Academia.eduAcademia.edu

Das Vorfeldranking Und Das Vorfeld-Es

2009, Linguistische Berichte

Beiträge aus Forschung und Anwendung Syntax Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es Augustin Speyer Abstract Es gibt drei Arten von nicht-phorischem es, die alle drei im Vorfeld auftreten können: Das Vorfeld-es im engeren Sinne, das expletive Subjekt-es und das Korrelat-es. Unter der Theorie des Vorfeldranking sollte die Besetzung des Vorfelds durch solche Elemente praktisch unmöglich sein. Bei genauerer Betrachtung von Korpusbelegen zeigt sich, dass Sätze, die solch ein nicht-phorisches es enthalten, auch keine der bevorzugten Vorfeldfüller enthalten. Die Füllung des Vorfelds muss dann durch Formal Movement des Subjekts oder, wenn nicht einmal das möglich ist, durch Basisgeneration eines Expletivs erfolgen (Vorfeld-es). There are three kinds of non-phoric es: the topologically motivated prefield-es, the formal subject-es and the correlate es which is coindexed with a subject or object subordinate clause. All of them can stand in the ‚prefield’ of German declarative clauses. The theory of the prefield ranking should disallow the positioning of such elements in the prefield. A closer look at corpus data reveals that sentences with non-phoric es in the prefield do not contain any of the more favoured prefield-fillers. The only way to fill the prefield in such cases is by Formal Movement of the subject (es) into the prefield position, or, if even that fails, by basegeneration of an expletive in the prefield, namely the prefield-es. 1 Einleitung Der unmarkierte deutsche Aussagesatz ist ein Verbzweitsatz, d.h. vor dem Verb (bzw. streng genommen dem flektierten Teil der Verbform) muss genau eine Konstituente stehen. Dieser Beschränkung kann manchmal nur unter Zuhilfenahme von expletiven Elementen entsprochen werden. Das expletive Element der Wahl im heutigen Deutsch ist das Wörtchen es, das sich dadurch auszeichnet, dass es vom semantischen Gehalt her ausgesprochen unbestimmt ist – es ist ein Pronomen, hat damit keinen festgelegten Referenten; es ist ein Pronomen der dritten Person, legt sich somit nicht auf einen Aktanten fest; es ist neutral, ist daher von der Referenz weniger eingeschränkt als maskuline oder feminine Linguistische Berichte 181/2000 © Helmut Buske Verlag, Hamburg 6 Augustin Speyer Pronomina. Da es maximal unbestimmt ist, eignet es sich auch am ehesten für ein expletives Element, also ein Element, dessen Anwesenheit durch grammatische Bedingungen gefordert ist, das aber selbst in keiner Weise zur Bedeutung des Satzes beiträgt – weder wahrheitswertemäßig noch pragmatisch. Die Frage, die sich uns in diesem Zusammenhang in erster Linie stellt, ist, ob der Befund der verschiedenen Arten von vorfeldfähigem es, wie z.B. des Vorfeld-es, in das bereits an anderer Stelle (z.B. Speyer 2008a) eingeführte Modell des Vorfeldrankings passen. Dies soll die Leitfrage dieser Untersuchung sein, das Modell wird hierbei vorausgesetzt. In Abschnitt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. werde ich die relevanten Arten von es kurz vorstellen, versuchen, den Befund in einer generativen Sichtweise zu erklären (Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.) und einen kurzen Überblick über das verwendete Modell des Vorfeldranking zu geben (Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.). Es wird sich herausstellen, dass jede Art von vorfeldfähigem es – mit Ausnahme des pronominalen es, auf das hier nicht näher eingegangen werden soll – auf ihre Art einen Anspruch an das Modell des Vorfeldranking stellt, dem es zu begegnen gilt. Ich werde die einzelnen Arten der Reihe nach durchgehen, beginnend mit dem Vorfeld-es im eigentlichen Sinn (3.1), weitergehend über das expletive Subjekt-es (3.2) bis hin zum Korrelat-es (3.3). Dabei wird sich herausstellen, dass keine dieser Erscheinungen ein Problem für die Theorie des Vorfeldranking darstellt, sondern das Modell eher bestätigen. 2 Darstellung der Fakten und Modelle 2.1 Vorstellung der relevanten Arten von vorfeldfähigem es Beginnen wir mit einer Vorstellung der Arten von vorfeldfähigem es. Das sogenannte Vorfeld-es, wie in (1a), ist ein klassisches Beispiel für ein Expletivum.1 Es füllt keine Valenzstelle des Verbs aus, seine Präsenz ist somit nicht durch die verbale Syntax gefordert. Es trägt keine thematische Rolle und leistet auch sonst keinen semantischen Beitrag. Der einzige Grund, warum es überhaupt da steht, ist offenbar, dass irgendetwas gebraucht wird, um das Vorfeld zu füllen, damit ein kanonischer Verbzweitsatz entsteht. Dass dieser Eindruck zutrifft, lässt sich daran sehen, dass dieses es nicht stehen kann, wenn der Satz zu einem Verberst(1b, c) oder Verbletztsatz (1d, e) umgeformt wird (s. auch Pütz 1986). 1 Dieser Einleitungsabschnitt dient hauptsächlich dazu, dem Leser die weithin bekannten Tatsachen in kompakter Form vor Augen zu führen. Vgl. dazu z.B. Pütz 1986; Zifonun 1995; WöllsteinLeisten et al. 1997; Pittner & Berman 2004. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es (1) a. b. c. e. f. 7 Es folgten mit weitem Abstand Uller und Karl Zaible. *Folgten es mit weitem Abstand Uller und Karl Zaible? Folgten mit weitem Abstand Uller und Karl Zaible? *Ich sah, dass es mit weitem Abstand Uller und Karl Zaible folgten. Ich sah, dass mit weitem Abstand Uller und Karl Zaible folgten. Wiewohl dieses Vorfeld-es dasjenige es ist, das die höchste Affinität zum Vorfeld aufweist, gibt es weitere Typen von es, die eine gewisse Affinität zum Vorfeld aufzuweisen scheinen oder auch einfach nur im Vorfeld stehen können. Das sind das expletive Subjekt-es, das Korrelat-es und das normal referierende pronominale es.2 Das expletive Subjekt-es nimmt in Sätzen, denen ein logisches Subjekt fehlt, die Stelle des Subjekts ein.3 Meist sind diese Sätze von Verben regiert, die lexikalisch kein Subjekt zuweisen, wie es kommt zu, es gibt, es handelt sich um (2). (2) a. b. c. Es kommt zu massenhaften Protesten Es gibt eine Menge zu trinken. Es handelt sich um Ullers Verhältnis zu Rathkolb. Dieses es hat mit dem Vorfeld-es zunächst nichts zu tun, was man daran sieht, dass es auch in Sätzen obligatorisch ist, die keine Verbzweitsätze sind. Das wird z.B. deutlich, wenn man Sätze wie die in (2a, b) entsprechend umwandelt (3). 2 Die Terminologie ist nicht einheitlich, darum benutze ich in diesem Aufsatz meine eigene Terminologie, die an Pittner & Berman (2004) orientiert ist (mit dem Unterschied, dass Pittner & Bermans ‚expletives es’ bzw. ‚Personalpronomen-es’ hier als ‚expletives Subjekt-es’ bzw. ‚pronominales es’ bezeichnet werden). Es ist darauf hinzuweisen, dass bei anderen Autoren, z.B. Wöllstein et al. (1997), Zifonun (1995), Askedal (1993), Buscha (1988), Engel (1988), Pütz (1986) die Terminologie zum Teil stark abweicht. Ferner ist hierzu noch zu sagen, dass das expletive es nicht nur die Subjektstelle, sondern auch die Objektstelle ersetzen kann; letzterer Fall wird aber hier nicht berücksichtigt, da dieses lexikalische expletive Objekt-es (i.a, b, e-g), ähnlich wie das lexikalische Reflexivum (i.c, d, e-g), keinen Satzgliedstatus hat bzw. ein Klitikum ist und somit nicht vorfeldfähig ist (Zum Objekt-es im Vorfeld generell vgl. Frey 2006b; Meinunger 2007). (i) a. b. c. d. e. f. g. Karl hat es eilig. *Es hat Karl eilig. Der Inspektor wundert sich über nichts. *Sich wundert der Inspektor über nichts. Uller hat es sich heute mal wieder voll gegeben. *Es hat Uller sich heute mal wieder voll gegeben. *Sich hat Uller es heute mal wieder voll gegeben. 3 Back (1995) sieht hier eine ‚diffuse DEIXIS auf eine konkrete Situation’ (1995:166; Hervorhebung im Original) und somit zumindest eine Art Thema/Topik, was er mit Subjekt mehr oder minder gleichsetzt. Ich trenne, im Gegensatz zu ihm, zwischen Thema und Subjekt, weswegen ich seiner Ansicht nicht folge und die Sätze als grundsätzlich subjektlos ansehe. 8 (3) Augustin Speyer a. b. c. d. Kommt es zu massenhaften Protesten? *Kommt zu massenhaften Protesten? Karl wusste, dass es eine Menge zu trinken gibt. *Karl wusste, dass eine Menge zu trinken gibt. Das ist auch nicht anders zu erwarten, da das expletive Subjekt-es tatsächlich eine strukturell notwendige Stelle besetzt, nämlich die Subjektstelle, wohingegen wir es beim Vorfeld-es mit valenzmäßig vollständigen Aussagen zu tun haben, zu denen das es nur deshalb tritt, damit etwas im Vorfeld steht und somit ein kanonischer Verbzweit-Deklarativsatz entsteht. Das expletive Subjekt-es kann zwar im Vorfeld stehen, ist aber im Gegensatz zum Vorfeld-es nicht auf das Vorfeld abonniert. Das sieht man an den Verberstbzw. Verbletztsätzen (3a, c), aber auch an den Sätzen in (4), die Umbildungen der Sätze in (2) sind, aber den Satzmodus Verbzweit-Deklarativsatz bewahren. Es wird Gegenstand der Untersuchung sein (Abschnitt 3.2), ob das expletive Subjekt-es häufiger im Vorfeld auftritt, als man es für ein Subjekt erwarten könnte, oder nicht. (4) a. b. c. Nach der Kundgebung kommt es zu massenhaften Protesten Zu trinken gibt es eine Menge. Hier handelt es sich um Ullers Verhältnis zu Rathkolb. Das Korrelat-es ist dasjenige es, das koindiziert mit einem Nebensatz oder einem satzwertigen Ausdruck ist, der im Nachfeld steht.4 Der Nebensatz bzw. satzwertige Ausdruck nimmt die Funktion des Subjekts oder des Objekts im Obersatz ein (5). (5) a. b. Es ist nicht zu leugnen, dass Uller sich mit der Sache übernommen hat. Es macht riesig Spaß, Kajak zu fahren. Das dritte der betrachteten vorfeldfreundlichen es, das Korrelat-es, ist ebenfalls nicht auf das Vorfeld gebucht, sondern kann genauso gut im Mittelfeld auftauchen (6a, c), obwohl der – noch zu überprüfende – Eindruck