Philosophische Fakultät und Fachbereich Theologie der FriedrichAlexander Universität Erlangen-Nürnberg
Institut für Soziologie
Schriftliche Hausarbeit für die Modulabschlussprüfung (Qualifikationsbereich Vergleichende Gesellschaftsanalyse) im Proseminar „Pflege als globaler Arbeitsmarkt“
Sommersemester 2017
Thema: Fachkräftemangel in Pflegeberufen, Die Problematik von an Fürsorgerationalität orientierter Arbeit dargestellt durch die Beschreibung von Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und subjektivierendem Arbeitshandeln am Beispiel der Pflege, Ökonomisierungstendenzen im Gesundheitssektors die einer fürsorgerationalen Arbeitskonzeption im Weg stehen und der Ansatz der ganzheitlichen Pflege als Rahmenbedingung
für die Umsetzung von subjektivierenden Arbeitshandeln
Dozent: Dr. Ronald Staples
Vorgelegt von
Johanna Ernst
Sieglitzhoferstraße 21
91054 Erlangen
Tel.: 0157 36469463
E-Mail:
[email protected]
4. Semester
2-Fach Bachelor Soziologie (1. Fach) und Ökonomie (2. Fach)
Matrikelnummer: 22023769
1
1. Das Beschäftigungsproblem der Pflege im öffentlichen Diskurs
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis .................................................................................................2
1. Pflege im öffentlichen Diskurs .......................................................................4
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit ...............................................................5
2.1 Beschreibung der Eigenschaften von Pflegetätigkeiten nach Christel
Kumbruck .................................................................................................5
2.2 Problematik des decent work: Wie können wir menschenwürdige
Pflegearbeit erreichen?.............................................................................7
2.3 Interaktionsarbeit ......................................................................................9
2.3.a)
Emotionsarbeit ......................................................................................................9
2.3.b)
Gefühlsarbeit ..................................................................................................... 10
2.3.c)
Subjektivierendes Arbeitshandeln ..................................................................... 10
2.3.d)
Gefühls- und Emotionsarbeit als professionelle Tätigkeiten ............................. 11
3. Interaktionsarbeit in der Pflege ................................................................... 12
3.1 Warum ist Interaktionsarbeit gerade innerhalb der Pflege ansässig? ..... 12
3.2 Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und subjektivierendes Arbeitshandeln
innerhalb der Pflegetätigkeiten am Beispiel einer Altenpflegerin ............ 12
3.3 Emotionsarbeit in der Pflege................................................................... 13
3.4 Gefühlsarbeit in der Pflege ..................................................................... 14
3.5 Subjektivierendes Arbeitshandeln in der Pflege ..................................... 17
3.6 Die positiven Auswirkungen des subjektivierenden Arbeitshandeln auf die
Arbeitsbedingungen in der Pflege ........................................................... 19
4. Arbeitsorganisationsformen zur Etablierung von Gefühlsarbeit,
Emotionsarbeit und subjektivierenden Arbeitshandeln ............................ 21
4.1 Funktionspflege ...................................................................................... 21
4.2 Ganzheitliche Pflege ............................................................................... 22
4.3 Wie kann es zu einer praktischen Etablierung von Emotionsarbeit,
Gefühlsarbeit und subjektivierendem Arbeitshandeln innerhalb der Pflege
kommen? ................................................................................................ 23
5. Ökonomisierungs und Rationalisierungstendenzen der Pflege ............... 24
5.1 Detaillierte Beschreibung der einzelnen Ökonomisierungsbewegungen 26
5.1.a)
Verschlankung ................................................................................................... 26
5.1.b)
Kommodifizierung .............................................................................................. 27
5.1.c)
Externalisierung ................................................................................................. 28
6. Ausblick: Kann sich das Konzept der ganzheitlichen Pflege
durchsetzen? ................................................................................................. 29
7. Quellenverzechnis ........................................................................................ 32
2
1. Das Beschäftigungsproblem der Pflege im öffentlichen Diskurs
7.1 Internet: .................................................................................................. 32
7.2 Literatur: ................................................................................................. 33
8. Erklärung zur ordnungsgemäßen Abfassung der vorliegenden Arbeit ... 34
3
1. Das Beschäftigungsproblem der Pflege im öffentlichen Diskurs
1. Das Beschäftigungsproblem der Pflege im öffentlichen
Diskurs
Die Pflegebranche innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zählt im Jahr 2011
circa eine Million beschäftigte Personen. Ungefähr ein Drittel entfallen hierbei auf
die ambulanten Pflegedienste und zwei Drittel auf die stationäre Pflege (vgl. Auth
2013, S. 418).
In der Altenpflege erweist sich der Titel eines Online-Artikels des Magazins „Der
Spiegel“ „Wir laufen auf eine Katastrophe zu“ für die Beschreibung der Beschäftigungssituation dieses Bereichs als besonders passend. In der Altenpflege sowie in
der Pflege in Krankenhäusern kämpfe man mit Missständen, doch für die Altenpflege habe die Agentur für Arbeit jetzt einen flächendeckenden Mangel an Fachkräften gemeldet (vgl. Diekmann 2017).
Ein anderer Artikel des Online-Magazins „Was sich Pfleger wirklich wünschen“ beschäftigt sich mit den Wahlversprechen der Parteien bezüglich dieser Beschäftigungsproblematik. Der Forderung nach mehr Lohn wird von den meisten Parteien
bis auf CDU und FDP versucht nachzugehen. Nach den Aussagen der interviewten
Pfleger ergibt sich, der Mangel an Pflegekräften und die hohe Personalfluktuation,
neben einer schlechten Bezahlung außerdem aus folgenden Kritikpunkten: lange
Arbeitszeiten sowie entweder sehr frühe oder sehr späte Schichten, Aggressivität
seitens Patienten und körperliche sowie psychische Belastungen. Die von den Parteien versprochenen Verbesserungen wie eine Unterstützung der Ausbildung von
Pflegekräften durch beispielsweise die Ausweitung von Studienmöglichkeiten sehen diese jedoch als zweitrangig an, um einer Aufwertung ihres Berufsfeldes näher
zu kommen. Viel wichtiger wäre hierfür eine Anerkennung ihrer Arbeit und deren
Errungenschaften wie zum Beispiel, dass durch die ambulanten Pflegedienste die
Situation von sterbenden Patienten deutlich verbessert wurde, da sie nicht mehr
isoliert im Krankenhaus ihrem Ende entgegen schauen, sondern zu Hause in gewohntem Umfeld gepflegt und begleitet werden können. Als wichtigsten Punkt nennt
ein Pfleger, dass es notwendig sei der Pflege „das Menschliche“ zurück zu geben.
Gemeint ist also eine Reduktion der Standardisierung und mehr Zeit pro Patient, um
auf diesen einzugehen. Dadurch soll die Situation des Patienten verbessert, aber
4
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
auch die psychische Verfassung der Pfleger unterstützt werden (vgl. Kaufmann
2017).
Den Artikeln zu Folge ergibt sich die Unbeliebtheit des Berufs Pflegekraft also aus
diversen Gründen. Um im Verlauf meiner Arbeit die Bedingungen einer würdevollen
Gestaltung von Pflegearbeit, durch die Berücksichtigung und Anerkennung der Konzepte des subjektivierenden Arbeitshandelns sowie der Emotions- und Gefühlsarbeit unter Einsatz der Arbeitsorganisation der ganzheitlichen Pflege, vorzustellen,
soll nun einmal einführend erklärt werden, welche Charakteristika Pflegetätigkeit in
Deutschland beinhaltet:
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
2.1
Beschreibung der Eigenschaften von Pflegetätigkeiten nach
Christel Kumbruck
Pflege ist gekennzeichnet durch die Existenz von sozialen Interaktionen zwischen
Pflegefachkräften und Pflegebedürftigen. Bettlägerige Menschen beispielsweise
sind abhängig von ihren Pflegern, da sie sich ohne deren Zuwendung nicht selbst
versorgen können. Dabei bestimmen Pflegekräfte über den täglichen Rhythmus von
Menschen in Altenheimen und stellen für die Pflegebedürftigen wichtige Bezugsperson dar. Um die Logik der mehrdimensionalen Tätigkeiten von Pflegekräften zu erklären wurde der Begriff der Fürsorgerationalität eingeführt, der versucht zu zeigen,
dass sogenannte vermischte Tätigkeiten für das Wohlbefinden des zu Pflegenden
von besonderer Wichtigkeit und darum besonders wertvoll sind (vgl. Kumbruck
2010, S. 190).
Pflege wird auch als Interaktionsarbeit bezeichnet, da sich der Umgang zwischen
Pflegefachkraft und Pflegebedürftigen und die dazugehörigen Handlungen und Arbeitsschritte je nach Interaktionspartnern ändern und somit eine pflegerische Tätigkeit nie konstant bleibt, sondern sich von Situation zu Situation verändert. Dies trägt
weiterhin dazu bei, dass pflegerische Tätigkeiten nicht kategorisiert und vereinheitlicht werden können und demnach deren Bewertung schwierig ist (vgl. Kumbruck
2010, S.192).
5
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
Die Durchführung pflegerischer Tätigkeiten wird außerdem als dialogisch-explorativ
bezeichnet. Viele Tätigkeiten eines Pflegers werden unter Unsicherheit beziehungsweise aus der Erfahrung heraus ausgeführt. Beispielsweise ist oft nicht klar wie sich
die gesundheitliche Situation eines Patienten entwickeln wird, die Arbeit der Pflegefachkräfte ist somit nicht planbar. (vgl. Kumbruck 2010, S. 193) Zu den Arbeitsmitteln einer Pflegefachkraft gehören neben einmem normalen medizinischen
Equipment auch deren „Gefühle“. Diese Arbeitsmittel umfassen neben der kognitiven Nutzung der fünf Sinne auch die verbale sowie die nonverbale Kommunikation,
aber auch die Empathie. Im Text vom Kumbruck wird mehrfach die Tatsache beschrieben, dass die Arbeit von Pflegekräften als ein situationsabhängiges auf Einfühlungsvermögen und Erfahrung begründetes Handeln eine Art von Expertenwissen generiert, das dem von Ärzten nahestehe (vgl. Kumbruck 2010, S. 194 ff.), dieses jedoch nicht gleichermaßen geschätzt werde, da die empathische Art der Arbeit
von Pflegekräften gesellschaftlich und organisational geringe Wertigkeit besitze
(Kumbruck 2010, S. 194).
