Das Logische und der Raum
Das Logische und der Raum
Christian Martin
Nicht Empirie und doch Realismus in der Philosophie, das ist
das schwerste.
Wittgenstein (BGM, 325)
Die Philosophie ist ebenso sehr von einem Interesse an Gedanken als
solchen geprägt wie von einem Interesse an Begriff und Existenz dessen, was kein Gedanke ist. Beiden Interessen – dem logischen an der
Form der Gedanken und dem metaphysischen an der Verfasstheit
dessen, was kein Gedanke ist, – lässt sich nicht nur unabhängig voneinander nachgehen. Wie ich in diesem Beitrag zeigen möchte, lässt
sich das logische Interesse auch so verfolgen, dass man dadurch zugleich dem metaphysischen nachkommt – und zwar ohne dass der
Unterschied zwischen Logik und Metaphysik darum verwischt
würde.
Der metaphysischen Frage, wie der Bereich dessen, was kein Gedanke ist, – kurz, das Reale – philosophisch zu fassen sei, soll dabei
nicht allgemein nachgegangen werden, sondern darauf zugespitzt, ob
es ihm wesentlich ist, räumlich verfasst zu sein. Die folgenden Überlegungen führen somit vom Logischen zum Raum, – und zwar, indem
sie unter ständigem Rückbezug auf die logische Frage nach der Form
der Gedanken 1. den Begriff des Realen zu klären 2. seine Existenz zu
erweisen und 3. eine Begründung dafür zu entwickeln suchen, warum das Reale als solches räumlich verfasst ist 1.
Die Anregung zu diesem Beitrag verdanke ich Thomas Buchheims instruktivem
Aufsatz Die Idee des Existierenden und der Raum. Darin unternimmt Buchheim es,
im Anschluss an einschlägige Passagen aus Schellings Darstellung des Naturprozesses nachzuweisen, dass »an sich Existierendes« als wesentlich räumlich zu denken ist.
Mit seinen Überlegungen stimme ich nicht nur in diesem Ergebnis, sondern auch
darin überein, dass Schellings kritische Einschätzung, Kants Raumauffassung sei zu
subjektiv, da dieser den Raum nur als Form der Anschauung und Räumlichkeit somit
1
152
1.
Wie sich das Reale seinem Begriff nach vom Logischen
unterscheidet
Ein Gedanke ist Frege zufolge »etwas, bei dem überhaupt Wahrheit in
Frage kommen kann« (LU, 33), d. h. etwas, mit Blick worauf sich
sinnvoll fragen lässt, ob es wahr oder falsch ist. Vom Logischen als
Reich der Gedanken lässt sich das Reale als Bereich dessen unterscheiden, was an sich weder ein Gedanke noch Bestandteil eines solchen ist. Dass Reales kein Gedanke ist, schließt dabei natürlich nicht
seine Denkbarkeit aus, d. h. dass es so sein kann, wie Gedanken es
darstellen.
Die metaphysischen Fragen, ob das Reale existiert und welche
Verfasstheit ihm eignet, lassen sich nur adressieren, nachdem der Begriff des Realen erläutert wurde, da sie sonst keinen hinlänglich bestimmten Sinn haben. Der Begriff des Realen lässt sich aber nur ernicht als Verfassung des Existierenden als solchen begreift, berechtigt ist (vgl. X, 315 f.
und Buchheim [2015], 55–59).
Die Berechtigung dieser Kritik lässt sich in meinen Augen allerdings nur ausweisen,
wenn man sie mit Schellings Hinweis zusammendenkt, Kants Raumauffassung gründe unter der Hand auf Erfahrung, sei also nicht streng apriorisch entwickelt (vgl. X,
315). Dagegen erklärt Schelling programmatisch: »Unsere Erklärung des Raums muß
von der Kantischen durch den allgemeinen Charakter verschieden seyn, der die rein
apriorische Philosophie von einer solchen unterscheidet, die ihre Gegenstände zum
Theil aus der Erfahrung aufnimmt« (ebd.). Schelling lässt sich somit die Auffassung
zuschreiben, dass sich ein uneingeschränkt realistisches Raumverständnis nur gewinnen lässt, wenn es streng apriorisch entwickelt wird. Diese Auffassung könnte deshalb
zunächst überraschen, weil sich das Apriorische seinem Begriff nach, den Schelling
mit Kant teilt, nicht nur negativ durch Erfahrungsunabhängigkeit auszeichnet, sondern positiv durch seinen Bezug auf die »Form des Denkens« bzw. Anschauens – somit
aber durch einen wesentlichen Subjektbezug (vgl. KrV B75). Um Schellings Programm einzulösen, wäre also zu zeigen, dass sich der Raum genau dann uneingeschränkt (statt bloß bedingt) realistisch (und damit »zu subjektiv«) auffassen lässt,
wenn man vom Subjekt nicht einfach absieht, um sich geradewegs dem Raum zuzuwenden, sondern das Subjekt ausschließlich logisch – als Ort des Denkens – und
nicht psychologisch als etwas versteht, das in sich irgendwelche – beispielsweise räumliche – Vorstellungen vorfindet. Schelling eröffnet die Darstellung des Naturprozesses
demgemäß nicht einfach mit der Frage danach, wie an sich Existierendes verfasst sei,
sondern indem er fragt, was es heißt, das Existierende zu denken (vgl. X, 303).
Der hier entwickelte Gedankengang unterscheidet sich von dem Schellings im Ansatz
dadurch, dass er sein Thema – die Räumlichkeit dessen, was kein Gedanke ist – nicht
im Zuge einer Beantwortung der Frage gewinnt, was es heißt, das Existierende zu
denken, sondern der Frage, was Gedanken als solche, unangesehen ihrer bestimmten
Inhalte, ausmacht, – einer Frage, die scheinbar weder mit dem Raum noch überhaupt
mit einem Bereich dessen zu tun hat, was kein Gedanke ist.
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läutern, ohne ihn zugleich zu verwirren, wenn man dabei nicht
gleichsam erfahrungsmäßig vorgeht. Gleichsam erfahrungsmäßig
vorzugehen, hieße, den Begriff des Realen geradewegs positiv charakterisieren zu wollen, statt davon auszugehen, dass das Reale negativ
als Bereich dessen bestimmt ist, was kein Gedanke ist, und zu untersuchen, ob sich hieraus eine positive Charakterisierung dieses Bereichs entwickeln lässt.
Den Begriff des Realen gleichsam erfahrungsmäßig erläutern zu
wollen, würde deshalb Verwirrung stiften, weil ein solches Vorgehen
es gar nicht erlaubt, den Begriff des Realen zu fassen. Würde das
Reale nämlich direkt positiv bestimmt, wäre nicht erwiesen, dass das
Reale als solches und damit weder bloß ein Reales noch lediglich ein
Aspekt des Realen als solchen charakterisiert wurde. Es wäre so zwar
gegebenenfalls eine Bestimmung namhaft gemacht worden, von der
gilt, dass das, was sie aufweist, jedenfalls kein Gedanke ist, aber es
wäre nicht gezeigt, dass solches, was kein Gedanke ist, diese Bestimmung aufweisen muss. So gilt etwa vom Begriff des Urans zwar, dass
sein Umfang jedenfalls in den des Realen fällt (was auch dann gilt,
wenn es kein Uran und nichts Reales geben sollte), während dieser
Begriff seinem Inhalt nach offenbar kein Merkmal des Begriffs des
Realen ist. Auch wenn man eine Bestimmung anführt, von der es
darum, weil sie das Erlebte durchweg prägt, plausibel ist anzunehmen, sie komme dem Realen als solchen zu, – etwa die Räumlichkeit –, wäre man damit den philosophischen Nachweis schuldig geblieben, dass es sich mit dieser Bestimmung nicht doch so verhält
wie mit der Eigenschaft, aus Uran zu sein.
Es müsste daher erstens gezeigt werden, dass nicht nur daraus,
dass etwas beispielsweise räumlich ist, folgt, dass es kein Gedanke ist,
sondern dass daraus, dass etwas kein Gedanke ist, folgt, dass es räumlich ist, Räumlichkeit also eine notwendige Bedingung des Realen ist.
Zweitens müsste, da der Begriff des Realen bestimmt und nicht nur
ein Merkmal desselben benannt werden soll, untersucht werden, ob
mit einer solchen Bestimmung nur ein Zug des Realen als solchen
benannt oder der Begriff des Realen durch sie erschöpft ist. Da wir
den Begriff des Realen oder des Bereichs dessen, was kein Gedanke
ist, somit nicht unmittelbar erläutern können, muss unsere Klärung
dieses Begriffs damit beginnen, dass wir zunächst den Begriff des Logischen oder des Reichs der Gedanken erläutern.
Vorbereitend soll dazu zunächst folgendermaßen zwischen internen und externen Eigenschaften und Beziehungen unterschieden
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Das Logische und der Raum
werden: Bei einer Eigenschaft, die etwas aufweist, oder einer Beziehung, in der etwas zu etwas anderem steht, handelt es sich genau
dann um eine interne Eigenschaft oder Beziehung, wenn dies für seine Identität konstitutiv ist. Von einer solchen Eigenschaft oder Beziehung lässt sich somit nicht sinnvoll sagen, dass das, was sie aufweist,
sie auch nicht aufweisen könnte, weil alles, was sie nicht aufweist,
notwendig von dem verschieden ist, was sie aufweist. Eine externe
Eigenschaft oder Beziehung ist dagegen eine solche, die nicht für die
Identität dessen, dem sie zukommt, konstitutiv ist. Unter Gleichheit
wollen wir nun die Übereinstimmung in allen internen Eigenschaften
und Beziehungen verstehen.
Das Logische lässt sich nun als der Bereich fassen, in dem Gleichheit mit numerischer Identität zusammenfällt, innerhalb dessen es
also nichts geben kann, was einander zwar völlig gleicht, aber dennoch voneinander verschieden ist. Insofern etwas in den Bereich des
Logischen fällt, sind somit alle Eigenschaften, die es aufweist, und alle
Verhältnisse, in denen es steht, intern. Diese Charakterisierung des
Logischen lässt sich konkret folgendermaßen ausweisen: Variiert man
an einem Gedanken auch nur eine materiale Eigenschaft, d. h. einen
seiner Bestandteile (etwa durch Austausch des Prädikats), oder eine
formale Eigenschaft, d. h. etwas an der Weise der Einheit, die er als
Gedanke aufweist (etwa durch Umwandlung seiner z. B. disjunktiven
in eine konjunktive Form) hätte man automatisch nicht mehr mit
demselben Gedanken zu tun. Ebenso handelte es sich, wenn ein Gedanke p in einem Verhältnis zu einem Gedanken q stehen würde, das
von dem Verhältnis, in dem p zu q steht, abweicht (etwa durch Umkehr der Implikationsrichtung), automatisch nicht mehr um denselben Gedanken. Die formalen und materialen Eigenschaften eines Gedanken und die Verhältnisse, in denen er zu anderen Gedanken steht,
sind somit durchweg intern.
Wenn das Logische der Bereich ist, innerhalb dessen es keine
numerische Verschiedenheit trotz Gleichheit geben kann, ist das
Reale umgekehrt der Bereich, in dem es numerische Verschiedenheit
trotz Gleichheit geben kann. Das Reale ist seinem Begriff nach somit
(minimal) als das bestimmt, was numerische Verschiedenheit trotz
Gleichheit ermöglicht 2. Es wird genau dadurch ein möglicher Grund
Die Auffassung, dass das Reale seinem Begriff nach als das zu charakterisieren ist,
was die numerische Verschiedenheit Gleicher ermöglicht, stützt sich auf eine Überlegung Anton Kochs, der zufolge zum Realen wesentlich ein »Trennprinzip« von
2
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von Verschiedenheit trotz Übereinstimmung in allen internen Eigenschaften und Beziehungen sein, dass zu ihm solches gehört, was dafür
sorgt, dass etwas externe Eigenschaften aufweist und in externen Verhältnissen steht.