besteht, dass es überdurchschnittlich häufig im Vorfeld steht. Es ist überdies nicht obligatorisch, sondern kann ausfallen, wenn etwas anderes im Vorfeld steht (6b), obwohl dies nur eingeschränkt gilt, wenn das Korrelat kein vollständiger Satz ist (6d). Dieser Zug rückt das Korrelat-es in gewisser Weise in die Nähe des Vorfeld-es, da es nur im Vorfeld obligatorisch ist. Das Korrelat-es fällt natürlich aus, wenn der Nebensatz oder die satzwertige Konstruktion selbst im Vorfeld steht (6e-h). Wir dürfen annehmen, dass das Korrelat-es erst bei der Nachfeldbewegung des Ne- 4 Entspricht Askedals Typ 8 (1993: 21); das nahe verwandte Korrelat zu einem adverbialen Nebensatz (Askedals Typ 7) ist im Gegensatz zum hier beschriebenen Korrelat-es obligatorisch (Askedal 1993:21) Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 9 bensatzes bzw. der satzwertigen Konstruktion als eine Art sichtbare Spur erzeugt wird (s Abschnitt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.). (6) a. b. c. d. e. f. g. h. Bei Lichte betrachtet ist es nicht zu leugnen, dass Uller sich mit der Sache übernommen hat. Bei Lichte betrachtet ist nicht zu leugnen, dass Uller sich mit der Sache übernommen hat. Karl macht es riesig Spaß, Kajak zu fahren. *Karl macht riesig Spaß, Kajak zu fahren Dass Uller sich mit der Sache übernommen hat, ist nicht zu leugnen. *Dass Uller sich mit der Sache übernommen hat, ist es nicht zu leugnen. Kajak zu fahren macht Karl riesig Spaß. *Kajak zu fahren macht es Karl riesig Spaß. Schließlich kann es auch ein ganz normales Personalpronomen sein, das auf einen neutralen Referenten referiert (7). Dieses es kann genau so gut im Vorfeld stehen wie andere Personalpronomina, z.B. er oder sie. (7) a. b. Sie werden mein Haus ganz einfach finden. Es ist das letzte an der Straße. Zonderdahls Kind schreit wie am Spieß. Es ist wohl hungrig. Nachdem wir die vier wichtigsten Arten von es, die im Vorfeld stehen können, Revue passieren lassen haben, will ich kurz auf die strukturelle Analyse dieser Typen sowie auf das hier verwendete Modell für die Vorfeldfüllung eingehen. 2.2 Die verschiedenen Formen von es in der generativen Sprachtheorie Das referierende es bildet kein Problem für die generative Sprachtheorie; es ist im Prinzip eine NP wie alle anderen auch und verhält sich auch so.5 Interessanter wird es bei den nicht-phorischen Verwendungen von es, also den Verwendungen, wo durch es kein direkter referentieller ana- oder kataphorischer Bezug zu einer NP im Diskurs hergestellt wird.6 Eine Analyse wurde von Tomaselli (1986) vorgebracht; an diese halte ich mich im Wesentlichen, zumindest, was das expletive Subjekt-es und das Vorfeld-es anbelangt. 5 Der einzige Unterschied, den es zu allen anderen NPs aufweist, ist, dass es nicht im Vorfeld stehen kann, wenn es Objekt ist. Diese Eigenschaft ist aber höchstwahrscheinlich nicht strukturell, sondern prosodisch bedingt (cf. Meinunger 2007, wo auch gezeigt wird, dass dieser Bann nicht kategorisch ist). 6 Das Korrelat-es wird hier in diese Gruppe gezählt, obwohl es kataphorisch auf eine Proposition hinweist. 10 Augustin Speyer Das Vorfeld-es ist in SpecCP, also dem Vorfeld, basisgeneriert (Tomaselli 1986; Cardinaletti 1990). Diese Position ist außerhalb der Rektionsdomäne des Verbs. Da das Vorfeld-es keine Theta-Rolle vom Verb zugewiesen bekommt, ist das nicht problematisch. Ein Problem könnte sein, wie die Kasuszuweisung funktioniert. In diesem Zusammenhang ist aber zu fragen: Was für einen Kasus hat dieses Element eigentlich? Da es nicht referiert, können wir es nicht erfragen; da es nicht valenzmäßig gefordert ist, können wir daraus auch keine Schlüsse ziehen. Das einzige, was als Diagnostikum bleibt, ist die Form: es kann Nominativ oder Akkusativ sein. Es ist vermutlich Nominativ, da wir ja festgestellt haben, dass akkusativisches es das Vorfeld meidet.7 Nun stehen bekanntlich andere NPs, die an Positionen auftreten, wo sie keinen Kasus zugewiesen bekommen können, ebenfalls im Nominativ, z.B. in Hanging-Topic-/Freies-Thema-Konstruktionen (8). (8) Der alte Ulleri, ich würde demi nicht über den Weg trauen. Die Nominativzuweisung erfolgt hier also mittels einer Default-Regel (vgl. z.B. McFadden 2007), etwa des Gehalts: ‚Weise allen NPs, die auf S-structure bzw. an der Bifurkation zu PF und LF noch keinen Kasus haben, Nominativ zu’. Diese Regel wäre eine Reparaturregel in Sprachen mit reicher Flexionsmorphologie wie dem Deutschen, in denen ein Satz nur wohlgeformt ist, wenn alle NPs Kasus tragen. Warum sollte nun diese Regel jedoch auf Freie Themen beschränkt sein und nicht stattdessen für alle Fälle gelten, in denen einer NP kein Kasus zugewiesen werden kann? Das Vorfeld-es ist das einzige Element, das im Vorfeld basisgeneriert wird; alle anderen Vorfeldfüller geraten durch Bewegung aus der Rektionsdomäne des Verbs ins Vorfeld. Das Vorfeld-es ist darum fast das einzige Vorfeldelement, für das diese Default-Regel gilt.8 Anders sieht es beim expletiven Subjekt-es aus. Dieses ersetzt ganz klar die Subjektstelle bei Verben, die lexikalisch keine Subjektstelle zuweisen (vgl. Cardinaletti 1990). Wir dürfen also annehmen, dass es in SpecIP basisgeneriert wird.9 Ferner dürfen wir annehmen, dass es genau dann basisgeneriert wird, 7 Budde (1996:55) sieht das Element als kasuslos an. Kasus als morphologische Kategorie muss im Deutschen als flektierender Sprache jedoch markiert werden, selbst wenn die Syntax keinen Kasus zuweisen kann. 8 Es gibt eine eventuelle Ausnahme, die in gewisser Weise parallel zum Vorfeld-es in Deklarativsätzen ist, nämlich das was in Ausrufesätzen, z.B. ‚Was kommt der Uller auch immer so spät heim!’ Vgl. Budde (1996). 9 Das gilt natürlich nur, wenn wir ein Modell des deutschen Satzes mit IP und CP benutzen, z.B. Suchsland 1988; Sabel 2000. Dass die unabhängige Evidenz für eine unabhängige IP bestenfalls spärlich ist, und deshalb in vielen Modellen (z.B. Haider 1993, Sternefeld 2006) vom Fehlen einer unabhängigen IP ausgegangen wird, ist mir bewusst. Ich bleibe aber, einerseits aus Gründen der Übersichtlichkeit, andererseits, da ich der Auffassung folge, dass in flektierenden Sprachen die für die Flexion relevanten Merkmale irgendwie in funktionalen Projektionen, die oberhalb vP liegen, berücksichtigt werden müssen, beim ‚Standardmodell’ mit IP. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 11 wenn keine passende Phrase aus der vP nach oben bewegt wird, z.B., weil keine Phrase in SpecvP steht, der Position, wo valenzmäßig geforderte Subjekte basisgeneriert werden. Dies ist parallel zum Vorfeld-es: Auch hier tritt die Basisgeneration von es nur dann ein, wenn SpecCP nicht durch Bewegung gefüllt werden kann. Ist dies nun ein Verstoß gegen das Prinzip, dass Bewegung nur als letzter Ausweg möglich ist, wenn es sonst keine Möglichkeit gibt, Merkmale an einem Element (dem, das bewegt wird) zu sättigen? Wohl nicht. Wir dürfen annehmen, dass SpecCP und SpecIP Merkmale enthalten, die mit Merkmalen an bestimmten Phrasen in der vP korrespondieren, und darum die Bewegung ausgelöst wird.10 Was passiert aber, wenn kein Element in der vP Merkmale trägt, die den Merkmalen in SpecCP oder SpecIP entsprechen? Die Ableitung müsste ‚zusammenbrechen’ (‚crashen’), da ungesättigte Merkmale vorhanden ist. Unter diesen, und nur unter diesen, Umständen ist es erlaubt, sekundär lexikalisches Material einzusetzen, das als Träger der geforderten Merkmale fungiert. Unter dieser Sicht ist es notwendig, dass Vorfeldbesetzung im Wesentlichen ebenfalls eine Frage merkmalgetriebener Bewegung ist. Der deskriptive Befund, dass nur Phrasen mit bestimmten informationsstrukturellen Eigenschaften (denn diese sollten nach Rizzi 1997 in der C-Architektur eine Rolle spielen) ins Vorfeld bewegt werden können, ist mit dieser Forderung verträglich; die u.a. in Speyer (2008a) identifizierten ‚Constraints’ (s. Abschnitt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.) sind als auf solche Merkmale bezogen zu betrachten. Warum ist das lexikalische Element, das ‚Träger’ der Merkmale ist, gerade das Wörtchen es? Für das expletive Subjekt-es ist das einfacher zu beantworten: Es sollte eine NP sein, da dies die unmarkierte Füllung von SpecIP ist. Es stellt sicher die am wenigsten markierte NP dar, vom Genus [-maskulin, -feminin] und vom Numerus [- Plural] her, es hat ferner als grundsätzlich phorisches Element keine lexikalische Extension, kann, im Gegensatz zu vom natürlichen Geschlecht her festgelegten er und sie, freier gebraucht werden, und hat nicht einmal deiktische Kraft (wie das). Der Gebrauch von es als ‚Strohmann’ für fehlendes Subjekt hat sicherlich analogisierend auf den Gebrauch von es als ‚Strohmann’ für fehlendes Vorfeld gewirkt (wo es ja in frühneuhochdeutscher Zeit in Konkurrenz mit da war). Etwas anders stellt sich der Fall beim Korrelat-es dar. Es ist immer koindiziert mit einem ins Nachfeld bewegten satzwertigen Element. Da im Nachfeld stehende Elemente sich grundsätzlich außerhalb der Rektionsdomäne des Verbs befinden, treten häufig Korrelate innerhalb der Rektionsdomäne auf (9). 10 Das ist wohl relativ unkontrovers für das Subjekt, das nach SpecIP bewegt wird; hier sind es v.a. Agreement-Merkmale mit dem Verb, das ebenfalls Bewegung nach I° unterworfen ist und das diese nur in einer Kopf-Spezifikatoren-Beziehung sättigen kann. Im Falle von SpecCP handelt es sich eher um Satzmodusmerkmale; vgl. z.B. Brandt et al. 1992. 