Um für den Patienten den Aufenthalt in einem Pflegeheim oder Krankenhaus so
angenehm wie möglich zu machen ist auch eine emotionale Zuwendung seitens
des Pflegers notwendig. Vor allem wenn es um kritische Fälle wie bei Patienten mit
einer Krebserkrankung oder um sterbende Patienten geht. Die Aufgabe die die Pflegekräfte innerhalb dieses „sentimental work“ leisten trägt dazu bei, dass die eigentliche medizinische Behandlung und die darauffolgende Heilung erst möglich wird.
(vgl. Kumbruck 2010, S. 195)
Trotz einer unbezweifelbaren Notwendigkeit dieser emotionalen Zuwendung und
den daraus resultierenden Vorteilen für die weitere medizinische Behandlung, wird
dieser Bedarf von Seiten des Gesundheitssystems nicht gesehen und auch nicht
bei der Planung der Tätigkeiten von Pflegefachkräften einkalkuliert. Im Text von
Kumbruck wird eindringlich gezeigt welche Leistung Pfleger erbringen und dass ihre
Fähigkeiten weit über die der bloßen medizinischen Assistenz beziehungsweise der
rein körperlichen Pflege hinausgehen: Pflegefachkräfte erleben Patienten während
ihren schlimmsten Gemütszuständen wie Verzweiflung und Todesangst und vollbringen es trotz nicht vorhandener professioneller therapeutischer Ausbildung diesen Halt zu geben (vgl. Kumbruck 2010, S. 197).
6
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
Im Verlauf des Textes lassen sich immer mehr Erklärungen finden wieso der Beruf
der Pflegekraft heutzutage derart unbeliebt ist. Innerhalb dieses Berufszweiges erhalten die Beschäftigen offensichtlich eine deutlich zu geringe Anerkennung bei ihrer erbrachten Leistung: „Ein solches quasi (psycho-)therapeutisches Intervenieren
der Pflegefachkräfte wird von den ökonomischen Marktregeln folgenden Einrichtungen gar nicht wahrgenommen, wenngleich sie den Gewinn davon haben,
weil Patienten dadurch die restliche Arbeit weniger stören (beispielsweise
durch Schreien) und sich auf andere medizinische und pflegerische Maßnahmen
einlassen.“ (Kumbruck 2010, S. 197)
Ein weiterer Aspekt der Interaktionsarbeit die Pflegefachkräfte und Pfleger leisten
ist die Arbeit beziehungsweise der Umgang mit den eigenen Gefühlen die im Text
als die Emotionsarbeit vorgestellt wird (vgl. Kumbruck 2010, S. 197). Ähnlich wie
bei anderen Arbeiten müssen Pflegefachkräfte persönliche Probleme und Gedanken während der Arbeit hinter sich lassen, um für die zu pflegende Person die volle
Leistung erbringen zu können. Dazu jedoch kommt, dass sie Gefühle äußern müssen, die sie in diesem Moment vielleicht gar nicht wirklich fühlen, beispielsweise
gelassen zu bleiben, wenn ein Patient panisch auf eine Diagnose reagiert, um mit
dieser Gelassenheit auch den Patienten beruhigen zu können.
Bestimmte Regeln für den Ausdruck und Empfindung von Emotionen erzeugen
nicht selten eine emotionale Belastung die aus der permanenten Verstellung und
Verdrängung der eigenen Gefühle entsteht und in psychische Krankheiten münden
kann (vgl. Kumbruck 2010, S. 198).
2.2
Problematik des decent work: Wie können wir menschenwürdige
Pflegearbeit erreichen?
Aus dem Text ist deutlich herauszulesen, dass weder Emotionsarbeit noch inhaltliche Kommunikation an sich zwischen Patient und Pflegefachkraft, von Seiten der
verschiedenen medizinischen Einrichtungen und Regulierungsbereichen, wie beispielsweise dem Pflegeversicherungsgesetz, Wertschätzung erhalten: „Trotz ihrer
großen Bedeutung für die Steuerung der Interaktion wird Emoti-
7
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
onsarbeit in den Einrichtungen nicht wahrgenommen.“ „Gleichwohl wird diese Arbeit zwar von den Patienten gesehen, aber nicht von den Einrichtungen und der
Gesellschaft, und demzufolge auch nicht angemessen wertgeschätzt“ (Kumbruck
2010, S. 201). „Auch wenn nach § 28 Abs. 4 SGB XI
Kommunikation bei der Leistungserbringung zur Vermeidung von Einsamkeit
berücksichtigt werden soll, sind kommunikative Bedürfnisse nicht leistungsbegründend. Es herrscht, so Remmers (2009: 45), im Gesetz „ein instrumentales
Verständnis von Kommunikation, das insofern auf Fragen des Verständnisses
von Anleitungen oder auf Aufgaben der Beaufsichtigung beschränkt bleibt.““ (Kumbruck 2010, S. 202) Um gegen derartige Missstände vorzugehen bräuchte es, den
Aussagen des befragten Pflegepersonals nach, Möglichkeiten die Bedeutung von
guter Pflege für den Heilungsprozess besser aufzeigen zu können und deutlich zu
machen, dass eine Rationalisierung von Pflege begrenzt ist. (vgl. Kumbruck 2010,
S. 203) Weiterhin stehen diesem Vorhaben Schwierigkeiten für die Bezeichnung
der Dienste der Pflege entgegen. Begrifflichkeiten wie eine „liebevolle“ Pflege stufen
die Dringlichkeit der Emotionsarbeit als wichtigen Beitrag zum Genesungsprozess
herunter auf eine nebensächliche private Tätigkeit, anstatt sie professionell anzuerkennen. (Kumbruck 2010, S. 203) Stattdessen plädiert die Autorin für den Begriff
der Fürsorgerationalität. Die Autorin Kari Waerness versteht darunter eine Art der
Arbeitsorientierung, bei der die einzelnen Pflegehandlungsschritte durch eine spezifische und persönliche Beziehung der Pflegekraft zum pflegebedürftigen Menschen geprägt sind und in welcher dieser in seiner Selbstständigkeit unterstützt werden soll (vgl. Becker u.a. 2016, S. 503).
Um menschenwürdige Arbeit also das sogenannte „decent work“ und demnach vielleicht auch eine Behebung des Problems des Fachkräftemangels zu erreichen ist
es notwendig ein Verständnis für die Anforderungen von Interaktionsarbeit zu schaffen, sowohl deren qualifikatorische als auch ihre emotionalen Anforderungen. Dieses soll zum Beispiel durch erweiterte Forschungsarbeit erreicht werden (vgl. Kumbruck 2010, S. 204). Laut der Autorin könnte auf diesem Weg der verbreiteten
zweckrationalen Orientierung der entscheidenden Einrichtungen Einhalt geboten
werden und mehr Fürsorgerationalität ermöglicht werden können (vgl. Kumbruck
2010, S. 205).
8
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
Im weiteren Verlauf möchte ich nun genau der Forderung der Autorin Christel Kumbruck nachkommen und das Konzept der Interaktionsarbeit und deren Anforderungen definieren und später zeigen wie sie außerdem im Bereich der Pflege detailliert
zu beschreiben ist. Weiterhin soll das Konzept der ganzheitlichen Pflege vorgestellt
werden, durch deren Umsetzung eine bessere Integration von Gefühls- und Emotionsarbeit und subjektivierendes Arbeitshandeln innerhalb der Pflegetätigkeiten erreicht werden kann.
2.3
Interaktionsarbeit
Eine ansprechende Definition der Interaktionsarbeit findet sich in dem Buch „Arbeit
in der Interaktion – Interaktion als Arbeit, Arbeitsorganisation und Interaktionsarbeit
in der Dienstleistung“ von den Autoren Fritz Böhle und Jürgen Glaser. Diese befassen sich im ersten Kapitel ihres Buches mit dem Konzept der
Interaktionsarbeit zu deren Kernbestandteilen, wie sie es auf S. 30 erläutern, die
Emotionsarbeit gehört. Eine Unterscheidung treffen sie hierbei zwischen Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und dem damit verbundenen subjektivierenden Arbeitshandeln
(vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 30). Sie beschreiben Interaktionsarbeit als die „Kernaufgabe der personenbezogenen Dienstleistung“ (Böhle/Glaser 2006, S. 29). Die Interaktion in einer Dienstleistung hat massiven Einfluss auf deren Qualität und ihr
Ergebnis. Kunde und Dienstleister agieren dabei in einem wechselseitigen Prozess,
wobei ungleich zu industriellen Tätigkeiten der Arbeitsgegenstand nicht als Objekt,
sondern als Subjekt angesehen werden muss, welcher eigenständig handelt und
als sogenannter „Ko-Akteur“ mit dem Dienstleister zusammen das Ergebnis der Interaktion beziehungsweise der Dienstleistung formt (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 29).
2.3.a) Emotionsarbeit
Als ersten Kernbestandteil der Interaktionsarbeit beschreiben sie in ihrem Text die
Emotionsarbeit: diese beschreiben sie, in Anlehnung an die Werke der Autoren Erving Goffman und Arlie Russell Hochschild, als die Art von Arbeit, mit welcher emotionale Dissonanz innerhalb der Arbeit bewältigt werden soll. Die von den Beschäftigten während ihrer Arbeit tatsächlich erlebten Gefühle sollen von ihnen so reguliert
werden, dass sie den Gefühlsregeln des Berufs oder der Organisation entsprechen.
9
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
Falls diese sich nicht entsprechen herrscht emotionale Dissonanz und die Beschäftigten können die Anforderungen des jeweiligen Betriebes nicht erfüllen (vgl.
Böhle/Glaser 2006, S. 30). Beispielsweise muss in einer Verkaufssituation jede Art
von Kundschaft bedient werden auch wenn das Verkaufspersonal negative Gefühle
für diese hegt, ausgelöst beispielsweise durch deren Aussehen oder Verhalten. Das
Verkaufspersonal einer Kosmetik-Abteilung muss eine der allgemeinen Meinung
nach unattraktiven Kundin eine genauso positive Reaktion auf das Ergebnis eines
Probeschminkens zeigen wie einer Kundin die attraktiv ist, da ansonsten der Verkauf des jeweiligen Produkts und somit der Erfolg des Betriebs gefährdet ist.
