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László Moholy-Nagys Synthesekonzept von 1922

2009, Bauhaus Global

Im Marz 1923 engagierte Walter Gropius den erst 28jahrigen Immigranten Laszlo Moholy-Nagy in Nachfolge des kurz zuvor ausgeschiedenen Johannes Itten als Leiter des Bauhaus-Vorkurses und der Metallwerkstatt. Der Ungar mit dem komplizierten Namen sprach mit starkem ungarischen Akzent, hatte praktisch keine offizielle kunstlerische Ausbildung genossen, bis dato erst funf Jahre kunstlerisch gearbeitet, keine echte Erfahrung als Lehrer und beherrschte die Metallbearbeitung allenfalls rudimentar. Diese Berufung loste bei einigen Fakultatsmitgliedern Verbluffung, ja Entsetzen aus. Aber Gropius' mutige Entscheidung sollte sich als Glucksgriff erweisen: Moholy-Nagy erwarb sich schon bald einen ausgezeichneten Ruf als einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Lehrer, Kunstler, Autoren und Theoretiker, die jemals am Bauhaus gearbeitet haben. Angesichts der geschilderten Voraussetzungen stellt sich jedoch die berechtigte Frage, warum Gropius' Wahl auf Moholy-Nagy fiel. Meine Antwort in Kurzform: Schon im Sommer 1922 hatte Moholy-Nagy gemeinsam mit Alfred Kemeny und seiner ersten Frau Lucia (Schulz) Moholy' eine Art Synthese, ein Handlungsprogramm vorgestellt, das weit tiber die Kunst als solche hinausging und viele Fragestellungen beruhrte, die Gropius zu dieser Zeit in Zusammenhang mit dem Bauhaus beschaftigten. Dieses Programm war, urn sich der Worte von Moholy-Nagy zu bedienen, gleicherma!Sen »konstruktiv« (weil es synkretistisch war) und »dynamisch« (weil es permanent weiterentwickelt wurde). Er formulierte es in sechs 1922 verfassten theoretischen Aufsatzen: Dynamisch-konstruktives Kraftsystem; Produktion -Reproduktion; ein Beitrag fur Vita az uj tartalom es az uj forma problemdjdr6l [Debatte uber das Problem des neuen Inhalts und der neuen Form] in einer ungarischen Emigrantenzeitschrift; Neue Gestaltung in der Musik. Moglichkeiten des Grammophons; Light-A Medium of Plastic Expression; sowie Richt-

Neue Bouhousbucher · neue Zohlung Bond 3 · hrsg. vom Bouhous-Archiv Berlin Oliver A. I. Botar Laszlo Moholy-Nagys Synthesekonzept von 1922 Im Marz 1923 engagierte Walter Gropius den erst 28jahrigen Immigranten Laszlo MoholyNagy in Nachfolge des kurz zuvor ausgeschiedenen Johannes Itten als Leiter des BauhausVorkurses und der Metallwerkstatt. Der Ungar mit dem komplizierten Namen sprach mit starkem ungarischen Akzent, hatte praktisch keine offizielle kunstlerische Ausbildung genossen, bis dato erst funf Jahre kunstlerisch gearbeitet, keine echte Erfahrung als Lehrer und beherrschte die Metallbearbeitung allenfalls rudimentar. Diese Berufung loste bei einigen Fakultatsmitgliedern Verbluffung, ja Entsetzen aus. Aber Gropius' mutige Entscheidung sollte sich als Glucksgriff erweisen: Moholy-Nagy erwarb sich schon bald einen ausgezeichneten Ruf als einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Lehrer, Kunstler, Autoren und Theoretiker, die jemals am Bauhaus gearbeitet haben. Angesichts der geschilderten Voraussetzungen stellt sich jedoch die berechtigte Frage, warum Gropius' Wahl auf Moholy-Nagy fiel. Meine Antwort in Kurzform: Schon im Sommer 1922 hatte Moholy-Nagy gemeinsam mit Alfred Kemeny und seiner ersten Frau Lucia (Schulz) Moholy' eine Art Synthese, ein Handlungsprogramm vorgestellt, das weit tiber die Kunst als solche hinausging und viele Fragestellungen beruhrte, die Gropius zu dieser Zeit in Zusammenhang mit dem Bauhaus beschaftigten. Dieses Programm war, urn sich der Worte von Moholy-Nagy zu bedienen, gleicherma!Sen »konstruktiv« (weil es synkretistisch war) und »dynamisch« (weil es permanent weiterentwickelt wurde). Er formulierte es in sechs 1922 verfassten theoretischen Aufsatzen: Dynamisch-konstruktives Kraftsystem; Produktion - Reproduktion; ein Beitrag fur Vita az uj tartalom es az uj forma problemdjdr6l [Debatte uber das Problem des neuen Inhalts und der neuen Form] in einer ungarischen Emigrantenzeitschrift; Neue Gestaltung in der Musik. Moglichkeiten des Grammophons; Light- A Medium ofPlastic Expression; sowie Richt- 82 Oliver A. I. Bolar linien for eine synthetische Zeitschrift. 2 Nachstehend fassen wir den Inhalt dieser Synrhese kurz zusammen: 1. Ein im ungarischen Aktivismus und der kommunistischen Bewegung verwurzeltes utopisches Streben nach einer gerechteren Gesellschaft. 2. Ein Verstandnis vom Universum im Sinne der Tektologie von Bogdanow, also basierend auf den Prinzipien der »Energetik« von Ostwald, als systemisches Zusammenspiel von Energien anstatt von Materie. 3. Das Bekenntnis zu einer elementaren abstrakten Malerei und Bildhauerei. 4. Ein biozentrisches Padagogikkonzept, das den Menschen als Teil der organischen Gesamtheit des Lebens begreift und eine Verbindung von Kunst und Technik als Mittel sah, das in jedem Menschen innewohnende Potential zu entfalten- insbesondere die Fahigkeit, ihre Sinneswahrnehmungen in vollem Umfang einzusetzen- und sogar zu erweitern. 