12 Augustin Speyer (9) Ich habe ihni gesehen, [den alten Fuchs] i. Das Vorhandensein eines Korrelates ist also nicht problematisch. Fraglich ist nur die Analyse, die solchen Korrelaten zukommt. Ein Vorschlag,11 der jedoch der weiteren Ausarbeitung bedarf, ist, dass es sich um ‚sichtbare Spuren’ (overt traces) handelt: Wenn ein Element aus der Rektionsdomäne herausbewegt wird, wird, um die Rekonstruktion zu erleichtern, ein anaphorisches Element als Adjunkt an die zu bewegende Phrase hinzugefügt; dieses Adjunkt bleibt in situ (10a-c, verschiedene Schritte der Derivation. Zur Adjunktion der rechtsbewegten Phrase an IP vgl. Cardinaletti 1990:152).12 (10) 11 a. CP wo NP C’ wo Ich2 C IP sehe1 wo NP I’ wo t2 VP I wo t1 NP V’ wo t2 NP V den alten Fuchs t1 Zu anderen Analysen siehe z.B. Tomaselli (1986); Cardinaletti (1990). Ein Problem bei dieser Analyse ist, dass die NP und die mit ihr koindizierte ‚sichtbare Spur’ zumindest bei der Basisgenerierung der letzteren sich in derselben Bindungsdomäne befinden, wenn man die beide umfassende NP als solche ansieht, und somit die Realisierung der Spur als Pronomen Prinzip B zuwiderzulaufen scheint. Es ist aber erstens zu überlegen, ob diese beide NPs umfassende NP überhaupt als normale Bindungsdomäne gelten kann (der Kopf der Ursprungs-NP hätte z.B. keinen Einfluss mehr auf die adjungierte Spur, da eine maximale Projektion interveniert; eine solche Struktur ist also mit einer ‚normalen’ Bindungsdomäne, die einen Kopf hat und die maximale Projektion dieses Kopfes darstellt, nicht unbedingt zu vergleichen), zweitens ist zumindest nach der Bewegung die Konfiguration konform mit Prinzip B. Dies ist zweifellos ein Problem, das bei einer weiteren grundsätzlichen Ausarbeitung der Analyse mit sichtbaren Spuren näher untersucht werden muss. 12 Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 13 b. CP wo NP C’ wo Ich2 C IP sehe1 wo NP I’ wo t2 VP I wo t1 NP V’ wo t2 NP V wo t1 NP NP ihni den alten Fuchsi c. CP NP Ich2 C’ C sehe1 IP IP NP t2 NP den alten Fuchsi, 3 I’ VP NP t2 I t1 V’ NP NP t3 V t1 NP ihni 14 Augustin Speyer Zu klären sind dann noch die Bedingungen, unter denen eine ‚sichtbare Spur’ erzeugt wird.13 Der Unterschied zur ‚normalen’ Rechtsbewegung unter Hinterlassung einer sichtbaren Spur wäre der, dass die sichtbare Spur nicht in situ bleibt, sondern ins Vorfeld gelangt. Wenn der Gliedsatz das Subjekt des Satzes ist, ist es vergleichsweise unproblematisch, da das Korrelat nach Bewegung des Gliedsatzes ins Nachfeld das am weitesten links stehende Element im Mittelfeld ist und so durch Formal Movement ins Vorfeld gelangen kann, ganz wie das expletive Subjekt-es (zu Formal Movement cf. Frey 2004, 2006a, 2006b). Problematisch wird es bei den Fällen, in denen der Gliedsatz als Objekt fungiert. Eine Möglichkeit wäre, dass in diesen Fällen das es in die Wackernagelposition bewegt wird, also an den linken Rand der Scramblingdomäne, und dann durch Formal Movement ins Vorfeld gelangt (cf. Frey 2006b: 178ff.). Das Korrelat-es wird in diesem Fall behandelt wie jedes andere Objektpronomen. Man beachte, dass das Korrelat-es nicht obligatorisch im Vorfeld stehen muss; gerade andere Wackernagelelemente, deren Position links davon anzusetzen ist (z.B. ‚man’ (11a) oder pronominale, nicht klitische Subjekte (11c; cf. Frey 2006b:182), wenn der Gliedsatz und sein Korrelat Objekt ist) werden bei der Vorfeldbewegung stark bevorzugt, bis hin zur Ungrammatikalität der Vorfeldbewegung des Objekt-Korrelat-es (11b, d). Dies spricht dafür, dass Vorfeldbesetzung hier Formal Movement ist und die Subjektpronomen innerhalb der Wackernagelposition eben weiter links stehen als das bewegte Korrelat-es. Grundsätzlich ist das Korrelat-es in Objektfunktion im Vorfeld möglich (11e), so dass die in (11a-d) demonstrierten Beschränkungen nicht mit einer grundsätzlichen Unmöglichkeit der Vorfeldbewegung eines Objekt-Korrelat-es zusammenhängen kann. (11) a. b. c. d. e. 2.3 Man sollte es kaum glauben, dass schon wieder ein Monat herum ist. *Es sollte man kaum glauben, dass schon wieder ein Monat herum ist. Er hat es ihr wirklich nicht abgenommen, dass sie den Zug verpasst hatte. *Es hat er ihr wirklich nicht abgenommen, dass sie den Zug verpasst hatte. Es kann niemand bestreiten, dass der Vorschlag viele Probleme löst. Das Modell des Vorfeldrankings Im Folgenden möchte ich noch kurz die relevanten Teile der Theorie des Vorfeld-Ranking in Erinnerung rufen (s. Speyer 2007, 2008a, 2008c), deren Gültig- 13 Zu einer deskriptiven Diskussion s. Paranhos Zitterbart 2002. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 15 keit ja durch die Konfrontation mit den Verwendungsweisen von es im Vorfeld überprüft werden soll. Dieses Modell ist an der stochastischen Optimalitätstheorie angelehnt (Prince & Smolensky 1993; Boersma & Hayes 2001). Die Optimalitätstheorie wird seit einiger Zeit fruchtbar für syntaktische Probleme eingesetzt (z.B. Müller 1999), namentlich in Bereichen, in denen sich beobachten lässt, dass keine klaren Grammatikalitätsurteile gefällt, sondern nur Tendenzen ausgemacht werden können, was häufiger vorkommt, was ‚besser klingt’, etc. Auf das Deutsche bezogen, gehört z.B. die Frage der Vorfeldbesetzung dazu. Wir können nicht sagen: ‚Ein Satz, der ein rahmenbildendes Element enthält, ist grammatisch, wenn das rahmenbildende Element im Vorfeld steht und ungrammatisch, wenn das nicht der Fall ist’. Wir können höchstens sagen: ‚Wenn ein rahmenbildendes Element im Satz vorhanden ist, steht es meistens im Vorfeld’, und sogar: ‚Ein Satz mit einem rahmenbildenden Element klingt besser, wenn das rahmenbildende Element im Vorfeld ist, und weniger gut, wenn etwas anderes im Vorfeld ist’. Das Modell geht davon aus, dass es vier Constraints gibt,14 die die Vorfeldbesetzung regeln (für genauere Definitionen s. Speyer 2008a): 1-VF: Nur eine Konstituente steht im Vorfeld. SCENESETTING-VF: Rahmenbildende Elemente stehen im Vorfeld. POSET-VF: Elemente in einem gegebenen Kontext, die mit anderen Elementen im Diskurses eine natürliche Menge bilden, wobei die anderen Elemente im gegebenen Kontext eine Alternativenmenge zu dem tatsächlich realisierten Element bilden, stehen im Vorfeld (‚Listenelemente’). TOPIC-VF: Das Element, um das es im Satz geht (aboutness-topic) steht im Vorfeld. Zumindest die drei letztgenannten Constraints können potentiell in Widerstreit zueinander treten, da es Fälle gibt, in denen in einem Satz z.B. sowohl ein rahmenbildendes Element als auch ein Topik steht. Etwas allgemeiner ausgedrückt: Es gibt Sätze, die mehr als ein Element enthalten, auf das die inhaltlich definierten Vorfeldconstraints zutreffen. In diesem Fall kommt die Tatsache zur Geltung, dass Constraints in der Optimalitätstheorie grundsätzlich eine Rangfolge haben (‚ranking’), die in Speyer (2007, 2008a, 2008c) wie folgt ermittelt werden konnte: 1-VF >> SceneSetting-VF >> Poset-VF >> Topic-VF Das bedeutet, dass ein rahmenbildendes Element, wenn es in einem Satz vorkommt, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Vorfeld steht, während z.B. ein Topik nur dann im Vorfeld steht, wenn es keine Listenelemente oder Rahmenbildner im Satz gibt, die ihm diese Stellung streitig machen könnten. Beispiele, 14 Im schriftlichen und monologischen Diskurs zumindest; im mündlichen und/oder dialogischen Diskurs gibt es mehr Constraints (s. Speyer im Ersch.) 16 Augustin Speyer wo das Topik (fett gedruckt) z.B. von einem Listenelement (kursiv gedruckt)‚ausgestochen’ wurde, finden sich in (12). Man beachte, dass grammatische Eigenschaften wie Subjekthaftigkeit keine Rolle spielen, was an diesem Beispiel schöner zu sehen ist als an dem Beispiel für Listenelemente, das in Speyer (2008a) benutzt wurde; wenn Subjekte im Vorfeld sind, dann nur, weil sie eine der Eigenschaften haben, die sie für Vorfeldbesetzung zugänglich machen (contra Bach 1962, Zwart 1997). (12) Dem SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder hielt Waigel vor, er werde sich nach der Bundestagswahl in geheimer Abstimmung mit den Stimmen der PDS wählen lassen. Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker warf Waigel eine "nicht hinnehmbare Verharmlosung" der SED-Nachfolgepartei vor. (bmp 17.5.1998, S.5 ‚Waigel bezeichnet die PDS als kriminelle Vereinigung’) Ein entscheidender Grundzug der Optimalitätstheorie ist, dass die ‚Constraints’ nicht starre Regeln sind, sondern grundsätzlich verletzbar. Der optimale Kandidat ist nicht der Kandidat, der alle Regeln/Constraints erfüllt, sondern derjenige, der am wenigsten Constraints verletzt. Die stochastische Optimalitätstheorie geht noch einen Schritt weiter. Bei ihr ist das Ranking der Constraints nicht starr. Sie lässt vielmehr Situationen zu, in der ein ‚paradoxes Ranking’ auftritt, also in denen suboptimale Kandidaten gewählt werden (für Details s. Boersma & Hayes 2001). Es liegt auf der Hand, dass dieses Modell hervorragend geeignet ist zur Beschreibung von Tendenzen, die zwar stark, aber nicht so stark sind, dass sie als Regeln gelten könnten – wie es ja bei der Vorfeldbesetzung der Fall ist. Diese Aussagen sind relativ stark. Expletive Elemente oder die anderen Formen von es, die hier diskutiert werden, sollten nach dieser Theorie gar nicht vorkommen. Tatsächlich wird sich zeigen, dass jede Verwendung von es auf ihre spezifische Weise der Theorie nicht nur nicht zuwiderläuft, sondern sie sogar unterstützt. Das soll im Folgenden demonstriert werden. 