Das Reale seinem Begriff nach als das zu bestimmen, was numerische Verschiedenheit trotz Gleichheit möglich macht, ist deshalb
eine angemessene, wenn auch minimalistische Erläuterung dieses Begriffs, weil damit ausgedrückt ist, dass das Reale das ist, was für die
Möglichkeit sorgt, dass solches, was sich rein begrifflich nicht unterscheiden lässt, mehrfach vorkommen kann. Das Reale ist somit als
Prinzip außerlogischer Verschiedenheit bestimmt – nämlich von Verschiedenheit, die sich nicht rein begrifflich charakterisieren lässt 3. Insofern es ein solches Prinzip ist, ist das Reale aber als Bereich bestimmt, der sich durch keine begriffliche Charakterisierung
erschöpfen lässt, und der daher mit keinem Gedanken identisch sein
kann – sei dieser auch noch so verwickelt.
»qualitativer und numerischer Identität« gehört (vgl. Koch [2006], 116 ff.). Der Sache
nach erläutert Schelling den Begriff des Realen in der Darstellung des Naturprozesses
auf die gleiche Weise. Denn er bringt, was er »Seyn außer der Idee« (X, 306) oder
»außerbegriffliches Seyn« (X, 315) nennt, anhand der Möglichkeit, »zwei congruente
Ausdehnungen, z. B. zwei gleiche gerade Linien oder zwei gleiche Kreise vorzustellen«, als dasjenige in den Blick, was Verschiedenheit ermöglicht, die, »kenntlich zu
machen […] durchaus nicht Sache des Verstandes« ist (X, 314). Schelling charakterisiert das Reale somit nicht unmittelbar als räumlich, sondern er begründet seine Behauptung, dass Räumlichkeit Prinzip außerbegrifflichen Seins sei, damit, dass der
Raum Verschiedenheit trotz Gleichheit ermöglicht (vgl. die Folgerung »Also es ist
mit dem Raum etwas völlig Außerbegriffliches gesetzt«).
Streng genommen weist Schelling in der Darstellung des Naturprozesses aber nur
nach, dass Sein im Raum außerbegriffliches Sein ist, statt herzuleiten, dass außerbegriffliches Sein räumliches Sein ist, ihm also genau die Verfassung (wie etwa Dreidimensionalität) zukommen muss, die wir Räumlichem als solchem zuschreiben. Seine Formulierung: »Der Raum macht es allein möglich, zwei sich völlig und in jeder
Hinsicht gleiche Dinge als numerisch, d. h. wenigstens der Existenz nach, verschiedene vorzustellen« (X, 314) scheint überspitzt. Denn auch die Zeit erlaubt es, sich zwei
Dinge, die einander völlig gleichen, als numerisch verschieden vorzustellen, indem
man sich nämlich vorstellt, dass beide zwar genau gleich lange, jedoch zu verschiedenen Zeiten existierten.
3 Dass sich das, was numerisch verschiedene Gleiche unterscheidet, nicht rein begrifflich charakterisieren lässt, bedeutet nicht, dass es sich nicht beschreiben, d. h. auf
begrifflich vermittelte Weise artikulieren ließe, sondern, dass eine solche Beschreibung ein nicht rein gedankliches (›indexikalisches‹) Moment aufweisen und somit an
einen Denkakt gekoppelt sein muss, für dessen Inhalt es wesentlich ist, dass und wie
dieser Akt real situiert ist.
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Das Logische und der Raum
2.
Die Existenz des Realen
Nachdem das Reale als das bestimmt wurde, was die numerische Verschiedenheit Gleicher ermöglicht, wenden wir uns der Frage nach
seiner Existenz zu. Auch dabei gilt es, Verwirrung zu vermeiden, die
sich aus einer gleichsam erfahrungsmäßigen Herangehensweise ergibt. Eine solche Herangehensweise würde darin bestehen, die Frage
nach der Existenz des Realen so aufzufassen, als gehe es darum, die
Wahrheit eines geradehin auf die Existenz des Realen gerichteten
Gedanken zu erweisen.
Die Frage, ob es bestimmtes Reales gibt, lässt sich, wenn die
Existenz des Realen vorausgesetzt ist, untersuchen, indem man geradehin untersucht, ob es derart Bestimmtes gibt. Um etwa herauszufinden, ob es außerirdisches Leben gibt, ist das reale Universum
eben genau darauf hin abzusuchen; und es ist nicht nötig, den Gedanken, dass es außerirdisches Leben gibt, als solchen zu untersuchen.
Soll dagegen die Frage geklärt werden, ob es das Reale gibt, ist es
natürlich nicht möglich, das Reale darauf hin abzusuchen. Daher
kann die Frage nach der Existenz des Realen nicht geradehin sondern
nur durch eine logische Untersuchung der Gedanken erfolgen, die
mittelbar zur Klärung der Frage beiträgt, ob es solches gibt, was kein
Gedanke ist.
Über diese eigentlich triviale Einsicht setzt man sich hinweg,
wenn man sich die Untersuchung der Existenz des Realen doch
gleichsam erfahrungsmäßig als Fahndung nach einem Realen vorstellt, dessen Existenz unabweislich ist. Auf diese Weise nach dem
Realen zu fahnden, hieße, sich den Bereich dessen, was kein Gedanke
ist, nach Art dessen vorzustellen, was, wenn es existiert, in diesen
Bereich fällt.
Zu erweisen, dass es das Reale gibt, hieße, einen Gedanken zu
denken, der in einer nicht-zufälligen Übereinstimmung mit dem Bereich dessen steht, was kein Gedanke ist. Ein solcher Gedanke kann,
wie angedeutet, kein geradehin auf Reales gerichteter Gedanke sein.
Denn da dieses seinem Begriff nach das ist, was kein Gedanke ist, ist
es, solange nicht das Gegenteil erwiesen ist, auf eine Weise bestimmt,
der zufolge es ihm äußerlich, d. h. zufällig ist, gedacht zu werden. Ein
Gedanke, der geradehin auf etwas gerichtet ist, das auf eine Weise
bestimmt ist, der zufolge es ihm zufällig ist, gedacht zu werden, ist
damit für sich genommen auch nur ein Gedanke, der allenfalls in
einer zufälligen Übereinstimmung zu dem steht, worauf er gerichtet
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ist, damit aber ein wesentlich problematischer Gedanke, d. h. ein solcher, dessen Wahrheit oder Falschheit sich nicht erkennen lässt.
Falls sich die Existenz des Realen erweisen lässt, kann der Gedanke, der sie erweist, daher nur ein Gedanke sein, der nicht geradehin auf das Reale, sondern auf das Logische gerichtet ist. Die Existenz
des Realen lässt sich somit allenfalls erweisen, wenn sich zeigen lässt,
dass Gedanken ihrer Form nach, d. h. insofern es sich bei ihnen überhaupt um Gedanken handelt, an solches gekoppelt sind oder solches
ins Spiel bringen, was selbst kein Gedanke ist. Dass das Reale existiert, ließe sich somit nicht an Gedanken bestimmten Inhalts dartun,
die auf etwas gerichtet sein sollen, was 1. kein Gedanke ist und 2. unabweislich existiert, sondern nur anhand von Gedanken beliebigen
Inhalts durch Reflexion auf ihre Form.
Um die Existenz des Realen zu erweisen, ist es somit nötig, sich
vom Bann des Suchbilds, das das Reale wie ein Reales vorstellt, und
damit von der unmittelbaren Fixierung auf das Gesuchte – eben das
Reale – zu lösen, um sich stattdessen vor Augen zu führen, was zu
einem Gedanken als solchem gehört. So wird sich zeigen, dass Gedanken ihrer Form nach an etwas gekoppelt sind, das selbst kein (bloßer)
Gedanke ist – das Denken. Entscheidend wird dabei sein, auch das
Denken nicht geradehin als etwas in den Blick zu nehmen, das verspricht, 1. kein bloßer Gedanke zu sein und 2. unabweislich zu existieren. Denn so würde das Denken nur als ein ausgezeichnetes Reales
vorgestellt, somit aber auf gleichsam erfahrungsmäßige Weise, die es,
wie gezeigt, nicht ermöglicht, die Existenz des Realen als solchen zu
erweisen. Vom Denken als einem Vorgang, der etwa so und so lange
dauert, zu behaupten, er sei kein (bloßer) Gedanke, sondern existiere
unabhängig davon, ob er Inhalt eines Gedankens ist, erlaubt eben so
wenig, den Anspruch, mit etwas zu tun zu haben, das kein Gedanke
ist, auszuweisen, wie wenn man dies von irgendetwas anderem behauptete.
Dass das Denken kein bloßer Gedanke ist, lässt sich nicht im
Ausgang von einer Vorstellung des Denkens als eines realen Vorgangs erweisen, sondern nur durch eine Betrachtung, die zeigt, dass
Gedanken als solche an das Denken gekoppelt sind, und dass das Denken, insofern es zur Form der Gedanken gehört, etwas ist, das kein
Gedanke ist. Eine Betrachtung des Denkens, die dieses geradewegs als
realen Vorgang in den Blick nimmt, ist eine psychologische; eine Betrachtung des Denkens, die dieses als zur Form der Gedanken gehörig
betrachtet, dagegen eine logische. Der Versuch, die Existenz des Rea158
Das Logische und der Raum
len zu erweisen, hat somit von einer logischen Betrachtung der Gedanken und der Frage danach, wie sich Gedanken (Inhalte, die wahr
oder falsch sind) und Denken (Vollzüge, die sich mit solchen Inhalten
befassen) zueinander verhalten, seinen Ausgang zu nehmen. Unsere
erste Aufgabe ist es dabei, die Vorstellung von Gedanken als selbständigen Wesenheiten, die keinen internen Bezug auf wirkliches Denken
an sich haben, als unhaltbar zu erweisen. Dazu gehen wir von zwei
Behauptungen über Gedanken aus, die für sich genommen trivial
sind:
1. Gedanken sind wahr oder falsch. Weil sie wahr oder falsch
sind, sind sie keine isolierten Größen, sondern stehen in Verhältnissen zueinander. Denn dass ein Gedanke z. B. wahr, also etwas Bestimmtes der Fall ist, bedeutet, dass bestimmte andere Gedanken
falsch sind – und umgekehrt. Gedanken stehen somit als solche in
Ausschlussverhältnissen und damit auch in weiteren logischen Verhältnissen, die sich als Verschachtelungen von Ausschlussverhältnissen auffassen lassen 4.
2. Gedanken sind denkbar. Selbst wenn mit Gedanken zu rechnen wäre, die zu verwickelt sind, als dass wir sie denken könnten, gilt
doch, dass Gedanken grundsätzlich und zumindest manche auch tatsächlich denkbar sind. Eine Vorstellung von Gedanken, aus der sich
ergäbe, dass Gedanken grundsätzlich undenkbar sind, wäre genau dadurch als unhaltbar erwiesen. Sich Gedanken als etwas vorzustellen,
das an sich nicht an wirkliches Denken gekoppelt ist, bringt es jedoch,
wie zu zeigen ist, mit sich, dass Gedanken grundsätzlich undenkbar
wären.