5. Eine positive, aber nicht unkritische Hal tung zur Technik: Wir mussen die Technik kontrollieren, statt zuzulassen, class wir von den technischen Entwicklungen gesteuert werden. 6. Die Aufgabe jeder exklusiven Bindung an ein Medium oder eine Mediengruppe, d. h. Offenheit fur die Arbeit in alten und neuen Medien sowie mit alten und neuen Materialien. 7. Eine wachsende Faszination fur Licht als primares Medium des visuellen Ausdrucks. 8. Der Versuch, den allumfassenden Impuls des »Gesamtwerks« - so seine Bezeichnung ab 1924 - zu formulieren und in Druckerzeugnissen zu verbreiten - also die Verschmelzung von Kunst mit allen Aspekten des Lebens: Wissenschaft, Bildung, Technik, Sport, Erholung, Architektur, Design usw., urn sich seinem Ziel eines Lebensstils zu nahern, der allen Menschen ein Dasein in Harmonie und Erfullung ermoglicht. Ich behaupte weder, class diese Zusammenfassung alle Aspekte der Asthetik Moholy-Nagys, seine soziale und politische Weltanschauung erfasst, noch class sich diese Elemente streng voneinander trennen lassen. Vielmehr bietet sie eine Ubersicht uber seine Anschauungen im Jahre 1922. 3 1. In der Literatur zu Moholy-Nagy wird meist beschonigt, class er wie die meisten seiner Kollegen von etwa 1918 bis 1923 Anhanger der kommunistischen Bewegung war. Auch wenn bisher kein Dokument aufgetaucht ist, das die Mitgliedschaft Moholy-Nagys in einer kommunistischen Panei belegen wurde, sah er sich in dieser Zeit nicht nur selbst als kommunistischer Kulturschaffender, sondern trat laut seinem alteren Bruder Jeno Nagy 1919 tatsachlich der Partei bei. 4 Anders als seine Freunde und Kollegen Alfred Kemeny, Laszlo Peri, Bela Uitz, Sandor Bonnyik, Erwin Piscator und Herwarth Walden wurde MoholyNagy nach seiner Ankunft in Deutschland nicht vollig von der Partei absorbiert. Parteiaktivisten wurden von Gropius am Bauhaus nicht toleriert, und nach seiner Einstellung distanzierte sich Moholy-Nagy von seinen Parteibindungen. 5 2. Urn die Jahre 1922/23 hatten die Berliner Ungarn Moholy-Nagy, Liszl6 Peri und Erno Kallai den Ruf, ausgewiesene Kenner des Konstruktivismus zu sein. Bedenkt man, class keiner von ihnen je in Moskau gewesen war, stellt sich die Frage, was ihnen diesen Ruf einbrachte. Wahrend der Ungarischen Raterepublik von 1919 gab es kaum Kontakt zu Sowjetrussland und keinerlei Wissen uber die dortige Kunstszene. Der Zusammenbruch der Repu- Laszlo Moholy-Nagys Synthesekonzept von 1922 blik loste eine Welle rechter Gewalt aus, die viele linksstehende Ungarn ins Exil trieb- die meisten nach Wien und Berlin. Der Kern der avantgardistischen ungarischen Aktivistengruppe (der Moholy-Nagy angehorte) lief~ sich in Wien nieder, wo sie die Veroffentlichung der Zeitschrift MA fortsetzten. Aufgrund ihrer Kontakte zur Kommunistischen Internationale reisten Uitz sowie der Kunsthistoriker Alfred Kemeny (der mit Moholy-Nagy in Budapest Jura srudiert harte) nach Moskau, urn dort an der III. Kommunistischen Internationale (22. Juni bis 12. Juli 1921) teilzunehmen. In Moskau trafen Uitz und Kemeny den Maler Kasimir Malewitsch und besuchten die Kunsthochschule VChUTEMAS sowie das INCh UK [Insti rut fur Kiinstlerische Kultur], wo sie mit Alexander Rodtschenko, Warwara Stepanowa und anderen Konstruktivisten zusammentrafen. Wahrend ihres Aufenthaltes in Moskau vollzog Uitz in seinem kiinstlerischen Schaffen eine Wende in Richtung Konstruktivismus, und Kemeny studierte die russische Kunst der Moderne. Kemeny band sich eng an das INChUK. 6 Wie Christina Lodder und Jaroslav Andel vermuteten und Charlotte Douglas nachwies, kursierte am INChUK die Tektologija [Tektologie] des weigrussischen Psychiaters und Proletkulr-Begriinders Alexander Bogdanow. 7 Die Tekrologie ihrerseits basierte auf den Prinzipien der Energetik von Wilhelm Ostwald, fur den nicht Materie, sondern Energie die Primarsubstanz des Universums bildete. Uitz und Kemeny waren die ersten aus Mitteleuropa stammenden Kii nstler, die von der Bildung der ersten Arbeitsgruppe der Konstruktivisten am INChUK am 18.Marz 1921 erfuhren. Zudem gehorten sie zu den wenigen Augenstehenden, die die am 22. Mai eroffnete Zweite Fruhjahrsausstellung der OBMOChU-Gruppe [Gesellschaft junger Kiinstler] sahen, auf der Werke der Konstruktivisten gezeigt wurden. 8 Uitz bewunderte sowohl Malewitsch als auch die Konstruktivisten und sammelte einschlagige Dokumente und Bilder. 