt worden ist. Das alte Gemäuer und das Wissen, unter der Stadt zu stehen, bereiten einem schon ein
bedrückendes Gefühl.
Einen kurzen Fußweg später erreichen wir schon die
letzte Station unseres Rundgangs und das Wahrzeichen
Triers, die Porta Nigra. Das Gebäude gleicht heute wieder dem Tor, das es in der Antike auch gewesen ist. Wie
fast alles in Trier hat auch die Porta Nigra eine lange
Geschichte der Umbauten hinter sich. Das im 2. Jh. n.
Chr. errichtete Tor in der Stadtmauer ist im 11. Jh. zum
Rückzugort des Eremiten Simeon geworden und ist in
Gedenken an ihn in eine Doppelkirche umgebaut worden. Der Name Porta Nigra ist dem Bauwerk im Mittelalter gegeben worden und leitet sich von Verfärbung
des ehemals weißen Sandsteins ab. Die Porta Nigra,
die 4 Geschosse umfasst, wird nicht als Ausstellungsfläche genutzt; lediglich im Erdgeschoss gibt es eine
kleine Filmvorstellung zum Leben Simeons, Informationen gibt es stattdessen über Multimediaguides. Die
Übergänge zwischen römischen Stadttor und christlicher Kirche sind teilweise noch gut sichtbar und so hat
man das Gefühl, in einer merkwürdigen Zwischenwelt
zu stehen. Für den Aufstieg über die Wendeltreppe bis
in das oberste Geschoss werden wir mit einem großartigen Blick auf das Stadtpanorama belohnt.
Das Amphitheater von der Aussichtsplattform.
Die Gänge unter den Kaiserthermen.
Natürlich können zwei Historikerinnen Trier nicht verlassen, ohne vorher noch die ein oder andere Sehenswürdigkeit mitzunehmen. So geht es als nächstes zur
neu eingeweihten Karl Marx-Statue, die nicht unweit
der Porta Nigra steht, da die Zeit für einen Besuch der
Karl Marx-Ausstellung Leben. Werk. Zeit. im Stadtmuseum Simeonstift und im Rheinischen Landesmuseum
leider nicht mehr reicht. Denn jetzt geht es in die Hohe
Domkirche St. Peter in Trier, die älteste Bischofskirche
Deutschlands. Die Kirche blickt auf eine 1.700 Jahre
umfassende Geschichte mit diversen Erneuerungen,
Erweiterungen und Umgestaltungen zurück, die sie zu
einer spannenden Sehenswürdigkeit macht, da die verschiedenen Elemente und Stile teilweise gut sichtbar
sind. Das lichtdurchflutete Kirchenschiff beeindruckt
vor allem durch die hohe Decke, die wegen der doch
sehr dezenten Dekoration noch höher erscheint. Nach
diesem anstrengenden Tag haben wir uns eine kleine
Belohnung verdient und machen es uns in einem kleinen schmucken Café in unmittelbarer Nähe zum Dom
gemütlich, um uns mit Eis und Kaffee zu stärken. Vor
Die Thermen am Viehmarkt.
der Rückfahrt graut es uns schon jetzt, denn es scheint
keinen IC zu geben, der Bochum anfährt. Daher
machen wir uns nach einem kurzen Abstecher in unsere
Unterkunft nach Düsseldorf auf, mit dem Plan, ab
dort zu improvisieren. Kurz vor der Ankunft in Düsseldorf erreicht uns aber die freudige Nachricht, dass die
Oberleitungen repariert worden sind und der Zug in
Bochum hält. So endet unser Tag doch glücklich und
wir können die Eindrücke aus Trier ungetrübt mit nach
Hause nehmen.
53
FACHDIDAKTIK
FACHDIDAKTIK
Digitale Medien im Lateinunterricht
VON NINA TOLLER
Sprachaufnahmen (die ich als MP3 bei GoogleDrive
gespeichert hatte) verlinken.
Bestimmen von Ablativen sind. Diese Station ist optional und kann bei Bedarf von den Schülern* bearbeitet werden.
Die Schüler* hatten wirklich Spaß dabei und meldeten
zurück, dass sie besonders die vielen unterschiedlichen
Aufgabenarten aus einem analogen und digitalen
Mix schätzten. Auch mein Fazit ist positiv: Zwar hat
die Vorbereitung einiges an Zeit gekostet, dafür war
der Unterricht aber für einige Wochen im Voraus
vorbereitet. In den Stunden selbst konnte ich meiner
Lehrerrolle als Begleiter und Coach nachkommen,
bei Fragen und Problemen helfen und mich daran
erfreuen, wie viel mehr Spaß es macht, wenn man z.B.
eine Sinnrichtung „erwürfeln“ darf.
V
erstaubtes Schulfach? Tote Sprache? Unnütz?
Von wegen! Auch und vielleicht gerade diese
alte Sprache kann sehr gut von digitalen
Medien und den damit verbundenen Förder- und
Fordermöglichkeiten profitieren. In diesem Artikel
möchte ich gern zeigen, wie einfach man das NRWLandesvorhaben, dass die „Digitalisierung“ Einzug
in alle Fächer erhalten soll, in seinem eigenen
Unterricht selbst mit wenig Ausstattung umsetzen
kann.
Die im Folgenden verwendeten Bezeichnungen Schüler*
und Kollegen* umfassen jegliches Geschlecht (m/f/d).
Praktische Umsetzung
Um beim Bild des Teiches zu bleiben: Man kann nicht
direkt mit dem Tauchgang beginnen. Die angestrebten
offenen Aufgabenstellungen müssen schrittweise erweitert werden, um die Schüler* nicht zu überfordern. Sie
müssen Entscheidungen treffen, obwohl sie im Normalfall nicht an solche Freiheiten gewohnt sind. Außerdem
müssen sie erst einmal ein paar (digitale) Möglichkeiten kennenlernen, bevor sie kritisch mit den Formaten
umgehen können.
Theoretischer Hintergrund
Grundsätzlich orientiere ich meinen Unterricht an der
lateinischen Fachdidaktik und gängigen Pädagogik.
Dabei setze ich auf einen Mix aus kooperativen
Lernformen, Lehrervorträgen sowie den so genannten
„21st century skills“ und dem „SAMR-Modell“. Letztere
möchte ich im Folgenden etwas genauer erklären.
Zu den Kompetenzen, die jeder im 21. Jahrhundert
beherrschen sollte, gehören die sogenannten „4K“:
Kommunikation, Kritisches Denken, Kreativität und
Kollaboration. Die Schüler* arbeiten gemeinsam
an Aufgaben, besprechen ihre Ideen und Vorhaben,
hinterfragen gewählte Formate und Inhalte kritisch
und erstellen kreative Produkte.1
Diese Vorbereitung benötigt Zeit. Doch der anfängliche MehrAUFWAND lohnt sich am Ende immer.
Diese zeitliche Komponente muss einer Lehrkraft aber
bewusst sein: Ein Thema von den Schülern* induktiv
und selbstentdeckend, vielleicht sogar noch in einer
Gruppenarbeit erschließen zu lassen, dauert länger als
ein Lehrervortrag. Das muss man sich ebenfalls bei dem
Einsatz der genannten pädagogischen Modelle besonders in Kombination mit digitalen Medien bewusst
machen.
Dadurch ändert sich auch die Aufgabenstellung, die die
Lehrkraft entwickeln muss. Die Aufgaben werden im
Laufe der Zeit immer offener und selbstbestimmter auf
Seiten der Schüler*.
Ich möchte daher drei Beispiele anführen, die vor allem
eine Mischung aus analogen und digitalen Materialien
zeigen, die man recht schnell umsetzen kann.
Wenn sie mit digitalen Medien erweitert werden, eignet sich die Orientierung am SAMR-Modell nach Pentedura2. Es geht nicht darum, eine Aufgabenstellung
einfach nur zu digitalisieren, also beispielsweise ein
Arbeitsblatt statt in Papierform einfach nur als digitale
Datei auf einem mobilen Gerät zu bearbeiten. Das Ziel
sollte sein, sie zu „redefinieren“ (für die „Redefinition“
steht das „R“ in der Abkürzung SAMR) und die Schüler* quasi tiefer in das Thema eintauchen zu lassen:
Beispiel 1: Stationenlernen
Manchen Grammatikthemen begegnet auch eine Lehrkraft mit Respekt und vielleicht sogar Ehrfurcht – aus
didaktischer Sicht. Man weiß, es wird schwierig, dauert
lang und wird vielleicht sogar zäh. Der Ablativus Absolutus ist solch ein Thema im Lateinunterricht.
Der oft skeptisch hinterfragte Mehrwert ergibt sich also
vor allem daraus, dass die Schüler* sich intensiver mit
einem Themenbereich auseinandersetzen und aktiver
an ihrem eigenen Lernprozess beteiligt sind.
Ich habe mich dazu für ein Stationenlernen
entschieden, das inhaltlich an den Lernzirkel des V &
R Verlags3 angelehnt ist. Dieses habe ich aber digital
erweitert. So habe ich QR-Codes4 eingesetzt, die z.B.
auf Spiele bei Learning Apps5 oder auf meine eigenen
54
Entdeckendes Lernen: Die Schüler* untersuchen lateinische Sätze auf mögliche Besonderheiten. Das ansprechende Material unterstützt das Entdecken visuell, da
es einfach strukturierte Sätze mit Bildern zusätzlich
erklärt. Das Participium Coniunctum (PC) ist den Schülern* bereits bekannt, sodass sie auf Vorwissen einer
ähnlichen Struktur zurückgreifen können, aber dennoch Unterschiede bemerken.
Spielerisches Lernen: Manche Stationen sind als
Würfelspiel aufbereitet. Die Würfel sind dabei so
präpariert, dass sie beispielsweise Zeitverhältnisse
oder Personen anzeigen. Der Zufall, das gemeinsame
Bearbeiten und der kleine Wettbewerbscharakter durch
die Punktevergabe motivieren die Schüler*, sodass
sie kaum merken, dass sie in dem Moment „trockene
Grammatik“ wiederholen und anwenden.
Schüler* als Experten: Die intensive Vorbereitung und
Aufbereitung ihres Unterthemas für die Videoproduktion lässt die Schüler* zu wahren Wissensexperten werden und dieses Wissen sehr tief verankern. Man kennt
dieses Phänomen bereits aus dem Unterricht, wenn sich
Schüler* gewisse Inhalte erklären sollen, selbst wenn es
nur mündlich ist. Die Verarbeitung des Gelernten ist
tiefergehend, wenn man den Sachverhalt (am besten in
eigenen Worten) jemand anderem erklären muss. Die
Tatsache, dass die hier entstandenen Videos noch veröffentlicht werden sollten und die Schüler* damit an
einem Wettbewerb teilnahmen, spornte natürlich noch
mehr an.7
Im Anschluss drehten die Schüler* in Gruppen noch
eigene Erklärvideos zu einem Unterthema. Dazu
hatte ich vom städtischen Schulmedienzentrum
iPads ausgeliehen und vorher um die Installation
einiger kostenloser Apps gebeten, mit denen man
auf unterschiedliche Art und Weise Erklärvideos
produzieren kann.
Wichtig ist mir an Apps immer, dass sie recht intuitiv
aufgebaut sind, sodass sie von den Schülern* schnell
verstanden werden und ich diese nicht erst lange
erklären muss. Die Apps, die die Schüler* in diesem Fall
nutzten, sind StopMotion (iOS und Android), Baiboard
(iOS), Adobe (Spark) Video (iOS und Android) sowie
iMovie (iOS). Die Ergebnisse der Schüler* kann man
sich bei YouTube in meinem Kanal ansehen: tinyurl.
com/yc9x5pqk.
Beispiel 2: Kulturkompetenz mal anders
Differenziertes Unterrichten ist auch im Lateinunterricht nicht nur möglich, sondern sehr sinnvoll. An
unserer Schule wird in den meisten Klassen mit dem
Lehrwerk Felix Neu unterrichtet, zu dem auch eine
Handreichung mit eben diesem Namen Differenziert
unterrichten8 erschienen ist.
Außerdem bewahrheitet sich hier wieder die
Redewendung vom neuen Rad erfinden: Man kann
auch bestehendes Material verwenden, man muss nicht
alles neu machen – nur „frisieren“.6
In der Lektion 49, die in die „Herrscher-Reihe“ über
Cäsar und Augustus gehört, sind das Niveau und die
Menge der neuen Grammatik nicht sehr hoch. Das
bot allein zeitlich die Möglichkeit, die (leider öfter vernachlässigte) Kulturkompetenz in den Vordergrund zu
stellen.
