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Morbus Coats bei einem Jungen mit DiGeorge-Syndrom

1997, Monatsschrift Kinderheilkunde

Bei der Untersuchung sahen wir einen 113 cm großen und 26 kg schweren Jungen, der von seinem Vater wegen Knochenschmerzen getragen wurde. Er war geistig und motorisch retardiert und hatte einen iatrogenen cushingoiden Habitus. Als pathologische Befunde waren eine ausgeprägte Stomatitis, ein kariös zerstörtes Gebiß sowie eine chronische Otitis media mit perforierten Trommelfellen beidseits zu erheben. Der übrige Untersuchungsbefund war unauffällig.

Monatsschr Kinderheilkd 1997 · 145:1061–1065 © Springer-Verlag 1997 Kasuistik M. Scholz1 · M. Salamon-Looijen2 · B. Pfau3 · Ch. Kujat 4 · K. Hille3 · N. Graf1 1 Klinik für Kinder- und Jugendmedizin,Homburg/Saar 2 Institut für Pathologie,Abteilung für allgemeine und spezielle Pathologie,Hamburg/Saar 3 Augenklinik und Poliklinik,Homburg/Saar 4 Radiologische Klinik,Arbeitsgemeinschaft Kernspintomographie,Universitätskliniken des Saarlandes,Homburg/Saar Morbus Coats bei einem Jungen mit DiGeorge-Syndrom* Zusammenfassung Der Morbus Coats ist charakterisiert durch teleangiektatische und aneurysmatische Gefäßveränderungen der Retina und sekundäre intra- und subretinale Exsudate.Meist ist durch frühzeitige Therapie der Visus zu erhalten.In seltenen, fulminant verlaufenden Fällen können eine vollständige Amotio retinae und Erblindung auftreten.Dieser Fall ist die erste Beschreibung eines Morbus Coats bei einem DiGeorge-Syndrom.Wir berichten über einen 8jährigen Jungen mit einem DiGeorge-Syndrom, bei dem nach einer Tympanoplastik Typ I starke Kopfschmerzen auftraten.Durch Ophthalmoskopie, Computertomographie und Kernspintomographie konnten ein Retinoblastom ausgeschlossen und ein Morbus Coats diagnostiziert werden. Diskussion: Die Ursache des Morbus Coats ist bis heute nicht geklärt.Das Zusammentreffen mit dem DiGeorge-Syndrom ist wahrscheinlich zufällig. Schlüsselwörter DiGeorge-Syndrom · Morbus Coats · Leukokorie · Retinoblastom · Amaurose im Kindesalter D er Morbus Coats oder Retinitis exsudativa externa ist eine idiopathische Netzhauterkrankung, die charakterisiert ist durch Teleangiektasien und Aneurysmen der retinalen Gefäße in Kombination mit einem ein- oder beidseitigen intra- und subretinalen Exsudat [3, 11]. Erstmals wurde die exsudative Retinitis von Coats 1908 beschrieben. Die Ätiologie des Morbus Crohn ist bis heute unbekannt [3]. Das DiGeorge-Syndrom ist ein TZell-Defekt, der verursacht ist durch eine fehlerhafte Morphogenese der 3. und 4. Schlundtasche. Die typischen Symptome sind Thymushypo/ oder aplasie, Immundefizienz, Hypoparathyreoidismus, Herzvitien und eine typische Fazies. Im folgenden beschreiben wir unseres Wissens nach erstmals die Koinzidenz eines Morbus Coats mit einem DiGeorge-Syndrom. Fallbericht 1988 wurde der Patient als 2. Kind gesunder Eltern in Kasachstan geboren. Die Familienanamnese ist unauffällig. Schon als Säugling litt er unter schweren Pneumonien, Mittelohrentzündungen, Stomatitiden und Hautabszessen. Im 1. Lebensjahr waren 9 generalisierte Krampfanfälle bei erniedrigten Serumkalziumwerten aufgetreten. Im Alter von 6,5 Jahren wurde der Patient zur Abklärung der rezidivierenden Infektionen in die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Homburg überwiesen. Untersuchungsbefund Bei der Untersuchung sahen wir einen 113 cm großen und 26 kg schweren Jungen, der von seinem Vater wegen Knochenschmerzen getragen wurde. Er war geistig und motorisch retardiert und hatte einen iatrogenen cushingoiden Habitus. Als pathologische Befunde waren eine ausgeprägte Stomatitis, ein kariös zerstörtes Gebiß sowie eine chronische Otitis media mit perforierten Trommelfellen beidseits zu erheben. Der übrige Untersuchungsbefund war unauffällig. Pathologische Laborbefunde Kalzium im Serum 1,9 mmol/l, Parathormon im Serum nicht nachweisbar. Diagnostik Aufgrund der rezidivierenden Infektionen, der hypokalzämischen Krämpfe und des Hypoparathyreoidismus hatten wir den Verdacht eines DiGeorgeSyndroms. Mittels Chromosomenuntersuchung konnte eine Deletion der Region 22q11 nachgewiesen werden. Die Differenzierung der T- und B-Lymphozyten war unauffällig, so daß sich die Diagnose „partielles DiGeorge-Syndrom“ ergab. * Gewidmet Dr.Fritz Scholz, Deggendorf zum 65.Geburtstag Dr. M. Scholz Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, D-66421 Homburg/Saar& : y d b & k c o l n f / Monatsschrift Kinderheilkunde 10·97 | 1061 Monatsschr Kinderheilkd 1997 · 145:1061–1065 © Springer-Verlag 1997 Kasuistik M.Scholz · M.Salamon-Looijen · B.Pfau Ch.Kujat · K.Hille · N.Graf Coats’ disease in a boy with DiGeorgeSyndrome Summary Coats’disease is characterized by teleangiectatic and aneurysmal changes of the retinal vessels with secondary intra- and subretinal exudates.In most