3 Die verschiedenen Arten von es und das Vorfeldranking 3.1 Vorfeld-es im engeren Sinne Beginnen wir mit dem Kandidaten, dessen Affinität für das Vorfeld am auffälligsten ist, dem Vorfeld-es. Nach der Theorie des Vorfeldrankings sollte ein voll expletives Element wie es im Vorfeld nur möglich sein, wenn es überhaupt keine vorfeldfähigen Kandidaten im Satz gibt, also kein rahmenbildendes Element, kein Listenelement und kein Topik. Nur, wenn es nichts gibt, das ins Vorfeld drängt, müsste man zur Einfügung eines Expletivums greifen dürfen, das wir ja Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 17 als eine Art ‚last resort’, also letzten Ausweg, begreifen können: Die Hinzufügung lexikalischen Materials, das noch dazu keine semantische Rolle innehat, sollte als ‚kostspielig’ gelten und dementsprechend nur so selten wie möglich zur Anwendung kommen (vgl. Budde 1996). Betrachten wir also einmal Beispiele für Sätze mit Vorfeld-es, um diese Erwartung zu überprüfen. Es wurden 190 Sätze aus dem COSMAS-Archiv herangezogen, und zwar aus den Corpora ‚Berliner Morgenpost’, ‚Nürnberger Zeitung’, ‚Mannheimer Morgen’ und ‚biographische Literatur’. Die Sätze zeichneten sich samt und sonders dadurch aus, dass sie – außer dem Vorfeld-es, das durch seine Stellung im Vorfeld als Konstituente gelten muss, wenn es auch keine semantische Rolle einnimmt – verhältnismäßig wenige Konstituenten aufwiesen, oftmals nur das Subjekt, mitunter noch eine adverbiale Angabe. Die genauen Zahlen finden sich unter Tabelle 1; nichtphrasale Elemente (lexikalische Reflexivpronomen, Modalpartikel) wurden nicht einbezogen. Diese niedrige Komplexität wird dadurch ermöglicht, dass die Verben in den Sätzen entweder intransitiv (13a), lexikalisch reflexiv (13b) oder im Passiv (13c) standen, also in so gut wie keinem Fall eine Objektkonstituente vorgesehen war.15 (13) a. b. c. Es folgten Prozesse um die Vorherrschaft an der Schaperstraße und als "Rahmenprogramm" eine öffentliche Schlammschlacht der plötzlich gar nicht mehr befreundeten Musical-Macher. (bmp 19.10.1997, S. 8, ‚Nachspiel im Gerichtssaal’) Es regte sich kein Beifall unter den Umstehenden (bmp, 19.10.1997, S. 18,‚Zur Götterdämmerung kam der Bagger’) Es werden immer weniger 08/15-Artikel verschenkt (bmp, 19.10.1997, S.40 ‚Werbegeschenke’) Tabelle 1: Komplexität von Sätzen mit Vorfeld-es Anzahl Anteil (%) Nur Subjekt 144 76 Subjekt + 1 Konstituente 41 22 Subjekt + >1 Konst. 5 3 Betrachten wir die Sätze nach den Kriterien des Vorfeldrankings, so fällt auf, dass in der Tat ausgesprochen wenige Sätze einen Rahmenbildner oder ein Listenelement aufweisen (Tabelle 2). Wenn Listenelemente vorhanden sind, wird in der Regel die ganze Liste als koordinierte Konstituente im Satz selber gebracht (14); dass es sich jedoch hier nicht um ein Listenelement im üblichen Sinn handelt, ist klar. Die Zahlen unter Abzug dieser Fälle sind in Klammern in der entsprechenden Spalte von Tabelle 2 notiert; die Prozentzahl in Klammer ist unter Abzug der Fälle vom Gesamtbestand, also mit N = 170, errechnet. 15 So auch Budde 1996. Nur ein Satz hatte das bitransitive Verb ‚geben’. 18 (14) Augustin Speyer (Nichts erinnert an dem Ort zwischen Friedrichshain und Kreuzberg, der Mitte des künftigen gemeinsamen Bezirks, an den Charme der griechischen Hauptstadt.) Es dominieren Industriebetriebe, verfallene Gebäude, Schutthalden, Sandberge. (bmp 19.5.1998, S.11, ‚Von SpreeAthen noch weit entfernt’) Tabelle 2: Vorfeldfreundliche Elemente in Sätzen mit Vorfeld-es ja nein Anteil Sätze ohne vorfeldfreundl. Elemente (%) Satz enthält: Rahmenbildner 8 182 96 Listenelement 31 (11) 159 84 (94) Topik 4 186 98 Mit der dritten Kategorie, Topik, ist es nun etwas schwieriger. In gewisser Weise könnte man ja sagen, ein Satz wie z.B. (13c) handelt von ‚08/15-Artikeln’. Folglich hätte dieser Satz ein Topik, und man müsste erklären, warum dieses Topik nicht im Vorfeld steht. Ein Satz wie ‚08/15 Geschenke werden immer weniger verschenkt’ wäre an sich ja durchaus akzeptabel, auch stilistisch gesehen.16 Wenn man sich die Subjekte dieser Sätze (denn aufgrund der geringen Komplexität kommen nur sie als Topiks in Frage) anschaut, lassen sich für alle Beispiele im Korpus folgende Gemeinsamkeiten feststellen: – Die Subjekte stellen diskurs-neue Information dar – Im weiteren Verlauf des Diskurses ist dieses Subjekt nicht das Thema, ja, ist oft überhaupt nicht präsent. Wir müssen uns nun fragen, was zu einem Topik im Sinne des Vorfeldrankings gehört. Was in den Aufsätzen Speyer (2007, 2008a) als Topik zugrundegelegt wurde, war ja ein Topik, das gleichzeitig den Anforderungen genügt, die man an ein backward-looking Center im Sinne der Centering Theory (Grosz, Joshi & Weinstein 1995) stellen muss. Backward-looking Centers sind notwendig diskurs-alt – sie müssen sogar dem unmittelbar vorangehenden Satz entstammen – und sie haben die Tendenz, über längere Strecken hinweg das Topik / backwardlooking Center der folgenden Sätze zu bilden. Das liegt daran, dass Texte nach maximaler Kohärenz streben, welche dadurch erreicht wird, dass das Topik möglichst selten wechselt. Dem backward-looking Center kommt somit eine makrostrukturelle Bedeutung zu, indem es Textabschnitte, die thematisch ein- 16 Der hier verwendete Topikbegriff ist grundsätzlich verschieden von dem, den z.B. Buscha 1988 für ‚Thema’ verwendet, also das Element mit dem geringsten Grad an kommunikativer Dynamik. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 19 heitlich sind, zusammenhält. Diese makrostrukturbildende Eigenschaft wurde auch außerhalb der Centering-Theory schon für Topiks in Anspruch genommen (z.B. Daneš 1970; Vater 1994). Der Befund deutet nun darauf hin, dass ein Topik, um ins Vorfeld gelangen zu können, tatsächlich diese zwei zusätzlichen Eigenschaften aufweisen muss. Es muss also diskurs-alt und makrostrukturbildend sein. Müssen es aber tatsächlich beide Eigenschaften sein? Nehmen wir den Fall eines Topiks an, das makrostrukturbildend ist, aber neue Information darstellt, wie in (15). (15) 1.Karl Zaible saß in seinem Büro und las Peanuts. 2.Plötzlich öffnete sich die Tür. 3.Ein junger Mann trat herein. 4.In seiner Hand hielt er eine Pistole. Der ‚junge Mann’ von Satz (15.3) ist ein aboutness-Topik (der Satz handelt von dem jungen Mann und was er macht). Er ist außerdem makrostrukturbildend, denn im nächsten Satz (15.4) stellt er ebenfalls das Topik dar, und wie wir vermuten dürfen, würde der junge Mann im weiteren Text ebenfalls eine Rolle spielen. Vorfeldstellung dieses ‚neuen Topiks’ ist aber völlig normal, der Satz klingt unauffällig. In der Tat würde der Satz wesentlich markierter klingen, wenn der junge Mann nicht im Vorfeld stünde, sondern stattdessen ein expletives Element (16). (16) 1.Karl Zaible saß in seinem Büro und las Peanuts. 2.Plötzlich öffnete sich die Tür. #3.Es trat ein junger Mann herein. 4.In seiner Hand hielt er eine Pistole. Wir können auch die Probe machen und einen Originalbeleg (s. 13c) mit einem entsprechenden Kontext versehen, in dem das Subjekt als Topik im nächsten Satz auftaucht (17a). (17) a. b. #Es regte sich kein Beifall unter den Umstehenden. Er wäre schwach ausgefallen, wenn es ihn denn gegeben hätte. Kein Beifall regte sich unter den Umstehenden. Er wäre schwach ausgefallen, wenn es ihn denn gegeben hätte. Auch hier klingt die Konstruktion markiert. Weniger markiert klänge es hier, wenn ‚kein Beifall’ im Vorfeld stünde, wie in (17b). Umgekehrt würde Vorfeldstellung des jungen Mannes wenig glückhaft scheinen, wenn er nicht makrostrukturbildend wäre (18). (18) 1.Karl Zaible saß in seinem Büro und las Peanuts. 2.Plötzlich öffnete sich die Tür. #3.Ein junger Mann trat herein. 4.Karl ging aus dem Zimmer. 5.Er setzte sich in die Cafeteria und rief seine Freundin an. Das Beispiel eignet sich nur bedingt für den Nachweis, da nicht ausgeschlossen ist, dass der junge Mann irgendwann wieder im Text auftauchen würde, wenn ich nur lange genug schriebe. Nehmen wir lieber ein Originalbeispiel mit Kon- 20 Augustin Speyer text (19a) und ändern es so ab, dass das aboutness-Topik im Vorfeld zu stehen kommt (19b). (19) a. b. (Der Möbelhersteller Rolf Benz AG (Nagold) hat den Jahresüberschuß 1997 um 41,2 Prozent auf 7,2 Millionen DM gesteigert. Der Konzernumsatz kletterte auf 202,1 (Vorjahr 198,8) Millionen DM.) Es wird eine Dividende von 16 DM je Vorzugs- und 15 DM je Stammaktie zuzüglich jeweils vier DM Bonus ausgeschüttet. (bmp, 14.5.1998, S.30) (Der Möbelhersteller Rolf Benz AG (Nagold) hat den Jahresüberschuß 1997 um 41,2 Prozent auf 7,2 Millionen DM gesteigert. Der Konzernumsatz kletterte auf 202,1 (Vorjahr 198,8) Millionen DM.) #Eine Dividende von 16 DM je Vorzugs- und 15 DM je Stammaktie zuzüglich jeweils vier DM Bonus wird ausgeschüttet. Eine Methode, um herauszufinden, ob die Neuheit bzw. makrostrukturelle Bedeutung eines Elements für dessen Vorfeldbesetzung maßgeblich ist, besteht darin, einen Text daraufhin anzuschauen, ob, wenn neue Information im Vorfeld ist, diese auch makrostrukturell relevant ist. Nach dem, was oben gesagt wurde, würden wir erwarten, dass neue Information im Vorfeld nur dann möglich ist, wenn sie gleichzeitig als über den Satz hinausweisendes Topik gelten könnte. Über den Satz hinausweisendes Topik heißt, dass es im folgenden Diskurs mit einer gewissen Prominenz auftaucht, im Idealfall also das Topik des folgenden Diskursabschnittes oder mindestens des folgenden Satzes bildet, oder doch wenigstens als Teil des Rhemas im folgenden Diskurs wieder aufgegriffen wird. Das wäre ein Unterscheidungsmerkmal zu den ‚Topiks’ der Sätze mit Vorfeldes; diese ‚Topiks’ spielen ja im folgenden Diskurs typischerweise keine Rolle mehr. Um dies zu überprüfen, habe ich längere Texte eines Journalisten daraufhin untersucht, ob neue Information als Satztopik im Vorfeld vorkommt und wenn ja, ob diese makrostrukturell relevant ist.17 Zunächst muss gesagt werden, dass neue Information im Vorfeld selten ist. Wenn sie vorkommt, dann nur in zwei Funktionen: Zur näheren Bestimmung einer im Diskurs bereits vorhandenen Größe (20a), sei dies zahlen- oder, was häufiger vorkommt, begriffsmäßig, oder eben als neu eingeführtes, ‚frisches’ 17 Ich möchte hier ein Wort zu der den Untersuchungen zugrunde gelegten Textsorten verlieren. Ich benutze bevorzugt bzw. fast ausschließlich journalistische Texte, da diese einer mittleren Sprachebene angehören, und deswegen keine rhetorischen oder dichterischen Verfremdungen zu erwarten sind, die es schwierig machen, die eigentlich sprachlichen Regeln und Constraints herauszuschälen. Diese Beschränkung auf ‚Informationstexte’ ist nicht ohne Vorläufer (z.B. Pütz 1986:11). Darum habe ich auch für die Untersuchung eines längeren Textes nicht ein literarisches Werk herangezogen, sondern Essays eines Journalisten (Horst Stern, s. Lit. verz.). Die Wahl des Textes war rein zufällig, was das Sprachliche anbetrifft. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 21 Topik (20b; das fettgedruckte Element ist das neue Element im Vorfeld).18 Spezifizierung kommt verschwindend selten vor, neues Topik etwas häufiger. Tabelle 3 zeigt die Anzahl der frischen Topiks im Textkorpus und ihren geschätzten Anteil an der Gesamtmasse. (20) a. b. Bald war nur noch eine kahle Landschaft übrig, die durchsetzt war mit einzelnen Waldinseln […]. „Sunder“ nannte man diese Wälder, eine Bezeichnung, die sich immer wieder auf Karten findet. (Stern 1973:204) Wald […] bedeckte weithin nach der letzten Vereisung die sandigen Böden der nordwestdeutschen Tiefebene. (Stern 1973:203) Tabelle 3: Anteil von Sätzen mit frischen Topiks im Vorfeld Anzahl frischer Topiks im Vorfeld 94 Geschätzte Gesamtsatzzahl19 5101 Anteil von Sätzen mit frischem Topik im Vorfeld (%) 1,8 Wenn man nun diese frischen Topiks im weiteren Text verfolgt, sieht man, dass sie mit großer Mehrheit in mindestens dem folgenden Satz das Topik stellen (21; die unterstrichenen Elemente sind Wiederaufnahmen des Topiks). Die Zahlen finden sich in Tabelle 4. Die wenigen Ausnahmen waren Fälle, in denen das Subjekt im Vorfeld generischen Charakter hatte, es deshalb zweifelhaft ist, ob solche Fälle überhaupt zu den direkt referierenden NPs gezählt werden sollten. (21) Das Land erholte sich langsam. Wald […] bedeckte weithin nach der letzten Vereisung die sandigen Böden der nordwestdeutschen Tiefebene. Kiefern gab es darin nur vereinzelt. Dieser lichte Wald bildete für den vorzeitlichen Menschen kein Hindernis. (Stern 1973:203f.) Tabelle 4: Anteil von im Folgesatz aufgegriffenen frischen Topiks im Vorfeld neue Information, im neue Information, im Anteil von im Folgen- 18 In einer früheren Vorstellung des Vorfeldrankings (Speyer 2007) wurde ‚neue Information’ als bevorzugter Vorfeldfüller angegeben, auf eine weitere Bestimmung jedoch verzichtet. Neue Information per se kommt tendenziell nicht im Vorfeld vor, sondern nur, wenn sie entweder Spezifizierung ist (wozu die Beispielsätze in Speyer 2007 zählen), oder wenn sie gleichzeitig Topik ist. Spezifizierung ist tatsächlich bevorzugt im Vorfeld zu finden; für neue Topiks gelten jedoch wohl die gleichen Regeln und Rankings wie für ‚normale’ Topiks. 19 Die geschätzte Gesamtsatzzahl wurde so errechnet, dass zunächst die Zahl der voll bedruckten Seiten gezählt wurde (198). Von diesen Seiten wurden bei 20 die Sätze durchgezählt (etwa 10%) und daraus eine durchschnittliche Satzzahl pro Seite ermittelt (21,65), die dann auf 198 Seiten hochgerechnet wurde (4286,7). Alle anderen, nicht voll bedruckten Seiten wurden manuell durchgezählt (814 Sätze). Das ergibt in Addition 5100,7 Sätze, gerundet 5101. 22 Augustin Speyer Folgenden aufgegriffen 90 Folgenden nicht aufgegriffen 4 den aufgegriffenen Topiks (%) 95,7 Somit können wir festhalten, dass Topiks, um vorfeldfähig zu sein, eine makrostrukturelle Bedeutung haben müssen, also in weiteren Sätzen im Diskurs das Topik stellen oder zumindest prominent vorkommen müssen. Bei diskurs-alten Topiks ist das notwendigerweise gegeben, bei diskurs-neuen Topiks nicht. Gerade bei letzteren ergeben sich Unterschiede: Nur wenn das Topik im folgenden Diskurs weiterhin Salienz beanspruchen kann, ist es vorfeldfähig. Wenn dies nicht gegeben ist, wenn also das Topik des Satzes im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielt (etwa, weil es Zusatzinformation darstellt), muss mangels eines vorfeldfähigen Elementes das expletive es ins Vorfeld gestellt werden. 3.2 Expletives Subjekt-es Wenden wir uns nun dem expletiven Subjekt-es zu. Wiewohl es natürlich im Vorfeld stehen kann und dies auch häufig tut, sollten wir uns überlegen, ob es spezifische Gründe gibt, warum das expletive Subjekt-es im Vorfeld stehen sollte. Hier gibt es natürlich zwei Möglichkeiten, entweder es gibt spezifische Gründe, oder es gibt sie nicht. Beginnen wir mit der Suche nach potentiellen spezifischen Gründen. Der einzige Grund, der in Frage kommt, ist, dass es in diesem Fall vorne steht, weil es das Subjekt ist und Subjekten eine Tendenz nachgesagt wird, im Vorfeld zu stehen (z.B. Bach 1963; Zwart 1997). Wie ich bereits andernorts angedeutet habe (Speyer 2008a), sehe ich keine eindeutigen Hinweise für eine a priori gegebene strukturelle Sonderstellung des Subjektes. Wenn es keine spezifischen Gründe gibt, wegen denen das expletive Subjekt-es im Vorfeld stehen müsste, lässt sich wiederum fragen, ob es einfach keine spezifischen Gründe gibt oder ob es im Gegenteil sogar spezifische Gründe gibt, warum das expletive Subjekt-es nicht im Vorfeld stehen sollte. Nach dem in diesem Aufsatz verwendeten Ansatz des Vorfeldrankings sollte es tatsächlich so sein, dass das expletive Vorfeld-es nur dann ins Vorfeld gelangt, wenn es keine besser geeigneten Kandidaten gibt. Es gilt also in gewisser Weise dasselbe wie für das Vorfeld-es im engeren Sinne. Das liegt daran, dass ein Element, um ins Vorfeld zu gelangen, bestimmten informationsstrukturellen Kriterien genügen muss. Expletive Elemente wie das expletive Subjekt-es oder auch das Vorfeld-es haben keine semantisch fassbare Bedeutung, sie vergeben keine Information, sind also nicht Bestandteil informationsstrukturell relevanter Repräsentationen und können folglich keinerlei informationsstrukturellen Kriterien genügen. Sie sollten also keine privilegierten Vorfeldfüller sein. Beim Vorfeld-es hat sich herausgestellt, dass es tatsächlich eine last-resort-Erscheinung ist, dass also das Vorfeld-es nur steht, wenn keine geeigneten Vorfeldfüller im Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 23 Satz vorhanden sind und gleichzeitig die Sätze so wenig komplex sind, dass bei Voranstellung der meist einzigen nichtverbalen Konstituente ein Satz mit vollständig entleertem Mittelfeld entstehen würde. Es scheint hier eine Beschränkung gegen diese Art von Sätzen zu geben, die ich weiter unten diskutieren werde. Dort wird auch diskutiert werden, ob es sich um eine ‚stilistische’ Beschränkung handelt, oder ob es einen grammatikalischen Grund dafür geben könnte. Wir müssen also prüfen, wie stark die Affinität des expletiven Subjekt-es für das Vorfeld tatsächlich ist. Sollte sich nun herausstellen, dass das expletive Subjekt-es überproportional häufig im Vorfeld steht, ist das ein Problem für die Theorie des Vorfeldrankings, denn nach dieser Theorie ist das expletive Subjektes kein bevorzugter Vorfeldfüller, da es keine der Eigenschaften hat, die die privilegierten Vorfeldfüller aufweisen müssen. Wenn jedoch ersichtlich wird, dass das expletive Subjekt-es nicht häufiger als andere Subjekte im Vorfeld steht, ist dies als ein Hinweis darauf zu werten, dass die eingeschlagene Richtung, die Vorfeldbesetzung von grammatischen Funktionen unabhängig zu betrachten, richtig ist. Die relative Häufigkeit von expletivem Subjekt-es im Vorfeld lässt sich relativ einfach abschätzen. In diesem Falle war das Vorgehen wie folgt: Zuerst habe ich ein repräsentatives, häufig vorkommendes Verb mit expletivem Subjekt-es gesucht. Die Wahl fiel auf es gibt. Dann habe ich im Berliner-MorgenpostTeilkorpus im Rahmen des COSMAS-Korpus Belege für satzinitiales es gibt versus nicht-satzinitialem gibt es gesucht. Die satzinitiale Position der Beispiele lässt sich durch Einschränkung auf kapitalisierten ersten Buchstaben garantieren. Die Fügung gibt es kann fast nur in Hauptsätzen vorkommen (mit Ausnahme von abhängigen Verberstsätzen des Typs Er hatte ein neues Auto gekauft, gibt es doch seit neuerem Vergünstigungen dafür, wobei der abhängige Satz in diesen Fällen nie im Vorfeld auftritt), da hier ja offensichtlich die linke Satzklammer belegt ist und somit keine Einbettung vorliegt; wenn außerdem gibt es nicht satzinitial ist, kann es nur in einem Verbzweitsatz stehen, und dieses Verbstellungsmuster ist ja weitgehend für Aussagesätze charakteristisch. Somit kann man sagen, dass die Gruppe der Sätze mit satzinitialem es gibt und die Sätze mit nicht-satzinitialem gibt es direkt komplementär sind. Es gibt kann natürlich auch in abhängigen Verbzweitsätzen auftauchen (des Typs gestern hat Uller gesagt, es gibt Sekt), doch sind diese in der benutzten Textsorte selten (bei Abhängigkeit wird i.d.R. der Konjunktiv es gebe verwendet, also ein anderer String), namentlich im Vorfeld ihres Obersatzes, wo sie eigentlich ausgeschlossen sind (s. Reis 1997:139), so dass sie vernachlässigbar zu sein scheinen (zu unselbständigen Verbzweitsätzen im Allgemeinen s. Reis 1997). Bei der Gegenüberstellung dieser Typen zeigt sich nun, dass nur ein Bruchteil der Sätze mit der Fügung es gibt dergestalt sind, dass das es im Vorfeld steht (Tabelle 5). Das ist bei weitem weniger als der sonstige Durchschnitt. Normalerweise hat etwa die Hälfte der Sätze das Subjekt im Vorfeld (wo es dann rein aus informationsstrukturellen Gründen hinbewegt worden ist, weil es ein Lis- 24 Augustin Speyer tenelement oder Topik ist). Zur Illustration ist in Tabelle 6 aufgelistet, wie viele Sätze