Aus didaktisch-pädagogischer Sicht mit Bezug auf die
anfangs erwähnten Modelle möchte ich hier exemplarisch Folgendes einmal ausführlicher darstellen:
Zur Info: „Die Schülerinnen und Schüler kennen
überwiegend personen- und handlungsorientierte
Darstellungen der griechisch-römischen Welt und sind in
der Lage, mit diesen Kenntnissen ein erstes Verständnis für
Binnendifferenzierung: Bevor es an das neue grammatische Thema geht, wiederholen die Schüler* die bereits
bekannten Ablativ-Formen, damit sie sicher beim
55
FACHDIDAKTIK
FACHDIDAKTIK
ihren Computer, ihre Stimme usw. benutzen konnten,
empfanden sie es gar nicht als Pflicht, sondern es hat
ihnen Spaß gemacht. Ich denke, dass man das auch gut
in den Ergebnissen sieht.
die Welt der Antike zu entwickeln.“ (NRW Kernlehrplan
Latein SI „Kulturkompetenz“, S. 24)
Eingangs erwähnte Handreichung macht für diese
Lektion zwei sehr gute Vorschläge, die ich als Grundlage
benutzt habe:
Bei dieser Aufgabe konnte ich bereits auf das Wissen
der Schüler* bezüglich des Umgangs mit einigen digitalen Medien und eine dazugehörige Routine zurückgreifen. Daher ist die Umsetzung der Aufgabe auch
bewusst offen gehalten: „Lass dir etwas einfallen“, also
„Sei kreativ“.9
1. Der Lektionstext kann arbeitsteilig behandelt werden. Der erste Teil hat den jungen Oktavian zum
Inhalt, der sich als besonders grausam gegenüber seinen Zeitgenossen darstellt. Im zweiten Teil des Lektionstextes steht der alte Oktavian, nun Kaiser Augustus,
im Mittelpunkt, wie er sich als Vorbild an Gerechtigkeit erweist.
Einige Beispiele durfte ich mit Genehmigung veröffentlichen. Auch diese sind in meinem Kanal bei YouTube zu sehen: tinyurl.com/y9llcnbx.
2. Passend zum Lektionstext druckte das Lehrwerk ein Bild der Panzerstatue des Augustus von
Prima Porta ab und schlägt eine Forscheraufgabe zu unterschiedlichen Themenbereichen vor.
Siehe: Felix Neu, differenziert unterrichten, S. 172-173
Beispiel 3: Klassenarbeiten mit QR-Codes
korrigieren
Ich überlege oft, wie ich meine Schüler* besser
motivieren kann, die Kommentare und Übungs-/
Fördermöglichkeiten intensiver zu lesen und zu
bearbeiten, die ich immer unter die Klassenarbeiten
schreibe.
Für meinen Kurs entwickelte ich die Aufgabenstellungen etwas weiter und passte vor allem die Hausaufgabe
an:
Latein 9 TL
L49 Zwei Gesichter eines Herrschers
Aus einer Gesprächsrunde10 mit anderen Kollegen*
ist folgende Idee entstanden: Man könnte auch hier
QR-Codes verwenden. Wenn Schüler* ihre Berichtigung direkt mit dem Handy machen dürfen – noch
dazu während des Unterrichts – müsste das doch einen
größeren Ansporn geben.
November 2016
Hausaufgabe – Kultur S. 161 Bild der Statue
Entscheide dich unter den folgenden Aufgaben für diejenige, die dich am meisten interessiert:
‣
Du hast Interesse an Politik und Geschichte:
‣
Du interessierst dich für Kunst:
Informiere dich bei Fachleuten (z. B. einem Kunstlehrer) und/oder im Internet darüber, was die
Statue über die römische Kunst verrät.
Finde heraus, warum die abgebildete Statue ein wichtiges Mittel der politischen Propaganda
des Kaisers Augustus war.
→ Tipp: Die Statue war ursprünglich bunt! (S. 166)
‣
‣
‣
Anfangs druckte ich die erstellten QR-Codes auf
Etiketten aus und klebte sie bei den Schülern* direkt
neben die Aufgabe in das Klassenarbeitsheft, bei der sie
zum Beispiel zu wenig Punkte erzielt hatten.
Du hast Freude an der Mythologie:
Finde heraus, was die kleine Figur zu Füßen des Kaisers bedeutet. Ohne sie würde der
Statue eine wichtige Aussage verloren gehen. Was verbindet die kleine Figur wohl mit dem
mächtigen Kaiser?
Du interessierst dich für Mode:
Untersuche die Gewänder, die Augustus trägt. Aus welchem Material wären sie, wenn sie
nicht aus Marmor wären? Welche Farbe hätten sie? Zu welcher Gelegenheit trug er wohl
diese Kleidung? Warum trägt er keine Schuhe?
Du interessierst dich für Technik:
Wie wurde diese Statue hergestellt? Recherchiere in der Fachliteratur oder im Internet nach
dem Verfahren, wie aus dem Rohstoff Marmor eine solche Statue entstehen konnte.
!
Allerdings wollten nach und nach auch die Schüler* die
Übungen machen können, die die Aufgabe gut gelöst
haben. Also änderte ich meinen Diagnosebogen und
fügte für alle Teile der Arbeit mögliche Übungen mit
QR-Codes ein. Wer ein Kreuz beim roten Smiley hatte,
musste die Übung machen. Alle anderen konnten sie
freiwillig bearbeiten.
Präsentationsform: Benutze dein Handy! Mache eine Sprachaufnahme, ein Video, eine
Snapchat- oder Instagram-Story, eine Art Comic (www.storyboardthat.com), … Lass dir
etwas einfallen "
#
Sende dein "Werk" bis Montag Abend 20 Uhr entweder per Email oder per Nachricht
an mich.
⚠
Gib die Informations- und Bildquellen an, die du benutzt hast – überprüfe, ob du sie
nutzen darfst!
BILD: CCO Public Domain
https://pixabay.com/en/laurel-wreath-wreath-greek-victory-297101/
Nina Toller | tollerunterricht.com
Die Rückmeldung der Schüler* war durchweg positiv.
Sie haben besonders zwei Aspekte hervorgehoben:
1. Ihnen gefiel das Thema der Hausaufgabe sehr – das
Auseinandersetzen mit einer anderen Art „Text“, den
man analysieren und interpretieren kann. (Ich sage ja,
dass diese Art Kompetenz leider zu oft stiefmütterlich
behandelt wird!)
2. Die Präsentationsform und die Freiheit dabei
sagten ihnen besonders zu. Da sie ihr Smartphone,
56
Das klappte hervorragend. Die Schüler* bearbeiteten
die Aufgaben sowohl im Unterricht als auch zu Hause –
und hatten nach eigener Auskunft merklich Spaß dabei.
einfach alle Seiten darüber im Bilde sind, was passiert.
Es kann sich sogar mehr Interesse entwickeln, was
eigentlich im Unterricht passiert – beispielsweise wissen die Eltern plötzlich, was ihr Kind in einigen Stunden in der Schule „so macht“.
Kleine Beispiele – Große Wirkung
Man muss einfach anfangen, „einfach machen“ und
ausprobieren. Das geht mit kleinen Schritten. Beispielsweise kann eine Vokabelüberprüfung mit einem Quiz
wie Kahoot! oder Quizlet gemacht werden. Das führt
nicht gleich zu einer „Quizifizierung“ des Unterrichts,
sondern, wenn maßvoll eingesetzt, zu mehr Motivation
beim Vokabellernen auf Seiten der Schüler*.
Eigenes Fazit und Ausblick
Natürlich jammere auch ich manchmal, besonders über
das fehlende WLAN. Das passiert besonders dann,
wenn ich vergessen habe, meinen Laptop mitzunehmen
oder in einem Raum bin, der keinen LAN-Anschluss
hat. Dann merke ich erst, wie sehr ich mittlerweile
digital arbeite und fühle mich dann nur noch in
meinen Möglichkeiten eingeschränkt. Dass sich in
dieser Hinsicht noch so Einiges tun muss, auch von
schulpolitischer Seite aus, ist jedem klar, denke ich.
Wenn man andere Materialien, die online bereits
verfügbar sind, in den Unterricht einbetten will, muss
man die Schüler* nicht lange Links abtippen lassen.
Dazu kann man kurzerhand mit einem sogenannten
QR-Code-Generator online den Link in einen
QR-Code verwandeln, diesen als Bild herunterladen,
ausdrucken oder direkt in ein Arbeitsblatt einfügen und
die Schüler* scannen lassen.
Viel hängt daher mit Entlastung, Schnelligkeit
und Bequemlichkeit zusammen. Ich nutze meine
wertvolle Unterrichtszeit lieber für „handfeste“ Inhalte,
Diskussion und Vertiefung statt immer alles abschreiben
lassen zu müssen, wenn entweder auch ein Foto genügte
oder sogar direkt alle kollaborativ in einem Dokument
gearbeitet und somit immer Zugriff auf die Ergebnisse
haben.
Es gibt so viele kleine Beispiele, die man direkt im
Unterricht umsetzen kann11. Lassen Sie einfach mal die
Schwierigkeiten im Hintergrund. Ich persönlich habe
an meiner Schule kein WLAN. Ich habe keine mobilen
Geräte zur Verfügung, die ich den Schülern* ausleihen
könnte. Die Schüler* nutzen also vor allem ihre eigenen
Smartphones entweder mit ihrem eigenen Datenvolumen oder über einen sogenannten Hotspot, den ich
erstelle, sodass die Schüler* sich mit ihrem Handy in
dem Raum für die Stunde in mein generiertes WLAN
einwählen könne12. Das bereichert meinen Unterricht
nicht nur, sondern erleichtert mir tatsächlich das Arbeiten. Vielleicht brauche ich auch nicht immer Internetzugang. Ein QR-Code, der mir lediglich die Formen
einer Konjugation als Text anzeigen soll, benötigt beispielsweise kein Internet. Digital zu unterrichten muss
man tatsächlich an erster Stelle wollen – und nicht nur
darüber jammern, was alles nicht geht.
Bezogen auf den Lateinunterricht wünsche ich mir
eine Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten
gerade im Augmented-Reality-Bereich13: Es wäre
dann möglich, indem ich ein mobiles Gerät auf den
Übersetzungstext halte, mir bei Bedarf Vokabeln oder
Erklärungen anzeigen zu lassen, die mir nicht nur die
Übersetzung erleichtern, sondern in der Software/
App gleichzeitig gespeichert werden, sodass mir meine
individuelle Lernübersicht im Anschluss angezeigt wird.
Ich versuche meinen Kollegen* also oft das (Ver-)Trauen
zu vermitteln, den ersten Schritt zur Digitalisierung
ihres Unterrichts zu tun. Machen Sie, erleben Sie und
probieren Sie weiter aus!
Wenn Sie über diesen Artikel
hinaus
weitere
Beispiele,
Unterrichtsmaterial und Ideen
sehen wollen, besuchen Sie einfach
meinen Blog tollerunterricht.com
und schauen Sie sich meine Profile
bei Facebook, Instagram und
Twitter an. Die direkten Links auf
meine Profile finden Sie ebenso auf
dem Blog.
Rückmeldungen
Ich bekomme hauptsächlich positive Rückmeldungen
sowohl von den Schülern* als auch von den Eltern. Ich
habe außerdem das Glück, dass auch meiner Schulleitung gefällt, was ich tue. Ich setze immer alle in Kenntnis über mein Vorhaben und genau diese Transparenz
ist, glaube ich, auch der beste Weg. Ich muss mich als
Lehrkraft fragen: Was will ich tun, was will ich erreichen, welche Medien möchte ich dazu einsetzen, welche Daten müssen dafür „freigegeben“ werden? Darüber setze ich meine Schulleitung in Kenntnis, schreibe
einen Elternbrief mit all diesen Punkten und sammle
dadurch das schriftliche Einverständnis der Eltern ein.
Das hört sich nach Aufwand an, ist es aber nicht, weil
Um auf die weiteren, in den Fußnoten angegebenen
Internetseiten zu gelangen, benutzen Sie bitte die
Hyperlinks auf unserer Internetseite.
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FACHDIDAKTIK
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FACHDIDAKTIK
21st century learning und 4K (Kritisches Denken, Kommunikation, Kreativität, Kollaboration)
• Übersicht
bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/4K-Modell_des_Lernens
• Forschungsserie:
http://www.p21.org/our-work/4cs-research-series
• Vortrag von Andreas Schleicher auf der re:publica 2013: https://youtu.be/Ibb5KE6Cl_w.
http://homepages.uni-paderborn.de/wilke/blog/2016/01/06/
SAMR-Puentedura-deutsch/.
Den Lernzirkel findet man hier: https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/themen-entdecken/schule-und-unterricht/latein/unterrichtsmaterialien/2672/lernzirkel-zum-ablativus-absolutus?number=114468.
QR-Codes sind zweidimensionale Barcodes, in die verschiedenste Informationen eingebettet werden können. Sie können bis zu
300 Zeichen Text enthalten oder zu Internetseiten weiterleiten,
sobald man sie mit einem QR-Code-Scanner auf seinem Mobilgerät scannt. Eine kleine Übersicht, was man alles mit QRCodes machen könnte: https://tollerunterricht.com/?s=qr-code.
Learning Apps sind kleine Übungen, die man im Browser unter
learningapps.org bearbeiten kann. „LearningApps.org unterstützt
Lern- und Lehrprozesse mit kleinen interaktiven, multimedialen
Bausteinen, die online erstellt und in Lerninhalte eingebunden
werden. Für die Bausteine (Apps genannt) steht eine Reihe von
Vorlagen (Zuordnungsübungen, Multiple Choice-Tests etc.) zur
Verfügung.“ (https://learningapps.org/about.php).
Der komplette Blogeintrag „Analog meets digital“: https://tollerunterricht.com/2017/05/06/analog-meets-digital-grammatik-in-stationen-lernen/.
Übersicht, wie man Schüler* als Lernhelfer im Unterricht nut-
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11
12
13
zen kann: https://www.beltz.de/fachmedien/paedagogik/zeitschriften/paedagogik/themenschwerpunkte/schueler_als_lernhelfer.html.