9 lm Spatsommer kehrte Uitz nach Wien zuriick. Nach eigener Aussage berichtete er MoholyNagy und Kallai wahrend eines kurzen Aufenthalts in Berlin vom Konstruktivismus. Es war also Uitz, tiber den Moholy-Nagy, Kallai und tiber diese auch Laszlo Peri akruelle Informationen tiber die Moskauer Kunstszene erhielten. Dies ist deshalb wichtig, weil Konstantin Umansky, der in Deutschland ein Buch tiber die neue russische Kunst herausgegeben und den Aktivisten in Wien bereits im November 1920 Vortrage zu diesem Thema gehalten harte, Russland noch vor Bildung der Gruppe der Konstruktivisten verlassen hatte. Das stellt die allgemeine Ansicht in Frage, class Naum Gabo, Lazar El Lissitzky oder sogar Ivan Puni, der den Konstruktivismus, bevor er Russland verlieg, ebenfalls nicht kennengelernt harte, die ersten waren, die Informationen tiber den Konstruktivismus nach Berlin brachten. 10 Nach seiner Riickkehr nach Wien bot Uitz nach eigenen Angaben Lajos Kassak russisches Material zur Veroffentlichung in der Emigrantenzeitschrift J\1A an. Weil Kassak dies aber nicht tat, kames Anfang 1922 zum Bruch zwischen Kassak und Uitz. 11 Kemeny blieb auch nach Uitz' Abreise in Moskau. Davon ausgehend, class sich Kemeny am INChUK fur Bogdanows Ideen interessiert hatte, konnte er eine Rede von Bogdanow gehorr haben, die dieser unter dem Titel Die sozial-organisatorische Bedeutung der Kunst am 29. Oktober 1921 in Moskau hielt. Dieses Thema bildete einen Aspekt der Bogdanowschen Tektologie bzw. der Organisation von Systemen - eine fruhe Spielart der Kybernetik. Als aktiv am intellektuellen Leben des INChUK Beteiligter hielt Kemeny dort eine Vorlesung 83 84 Oliver A. I. Bolar zu »den neuesten Entwicklungen in der modernen deutschen und russischen Kunst«. Er war zugegen, als Stepanova im Rahmen der Debatte »Komposition- Konstruktion« ihre Rede Zum Konstruktivismus hielt. Dort hielt auch El Lissitzky einen Vortrag zu seinen ProunKonstruktionen, und Kemeny sprach uber Die konstruktivistische Kunst der OBMOChUGruppe. Die Durchsicht der Protokolle der beiden Veranstaltungen ergibt, dass Kemeny bereits mit der Terminologie der Bogdanowschen Energetik und Tektologie arbeitete. 12 Direkt im Anschluss an die Debatte kehrte Kemeny nach Berlin zuruck- fast zur selben Zeit, zu der sich auch Lissitzky dorthin begab. Er bildete eine Arbeitspartnerschaft mit Moholy-Nagy, und gemeinsam verfassten sie den Text Dynamisch-konstruktives Kraftsystem, in dem sie einen vollig neuen Typus Kunst auf der Basis der von Bogdanow definierten Kategorien forderten. Ausgehend davon, dass die Bogdanowsche Theorie die Welt im Kern als System einander durchdringender Krafte begreift, wollten Kemeny und Moholy-Nagy die »Kunst als System«, in dem sich die Energien des Universums manifestieren, neu erfinden. In diesem Zusammenhang postulierten sie eine kinetische Kunst, eine Idee, die Fortunato Depero 13 schon vorher entwickelt harte und die von Naum Gabo sowie dem Realistischen Manifest von Anton (Antoine) Pevsner (einem der Texte, die Uitz aus Moskau mitgebracht hatte) inspiriert war. Im Gegensatz zur Annahme von Gabo und Pevsner, dass zwischen Kunstwerk und Betrachter eine traditionelle Beziehung bestehe, forderten die Ungarn jedoch eine vollig immersive und partizipatorische Kunst, bei der der Betrachter universelle Energien wie Licht, Magnetismus und Schwerkraft erleben konne. Damit wurde das Werk zu einem Ort, der dem Teilnehmer Moglichkeiten bot, seiner Sinne starker gewahr zu werden. 14 Im selben Jahr stellte Moholy-Nagy sein Kinetisches konstruktives System. Bau mit Bewegungsbahn for Spiel und Be.forderung vor. Es war ein Versuch, die genannten Prinzipien in die Praxis umzusetzen. Meines Wissens waren dies das erste Manifest und Kunstwerk, in deren Titel sich das Wort »System« fand. Wahrend seiner Bauhaus-Jahre lieg er den Plan jedoch ruhen. 1928, nachdem Moholy-Nagy das Bauhaus verlassen hatte, beauftragte er den in Berlin arbeitenden ungarischen Architekten Istvan Sebok mit einer vollstandigeren Konstruktionszeichnung. Dieser Vorschlag war hochst radikal, da es sich meines Wissens urn den ersten Plan fur ein absolutes Kunstwerk handelte, das physische Aktivitat von Seiten des Betrachters voraussetzte. Zwar ahnelt es eher einer Jahrmarkts-Rutschbahn oder einem Baukasten-Spiel fur Erwachsene, doch verweist es bereits auf die partizipatorische Kunst der 1960er Jahre. 3. Im Sommer 1921 klang die mechano-dadaistischen Phase von Moholy-Nagy langsam aus. Einige seiner Werke zeugen von einer Entwicklung hin zum Elementarismus, der Verwendung geometrischer Formen und Primarfarben, wie sie im Berlin dieser Tage gerade Mode wurde. Urn 1922 verschmolz dieser Stil mit Impulsen aus dem russischen Konstruktivismus zu dem, was wir nach Stephan Bann heute als »Internationalen« Konstruktivismus bezeichnen. 