2.3.b) Gefühlsarbeit
Unter der Nutzung der Definitionen von Strauss erklären die Autoren darauffolgend
die Bedeutung der Gefühlsarbeit oder des „sentimental work“. Im Gegensatz zur
Emotionsarbeit beeinflusst der Dienstleister hier nicht seine eigenen, sondern die
Gefühle des Klienten, um so die Durchführung des Arbeitsauftrages zu ermöglichen.
Die Autoren beschreiben einzelne Beispiele wie die Vertrauensarbeit, bei der seitens des Klienten Vertrauen in einerseits den Dienstleister als Person und andererseits in seine Kompetenzen erzeugt werden soll (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 32).
Beispielsweise erläutern viele Psychotherapeuten, wenn sie das erste Gespräch mit
einem Patienten haben ihren beruflichen Werdegang, um den Patienten über die
eigenen Qualifikationen und Kompetenzen aufzuklären und so ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen. Als weiteres Beispiel nennen sie die biografische Arbeit (vgl.
Böhle/Glaser 2006, S. 32). Durch Befragungen zum persönlichen Leben eines Patienten kann sich, um wieder das Beispiels des Psychotherapeuten heranzuziehen,
der Therapeut einen Eindruck über den Patienten verschaffen und somit eine Diagnose über die psychische Verfassung des Patienten fällen.
2.3.c) Subjektivierendes Arbeitshandeln
Als dritte und letzte Kernkomponente der Interaktionsarbeit nennen die Autoren das
„subjektivierende Arbeitshandeln“ einen Ansatz der von Böhle und einigen Mitarbeitern selbst entwickelt wurde. Bei einer personenbezogenen Dienstleistung, also einer Arbeit mit und am Menschen, ist aufgrund der Unbestimmbarkeit der Arbeitssi-
10
2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
tuation, die eine Interaktion zwischen Dienstleister und Klient darstellt und von beiden wechselseitig bei jeder Interaktion neu geschaffen wird, eine genaue Planung
von Arbeitsabläufen und deren Standardisierung nur begrenzt möglich. Das Leitbild
des zweckrationalen Arbeitshandelns, welches ebenfalls für die personenbezogene
Dienstleistung angewendet wird, muss demnach um eine Leitbild ergänzt werden,
welches sich auf subjektivierendes, erfahrungsgeleitetes Arbeitshandeln bezieht
(vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 33). Im Gegensatz zum objektivierenden Arbeitshandeln, bei dem ein Beschäftigter planmäßig und rational vorgeht und beim Arbeitsablauf „allgemeingültige Kriterien für Wissen und Verfahren zur Anwendung kommen“ (Böhle/Glaser 2006, S. 33) nennen die Autoren beim subjektivierenden Arbeitshandeln das „Gespür“ also subjektives Erleben und Empfinden als Werkzeug
des Wahrnehmens und Verstehens von Informationen, die sich nicht objektivieren
lassen, die die Durchführung einer personenbezogenen Dienstleistung ermöglichen, bei dem der Beschäftige dialogisch/interaktiv vorgeht und ein eigenständig
handelndes Subjekt den Arbeitsgegenstand darstellt (vgl. Böhle/Glaser 2206, S.
33).
Das „Erfahren“ sowie das subjektive Nachvollziehen, also die Empathie stellen innerhalb dieses Arbeitshandelns die Grundlage des praktischen und kognitiven Umgangs mit äußeren Umständen dar (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 33).
2.3.d) Gefühls- und Emotionsarbeit als professionelle Tätigkeiten
Die Autoren beschreiben sowohl die Emotionsarbeit als auch die Gefühlsarbeit und
das subjektivierende Arbeitshandeln als Perspektiven als komplementär und notwendig, um eine Interaktion zwischen Klient und Dienstleister zu ermöglichen. Die
Definition der Gefühlsarbeit und des subjektivierenden Arbeitshandeln sei von großer Bedeutung, da sie die Beeinflussung der Gefühle von Klienten, als wichtigen
Bestandteil der Arbeitsaufgaben von Dienstleistern, betone. Weiterhin formulieren
sie jedoch, dass die Konzepte der Gefühlsarbeit und des subjektivierenden Arbeitshandeln in der Forschung bisher nur wenig Beachtung gefunden haben (vgl.
Böhle/Glaser 2006, S. 34). Dies lässt die Überlegung aufkommen, ob auch dies zur
Problematik der Etablierung der Gefühls- und Emotionsarbeit als eine professionelle
Arbeitsaufgabe innerhalb der Pflege beiträgt, da durch wenig Forschung in diesem
11
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
Bereich deren Anerkennung und Honorierung und eine bessere Arbeitsgestaltung
in diesem Bereich erschwert werden (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 34).
Nach dieser allgemeinen Beschreibung des Konzepts der Interaktionsarbeit soll dieses nun auf die Tätigkeiten von Pflegekräften angewendet werden.
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
3.1
Warum ist Interaktionsarbeit gerade innerhalb der Pflege ansässig?
Die Autoren nennen besonders Pflege als ein Beispiel für eine Arbeit mit „komplexen
Interaktionsepisoden“
die
einer
besonderen
Qualifizierung
bedürfen.
(Böhle/Glaser 2006, S. 38). Wiederum wiederholen sie die Eigenschaften von personenbezogener Dienstleistungen in denen Interaktionsarbeit stattfindet, als eine
Dienstleistung in der standardisierte Vorgehensweisen von individuellen, situativen
Vorgehen verdrängt werden und sie prangern an, dass die Notwendigkeit bestehe
für die interaktionsintensiven Berufe eine bessere Qualifizierung für diese Interaktionsarbeit, sowie unterstützende organisationale Rahmenbedingungen und mehr
gesellschaftliche Wertschätzung zu erreichen (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 38).
Durch die Beschreibung einer fiktiven Szene in einem Altenpflegeheim versuchen
die Autoren die Rolle von Gefühlen in der pflegerischen Interaktion deutlich zu machen (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 60).
3.2
Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und subjektivierendes Arbeitshandeln innerhalb der Pflegetätigkeiten am Beispiel einer Altenpflegerin
Dem Konzept des subjektivierenden Arbeitshandelns zufolge wird der Umgang mit
Gefühlen innerhalb des Pflegetätigkeit unter dem Aspekt erfasst, dass Gefühle für
das Pflegepersonal als eine Art Werkzeug zu verstehen sind mit dem sie die Situation, in der sie sich gerade befinden (wie die beschriebene morgendliche Routine in
dem Altenpflegeheim) wahrnehmen, Problemlagen erfassen (wie z.B. die fehlende
Kooperation seitens der Patientin Frau Meier oder die Erkenntnis, dass die Patientin
12
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
Durchfall hatte, worauf sie anhand ihrer Sinneseindrücke und Rückgriff auf ihre pflegerische Erfahrung schließen kann) und die verschiedenen Pflegesituationen zu
verstehen (beispielsweise indem sie nachdem Patientin Frau Schmidt äußert, dass
sie sterben möchte, begreift, dass die Patientin jetzt Zuwendung braucht, durch beispielsweise körperlichen Kontakt und tröstende Worte) (vgl. Böhle/Glaser 2006, S.
59 ff.).
Das Konzept der Gefühlsarbeit, also das Einwirken auf die fremden Gefühle des
Patienten durch das Pflegepersonal, wird von der beschriebenen Krankenpflegerin
beispielsweise hinsichtlich ihrer Versuche Frau Meier durch mahnende Sätze zum
Trinken zu bringen oder durch tröstende Worte die sie gegenüber Frau Schmidt
äußert, angewendet (Böhle/Glaser, S. 59 ff.).
Auch die Emotionsarbeit wird von der Krankenpflegerin durchgeführt. Durch die Tatsache, dass sie sich selbst vorstellt die betreute Patientin könnte auch ihre Mutter
sein, gelingt es ihr, die eigene Verärgerung über die fehlende Kooperation seitens
der Patientin oder Ekelgefühle durch den Anblick von Exkrementen zu unterdrücken
(vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 59 ff.)
3.3
Emotionsarbeit in der Pflege
Laut den Autoren ist solche Arbeit die sich darauf konzentriert einen Widerspruch
zwischen dem was man als Pflegekraft fühlt und dem was man fühlen soll zu überwinden nach der Autorin Hochschild als emotional labor also Emotionsarbeit zu bezeichnen (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 61).
Die Beeinflussung der eigenen Gefühle beinhaltet dabei sowohl das Zeigen bestimmter Gefühle als auch das Unterdrücken von Gefühlen. Dadurch wird von der
Pflegekraft eine bestimmte Haltung aufrechterhalten die die Pflegesituation für den
Patienten, nach den Forderungen der Einrichtungen, weiterhin als sicher und angenehm darstellt. Demnach beschreiben die Autoren in Anlehnung an Hochschild die
Emotionsnormen „display rules“ welche sich auf den Ausdruck von bestimmten erforderlichen Gefühlen bezieht und die „feeling rules“ sogenannte Empfindungsregeln nach diesen man seine Gefühle zu kontrollieren und in eine bestimmte Richtung zu lenken hat (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 62). Ist wie in dem von den Autoren
angeführten Beispiel, in dem das Pflegepersonal gerade Arbeiten an einer Patientin
verrichtet und daraufhin von ihr ins Gesicht geschlagen wird, ein Konflikt zwischen
13
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
dem Soll- und dem Ist-Zustand der Gefühle des Pflegepersonals vorhanden, ist die
Pflegekraft dazu aufgefordert die emotionale Dissonanz wieder in eine Harmonie
umzuwandeln, indem sie bestimmte Techniken der Gefühlsregulierung anwendet
(vgl. Böhle/Glaser 2006, S 63 f.) Indem die in der beschrieben Arbeit zitierte Autorin
Hochschild zwischen Oberflächenhandeln und Tiefenhandeln zur Beeinflussung der
Gefühle des Pflegepersonals unterscheidet, zeigt sie, dass die Pflegekraft einerseits eine Maske aufsetzt und der Patientin statt Empören oder Wut Ausgeglichenheit und Freundlichkeit als Reaktion auf körperliche Gewalt zeigt und anderseits
eine aktive Beeinflussung der eigenen Gefühle leistet, beispielsweise indem sie die
Wut gegenüber einer Patientin reduziert, indem sie sich vorstellt wie die eigene Mutter oder der Vater vor ihnen säße oder indem sie sich immer wieder verdeutlichen,
dass es sich um eine Person mit körperlichen und psychischen Beschwerden also
in erster Linie um einen Patienten handelt (vgl. Böhle/Glaser 2007, S.64f.)