Die Handreichung findet man hier: https://www.ccbuchner.de/
titel-1-1/differenziert_unterrichten-2861/.
Der komplette Blogeintrag „Kulturkompetenz mal anders“: https://tollerunterricht.com/2016/11/11/latein-kulturkompetenz-mal-anders/.
Der komplette Blogeintrag „Klassenarbeiten mit QR-Codes korrigieren“: https://tollerunterricht.com/2017/09/09/klassenarbeiten-mit-qr-codes-berichtigen/.
Eine kleine Übersicht mit möglichen Einsatzmöglichkeiten findet man im Blogeintrag „WORKSHOPS Digitalisierung im
Lateinunterricht“, die ich für die NRW-Fachleiter und später Referendare in Köln gegeben habe: https://tollerunterricht.
com/2018/06/10/workshops-digitalisierung-im-lateinunterricht/.
Anfangs nutzte ich dazu noch mein eigenes Handy oder Tablet,
mittlerweile nehme ich meinen privaten Laptop mit und erzeuge darüber einen Hotspot, den auch mehr als nur fünf Schüler*
nutzen können. Dazu nutze ich den Internetanschluss, den ich
über Kabel in manchen Klassenräumen erhalten kann.
Augmented Reality, als eine erweiterte Realität „könnte in praktisch allen Bereichen des Alltags zum Einsatz kommen. Monteure könnten sich den nächsten Arbeitsschritt direkt in ihr
Sichtfeld einblenden lassen; Soldaten oder Katastrophenhelfer
könnten sich Ziele und Gefahrenzonen im Gelände anzeigen
lassen und Designer könnten mit tatsächlich und virtuell anwesenden Kollegen am selben dreidimensionalen Modell arbeiten.“
(https://de.wikipedia.org/wiki/Erweiterte_Realität)
LRS im Lateinunterricht – wo liegen die Hürden für
Lernende und die Herausforderungen für Lehrende?
VON ANNE FRIEDRICH (DIDAKTIK DER ALTEN SPRACHEN/ MARTIN-LUTHERUNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG)
U
nabhängig von der Schulform haben Lehrkräfte der Sekundarstufe zunehmend mit
Lese-Rechtschreib-Problemen ihrer Schülerinnen und Schüler zu kämpfen und sind um Hintergrundwissen und Lösungsansätze bemüht. Wie
ist Latein-Unterricht zu gestalten, um den Lernenden in ihren spezifischen Problemen entgegenzukommen und dennoch fair fördernd und fordernd
im Sinne des gesamten Kursverbandes zu agieren?
Zu den Ursachen und Einflussfaktoren von LRS
In der Fachliteratur wird unterschieden zwischen
personalen Faktoren und Umweltfaktoren.1 Zu ersteren
gehören biologische Ursachen wie die genetische
Ausstattung und zerebrale Prozesse: Störungen in der
auditiven und visuellen Wahrnehmungsverarbeitung
haben zur Folge, dass LRS-Betroffene Wörter
deutlich langsamer als andere wahrnehmen und
die
Reizverarbeitung
verlangsamt
stattfindet
Ich hatte (Arbeitsgedächtniskapazität!). Während normalerweise
doch noch beim Lesen eines Wortes im Gehirn die visuellen
einmal ge- graphischen Informationen sofort zu auditiven lautlichen
schrieben. Informationen umgeformt werden, ein gelesenes Wort
im Kopf also quasi erklingt, bleibt das Wort im Kopf
58
eines Legasthenikers zunächst stumm. LRS-Betroffene
nehmen Wörter, Sprache und Text mühsamer und in
kleineren Einheiten auf; ihre Augen müssen deutlich mehr
vor- und zurückspringen (die sogenannten Sakkaden
des Leseprozesses), um sich einen Satz bzw. Text als
Einheit zu erschließen. Man geht von durchschnittlich
20% mehr Zeit im Texterschließungsprozess aus – im
Unterrichtsvollzug deutlich bemerkbar.
betroffen sein. Bei umschriebenen Lesestörungen sind
Rechtschreibstörungen häufig und persistieren oft bis in
die Adoleszenz, auch wenn einige Fortschritte im Lesen
gemacht werden. Umschriebenen Entwicklungsstörungen des Lesens gehen Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus. Während der Schulzeit
sind begleitende Störungen im emotionalen und Verhaltensbereich häufig.“4
Hinsichtlich der Genetik zeigen Studien2, dass die
Erblichkeit von Legasthenie bei circa 50-60% liegt, also
recht hoch ist. Haben Kinder Legasthenie, so meist auch
ein Drittel der Eltern und die Hälfte der Geschwister;
Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
Ursprünglich musste eine Legasthenie-Diagnose mit
einem Intelligenztest gekoppelt sein, um intellektuelle
Entwicklungsverzögerungen als Ursache auszuschließen,
doch mittlerweile werden allgemein leistungsschwache
Kinder mit diesen Lese-Rechtschreib-Auffälligkeiten mit
eingeschlossen – auch die Verwaltungsvorschriften der
einzelnen Bundesländer hinsichtlich des Nachteilsausgleichs in Schulen differenzieren hier kaum noch, sondern gehen wie beim Autismus von einer Spektrum-Störung aus.
Dazu kommen Umweltfaktoren wie Anregungen zum
Spracherwerb in der Familie oder auch die Methoden des
Lese- und Rechtschreibunterrichts in der Grundschule.
Vor allem hierüber gibt es in letzter Zeit erbittert geführte
Debatten. Eine aktuelle Untersuchung von 3000 Kindern
in NRW nach den Schreiblernmethoden stellte klar die
Vorteile des systematischen Fibel-Ansatzes gegenüber
Methoden wie der ‚Rechtschreibwerkstatt‘ oder ‚Lesen
durch Schreiben‘ heraus: Bei diesen Methoden wird,
um zum freien und kreativen Schreiben zu ermutigen,
sehr lange nicht korrigiert – durchaus ungünstig für
korrekte Orthographie, die dann erst zum Ende der
Grundschulzeit wichtig bzw. den weiterführenden
Schulen als Aufgabe mitgegeben wird.3
Erkennungsmerkmale von LRS im Unterricht
Nicht alle LRS-Betroffenen sind diagnostiziert. Auch
handelt es sich um Fehler, die jedem einmal unterlaufen
können und eher durch die Häufigkeit ihres Auftretens
der Lehrkraft einen Hinweis auf LRS geben können.
Beim Schreiben sind zu beobachten:
• viele Fehler beim (Ab-)Schreiben von Texten; Wörter werden teilweise nur in Bruchstücken (sog. Wortruinen) geschrieben; dasselbe Wort wird innerhalb eines Textes verschieden falsch geschrieben;
Interpunktionsfehler
• unleserliche Handschrift (tw. in unterschiedlicher
Schriftgröße innerhalb eines Textes)
• Diskrepanz zwischen sehr gutem mündlichem Ausdrucksvermögen und betont knapper Beantwortung
schriftlicher Aufgaben.
Diagnose LRS
Die bisherigen Ausführungen lassen erkennen, dass sehr
verschiedene Ursachen und Schweregrade vorliegen:
Während an der genetischen Ausstattung nichts änderbar
ist und die Betroffenen auch im Erwachsenenalter massiv
beeinträchtigt sein können – wenngleich sie dies im
Laufe ihrer Bildungsbiographie zu kompensieren lernen
–, scheinen andere Ursachen geradezu hausgemacht und
ausmerzbar. Diese Spannbreite sollte man als Lehrkraft
im Hinterkopf haben, wenn eine Schülerin oder ein
Schüler mit LRS-Diagnose kommt. Häufig wird nicht
(genug) zwischen der stark ausgeprägten Legasthenie
und der minder starken Lese-Rechtschreib-Schwäche
unterschieden. Im ICD (International Classifiction
of Diseases) wird die Lese-Rechtschreib-Störung
unter den Entwicklungsstörungen eingeordnet und
folgendermaßen definiert:
Beim Lesen sind zu beobachten:
• langsames Lesetempo, häufiges Stocken, Probleme
v.a. bei längeren Wörtern
• Verrutschen zwischen den Zeilen längerer Texte,
Überspringen von Wörtern
• Auslassung, Verdrehen oder Ersetzung einzelner
Buchstaben/Silben (bis hin zu ganzen Wörtern)
• Gliederung in Silben gelingt nicht immer
• Nichtlesen bzw. Erfinden von Wortendungen oder
ganzen Wörtern als Kompensationsstrategie
• Ignorieren der Interpunktion
• bei Fragestellungen zum Text oft nur Verwendung
von allgemeinem Wissen anstatt der Informationen
aus dem Gelesenen.
„Das Hauptmerkmal ist eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung
erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wieder zu erkennen, vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit nötig ist, können sämtlich
Gestaltung von Lateinunterricht für LRS-Betroffene5
Da das Übersetzen Kern und Königsaufgabe des
59
FACHDIDAKTIK
FACHDIDAKTIK
Für die Grammatikarbeit lässt sich grob sagen, dass
deduktive Verfahren den induktiven vorzuziehen sind,
man die metasprachliche Terminologie auf das Nötigste
begrenzen sollte und auf jeden Fall ein einheitliches
Markierungssystem für Satzglieder einführen sollte. Das
Baukastensystem der lateinischen Sprache lässt sich gut
mit Legekarten sowie farblich verdeutlichen (Präfixe,
Wortstamm, Bindevokale, Tempuskennzeichen, Personal- oder Kasusendungen), überhaupt sollten immer
verschiedene Sinneskanäle angesprochen werden. Grammatisch-syntaktische Phänomene (z.B. AcI) sollte man
wo nur möglich visualisieren und nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich einüben.6 Tafelbilder zur
neuen Grammatik kann man eventuell als (Lücken)
kopie aushändigen, damit der LRS-Schüler nicht so viel
abschreiben muss, denn häufig ist gleichzeitiges Hören
und Mitarbeiten sowie das oft langsame und fehlerhafte
Abschreiben ein Problem.
Abb. 2 und 3 Mitschriften eines Schülers mit LRSDiagnose (8. Klasse, 3. Lernjahr Latein).
Lateinunterrichts darstellt, soll zunächst hierauf eingegangen werden. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Texterschließung sich auf drei Ebenen vollzieht. Zunächst
einmal muss die Textoberfläche dekodiert werden: Die
Erkenntnispsychologie versteht hierunter das flüssige
Lesen ohne tieferes Textverständnis; hier haben LRS-Betroffene im Vergleich zu ihren Mitschülern bereits Probleme und benötigen mehr Zeit. Geeignet zur Übung
sind z.B. Laut-Lese-Tandems, indem ein lesekompetenter Schüler den bereits in Sinneinheiten gegliederten
Text mit dem LRS-Schüler möglichst expressiv zu lesen
übt.
Für die Wortschatzarbeit gilt, insbesondere für den
Anfangsunterricht, Wörter haptisch erfahrbar machen,
z.B. durch Schreiben auf Wachstafeln. Vokabelkartei
oder Vokabelheft (beim Abschreiben von Lernvokabeln: Schauen – Abdecken – Abschreiben - Kontrollieren) sind zu empfehlen, statt Wortlisten sollte man lieber
Mindmaps anfertigen lassen! Übungen mit Buchstabenvertauschungen (Buchstabensalate, Wortschlangen ...)
o.ä. sollte man vermeiden, wie Abb. 4 zeigt:
Die zweite Ebene ist die der Textbasis, des Durchdringens
der Mikro- und Makrostruktur eines Textes, der
Schaffung von Bedeutungseinheiten und der Analyse von
syntaktischen Strukturen. Auch hier haben LRS-Schüler
große Probleme wegen der starken Verdichtung und
Komplexität/ Bedeutungsambivalenz des Lateinischen,
z.B. die Notwendigkeit, Prädikate zu segmentieren
und daraus Tempus- und Personalinformationen zu
entnehmen. Aufgrund der LRS-Schwierigkeit, Texte
ganzheitlich zu ‚scannen‘ und gezielt Informationen zu
entnehmen, wie es zum Beispiel die transphrastische
Text(vor)erschließung verlangt, bieten sich also eher
linear vorgehende Texterschließungsmethoden an, die
zunächst auf der Satzebene operieren. Empfehlenswert ist,
LRS-Betroffenen den zu übersetzenden Text in größerer
Kopie und mit mehr Zeilenabstand auszudrucken – bei
digitalen Lehrwerken ist dies ohne großen Aufwand
machbar. Was die Wörterbuchnutzung angeht, so ist
die Orientierung in Print-Wörterbüchern, wenn die
Lemmata nicht klar voneinander geschieden und in sich
strukturiert sind, häufig verwirrend. Eine WörterbuchApp setzt zwar voraus, dass man das zu suchende Wort
auch korrekt eintippt, schränkt aber andererseits die
Menge der zu sondierenden Informationen ein.
Leistungen muss deutlich werden. Ziel der Nachteilsregelungen ist, ein schulisches Scheitern zu vermeiden,
nicht, zu viel besseren Noten zu verhelfen!8
Latein vs. andere Schulfremdsprachen
Den Ausgangspunkt für mein Interesse an LRS bildete vor einigen Jahren die Äußerung von Latein- und
Griechischkolleginnen und -kollegen, sie würden ihren
Schülerinnen und Schülern mit LRS dezidiert die
Alten Sprachen empfehlen und hätten gute Erfahrungen damit. Dies lässt sich einerseits bestätigen, andererseits einschränken: Vorteilhaft ist natürlich, dass die
lautlich-phonologische Sprachebene im Gegensatz zu
auf Kommunikationskompetenz ausgerichteten Fremdsprachen (insb. Französisch) für Latein kaum eine Rolle
spielt. Doch sind gute Kompetenzen auf der morphologisch-syntaktischen und der semantisch-lexikalischen
Ebene gefragt: abwägende Schülertypen mit abstraktem
Denkvermögen und starken auditiven aber weniger visuellen Wahrnehmungsproblemen sind, zumal bei entsprechender Frustrationstoleranz, sehr gut aufgehoben im
Lateinunterricht.