15 Gemeinsam mit Ivan Puni und Hans Arp unterzeichnete Moholy-Nagy Raoul Hausmanns Auftuffur elementare Kunst, der in der Ausgabe von De Stijl vom Oktober 1921 erschien. Hausmann verstand den Begriff »elementar« jedoch eher im philosophischen als im bildlichen Sinne, und Moholy-Nagys Kontakt mit ihm erwies sich als entscheidendzum einen, weil Hausmanns Sicht dessen, was kunsderische Aktivitat konstituieren oder fur sie von Relevanz sein konnte, keinen Beschrankungen unterlag, und zum anderen, weil Hausmann von den Sinnen und der Moglichkeit ihrer Erweiterung fasziniert war. 23 Laszlo Moholy-Nagy, Kinetisch-konstruktives System, Bau mit Bewegungsbahn fur Spiel und Beforderung, 1922-1928, Fotomontage; Theaterw issenschaftliche Sammlung der Universitat Koln. Im Februar 1922 prasentierte man der Berliner Offentlichkeit in der Galerie Der Sturm eine Ausstellung mit Werken von Moholy-Nagy und Peri. Viele der don gezeigten Arbeiten stammten aus der mechano-dadaistischen Phase Moholy-Nagys. Die Berliner Kunstkenner waren jedoch etwas i.iberrascht, class Moholy-Nagy auch abstrakte geometrische Malerei, Assemblage-Reliefs und frei stehende Konstruktionen in seinem neuen post-dadaistischen Stil zeigte. Einige der Werke von Peri waren architektonisch - sehr im Gegensatz zu der postkubistischen Abstraktion, die unter ihren Kollegen vorherrschte. Die Ausstellung zeigte erstmals in Berlin die ni.ichterne, architektonische und materialbezogene Abstraktion, aus der schliefSlich die schon bald als Konstruktivismus bezeichnete Kunstrichtung hervorging. 16 1922 hatte Moholy-Nagy seinen charakteristischen abstrakten M alstil gefunden, der von schwebenden Figuren gepragt war. Inspiration zog er aus den Arbeiten von Malewitsch und Lissitzky, aber im Gegensatz zu ihnen betonte Moholy-Nagy die Transparenz. Nach der ersten Ausstellung in der Galerie Der Sturm gewann seine ki.instlerische Laufbahn an Schwung. Mit gewissen Variationen blieb er diesen durchscheinenden, im Raum schwebenden geometrischen Konstruktionen in den Folgejahren bei seinen Bildern, Grafiken und Fotogrammen treu. 4. Nur der Umstand, class Moholy-Nagy ein erfolgreicher Ki.instler des internationalen Konstruktivismus war, di.irfte fi.ir Gropius bei seiner Enrscheidung fi.ir Moholy-Nagy jedoch nicht ausschlaggebend gewesen sein. Obwohl Moholy-Nagy bis dato noch nie unterrichtet hatte, 85 86 24 Laszlo Moholy-Nagy, Einband fur Christoph Natter Kunstlerische Erziehung aus eigengesetzlicher Kraft. Gotha und Stuttgart 1924 Verlag Friedrich Andreas Perthes; Privatsammlung. ' stimmten seine erklarten reformpadagogischen Uberzeugungen mit der Theorie und Praxis des Bauhauses iiberein - ironischerweise besonders mit denen von Johannes Itten, dessen Stelle er ja iibernommen hatte. Sein Lehrkonzept hatte Moholy-Nagy von der Reformpadagogik iibernommen, die ihrerseits Teil der Lebensreformbewegung war. 17 Mit den Lebensreform-Prinzipien kam MoholyNagy tiber Freunde in Beriihrung, die er kurz nach seiner Ankunft in Berlin im Marz 1920 in der Freideutschen Jugend gefunden hatte - darunter auch seine zukunftige Frau Lucia Schulz. Lucia hatte im Jahr 1919 einige Zeit in der Barkenhof-Kommune von Heinrich Vogeler verbracht und in der Folge enge Beziehungen zu den Frauen-Kommunen Loheland und Schwarzerden in der Rhon gepfl.egt. Im Sommer 1922 verbrachten die Moholy-Nagys sogar ihren Urlaub in der Umgebung von Loheland. Moholy-Nagy arbeitete dort an den eingangs genannten Artikeln. So iiberrascht es nicht, class diese Texte von reformpadagogischem Gedankengut durchdrungen sind. Moholy-Nagys Padagogik war beeinflusst von Marie Buchhold, einer Herausgeberin der Freideutschen ]ugend. Buchhold pfl.egte engen Kontakt mit der Padagogin der Freideutschen Jugend und Tanzerin Elisabeth Vogler. Moglicherweise sind sich die Moholy-Nagys sowie Vogler und Buchhold im Sommer 1920 auf Loheland begegnet. Nachweislich trafen sie Vogler don im Sommer 1922. Aus dieser Begegnung entstand rasch eine Freundschaft zwischen Vogler und Lucia Moholy-Nagy. Buchholds Padagogik vermittelt den Eindruck, class sie eine bislang nicht anerkannte Vorreiterin des Oko-Feminismus war. Spuren des biozentrischen Aspekts von Buchholds Denken finden sich in Produktion - Reproduktion. Darin laszlo Moholy-Nagys Synthesekonzept von 1922 entwickelten Liszl6 und Lucia Moholy-Nagy die Idee, Medien, die normalerweise der Reproduktion von Bildern und Tonen dienen (wie fotografische Platten und Wachsplatten zur Tonaufnahme) fur produktive, das hei!Sr kreative Zwecke zu nutzen - zum Beispiel in der Form von Forogrammen oder von Tonkompositionen durch direktes Einritzen. Gro!Sen Wert legten sie auf die Emfaltung der jedem Menschen innewohnenden Kreativitat und die Einbezieh ung jedes einzelnen Individuums. Im Herbst 1923 grilndeten Buchhold und Vogler in Schwarzerden, 10,5 km osdich von Loheland, eine Frauen-Kommune. Nach seiner Aussrellung am Bauhaus verriefte Moholy-Nagy dorr wahrend seiner Urlaubsaufemhalte mit Lucia sein Wissen tiber die Reformpadagogik. Aus der padagogischen Reformbewegung innerhalb der Freideutschen Jugend ging unter anderem der Bund Emschiedener Schulreformer hervor. Urn 1923 hatte Moholy-Nagy Kontakr zu zwei Erziehern dieser Organisation: Heinrich Jacoby und Christoph Natter. Fur letzteren gestaltete er einen Bucheinband. 