Ähnlich wie zu Beginn des Textes durch die Zitierung der Autorin Kumbruck beschrieben, wird auch bei der zitierten Autorin James genannt, dass emotionale Arbeit als geleistete Arbeit bislang nur spärlich wahrgenommen wurde. Hochschild soll
diese Geringschätzung dadurch erklären, dass diese Tätigkeiten traditionell gesehen von Frauen erledigt wurden und deswegen im Vergleich zur Produktionsarbeit
von Männer nicht als Arbeit anerkannt wurde. Sie sieht es weiterhin als Herausforderung ein Bewusstsein für die Bedeutung von Emotionsarbeit in der Pflege zu
schaffen.
3.4
Gefühlsarbeit in der Pflege
Um weiterhin die Gefühlsarbeit „sentimental work“ im Bereich der Pflegearbeit zu
erklären ziehen die Autoren das Beispiel einer Untersuchung heran in der die Situation einer Kathetereinführung in das Herz eines Patienten beobachtet wurde. Die
Arbeit die die Krankenschwester hierbei neben technischen Aufgaben erledigt besteht beispielsweise aus der Zuwendung zum Patienten. Sie ist während des Eingriffs neben ihm und überwacht seine Vitalzeichen, außerdem spricht sie mit ihm
und versucht den Patienten, durch leichtes Streicheln und Fragen nachdem Gemütszustand, zu beruhigen. Bei dieser Art der Arbeit ist das zu bearbeitende Objekt
lebend und empfindungsfähig sowie reagierend und die Gefühlsarbeit an sich soll
die Reaktion auf diese Arbeit bereits beinhalten. Grundlegend ist, dass die Arbeit
14
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
mit den Gefühlen des Patienten die eigentliche medizinische Behandlung ermöglicht und somit unerlässlich ist (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 69).
Der von den Autoren zitierte Autor Strauss unterscheidet sieben Typen von Gefühlsarbeit. Unter Interaktionsarbeit und moralischen Regeln versteht dieser zum einen
das allgemeinen Eingehen auf den Patienten und das Erklären von Arbeitshandlungen beispielsweise indem bestimmte Schritte der Pflegetätigkeit angekündigt werden oder nach dem Einverständnis der Patienten mit diesen gefragt wird, sowie
bestimmte Umgangsformen die im betrieblichen Kontext angebracht sind, wie z.B.
Freundlichkeit gegenüber allen Patienten. Als zweiten Bestandteil nennt er die
Vetrauensarbeit oder trust work. Gemäß dem Titel geht es darum Vertrauen zu erzeugen indem man den Patienten vermittelt, dass man kompetent genug ist, um ihn
zu pflegen und sich um ihn „kümmert“. Die Autoren zitieren in ihrer Arbeit einer Pflegekraft deren Aussage deutlich macht was Vertrauensarbeit bedeuten kann: „Ich
halte Sie fest, es kann nichts
passieren und zusammen schaffen wir es“. Die Pflegerin erreicht somit nicht nur
dass der Patient ihr vertraut sondern versucht auch durch den Anhang, dass beide
es zusammen schaffen, dem Patienten dazu zu verhelfen Vertrauen in sich selbst
zu gewinnen ihn somit zu motivieren.
Weiterhin beschreiben die Autoren Fassungsarbeit „composure work“ die besonders bei schmerzhaften medizinischen Eingriffen Anwendung findet in denen es notwendig ist, dass der Patient sich selbst kontrolliert und die Fassung behält auch,
wenn der natürliche Instinkt des Patienten ihn dahin lenkt die schmerzvolle Behandlung abzubrechen. So beschreiben die Autoren beispielsweise eine Szene in der es
die Mutter eines Kindes schafft, durch gutes Zureden und dem Versprechen während der Behandlung bei dem Kind zu bleiben, dass dieses trotz starker Schmerzen
einer Weiterbehandlung durch den Arzt zustimmt (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 70 ff.).
Die Biographische Arbeit „biographical work“ beinhaltet das gegenseitige Kennenlernen zwischen Patient und Pflegekraft, sowie Erzählungen der Patienten über ihr
Leben. Sie kann maßgeblich dazu beitragen die Arbeit am Krankheitsverlauf zu vereinfachen und so aus dem Lebenslauf Rückschlüsse zu ziehen welche Maßnahmen
in der Therapie noch ergriffen werden können. Außerdem ist es für viele alte und
sehr schwache Patienten ein Trost, da sie laut dem Text „
15
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
verbleibende Lebenskraft aus der Vergangenheit“ ziehen (vgl. Böhle/Glaser 2006,
S.71).
Mit der Identitätsarbeit, dem „identity work“ beschreiben die Autoren eine Art der
Gefühlsarbeit bei der eine Pflegekraft sich mit den konkreten psychischen Problemen der Patienten befassen. So kann beispielsweise ein Gespräch über die Todesfälle anderer Familienmitglieder und die Konsequenzen des eigenen Todes für die
Hinterbliebenen für einen Patienten, der dem Tod nahesteht, helfend sein.
Kontextbezogene Gefühlsarbeit zum Schutz des Patienten, awareness of context
work bedeutet die Zurückhaltung von bestimmten Informationen, da diese nach Einschätzung von Ärzten oder Pflegepersonal für den Patienten nicht zumutbar sind.
Beispielsweise eine besonders schlimme Diagnose oder der unausweichliche Tod.
Zu guter Letzt beschreibt Strauss die Berichtigungsarbeit, rectification work als eine
Arbeit die versucht bestimmte Fehler, die Ärzten oder anderem Pflegepersonal im
Umgang mit den Patienten unterlaufen waren, auszubügeln. Eine Pflegekraft kann
beispielsweise versuchen, unfreundliches oder gefühlloses Verhalten eines Arztes
während einer für den Patienten unangenehmen Untersuchung, wieder gut zu machen, indem diese den Patienten danach tröstet (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 72).
Man sieht also, dass das Spektrum an Arbeiten die seitens des Pflegepersonals bei
Gefühls und Emotionsarbeit geleistet wird beachtlich ist und die Tatsache, dass
diese nur wenig beachtet bzw. nicht honoriert wird verständlicherweise als unfair
und problematisch angesehen wird. Die Autoren beschreiben ihrerseits die Hoffnung, dass das Konzept der Gefühlsarbeit, trotz ihrer zur Zeit der Entstehung der
Arbeit geringen Beachtung in der Pflegewissenschaft, dabei helfen kann ein realistisches Bild des Pflegeberufs zu erstellen und die Komplexität der Pflege zu untermauern was wiederum zu ihrer Aufwertung beitragen könnte (vgl. Böhle/Glaser
2006, S. 73)
Laut den Autoren ist Gefühlsarbeit von funktionaler Bedeutung, um erforderliche
Pflegetätigkeiten auszuüben, dabei gelten die Bestandteile Fassungs-,Vertrauens-,
Identitäts- und biographische Arbeit als besonders wichtig (vgl. Böhle/Glaser 2006,
S. 77).
Aufgrund der durch ein gelungenes emotionales Zusammenspiel in der Interaktion
zwischen Pflegekraft und Patient resultierenden Erleichterung von Pflegearbeit und
16
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
anderen positiven Auswirkungen wie eine erhöhte Selbstsicherheit seitens der Pfleger betonen die Autoren die Notwendigkeit Maßnahmen zur Verbesserung der Qualifizierungen für diese Art der Arbeit für die Pflegekräfte zu schaffen sowie eine ganzheitliche Pflege als Rahmenbedingungen für Emotions- und Gefühlsarbeit zu erreichen (vgl. Böhle/Glaser, S. 79 f.) In einem späteren Abschnitt soll hierzu die ganzheitliche Pflege näher betrachtet werden.
3.5
Subjektivierendes Arbeitshandeln in der Pflege
Nun soll der dritte Bestandteil der Interaktionsarbeit nämlich das subjektivierende
Arbeitshandeln auf das Beispiel der Pflege und nachdem Werk der Autoren
Böhle/Glaser auf das der Altenpflege angewandt werden: hierbei soll erklärt werden,
dass Pflegekräfte über ein besonderes Erfahrungs-Wissen verfügen, auf welches
sie in ihrer Tätigkeit zurückgreifen, und die Kommunikation und Interaktion mit den
Patienten vor allem durch Mitfühlen und Empathie ermöglicht wird. Wie schon beschrieben richtet sich diese Art des Arbeitshandelns auf Arbeitsanforderungen die
nicht planbar oder standardisierbar sind. Dies sind grundlegende Merkmale der Arbeitsanforderungen in der Pflege und ergeben sich aus dem Subjektcharakter des
Arbeitsgegenstandes, dem Patienten. Gefühle, Empfinden und Erleben bilden
Grundlagen dieses Arbeitshandelns. Arbeitsvollzüge werden hierbei schrittweise
unter Berücksichtigung des Arbeitsgegenstandes entwickelt. Zu diesem Arbeitshandeln gehört eine Wahrnehmung diffuser Informationsquellen unter Nutzung alle
Sinne zusammen mit subjektivem Empfinden, sowie die Steuerung mentaler Prozesse über assoziativem Denken und einer Beziehung zum Arbeitsgegenstand die
sich durch persönliche Nähe auszeichnet (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 85 f.).
Tagesablaufpläne die in allen untersuchten Altenpflegeheimen benutzt werden erwecken den Anschein einer hohen Standardisierung, jedoch erfordert die konkrete
Durchführung der einzelnen Tätigkeiten eine ständige Ausrichtung an verschiedenen Bedingungen je nach Patient und Situation. Die Durchführung der diversen Tätigkeiten wird dabei dialogisch-interaktiv in Absprache mit dem Patienten durchgeführt und aufgrund der Situation des Patienten verlegt oder planmäßig durchgeführt.