Da das Logische der Bereich ist, in dem alle Verhältnisse intern
sind, sind die logischen Verhältnisse, in denen Gedanken stehen, für
deren Identität konstitutiv. Zu dem, was ein Gedanke an sich ist, würde somit die Menge seiner logischen Verhältnisse zu anderen Gedanken gehören. Man könnte einen Gedanken also als geordnete Menge
der mit ihm unvereinbaren, der aus ihm folgenden sowie der Gedanken darstellen, aus denen er folgt 5. Da die logischen Verhältnisse, in
Vgl. Brandom (2008), 119 ff.
Vgl. die Grundidee von Brandoms Inkompatibilitätssemantik: »Here is a semantic
suggestion: represent the propositional content expressed by a sentence with the set of
sentences that express propositions incompatible with it« [Brandom (2008], 123).
Brandom ergänzt: »Since […] incompatibility relations are only one dimension of
inferential articulation, this semantic representation of conceptual content will necessarily be only partial« (ebd.).
4
5
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denen ein Gedanke zu anderen steht, für ihn konstitutiv sind und er
somit als Menge solcher Verhältnisse dargestellt werden kann, dies
jedoch für alle Gedanken gilt, stehen (manche) Gedanken, zu denen
ein Gedanke in für ihn konstitutiven logischen Verhältnissen steht,
ihrerseits in für sie konstitutiven logischen Verhältnissen zu ihm. Bei
den Mengen, als die Gedanken dieser Vorstellung zufolge aufzufassen sind, handelt es sich demnach um nicht-wohlfundierte Mengen,
d. h. Mengen, die einander gegenseitig als Elemente enthalten können.
Was sich gegen eine Vorstellung von Gedanken als Gebilden, die
von sich her zwar in logischen Beziehungen zueinander stehen, ohne
in einem Bezug zum Denken zu stehen, einwenden lässt, ist nicht,
dass die nicht-wohlfundierten Mengen, als die Gedanken damit aufgefasst werden, als solche widersprüchlich bestimmt wären – denn
das sind sie nicht 6 –, sondern, dass Gedanken, wenn sie Mengen logischer Verhältnisse zu anderen Gedanken wären, grundsätzlich undenkbar wären. Sie wären nicht deshalb undenkbar, weil die Menge
der logischen Verhältnisse, die einen Gedanken ausmachen, derart
mächtig wäre, dass unser Erfassen nicht ans Ende kommen könnte,
sondern deshalb, weil es gar nicht erst beginnen kann. Bei den logischen Verhältnissen eines Gedankens zu anderen handelt es sich
nämlich um diskrete Verhältnisse, und bei einer Menge solcher Verhältnisse um eine diskrete Mannigfaltigkeit, die sich nur erfassen
lässt, indem man ihre Elemente für sich erfasst (wenn auch gegebenenfalls auf einen Schlag). Dies wäre im vorliegenden Fall aber unmöglich. Denn da irgendein Gedanke q, zu dem der zu erfassende
Gedanke p in einem logischen Verhältnis steht, seinerseits die Menge
der Gedanken sein soll, zu denen q in logischen Verhältnissen steht,
könnte man gar nicht beginnen, das erste Element der Menge der
Gedanken, in der p bestehen soll, zu denken. Jeder Versuch, mit dem
Erfassen irgendwo zu beginnen, würde ergeben, dass anderswo zu
beginnen ist, weshalb nirgendwo begonnen werden könnte.
Da Gedanken undenkbar wären, wenn sie zwar von sich her in
logischen Verhältnissen zu anderen Gedanken stünden, ohne in
einem Verhältnis zum Denken stehen, kann es sich bei den logischen
Verhältnissen, in denen Gedanken zu anderen Gedanken stehen,
nicht um Verhältnisse handeln, die unabhängig davon, dass Gedanken gedacht werden, und somit unmittelbar zwischen Gedanken be6
Vgl. Aczel (1988).
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Das Logische und der Raum
stehen, sondern nur um Verhältnisse, die in wirklichem Denken
gründen und somit durch dieses vermittelt sind. Gedanken müssen
somit intern an wirkliches Denken gekoppelt sein. Doch wie kann
wirkliches Denken das sein, worin der logische Bezug eines Gedankens auf andere Gedanken gründet?
Um diese Frage zu beantworten, ist eine nicht-psychologische
Auffassung des Denkens nötig. Ihr zufolge handelt es sich beim Denken nicht einfach um neutrales Sich-Befassen mit etwas, was wahr
oder falsch ist, sondern um verbindliches Sich-Festlegen. Denken ist
mit anderen Worten als kraftvoller Vollzug zu verstehen, wobei die
Kraft im Vollzug eines Akts besteht, der objektive Verbindlichkeit
beansprucht 7. Während Pfeifen beispielsweise ein Vollzug ist, zu
dem keine Festlegung darauf gehört, dass das, was man tut, wenn
man pfeift, sich in diesem Tun nicht erschöpft, heißt zu urteilen, sich
darauf festzulegen, das an dem, was man tut, etwas ist, was sich nicht
in diesem Tun erschöpft, sondern gilt.
Da Denken somit von Haus aus ein Sich-Festlegen ist, ist es ein
Tun, das die Möglichkeit nicht-beliebiger Fortsetzung mit sich bringt.
Dass es ein Sich-Festlegen ist, bedeutet nämlich, dass nicht alle Akte,
die sich an einen solchen Vollzug anschließen lassen, gleich gute Fortsetzungen desselben sein können, sondern manche im Einklang oder
Widerstreit mit ihm stehen würden. So ist etwa in der Festlegung
darauf, dass p, zwar nicht gleichsam schattenhaft ein diskreter Bezug
auf die Inhalte [::p], [::::p] etc. enthalten, so als ob diese schon
irgendwie wirklich »in« dem, was man dabei tut, steckten. Indem ich
mich darauf festlege, dass p, tue ich jedoch etwas, was es beispielsweise ermöglicht, mit gutem Grund zu urteilen, dass ::p, nämlich
deshalb, weil die Festlegung auf :p mit dem, worauf ich mich mit der
Festlegung auf p festgelegt habe, unvereinbar wäre 8. Die logischen
Ich übernehme die Unterscheidung zwischen Kraft und Inhalt, die bekanntlich auf
Frege zurückgeht (vgl. etwa LU, 35; 56), weder einfach so, wie Frege sie versteht, noch
möchte ich sie verabschieden, sondern ich werde dafür argumentieren, sie dahingehend zu korrigieren, dass Inhalt nicht extern, sondern intern auf Kraft bezogen ist.
8 Wenn die für Gedanken konstitutiven logischen Verhältnisse darin bestünden, dass
Gedanken unmittelbar, d. h. unabhängig von kraftvoller Aktivität, in derartigen Verhältnissen stehen, könnte man sich nicht darauf berufen, man habe zwar beispielsweise gedacht, dass p, dabei jedoch nicht daran gedacht, dass [p] und [(:)20p] äquivalent sind. Denn da im Logischen alle Verhältnisse intern sind, ist es für [p] konstitutiv,
unter anderem in diesem Verhältnis zu stehen. Daher hätte man, wenn man nicht u. a.
daran gedacht hätte, jedenfalls auch nicht [p] gedacht.
7
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Verhältnisse eines Gedanken zu anderen bestehen somit nicht darin,
dass in einem Gedanken alle anderen Gedanken, zu denen er in logischen Verhältnissen steht, irgendwie enthalten sind, sondern darin,
dass das Denken als kraftvoller Vollzug ein Tun ist, das nicht-willkürliche Fortsetzung – nämlich den Vollzug weiterer Akte ermöglicht, von denen sich, wenn vollzogen, erweisen lässt, dass sie in Einklang oder Widerstreit mit bereits vollzogenen Akten stehen.
Da logische Verhältnisse zu anderen Gedanken für Gedanken
konstitutiv sind, Gedanken aber undenkbar wären, wenn solche Verhältnisse unmittelbar zwischen ihnen bestünden, während sich das
Denken als kraftvoller Vollzug so fortsetzen lässt, dass sich weitere
Vollzüge als nicht-beliebige Fortsetzungen bereits unternommener
erweisen lassen, sind Gedanken wesentlich an Kraft gekoppelt, d. h.
keine selbständigen Größen, sondern Momente von Kraft-InhaltsKomplexen 9. Zu behaupten, dass Gedanken intern an Kraft gekoppelt
sind, bedeutet dabei nicht, den Bereich dessen, was wahr oder falsch
ist, zu psychologisieren, weil das Denken als kraftvolles nicht einfach
partikulares Tun ist, sondern ein Tun, das sich als sich nicht in seiner
eigenen Partikularität erschöpfend setzt, und sich insbesondere dann,
wenn es Erkenntnis ist, auch wirklich nicht in seiner eigenen Partikularität erschöpft, insofern sein Inhalt gilt.
Daraus, dass das Denken kraftvoll ist, folgt, dass es selbstbewusst
ist. Dabei ist unter Selbstbewusstsein keine Reflexion auf eigene Akte
zu verstehen, sondern die Weise ihres Zusammenhangs. Da Denken
nämlich in Vollzügen besteht, die nicht einfach vorübergehen, sondern vermöge ihres Vollzugs in Kraft sind, ist ein einzelner Denkakt
nicht einfach ein selbständiger Akt, sondern ein Akt, der seine eigene
Selbständigkeit aufhebt, insofern er das, worauf er sich festlegt, auf
die Gesamtheit dessen bezieht, worauf der Denkende sich bereits festgelegt hat. Denken besteht mit anderen Worten darin, einen Gedanken in die objektive Einheit des Bewusstseins einzubeziehen, d. h. zur
Ein naheliegendes Bedenken gegen die Behauptung, das Denken sei als solches
kraftvoll, lässt sich folgendermaßen artikulieren und ausräumen: Nicht alles Denken
ist assertorisches Sich-Festlegen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es kraftlose Akte des
Denkens geben könnte. Sich beispielsweise zu fragen, ob p, ist etwa ein Denkakt, der
zwar keine assertorische Festlegung auf [p] einschließt, jedoch die Festlegung darauf,
dass unmittelbar nicht zu entscheiden ist, ob p. Zu erwägen, was wäre, wenn p,
schließt ebenfalls keine assertorische Festlegung darauf, dass p ein, jedoch durchaus
assertorische Festlegungen auf Gedanken der Form [p!q].
9
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Das Logische und der Raum
Gesamtheit der Gedanken ins Verhältnis zu setzen, auf die man sich
bereits festgelegt hat. Genau insofern ist das Denken selbstbewusst:
Es besteht in einer Festlegung, die sich auf das Gesamt der Festlegungen, die man selbst bereits unternommen hat, bezieht.
Aus dem selbstbewussten Charakter des Denkens ergibt sich
eine formale Eigenschaft der Gedanken, die wir ihre »universelle Einbettbarkeit« nennen wollen: Jeder Gedanke kann als Teil logisch komplexerer Gedanken auftreten. So kann etwa jeder Gedanke [p] auch
Teil eines verneinenden Gedanken [:p] oder eines konjunktiven Gedanken [p&q] sein. Die universelle Einbettbarkeit der Gedanken ist
kein Faktum und damit nicht etwa so zu verstehen wie der reale Sachverhalt, dass Legosteine sich mit anderen Legosteinen zusammenbauen lassen. Sie ergibt sich vielmehr daraus, dass Gedanken intern an
Kraft gekoppelt sind und Kraft in einer Festlegung besteht, die ihren
Inhalt auf die objektive Einheit des Bewusstseins bezieht. Da diese
Einheit in der Gesamtheit bereits unternommener Festlegungen besteht und sich als Gesamtheit von Festlegungen nicht auf beliebige
Weise erweitern lässt, gehört zum Denken als solchem die Möglichkeit, den Gedanken zu denken, dass ein Gedanke [p] vom Einbezug in
die objektive Einheit des Bewusstseins ausgeschlossen ist, d. h. die
Möglichkeit, sich darauf festzulegen, dass :p. Zugleich muss das
Denken die Möglichkeit mit sich bringen zu reflektieren, dass beliebige Gedanken bereits in die Einheit des Bewusstseins einbezogen
sind, also etwa zu denken, dass p&q.