18 Eine besonders enge Freundschaft pflegten Liszl6 und Lucia Moholy-Nagy mit Jacoby. Neben der Erziehung der Sinne, was meist als zentrales Konzept des padagogischen Ansatzes von Moholy-Nagy gilt, ist es aber auch die Vorstellung, class jeder Mensch begabt ist. Diese Idee stammte jedoch nicht von MoholyNagy; er ilbernahm sie und ebenfalls sein Konzept der biologischen Grundlagen des Ausdrucks von Jacoby1 9 und blieb Zeit seines Lebens in seinem Denken stark biologistisch, sogar 87 88 26 Laszlo Moholy-Nagy, Nickelplastik mit Spirale, 1921, (35,9 x 17,5 x 23,8 em), Museum of Modern Art (MoMA), New York: Spende von Sibyl Moholy-Nagy (lnv. nr. 17.1956); Digital Image: The Museum of Modern Art, New York / Scala, Florenz. biozentrisch orientiert. 20 Auf der Artikelreihe von 1922 basierend schrieb Moholy-Nagy im Sommer 1924 in Loheland sein erstes Buch Malerei, Photographie, Film. Diese Publikation begrundete seinen Ruf als fuhrender Theoretiker der Medienkunst des fruhen 20. Jahrhunderts.21 5-6. Eine der Verpflichtungen, fur die Gropius Moholy-Nagy geholt hatte, war die des Formmeisters der Metallwerkstatt. Damit verband Gropius die Hoffnung, class MoholyNagy nicht nur die Ausbildung der Schuler fur die Arbeit in der Industrie leiten, sondern Patente und Produkte entwickeln wurde, die der Schule zu Einnahmen verhelfen wurden ein Ziel, das Moholy-Nagy erreichte. Aber welche Beziehung hatte Moholy-Nagy vor dem Bauhaus zu Technik und industriellen Werkstoffen? Als er kurz nach seiner Ankunft in Berlin im Februar 1920 das erste Mal Kurt Schwitters Verwendung unublicher Materialien sah, empfand er dies als skandalos. Dieses Gefuhl der Emporung, diese Herausforderung - und seine wachsende Freundschaft mit Schwitters - spornten ihn letzdich an, selbst mit Montagen zu experimentieren. 22 Als Uitz ihm von den Entwicklungen in der russischen Kunst erzahlte, begann Moholy-Nagy, mit Holz und Metall zu arbeiten. Seine fruhesten Werke dieser Art waren wahrscheinlich die Holzplastik und die Nickelplastik mit Spirale Ende 1921. Letztere bedeutete den Durchbruch; es war das Objekt, auf dem zu dieser Zeit sein Ruf L6szl6 Moholy-Nagys Synthesekonzept von 1922 grundete. Schaut man sich dieses Objekt genau an, wird deutlich, dass es nicht perfekt ist; ihm fehlt die Prazision der spateren Arbeiten aus Metall. Wenn Moholy-Nagy die Plastik tatsachlich selbst anfertigte (und wir konnen nicht sicher sein, ob er sie nicht vielleicht anfertigen Hem, dann war er noch ein Lernender. Die Elemente aus Eisen sind recht grob miteinander verschweiGt und vernietet und auBerdem achsenverschoben. Die rauen Kanten werden zwar durch die Vernickelung (mit der er sicherlich eine Werkstatt beauftragte) geglattet, sind aber dennoch sichtbar. Am meisten fasziniert mich an dieser Plastik, wie das Spiralband als optischer Ubertrager von Tonen und Bodenerschiitterungen dient und, mit anderen Worten, die geringsten Schwingungen in der Umgebung aufnimmt und in Bewegung umsetzt. Ich hatte bereits erwahnt, dass Moholy-Nagy Hausmanns Aufruffur elementare Kunst unterzeichnet hatte. Darauf konnen wir hier nicht naher eingehen. Es lasst sich jedoch sagen, dass Hausmanns Lebensprojekt - die Erweiterung der sensorischen Fahigkeiten hinsichtlich eines intuitiveren Verstandnisses von Einsteins und Minkowskis neuer Raum-Zeit-Vorstellung - , das sich am deutlichsten in seinem Optophon manifestierte, einen entscheidenden Effekt aufMoholy-Nagy hatte. Dies betrafinsbesondere seine Vorkurs-Lehre, in der die multisensorische und besonders die nichtvisuelle sensorische Ausbildung einen zentralen Bestandteil bildete. 23 Im Herbst 1921 arbeite Hausmann an seinem Optophon; seine Aufzeichnungen dazu erschienen dank Moholy-Nagy in der OktoberAusgabe 1922 von MA. 24 Das Optophon hatte die Umsetzung akustischer Daten in eine visuelle Form zum Ziel. Es spiegelt jedoch nicht die Vorstellung Hausmanns von der Identitat von Schall- und Lichtwellen wider. Eine einfache, aber eindrucksvolle Demonstration dieser Idee stellt vielmehr die schwingende Spirale der Nickelplastik dar. GleichermaGen radikal in ihrem as thetis chen Konzept war Moholy-Nagys Metallkonstruktion in Glas und Nickel (auch bekannt als Metallskulptur und Exzentrische Konstruktion), an der er wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1922 arbeitete. Sie bestand aus Kupfer, Zink, Stahl, Nickel und Flachglas und wies eine weit hohere Prazision und technisch beschlagenere Ausfiihrung als die Nickelplastik auf.2 5 Erstmalig wurde sie auf Moholy-Nagys zweiter SturmAusstellung im Februar 1923 als Exzentrische Konstruktion gezeigt. Don sah sie auch Gropius.26 Bemerkenswert an ihr ist das Radikale des raumlichen Konzeptes. Ihr Titel bezieht sich auf die Vorstellung Bogdanows von den exzentrischen Kraften, die zu dieser Zeit von Kemeny in seinen Schriften thematisiert wurden. 