1
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3
4
5
6
Als Einstieg bestens geeignet: Scheerer-Neumann, Gerheid: Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie. Grundlagen, Diagnostik und Förderung, Stuttgart 2015, hier S. 13 ein Mehrebenenmodell der LRS-Einflussfaktoren; Klicpera, Christian/
Schabmann, Alfred/ Klicpera-Gasteiger, Barbara: Legasthenie –
LRS, München/Basel 2010³.
Siehe Scheerer-Neumann, Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie (2015) 32f.
Siehe den Artikel: Kinder lernen Rechtschreibung am besten mit
der Fibel. Früja wa ales bässa? Zumindest beim Schreibenlernen
7
8
scheint da etwas dran zu sein: In einer Studie schneidet die
klassische Fibel am besten ab. Eine besonders umstrittene Methode
fällt durch. Beitrag vom 16.09.2018 (eingesehen unter http://
www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/rechtschreibung-kinderlernen-rechtschreibung-am-besten-mit-der-fibel-a-1228351.
html am 12.01.2019). Vgl: https://www.zdf.de/nachrichten/
heute/lehrerverband-fordert-verbot-der-lesen-durch-schreibenmethode-100.html (eingesehen am 12.01.2019).
http://www.icd-code.de/icd/code/F81.-.html (eingesehen am
12.01.2019).
Hier können nur kurze Anmerkungen gemacht werden; wer sich
intensiver damit beschäftigen möchte, sei auf meinen Grundsatzbeitrag dazu verwiesen: Friedrich, Anne: LRS und Lateinunterricht, in: Pegasus-Onlinezeitschrift 1 (2017) 14-75 (mit Anhang
zu den Verwaltungsvorschriften der einzelnen Bundesländer),
einzusehen unter http://www.pegasus-onlinezeitschrift.de/.
Ausgezeichnetes Material bietet Bethlehem, Ulrike: Latine loqui – gehört, gesprochen, gelernt (2015) 25-34 und 45-56 und
63-70: Kopiervorlagen zur lebendig-versprachlichten Grammatikeinführung unter Beachtung der jeweiligen Funktionalität
(Akkusativ-Übung mittels Bildbeschreibung, Genitiv-Übungen anhand des genitivus possessivus, AcI mit gelenkten Sprechübungen).
Beschrieben bei Wittich, Peggy/ Mallon, Sven: „Tres, tres, tria“
Lernspiele für Latein ab dem 1. Lernjahr, Berlin 2015.
Siehe zum Beispiel die Empfehlungen zur Umsetzung der Verwaltungsvorschrift „Förderung von Schülerinnen und Schülern
mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben
vom 28.8.2007/ Rheinland Pfalz: https://deutsch.bildung-rp.
de/fileadmin/user_upload/deutsch.bildung-rp.de/Sek_I/Dateien/2013-08_HR_Rechtschreibfoerderung_VV_final__2_.pdf
(eingesehen am 12.01.2019).
Abb. 4 Mitschrift einer Schülerin mit LRS-Diagnose (7.
Klasse, 2. Lernjahr Latein).
Geeignete Wortschatzübungen (nicht nur) für
LRS-Schülerinnen und Schüler stellen dar: Bingo, Wortnetzwerkstatt, Memory, Vokabelkreis, Formpuzzle Trimino, Omnium optimus/optima.7
Nachteilsausgleich und Bewertung bei LRS im
Lateinunterricht
In den Verwaltungsvorschriften zum Nachteilsausgleich
wird stets die Bereitstellung von technischen und didaktischen Hilfsmitteln (z.B. Laptop, Tafelbildkopien) vorgeschlagen, dazu auch die Ausweitung der Arbeitszeit
bei schriftlichen Leistungserhebungen (günstiger als
eine Kürzung der Aufgaben, denn dies ruft schnell den
Widerspruch der Lerngruppe hervor). Wie viel Zeit man
zusätzlich gibt, sollte individuell bestimmt und der Lernprogression angepasst werden. Überhaupt sollte man im
Blick behalten, dass die LRS-Diagnose und der damit
erhaltene Nachteilsausgleich nicht ausgenutzt werden:
die Anstrengung des/der LRS-Betroffenen für bessere
Die dritte Ebene ist das sg. Situationsmodell, die Integration der Textinformationen in das individuelle Vorund Weltwissen des Lesers. Alle Ebenen laufen parallel
und rekursiv ab, die dritte Ebene ist für die Verankerung
der Textinhalte im Langzeitgedächtnis die effektivste –
und sollte dementsprechend im Unterricht Thema sein.
60
„Ich liebe es auch, dass ich all die beruflichen Erfahrungen,
die ich vorher gemacht habe, so gut gebrauchen kann“
Ein Einblick in die Arbeit einer leitenden Regierungsschuldirektorin
EIN INTERVIEW VON CAROLINE WAHL
N
exus durfte am 14.01.2019 mit Frau Meyer,
der leitenden Regierungsschuldirektorin,
ein Interview führen. In diesem berichtet
sie ausführlich über ihre vielfältigen Tätigkeiten,
ihren Werdegang als Lehrerin, Schulleiterin, Fachleiterin und anschließend als schulfachliche Aufsicht in
der Bezirksregierung Arnsberg und als Regionalkoordinatorin im Lenkungskreis der Stadt Bochum.
I. Frau Meyer, Sie sind Regionalkoordinatorin der
Schulaufsicht für die Regionalen Bildungsnetzwerke
in Bochum. Welche Aufgaben müssen Sie innerhalb
Ihres Berufs ausüben?
„Regionalkoordinatorin“ ist nur ein ganz kleiner Teil
meiner Aufgaben und man kann den Beruf grundsätzlich
in vier Teile teilen: Einmal die Zusammenarbeit mit
61
FACHDIDAKTIK
FACHDIDAKTIK
Kommunen, zum Zweiten die Zusammenarbeit
mit den Schulleitungen, zum Dritten die Arbeit für
besondere Themen und zum Vierten die Arbeit an
Unterrichtsfächern […].
Das sind vier Teile und in einen gehört diese Regionalkoordination im Bildungsnetzwerk Bochum.
ganz neu Ansprechpartnerin – worüber ich mich sehr
freue – für kulturelle Bildung. Das heißt auch über die
Schulformen hinweg. Dazu gehören viele interessante
Projekte, u.a. das Projekt „Das NRW-Junior Ballett
besucht Schulen in der Bezirksregierung Arnsberg“.
Nicht zuletzt bin ich für die Qualität von Unterrichtsfächern zuständig und zwar für Biologie und Latein und
alles was so im Groben damit zusammenhängt. Das
bedeutet, dass ich für beide Fächer mit den Kolleg*innen in anderen Bezirksregierungen Prüfungen verantworte, Staatsexamensprüfungen besuche, zentrale Prüfungen aufsichtlich abnehme, aber auch Widersprüche
bearbeite, bei der Fortbildung mitarbeite, wenn Fortbildungsmodule für Lehrer*innen erarbeitet werden, z.B.
für die Durchführung des mündlichen Abiturs, dann
arbeite ich in den Gruppen für Biologie und für Latein
mit.
Damit möglichst viele Schüler*innen einen guten
Schulabschluss machen und einen für sie passenden
Ausbildungsplatz und/oder ein Studium finden, (auch
wenn individuell nicht alles so glatt läuft, z.B. wenn es
Probleme in der Familie gibt oder Sprachschwierigkeiten
oder die Schüler*innen zugewandert sind) [...], gibt es
in den Kommunen und kreisfreien Städten, also z.B.
in Bochum, eine Zusammenarbeit vieler kommunaler
Institutionen, Bildungseinrichtungen und Schulen
[…] Damit die Zusammenarbeit langfristig koordiniert
wird, gibt es Lenkungskreise und hier sitzen dann
Leitungspersonen aus diesen Institutionen […] und
Dezernent*innen der Schulaufsicht und der Kommune.
In Bochum bin ich eine der Dezernentinnen. Da
geht es gar nicht um Fächer, da geht es einfach um
Zusammenarbeit unabhängig von Schulformen, um
die Zusammenarbeit mit der Kommune mit der Brille
immer aus der Schule heraus. Als Regionalkoordinatorin
vertrete ich hier viele Schulformen. Man trifft sich
dann dafür regelmäßig und macht Pläne für eine
weitere Zusammenarbeit, z.B. beim Thema „Übergänge
zwischen den Schulformen“ gibt Aufträge und schaut,
wo man Dinge optimieren kann. […]
II. Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Tätigkeit?
Ich liebe es, dass meine Tätigkeit so unterschiedlich ist
und ich liebe es auch, dass ich all die beruflichen Erfahrungen, die ich vorher gemacht habe, so gut gebrauchen
kann. Also es schließen sich immer wieder neue Kreise;
man trifft Menschen wieder, die man schon einmal
getroffen hat, und ich kann sehr gut Fähigkeiten für die
fachliche Arbeit verwenden, die ich mir aus meiner früheren Tätigkeit als Fachleiterin für Latein, für Biologie
und als Hauptseminarleiterin angeeignet habe. Bei der
Beratung von Schulen kann ich darauf zurückgreifen,
dass ich selber eine Schule geleitet habe, sodass ich […]
viele der Probleme erstmal verstehen kann, um gemeinsam eine Lösung zu suchen. So kann es sein, dass ich
an einem Tag ganz ruhig mit Menschen Texte übersetze
und am nächsten Tag in der Prüfung sitze, weil jemand
stellvertretender Schulleiter werden möchte und mir ein
ganz anderes Fach oder eine Fachkonferenz anschaue
oder am dritten Tag im Ministerium für Schule und Bildung bin, um gemeinsam mit den anderen Dezernenten
zu erfahren und zu besprechen, wie z.B. G9 umgesetzt
werden soll.
Ich bin Regionalkoordinatorin in Bochum, weil ich u.a.
für die Gymnasien in Bochum zuständig bin. Das ist
sozusagen der zweite Part: Ich unterstütze die Schulleiter*innen bei der Schulentwicklungsarbeit. Wenn es
Probleme gibt, die sie nicht alleine lösen können, z.B.
wenn Unterrichtsausfall droht oder wenn Bildungsbiographien bedroht sind, berate und unterstütze ich sie.
Aber ich bin auch sonst bei allen möglichen großen
und kleinen Problemen die erste Ansprechadresse und
berate, unterstütze und sichere Qualität, z.B. indem ich
mit den Schulen Ziele für die zukünftige Schul- und
Unterrichtsentwicklung zwischen den externen Qualitätsanalysen vereinbare. Das ist ein konsensualer Prozess.
III. Wenn Sie Ihren jetzigen Aufgabenbereich, mit
denen der Lehrer*innen vergleichen, welche Unterschiede gibt es? Würden Sie nochmal in den aktiven
Schuldienst wechseln?
Der dritte Aufgabenbereich beinhaltet meistens
übergreifende Themen: Ich bin jetzt zum Beispiel
Ansprechpartnerin für die Ganztagsgymnasien in
der Bezirksregierung Arnsberg und nicht nur für die
in Bochum und Herne und treffe mich regelmäßig
mit den Schulleiter*innen, gebe Informationen
weiter, unterstütze und berate; ich bin für alle
Fragen der Sekundarstufe I zuständig innerhalb der
Bezirksregierung Arnsberg, das bedeutet, für die nächste
Zeit für die Umsetzung von G9 und darüber hinaus
Im Unterschied zu den Lehrer*innen habe ich jetzt nur
noch selten direkten Kontakt mit Eltern und mit Schüler*innen, meistens telefonisch. Mit Lehrerinnen und
Lehrern habe ich Arbeitskontakte z.B. in Arbeitsgruppen und Dienstbesprechungen. Der direkte Kontakt
mit einem Lehrerkollegium über eine längere Zeit fehlt
in der jetzigen Arbeit, durch den man Beziehungen in
62
rüberbringen können. Das kann auch ein wenig skurril
sein, aber Schüler*innen lieben es. Wenn der Lehrende
in einer Sache richtig gut ist, ganz viel weiß und davon
auch unheimlich gerne erzählt, lassen sich Schüler*innen begeistern und sie sehen auch, dass der Lehrende
auch selbst ein Lernender ist und in seinem Lieblingsthema (und hoffentlich auch darüber hinaus) gerne weiterlernt. Das finde ich gerade für Latein und Griechisch
ungemein wichtig: Studierende, die mit Liebe zu ihren
Fächern Latein oder/und Griechisch studieren, verfügen in der Regel über die Sekundärtugenden, die ich
wichtig finde, sowieso schon: Sie sind fleißig, frustrationstolerant, ein Stück weit ehrgeizig, können relativ gut
planen und sind oft ist ein bisschen detailverliebt und
sachorientiert. Das ist vorteilhaft, weil Lehrer*innen die
eben genannten Verhaltensweisen vorleben müssen, um
als Vorbild glaubhaft und tauglich zu sein: Man darf,
wenn man selber nicht fleißig ist, keinen Fleiß erwarten, wenn man nicht pünktlich und verlässlich ist, keine
Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Wenn Lehrer*innen
nicht zeigen, dass Sie selber gerne weiterlernen, dann
brauchen sie nicht erwarten, dass alle anderen das gerne
machen oder einen Sinn darin sehen.
einer Schulgemeinde aufbauen und pflegen, schnell Vertrauensverhältnisse herstellen, gemeinsam an der Entwicklung von Schüler*innen direkt mitarbeiten und
unterstützen konnte. Jetzt arbeite ich über eine lange
Zeit in der eben genannten Weise mit mehreren Schulleiter*innen zusammen. Das finde ich auch sehr befriedigend. Aber sonst ist der Kontakt zu Schüler*innen
weiter weg. […]. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, wieder direkt vor einer Klasse zu stehen, weil
ich glaube, dass alles seine Zeit hat, aber ich habe das
sehr gerne gemacht. Ich bin sicher, dass ich noch unterrichten kann und es in keiner Katastrophe enden
würde. Ich kann mir vorstellen, dass ich mir, wenn ich
irgendwann mal in Rente gehe, noch einmal Kinder in
Deutsch und auch gerne in Latein unterstütze, z.B. im
Rahmen von Integrationsmaßnahmen. Diese Perspektiven kann ich mir gut vorstellen. Das Unterrichten fehlt
mir manchmal. Ich habe so gerne Latein unterrichtet.