Für sich betrachtet ist die universelle Einbettbarkeit der Gedanken so selbstverständlich, dass sie kaum der Rede wert scheint. Durch
Nachdenken über diese Selbstverständlichkeit lässt sich jedoch zeigen, dass das Denken kein bloßer Gedanke sein kann.
Wie gezeigt sind Gedanken als solche an kraftvolle Akte gekoppelt. Im Hinblick auf propositional komplexe Gedanken – etwa [:p]
oder [p!q] – lässt sich daher fragen, welcher Art der Akt ist, an den
ein eingebettet auftretender Gedanke – beispielsweise [p] innerhalb
von [:p] – gekoppelt ist. So lässt sich etwa fragen, woran der Gedanke, dass es regnet, gekoppelt ist, insofern er in den Inhalt der Festlegung darauf, dass es nicht regnet, eingebettet ist. Offenbar kann der
Gedanke, dass es regnet, insofern er als Teilinhalt der Festlegung darauf, dass es nicht regnet, auftritt, selbst nicht an einen Akt der Festlegung auf ihn gekoppelt sein. Sonst müsste man sich etwa, um sich
darauf festzulegen, dass es nicht regnet, darauf festlegen, dass es regnet, sich also widersprechen.
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Christian Martin
Andererseits kann ein eingebetteter Gedanke auch nicht jeden
Bezugs auf kraftvolle Aktivität entbehren, da Gedanken, wie gezeigt,
an kraftvolle Aktivität gekoppelt sind. Ein eingebetteter Gedanke
muss daher zwar selbst an einen Denkakt gekoppelt sein, der jedoch
nicht in einer kraftvollen Festlegung auf ihn bestehen kann. Der Akt,
auf den ein eingebetteter Inhalt bezogen ist, kann daher kein direkt,
sondern nur ein indirekt kraftvoller Vollzug, somit bloß die Andeutung der Möglichkeit eines solchen sein. Einen Akt, der die Möglichkeit eines kraftvollen Vollzugs bestimmten Inhalts nur andeutet, statt
sich auf diesen Inhalt festzulegen, wollen wir eine »Darstellung« des
betreffenden Inhalts nennen. Da die Darstellung eines Inhalts kein
kraftvoller Akt ist, Gedanken jedoch an kraftvolle Aktivität gekoppelt
sind, kann ein darstellender Akt kein selbständiger sondern nur ein
unselbständiger Teil eines kraftvollen Akts sein. Die Festlegung darauf, dass es nicht regnet, ist somit etwa ein komplexer Vollzug, der
die Andeutung der Möglichkeit, sich darauf festzulegen, dass es regnet, als Teilakt einschließt, und darin besteht, die Realisierung der
dargestellten Vollzugsmöglichkeit zurückzuweisen.
Aus der universellen Einbettbarkeit der Gedanken folgt somit
ein universeller Unterschied zwischen Vollzug und Darstellung: Für
jeden denkbaren Inhalt gilt, dass sich Akte dieses Inhalts nicht nur
vollziehen, sondern auch bloß darstellen lassen.
Angesichts dessen ist zu fragen, ob sich dem Unterschied von
Vollzug und Darstellung innerhalb des Logischen Rechnung tragen
lässt, d. h. ob sich zwischen vollziehenden und darstellenden Akten
des Denkens dann unterscheiden ließe, wenn das Denken nichts mit
sich brächte, was kein Gedanke ist. Inhaltlich können sich Vollzug
und Darstellung als solche natürlich nicht unterscheiden, da ein darstellender Akt sonst keine Andeutung der Möglichkeit eines Vollzugs
desjenigen Inhalts sein könnte, auf den sich der entsprechende Vollzug wirklich festlegt. Da das Logische aber derjenige Bereich ist, innerhalb dessen alle Beziehungen intern sind, kann der Unterschied
zwischen Vollzug und Darstellung eines Akts ein- und desselben Inhalts auch nicht darin bestehen, dass sich die Akte, an die der Inhalt
gekoppelt ist, unterscheiden, sofern ihrem Unterschied rein logisch
Rechnung zu tragen wäre. Denn da interne Beziehungen für die
Identität dessen, was in ihnen steht, konstitutiv sind, würde der Sachverhalt, dass Inhalte an voneinander unterschiedene Akte gekoppelt
sind, innerhalb des Logischen automatisch einen inhaltlichen Unterschied mit sich bringen.
164
Das Logische und der Raum
Daraus, dass das Denken den Unterschied von vollziehenden und
darstellenden Akten mit sich bringt, folgt also, dass das Denken kein
bloßer Gedanke sein kann. Diesem Unterschied lässt sich nämlich nur
Rechnung tragen, wenn am Denken solches beteiligt ist, das die Verschiedenheit von rein begrifflich Ununterscheidbarem, d. h. Gleichem, ermöglicht, d. h. ein reales Moment. Die Möglichkeit eines
kraftvollen Vollzugs lässt sich also (nur) vermöge dessen darstellen,
dass kraftvolle Vollzüge ein reales Moment – eine Gestalt oder Erscheinung – aufweisen.
Hätte das Denken als solches kein reales Moment, bestünde keine Möglichkeit, sich entweder auf einen Inhalt festzulegen oder bloß
die Möglichkeit der Festlegung auf ihn anzudeuten, weil der Unterschied in der Stellungnahme automatisch einen Unterschied im Inhalt mit sich bringen würde. So könnte die Verneinung nicht die Festlegung auf den Inhalt zurückweisen, auf den sich die Bejahung
festlegen würde. Weist ein Denkakt als solcher dagegen eine reale
Gestalt auf, lässt sich die logische Gleichheit des Inhalts, die zwischen
Vollzug und Darstellung besteht, durch Gleichheit ihrer realen Gestalt, der logische Unterschied der Akte dagegen durch die Stellungsverschiedenheit dieser Gestalten ausdrücken – nämlich selbständige
Stellung im Fall des Vollzugs, unselbständige im Fall der Darstellung.
Ein darstellender Akt arbeitet somit mit einem Bild des Vollzugs,
dessen Möglichkeit er darstellt. Dies bedeutet, dass das Denken mimetisch oder bildgebend verfasst ist – und zwar genau, insofern es
selbstdarstellend ist, es also zu seinem wirklichen Vollzug gehört, zu
möglichen Vollzügen des Denkens Stellung zu nehmen.
Um im Denken solches darzustellen, was kein Denken ist,
braucht zwischen Denken und Gedachtem keine Übereinstimmung
der realen Gestalt zu bestehen. So besteht etwa zwischen der Zeichengestalt »Es schneit« und der Gestalt fallenden Schnees keine reale
Übereinstimmung. Um im Denken dagegen solches darzustellen,
was seinerseits Denken ist, muss zwischen Darstellendem und Dargestelltem eine Gestaltübereinstimmung bestehen. So weist etwa der
durch die Zeichen »Es schneit nicht« ausgedrückte logische Vollzug
die Realisierung der Möglichkeit eines anderen Vollzugs (nämlich des
durch »Es schneit« ausgedrückten) zurück, wozu er diesen anderen
Vollzug andeuten muss, – und er kann dies nur, indem er mit einem
›Bild‹ der realen Gestalt arbeitet, die der dargestellte Vollzug aufwiese, wenn er wirklich vollzogen würde. Dass ein Denkakt nur mimetisch, nämlich durch Abbildung seiner realen Gestalt angedeutet
165
Christian Martin
werden kann, lässt sich konkret etwa daran erkennen, dass sich der
Aufgabe, dem Urteil, dass es schneit, zu widersprechen, nicht nachkommen ließe, wenn man dabei nicht von etwas von der Art Gebrauch machen dürfte, womit man, für sich genommen, die Festlegung darauf ausdrücken würde, dass es schneit.
Da Gedanken intern auf das Denken bezogen sind und der universellen Einbettbarkeit der Gedanken seitens des Denkens ein
durchgängiger Unterschied zwischen Vollzug und Darstellung entspricht, für diesen Unterschied aber nur Raum ist, wenn Gedanken
ein reales Moment mit sich bringen (eine Gestalt oder Erscheinung
aufweisen), sind Gedanken als solche an etwas gekoppelt, was selbst
kein Gedanke, sondern ein Reales ist. Die Frage, ob es das Reale –
solches, was kein Gedanke ist, – gibt, lässt sich daher dahingehend
beantworten, dass Gedanken selbst ihrer Form nach, d. h. unabhängig
von ihrem bestimmten Inhalt, an solches gekoppelt sind, was kein
Gedanke ist 10.
Bei der realen Gestalt, an die ein Gedanke als solcher gekoppelt
ist, kann es sich nicht bloß um eine anschauliche Vorstellung handeln.
Wäre dies der Fall, hätte unsere Überlegung bloß gezeigt, dass es etwas gibt, was kein Gedanke ist, aber nicht, dass dieses etwas nicht
bloß eine Vorstellung ist. Dass es anschauliche Vorstellungen gibt,
sehen wir jedoch ohnehin, und brauchen es darum nicht philosophisch zu erweisen. Die reale Gestalt, an die ein Gedanke als solcher
geknüpft ist, kann aber darum keine bloße Vorstellung sein, weil eine
Vorstellung als solche an einen individuellen Träger geknüpft ist. Wäre die Gestalt, an die ein Gedanke gekoppelt ist, ihrerseits an ein Individuum gekoppelt, wäre der Gedanke selbst an dieses Individuum
gekoppelt, d. h. er müsste als solcher von dem Individuum handeln, in
dessen Vorstellungsbereich seine Gestalt fällt. Somit wäre nicht nur
die Denkbarkeit eines Gedanken auf ein Individuum beschränkt, son-
Das Logische und der Raum
dern jeder Gedanke müsste absurderweise von dem Individuum handeln, für das er allein zugänglich ist.
Weil Gedanken als solche somit die Existenz des Realen als etwas, das keine bloße Vorstellung ist, mit sich bringen, beruht die
skeptische Befürchtung, das Denken und Vorstellen habe möglicherweise keinerlei Entsprechung in Gestalt von solchem, was weder ein
Gedanke noch eine Vorstellung ist, auf Verwirrung. Denn während es
fraglich sein kann, ob ein Gedanke seinem bestimmten Inhalt nach
eine Entsprechung in bestimmtem Realen hat, ist er seiner Form nach
– als Gedanke – an solches gekoppelt, was selbst kein Gedanke und
keine bloße Vorstellung ist. Daher sind beliebige Gedanken als solche
der Beweis, dass es den Bereich dessen, was kein Gedanke ist, gibt und
das Reale somit existiert.
Da zur Form des Denkens ein reales Moment gehört und das
Denken sich als solches nicht-reflexiv seiner selbst bewusst ist, ist
das Denken nicht nur an sich, sondern auch für sich an eine reale
Gestalt gekoppelt, wenngleich eben nicht reflektierend, sondern so,
dass es in seinem Vollzug dasjenige an ihm miterlebt, was selbst kein
bloßer Gedanke ist 11.
3.