Die jeweilige Situation oder das Befinden des Patienten muss hierbei von der Pfle-
17
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
gekraft durch Erfahrung und Gespür erkannt werden, um danach die weiterführenden Tätigkeiten auszurichten. Die Arbeit der Pflegekräfte ist hierbei eine Tätigkeit
an einem Körper und mit dem eigenen Körper, bei der eine Art Kommunikation über
diese Körperarbeit entsteht, die es ermöglicht den Patienten aktiv zu beteiligen und
so die notwendige Zusammenarbeit der beides innerhalb der Pflegetätigkeit zu erreichen (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 88 ff.). Notwendig für diese Art von Arbeit ist die
sinnliche Wahrnehmung von wie gesagt diffusen Informationen, die also nicht eindeutig messbar und definierbar sind. Diese Wahrnehmung findet häufig über nonverbale Kommunikation durch das Deuten von Mimik, Gestik, Berührungen und Augenkontakt ab. Die verbale Kommunikation währenddessen erfordert häufig ein Lesen zwischen den Zeilen. Weiterhin beinhalten die Pflegehandlungen komplexe
sinnliche Wahrnehmungen, also die Beanspruchung aller fünf Sinne. Beispielsweise soll eine Pflegekraft die bevorstehende Ohnmacht eines Patienten an den
Geräuschen bzw. der Vibration seiner Schritte erkennen und so gleich zu ihm kommen oder über den Tastsinn schneller als durch ein Fieberthermometer auf eine
erhöhte Temperatur und über den Geruchssinn auf bestimmte Krankheiten schließen. Die sinnliche Wahrnehmung ist dabei immer mit einem subjektiven Empfinden
also Gefühlen verbunden. So beschreibt eine Pflegekraft: „Ich sehe und fühle
eben gleichzeitig, ob ihm das angenehm oder unangenehm ist, wie ich beim
Eincremen aufdrücke, ob er z.B. ruhiger wird oder unruhiger, entspannter oder
verkrampfter"(Böhle/Glaser 2006, S. 93 und vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 91 ff.).
Das auf die Wahrnehmung der Eindrücke folgende interpretative Denken, um Entscheidungen für eine Pflegetätigkeit zu treffen, erfolgt in Form von assoziatives Ketten. Der Rückgriff auf ein bestimmtes Wissen ist hierbei erlebnisbezogen. Beispielsweise erinnert sich eine Pflegekraft bei der Betrachtung einer Wunde an die Verletzung eines anderen Patienten, vergleicht beide und kann somit eine Wahl über die
passende Salbe für die aktuelle Wunde fällen. Neben einem fachlichen Wissen,
welches die Pflegekräfte innerhalb ihrer Ausbildung erwerben, gilt für diese ein bestimmtes Erfahrungswissen, welches sie erst in der Arbeit als Pflegekraft und im
Umgang mit den Patienten erwerben, als besonders wichtig für gute Pflege. Besonders im Kontext der gering planbaren und standardisierbaren Pflegetätigkeiten die
ereignis- und situationsabhängig sind zeigt sich die Berechtigung dieses Anspruchs
auf Erfahrungswissen, denn in keinem Pflegelehrbuch finden sich die spezifischen
18
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
Kenntnisse über die zu pflegenden Personen mit denen die Pflegekräfte arbeiten.
Diese Kenntnisse umfassen bestimmte körperliche Fähigkeiten, Bedürfnisse und
Stimmungen. Hierbei eröffnet sich wieder die Frage inwieweit ein solch unverzichtbares Erfahrungswissen innerhalb von ausschließlich funktionaler Pflege (diese
Form der Arbeitsorganisation wird später erläutert) möglich ist, welche die Wichtigkeit von Emotion-, Gefühlsarbeit und subjektivierendem Arbeitshandeln nicht berücksichtigt (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 93 ff.).
Außerdem beruht dieses Arbeitshandeln auf einer persönlichen und emotionalen
Beziehung zu den Bewohnern, also eine bestimmte Nähe und Vertrautheit zu diesen. Diese Vertrautheit, die wiederum Vertrauen der Pflegebedürftigen zu den Pflegekräften erzeugt, ermöglicht es, dass diese gewisse Pflegetätigkeiten überhaupt
zulassen, dass Pflegekräfte die besonderen Kenntnisse über die zu pflegenden Personen gewinnen können und bestimmte variierende Körpersignale richtig gedeutet
werden können. Charakteristisch für diese Beziehung ist Empathie: Pflegekräfte
versuchen beispielsweise die Situation von Pflegebedürftigen nachzuempfinden,
umso besser auf sie eingehen zu können. Dabei ist auch die Anerkennung des Pflegebedürftigen als Subjekt und die Akzeptanz seiner Persönlichkeit entscheidend.
Besonders bei sehr stark eingeschränkten Personen gilt die Norm diesen auf keinen
Fall als Objekt, sondern als Partner zu sehen mit dem gemeinsam eine Pflegeleistung durchgeführt wird und der einbezogen werden muss. Der Aufbau einer Beziehung zwischen Pflegekraft und Pflegebedürftigen kann außerdem dazu beitragen
unangenehme Gefühle der Pflegekräfte bei gewissen Pflegetätigkeiten langsam abzubauen. Zu guter Letzt sehen es die Pflegekräfte als besonders wichtig an das
richtige Maß an Nähe und Distanz innerhalb der Beziehung zu halten. Diese sollte
nicht zu distanziert sein, da Nähe und Vertrautheit entscheidend sind für einerseits
qualitäts- und effizienzorientierte Pflege und andererseits eine emotionale Stabilität
der Pflegekräfte unterstützt und anderseits nicht zu nah sein, da sonst die Gefahr
einer emotionalen Ausnutzung seitens der Pflegebedürftigen besteht (vgl.
Böhle/Glaser 2006, S. 95 ff.).
3.6
Die positiven Auswirkungen des subjektivierenden Arbeitshandeln auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege
19
3. Interaktionsarbeit in der Pflege
Weiterhin soll es um die positiven Auswirkungen des subjektivierenden Arbeitshandelns gehen: dieses führe dem Text zu Folge nicht zu einem „Zusatzaufwand“, sondern erhöhe die Effizienz der Pflegetätigkeit: durch eine Arbeit mit und nicht gegen
den Patienten, werden seinerseits Widerstände reduziert, da Bedürfnisse schneller
erkannt und sofort bearbeitet werden können und außerdem kann durch sensible
Motivation ein Mitwirken des Patienten erreicht werden. Dies führt zu einer Ersparnis an Zeit, Kosten und Aufwand. Es kommt zu einer Steigerung der Prozess- und
Ergebnisqualität: Die Qualität des Arbeitslebens verbessert in sich in der Hinsicht,
dass Unsicherheiten durch beispielsweise den Aufbau von Erfahrungswissen reduziert werden, die Durchführung der Tätigkeiten durch aktive Beteiligung der zu Pflegenden erleichtert werden und eine selbstorganisierte Arbeit aufgrund der Möglichkeit einer offenen Planung (durch unmögliche Vorhersehbarkeit der täglichen Zustände der Pflegebedürftigen) und positive Rückmeldungen durch patientenorientierte Pflegetätigkeiten erzielt werden können (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 98 f.).
Durch die Befunde der Untersuchungen innerhalb eines Altenpflegeheims können
die Autoren die Hypothese bestätigen das subjektivierendes Arbeitshandeln ein
grundlegendes Element von Pflegearbeit ist (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 88 ff.).
Trotzdem stehen für die Qualitätssicherung zu Zeiten der Entstehung der beschriebenen Arbeit ausschließlich „Konzepte, Methoden und Instrumente zur Verfügung,
die dem Modell des zweckrationalen Handelns folgen und daraufhin zum Beispiel
Standards festlegen oder Qualitat durch das Erfassen von quantitativen Parametem zu messen versuchen“ (Böhle/Glaser 2006, S. 99).
Im Gegensatz dazu vermag das Konzept des subjektivierenden Arbeitshandeln einen Ansatz zur Entwicklung einer handlungs- und prozessorientierten Qualitätssicherung zu liefern. Betont wird hierbei die Tatsache, dass das Konzept die Chance
beinhaltet die Art und Weise wie eine Pflegetätigkeit qualitativ besser durchgeführt
werden kann aufzuzeigen anstatt diese Verbesserung nur theoretisch zu beschreiben (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 100).
20
4. Arbeitsorganisationsformen zur Etablierung von Gefühlsarbeit, Emotionsarbeit
und subjektivierenden Arbeitshandeln
4. Arbeitsorganisationsformen zur Etablierung von Gefühlsarbeit, Emotionsarbeit und subjektivierenden Arbeitshandeln
4.1
Funktionspflege
Laut den Autoren soll das Konzept des subjektivierenden Arbeitshandeln besonders
in der Arbeitsorganisationsform der Funktionspflege erschwert oder sogar unmöglich sein (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 100). Diese Art der Pflege zeichnet sich durch
eine stark ausgeprägte Arbeitsteilung und eine hohe Standardisierung der Arbeitsabläufe aus (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 100). Weiterhin ist das Profil an Tätigkeiten
statusabhängig genau wie der Zugang zu Informationen wie z.B. Patientenunterlagen und zu ranghöheren Tätigkeiten wie die Teilnahme an der Visite und der
Dienstübergabe. Eine Kommunikation mit Ärzten ist nur indirekt über die Stationsleistung möglich. Die ausgeprägte Arbeitsteilung beinhaltet eine Zerlegung der einzelnen Arbeitsschritte, die von dem Autoren Thomas Elkeles in seinem Werk „Arbeitsorganisation in der Krankenpflege. Zur Kritik der Funktionspflege“ als „Runden“ beschrieben werden, in denen beispielsweise hintereinander bei jedem Pflegebedürftigen Blutdruck gemessen, Spritzen und dann Getränke gegeben werden.