IV. Durch Ihre jetzige Tätigkeit als Schulaufsichtsbeamtin und Ihre damaligen Aufgaben als Fachleiterin und Schulleiterin hospitierten und bewerteten Sie auch den Unterricht von Lehrer*innen. Was
muss jetzt speziell ein*e gute*r Latein- bzw. Griechischlehrer*in Ihrer Meinung nach mitbringen und
was nicht?
Menschen sind ungeeignet für den Beruf, wenn sie nicht
täglich und stündlich dem Grundsatz folgen „Die Würde
des Menschen ist unantastbar“, wenn sie Schüler*innen
durch abschätzige Sprüche und Beleidigungen
beschämen: „Schon wieder eine fünf. Das schaffst du
eh nicht. Du gehörst sowieso nicht auf diese Schule“
insbesondere solche Erniedrigungen in einer Situation,
denen sich der Lernende nicht entziehen kann und im
schlimmsten Fall noch öffentlich in der Klasse - das
ist absolut indiskutabel. Sich so nicht zu verhalten,
sondern wertschätzend, freundlich und voll Vertrauen
in die Möglichkeiten der Schüler*innen ist das Beste,
was wir – neben richtig gutem Unterricht natürlich –
für die alten Sprachen an den Schulen tun können.
Erstmal alles, was andere Lehrer*innen in anderen
Fächern auch mitbringen müssen: Sie müssen Menschen
mögen. Wenn man das nicht tut, möge man das bitte
sofort lassen. Menschen mögen bedeutet, dass man
grundsätzlich erstmal neugierig auf die anderen ist,
ihnen vertraut, Vertrauen zu sich selber hat, dass man
etwas gütig und großzügig ist und viel Freiheit gewährt.
Das ist so eine Grundkonstante. Humor ist, glaube ich,
sehr wichtig, um in diesem Beruf gesund zu bleiben. Es
ist auch wünschenswert, dass Lehrer*innen erwachsen
sind. Ich verstehe unter erwachsenen Menschen
Personen, die Selbstbewusstsein haben und in ihrer
Rolle (als Lehrer*in) sicher sind. In der Rolle sicher sein,
bedeutet, dass ihnen klar ist, dass sie keine Schüler*innen
mehr sind, dass sie auf der anderen Seite vom Tisch
sitzen und die Verantwortung für die Lernprozesse und
den Erziehungsprozess in der Schule haben, in aller
Freundschaft. Des Weiteren sollten ein*e Lehrer*in klar
in ihrer/seiner Profession und in ihrer/seiner Rolle als
Beamter in einem demokratischen Rechtsstaat sein. Das
muss ein*e angehende*r Lehrer*in vor Augen haben. Da
dürfen er und sie sich nicht dauernd ausklinken.
V. Gab es für Sie als Lehrerin und/oder als Beobachterin irgendwelche prägende Ereignisse im Unterricht, die Sie nie vergessen werden?
Es gibt unendlich viele positive Ereignisse. Das, was
ich jetzt schildere, ist eher so ein Klischee, aber hat
sich tatsächlich ereignet. Die Schulen haben 2015
– alle Schulformen, aber auch die Gymnasien, die
Gesamtschulen im Wesentlichen – Flüchtlingskinder
aufgenommen. In Bochum z.B. hat jedes der zehn
Gymnasien zwischenzeitlich 45 Schüler*innen
ohne deutsche Sprachkenntnisse, z.T. Analphabeten
aufgenommen. Das sind sehr viele, wenn man
bedenkt, dass ungefähr 600 Kinder an der Schule
sind. […] Ich besuche die Schulen regelmäßig aus den
unterschiedlichsten Gründen und ich erinnere mich,
Für Latein und Griechisch gilt besonders, dass man ein
Modell für das Lernen ist. Man muss seine Fächer lieben, d.h. man muss nicht für alles in den Fächern brennen, aber mindestens für ein Thema sollte man sich
begeistern können und Experte sein und das muss man
63
FACHDIDAKTIK
FACHDIDAKTIK
dass 2015 ein Schulleiter – und es war immer eine
Herausforderung für ein Gymnasium – sich gefragt
hat: „Was mache ich mit neuen Schüler*innen? Woher
nehme ich die Ressourcen und die Experten?“ Er
hat das Kollegium für diese Aufgabe gewonnen. Bei
meinem nächsten Besuch hat er mich eingeladen „Sie
müssen mal mitkommen in unsere eine internationale
Klasse.“ Da saßen 12 Kinder unterschiedlichen Alters,
aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Die
zwei Lehrerinnen waren total stolz. Der Schulleiter
stellte mich vor. Das haben die Schüler*innen zwar
nicht ganz verstanden, aber sie verstanden, dass sie
jetzt ihren neugelernten Satz anbringen können,
nämlich „ich heiße“ und „ich komme aus“. Also habe
ich allen 12 Schüler*innen die Hand geschüttelt und
alle 12 haben mir gesagt, wie sie heißen und woher
sie kommen. Das war schon so eine Situation… Das
war schön. Ich habe nichts dazu beigetragen, sondern
nur die Schulen bei der Verteilung unterstützt und ein
bisschen Überzeugungsarbeit geleistet, aber ich fand
diese Situation sehr gut: Die Kinder mussten in die
Schule gehen. Politisch kann man das sehen, wie man
das möchte. Aber die Kinder waren nun einmal in
Deutschland, standen sozusagen vor der Tür, haben ein
Recht auf Bildung, wurden und werden an den Schulen
aufgenommen und dürfen lernen. […]
geht es eigentlich wirklich geht. Viele der „modernen“
didaktischen Ansätze sind vor 30 Jahren entstanden.
Damit bin ich schon sozialisiert. Ich sage mal, ich bin mit
Prof. Dr. Glücklich sozialisiert. Was sich in den letzten
Jahren verändert hat, insbesondere durch Veränderungen
im Schulgesetz, ist die Verpflichtung zur individuellen
Förderung auch in allen Schulformen. Mit Blick auf
individuelle Förderung machen binnendifferenzierende
Verfahren im Unterricht viel Sinn. […] Wichtig ist,
dass wir möglichst gleiche Chancen eröffnen und
Schüler*innen in ihren Lernbiographien unterstützen.
Da hat sich in der Lateindidaktik und im Unterricht
sehr viel getan. Was sich auch getan hat, ist, dass diese
kreativen Möglichkeiten stärker genutzt werden und
stärker in den Fokus geraten. Gut und notwendig
finde ich, dass auch bei den modernen Didaktiken der
Text im Zentrum steht. […] Was sich noch entwickelt
hat, nicht zuletzt durch zunehmende Heterogenität
der Gesellschaft, ist sicherlich der Blick auf das Fach
Latein als Fach, in dem Sprachlernkompetenz und
Sprachbewusstheit angebahnt durch die Reflexion über
Sprache angebahnt werden. In der Didaktik bekommt
dieser Aspekt mehr Raum u.a. durch die zugewanderten
Kinder. Latein bietet tertium comparationis beim
Erlernen weiterer Sprachen. Im Lateinunterricht wird
beim Übersetzen auch die Verwendung der deutschen
Sprache, insbesondere der Bildungssprache, reflektiert
eingeübt. Über den Ausbau der Sprachkompetenz
in der deutschen Sprache wird Teilhabe ermöglicht
für Menschen, deren Eltern in Deutschland geboren
sind und für die, die zugewandert sind. Darüber
hinaus werden die Muttersprachen der Schüler*innen
deutlicher als Stärken genutzt. Diesen Aspekt nimmt
die Fachdidaktik stärker in den Fokus im Kontext
mit den Sprachen, die die Kinder schon mitbringen
im Sinne von Mehrsprachigkeit oder Würdigung
dieser Mehrsprachigkeit und in Zusammenarbeit mit
den anderen Fächern, zusammen mit den anderen
Fremdsprachen. Das hat sich auch geändert. Darüber
hat in meiner Schulzeit kein Mensch geredet.
VI. Denken Sie bitte noch einmal an Ihre Schulzeit
zurück. Wie hat sich der Lateinunterricht damals im
Gegensatz zu heute verändert? Wie hat sich speziell
die Fachdidaktik verändert?
Ich habe 1986 Abitur gemacht. Ich hatte recht
modernen Lateinunterricht. Das habe ich natürlich erst
viel später mitgekriegt, weil wenn man irgendwo an
einer Schule ist, denkt man, dass der Lateinunterricht
überall so und nicht anders ist. Ich komme aus einer
nicht-akademischen Familie, d.h. ich hatte absolut
keine Vergleichsmöglichkeiten. Mein Studium habe ich
als absoluten Rückfall in die Steinzeit erlebt und war
völlig frustriert, als ich meine erste Hausarbeit damals
zurückbekam. Der Professor kritisierte mich, dass ich
mich mehr mit der Sekundärliteratur hätte beschäftigen
sollen und weniger mit meiner eigenen Meinung. Es
hätten viele kluge Leute schon darüber geschrieben,
da müsste ich nicht noch meine eigene Meinung dazu
schreiben. Ich war damals sehr irritiert, weil ich das ja in
der Schule anders gelernt hatte […].
Metamorphosen begleiten mich schon 35 Jahre. Diese
sprachliche Schönheit war für mich ein Türöffner zu
Kunst und Musik. Da ich ja nicht aus einem akademischen Haushalt komme, hat Ovid und tut es immer
noch, mir z.B. viele Bilder erschlossen und Museumsbesuche fruchtbar gemacht. Es ist einfach schön zu wissen, woher ein Zitat stammt, was bestimmte Symbole
bedeuten. Das macht ein Stück weit meine Freude an
der bildenden Kunst aus, dass ich das verknüpfen kann,
dass ich weiß, dass der/die Künstler*in das auch gelesen
und interpretiert hat. Diese Brücke bietet mir an ganz
vielen Stellen unter anderem Ovid. Ich mag den Sprachstil unheimlich gerne. Mich fasziniert der Mensch, der
mit seinem großen Selbstbewusstsein schon sehr genau
wusste, dass er mit diesem Werk unsterblich werden
würde. Bescheidenheit geht anders, aber damit hatte er
Recht.
Bafögs begrenzt war, habe ich in der Mitte des Studiums
Chemie aufgeben müssen.
VIII. Ist Latein noch in Ihren Alltag integriert? Kommen Sie zum Beispiel dazu, etwas zu übersetzen?
Ich übersetze sehr häufig Texte und zwar überwiegend
im
Kontext
von
Prüfungszusammenhängen.
Die Bezirksregierungen sind zuständig für die
Latinumsprüfungen an den Schulen und an
den Universitäten. Ich bekomme Vorschläge aus
Kommissionen, die ich beauftragt habe. Aber zum
Schluss geschieht die Endredaktion über mich. Ich
arbeite immer mit und das bedeutet dann, Texte zu
übersetzen und Modellübersetzungen anzufertigen
und zu überlegen, welche Hilfen angegeben werden
[…]. Es gibt Arbeitsgruppen der Qualitäts- und
Unterstützungsagentur in Soest, die Modellvorhaben
und Materialien für neue Schwerpunkte, wenn es
neue Abiturvorgaben gibt, entwickeln. Da werde ich
eingebunden und auch da übersetze ich immer. Nicht
zuletzt arbeite ich in den Fortbildungsgruppen mit; wenn
in einer Lehrerfortbildung ein Modul angeboten wird,
kommt man nicht umhin zu schauen, was ist das jetzt
für ein Text, passt der zur Zielsetzung der Fortbildung
[…]. Das macht deshalb viel Spaß, weil ich dort mit
Lehrer*innen in den verschiedensten Arbeitsgruppen
zusammenarbeitet, die z.B. Spezialisten für bestimmte
Autoren oder für Didaktik sind und gleichzeitig auch an
unterschiedlichen Schulen unterrichten.