Das Reale als Kontinuum und Materiefeld
Nachdem der Begriff des Realen erläutert und nachgewiesen wurde,
dass das Reale existiert, ist zu untersuchen, ob sich die ihm eigene
Verfasstheit philosophisch näher charakterisieren lässt. Dabei ist weiterhin zu beachten, dass sich eine philosophische Charakterisierung
nicht gleichsam erfahrungsmäßig geben lässt. Eine philosophische
Charakterisierung des Realen kann daher nicht geradehin (intentione
recta) auf das Reale gerichtet sein, sondern nur indirekt (intentione
Weil Denken selbstbewusst ist und seiner Form nach solches involviert, was weder
ein bloßer Gedanke noch eine bloße Vorstellung ist, situiert es sich als solches in
einem Spielraum dessen, was kein Gedanke ist. Insofern lässt sich nicht sagen, an sich
Existierendes zu denken, sei eine Aufgabe für das Denken. Das zu denken, was an sich
existiert, ist etwas, womit das Denken als solches und somit gleichsam von Haus aus
wirklich befasst ist, weil dies zu seiner Form gehört, und es, wenn es dies nicht schon
täte, auch kein Denken wäre. Die Aufgabe, die in diesem Zusammenhang besteht, ist
eine Aufgabe für das philosophische Denken, nämliche diejenige, sich reflektierend zu
verdeutlichen, dass und inwiefern man, sofern man überhaupt denkt, immer schon
damit befasst ist, sich wahrheitsgemäß auf den Bereich dessen zu beziehen, was kein
Gedanke ist, d. h. das Reale als solches zu erkennen.
11
Der in diesem Abschnitt erbrachte Nachweis, dass Gedanken ihrer Form nach an
etwas gekoppelt sein müssen, was selbst kein Gedanke ist, da sich sonst nicht zwischen
Darstellung und Vollzug unterscheiden ließe, stützt sich von S. 164 an bis zu dieser
Stelle auf eine Überlegung Irad Kimhis, die mir bedeutsam erscheint. Kimhi unterscheidet im Rahmen einer an Aristoteles und Kant angelehnten Konzeption des Denkens als integrativer Aktivität zwischen »logischen Akten« und »logischen Gesten«
und stellt dabei heraus, dass ein Akt, um durch eine Geste darstellbar zu sein, einen
»phänomenalen Aspekt« aufweisen muss, vgl. Kimhi (2013), 20. Dass damit, anders
als Kimhi meint, noch keine zureichende Begründung für einen »deep linguistic turn«
gegeben ist, werde ich andernorts ausführlicher nachweisen.
10
166
167
Christian Martin
obliqua). Denn das Reale ist der Bereich dessen, was kein Gedanke ist.
Insoweit er geradehin auf Reales gerichtet ist, kann ein Gedanke daher nicht zugleich rein aus sich heraus eine nicht-zufällige Übereinstimmung mit seiner Sache bewerkstelligen, sondern nur, insofern
diese ihm ›entgegenkommt‹, d. h. insofern Reales sich zeigt und das
Denken Sich-Zeigendes in seinen Inhalt einbindet, d. h. insofern es
sich dabei um empirischen Inhalt handelt.
Das Reale zugleich philosophisch und geradehin – nämlich dadurch zu charakterisieren, dass man direkt über irgendwelche für
fundamental erklärten Eigenschaften des Realen spricht, ist daher unmöglich. Unter der Hand können sich in den Versuch, das Reale philosophisch zu charakterisieren, aber leicht quasi-empirische Anleihen
einschleichen. Dies ist dann der Fall, wenn man dem Realen in philosophischer Absicht eine Verfassung zuschreiben möchte, von der
zwar gilt, dass sie unser Erleben des Realen durchwegs prägt, ohne
diese Verfassung aus dem von empirischen Anleihen gereinigten Begriff des Realen und dem philosophisch erwiesenen Sachverhalt seiner Existenz herzuleiten. Sich stattdessen darauf zu berufen, dass die
betreffende Verfassung unser Erleben des Realen durchwegs unwillkürlich prägt, macht den Mangel an philosophischer Begründung
nicht wett, sondern deutet auf ihn hin, da es darauf ankäme zu begreifen, warum dies so ist.
Der Versuch, das Reale als solches näher zu charakterisieren,
muss daher von dem bereits erwiesenen Sachverhalt ausgehen, dass
es einen Bereich dessen gibt, was numerische Verschiedenheit trotz
Gleichheit ermöglicht. Was es gibt, kann aber nicht allein dahingehend bestimmt sein, dass es etwas ermöglicht, sondern muss wirklich etwas sein, um etwas zu ermöglichen. Insbesondere muss es auf
eine Weise bestimmt sein, die es ihm erlaubt, das zu ermöglichen, was
es seinem Begriff nach ermöglicht. Wir können daher fragen, wie das
Reale bestimmt sein muss, um das zu ermöglichen, was zu ermöglichen ihm wesentlich ist.
Das Erste, was sich positiv über das Reale sagen lässt, ist, dass es
nur dadurch ermöglichen kann, dass es numerisch Verschiedene, die
rein begrifflich ununterscheidbar sind, gibt, wenn es sich bei ihm um
ein Mannigfaltiges handelt. Denn es muss dazu etwas sein, das im
Hinblick auf jede beliebige begriffliche Charakterisierung die Ressourcen dafür bereitstellt, dass es mehreres geben kann, was diese
Charakterisierung erfüllt. Das Reale ist daher ein Mannigfaltiges,
dessen Größenordnung diejenige jeder beliebigen Menge begriff168
Das Logische und der Raum
licher Charakterisierungen übersteigt, und somit jedenfalls kein abzählbar Mannigfaltiges.
Ein Mannigfaltiges erfordert ein Prinzip der Einheit, da es sich
unabhängig von einem solchen auch nicht um ein Mannigfaltiges
handeln würde. Anhand der Frage, wie sich Mannigfaltiges zum Prinzip seiner Einheit verhält, lassen sich zwei Typen von Mannigfaltigem unterscheiden: (1) Wenn das, aufgrund wovon Mannigfaltiges
mannigfaltig ist, zugleich das ist, aufgrund wovon es zusammenhängt – es sich also um ein Mannigfaltiges handelt, das als mannigfaltiges eines und als eines mannigfaltig ist, handelt es sich um ein
kontinuierliches Mannigfaltiges oder kurz ein Kontinuum. (2) Wenn
das, aufgrund wovon ein Mannigfaltiges mannigfaltig ist, und das,
aufgrund wovon es zusammenhängt, unterschieden sind – es sich also
um ein Mannigfaltiges handelt, das nicht als mannigfaltiges eins und
als eines mannigfaltig ist – handelt es sich um ein diskretes Mannigfaltiges.
Das Reale rein als solches kann unmittelbar kein diskretes Mannigfaltiges sein, sondern diskrete Mannigfaltigkeit allenfalls vor dem
Hintergrund nicht-diskreter einschließen. Denn ein Prinzip der Einheit von Mannigfaltigem, das nicht selbst das ist, aufgrund wovon
dasjenige, dem es Einheit gibt, ein mannigfaltiges ist (d. h. ein Prinzip
der Einheit, das selbst keine Quelle von Mannigfaltigkeit ist), fällt als
solches in den Bereich des Logischen, nicht des Realen. Denn da ein
solches Prinzip von dem Mannigfaltigen, dem es Einheit gibt, unterschieden und somit nicht auf ein bestimmtes Mannigfaltiges festgelegt ist, dem es Einheit gibt, handelt es sich bei einem solchen Prinzip um etwas, hinsichtlich dessen sich sinnvoll fragen lässt, ob es für
mehrere, voneinander verschiedene Mannigfaltige als Prinzip der
Einheit fungiert, somit also um etwas, was selbst kein möglicher
Grund der Verschiedenheit Gleicher, sondern vielmehr ein möglicher
Grund der Gleichheit Verschiedener ist – einen Begriff.
Das Nächste, was sich philosophisch über die wirkliche Verfassung des Realen sagen lässt, ist somit, dass es sich bei ihm um eine
nicht-diskrete Mannigfaltigkeit handelt 12. Zur Verfasstheit des Rea-
Da eine Menge eine diskrete Mannigfaltigkeit ist, wäre es irrig, den Sachverhalt,
dass das Reale ein Kontinuum ist, dahingehend aufzufassen, dass es eine ›überabzählbare Menge‹ darstelle. Als Kontinuum ist das Reale überhaupt kein diskret-Mannigfaltiges, daher weder abzählbar noch ›überabzählbar‹.
12
169
Christian Martin
len gehört also wesentlich Mannigfaltigkeit, die ihren Zusammenhang aus sich selbst bezieht, d. h. ein Kontinuum 13.
Ist das Reale damit philosophisch erschöpfend bestimmt? Beim
Versuch, diese Frage zu beantworten, kann uns das Prinzip der Identität des Ununterschiedenen als Leitfaden dienen. Ihm zufolge ist das,
was sich nicht voneinander unterscheidet, identisch. Dieses Prinzip
ist hier, wo es darum geht, das Reale philosophisch zu charakterisieren, deshalb von Bedeutung, weil das Reale minimal als Bereich dessen bestimmt wurde, was den Grund dafür abgibt, dass solches, was
rein begrifflich ununterscheidbar ist, dennoch numerisch verschieden
sein kann. Um Grund der Verschiedenheit rein begrifflich Ununterscheidbarer sein zu können, muss das Reale aber selbst dem Prinzip
der Identität des Ununterschiedenen genügen, d. h. es kann nicht so
gefasst werden, als ob es selbst zwar Verschiedenheit einschlösse,
ohne dass sich angeben ließe, was das als verschieden in Anspruch
Genommene unterscheidet 14.
Wird darauf geachtet, dass das Reale dem Prinzip der Identität
des Ununterscheidbaren genügen muss, lässt sich zeigen, dass es zwar
wesentlich ein Kontinuum ist, aber kein bloßes Kontinuum sein
kann. Unmittelbar ist ein Kontinuum nämlich als homogen bestimmt. Denn da es seinem Begriff nach als ein Mannigfaltiges charakterisiert ist, das als Mannigfaltiges zugleich Prinzip seines Zusammenhangs ist, können sich die Elemente dieses Mannigfaltigen, die
wir in Gedanken aus ihm aussondern mögen, als solche nicht von13 Das Erste, was sich philosophisch über die wirkliche Verfasstheit des Realen sagen
lässt, ist somit nicht, dass es räumlich verfasst ist, sondern dass es sich bei ihm um ein
Kontinuum handelt. Um auf philosophischem Weg von dieser Feststellung aus zum
Raum zu gelangen, sind weitere Gedankenschritte nötig. Ihre Darlegung wird ergeben, dass das Kontinuum des Realen konkret als materielles Raum-Zeit-Kontinuum zu charakterisieren ist.
14 An der Gültigkeit des Prinzips der Identität des Ununterschiedenen lässt sich nicht
rütteln. Gälte es nicht, wäre es nämlich unmöglich, etwas Bestimmtes zu denken, da
grundsätzlich unentscheidbar wäre, ob es sich bei dem, worüber man nachdenkt, um
eines oder um vieles handelt. Der Anschein, dass das Prinzip ungültig sein könnte,
entsteht nur, wenn man den Blick auf rein begriffliche Unterschiede einschränkt.
Unter dieser Voraussetzung folgt aus Ununterschiedenheit in der Tat nicht Identität.
Das bedeutet aber nur, dass aus Ununterschiedenheit in allen internen Eigenschaften
und Beziehungen (d. h. aus Gleichheit) nicht Identität folgt. Dies stellt die Gültigkeit
des Prinzips nicht in Frage, da sich das, was zwar gleich aber verschieden ist, durch
nicht rein begrifflich charakterisierbare, d. h. durch indexikalische Eigenschaften unterscheidet.
170
Das Logische und der Raum
einander unterscheiden: Sie haben gleichsam nichts Eigenes für sich,
da ihr Ansichsein zugleich ihr Zusammenhang ist.