27 Moholy-Nagy verzichtete sowohl auf die senkrechte Anordnung bisheriger avantgardistischer Assemblagen (einschlieBlich der Nickelplastik) und sogar auf die eigentliche Idee der Assemblage. Stattdessen ordnete er die Einzelteile aus verschiedenen Metallen und Glas auf einer horizontalen Ebene an. Sie waren nicht zwangslaufig direkt miteinander verbunden, hatten aber dennoch einen klaren Bezug zueinander. Die Exzentrische Konstruktion bescheinigt ihrem Schopfer starker ausgepragte handwerkliche Fertigkeiten als die N ickelplastik und durch die Verwendung unterschiedlicher Metalle eine groBere Erfindungsgabe. Hatte sie iiberlebt, ware sie heute ahnlich wie die N ickelplastik und die so genannten Telefonbilder (die Emaille-Serie) zweifelsohne eine Ikone des Imernationalen Konstruktivismus. Wah rscheinlich schon kurz nach der Veroffentlichung eines wichtigen Kapitels des Buches D ie Pjlanz e als Erfinder in der viel gelesenen Berliner Kunstzeitschrift Das Kunstblatt im Januar 1923 entdeckte Moholy-Nagy die Schriften von Raoul H einrich France. Im erwahmen 89 90 Oliver A. I. Bolar Kapitel erlautert France seine Theorie, nach der samtliche Technik, die menschliche und die nichtmenschliche, aus sieben Grundformen besteht. Mit anderen Worten: Genau wie der Mensch Teil der Natur ist, ist die menschliche Technik eine Teilmenge der Naturtechnik. Diese These war der auslosende Faktor dafur, class Moholy-Nagy seine Begeisterung fur Technik in ein umfassenderes biozentrisches Konzept von der Stellung des Menschen in der Welt einbertete. Dies legitimierte seine von Natur aus positive Sicht auf die Technik und seinen starken Glauben daran, class der Mensch lernen muss, Technik zu seinem Vorreil einzusetzen, start sich von ihr an den Rand drangen zu lassen. 28 7. Aus Platzgrunden kann ich mich diesem Thema hier nicht widmen. Ich mochte lediglich erwahnen, class Moholy-Nagys Faszination von Licht als Medium des »plastischen Ausdrucks« in seinen Kontakten zu einem Kreis feministischer Forografinnen im Budapest der spaten 191 Oer Jahre wurzelte. Dieser Kontakt setzte sich tiber seine erste Frau Lucia Moholy (selbst Forografin) und die Unterweisung in der Technik des Fotogramms durch Bertha Gunther aus der Kommune Loheland fort. 29 8. Wie wir sahen, harten die Erfahrungen wahrend der Ungarischen Raterepublik bei Moholy-Nagy die Moglichkeit einer radikalen und umfassenden Reform des Lebens Gestalt annehmen lassen. Daher wares in Deutschland fur ihn nur logisch, sich der Lebensreformbewegung anzuschlieBen, die einen gleichermaBen ganzheitlichen Reformansatz verfolgte. Mit dem Abebben des revolutionaren Schwungs 1922 wurde es wichtig, eher mit einem Veroffentlichungsprogramm fur eine Reform zu werben als mit einem unmirtelbaren politischen Umsturz. Die Teilnahme an einem solchen Programm war Moholy-Nagy erstmalig durch die Zusammenarbeit mit Lajos Kassak moglich. Kassaks wichtigste Beitrage fur den sich herausbildenden lnternationalen Konstruktivismus, seine groBten Kunstwerke sozusagen, sind die Weiterfuhrung der Zeitschrift JI1A in Wien und die Anthologie Buch neuer Kunstler. Sowohl das Buch neuer Kunstler als auch JI1A (Marz 1921 bis Juli 1922) waren das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Moholy-Nagy. Auch wenn Kassak die internationalistische Phase von MA Anfang 1921 mit einer Ausgabe einleitete, die dem Werk von Kurt Schwirters gewidmet war, ware ihm sein spateres Schaffen ohne Moholy-Nagy nicht moglich gewesen. Schon bald nach seinem Besuch in Wien im Februar 1921 wurde Moholy-Nagy als Berlin-Korrespondent gefuhrt. In seinen Memoiren raumte Kassak ein, class Moholy-Nagy den GroBteil des Bildmaterials fur das Buch neuer Kunstler geliefert harte und die redaktionelle Arbeit gemeinsam erfolgt war. 30 Das Buch neuer Kunstler wurde als erste bedeutende Anthologie der internationalen Avantgarde der Nachkriegszeit anerkannt. Es enthielt umfangreiches Material zu Kunst, Literatur und Musik sowie Enrwurfe, die auch Beispiele der neuesten Industrieprodukte, modernste Transportfahrzeuge und Gebaude zeigten. 31 Die Zusammenarbeit von Moholy-Nagy und Kassak bei JI1A und dem Buch neuer Kunstler umfasst so etwas wie eine Obersicht des sich herausbildenden Internationalen Konstruktivismus. Obwohl Moholy-Nagy bereits 1917 und 1918 in Budapest mit Ivan Hevesy gemeinsam an einer literarischen Zeitschrift gearbeitet harte, machte ihm erst seine Mitarbeit an Kassaks Wiener Veroffentlichungen das Potential von Publikationen als Mittel zur Verknupfung von Wissen verschiedener Kategorien bewusst. Nach dem Ende der Zusammenarbeit mit Kassak im Sommer 1922 hegte Moholy-Nagy eigene Plane fur eine »synthetische«, d. h. interdisziplinare Zeitschrift, die tiber das hinaus- 27 Laszlo Moholy-Nagy, Metallkonstruktion in Glas und Nickel, 1922 (Fotograf unbekannt); Foto aus der Sammlung Hattula Moholy-Nagy. gehen sollte, was Kassik under bis data erreicht hatten. Dieser Plan wurde erst 1924 veroffendicht (im tschechischen Avantgarde-Journal Pasmo [Zone]). Moholy-Nagy lids keinen Zweifel an seinen Absichten, verschiedene Zweige des Wissens, der Forschung und des menschlichen Handelns zusammenzufuhren, urn die Sache der ganzheidichen Reform des Lebens voranzutreiben. In diesem Sinne setzte sein Werk das Projekt der Lebensreformbewegung fort - das, was er in Maferei, Photographie, Film als »Gesamtwerk«, d. h . die Integration der Kunst in das Leben, bezeichnet harte. Dem »Gesamtwerk« stellte er das »Gesamtkunstwerk« gegenuber, das in seinen Augen ein veraltetes Relikt einer allzu individualistischen Vergangenheit war. Das Streichen der »Kunst« aus »Gesamtkunstwerk« lids auf seine Haltung schliegen, class »Leben« und nicht »Kunst« das Ziel warY Am Bauhaus waren seine Plane fur die bauhausbucher-Reihe ein Schritt in Richtung dieses Ziels. Wir haben gezeigt, class die Kunst der ungarischen Aktivisten, die Werke Kurt Schwi tters, die Arbeiten der russischen Konstruktivisten und Suprematisten sowie die Theorien Hausmanns im Verbund mit den von Bogdanow gepragten Vorstellungen Alfred Kemenys, kommunistischen Idealen und den Komakten Lucia Moholys zur Lebensreform-Bewegung, zum Biozemrismus und dem Lebenskonzept der Jugendbewegten Moholy-Nagy fur ein starkerweitertes Feld des moglichen asthetischen Ausdrucks, der Erfahrungen und Ziele sensibilisierten. 1922 formulierte Moholy-Nagy dies als weitgehend koharente - wenn auch nicht Streng systematische- Synthese von Denken und Praxis. (Wobei die Bruche in ihr mindestens genau so interessant wie die Koharenzen sind ... ). Aus Sicht der Formulierung seiner 91 92 Oliver A. I. Bolar Epistemologie und Asthetik stellte dieses Jahr den entscheidenden Moment seiner Laufbahn dar. Im Kern wares diese Synthese, an deren Vervollkommnung er bis zu seinern fruhzeitigen Tod durch Leukamie in Chicago (1946) arbeitete. Gropius war sich 1923 wahrscheinlich gar nicht aller Facetten des intellektuellen und kunstlerischen Strebens von Moholy-Nagy bewusst. Was er von Moholys bisherigen Mejedoch einen solchen Eintallskulpturen, Gemalden und Schriften kannte, hinterld~ druck, class der damals 28jahrige Ungar am 3 1. Marz 1923 vom Meisterrat des Bauhauses als Dozent fur das zweite Semester des Vorkurses und Forrnmeister in der Metallwerkstatt eingestellt wurde.33 Sicher hatte aber Gropius 1923 erkannt, class Moholy-Nagy ein inspirierendes Prograrnm mit asthetischen und reformerischen Ideen entwickelt hatte, das im Grunde ein padagogisches war. Daraufhin entschied er, den jungen Ungarn zu berufen. Und Moholy-Nagy erfullte die von Gropius gehegten Erwartungen. Die Beziehung zwischen beiden war zwar komplexer, als dies auf den ersten Blick scheint, die Bewunderung fur einander blieb jedoch eine Konstante. Ruckblickend schrieb Gropius 1965: »Was das Bauhaus erreicht hat, ist undenkbar, ohne sich des groEen Stimulators Moholy und seines feurigen Geistes zu erinnern.«34 2 3 4 5 6 7 8 Lucia Moholy gibt an, class ihre fri.ihen Texte das Ergebnis »einer Art symbiotischer Arbeitsgemeinschaft« seien. Lucia M oholy: Marginalien zu Moholy-Nagy. D okumentarische U ngereimtheiten. Krefeld 1972, S. 11. Laszlo Moholy-Nagy und Alfred Kemeny: D ynamisch-konstruktives Kraftsystem. In: D er Sturm 13 (1 922), Nr. 12 (Dezember), S. 186. Die i.ibrigen Artikel wurden Moholy-Nagy als alleinigem Autor zugeschrieben: Produktion- Reproduktio n. In: De Stijl 5 (1922), N r. 7 Quli), S. 98- 101; Ligh t: A Medium of Plastic Expression. In: Broom 4 (1923), S. 283 f.; Vita az uj tartalom es az uj forma problemajar61 [Probleme des neuen Inhalts und der neuen Form]. In: Akasztott Ember [Der Gehiingte] 1 (1 922), N r. 3/4 (D ezember), S. 3 f.; Neue Gestaltung in der Musik. Moglichkeiten des Grammophons. In: Der Sturm 14 (1923), N r. 7 Qul i), S. 102- 06; Rich tlinien fur eine synrhetische Zeitschrift. In: Pasmo 1 (1924/25), Nr. 7/8, S. 5. Hinweis: D er letztgenannte Beitrag ist im Text selbst mit '' 1922« darien. Aus Plarzgri.inden kann ich mich niche all diesen Punkten in gleicher Ausfi.ihrlichkeit widmen; an gegebener Stelle werde ich den Leser auf eingehendere Erlauterungen verweisen. Erstmalig formu lierte ich den diese Synthese betreffenden Gedanken in meinem Buch Technical D etours. The Early M oholy-Nagy Reconsidered (New York 2006), und entwickelte ihn in der ungarischen Ausgabe weiter Termeszet es technika. Az tijraertelmezett Moholy-Nagy 1916- 1923 [Natur und Kunst: Neue Oberlegungen zu M oholy-Nagy 1916-1923] (Budapest 2007). Dieser Artikel ist eng an zwei Vomage angelehnt, die ich im Herbst 2009 hielt, I am KURI-ous (Red White Green): Hungarians and the Bauhaus Shift, 1922-23, Internationale Konferenz bauhaus global, MartinG ropius-Bau, Berlin (22. September 2009) sowie The Dynamic-Constructive Synthesis. Moholy-Nagy on the Road to W't-imar, Symposium H ungarians and the Bauhaus, Museum of M odern Art, N ew York (20. November 2009). Vgl. O liver Botar: Termeszet