Des Weiteren liebe ich Caesar. Ich habe ihn immer
gerne selbst und mit Schüler*innen übersetzt, weil
ich zum einen diese Sprache präzise, modellhaft und
wunderschön finde. Je älter ich werde und je länger
ich mich mit ihm beschäftige, umso brillanter finde
ich, wie er uns Leser lenkt. Ich finde, dass man das mit
Schüler*innen daran gut und klar erarbeiten kann, was
er mit Sprache, mit Propaganda machte.
Im Moment beschäftige ich mich sehr vertieft mit
Augustinus, weil er im Zentralabitur neu ist.
Ich verliebe mich gerade in dessen Fähigkeit, wie
Cicero zu schreiben, aber die Gedanken dann wieder zu
transformieren und Begriffe umzudeuten. […]
IX. Welchen lateinischen Autoren mögen Sie am
liebsten?
Am meisten Freude bereitet es mir, mit anderen
gemeinsam um die Aussage eines Textes zu ringen, im
Diskurs selbst zu einem vertieften Textverständnis zu
kommen und gemeinsam eine gute, dem Text in Aussage
und Struktur würdige deutsche Übersetzung zu finden.
Ich kann es nicht sagen, welchen ich am liebsten mag.
Wenn ich mich aber festlegen müsste, dann ist es Ovid,
seine Metamorphosen. Es gibt viele Gründe, warum
er immer noch oder immer wieder im Kanon und in
Schulbüchern auftaucht und immer wieder neue Schulbücher geschrieben werden. Ovid und gerade seine
VII. Warum haben sie sich dafür entschieden, das
Fach Latein zu studieren?
Die Wahrheit ist, dass ich Bio und Chemie studieren
wollte. Aber in der Stadt, in der ich dann studieren
wollte, hatte die Uni kurzfristig die Zulassung
geändert, so dass man zusätzlich ein Langfach dazu
studieren musste. Ich stand schon in der Schlange zum
Anmelden. Dann habe ich mich wieder hintenangestellt
und habe gedacht: „Ach du große Güte! Was machst
du denn jetzt?“ „In Latein warst du immer ganz gut.“
Ich hatte Leistungskurs, ich habe in dem Fach Abitur
gemacht und es hat mir immer großen Spaß gemacht.
„Na, dann studierst du drei Fächer.“ Da die Laufzeit des
Insofern habe ich das Referendariat dann wieder sehr
genossen, weil die modernen Tendenzen, die jetzt
immer noch modern genannt werden, mir da schon
nicht fremd waren, also transphrastische Verfahren,
Textvorerwartungen zu formulieren, sich nicht sofort
in den ersten Satz zu vergraben, zu überlegen, worum
64
Teacher’s Day in Bielefeld
EIN BERICHT VON CAROLINE WAHL
Stuttgart ist, einen Vortrag zum Thema „PhaedrusFabeln binnendifferenziert und schülerorientiert
unterrichten“.
Der Teacher’s Day in Bielefeld wurde am 26.09.2018
unter dem Thema „Latein, Übergangslektüre, neue
Perspektiven“ für die LehrerInnen angeboten. Nach
einigen begrüßenden Worten von Frau Prof. Benz
und Herrn Dr. Sauer hielt Frau Ingvelde Scholz, die
unter anderem Fachleiterin für Latein am Seminar
Der zweite Vortrag von Dr. Tom van de Loo,
Schulleiter des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Bad
65
NEXUS MEETS SCHULE
NEXUS MEETS SCHULE
Oeynhausen, erläuterte verschiedene mittelalterliche
Texte zur Übergangslektüre.
Nach einer Mittagspause wurden Workshops angeboten. Ein Workshop beinhaltet, dass wir, Frau Dr.
Stephanie Natzel-Glei, Marie-Sophie Grober, Mirka
Philipps und Caroline Wahl, unser Grammatik-Workout, das auf der Masterarbeit von Madleine Swietek
beruht und in dem die Texte von Jacobus de Voragine
von uns medial aufbereitet wurden, den TeilnehmerInnen vorstellten. Der krönende Abschluss des Teacher’s Day war der auf Latein gehaltene Vortrag von
Özséb Áron Tóth (Eusebius) zur lateinischen Lyrik,
die teils durch ihn selbst, teils mithilfe des lateinischen
Chors der Universität Bielefeld musikalisch untermalt
wurde.
Dankesblumen für die Referentinnen: (v. links) MarieSophie Grober, Caroline Wahl, Mirka Philipps und
Stephanie Natzel-Glei.
Der „Tag der Antike“ am Görres-Gymnasium
EIN INTERVIEW VON LARA NOWAK
D
Serien oder doch online veröffentlichte Fachzeitschriften auf dem aktuellen Forschungsstand – das
‚Alte‘ hat seinen beständigen Anteil am vermeintlich
‚Neuen‘. Um diese Fusion auch bildungspolitisch
über die Bühne zu bringen, laden viele (humanistisch-)altsprachlichen Gymnasien, „extra curriculum“, zur Auseinandersetzung mit einer scheinbar
weit zurückliegenden, im europäischen (Sprach-)
Gedächtnis hingegen stets präsenten Epoche ein.
Das altsprachliche Profil, als Achillesferse, d. h. als
Schwachstelle verschrien, entpuppt sich vielmehr als
Stärke der betreffenden Gymnasien. Der belächelte
Orchideencharakter erblüht als vielversprechendes
Alleinstellungsmerkmal.
ie Alten Sprachen sehen sich, in schulischer wie auch universitärer „arena“, kontinuierlich mit ihrem ‚Überlebenskampf‘
konfrontiert. Die Anforderungen, welche ihr Erhalt
stellt, eine Herkulesaufgabe, die Bemühungen um
ihre Fortdauer eine Sisyphosarbeit, behaupten böse
Zungen. Doch ihre LiebhaberInnen tragen diese
Last bereitwillig, (mehr oder minder) Atlas und seinem Weltgewicht gleich. Manchmal macht es gar
den Anschein, als sei ihr Lebensinhalt unweigerlich
an den Sieg über das Totschlagargument „Tote Sprachen“ geknüpft. Ihre berufliche Existenz, sofern mit
den Alten Sprachen verbunden, steht definitiv auf
dem Spiel: Kappt man den Lebensfaden dieser ‚ehemaligen Optimaten‘ in Lehre und Forschung, sind
gerade auch ihre ‚Prediger‘ gefährdet. Die Moiren,
welche dem griechischen Mythos nach die Schere
führen, treten in heutiger Gestalt als reale Federführer einer Entwicklung hin zu reinen Kommunikationssprachen auf. Dass Latein und Griechisch zwar
nicht mehr zur unmittelbaren Verständigung beitragen können, jedoch einen geistigen Austausch auf
‚ur-menschlicher‘ Ebene erlauben, wird dabei oft
außen vor gelassen. Schließlich vermögen die antiken
Zeugnisse und Sagenschätze, in moderne (Pop-)Kultur transformiert, einen gemeinsamen Nenner europäischer Kommunikation zu bilden.1 Die Rezeption
antiker Zivilisation setzt sich in Zeiten des Internets,
das durch seine schiere Unendlichkeit jeder ‚Randgruppe‘ ihren Platz zugestehen kann, in beträchtlichem Maße fort: Seien es (pseudo-)historische
Ein rauer Wind umweht das sandsteinfarbene Gebäude,
welches von den verbliebenen Plantanen-Riesen in
Schach gehalten wird; der ‚Brunnenjunge‘ an der Ecke
blickt hilflos in das leere Becken zu seinen Füßen.
Umso einladender scheint das; was sich hinter dem
eisernen Gitter befindet, eine sirenengleich lockende
Wärme. Ein Traditionsversprechen liegt in der Luft,
wenn man dem vom römischen Dichter Horaz entlehnten Motto „Sapere aude!“2 des Görres Glauben
schenken mag. Die denkmalgeschützte Fassade und
historische Turmbibliothek des Düsseldorfer Gymnasiums lassen hoffen. Dessen Alltag, hinter dicken
Mauern verborgen, offenbart sich der außerschulischen Öffentlichkeit lediglich an besonderen Tagen.
Dieser Freitagnachmittag, der 18.01., ist einer von
ihnen: Neugierige GrundschülerInnen und ihre Eltern
66
Wie haben die Lehrenden des Görres ihren Einsatz
am „Tag der Antike empfunden? Wie schätzen sie die
Früchte ihrer Bemühungen ein und trägt ihr Engagement zum Fortleben der Alten Sprachen bei? Inwiefern?
durchqueren heute die unsichtbare Barriere – in Form
des historisch-selbstvergessenen Charmes, welcher
das Görres vom geschäftigen Treiben der Luxusmeile
„Königsallee“ abzuschirmen scheint. Vom Innenleben
der Schule absorbiert, werden die BesucherInnen von
in Tuniken gehüllte Jungen und Mädchen empfangen,
welche sich vor den massiven Toren des Haupteingangs
postiert haben. Stolz prangt den kleinen LotsInnen das
Schulwappen auf der Brust, als sie ihre ‚Schützlinge‘ in
die Welt antiker Alltäglichkeit entführen. Die hohen
Gänge des Altbaus füllen sich auf dem Weg zur Aula,
dem pulsierenden Herzen der Schule, langsam mit dem
Stimmengewirr der Gäste und Gastgebenden an. Die
Verwandlung in einen ‚kulturellen Hort der Griechen
und Römer‘ ist vor allem der engen Zusammenarbeit
von Schüler- und LehrerInnen zu verdanken, welche
die Gäste als derjenige Gemeinschaftsgeist umgibt, auf
den das Görres so großen Wert legt. Die „OLYMPIA
Goerresiana“, für welche weder Kosten noch Mühen
gescheut wurden, beweist – wie auch das Profil der
Schule –, dass sich fairer Wettbewerb und gesellschaftliches Streben wohlvertragen, ja sogar gegenseitig fördern. Der Konkurrenzcharakter der Olympiade lässt
die ‚Neuen‘ anfängliche Scheu überwinden und führt
sie spielerisch durch das Haus. An jeder der vier Stationen, welche auf einem Laufzettel in lateinischen-deutscher Übersetzung verzeichnet sind, können die Kinder
punkten. Die Disziplinen, welche es zu meistern gilt,
erfordern Geschicklichkeit (Nuss- und Knochenspiele),
Intelligenz (Rätsel und Aufgaben, Platons Höhle) und
Schnelligkeit (Wagenrennen). In Ergänzung finden sich
auch künstlerischer Angebote wie das der Schmuckherstellung, Scherbenmalerei oder dem Verkleiden, die
jedoch nicht in die Bewertung mit einfließen. Zum
Ende des Nachmittags hin werden die Ergebnisse der
TeilnehmerInnen addiert und mit den Leistungen der
Übrigen verglichen. Den fünf Besten unter ihnen winkt
schließlich je eine echte römische Münze, welche sie
wiederum auf großer Bühne in der Aula entgegennehmen dürfen. Dort ist auch für das leibliche Wohl der
Gäste gesorgt: Ein reichhaltiges Kaffee- und Kuchenbuffet lässt den Austausch zwischen den Gästen untereinander und mit den Gastgebenden in gelöster Atmosphäre zu. Während die jungen BesucherInnen also mit
„panem et circenses“ bei Laune gehalten werden, steht
ihren Eltern die fachliche Beratung der Lehrkräfte zur
Verfügung. Den Abschluss bildet eine Informationseinheit zum Fächerkanon am Görres, welche speziell an
die Erwachsenen adressiert ist. Anschließend trennen
sich die Wege der Anwesenden wieder; die Moderne
hält Einzug: Requisiten wandern in die Tiefen des Kellers zurück, Handys werden gezückt und die neueste
Mode ersetzt ehemals weite Gewänder. Ein denkwürdiger3 Nachmittag weicht nahtlos der Dunkelheit des erst
beginnenden Abends.
I.
Frau Wanders, Ihre Station widmet sich dem
„Verkleiden“. Anschließend können die Kinder sich
fotografieren und ihre Bilder sogar ausdrucken lassen – nicht anders als bei einem modernen ‚Shooting‘. Lässt diese oberflächliche Beschäftigung noch
eine tiefere Verbindung mit antiker Kultur zu?
„Einmal eine Toga in Originalgröße umgewickelt, einmal ein schweres Kettenhemd auf den Schultern, einmal ein Lorbeerkranz auf dem Kopf: Für die Kinder
ist es eine kleine Fantasiereise in eine vergangene Welt
und – bei allem Spaß – ein ganz wertvoller Beitrag historischer Kommunikation, den Lateinunterricht auch
im Alltag bieten kann. Was haben die Römer eigentlich
gegessen? Warum haben wir keine Fotos von ihnen?
Haben die Kinder auch ‚Mama‘ gesagt? Diese Fragen
stellen mir meine SchülerInnen jeden Tag neugierig.
Denn durch das Hineinversetzen in die fremde, vergangene Welt können sie auch etwas für sich und ihre Kultur lernen. Es fordert Empathie und Fremdverstehen,
das Annehmen einer fremden, – vielleicht auf den ersten Blick – irritierenden Perspektive. In diesem Zusammenhang stillt das visuelle und haptische Erleben unseres Verkleidens ein subjektives Bedürfnis, das nicht zu
unterschätzen ist – ganz neben dem Spaßfaktor und
dem Schaffen von ‚memoria‘!“
II. Während die Kinder im Altsprachen-Paradies
umhertollen, können Sie sich in Ruhe der Beratung
ihrer Eltern widmen. Småland nach Art von IKEA
oder maskiert das spielerische Flair gar eine pädagogische Intention? Vernachlässigt dieser sorglose
Touch nicht etwa den lernintensiven Charakter der
Alten Sprachen?