Weil ein Kontinuum unmittelbar für sich als homogene Mannigfaltigkeit charakterisiert ist, kann es als solches kein selbständig
Existierendes sein. Das Reale genügt dem Prinzip der Identität des
Ununterschiedenen somit nur, wenn es nicht bloß als Kontinuum
oder schlechthin homogenes Mannigfaltiges bestimmt, sondern
durch eine inhomogen über das Kontinuum hinweg variierende Größe charakterisiert ist. Eine Größe, die für jeden Bereich eines Kontinuums einen Wert aufweist, wird in der Physik »Feldgröße« und
das, was durch sie charakterisierbar ist, ein »Feld« genannt. Wir können die das Reale als solche charakterisierende Feldgröße »Materie«
nennen und das Reale entsprechend als Materiefeld auffassen, wenn
wir beachten, dass damit nicht die spezifische Größe gemeint ist, die
die Physik unter diesem Titel kennt und von Feldgrößen wie »Kraft«
oder »Energie« unterscheidet, sondern nur der soeben philosophisch
hergeleitete Sachverhalt ausgedrückt ist, dass das Reale als solches
überhaupt durch eine Feldgröße charakterisierbar sein muss. Dass
deren Werte über das Kontinuum hinweg inhomogen variieren, bedeutet dabei nicht, dass sie durchwegs verschiedene Werte aufweisen
muss, sondern nur, dass sie derart über es hinweg variieren muss, dass
beliebige Bereiche des Kontinuums als solche unterscheidbar sind.
Nur insofern das Reale ein Kontinuum ist, das durch eine inhomogen variierende Feldgröße charakterisierbar ist, es also ein inhomogenes Materiefeld bildet, kann es das möglich machen, was es
seinem Begriff nach möglich macht, nämlich die Verschiedenheit
Gleicher. Dabei darf die Kopplung von Kontinuum und Materie, die
das Reale ausmacht, nicht gleichsam erfahrungsmäßig nach Art
äußerlicher Verhältnisse vorgestellt werden, wie sie zwischen bestimmtem Realen bestehen, etwa zwischen einem Behälter und seinem Inhalt. Das Kontinuum des Realen kann daher nicht einfach ein
homogenes Mannigfaltiges sein, über das hinweg die Feldgröße inhomogen variiert, ohne dass dies das Kontinuum selbst beträfe. Denn
in diesem Fall würde es nicht die Ressourcen dafür bereitstellen, dass
Materielles, das in ihm vorkommt, trotz Gleichheit voneinander verschieden sein kann, denn dazu müsste es eine Quelle von Unterschieden sein, was es, wenn es völlig homogen ist, gerade nicht ist.
Das Kontinuum kann daher nicht bloß als Spielraum bestimmt
sein, innerhalb dessen eine Feldgröße inhomogen variiert, sondern es
muss als Kontinuum durch eine Größe charakterisierbar sein, deren
171
Christian Martin
Wert funktional von dem der Feldgröße abhängt und die somit ihrerseits inhomogen variiert, – ein ›Krümmungsmaß‹. Dies bedeutet
nicht, dass wir das Kontinuum unmittelbar als inhomogen hätten
charakterisieren sollen, sondern, dass das wirkliche Kontinuum zwar
notwendig inhomogen ist, sich dies aber nur begreifen lässt, indem
man zeigt, dass das, was zunächst bloß als Kontinuum bestimmt wurde und darum homogen erschien, zwar in der Tat ein Kontinuum ist,
jedoch kein bloßes Kontinuum sein kann, sondern ein inhomogenes
Materiefeld ist, und genau insofern auch als Kontinuum eine Eigenschaft aufweist, die funktional mit der inhomogen variierenden Feldgröße variiert, somit aber eine Inhomogenitätseigenschaft ist.
4.
Das Reale als Raum-Zeit-Kontinuum
Dass das Reale Verschiedenheit trotz Gleichheit ermöglicht, setzt voraus, dass es überhaupt Raum für Diskretes bietet. Wie gezeigt ist
diskrete Mannigfaltigkeit jedoch an einen Begriff als Prinzip ihres
Zusammenhangs gekoppelt, der als logischer Inhalt seinerseits an
kraftvolles, real verkörpertes Denken gekoppelt ist, d. h. an Geist. Diskretes kann daher real nicht unmittelbar vorhanden sein, sondern aus
dem Kontinuum nur dank geistiger Vollzüge zur Abhebung kommen, die in der Inhomogenität der Materieverteilung freilich einen
nicht-willkürlichen Anhalt haben.
Da das Reale seinem Begriff nach Raum für Diskretes bietet,
Diskretes in ihm aber nicht einfach vorhanden, sondern nur aus ihm
ausgrenzbar ist, muss das Reale so beschaffen sein, dass es erlaubt,
Diskretes aus ihm auszugrenzen. Das Materiefeld muss daher notwendigen Bedingungen der Ausgrenzbarkeit von Diskretem aus ihm
genügen. Dieser Sachverhalt erlaubt es, die Verfassung des Realen
philosophisch weiter zu bestimmen. Denn da das Reale das ist, was
Diskretion trotz Gleichheit ermöglicht, kann es nicht so beschaffen
sein, dass es keinen Raum für geistige Vollzüge lässt, die Diskretes
aus ihm überhaupt erst zur Abhebung bringen.
Das Reale muss daher so beschaffen sein, dass die Begriffe, die
zur Ausgrenzung von Diskretem aus ihm erforderlich sind, unter einander nicht einfach zusammenhangslos sind, sondern zueinander in
internen Verhältnissen stehen, da sich die auf Reales gerichteten Gedanken, in die sie eingehen, sonst nicht zur Einheit des Bewusstseins
bringen ließen. Dass die Begriffe, die zur Ausgrenzung von Diskre172
Das Logische und der Raum
tem aus dem Kontinuum erforderlich sind, untereinander in internen
Verhältnissen stehen müssen, bedeutet, dass die auf Reales gerichteten Gedanken, in die sie eingehen, untereinander in Implikationsverhältnissen stehen und das in ihnen Artikulierte somit untereinander
regelhaft verknüpft sein muss. Das Kontinuum muss daher einen
Spielraum von Verhältnissen mit sich bringen, der so geartet ist, dass
das Diskrete, das sich innerhalb seiner zur Abhebung bringen lässt,
untereinander nach Regeln verknüpft ist.
Wenn das Kontinuum jedoch nur ein Spielraum wäre, innerhalb
dessen das Diskrete, das sich aus ihm abheben lässt, untereinander
durchwegs regelhaft verknüpft ist und diskretes Reales somit ausschließlich in internen Verhältnissen stünde, unterschiede sich die
dem Realen angemessene Weise begrifflicher Charakterisierung gar
nicht von derjenigen, die dem Logischen angemessenen ist. Da diese
Weisen jedoch verschieden sein müssen und das Reale bereits als Bereich erwiesen wurde, innerhalb dessen externe Verhältnisse bestehen können, kann der Spielraum des Kontinuums, innerhalb dessen
Diskretes untereinander regelhaft und insofern notwendig verknüpft
ist, nicht der einzige Spielraum sein, der zu ihm gehört. Zum Kontinuum muss vielmehr zugleich ein Spielraum gehören, innerhalb
dessen Diskretes untereinander nicht regelhaft, somit aber zufällig
verknüpft ist.
Derjenige Spielraum des Kontinuums, innerhalb dessen Übergänge und Verhältnisse zwischen Diskretem regelhaft sind, ist die
Zeit, während der Raum derjenige Spielraum ist, innerhalb dessen
Übergänge und Verhältnisse zwischen Diskretem nicht regelhaft,
sondern zufällig sind 15. Dass der Raum der Spielraum des Realen ist,
innerhalb dessen Übergänge oder Verhältnisse zwischen Diskretem
zufällig sind, lässt sich daran illustrieren, dass es keine physikalischen
Gesetze gibt, die unmittelbar die Verteilung der Materie im Raum
betreffen, sondern nur solche, die von der Variation ihrer räumlichen
Verteilung mit der Zeit handeln.
Da es hier nur darum zu tun ist, die Räumlichkeit des Realen zu erweisen, kann
nicht auf Fragen eingegangen werden, die sich an die skizzierte Weise, den Unterschied zwischen Raum und Zeit zu fassen, anschließen. Bemerkt sei nur: Beispiele,
die zeigen sollen, dass Materie auch nicht-zufällig im Raum verteilt sein kann, tragen
nur insoweit, als sie eine zeitliche Perspektive ins Spiel bringen. So ist etwa das räumliche Verhältnis der Glieder eines Lebewesens nicht zufällig – doch nur, insofern diese
Glieder als etwas bestimmt sind, das gewisse Funktionen ausübt.
15
173
Christian Martin
Das Kontinuum ist somit ein Raum-Zeit-Kontinuum. Daran
lässt sich die Frage anschließen, ob zum Raum eine bestimmte Zahl
von Dimensionen, d. h. von Spielräumen gehört, für die gilt, dass
Variation innerhalb des einen keine Variation innerhalb der anderen
mit sich bringt. Auch diese Frage lässt sich philosophisch nicht geradehin, sondern nur dadurch klären, dass wir uns wieder der Form des
Denkens zuwenden.
Der Grund dafür, dass es ein materielles Raum-Zeit-System
gibt, ist nämlich zugleich ein Grund dafür, dass darin real verkörperte
Denker auftreten. Denn da sich Gedanken und Denken als solche
nicht in Zweifel ziehen lassen, Gedanken ans Denken gekoppelt sind
und das Denken selbst kein bloßer Gedanke ist, sondern zu ihm ein
reales Moment gehört, gehören zum Realen als solchen reale Gestalten des Denkens, und zwar konkret mindestens diejenige des Denkenden, der ich selbst bin – eines denkenden Wesens, das als solches zwar
nicht mit einem Körper identisch, jedoch wesentlich verkörpert ist.
Daraus, dass das Reale als solches denkende Wesen einschließt,
ergibt sich eine Leitfrage, die zu verfolgen es erlaubt, die philosophische Kosmologie nicht gleichsam erfahrungsmäßig und damit
verworren als Disziplin zu entwickeln, die sich geradehin mit dem
materiellen Raum-Zeit-System befasst, sondern indirekt, indem untersucht wird, welche Strukturen das materielle Raum-Zeit-System
aufweisen muss, weil zu ihm real verkörperte Denker gehören müssen. Diese Frage kehrt das reduktive Programm des Naturalismus
um: Gefragt ist nicht nach Strukturen des materiellen Raum-ZeitSystems, die vermeintlich dafür hinreichend sind, dass in ihm Denkende hervortreten, sondern nach Strukturen, die das materielle
Raum-Zeit-System aufweisen muss, weil es Gedanken und Denken
gibt und diese als solche reale Verkörperung mit sich bringen.
Um zu klären, welche Anforderungen an das Raum-Zeit-System
die reale Verkörperung des Denkens mit sich bringt, ist daher zunächst zu untersuchen, was einen Denkenden ausmacht, insofern er
kein bloßer Gedanke, sondern real verkörpert ist. Mittelbar kann
dann danach gefragt werden, welche Strukturanforderungen an das
materielle Raum-Zeit-Kontinuum damit einhergehen, dass ein Denkender über die zu ihm als realem Denkendem erwiesenermaßen gehörige Ausstattung verfügt. Diese weitreichenden Fragen können
und sollen hier nur soweit verfolgt werden, als ihre Beantwortung
eine Antwort auf die philosophische Frage nach den Dimensionen
des Raumes vorbereitet.
174
Das Logische und der Raum
5.