aus einem Korpus, dass aus 35 zufällig herausgesuchten Artikeln der Berliner Morgenpost besteht, das Subjekt im Vorfeld haben. Tabelle 5: Anteil von expl. Subjekt-es im Vorfeld bei 'es-gibt'-Sätzen Anzahl von Sätzen: Folge es gibt, es satzinitial 1984 Folge gibt es, gibt nicht satzinitial 11263 Gesamtzahl Anteil von satzinitialem es gibt (in %) 13247 15 Tabelle 6: Anteil von Subjekt im Vorfeld bei zufällig herausgesuchten Deklarativsätzen Anzahl Sätzen: Subjekt Vorfeld 185 von im Subjekt nicht im Vorfeld 205 Gesamtzahl Anteil von Subjekt im VF (in %) 390 47 Wenn man sich überdies die Beispiele für expletives Subjekt-es im Vorfeld genauer ansieht, bemerkt man ein ganz ähnliches Muster wie im Falle der Sätze mit Vorfeld-es. Ich habe jeweils die ersten 200 Belege pro Gruppe in Augenschein genommen und daraufhin geprüft, ob sie Elemente enthalten, die Vorfeldbewegung bevorzugen. Das Ergebnis war recht deutlich; die genauen Zahlen finden sich in Tabelle 7. Die Sätze, die das expletive Subjekt-es im Vorfeld hatten, wiesen zum größten Teil keine Vorfeldbewegung bevorzugenden Elemente auf, also rahmenbildende Elemente, Listenelemente oder Topiks von makrostruktureller Bedeutung. Bei den Sätzen mit expletivem Subjekt-es im Vorfeld, die ein Listenelement im weiteren Satzverlauf aufweisen, waren die meisten (9 von 12) koordiniert (22). Wir haben bereits beim Vorfeld-es gesehen, dass komplexe Konstituenten, wie sie koordinierte Listen darstellen, ungern ins Vorfeld bewegt werden, was vermutlich Verarbeitungsgründe hat. Würde man sie abziehen, käme man auf 10%; die entsprechenden Zahlen sind in Tabelle 7 in Klammern angegeben. Ferner sind die zwei Beispiele für Topik kataphorisch (und somit neu), wir dürfen hier also mit der bewussten Wahl einer markierten Abfolge rechnen, um einen bestimmten stilistischen Effekt zu erzielen, z.B. den Aufbau von Spannung (23). (22) Es gibt Breakdance mit Hong, BMX-Akrobatik mit Ali B., Zauberei mit Oguz und Artistik mit dem preisgekrönten russischen Duo "Die Leopards". (bmp 17.6.1998, S.44, ‚Der Herr der Hüte’) Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es (23) 25 Es gibt sie nicht auf Rezept. Aber ihre Wirkung ist durchschlagend. Risiken und Nebenwirkungen sind angenehmer Art: Clowns im Krankenhaus. (bmp 13.6.1998, S. 30, ‚Clowns im Krankenhaus – ein Pflaster für die Seele’) Bei den Stichprobensätzen der Form ‚X gibt es…’ dagegen war X, also das Vorfeldelement, mit überwältigender Mehrheit ein ins Vorfeld strebendes Element (24). Satz (24a) ist ein Beispiel für ein rahmenbildendes Element im Vorfeld, (24b) für ein Listenelement und (24c) für ein Topik. Wenn man die nicht referierenden Vorfelder abzieht – die vermutlich eigenen, noch nicht identifizierten Constraints gehorchen, die mit den Constraints, die für referierende Ausdrücke vorgeschlagen wurden, interagieren – kann man sagen, dass 86% der Vorfelder von einem Ausdruck besetzt werden, der einem der drei informationsstrukturellen Kriterien entspricht, die Vorfeldbewegung auslösen. Die Zahlen ohne nicht-referierende Phrasen sind in Tabelle 7 in Klammern angegeben. Eine kleine Restgruppe bei ‚X gibt es…’-Sätzen, die unter ‚sonstige referierende’ aufscheinen, waren negierte Sätze, bei denen eine Doppelfokuskonstruktion vorlag, mit einem Fokus auf dem Element im Vorfeld und dem anderen auf der Satznegation (25). Bei Doppelfokuskonstruktionen ist in der Regel eines der fokussierten Elemente im Vorfeld (Speyer 2008b), was einerseits der Etablierung eines ‚sorting-keys’ entspricht (s. Kuno 1982), andererseits rhythmische Gründe haben dürfte, da auf diese Weise sichergestellt ist, dass die zwei Foki nicht in unmittelbarer Nachbarschaft auftreten, sondern auf jeden Fall durch das Material in der linken Satzklammer getrennt sind.20 (24) a. b. c. Im nächsten Jahr gibt es für ausländische behinderte Autofahrer in Österreich laut ADAC kaum Chancen, kostenlos die Autobahnen benutzen zu können. (bmp, 19.10.1997, S. 21, ‚Österreich bleibt hart’) Reisebüros schossen wie Pilze aus dem Boden. In Berlin ist fast an jeder Ecke eines, nur Apotheken gibt es noch mehr. (bmp, 19.10.1997, S. 35, ‚Coperto à la Reisebüro’) Zum Artikel: "Schleierfahndung - läßt auch den Bravsten nicht in Frieden leben" vom 10. 5. 98 […] Sogenannte verdachtsunabhängige Kontrollen gibt es seit eh und je, ohne daß dadurch der ideologische Belagerungszustand ausgerufen wurde. […] Besagte Schleierfahndung gibt es übrigens nicht 20 Foki zeichnen sich dadurch aus, dass auf ihnen der höchste Grad an Betonung liegt, der im Satz zu vergeben ist. Wenn sich mehrere Foki im Satz befinden, sind sie als gleichwertig zu betrachten, also befinden sich auf derselben Ebene (und zwar der höchsten) im prosodisch-metrischen ‚grid’. Ein zentrales Prinzip der Konstruktion prosodischer Grids ist, dass sie alternieren müssen, d.h. dass nicht zwei ‚starke’ Positionen nebeneinander zu stehen kommen dürfen, ohne dass eine schwache interveniert (Clash Avoidance Requirement, s. Speyer 2008b für grundlegende Literatur und eingehende Diskussion). 26 Augustin Speyer nur in Bayern, sondern auch in Baden-Württemberg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und demnächst im Freistaat Sachsen. (bmp, 15.5.1998, S. 6, ‚Sicherheit geht vor’) (25) Eine heiße Spur gibt es nicht. (bmp, 20.5.1998. S, 21) Tabelle 7: Vorkommen vorfeldfreundlicher Elemente in 'Es gibt...' und 'X gibt es...'-Sätzen Rahmenb. Listen el. Topik Es gibt … 14 12 (3) Anzahl vorfeldfr. Elemente im Satz % an Gesamtzahl X gibt es … Anzahl vorfeldfr. Elemente % an Gesamtzahl 28 (19) 49 nicht referierende nicht gezählt 2 sonstige referierende - - 1 24 19 61 (0) 3 Gesamtzahl Sätze 199 (187) 14 (10) 44 197 (136) 117 59 (86) Bei den ‚Es gibt…’-Sätzen wird die Zahl der Sätze angegeben, bei denen ein vorfeldfreundliches Element überhaupt im Satz vorkommt. Bei den ‚X gibt es…’-Sätzen wird die Zahl der Sätze angegeben, die das jeweilige vorfeldfreundliche Element nicht nur aufweisen, sondern tatsächlich im Vorfeld haben. Schnittmengen gab es hierbei kaum; von den Listenelementen sind drei gleichzeitig rahmenbildend. Die 3. und 4., bzw. 6. und 7. Spalte geben Zahl und Anteil der drei vorfeldfreundlichen Elemente in der Summe an. In der Rubrik ‚nicht gezählt’ sind die Sätze aus der Stichprobe, die nicht berücksichtigt werden können, weil z.B. das es kein expletives es, sondern ein referierendes Pronomen ist, oder weil es sich um Fragesätze handelt. Die Gesamtzahl in der letzten Spalte schließt diese Fälle nicht ein. ‚Nicht referierende’ Elemente sind adverbiale Elemente, auch Gliedsätze, die nicht referieren und deshalb mit den bisherigen Regeln des Vorfeldranking nicht erfassbar sind. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 27 Somit können wir festhalten, dass das expletive Vorfeld-es nicht privilegiert für Vorfeldbesetzung ist, sondern im Gegenteil ziemlich selten dort steht, und zwar in der Regel, wenn es keine geeigneteren Kandidaten für die Vorfeldbesetzung gibt. Dass es hin und wieder doch vorkommt, dass also das expletive Vorfeld-es einen besser geeigneten Kandidaten ‚aussticht’, ist ein Hinweis darauf, dass wir es hier nicht mit festen Regeln, sondern nur starken Tendenzen zu tun haben, wie sie im Übrigen von dem von mir gewählten Modell recht gut dargestellt werden können. Nun dürfen wir aber eine Frage stellen: Warum wird aber in den ca. 15% der Fälle, in denen das expletive Subjekt-es im Vorfeld steht, gerade das Subjekt-es verschoben und nicht irgendeine andere Konstituente? Der Grund könnte wiederum darin liegen, was Frey (u.a. 2006a) als ‚Formal Movement’ bezeichnet hat. Laut Frey (2006a) kann diejenige Phrase, die am weitesten links im Mittelfeld steht, ohne besondere intrinsische Motivation in das Vorfeld verschoben werden, wenn es sonst keine Kandidaten gibt, die das Vorfeld anstreben. Im zitierten Aufsatz ist das die Konstituente, die das Topik bildet, da Frey am linken Rand des Mittelfelds – also als höchste Projektion unterhalb der CProjektion – eine Topik-Phrase annimmt. Was ist aber, wenn der Satz kein Topik im engeren Sinne hat, wie wir es oben definiert haben, also ein Element, um das es im gegenwärtigen Satz geht, das im weiteren Diskurs salient bleibt und bevorzugt alte Information darstellt? Wir dürfen annehmen, dass Elemente, die Freys Topik-Phrase ansteuern, die Eigenschaften archetypischer Topiks haben, die sie auch für Vorfeldbesetzung qualifizieren, einfach deshalb, weil sie ja erst mit dieser Zwischenstation ins Vorfeld gelangen können; wenn wir Eigenschaften für Topiks im Vorfeld identifizieren können, müssen diese auch für Topiks in der Topik-Phrase gelten, da es sich hierbei um dieselbe Klasse von Elementen handelt. Wenn kein Element im Satz ist, das diese Bedingungen erfüllt, ist wohl auch die Bewegung in die Topik-Phrase unmöglich, sie bleibt also leer. Das bedeutet, dass die nächste mit Sicherheit gefüllte Position die des Subjektes sein muss. Das expletive Subjekt-es wird mit Sicherheit bereits früh in der Derivation gebildet – es ist auch möglich, dass im Lexikoneintrag dieser Verben die Subjektstelle mit dem ‚es’ bereits vorspezifiziert ist, im Gegensatz zu ‚normalen’ Verben, wo die Subjektstelle eine Variable ist – auf jeden Fall können wir davon ausgehen, dass es die Subjektposition, SpecIP, SpecTP oder wie man sie immer nennen mag, besetzt und daher der einzige Kandidat für Formal Movement ist, da bei Abwesenheit von Material in der Topik-Phrase oder sonstwie gescrambeltem Material nun einmal das Subjekt die am weitesten links stehende Konstituente ist. Schematisch ist das in (26) dargestellt. 