Bei Durchführung von Einzelaufträgen verlangt diese Art der Arbeitsorganisation
außerdem eine sofortig Rückmeldung, um den Ablauf der „Runden“ nicht unterbrechen oder zu stören. Dieses Element impliziert auch eine starke Kontrollunterwerfung für die beschäftigten Pflegekräfte. Der Autor unterstützt mit seiner Aussage die
Annahme der Autoren Böhle/Glaser, dass subjektivierendes Arbeitshandeln innerhalb dieser Arbeitsorganisationsform besonders erschwerten Bedingungen unterliegt: „Kommunikation mit den Patienten wird als
Einzel-Arbeitselement betrachtet und hat tendenziell wenig Chancen, in
die auf schnelle Hintereinander-Erledigung gerichteten Runden eingeflochten zu
werden“ (Elkeles 1994, S. 8 und vgl. Elkeles 1994, S. 8)
21
4. Arbeitsorganisationsformen zur Etablierung von Gefühlsarbeit, Emotionsarbeit
und subjektivierenden Arbeitshandeln
4.2
Ganzheitliche Pflege
Im Gegensatz dazu beschreiben die Autoren Böhle/Glaser das Arbeitsorganisationskonzept der „Ganheitlichen Pflege“ als förderlich, um ein subjektivierendes Arbeitshandeln für Pflegekräfte innerhalb ihrer Arbeit umzusetzen. Hierbei betonen die
Autoren die Notwendigkeit der praktischen „gelebten“ Anwendung des Konzepts innerhalb des Pflegealltags statt einer bloßen Aufnahme in die Rahmenbedingungen
des Unternehmensleitbildes (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 100). Charakteristisch für
eine ganzheitliche Pflege ist die Einheit von planenden und ausführenden Tätigkeiten. Kompetenzen und Informationen werden gleichmäßig auf die Pflegekräfte verteilt. Die Arbeitsaufteilung erfolgt patientenorientiert, beispielsweise nach Anzahl
der zu betreuenden Personen und die ganzheitlich belassenen Tätigkeiten werden
dezentral koordiniert (vgl. Elkeles 1994, S. 9). Eine Durchführung von einzelnen
„Runden“ des Blutdruck-Messens beispielsweise ist somit nicht mehr vorgesehen.
Wenn Pflegekräfte die Möglichkeit bekommen in Kontrast zum traditionellen „Runden abarbeiten“ Blutdruck und Temperatur messen sowie die Gabe von Medikamenten und Getränken an einem Patienten gleichzeitig bzw. aufeinanderfolgend zu
verrichten, eröffnet der automatisch verlängerte Kontakt zwischen Pflegebedürftigen und Pflegekraft die Möglichkeit die verschiedenen Bestandteile des subjektivierenden Arbeitshandeln in die Pflegetätigkeit zu integrieren.
Elkeles beschreibt den ganzheitlichen Charakter von Pflegearbeit, welche multifunktionale Arbeitsinhalte beinhalte sowohl klassisch physischer, intellektuell-kognitiver sowie psychisch-affektiver Art, da zur Befriedigung von Patientenbedürfnissen
eben verschiedene Handlungsarten erforderlich sind und sich die Erfahrung dieser
als auch die Befriedigung der Bedürfnisse in einem Prozess ergeben. Durch die
Regelungen der Funktionspflege würde der ganzheitliche Charakter der der Pflege
normalerweise innewohnt zerstört. Isolierte Durchführung einer einzigen Pflegetätigkeit in einer „Runde“ führe beispielsweise physisch zu einseitiger Beanspruchung
gewisser Körperregionen der Pflegekräfte, welche negative gesundheitliche Folgen
haben kann und außerdem zu einer negativen psychischen Beeinträchtigung, sowie
Demotivation innerhalb der Arbeit, durch die andauernde Wiederholung der inhaltlich selben Tätigkeit (vgl. Elkeles 1994, S. 9). Weiterhin entstehen durch diese Form
22
4. Arbeitsorganisationsformen zur Etablierung von Gefühlsarbeit, Emotionsarbeit
und subjektivierenden Arbeitshandeln
der Arbeitsorganisation auch Effektivitätseinbußen in Form einer Beeinträchtigung
des Genesungsprozesses der Patienten, da in der arbeitsteiligen Organisation der
Funktionspflege eine wie oben beschrieben Beziehung oder Partnerschaft zwischen
Patient und Pflegekraft nicht entstehen kann und somit dessen positive Auswirkungen für die Gesundheit des Pflegebedürftigen auch entfallen. Weiterhin nennt der
Autor eine Verschlechterung des Pflegeniveaus, da durch die Nicht-Beanspruchung
bestimmter Tätigkeiten die Fähigkeiten der Pflegekräfte innerhalb dieser Disziplinen
abnehmen (vgl. Elkeles 1994, S. 11).
4.3
Wie kann es zu einer praktischen Etablierung von Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und subjektivierendem Arbeitshandeln innerhalb der Pflege kommen?
Die Umsetzung des Konzepts des subjektivierenden Arbeitshandeln kann laut den
Autoren innerhalb der Arbeitsorganisation erreicht werden durch zum Ersten die
Umsetzung des Rahmenkonzepts der ganzheitlichen Pflege: dieses kennzeichnet
sich durch eine vollständige Aufgabenstruktur, das heißt Aufgaben im Sinne einer
ganzheitlichen Pflege und kein „Runden laufen“ sowie eine hohe Bewohnerorientierung, die eine kontinuierliche Betreuung der einzelnen Pflegebedürftigen ermöglicht
und die somit den Erwerb der für das subjektivierende Arbeitshandeln notwendigen
Kenntnisse über die Fähigkeiten, Vorlieben und Gewohnheiten der zu betreuenden
Person, gewährleistet. Ein dialogisch-exploratives Vorgehen, eine detaillierte und
sinnhafte Wahrnehmung der Pflegesituation, assoziativ-bildhaftes Denken und die
Ausbildung von Erfahrungswissen sowie eine vertrauensvolle Beziehung zwischen
Pflegekraft und Pflegebedürftigen und gelungene Kommunikation am Beispiel der
Bezugspflege werden somit generiert.
Zweitens durch das Prinzip der offenen Planung und der geringen Standardisierung,
um Unwägbarkeiten innerhalb der Pflege entsprechend begegnen zu können. Drittens durch entsprechende Entscheidungsspielräume für Pflegekräfte, um ein situationsgerechtes Handeln zu ermöglichen. Viertens durch vergrößerte zeitliche Spielräume und mehr Flexibilität, um offenen Planung und situationsbezogenes Handeln
zu gewährleisten, sowie eine stärker prozessbezogene Zeitbewertung (ob eine Pflegetätigkeit zeitlich effizient durchgeführt wurde lässt sich erst durch die Betrachtung
23
5. Ökonomisierungs und Rationalisierungstendenzen der Pflege
des Ergebnisses der Tätigkeit beantworten). Fünftens durch die Ermöglichung von
Teamarbeit und einen verbesserten kommunikativen Austausch zwischen Pflegekräften, um das notwendige Erfahrungswissen zu generieren. Sechstens durch die
Verstärkung der Bewohnerorientierung die Vermehrung von Biographiearbeit miteinschließt (z.B. durch Gespräche mit Angehörigen). Diese Veränderung soll positive Auswirkungen für die Pflegekraft/Pflegebedürftigen Beziehung, das situative
Vorgehen, sowie die Generierung des Wissens über die Patienten haben (vgl.
Böhle/Glaser 2006, S. 101 f.).
Innerhalb der Personalpolitik und des Personaleinsatzes ergeben sich die Möglichkeiten der Personalauswahl nach Kriterien wie Empathie und Einfühlungsvermögen, die Erhaltung einer stabilen personellen Besetzung, um Pflegekraft/Pflegebedürftiger Beziehungen aufrecht zu erhalten, Ausbau der Qualifizierungsmöglichkeiten innerhalb der sozialen Kompetenzen (z.B. gefühlsgeleitetes Wahrnehmen), Erwerb von mehr Qualifikation durch die Partizipation am Erfahrungswissen anderer
Pflegekräfte durch beispielsweise Praxiserzählungen und spezifische Qualifizierungsmöglichkeiten im subjektivierenden Arbeitshandeln durch konkrete Fortbildungsmaßnahmen (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 103).
Innerhalb der Betriebsorganisation und Unternehmenskultur gilt es das Vertrauen
in die „unsichtbaren“ und nicht objektivierbaren Arbeitspraktiken von Pflegekräften
zu erhöhen, den Aufbau von Kontrollorganen zu begrenzen und eine positive Fehlerkultur zu entwickeln in denen es nicht gilt diese strikt zu vermeiden, sondern in
denen diese als lernfördernd und wichtig für die Entwicklung von Erfahrungswissen
gilt (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 104).
5. Ökonomisierungs und Rationalisierungstendenzen der
Pflege
Laut den Aussagen der Autoren Becker u.a. „wird eine traditionell ganzheitliche
Pflegearbeit tendenziell durch Verschlankung, Kommodifizierung und Externalisierung affiziert.“ (Becker u.a. 2016, S. 504) Mit den selben Charakteristika beschreiben die Autoren die Ökonomisierungstendenzen der Pflege innerhalb ihrer Arbeit:
Im weiteren Verlauf werden also die Rationalisierungs- und Ökonomisierungstendenzen innerhalb der Pflege beschrieben, da diese Entwicklungen für die Autoren
24
5. Ökonomisierungs und Rationalisierungstendenzen der Pflege
Becker u.a. Merkmale aufweisen die sich eher hemmend auf die Durchsetzung der
Arbeitsorganisationsform der „ganzheitliche Pflege“ auswirken.
Die soziologische Abhandlung der Autoren von Karina Becker, Sarah Lenz und
Marcel Thiel „Pflegearbeit zwischen Fürsorge und Ökonomie. Längsschnittanalyse
eines Klassikers der Pflegeausbildung“ beschreibt die aktuellen Rationalisierungstendenzen der Pflegearbeit. Mit der Ökonomisierung der Pflege soll eine Verschiebung hin zur einer Priorisierung von Geldanreizen sowie von der Qualität der Versorgung weg gemeint sein. Oder eine Umkehrung der Zweck-Mittel-Relation wie die
Autoren den Gesundheitsökonom Hagen Kühn zitieren (vgl. Becker u.a. 2016, S.