„Die Motivation und Neugier der Kinder, an die der
Tag der Antike sicherlich appelliert, ist gerade zum Start
der Sextaner sehr hoch – auch im Hinblick auf Sprache.
Für viele ist Latein der Schlüssel zu einer Welt, die sie
verstehen wollen. Der Tag der Antike bietet uns die
Chance, uns vorzustellen, unsere Fächer, die Alten
Sprachen zu feiern und ihre Faszination kindgerecht
spürbar zu machen. Doch wir informieren an diesem
Tag auch die Eltern eingehend: Sprach- und Textkompetenz kann man nicht ‚ergooglen‘. Und natürlich darf
nicht unterschlagen werden, dass z. B. Vokabeln einfach gelernt werden müssen. Ihr Kind stellt sich bei uns
einer Herausforderung, die es an anderen Schulen nicht
gibt. Meinem Verständnis nach ist es eine Herausforderung, aber keine Schwierigkeit. Viele Eltern schätzen es,
67
NEXUS MEETS SCHULE
NEXUS MEETS SCHULE
dass das Lernen an sich ebenfalls gelernt werden muss
und der Lateinunterricht, welcher an unserer Schule
bereits in der Fünften einsetzt, einen Teil dazu beiträgt.“
Herr Dr. WeyerMenkhoff im
weihnachtlichen
Dekofieber – die
475 Jahre GörresTradition sieht
man ihm gar
nicht an...
III. Herr Weyer-Menkhoff, Ihre Station ist nicht mit
Platons Stammkneipe zu verwechseln! Die „Spelunca
Platonis“ soll das Höhlengleichnis nachstellen; wie
gelingt Ihnen eine altersgerechte Umsetzung und
welche Rolle kommt den GrundschülerInnen zu?
kulturelle Konflikte zu stoßen. Lateinische Texte
stoßen urmenschliche Fragen an und ich darf im
Unterricht immer wieder erleben, wie diese wertvollen
Impulse für einen wertfreien Diskurs sorgen. Dasselbe
gilt für die Sprache: Latein kann als Modell verhandelt
werden, einerseits für grammatische Phänomene (‚Aha,
Latein macht das so, aber im Englischen gibt es doch gar
keine Endungen? Und auf Deutsch?‘) und andererseits
für pragmatische und translatologische Fragen (‚Sollten
wir den Richter nicht eigentlich siezen?‘). Latein kann
eine Brücke bilden, um sprachreflexive Betrachtungen
bewusst zu machen – ohne unter dem Druck zu stehen,
sie simultan produktiv umsetzten zu müssen. Es lebe
Latein!“
Hr. Weyer-Menkhoff: „Wie bei allem gilt auch hier,
dass das, worum man sich nicht (richtig) kümmert,
auch keinen Reiz ausüben kann. Wenn man sich aber
mit Dingen auseinandersetzt, werden sie zum Gegenüber und somit ‚lebendig‘.“
„Wir bauen die Höhle nach: Die Kinder schauen in
einem dunklen Raum nach vorne und sehen vor sich
die Projektionen einzelner Gegenstände. Die Projektionen haben weniger Eigenschaften als die projizierten Dinge (keine Farbe, keine dritte Dimension, nichts
Haptisches usw.). Im Dialog kommen die Kinder
anlässlich dieser Differenz darauf, dass die Philosophie
danach fragt, wie Dinge beschaffen sind.“
Paritätischer Einsatz
für das Fortleben der
Alten Sprachen. Ihre
Verfechter Herr Dr. Deerberg und Frau Kapna, umrahmt von Frau
Wanders und Herrn Dr.
Hamm, sind diversen
Alters und Geschlechts.
IV. „Die Thematisierung des Höhlengleichnisses ist
für den Philosophieunterricht der achten Klasse angesetzt – Sie nehmen diesen Stoff bereits dem eigentlichen Übertritt auf das Gymnasium vorweg. Ein
Ausblick auf den Leistungsanspruch des Görres?“
„Ich bin schon etwa sechs Jahre für die ‚Historische Bibliothek‘ am Görres zuständig – in Zusammenarbeit mit
wechselnden Kollegen. Wir sichten, ordnen, inventarisieren und pflegen die Buchbestände. In der Realität des existierenden Schulalltags bleibt dafür aber sehr,
sehr wenig Zeit.“
VII. Das Görres bekennt sich durch die Auszeichnung „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zu Gleichberechtigung, einem Grundpfeiler des
Humanismus, und dem aktiven Abbau von Vorurteilen; doch verträgt sich das altsprachlich Profil der
Schule auch mit Multikulturalismus und der Integration nicht deutscher Muttersprachler?
IX. „Können Sie diese Schätze mit Ihren SchülerInnen teilen oder sie sogar in Ihre Arbeit mit einbeziehen?“
Hr. Weyer-Menkhoff: „Latein und vor allem Griechisch
waren die Sprachen der verschiedensten Völker,
Religionen, Staaten usw. – Multikulturalismus ergibt
sich da von selbst.“
VIII. „Herr Hamm, mit
Ihrem
Schlüsselbund
wecken Sie bei mir
Assoziationen an Hagrid,
auch die dicken Bücher,
die Sie so behändig
zuschnappen
lassen,
könnten bald ein Paar
Reißzähne offenbaren.
Doch Sie sind Hüter
einer Turmbibliothek –
wie lange haben Sie Ihr
Amt schon inne? Welche
Freuden und Pflichten
des Alltags bringt es mit
sich?“
Wenn da mal kein Bücherwurm am
Werk war...
„Gute Philosophie zeichnet sich dadurch aus, dass sie
nicht schwierige Fachsprache verwenden muss, sondern alltägliche. Platon benutzt das Gleichnis ja gerade,
damit man seine Philosophie versteht. Gleichzeitig ist
das, was verhandelt wird, nicht trivial. Meiner Meinung
nach sollte das die Maxime auf einem altsprachlichen,
allgemeinbildenden Gymnasium sein.“
VI. In der öffentlichen Wahrnehmung haftet den
Alten Sprachen hartnäckig ein verstaubter Ruf an.
Was tun Sie und Ihre KollegInnen, um dieser einseitigen Wahrnehmung entgegenzuwirken?
Hr. Weyer-Menkhoff: „In mancher Hinsicht stimmt er
ja auch. Ich finde, dass wir die Alten Sprachen nicht
dafür nutzen sollten, um vor der Gegenwart in eine
glorifizierte Vergangenheit zu fliehen. Nur weil es sich
um so ‚bedeutsame‘ Texte handelt, sollte man nicht
schweigend davorstehen, sondern den Mut haben,
die Texte wirklich in die Gegenwart zu übersetzen,
um die Strukturen des ‚heiligen Originals‘ nicht blindlings auf das Deutsche zu übertragen. Wir knüpfen
damit an einen Sprachkompass an, den jeder hat, der
oder die spricht.“
V. „Die Frage aller Fragen: Ist Latein tot? Ja oder
nein? ‚42‘ gilt nicht…“
Fr. Wanders: „Ja (R. I. P. )! Und das ist klasse! Denn
dieser Fakt macht es mir erst möglich, Latein als
Sprache und das Alte Rom, als Kultur, völlig unbedarft
als Projektionsfläche zu nutzen. Damit meine ich: Ich
kann mit den Kindern herrlich darüber diskutieren,
ob ‚garum‘ und Ketchup nicht eigentlich dieselbe
Sache sind, ob es wohl spannender ist, Politiker auf
dem ‚forum‘ oder auf YouTube zu beobachten, ob
Aeneas ein Macho war und ob Coca Cola Werbung
vielleicht bei Cicero kopiert hat – ohne dabei auf
Hr. Hamm: „Wir behandeln Latein und Griechisch als
normale Sprachen mit den Rechten normaler Sprachen (vor allem dem Recht auf Sinnhaftigkeit). Ansonsten sind wir einfach wir selbst…“ […]
68
„Die ‚Historische Bibliothek‘ für die Schulöffentlichkeit zu erschließen, ist ein Hauptziel, das allerdings –
vor allem aufgrund des Zeitmangels – sehr schwer zu
erreichen ist. Wir streben an, dass alle SchülerInnen des
Görres die Bibliothek aus eigener Anschauung kennen
und mindestens dreimal (jeweils einmal in der Unter-,
Mittel- und Oberstufe) mit ihr zu tun haben.“
Vielen Dank!
1
2
3
Vgl. Trabant, Jürgen. „Was ist Sprache“. München 2008.
S.202-204 und derselbe. „Die Sprache“. München 2009. S.5867.
Das Motto des Görres, „Sapere aude!“, wird auf der offiziellen Schulwebsite mit „Wage es zu denken!“ übersetzt http://
www.goerres.de/. [26.02.2019].
Der erklärte Witz: Eine Anspielung auf das Schulmotto, übersetzt „Wage es zu denken!“ http://www.goerres.de/.
[26.02.2019].
Die Römertage am Neues Gymnasium Bochum
EIN BERICHT VON ELISA BRENSCHEIDT
D
er Römertag am Neuen Gymnasium
Bochum wurde am 01.02.2019 durchgeführt. Ich packte die letzten Sachen noch
schnell ein und ging los. Pünktlich um 15:00 Uhr
kam ich in der Schule an, die für diesen Tag zum
Forum Romanum wurde.
daneben waren weitere Kinder damit beschäftigt, kleine
Wachstäfelchen zu bauen; sie sägten und bohrten die
kleinen Rahmen zurecht, natürlich alles unter Aufsicht.
Schnell fiel auf, dass auch die Väter hier nicht zu kurz
kamen, denn jeder werkelt doch gerne rum und macht
Dinge selber.
Ich wurde direkt von einem römischen Legionär
begrüßt; hinter ihm stand eine kleine Truppe von Kindern, die ebenfalls als Legionäre verkleidet waren. Als
ich mich weiter umschaute, hörte ich nur noch, wie sie
einen Angriff auf die Gallier planten, aber dazu später
mehr. Ich schaute mich also weiter um und entdeckte
die verschiedenen Aktionen, die man machen konnte.
Eine meiner Freundinnen war gerade schon dabei, an
ihrem Stand jungen Mädchen schöne Frisuren zu flechten und sie für ein Polaroid-Bild einzukleiden. Direkt
An den weiteren Tischen wurde auch für Spaß gesorgt.
Ob Schmuck und Buttons selber machen, oder auch
Mosaiktäfelchen bekleben und Römerhelme basteln,
jeder fand etwas Schönes. Für viele Kinder war aber
auch die griechische Schrift sehr interessant. Auf Papyrus konnten sie mit einer Feder und Tinte die griechischen Buchstaben üben. Dabei war auch wieder ein
Lehrer, der den Kindern anschaulich und spannend die
griechische Sprache näherbringen konnte.
69
PERSPEKTIVEN
PERSPEKTIVEN
Geschichten ging. Schüler aus allen Stufen konnten
teilnehmen. In der vordersten Reihe saßen diejenigen,
die bei dem Zuschauerjoker mithalfen. Die Kinder
waren sehr motiviert, aber auch informiert, was vielleicht daran lag, dass es Süßigkeiten zu gewinnen gab.
Plötzlich lenkte aber etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich: Die Römer griffen das gallische Dorf an,
Asterix und Obelix rannten mit anderen kleinen Galliern auf die Römer zu und bewarfen sie mit Stofffischen. Wie man es von den Römern kennt, nahmen sie
ihre Verteidigungsformation ein und wehrten mit ihren
Schilden die Fische ab.
Nach diesem Kampf wollte ich aber
auch mal das gallische Dorf sehen.
Hier wurde ich auch direkt von
Obelix in Empfang genommen, er
zeigte mir das Hinkelsteinwerfen,
eine kleine Hütte und ein weiteres
Spiel, bei dem man Süßes gewinnen konnte. Ich probierte natürlich
alles, unter anderem weil es für die,
die mitmachten, auch noch einen
Zaubertrank gab.
Römertag
01. Februar '19
Nach einer kleinen Stärkung begann
auch schon die nächste Aktion:
Zwei Frauen zeigten uns Besuchern
typisch griechische Tänze. Immer
mehr Menschen tanzten mit ihnen.
Auch wenn an diesem Tag viel für
jüngere Kinder angeboten wurde,
hat es mir sehr viel Spaß gemacht,
denn jeder konnte etwas selber
bauen oder basteln. Es gab immer
was zu sehen. Was natürlich auch
schön war, war, dass auch ältere
SchülerInnen noch Spaß daran hatten, mitzuhelfen, den Kindern die
Fächer Latein und Griechisch auf
sehr kreative Art nahezubringen
und ihnen zu zeigen, wie viel noch
in diesen toten Sprachen steckt.
Cyclus carminum interretialium alter
Eine Auswahl aus dem Zyklus Internet-Gedichte
VON ANNA ELISSA RADKE
I
De imagine Maximi cuiusdam
prosopobiblica ex libris composita
Personam et speciem induis librorum:
ne veram aspiciant imaginem umquam
tuam istae indociles ubique turbae?
Invidorum oculos timesne acutos?
Personae clipeum abice, o diserte
Maximille, mihi deus videris!
Über das Facebook-Profilbild eines Maximus,
das aus Büchern zusammengesetzt ist.