28 (26) Augustin Speyer a. Kein Formal Movement möglich (da Vorfeld durch Rahmenbildner besetzt) CP wo SpecCP C’ am 5.11.3 wo C TopP hatte1 wo SpecTop Top’ wo ihn4 Top IP wo t1 SpecIP I’ Ulla2 wo VP I 6 t1 t2 t4 t3 endgültig verstoßen t1 b. Formal Movement eines Topiks CP wo SpecCP C’ wo ihn3 C TopP hatte1 wo SpecTop Top’ wo t3 Top IP wo t1 SpecIP I’ Ulla2 wo VP I 6 t1 t2 t3 endgültig verstoßen t1 Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es c. 29 Formal Movement des Subjekts CP wo SpecCP C’ Ulla2 wo C TopP hatte1 wo SpecTop Top’ ∅ wo Top IP wo t1 SpecIP I’ wo t2 VP I 6 t1 t2 jemanden endgültig verstoßen t1 d. Formal Movement des Subjekts (in Form des expletiven es) CP wo SpecCP C’ wo Es2 C TopP wo gibt1 SpecTop Top’ ∅ wo Top IP wo t1 SpecIP I’ wo t2 VP I 6 t1 t2 keine heiße Spur t1 Warum bewegt sich aber dann nicht auch das Subjekt in den Sätzen nach vorne, die in Abschnitt 3.1 besprochen wurden, also in denen das Vorfeld durch ein 30 Augustin Speyer vollständig expletives Element, das nicht einmal eine grammatische Funktion im Satz innehat, besetzt wird? M.E. könnte es daran liegen, dass in diesen Fällen das Subjekt ja kein Subjekt im strengen Sinne ist. Es ist auffällig, dass alle Sätze mit Vorfeld-es entweder intransitiv, passivisch oder reflexivisch sind, sprich: Es kommt nie ein agentives Subjekt vor. Nun wird angenommen, dass zumindest bei unakkusativen/ergativen Verben (27a) und beim Passiv (27b) in der Tiefenstruktur gar kein Subjekt zugewiesen wird, sondern die Subjektstelle leer bleibt (Burzio 1986; Grewendorf 1989; Levin & Rappaport 1995). (27) a. Lexikoneintrag VP | V’ wo NP V x komm‚x kommt’ b. Lexikoneintrag: VP wo NP V’ y wo NP V x seh- Am Beginn von Narrow Syntax: VP | V’ wo NP V x seh- ‘x wird gesehen’ Es ist möglich, dass die Tatsache, dass es sich hierbei gar nicht um in SpecVP basisgenerierte Subjekte handelt, sondern um derivierte Subjekte, damit zusammenhängt, dass sie kein Formal Movement eingehen können. Eine einfache Erklärung wäre, dass Bewegung aus der Objektposition in die Subjektposition SpecVP unterbleibt – womit eine weitere Bewegung in SpecIP auch unterbunden wäre, wobei es für diese Diskussion gleichgültig ist, ob man eine unabhängige IP annimmt oder nicht – und somit das Subjekt bei unakkusativen Verben und Passiven nicht an einer Position ist, von der es Formal Movement eingehen könnte. Wir dürfen annehmen, dass es, um Formal Movement einzugehen, für eine Phrase nicht reicht, dass sie die am weitestens links stehende overte Mittelfeldkonstituente ist, sondern sie tatsächlich adjazent zur C-Architektur sein muss, also keine leeren strukturellen Positionen intervenieren dürfen. Das ‚Subjekt’ bei unakkusativen Verben und im Passiv kann seinen nominativischen Kasus auch ohne herausbewegt zu werden beziehen (s. Grewendorf 1989:137ff.), so dass Bewegung in eine kanonische Subjektposition zumindest Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 31 nicht notwendig ist. Beispiele wie (28) legen sogar nahe, dass bei unakkusativen Verben die Bewegung tatsächlich unterbleibt:21 Wenn wir die unmarkierte Wortstellung mit der strukturell basisgenerierten Wortstellung gleichsetzen (was nicht unproblematisch ist, s. Höhle 1982, aber der Wahrheit wohl doch recht nahe kommt), ist auffällig, dass das Subjekt bei dem zweistelligen unakkusativen Verb unterlaufen unmarkierterweise nach dem Dativobjekt steht (28a,b), während es bei einem ‚normalen’ bitransitiven Verb mit unterdrücktem direkten Objekt gerade andersherum ist (28c,d). Das legt eine Struktur wie in (28e) nahe, also eine, bei der das spätere Subjekt in der Komplementposition verbleibt, im Gegensatz zur Struktur eines bitransitiven Verbs (28f). Wenn aber das Subjekt bei zweistelligen unakkusativen Verben in situ verbleibt, sollte das bei einstelligen unakkusativen Verben ebenso sein. (28) a. b. c. d. e. dass dem Uller ein Fehler unterlaufen ist. (Dat. > Nom.) #dass ein Fehler dem Uller unterlaufen ist. (Nom. > Dat.) #dass der Caritas Susanne spendet. (Dat. > Nom.) dass Susanne der Caritas spendet (Nom. > Dat.) vP | v’ wo VP v wo unterlauf-i NP V’ dem Uller wo NP V ein Fehler ti f. vP wo NP v’ Susanne wo VP v wo spend-i NP V’ der Caritas wo NP V e ti 21 Beispiel nach Grewendorf 1989:138. Ich danke dem anonymen Gutachter dafür, dass er mich auf dieses Beispiel und diesen Lösungsansatz aufmerksam gemacht hat. 32 3.3 Augustin Speyer Korrelat-es Gehen wir schließlich zum Korrelat-es über. Bei näherer Betrachtung gibt die bloße Existenz des Korrelat-es Rätsel auf. Wir müssen uns mehrere Fragen stellen. Warum werden manche Nebensätze oder satzwertige Konstruktionen, wie die Beispiele in (29), unter Hinterlassung eines koindizierten es ins Nachfeld geschoben, während andere, wie die in (30), ohne weiteres oder sogar bevorzugt im Vorfeld stehen? Aber hier stellt sich gleich die nächste Frage: Haben Subjekt- und Objektsätze, also diejenigen, die mit Korrelat-es korrelieren, tatsächlich eine stärkere Tendenz, ins Nachfeld zu gehen, als andere Nebensätze? (29) a. b. (30) a. b. Esi fällt auf, [daß die Fraktionschefs von CDU und SPD, Klaus Landowsky und Klaus Böger, jeweils ein Plus von 0,2 Punkten verzeichnen]i. (Berliner Morgenpost, 19.10.1997, S. 2 ‚Die Stimmungslage in Berlin’ Esi lockt ihn offenbar, [von seinem definitiven Abschied von Stuttgart Abschied zu nehmen]i. (Stuttgarter Zeitung, 28.2.2003, S. 29 ‚Glorreiches Quintett’) Wenn Uller keine Lust hat zu kommen, sollten wir ihn auch nicht drängen. Nachdem Karl den Attentäter bewusstlos gehauen hatte, fuhr er zurück ins Büro. Beginnen wir mit der zweiten Frage, da diese in gewisser Weise den Schlüssel für die Relevanz der ersten Frage birgt. Man kann relativ einfach mit dem COSMAS-System herausfinden, wie das Verhältnis von Vorfeldsetzung und anderer Setzung von Nebensätzen ist, die mit einer bestimmten Konjunktion eingeleitet sind. Wenn man dies für ein paar häufige Konjunktionen durchexerziert, und gleichzeitig nach satzinitialem ‚Daß’ und nicht satzinitialem ‚daß’ sucht,22 ergibt sich das Bild, das in Tabelle 8 ersichtlich ist. In Klammern wurden bei den dass-Sätzen noch die Beispiele mit Korrelat im Vorfeld hinzugerechnet, da hier wenigstens ein funktionales Äquivalent des Subjekt-/Objektsatzes im Vorfeld steht. Das verwendete Korpus war das der ‚Berliner Morgenpost’. Dass-Sätze wurden deshalb zum Vergleich gewählt, weil sie hinreichend häufig sind und eine der Satzarten darstellen, die mit Korrelat-es koindiziert werden können; sie haben im Folgenden beispielhaften Charakter für Konstruktionen, die mit es korrelieren. Das Verhältnis von dass-Sätzen im Vorfeld und dass-Sätzen weiter hinten im Satz mit und ohne Korrelat im Vorfeld wird in Tabelle 9 aufgeschlüsselt. 22 Der Großteil des Berliner-Morgenpost-Korpus ist in der alten Rechtschreibung gehalten, weswegen als Testfall der String ‚daß’ gewählt wurde. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 33 Wir sehen, dass Subjekt-/Objektsätze grundsätzlich die Vorfeldstellung nicht bevorzugen; selbst wenn man die Fälle mit Korrelat-es dazu rechnen würde. Sie sind immer noch seltener im Vorfeld als selbst der seltenste Typ der herangezogenen adverbialen Gliedsätze, der Kausalsatz. Von diesen gut 10% der Fälle geht noch einmal knapp die Hälfte weg; das sind die Fälle, in denen der Gliedsatz selbst im Nachfeld steht, aber mithilfe des Korrelat-es seinen Anspruch auf das Vorfeld sozusagen geltend macht. Mit anderen Worten: Weder ist eine Bevorzugung von Subjekt-/Objektsätzen für das Vorfeld generell auszumachen, noch eine besondere Bevorzugung für die Setzung des Korrelats in das Vorfeld, wenn der Subjekt-/Objektsatz ins Nachfeld abgeschoben worden ist. Tabelle 8: Vorfeldstellung verschiedener Gliedsätze im Vor- nicht im Vor- Gesamt feld feld dass 2727 39281 42008 (4734) (44015) weil 1922 9680 11602 obwohl 1923 1665 3588 nachdem 2301 1964 4265 wenn 9697 18757 28454 Anteil von Vorfeld (in %) 6 (11) 17 54 54 34 Tabelle 9: Stellung von dass-Sätzen mit und ohne Korrelat dass-Satz im dass-Satz nicht dass-Satz nicht VF im VF; mit im VF; ohne Korrelat Korrelat Anzahl 2727 2007 39281 Anteil (in 6 5 89 %) Gesamtzahl 44015 Welcher Art sind aber eigentlich die Sätze, in denen das Korrelat-es im Vorfeld steht? Es soll hier nicht um die Frage gehen, warum die Sätze manchmal ins Vorfeld bewegt werden und manchmal mit Vorfeldbewegung des Korrelat-es ins Nachfeld rutschen. Es soll vielmehr um eine grundsätzlichere Frage gehen: Warum stehen diese Subjekt-/Objektsätze überhaupt im Vorfeld? Sind es Subjektsätze und Objektsätze gleichermaßen, die im Vorfeld stehen bzw. im Vorfeld ein Korrelat-es hinterlassen? Wir können uns dieser Frage auf verschiedene Weise nähern. Da es in diesem Aufsatz primär um das Modell des Vorfeldrankings geht, liegt es nahe, dass wir uns aus dieser Richtung an das Problem herantasten. Konkret bedeutet dies: Was macht das Modell für Aussagen bezüglich des Vorkommens solcher Sätze? Die Aussagen sind recht eindeutig: Ein Subjekt-/Objektsatz sollte nur dann im Vorfeld stehen können, wenn es keine anderen, geeigneteren Kandidaten gibt, die in das Vorfeld streben. Das verbindet die Subjekt-/Objektsätze bzw. das mit ihnen verbundene Korrelat-es mit den anderen Arten von vorfeldfreundlichem es, um die es in diesem Aufsatz bisher ging. Ferner würden wir nach dem, 34 Augustin Speyer was in Abschnitt 3.2 zum expletiven Subjekt-es ausgeführt wurde, vermuten, dass es primär Subjektsätze bzw. deren Korrelate sind, die im Vorfeld vorkommen, eben weil für diese Formal Movement möglich ist, wenn sonst kein Scrambling stattgefunden hat, und Objektsätze bzw. deren Korrelate nur in besonderen Fällen, etwa wenn sie in irgendeiner Weise kontrastiv sind, im Vorfeld stehen sollten. Um diese Vermutung zu