es tech nika (Anm. 3), S. 64. M ehr zu diesem 1hema siehe O liver Botar: Technical Detours (Anm. 3), S. 150 ff. Ebd., S. 14 1 ff. Oliver Botar: Termeszet es technika (Anm. 3), S. 156. Siehe C hristina Lodder: Russian Constructivism. New Haven und London 1983, S. 74 f; Jaroslav Andel: The Co nstructivist Entanglement. Art Into Po litics, Poli tics Into Art. In: Art Into Life. Russian Constructivism 19 14 - 1932. New York 1990, S. 225 f; C harlotte D o uglas: Energetic Abstractio n. O stwald, Bogdanov and Russian Post-Revolutionary Art. In: Bruce C lark und Linda D. H enderson (H rsg.): From Energy to Information. Representations in Science and Technology, Art and Literature. Stanford, CA 2002, S. 86-89. O liver Botar: C onstructivism , International Constructivism and rhe Hungarian Emigratio n. In: John Kish (Hrsg.): The Hungarian Avant-G arde, 19 14- 1933. Storrs, CT 1987, S. 94 f. Laszlo Moholy-Nagys Synthesekonzept von 1922 9 Siehe Krisztina Passuth: Contacts berween the H ungarian and Russian Avant-Garde in the 1920s. In: An nely und David Juda (Hrsg.): The First Russian Show. A Comm emoration of the Van Diemen Exhibition Berl in 1922. Lon- don 1983, S. 48 ff. Oliver Botar: Constructivism , I nternatio nal Constructivism and the H ungarian Emigration (Anm. 8), S. 94. Konstantin Umansky: Neue Kunst in Russland , 19 14- 1919. Potsdam und Mu nchen 1920 . Eva Bajkay zitien in ihrem Buch U itz' Brief an Istvan Genrhon: U itz Bela. Budapest 197 4, S. 118. 11 l2 Oliver Botar: Termeszet es technika (Anm . 3), S. 157 f. l3 zu Depero siehe Lois Relin: Two Pioneering Sculptures by Balla and Depero, 19 15. Tn : Gazette des Beaux-Arts 107 10 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 (1986), S. 81-85. Oliver Botar: Tech nical Detours (Anm. 3), S. 172 ff. Stephen Ban n: The Tradition of Constructivism. New York 1974. S. XXV ff. Oliver Borar: Termeszet es technika (Anm. 3), S. 130 ff. Fur eine ausfuhrliche Unrersuchu ng und vollstandige Dokumentation dieses Themas siehe O liver Botar: The Roots of Laszlo Moholy-Nagy's Biocentric Constructivism. In: Eduardo Kac (Hrsg.): Signs of Life. Bio Art and Beyond. Cambridge, MA 2007, S. 315-44. Siebe Oliver Botar: Termeszet es tech nika (Anm. 3), S. 188. Siebe auch Lucia Moholy: Marginalien zu Moholy-Nagy (An m . 1), S. 13. Siehe O liver Botar: TI1e Roots o f Laszlo Moholy-Nagy' s Biocenrric Constructivism (Anm. 17). Laszlo Moholy-Nagy: Malerei, Photographic, Film . Mu nchen 1925 . Siehe O liver Botar: Tech nical Detours (Anm . 3), S. 161. Siebe dazu die Reproduktio nen der verschollenen Assemblagen-Reliefs von Moholy-Nagy ReliefH und ReliefS (beide 192 1) auf S. 130 f. Oliver Botar: Technical Detours (An m. 3), S. 161f. Raoul Hausmann: Optophonetika [Optophonetik] . In: MA 7 (1922), Nr. 1 (15. O ktober), o. S. Der Titel Metallkonstruktion in Glas und Nickel sowie d ie verwendeten Werkstoffe sind auf der Ruckseite ei nes alten Fotos seiner Arbeit vermerkt ( Arch iv H attula Moholy-Nagy, An n Arbor, M ich igan) . Moholy-Nagy - Peri. H undertsechzehnre Ausstellung Februar 1923. Berlin : Galerie Der Sturm, 1923, N r. 18. Alfred Kemeny: Das dyna mische Pri nzip der Welt-Konstruktion im Z usammenhang m it der funkt ionellen Bedeutung der konstruktiven Gestaltung. I n: Der Sturm (April1 923), S. 62-64. Fur eine ausfuhrliche Unrersuchung und vollstandige D okumenratio n d ieses -nlemas siehe O liver Bo tar: TI1e Roots ofU.szlo Moholy-Nagy's Biocentric Constructivism (Anm . 17) und O li ver Botar: L:iszlo Moholy-Nagy's New Visio n and the Aestheticization ofScienrific Imagery in Weimar Germany. In: Science in Context. W riting Modern Art and Science. Hrsg. von Linda Dalrym ple H enderson. 17 (2004) , N r. 4, S. 525-56. Ausflihrlicheres in O liver Botar: Termeszet es tech n ika (Anm. 3), 72-75, und O liver Botar: Technical Detou rs (Anm. 3), S. 163-69. Oliver Botar: Technical Detours (Anm . 3), S. 147-49. Siehe z.B. Kai-Uwe Hemken: World H armony and Power System. TI1e Book of New Artists (1922) as a visual Manifesto of Hungarian Constructivism. An lage zur Faksimile-Ausgabe von Ludwig Kassdk und Ladislaus MoholyNagy. Buch neuer Kiinstler. Wien 1922, Baden 1991. Zu diesem Thema siehe O liver Bo tar: Taking the Kunst out of Gesamtkunstwerk. Moholy-Nagy's Concep tion of the Gesamtwerk. In: Oliva Marfa Rubio (Hrsg.): L:iszlo Moholy-Nagy. TI1e A rt of Light. Madrid 2010. Siehe daZLI den Vertrag zwischen Moholy-Nagy und dem Bauhaus vom 3 1. Marz 1923. Thuringisches H auptstaatsarchiv Weimar, Staatl iches Bauhaus Weimar N r. 11 1, Bl. 147-149. Siebe auch Volker Wahl und Ute Ackermann (Hrsg.): Die Meisterratsp rorokolle des Staatlichen Bauhauses Weimar 19 19 bis 1925 . Weimar 200 1, S. 299. Walter Gropius: O n L:iszlo Moholy-Nagy. Zitiert in O liver Botar: Moho ly-Nagy and the H ungarian-America n Council for Democracy, Documents. In: Hungarian Studies Review 15 (1988), Nr. 1, S. 85. 93