Warum der Raum, in dem sich ein denkendes Wesen
bewegt, dreidimensional ist
Da Denken eine spontane Aktivität ist, die, ihrem logischen Wesen
gemäß, zwar nicht mit der realen Bewegung eines Körpers gleichzusetzen, jedoch an ein Moment realer Verkörperung gekoppelt ist,
ist ein denkendes Wesen ein raum-zeitlich verkörpertes Wesen, das
sich selbst bewegt, und sein Denken ein Vollzug, der mit leiblicher
Selbstbewegung einhergeht. Weil Denken selbstbewusst ist und leibliche Selbstbewegung zu seiner Form gehört, erlebt ein denkendes
Wesen die leibliche Selbstbewegung, an die sein Denken gekoppelt
ist, wesentlich mit 16. Ein Denkender ist somit nicht nur an sich ein
sich selbst bewegendes Wesen, sondern steht in einem erlebenden
Verhältnis zu dem, was er selbst bewegt, indem er denkt – seinem
Leib. Da geistige Vollzüge eines real verkörperten, denkenden Wesens das sind, was die Ausgrenzung von Diskretem aus dem Materiefeld leistet, und es zum Realen seinem Begriff nach gehört, für Diskretes Raum zu bieten, kann ein denkendes Wesen nicht nur in einem
erlebenden Verhältnis zu seinem Leib stehen, sondern muss gleichfalls in einem erlebenden Verhältnis zu dem stehen, worin es sich
bewegt, wenn es sich bewegt, – seiner Umgebung. Denn wäre es nicht
erlebend auf diese bezogen, könnten seine geistigen Vollzüge auch
nichts Diskretes aus dem Materiefeld zur Abhebung bringen.
Ein denkendes Wesen bezieht sich als ein sich selbst bewegendes
somit zugleich auf seinen Leib und seine Umgebung und kann sich
auf beide, da es sich dabei um solches handelt, was kein Gedanke ist,
nicht rein vermöge seines Denkens beziehen, sondern nur so, dass er
sich dabei zugleich wesentlich aufnehmend verhält. Daher ist ein
denkendes Wesen als sich selbst bewegendes ein innerlich und äußerlich wahrnehmendes Wesen.
16
Damit ist nicht behauptet, dass jeder Denkakt an eine erlebte Eigenbewegung gekoppelt ist, noch ist etwas über die Art solcher Eigenbewegungen gesagt. Es liegt nahe,
sich diese als gestisch-mimische Vollzüge oder sprachliche Äußerungen zu denken –
wenn auch nicht ausschließlich. Jedenfalls gilt, dass nicht jeder Denkakt an das
Erleben einer wirkliche Selbstbewegung gekoppelt zu sein braucht, sondern er auch
bloß mit der Vorstellung einer solchen Bewegung einhergehen kann, wie etwa im Fall
von ›verbal imagery‹. Behauptet ist jedoch, dass sich Akte des Denkens, die nicht an
miterlebte, wirkliche Selbstbewegung gekoppelt sind, nur solchen Wesen zuschreiben
lassen, die sich bereits in Denkakten engagiert haben, die an miterlebte, wirkliche
Selbstbewegung gekoppelt sind.
175
Christian Martin
Nachdem gezeigt ist, dass ein denkendes Wesen ein sich selbst
bewegendes, innerlich und äußerlich wahrnehmendes Wesen ist,
kann untersucht werden, welche Folgerungen sich daraus für die Frage nach der Dimensionalität des Raums ziehen lassen, in dem sich ein
denkendes Wesen bewegt.
Dass von einer Betrachtung der psychischen Vollzüge eines denkenden Wesens überhaupt eine Antwort auf die kosmologische Frage
nach den Dimensionen des Raumes zu erwarten ist, lässt sich folgendermaßen begründen: Wie bereits gezeigt entsprechen psychischen
Vollzügen eines denkenden Wesens distinkte Bereiche seines Erlebens. Mit Blick auf die psychischen Vollzüge, die wir betrachtet haben, sind dies das Innere als Bereich von Vorkommnissen, die sich
innerhalb des eigenen Leibes ereignen, das Äußere als Bereich von
Vorkommnissen, die sich außerhalb des eigenen Leibes ereignen, sowie der Bereich spontaner Eigenbewegungen, der Inneres und Äußeres übergreift 17. Was ein denkendes Wesen erlebt, fällt für es gewöhnlich unmittelbar in einen dieser Bereiche – ein Krampf im eigenen
Fuß etwa in den Bereich des Inneren, ein Schritt, den ein fremder
Fuß tut, in den des Äußeren, und ein Schritt, den man selbst tut, in
den Bereich der als spontan erlebten Eigenbewegungen. Unsere Frage
ist hier nicht, wie sich die Einordnung von Erlebtem in diese Bereiche
vollzieht, sondern woraus sich die Unterscheidung zwischen ihnen
überhaupt ergibt.
Die Unterscheidung zwischen Bereichen des Erleb- oder Wahrnehmbaren verdankt sich offenbar selbst nicht der Wahrnehmung, da
ein Bereich des Wahrnehmbaren nichts von der Art dessen ist, was in
einen solchen Bereich fällt. Da die Bereiche des Wahrnehmens diskret
sind, Diskretion an logischen Inhalt und logischer Inhalt an geistige
Aktivität gekoppelt ist, können diese Bereiche für ein denkendes Lebewesen nicht einfach gegeben sein, sondern es muss sich den Unterschied zwischen ihnen erst erarbeiten, indem es gewisse Akte vollzieht, vermöge derer diese Bereiche für es zur Abhebung kommen.
Da es sich bei diesen Bereichen um Bereiche des Erlebens handelt,
Dem Erleben eigener Bewegungen entspricht somit keine eigene Form der Wahrnehmung, sondern die funktionale Kopplung von innerer und äußerer Wahrnehmung.
Meine eigenen Bewegungen sind nämlich die, die ich als innerliche Veränderungen
erlebe, die systematisch mit äußerlichen Veränderungen einhergehen. Dagegen ist
die Wahrnehmung von Vorkommnissen innerhalb meines Leibes, insofern ich mich
dabei als passiv erlebe, rein innerlich, die Wahrnehmung meiner Umgebung, insofern
das, was in ihr vorgeht, keine meiner eigenen Bewegungen ist, rein äußerlich.
17
176
Das Logische und der Raum
kann die Aktivität, in der ihre Unterscheidung gründet, kein bloßes
Denken sein. Sie muss vielmehr in spontaner, an innere und äußere
Wahrnehmung gekoppelter Selbstbewegung bestehen, vermöge derer die betreffenden Bereiche im Erleben zur Abhebung kommen.
Da ein denkendes Wesen als solches ein sich bewegendes, innerlich und äußerlich wahrnehmendes Wesen ist, gehen Selbstbewegung, innere und äußere Wahrnehmung von vornherein Hand in
Hand, doch zunächst so, dass ihnen noch keine wohlunterschiedenen
Bereiche des Erlebens entsprechen.
Da die Unterscheidung zwischen den drei Bereichen des Erlebens
nur aktiv, d. h. durch spontane Selbstbewegung geleistet werden
kann, sind dazu Spielräume der Bewegung erforderlich, innerhalb
derer sich das primär erlebte Ineinander von Selbstbewegung, Innerem und Äußerem partiell entkoppelt lässt, so dass sich ein erlebbarer
Kontrast zwischen Selbstbewegung, Innerem und Äußerem herausbildet. Damit diese drei Bereiche distinkt zur Abhebung kommen
können, sind somit drei voneinander unabhängige Bewegungsspielräume erforderlich, denn ein Spielraum für Selbstbewegungen, vermöge derer ein solcher Bereich zur Abhebung gebracht wird, kann
nicht zugleich ein Spielraum für Selbstbewegungen sein, die einen
anderen Bereich zur Abhebung bringen.
Ein Spielraum von Bewegungen im Raum, der nicht bloß ein
begrenzter Ausschnitt des Raumes und zugleich so geartet ist, dass
Bewegungen innerhalb seiner von Bewegungen außerhalb seiner
durchweg unabhängig sind, ist eine Dimension. Insofern eine Dimension einen Spielraum bildet, innerhalb dessen ein Beitrag zum erlebten Kontrast des Inneren, Äußeren und Eigenen geleistet wird, eine
solcher Kontrast aber nur durch Selbstbewegung geleistet werden
kann, muss eine Dimension ein Spielraum sein, der für zwei gegenläufige Arten der Selbstbewegung Platz lässt – und zwar so, dass die
Art der Gegenläufigkeit, die dank vollzogener Richtungsumkehr innerhalb eines solchen Spielraums manifest wird, die außerhalb dieses
Spielraums ungestörte, und daher unauffällige Kopplung zwischen
den drei Bereichen des Erlebens derart stört, dass dabei einer dieser
Bereiche als eigener Bereich erlebbar zur Abhebung kommt.
Dabei kann die Richtungsalternative innerhalb der Spielräume,
in denen das Innere bzw. Äußere als solches zur Abhebung kommt,
nur darin bestehen, dass die Reibungslosigkeit der Selbstbewegung in
einer Richtung auf eine Weise gestört ist, die an innere bzw. äußere
Wahrnehmung gekoppelt ist und so den Bereich des Inneren bzw.
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Christian Martin
Das Logische und der Raum
Äußeren als solchen hervortreten lässt. Da sowohl das Innere wie das
Äußere anlässlich einer derartigen Störung hervortreten sollen, sich
diese Störungen damit erlebbar voneinander unterscheiden müssen,
bleibt nur, dass die Selbstbewegung in einer Dimension nur lokal in
einer Richtung gestört ist (d. h. durch einen Kontrast zwischen gestörter und ungestörter Selbstbewegung charakterisiert ist), während
die Selbstbewegung in einer anderen Dimension global im Zeichen
der Störung durch Wahrnehmbares steht, wobei sich die Richtungsalternativen innerhalb dieser Dimension somit dadurch unterscheiden müssen, dass die Störung in der einen Richtung unbedingt, in
der anderen bloß bedingt ist.
Der Bereich des Erlebens, der durch Selbstbewegung innerhalb
der Dimension zur Abhebung kommt, innerhalb derer Selbstbewegung global gestört ist, ist das Innere, und die Dimension, entlang
derer Selbstbewegung entweder bedingt gestört, d. h. bloß eingeschränkt möglich, oder unbedingt gestört, d. h. unmöglich ist, ist die
Vertikale – die Achse gestörter Eigenbeweglichkeit. Die Richtungen
in der Vertikale – Unten und Oben – unterscheiden sich damit folgendermaßen: Unten ist, wohin ich mich als ganzen nicht selbst bewegen
kann; oben ist, wohin ich mich nur eingeschränkt bewegen kann 18.
Genau dadurch, dass Selbstbewegung entlang der Vertikale nur
beschränkt bzw. gar nicht möglich ist, bringt Bewegung in dieser Dimension einen distinkten Bereich des Erlebens zur Abhebung – nämlich denjenigen, in dem sich das bemerkbar macht, was die Selbstbewegung in dieser Dimension einschränkt bzw. unmöglich macht –
die Schwere. Das Erlebnis der Schwere ist freilich keine innere Wahrnehmung des eigenen Leibes als solchen, sondern des Zugs, in Gestalt
dessen sich der Angriff außerhalb des eigenen Körpers befindlicher
Masse an diesem bemerkbar macht. Der Bereich des Inneren kann
als distinkter Bereich aber überhaupt nur dadurch verlässlich zur Abhebung kommen, dass sich in innerer Wahrnehmung der Angriff von
etwas außerhalb des eigenen Körpers Befindlichem bemerkbar
macht. Denn da Eigenbewegung eine Bewegung des eigenen Leibes
und als solche nur gekoppelt an innere Wahrnehmung desselben
möglich ist, ist die innere Wahrnehmung des eigenen Leibes als solchen die Wahrnehmung von etwas, das den eigenen Bewegungen
nicht entgegensteht, sondern normalerweise reibungslos mit ihnen
mitgeht, darum aber nicht als solches auffällig wird. Das Innere des
Leibes kann daher nur dadurch als distinkter Bereich von Vorkommnissen, die keine Eigenbewegungen sind, zur Abhebung kommen, insofern sich in ihm erlebbar der Angriff von solchem manifestiert, was
außerhalb des eigenen Körpers liegt und die Möglichkeit der Selbstbewegung einschränkt 19.