Tarnst du dich mit der Maske vieler Bücher,
daß dein Antlitz verborgen bleib´ den Massen ungebildet sind sie und auch nicht bildbar?
Oder fürchtest du bösen Blick der Neider?
Wirf den Schild dieser Maske weg, gelehrter,
lieber Max, offenbarst dich noch als Gottheit!
II
De interrete
Ante cadent caelo rores1 et desuper astra:
decidet Orion Pleiadesque simul,
exsilient pisces2 e retibus insidiosis,
aethere ut insidant, cervus in arbore erit,
quam quem dimittet latum rete omnia cingens:
semper in obscuro, si libet, omne tenet
2
Über Facebook
Auf, ihr Vermummten, tanzt auf dem Maskenball,
wer auch Verkleidung und die Verstellung liebt,
kommt her zum Reigen, der nie endet,
tarnt und vertuscht eure Eitelkeiten!
Quidnam est poetae cum petulantia?
Cordi est poetae nil nisi veritas:
seu mortis inducet periclum
seu referet necopinum amorem.
Was geht den Dichter an diese Nichtigkeit!
Am Herzen liegt ihm nichts als Wahrhaftigkeit,
ob sie ihn bringt in Todesnähe
oder beschert - unerwartet - Liebe.
Ergo politam deice parmulam:
larvam fabrilem detrahe vultui,
ut splendeas humanitate
ingenua facieque aperta.
So wirf den Schutzschild fort, den geschliffenen,
zieh vom Gesicht auch künstliche Maske fort,
mit offenem Visier erstrahle
nur in dem Glanze humaner Bildung!
IV
De paradiso (vel potius inferno) virtuali
Arva perlustrant sine corpore umbrae,
arva felicis paradisi amoena, et
mutuo sermone student perennem
fallere noctem.
Über das virtuelle Paradies (oder Hölle)
Körperlos durchstreifen die Felder Schatten,
Felder glücklichen Paradieses, wo die
Schatten in Gesprächen, die niemals enden,
Nächte verbringen.
Manium turbis similes pererrant
rete personae facieque ficta,
rete et exaequat iuvenes, puellas
et seniores.
Ähnlich Totengeistern durchirren Scharen
von Maskierten, streifen durch Netz und Facebook,
gleichgemacht wird dort Männlich-Weiblich und auch
Alte und Junge.
Retis obscuri laqueos relinque,
et tuam veram faciem revela!
Denique agnoscemus et alter alterum
et merum amorem.
Mach dich frei vom Netz, das so undurchschaubar,
zeige unverhüllt mir dein wahres Antlitz!
So erkennen endlich wir auch einander
und echte Liebe.
15.00 - 18.00 Uhr
Irgendwann folgte ich einer
Gruppe, die in die Aula ging. Ich
setze mich hin und sah mir ein Quiz
an, welches ein Referendar erstellt
hatte und in dem es um lateinische
1
III
De libro facierum
Saltate larvae, ludite scurrulae,
quemquem iuvabit fallere imaginem:
concurrite ad saltationem
perpetuam, abdite vanitatem!
Über das Internet
Eher stürzen wie Tautropfen noch die Sterne vom Himmel,
und mit Orion zugleich stürzen Plejaden herab,
springen die Fische heraus aus den alles umgarnenden
Netzen,
um auf den Wolken zu ruh´n, Hirsche besteigen den Baum,
als daß das weltweite Netz wieder freilasse, was es gefangen,
alles, und wie´s grad gefällt, hält es im Dunkeln geheim.
cf. Antiphonam „rorate caeli“
cf. Verg. E. I, 59ssq
70
V
Hero et Leander anno MMXVIII redivivi
Qualis prospiciens in litore constitit Hero,
quaesivit iuvenem nantem et in Oceano.
„Nunc, piscatores, vestrum rete est iaciendum,
ne forte horibilis devoret unda virum!“
Nocte dieque puella adiit supplex malefidam
turbam perpetuis sollicitudinibus,
talis ego vasti maris invisibile rete
quaero iterumque iterum, quo natet ille meus.
Prodidit et raro rete illud garrulum, ubi sit,
quid faciat, quocum, quando loqui libeat ille Leander amor meus, interque aequoris undas
quem medio in ficto rete natare iuvet.
Hero und Leander im Jahr 2018
Wie einst am Ufer stand auf das Meer hinausschauend Hero,
sucht´ in der See ihren Schatz, der wollte schwimmen zu
ihr.
„Jetzt ist es Zeit, ihr Fischer, ihr müßt die Netze auswerfen,
daß nicht verschlinge den Mann diese erschreckende Flut.“
In ihrer ständigen Sorge und Angst bedrängte das Mädchen
tags und auch nachts, ohne Schlaf, flehentlich bittend die
Schar.
So durchsuchte auch ich das Netz wie die Wüste des Meeres,
wieder und wieder frag ich: Wo nur schwimmt Meiner
darin?
Selten verriet das geschwätzige Netz den Ort, wo er weilte,
was er grad machte, mit wem, wann er Gespräche geführt.
Doch mein Leander, er fühlt sich wohl im weltweiten Netze,
schwimmt darin, wie ein Fisch schwimmt in den Wellen
des Meers.
71
I.
Mein Cognomen wäre … Philhellenos.
Zu Latein bin ich gekommen … durch meinen Vater, der Latein- und Griechischlehrer
war.
X.
IX.
Mein Highlight des Jahres … eine Reise nach
Indien im Januar.
Diese drei Dinge würde ich auf meiner Zeitreise aus der Antike zurück in die Zukunft
heimlich mitgehen lassen: Eine Ausgabe der
Werke Menipps von Gadara, Homers Margites
und die Kypseloslade.
PERSPEKTIVEN
II.
Dieses Buch lege ich nicht mehr aus der
Hand: Homers Odyssee.
XII.
XV.
Damit macht man mir eine Freude: Mit Zeit.
XVI. Mein Lieblingsessen ist: Spaghetti alle
vongole.
XVII. Mit 1 Million Euro würde ich … eine Wohnung in Rom kaufen.
XVIII. Wenn ich mir einen anderen Beruf aussuchen müsste, wäre ich … Politiker.
XIX. Damit kann man mich jagen: Mit Pilzen,
Talk Shows, Zugverspätungen.
XX.
Mein verborgenes/geheimes Talent ist …
Snooker.
Erstellt von Julia Jennifer Beine und Mirka Philipps
Ad personam … Manuel Baumbach
III.
XI.
Meine Superkraft wäre … gestaltwandelnd
durch Zeit und Raum reisen zu können.
IV.
V.
Das ist das Verrückteste/Lustigste, was
ich je gelesen/gehört habe: Lukians Wahre
Geschichten.
XIII. Das will ich unbedingt noch machen: Eine
Bergtour im Himalaya.
Wenn ich für einen Tag eine andere Person
sein könnte, wäre ich … ein Schüler an der
platonischen Akademie.
VI.
Hier fühle ich mich am wohlsten: Überall im
Urlaub.
XIV. Mein Lieblingscharakter der Antike ist …
Diogenes von Sinope.
Der größte Schurke der Antike ist für mich
… Es gibt zu viele, als dass man einen herausheben könnte; ein Kandidat wäre sicherlich
Phalaris von Akragas.
VII.
Mein lateinisches Lieblings(sprich)wort ist
… fortiter in re, suaviter in modo.
VIII. Diesen Film/diese Serie könnte ich tausendmal anschauen: Ein Herz und eine Seele.
72
Quid faciam?
Einzeltermine bis zum 01.04.2019
QUANDO?
UBI?
CUR?
Seminar für Klassische Philologie,
Freunde der Klassischen Studien an
der RUB e. V.
Fortsetzung der Reihe Faszination
Mischwesen
Di., 09.04.2019,
Di., 14.05.2019,
Di., 11.06.2019
jeweils ab 18 Uhr
Blue Square
Kortumstr. 90
(Eingang Passage Voswinkel/
Wonderwaffel)
44787 Bochum
Schon seit Februar läuft die Fortsetzung der Mischwesenreihe. Diesmal dürfen wir etwas von der Chimäre, von Wolverine und noch von
vielen weiteren Mischwesen hören. Ihr dürft also gespannt sein.
Theater Dortmund
Echnaton von Philip Glass
Oper in drei Akten von Philip Glass.
Libretto vom Komponisten, S. Goldmann, R. Israel und R. Riddell.
In deutscher, ägyptischer, akkadischer
& aramäischer Sprache mit deutschen
Übertiteln
Premiere Fr., 24.05.2019, 19:30
Uhr; weitere Termine werden auf der
Homepage des Theaters Dortmund
bekanntgegeben.
www.theaterdo.de/detail/event/
echnaton/
Theater
Dortmund
Theaterkarree 1–3
44137 Dortmund
Das Sujet von Philip Glass’ Echnaton entstammt zwar nicht der griechisch-römischen Antike, doch lohnt sich der Besuch allemal. Allein
die Vielfalt der verwendeten Sprachen, die vom Deutschen über das
Akkadische bis zum Ägyptischen reicht, ist wohl einmalig; Glass’
trotz (oder gerade wegen) ihrer Eigenarten faszinierende Musik tut
das Übrige.
Schauspielhaus
Bochum
Iphigenie
Text nach Iphigenie in Aulis von Euripides und Ein Sportstück von Elfriede
Jelinek
Regie: Dušan David Pařízek
Premiere Sa., 16.03.2019, 19:30 Uhr,
weitere Termine werden auf der Homepage des Schauspielhauses bekannt
gegeben.
www.schauspielhausbochum.de/de/
stuecke/200/iphigenie
Schauspielhaus
Bochum
Königsallee 15
44789 Bochum
Der Regisseur: „Das Opfer, das es im Moment der Krise aufgrund
der Staatsraison zu bringen gilt, konfrontiert uns mit den Ursprüngen unserer abendländischen Identität. Ethische Fragen, mit denen
sich der Einzelne wie die Gesellschaft in Zeiten der Bedrohung
konfrontiert sehen, individuelle und höhere Werte, das Mit- und
Gegeneinander von Freiheit und Autorität werden von Euripides in Iphigenie in Aulis auf ihren primitiven Gehalt hin überprüft.
Klar, verständlich und nachvollziehbar.“ (Schauspielhaus Bochum.
2018/2019, S.14.)
Schauspielhaus
Bochum
Orest in Mossul
Text: Milo Rau und Ensemble nach
Aischylos
Regie: Milo Rau
Fr., 17.05.2019, 19:30 Uhr
Mi., 22.05.2019, 19:30 Uhr
Fr., 24.05.2019, 19:30 Uhr
So., 26.05.2019, 17:00 Uhr
Schauspielhaus Bochum,
Kammerspiele
Königsallee 15,
44789 Bochum
Diese Inszenierung der Orestie versetzt Aischylos’ Trilogie in die
Gegenwart, mitten in den Bürgerkrieg im Nordirak. Es wird klar:
Das schon in den antiken Tragödien behandelte Problem des Kreislaufs von Gewalt und Gegengewalt ist von brisanter Aktualität.
VERMISCHTES
QUID?
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QUIS?
Regelmäßige Termine im Sommersemester 2019
Nexus wants you!
VERMISCHTES
Call for Papers
Du möchtest deine Hausarbeiten nicht nur fürs heimatliche Bücherregal schreiben?
QUIS?
QUID?
QUANDO?
UBI?
Archäologische
Wissenschaften
Forschungskolloquium
„Neue Funde und
Forschungen“
Do., 18 Uhr c.t.
Raum wird auf der Homepage des archäologischen
Instituts bekanntgegeben.
https://www.ruhr-uni-bochum.de/archaeologie/
Du sprühst vor Ideen und hast Lust, über ein spannendes Thema zu schreiben?
Du hast einen spannenden Film gesehen oder ein fesselndes Buch mit Antikebezug gelesen?
Dann bist du bei uns genau richtig!
Und so einfach geht’s:
Klass. Philologie / Archäologische Wissenschaften / Alte
Geschichte
Interdisziplinäres
Kolloquium zur
Literatur und Kultur des
griechisch-römischen
Mittelmeerraumes
Di., 16–18 Uhr
RUB, GABF 04/714
Klass. Philologie / Kath.
Theologie / Ev. Theologie /
Philosophie
Kolloquium antike
und mittelalterliche
Philosophie
Do., 16–18 Uhr
RUB GA 6/134
Theaterwissenschaft
Seminar: Neue Mythologie 1
Fr, 12:00–16:00
Uhr
ab dem
03.05.2019 alle
14 Tage
RUB, GB 03/46
Die Termine und
das Programm
werden auf der
Homepage der
Kunstsammlungen bekannt
gegeben.
www.ruhr-uni-bochum.de/kusa/
RUB, Kunstsammlungen
Kunstsammlungen der RuhrUniversität Bochum
Ran an den PC und losgetippt.
Anregungen, Tipps und unseren Leitfaden zum Schreiben eines Nexus-Artikels findest du auf unserer
Homepage https://nexus.blogs.ruhr-uni-bochum.de/?page_id=53.
Schick uns deinen Artikel für die nächste Ausgabe bis zum 30.06.2019 an nexus[at]rub.de.
Wir freuen uns auf deinen Beitrag!
Bei Fragen und Anregungen könnt ihr uns gerne persönlich (GB 2/147) oder per Mail kontaktieren.
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Nexus gibt es jetzt auch online und als Download unter
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Erstellt von Jonathan Hartmann
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