prüfen, habe ich wieder 200 Sätze mit Korrelat-es im Vorfeld aus dem Berliner-Morgenpost-Korpus unter COSMAS daraufhin geprüft, welche Funktion die dem Korrelat entsprechenden Sätze innehaben, und ob in diesen Sätzen jeweils ‚bessere’ Kandidaten für das Vorfeld vorhanden waren. Die Ergebnisse, die in Tabelle 10 ersichtlich sind, sind sehr eindeutig; so eindeutig, dass ich, wie auch bei den Untersuchungen in den vorigen Abschnitten, darauf verzichten zu können glaube, die Datenmenge zu vergrößern. Tabelle 10: Komplexität, Funktion des Korrelats Kandidaten bei Sätzen mit Korrelat-es im Vorfeld. Funktion des Korrelats/dassSatzes Subjekt nicht Subjekt Konst.: nur S 75 Konst.: S + 1 118 1 Konst. Konst.: S + 2 5 1 Konst. gesamt (Num- 198 2 mer) Anteil (%) 99 1 und Vorhandensein besserer besserer den? Scene - Kandidat vorhanListenel. - Topik - 1 - - - - 1 0,5 Wir können also festhalten: Das Modell macht die richtigen Vorhersagen: Es finden sich so gut wie keine besser geeigneten Vorfeldkandidaten in den Sätzen, woraus wir schließen müssen, dass die Nebensätze bzw. deren Korrelate nur als eine Art letzter Ausweg ins Vorfeld bewegt wurden. Ferner fungieren in den meisten Fällen die dass-Sätze bzw. deren Korrelate als Subjekt, woraus zu schließen ist, dass sie durch Formal-Movement in das Vorfeld bewegt wurden, da sie die am höchsten stehenden Mittelfeldphrasen darstellen. Dass nicht alle Sätze, deren es-Korrelat im Vorfeld steht, Subjektsätze sind, sondern nur die meisten, braucht uns nicht zu beunruhigen, da das Modell von seiner Natur her ja keine festen Regeln, sondern Constraints beschreibt, die sich in Mehrheitsmustern manifestieren, und daher geringfügige Abweichungen von den Mehrheitsmustern zu verkraften sind. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 35 4 Ergebnisse Als Ausgangspunkt dienten drei Arten von es, deren Status insofern besonders ist, als sie keinen semantischen Gehalt aufweisen, sondern rein strukturellen Zwecken dienen, sei es zur Erfüllung des unmarkierten Deklarativsatzmodus (Vorfeld-es), zur Füllung einer anderenfalls leeren Subjektstelle (expletives Subjekt-es) oder der Koindizierung mit einem ins Nachfeld ausgelagerten Nebensatz in Argumentfunktion (Korrelat-es). Ausgehend vom Modell des Vorfeldrankings konnte gezeigt werden, dass die Bewegung solch eines Elements ins Vorfeld bzw. Erzeugung solch eines Elements im Vorfeld (Vorfeld-es) nur als letzter Ausweg gewählt wird. Sätze, die ein Vorfeld-es im Vorfeld haben, weisen in der Regel keine der bevorzugten Kandidaten für Vorfeldbewegung auf. Sie verfügen auch nicht über ein prototypisches Subjekt, da sie in der Regel von intransitiven Verben oder passivierten transitiven Verben regiert werden. Formal Movement des Subjekts scheidet also aus, um das Vorfeld zu besetzen, so dass ein Expletivum eingesetzt werden muss. Sätze, deren Subjekt ein expletives Subjekt-es haben, zeigen dieses nur im Vorfeld, wenn es keine besser geeigneten Kandidaten gibt; wenn dies jedoch der Fall ist, wird das Subjekt durch Formal Movement bewegt. Sätze, deren Subjekt ein Subjektsatz ist, können diesen Satz ins Vorfeld stellen, bzw. (der hier untersuchte Fall) ein Korrelat ins Vorfeld schicken und die Subjektsätze selbst ins Nachfeld bewegen, wenn keine besser geeigneten Kandidaten für die Vorfeldbesetzung vorhanden sind. Der Befund spricht für die Richtigkeit des Modells des Vorfeldrankings. Literatur Quellen COSMAS II: Corpus Search, Management and Analysis System. Institut für deutsche Sprache, Mannheim (http://www.ids-mannheim.de/cosmas2/). Stern, Horst (1973): Ein Roter, doch ein sanfter. Frankfurt/M.: Büchergilde Gutenberg. Forschungsliteratur Askedal, John Ole (1993): Zur Syntax und Referenzproblematik des deutschen Pronomens es. In: Andersson, Sven-Gunnar & Karl Hyldgaard-Jensen (Hgg.): Sprachgermanistik in Skandinavien. Göteborg: Acta Universitatis Gothoburgensis, 17-28. Bach, Emmon (1962): The Order of Elements in a Transformational Grammar of German. Language 38, 263-269. Back, Michael (1995): Ich weiß nicht, was soll ‘ES’ bedeuten. Zur Frage subjektloser Sätze im Deutschen und anderswo. Deutsche Sprache 23, 147-177. 36 Augustin Speyer Boersma, Paul and Bruce Hayes (2001) Empirical Tests of the Gradual Learning Algorithm. Linguistic Inquiry 32: 45-86. Brandt, Margareta, Marga Reis, Inger Rosengren & Ilse Zimmermann (1992): „Satztyp, Satzmodus und Illokution.“ In: Rosengren, Inger (Hg.): Satz und Illokution. Bd. 1. Tübingen: Niemeyer, 1-90. Budde, Monika (1996): Non-reducible Grammatical Relations without Semantic Content. In: Sackmann, Robin & Monika Budde (Hgg.): Theoretical Linguistics and Grammatical Description. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 45-64. Burzio, Luigi (1986): Italian Syntax: A Government-Binding Approach. Dordrecht: Reidel. Cardinaletti, Anna (1990): Es, pro and sentential arguments in German. Linguistische Berichte 126, 135-164. Daneš, Frantisek (1970): Zur linguistischen Analyse der Textstruktur. Folia Linguistica 4, 7278. Engel, Ulrich (1988): Deutsche Grammatik. Heidelberg: Groos. Frey, Werner (2004): A medial topic position for German. Linguistische Berichte 198, 153190. Frey, Werner (2006a): Contrast and movement to the German prefield. In: Molnár, Valéria & Susanne Winkler (eds.): The Architecture of Focus. Studies in Generative Grammar 82. Berlin / New York: Mouton de Gruyter, 235-264. Frey, Werner (2006b): How to get an Object-es in to the German prefield. In: Brandt, Patrick & Eric Fuß (Hgg.): Form, Structure, and Grammar. A Festschrift presented to Günther Grewendorf on Occasion of His 60th Birthday. studia grammatica 63. Berlin: Akademie Verlag, 159-185. Grewendorf, Günther (1989): Ergativity in German. Dordrecht: Foris. Grosz, Barbara J., Aravind K. Joshi & Scott Weinstein (1995): Centering: A Framework for Modelling the Local Coherence of Discourse. Computational Linguistics 21, 203-225. Haider, Hubert (1993): Deutsche Syntax – generativ. Tübingen: Narr. Höhle, Tilman (1982): Über Komposition und Derivation: zur Konstituentenstruktur von Wortbildungsprodukten im Deutschen. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 1, 76-112 Kuno, Susumo (1982): The Focus of the Question and the Focus of the Answer. In: Schneider, Robinson, Kevin Tuite & Robert Chametzky (eds.): Papers from the Parasession on Nondeclaratives. Chicago: Chicago Linguistics Society, 134-157. Levin, Beth & Malka Rappaport Hovav (1995): Unaccusativity. At the syntax-lexical semantics interface. Cambridge, Ma.: MIT Press. McFadden, Thomas (2007): Default case and the status of compound categories in Distributed Morphology. Penn Working Papers in Linguistics 13.1, 225-238. Meinunger, André (2007): About Object es in the German Vorfeld. Linguistic Inquiry 38, 553563. Müller, Gereon (1999): Optimality, Markedness, and Word Order in German. Linguistics 37, 777-818. Paranhos Zitterbart, Jussara (2002): Zur Mittelfeldfähigkeit des Korrelates es in Verbindung mit Subjektsätzen. Sprachwissenschaft 27, 149-195. Pittner, Karin & Judith Berman (2004): Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr. Prince, Alan and Paul Smolensky (1993) Optimality Theory: Constraint Interaction in Generative Grammar. Ms., Rutgers University. Pütz, Herbert (1986): Über die Syntax der Pronominalform ‚es’ im modernen Deutsch. Tübingen: Narr. Reis, Marga (1997): Zum syntaktischen Status unselbständiger Verbzweit-Sätze. In: Sprache im Fokus. Festschrift für Heinz Vater zum 65. Geburtstag, Christa Dürscheid, Karl-Heinz Ramers u. Monika Schwarz (Hgg.). Tübingen: Niemeyer. 121-144. Sabel, Joachim (2000): Das Verbstellungsproblem im Deutschen. Deutsche Sprache 28, 74-99. Das Vorfeldranking und das Vorfeld-es 37 Speyer, Augustin (2007): Die Bedeutung der Centering Theory für Fragen der Vorfeldbesetzung im Deutschen. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 26, 83-115. Speyer, Augustin (2008a): German Vorfeld-filling as Constraint Interaction. In: Benz, Anton & Peter Kühnlein (Hgg.) Constraints in Discourse. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 267-290. Speyer, Augustin (2008b): Topicalization and Clash Avoidance. PhD-Dissertation, University of Pennsylvania. Speyer, Augustin (2008c): Doppelte Vorfeldbesetzung im heutigen Deutsch und im Frühneuhochdeutschen. Linguistische Berichte 216, 457-488. Speyer, Augustin (im Ersch.): Filling the vorfeld in written and spoken discourse. Erscheint in: Tanskanen, Sanna-Kaisa, Marja-Liisa Helasvuo, Marjut Johansson, Johanna Karhukorpi & Mia Raitaniemi (Hgg): Discourses in Interaction. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins. Sternefeld, Wolfgang (2006) Syntax. Eine morphologisch motivierte generative Beschreibung des Deutschen. Tübingen: Stauffenburg. Suchsland, Peter (1988): Zur Interaktion von Morphologie und Syntax. Deutsch als Fremdsprache 25, 321-327. Tomaselli, Alessandra (1986): Das unpersönliche „es“ – Eine Analyse im Rahmen der Generativen Grammatik. Linguistische Berichte 102, 171-190. Wöllstein-Leisten, Angelika, Axel Heilmann, Peter Stepan & Sten Vikner (1997): Deutsche Satzstruktur. Grundlagen einer syntaktischen Analyse. Tübingen: Stauffenburg. Vater, Heinz (²1994): Einführung in die Textlinguistik. München: Fink. Zifonun, Gisela (1995): Minimalia Grammaticalia: Das nicht-phorische es als Prüfstein grammatischer Theoriebildung. Deutsche Sprache 23, 39-60. Zwart, C. Jan-Wouter (1997): Morphosyntax of Verb Movement: a minimalist analysis of the syntax of Dutch. Dordrecht: Kluwer. Frankfurt/M. Augustin Speyer Graduiertenkolleg ‚Satzarten’, Varrentrappstr. 40-42, 60486 Frankfurt, [email protected] Linguistische Berichte 181/2000 © Helmut Buske Verlag, Hamburg