Die Dimension, innerhalb derer Selbstbewegung lokal, nämlich
nur in einer Richtung gestört ist, in der anderen dagegen nicht, und
die damit die Dimension des Kontrasts von nicht durch Wahrnehmung orientierter und durch Wahrnehmung orientierter Selbstbewegung ist, – ist die Laterale. Da innere Wahrnehmung demjenigen, der
sich selbst bewegt, in keiner Dimension seiner Bewegungen abgehen
kann, muss die Laterale somit die Dimension sein, in der der Bereich
des bloß äußerlich Wahrnehmbaren als solcher auffällig wird. Hinten
ist nämlich die Richtung, in der ich mich nur ohne direkte Orientierung durch Wahrnehmung bewegen kann, Vorne dagegen die entgegengesetzte. Der Bereich äußerer Vorkommnisse ist somit der, der
als distinkter Bereich dadurch auffällig wird, dass es eine Richtung
der Selbstbewegung gibt, in der diese ohne unmittelbare Orientierung durch Wahrnehmung zu erfolgen hat – im Kontrast zu der in
allen anderen Richtungen mitlaufenden Orientierung durch solches,
was in diesen Bereich fällt.
Die Dimension, innerhalb derer Selbstbewegung in keiner Weise
systematisch durch Wahrnehmbares gestört oder von der Orientierung durch Wahrnehmung entkoppelt ist, ist die Horizontale. Genau
deshalb, weil Selbstbewegung entlang dieser Achse in keiner Weise
systematisch gestört oder beschränkt, sondern in beiden Richtungen
gleichermaßen durch innere und äußere Wahrnehmung orientiert
ist, ist die Horizontale die Dimension, in der der Bereich der Eigenbewegungen als solcher hervortritt. Da Eigenbewegung und Wahrnehmung entlang der Horizontale reibungslos gekoppelt sind, ist inner-
Nach unten kann ich mich deshalb nicht (unmittelbar) selbst bewegen, weil ich
entweder auf etwas stehe, das mich darin hindert, oder falle, wobei Fallen kein SichBewegen, sondern Bewegtwerden ist. Mittelbar kann ich mich natürlich durchaus
selbst nach unten bewegen. Doch das bedeutet nur, dass ich mich irgendwo hin bewegen kann, von wo es mich nach unten zieht, wobei die Selbstbewegung an diesen
Ort keine Bewegung nach unten ist.
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Die Existenz der Schwere wird in diesem Argument stillschweigend vorausgesetzt.
Ich habe andernorts philosophisch zu zeigen versucht, dass die Schwere notwendig
zum Realen als solchen gehört, weil es sich bei der Feldgröße, die das materielle
Raum-Zeit-System charakterisiert, nicht einfach um eine skalare Größe handeln
kann, sondern es auch durch eine vektorielle Größe charakterisiert sein muss, die in
der skalaren fundiert ist.
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Christian Martin
halb dieser Dimension keine Richtung auf eine systematisch von
Wahrnehmung abhängige Weise ausgezeichnet. In der Horizontale
ist der sich Bewegende somit hinsichtlich der Richtung, die er seinen
Bewegungen gibt, ganz auf sich gestellt, da es hier keinerlei systematische Richtungsauszeichnung gibt, wie dies in der Vertikalen für
die Richtung nach Oben, in der Lateralen für die nach Vorn der Fall
ist. Genau darum ist die Horizontale die Dimension, in der die Spontaneität der Selbstbewegung zuerst als solche erlebbar wird. Der
Richtungskontrast entlang der Horizontale hat nämlich keinen systematischen Anhalt in einem asymmetrischen Verhältnis der Selbstbewegung zur Wahrnehmung, und beinhaltet somit eine Unterscheidung, die nur willkürlich getroffen werden kann. Weil sich die
Unterscheidung zwischen Rechts und Links einer willkürlichen Richtungsauszeichnung verdankt, sind Rechts und Links diejenigen
Raumrichtungen, die sich bevorzugt verwechseln lassen.
Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass sich das Erleben
eines denkenden Wesens nur dadurch in die Bereiche innerer Vorkommnisse, äußerer Geschehnisse und eigener Bewegungen gliedern
kann, weil ein denkendes Wesen sich in drei Dimensionen bewegt, die
zusammen für die Selbstbewegungen Raum bieten, vermöge derer
die entsprechenden Bereiche als solche zur Abhebung kommen. Dass
die erlebte Unterscheidung zwischen diesen Bereichen Eigenbewegungen in drei Dimensionen voraussetzt, bedeutet natürlich nicht,
dass diese Dimensionen mit jenen Bereichen zu identifizieren wären.
(Der Bereich des Inneren weist ja überhaupt keine Dimensionen oder
Spielräume voneinander unabhängiger Bewegungen auf, während
sich Eigenbewegungen und äußere Geschehnisse gleichermaßen in
drei Dimensionen abspielen).
Da es sich bei einem denkenden Wesen, wie erwiesen, um ein
sich selbst bewegendes, innerlich und äußerlich wahrnehmendes Wesen handelt, das in seinem Erleben zwischen Eigenbewegungen, inneren und äußeren Vorkommnissen unterscheidet, diese Unterscheidung aber nur durch Selbstbewegungen in drei Dimensionen
geleistet werden kann, muss der Raum, in dem sich denkende Wesen
bewegen, mindestens dreidimensional sein 20.
Der in diesem Abschnitt entwickelte Gedankengang stellt damit eine Zurückweisung von Helmholtz’ Behauptung dar, es liege »keine logische Unmöglichkeit«
darin, sich »verstandbegabte Wesen von nur zwei Dimensionen« zu denken, »die an
Das Logische und der Raum
6.
Synopsis
Im Zuge einer logisch-philosophischen Betrachtung dessen, was zu
einem Gedanken als etwas, das wahr oder falsch ist, gehört, haben
wir nachgewiesen, dass es einen Bereich dessen geben muss, was kein
Gedanke ist, und dass es sich bei diesem um ein materielles RaumZeit-Kontinuum handelt, in dem denkende Wesen auftreten, die sich
als innerlich und äußerlich wahrnehmende in einem dreidimensionalen Raum bewegen. Dieser Gedankengang zeigt somit konkret, dass
die Logik keine metaphysisch neutrale Disziplin ist, sondern sich aus
ihr metaphysische Folgerungen gewinnen lassen. Der Unterschied
von Logik und Metaphysik wird dadurch aber nicht verwischt. Denn
der Nachweis, dass Gedanken es als solche mit sich bringen, dass es
einen auf gewisse Weise charakterisierten Bereich dessen gibt, was
kein Gedanke ist, setzt gerade einen klaren Unterschied zwischen Gedanken und solchem, was kein Gedanke ist, voraus – wenn auch, um
nachzuweisen, dass die Unterschiedenen intern zusammenhängen.
Methodologisch betrachtet lässt sich der vorliegende Beitrag damit rückblickend auch so lesen, dass er eine Auffassung des Zusammenhangs von Logik, philosophischer Kosmologie und philosophischer Psychologie erprobt, der zufolge diese ›Teildisziplinen‹ der
Philosophie nicht unabhängig voneinander, sondern in einer Art Engführung zu entwickeln sind. Für diese Auffassung des Verhältnisses
von Logik und (spezieller) Metaphysik kann an dieser Stelle nicht
mehr allgemein argumentiert werden. Immerhin mag der vorgeführte Gedankengang dazu beitragen, die Behauptung, dass sich Logik
und Metaphysik nicht unabhängig, sondern nur in einer methodisch
geregelten ›Zickzackbewegung‹ durchführen lassen, als nicht ganz abwegig erscheinen zu lassen.
Literaturverzeichnis
Aczel, P. (1988), Non-Well-Founded Sets, Stanford, CA.
Brandom, R. (2008), Between Saying and Doing: Towards an Analytic Pragmatism, Cambridge, MA.
Buchheim, T. (2015), »Die Idee des Existierenden und der Raum«, in: Kant-Studien 106, 36–66.
20
180
der Oberfläche irgend eines unserer festen Körper leben und sich bewegen« (Helmholtz [1883], 8).
181
Christian Martin
Frege, G. (41993), Logische Untersuchungen, Göttingen. [Sigle: LU]
Helmholtz, H. (41883), »Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome«, in: Vorträge und Reden. Zweiter Band, Braunschweig, 1–31.
Kimhi, I. (2013), »The Life of p«, unveröffentlichtes Manuskript.
Kant, I. (1990), Kritik der reinen Vernunft, Hamburg. [Sigle: KrV]
Koch, A. F. (2006), Versuch über Wahrheit und Zeit, Paderborn.
Schelling, F. W. J. (1861), Sämmtliche Werke. Erste Abtheilung. Zehnter Band,
Stuttgart und Augsburg. [Sigle: X]
Wittgenstein, L. (1990), Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik,
Frankfurt a. M. [Sigle: BGM]
Gibt es philosophische Existenzfragen?
David Meißner / Marco Hausmann
I.
Die Trivialisierung von Existenzfragen
Metaphysik 1 wäre eine überflüssige Disziplin, wenn sich herausstellen sollte, dass die zentralen Fragen der Metaphysik triviale Antworten haben. Und es lässt sich kaum bestreiten, dass Existenzfragen seit
jeher zu den zentralen Fragen der Metaphysik gehören. Denn in der
Metaphysik geht es zum Beispiel um die Frage, ob nur Einzelnes
existiert, oder ob nicht vielmehr doch auch Universalien existieren.
Und in der Metaphysik geht es um die Frage, ob nur Konkretes existiert (wie Atome, Stühle oder Wolkenkratzer), oder ob nicht vielmehr
doch auch Abstraktes existiert (wie Zahlen, Mengen oder Propositionen). Eine philosophische Disziplin, die sich die Beantwortung dieser
Fragen auf die Fahnen schreibt, hätte keine Daseinsbereichtigung,
wenn völlig offensichtlich wäre, wie man diese Fragen letztlich zu
beantworten hat. Metaphysik wäre also zumindest über weite Strecken überflüssig, wenn Existenzfragen eine triviale Antwort hätten.
Überraschenderweise glauben viele Philosophen, dass man zu genau diesem Schluss kommt (sodass man Metaphysik zumindest weitgehend für obsolet erklären müsste), wenn man die Hintergrundannahmen einer heutzutage weit verbreiteten Methode zur
Beantwortung von Existenzfragen konsequent zu Ende denkt. Existenzfragen haben in vielen Fällen eine triviale Antwort, so die Behauptung dieser Philosophen, wenn man sie nach dem Muster einer Methode beantwortet, die in ihren wesentlichen Zügen auf Quine
zurückgeht, die heutzutage aber (vor allem in der angelsächsisch-analytischen Philosophie) breite Zustimmung findet und die Debatte über
metaphysische Fragen maßgeblich bestimmt. 2 Ziel dieses Aufsatzes ist
Auf eine Unterscheidung zwischen Metaphysik und Ontologie beziehungsweise
metaphysischen und ontologischen Fragen wird in diesem Aufsatz verzichtet.
2
Es gibt in der Tat Philosophen, die bereit sind, die Konsequenzen, die sich aus den
1
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183