503). Diese Veränderungen untersuchen die Autoren mit Hilfe einer qualitativen sowie quantitativen Untersuchung des Lehrbuchklassikers für die Pflegeausbildung
„Thiemes Pflege. Das Lehrbuch für Pflegende in Ausbildung“ und dessen Veränderung durch die einzelnen Auflagen von 1973 bis 2012.
Zu Beginn der 1990er-Jahre ziehen, durch den von der Politik eingeläuteten Wechsel von bedarfsorientierter Finanzierung hin zu einer stärkeren Verwendung von
Marktlogik und Kosten-Nutzen-Kalkül in diesem Bereich, verstärkt ökonomische
Steuerungsinstrumente in das Gesundheitswesen ein. Durch den Wechsel zu einem leistungsorientierte Fallpauschalensystem der Vergütung von Krankenhausleistungen gerät die Erbringung von Pflegeleistungen unter einen erheblichen Kostendruck (vgl. Becker u.a. 2016, S. 504) Es folgen Personalabbau und eine wiederum daraus resultierende Arbeitsverdichtung für das Personal, welches vermehrt
einem Konflikt zwischen Patientenwohl und Gewinnorientierung durch die strukturellen Vorgaben ausgesetzt ist (vgl. Becker u.a. 2016, S. 504 ff.)
Wie die Zitation der Prüfungsordnung der Krankenpflege-Ausbildung von 2003
durch die Autoren beweist nehmen auch in Ausbildung und Lehrmaterial ökonomische Prinzipien ihren Platz ein. Demnach sind Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert: „Verantwortung für Entwicklungen im Gesundheitssystem im
Sinne von Effektivität und Effizienz mitzutragen und mit materiellen und personalen
Ressourcen ökonomisch [...] umzugehen“ (vgl. Becker u.a. 2016, S. 505).
25
5. Ökonomisierungs und Rationalisierungstendenzen der Pflege
Die Autorinnen beschreiben den diskursiven Wandel der Pflege weiterhin detailliert
in Anbetracht der Veränderungen für die pflegerische Praxis über drei unterschiedliche Aspekte: Den der Verschlankung, der Kommodifizierung und der Externalisierung.
5.1
Detaillierte Beschreibung der einzelnen Ökonomisierungsbewegungen
5.1.a) Verschlankung
Verschlankung bedeutet demnach „Verlagerung von Tätigkeiten und Aufgaben innerhalbdes Pflegeprozesses entlang der verschiedenen Qualifikationsstufen der im
Krankenhaus Beschäftigten (Ärzte, examinierte Pflegekräfte) sowie deren vertikale
Erweiterung (um Hilfs- und Servicekräfte)“ (Becker u.a. 2016, S. 507). Es kommt
demnach zu einer zunehmenden Delegation therapeutischer Aufgaben an Pflegekräfte, wodurch die Autoren auf eine Entwicklung hin zu einer individuellen Verantwortungsübernahme dieser schließen, die sie als Konsequenz der zunehmenden
Professionalisierung von Pflege sehen. Dadurch erweitert sich der Umfang der Pflegetätigkeiten und es kommt zu einer Arbeitsverdichtung.
Der im Text zitierten Aussage zufolge „ Wenn sich die Pflegekraft „vom Krankenbett
und den Aufgaben der Grundpflege
entfernt [und die] Grundpflege ganz den Helferinnen überläßt, verliert sie den Kontakt zum Patienten und wird eine ihrer wichtigsten Aufgaben – die Bedürfnisse des
Patienten richtig zu erkennen und seinen Gemütszustand zu beeinflussen – nur
nochschwer erfüllen können“ (Becker u.a. 2016, S. 509) erkennen die Autoren die
Gefahren einer Zunahme des Einsatzes von Hilfspersonal im Zuge der Ökonomisierung von Pflege an.
Trotz der Tatsache, dass die Autoren innerhalb der Lehrbücher schon in frühen
Ausgaben eine Kritik an der Arbeitszerlegung des Pflegeprozesses nach dem tayloristischen Vorbild wie bei der Funktionspflege erkennen können und das Zeit nehmen für den Patienten und die Rücksichtnahme auf dessen individuelle Bedürfnisse
und die Konstitution eines Vertrauensverhältnisses als wichtig erachtet und die Betrachtung der Pflegebedürftigen als Arbeitssubjekt und nicht -objekt betont wird,
26
5. Ökonomisierungs und Rationalisierungstendenzen der Pflege
lässt sich innerhalb der durch die Lehrbücher betrachteten 30 Jahre an Pflegelehrschatz eine deutlich Veränderung für diese Vorsätze erkennen. Laut den Autoren
wird der patientenorientierte Anspruch innerhalb der Pflege im Verlauf der Herausgaben der Lehrbücher immer mehr auf einen technisch-funktionalen Tätigkeitsanspruch reduziert. Die veränderte Orientierung begründen die Autoren mit den aufgeführten personellen Verschlankungsprozessen. Die zuvor ganzheitliche Arbeit
wird zum Zweck der Realisierung von Effizienz und Optimierungseffekten immer
mehr fragmentiert (vgl. Becker u.a. 2016, 509 ff.). Der Ersatz von konkreter Bezugnahme zum Patienten durch eine standardisierte Weitergabe von Information zeigt
sich auch beim Thema Patientenaufklärung und Information. Statt dem beruhigenden Gespräch soll Informationsmaterial in Form von Broschüren als inhaltliche Form
der Kommunikation herhalten (vgl. Becker u.a., S. 510).
5.1.b) Kommodifizierung
Unter dem zweiten Aspekt der Rationalisierung dem der Kommodifizierung verstehen die Autoren die zunehmende Inwertsetzung pflegerischer Tätigkeiten. Seit Einführung des DRG-Systems werden dabei Pflegekräfte dazu aufgefordert jeden „Behandlungsschritt nachvollziehbar und abrechenbar zu dokumentieren“ (Becker u.a.
2016, S. 510). Konträr dazu seien Interaktions- und Kommunikationsarbeiten nur
schwer messbar oder in ihrem Wert zu bestimmen. Diese Arbeiten stünden in einem
Spannungsverhältnis zu dem Vorhaben der Kosten-Nutzen-Optimierung und bedürften so laut den Autoren immer mehr Legitimierung, weswegen es auch zu einer
zunehmenden Auslagerung solcher Tätigkeiten an andere Dienstleister kommt (vgl.
Becker u.a. 2016, S. 510 ff.). Die Konfrontation mit dem Thema des Umgangs von
Pflegekräften mit den eigene Gefühlen verändert sich im Verlauf der Herausgaben
von kompletter Nicht-Berücksichtigung des Themas, über eine Ansicht die Gefühlsarbeit als notwendig für die persönliche Abgrenzung vom Leid der pflegebedürftigen
Menschen beschreibt (vgl. Becker u.a. 2016, S. 511) zu der Anerkennung der Gefühlsarbeit als Voraussetzung für gute Pflege und eine gute Patient-Pfleger-Beziehung, jedoch lassen sich dabei keine konkreten Hinweise finden wie eine solche
Gefühlsarbeit zu leisten ist und es wird deutlich, dass Pflegekräfte dafür in Form von
„Self-Care“ selbst verantwortlich sind (vgl. Becker u.a. 2016, S. 511 ff.). Weiterhin
27
5. Ökonomisierungs und Rationalisierungstendenzen der Pflege
wird im Verlauf der Patient immer öfter als Kunde genannt. Diesen Wandel begründen die Autoren mit Hilfe eines veränderten Verständnisses der Pflege, welches
sich aus der Umwandlung des Gesundheitssektors in eine Gesundheitswirtschaft
ergibt. Verschiedene Dienstleister die im Wettbewerb stehen konkurrieren dabei um
die Patienten als Kunden. Qualität der Pflege und Patientenzufriedenheit sind Mittel
für die Gewährleistung von Erfolg der wirtschaftlich agierenden Einrichtung, die ein
Unternehmen darstellt (vgl. Becker u.a. 2016, S. 512 ff.). Gleichzeitig wird auch das
praktische Handeln der Pflegekräfte immer mehr nach wirtschaftlichen Prinzipien
ausgerichtet so heißt es demnach in einem Zitat „Die Gesundheitsreform in
Deutschland zwingt Pflegende mehr denn je[,] ökonomische (wirtschaftliche) Aspekte in den Pflegealltag einzubeziehen und ökonomisch zu handeln“ (Becker u.a
2016, S. 515 und vgl. Becker u.a. 2016, S. 515).
5.1.c) Externalisierung
Als letzten Aspekt des Wandels innerhalb der Pflege nennen die Autoren den Prozess der Externalisierung: Gemäß des Siegeszuges ökonomischer Rationalitätskriterien innerhalb der Pflege kommt es zu einer Verschiebung des Handlungsleitfadens für Pflegende von ganzheitlicher hinzu einer Pflege in der die Ausgrenzung
der Elemente der Fürsorge forciert wird. Tätigkeiten die demnach der Logik der Fürsorge unterliegen und ökonomisch schwer einzuordnen sind werden an Externe delegiert. Dies erfolgt beispielsweise durch die Einbindung der Angehörigen von Pflegebedürftigen für bestimmte Pflegetätigkeiten, so dass für die Einrichtung Kosten
gesenkt werden können (vgl. Becker u.a. 2016, S. 518 f.) Beispielsweise werden
durch die Errichtung der Stelle eines „Case Managers“ die fürsorglichen Elemente
der Pflege innerhalb der Einrichtungen dahingehend verschoben, dass nun der
„Case Manager“ für die Vermittlung zwischen Einrichtung und Patient verantwortlich
ist. Dessen Stelle impliziert somit eine rationalisierte und reduzierte Form der normalerweise von Pflegekräften erbrachten Gefühlsarbeit. Sie umfasst beispielsweise
Information und Beratung innerhalb der Einrichtung (vgl. Becker u.a. 2016, S. 519).
28
6. Ausblick: Kann sich das Konzept der ganzheitlichen Pflege durchsetzen?
6. Ausblick: Kann sich das Konzept der ganzheitlichen
Pflege durchsetzen?
Im Schluss dieser Arbeit soll einmal die aktuelle Situation in Deutschland betrachtet
werden und anhand einiger öffentlicher Positionieren gezeigt werden inwieweit sich
eine ganzheitliche Pflege in Deutschland durchsetzen konnte.
Laut schriftlicher Positionierungen der politischen Parteien zur Gesundheitspolitik
des Jahres 2009 anlässlich der damals bevorstehenden Gesundheitsreform im Jahr
2011 formulieren die Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/ Die Grünen keine
Aussagen bezüglich der Pflegesituation in Deutschland. Ausschließlich die Linke
äußert sich zu deren Problematik und erkennt den Notstand der Pflege aufgrund
des bestehenden Fachkräftemangels. Sie fordert eine bessere Qualifizierung und
Bezahlung für die Beschäftigten in Gesundheits- und Pflegesystem, die Anpassung
der Pflegesätze an die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen und die Ermöglichung der
ganzheitlichen Pflege. Aus diesen Forderungen lässt sich schließen, dass nur eine
der größeren Parteien in Deutschland die Chancen der ganzheitlichen Pflege erkannt und deren Umsetzung fokussiert hat. Der Wortlaut „ermöglichen“ impliziert,
dass die Anwendung der ganzheitlichen Pflege bis dato in jedem Fall nicht standardmäßig in jeder pflegerischen Einrichtung zu finden ist und deswegen die Notwendigkeit besteht innerhalb der politischen Praxis für eine weitreichende Umsetzung der ganzheitlichen Pflege durch die Parteien zu sorgen (vgl. Bundeszentrale
für politische Bildung 2012, Dossier Gesundheitspolitik, Vor der Reform: Die Positionen der politischen Parteien zur Gesundheitspolitik, Die Linke, Grundsätze)
Eine genaue zahlenmäßige Einschätzung in wie vielen Pflegeeinrichtungen ganzheitliche Pflege konkret angewendet und forciert wird ist auch trotz umfangreicher
Recherche nicht auszumachen. In einigen Arbeiten der Schwesternschaft des Roten Kreuz wird jedoch deutlich, dass diese Vereinigung deutscher Pflegekräfte viele
Aspekte fordert oder die Umsetzung von vielen Aspekten lobt die denen der ganzheitlichen Pflege ähneln. So äußert sich die Vereinigung in dem Positionspapier „Individuelle Pflege gibt es nicht zum Nulltarif“ des Jahres 2013 kritisch über den seit
der Einführung der Pflegeversicherung bestehenden verrichtungsbezogenen Pflegebedürftigkeitsbegriff und begrüßen die Ausgestaltung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, welcher etwas zu der Abkehr von einer kleinteiligen Zeitmessung in
29
6. Ausblick: Kann sich das Konzept der ganzheitlichen Pflege durchsetzen?
der Pflege beitragen soll durch z.B. die Erhöhung der Anzahl der Pflegestufen und
ein neues Begutachtungsverfahren. Die Einordnung in eine der Pflegestufen soll
nun nicht mehr nach Zeitaufwand für personelle Hilfen, sondern über die Beurteilung
der Selbstständigkeit der zu pflegenden Person bei bestimmten Aktivitäten erfolgen.
Dadurch soll sich eine Verbesserung einstellen, da die individuellen Bedürfnisse der
zu pflegenden Personen miteinbezogen und eine unangemessene Pflege nach
Stoppuhr verringert werden kann (vgl. Verband der Schwesternschaften vom DRK
e.V. 2013, Pflege und Gesundheitspolitik, Positionspapiere des Vds, Individuelle
Pflege und Betreuung gibt es nicht zum Nulltarif)
In einem Artikel des Fachmagazins des Verbandes der Schwesternschaften des
Deutsches Kreuzes „Rotkreuzschwester“ mit dem Titel „Täglich 30 Minuten für eine
optimale Patientenversorgung“ loben die Autoren beispielsweise die gelungene
Kommunikation zwischen den einzelnen Berufsgruppen innerhalb des Klinikums für
Gastroenterologie, Nephrologie und Neurologie am Universitätsklinikum Essen, die
durch die Einführung einer interprofessionellen Teamvisite erreicht werden konnte.
Durch die täglichen Besprechungen der Lage jedes Patienten zwischen Ärzten und
Pflegern wird eine gute Informationsweitergabe gewährleistet die somit der pflegerischen und medizinischen Versorgung der Patienten sowie den Arbeitsbedingungen der einzelnen Berufsgruppen zu Gute kommt (vgl. Verband der Schwesternschaften vom DRK e.V. 2017, Rotkreuzschwester). In einem weiteren Positionspapier mit dem Titel „Zukunft jetzt! Das neue Bild der Pflege“ heißt es außerdem, dass
eine „qualitativ hochwertige und menschliche Pflege Zeit und Raum benötigt, um
den individuellen Bedürfnissen der pflegebedürftigen Menschen gerecht zu werden“
(Verband der Schwesternschaften vom DRK e.V. 2009, Pflege und Gesundheitspolitik, Positionspapiere des Vds, Zukunft jetzt! Das neue Bild der Pflege).
Ähnlich wie im Konzept der ganzheitlichen Pflege betont man hier also eine Orientierung an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und die ,wie von den Autoren
Böhle/Glaser als für das subjektivierende Arbeitshandeln notwendig erachtete, Flexibilisierung und Erhöhung des Zeitpensums (vgl. Verband der Schwesternschaften
vom DRK e.V. 2009, Pflege und Gesundheitspolitik, Positionspapiere des Vds, Zukunft jetzt! Das neue Bild der Pflege). Man kann also zusammenfassend festhalten,
dass Verbände von Schwesterschaften und Parteien die Notwendigkeit der Aspekte
von ganzheitlicher Pflege erkannt haben und diese innerhalb ihrer Ziele festhalten,
30
6. Ausblick: Kann sich das Konzept der ganzheitlichen Pflege durchsetzen?
so dass, man hoffentlich von einer weiteren Verbreitung der ganzheitlichen Pflege
und des subjektivierenden Arbeitshandeln innerhalb der Pflegebranche ausgehen
kann und es somit vielleicht zu einer gesellschaftlichen Aufwertung des Berufs der
Pflegefachkraft und zu einer Linderung des Fachkräftemangels kommt.
31
7. Quellenverzechnis
7. Quellenverzechnis
7.1
Internet:
Verband der Schwesternschaften vom DRK e. V. (2017), Rotkreuzschwester - Ausgabe 03/2017,
Pflegen und Betreuen: Täglich 30 Minuten für eine optimale Patientenversorgung
https://www.rotkreuzschwestern.de/content/8-publikationen/1-rotkreuzschwester/20170829-rotkreuzschwester-ausgabe-03-2017/rks0317_finale-version_web.pdf (abgerufen am 2.10.2017)
Verband der Schwesternschaften vom DRK e. V. (2009),
Positionspapier VdS, Mai 2009, Zukunft jetzt! Das neue Bild der Pflege
https://www.rotkreuzschwestern.de/politik-position/pflege-und-gesundheitspolitik
(abgerufen am 2.10.2017)
Verband der Schwesternschaften vom DRK e. V. (2013), Positionspapier des VdS,
August 2013, Individuelle Pflege und Betreuung gibt es nicht zum Nulltarif.
https://www.rotkreuzschwestern.de/politik-position/pflege-und-gesundheitspolitik
(abgerufen am 2.10.2017)
Bundeszentrale für politische Bildung (2012), Dossier Gesundheitspolitik, Vor der
Reform: Die Positionen der politischen Parteien zur Gesundheitspolitik, Die Linke,
Grundsätze) http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72044/positionen-der-politischen-parteien?p=4
(Fassung
vom
1.3.2012,
abgerufen
am
2.10.2017)
Kaufmann, Matthias (2017) Was sich Pfleger wirklich wünschen http://www.spiegel.de/karriere/pfleger-erzaehlen-von-ihrer-arbeit-und-was-sie-von-wahlversprechen-halten-a-1169139.html (Fassung vom 21.09.2017, abgerufen am 02.10.2017)
32
7. Quellenverzechnis
Diekmann, Florian (2017) „Wir laufen auf eine Katastrophe zu“ http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/altenpflege-ich-kann-den-pflegeraeten-nur-raten-organisiert-euch-a-1169165.html (Fassung vom 21.09.2017, abgerufen am 02.10.2017)
7.2
Literatur:
Becker,
K.,
Lenz,
S.
&
Thiel,
M.
Berlin
J
Soziol
(2016)
26:
501.
https://doi.org/10.1007/s11609-016-0317-z
Auth, Diana: Ökonomisierung der Pflege - Formalisierung und Prekarisierung von
Pflegearbeit. in: WSI-Mitteilungen, 66, 2013, 6, S
Elkeles, T. (1994). Arbeitsorganisation in der Krankenpflege. Zur Kritik der Funktionspflege (5. unverand. Aufl.). Frankfurt: Mabuse.
Böhle F, Glaser J (2006) Arbeit in der Interaktion – Interaktion als Arbeit: Arbeitsorganisation und Interaktionsarbeit in der Dienstleistung. VS, Wiesbaden
Kumbruck C. (2010) Menschenwürdige Gestaltung von Pflege als Interaktionsarbeit. In: Becke G., Bleses P., Ritter W., Schmidt S. (eds) ‚Decent Work‘. VS Verlag
für Sozialwissenschaften
33
8. Erklärung zur ordnungsgemäßen Abfassung der vorliegenden Arbeit
8. Erklärung zur ordnungsgemäßen Abfässung der vorliegenden
Arbeit
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne unerlaubte Hilfe verfasst habe.
Ich habe keine anderen als die angegeben Quellen und Hilfsmittel benutzt und alle
wörtlich oder dem Sinn nach aus anderen Texten entnommenen Stellen als solche
kenntlich gemacht.
Dies gilt für gedruckte Texte ebenso wie für Texte aus dem Internet.
Die Arbeit wurde in keiner anderen Lehrveranstaltung (weder an der FAU noch an
einer anderen Hochschule) in der vorliegenden oder in einer modifizierten Form vorgelegt.
Mir ist bewusst, dass jeder Verstoß gegen diese Erklärung zu einer Benotung der
Arbeit mit „nicht ausreichend“ führt.
Unterschrift: J.Ernst
Ort und Datum: Erlangen, 02.10.2017
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