cases vision can be preserved by therapy at an early stage.In rare, advanced cases a total retinal detachment causes amaurosis.This case is the first description of Coats’disease associated with DiGeorge-Syndrome.We report the case of an eight year old boy, who suffered from headache after ear surgery (tympanoplastic type I).Retinoblastoma could be exluded and Coats’disease was diagnosed by ophthalmoscopy, computertomography and magnetic resonance imaging. Discussion: Until today the cause of Coats’ disease is unknown.The coincidence with DiGeorge-Syndrome seems to be accidental. Key words DiGeorge-Syndrom · Coats’disease · Leukocoria · Retinoblastoma · Amaurosis in childhood 1062 | Monatsschrift Kinderheilkunde 10·97 Abb.1 b Ophthalmoskopie: Trichterförmige Ablösung der gesamten Retina. Flüssigkeitsansammlung zwischen Retina und Glaskörper. Zahlreiche Teleangiektasien und geschlängelte Gefäße Zum Ausschluß von Stereoidnebenwirkungen wurde eine augenärztliche Untersuchung veranlaßt. Dabei wurde beidseits eine Myopie diagnostiziert. Papille und Makula waren beidseits unauffällig. Der übrige Fundus war wegen der mangelnden Kooperation des Patienten nicht beurteilbar. Zwei Tage nach einer komplikationslosen Tympanoplastik Typ I zum Verschluß des von den chronischen Infektionen perforierten linken Trommelfells litt der Junge unter starken Schmerzen frontal und parietal links. Der Operationssitus war unauffällig und der Patient klagte zunehmend über Lichtempfindlichkeit. Das rechte Auge zeigte einen altersentsprechenden Normalbefund. Links war die Hornhaut trüb, die Vorderkammer abgeflacht und retrolental zeigten sich dichte gelbliche Gewebsmassen. Zum Ausschluß eines Retinoblastoms wurde eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, die eine vollständig abgelöste Retina zeigte. In der Narkoseuntersuchung zeigten sich links das Bild einer totalen Netzhautablösung sowie reichlich Blutgefäße und Einblutungen im temporalen unteren Quadranten (Abb. 1). Zwischen Retina und Glaskörper fand sich eine Flüsigkeitsansammlung mit Verdacht auf Cholesterineinlagerungen. Im temporalen unteren Quadranten, wo die Netzhaut eingeblutet und verdickt war, fanden sich echographisch 2 kleine stärker kontrastgebende Bereiche mit Verdacht auf Verkalkungen. In der Computertomographie (Abb. 2) stellte sich der gesamte linke Bulbus oculi homogen hyperdens dar. Es waren keine über den Bulbus greifende Raumforderung und keine Verkalkung zu sehen. In der Kernspintomographie (Abb. 3) zeigten sich eine Signalerhöhung des linken Bulbus oculi in der T1-Gewichtung sowie eine signalarme Membran innerhalb des Bulbus. Dies wurde als abgelöste Retina gedeutet, die von proteinreicher Flüssigkeit subretinal und im Glaskörper abgehoben war. Da die Ophthalmologen keine Hoffnung hatten, durch Erhaltung des Auges einen Restvisus wiederherstellen zu können, entschlossen wir uns, im Einverständnis mit den Eltern, das linke Auge zu enukleieren. Makroskopisch (Abb. 4a, b) und histologisch (Abb. 4c, d) bestätigte sich der Verdacht eines Morbus Coats. Im Bereich des Glaskörpers zeigte sich homogenes, gelbbraunes Material, das sich als PAS-positives, eosinophiles Exsudat mit zahlreichen Cholesterinkristallücken darstellte. Die Retina war fast vollständig abgehoben und nur noch an der Ora serrata und der Papilla N. optici in situ. Die Neurone der Netzhaut waren degeneriert. Die Retinakapillaren waren fokal ektatisch und zeigten stellenweise ausgeprägte fibrinoide Nekrosen. Diskussion Der Morbus Coats ist eine ätiologisch unklare Erkrankung der Netzhautgefäße. Er tritt vor dem 20. Lebensjahr mit einem Gipfel zwischen dem 5. und 10. Lebensjahr auf [3, 4]. Ein 2. Gipfel tritt nach dem 40. Lebensjahr auf. 2 3 Abb.2 b Computertomographie der Orbitae: Homogene, hyperdense Darstellung des gesamten linken Bulbus oculi ohne sichere Zeichen von Verkalkungen Abb.3 b MRT der Orbitae (T1-Wichtung ohne Gadolinium-DTPA). Im linken Bulbus oculi ist eine membranartige, signalarme Struktur erkennbar. Es handelt sich hierbei um die abgelöste Retina. Ein solider Tumor ist nicht erkennbar Die juvenile Form betrifft in 75% der Fälle Jungen [10] und kann in 5–10% der Fälle beidseits auftreten [6, 10]. Die häufigsten Befunde sind Leukokorie mit oder ohne Strabismus (55%), Visusverschlechterung, Schmerzen (11%), Iritis und Katarakt [4, 6]. Unser Patient war aufgefallen durch Lichtempfindlichkeit, Schmerzen und durch geringgradige Zunahme des schon vorbestehenden Schielens. Eine Leukokorie war nicht aufgefallen. Ophthalmoskopisch zeichnet sich der Morbus Coats durch Teleangiektasien und Aneurysmen der Netzhautgefäße sowie durch eine ödematöse, oftmals abgehobene Retina und gelbliche, rundliche, intra- und subretinale Exsudate unterschiedlichen Ausmaßes aus [3, 6]. Frühe Stadien des Morbus Coats können wegen des Fehlens von Symptomen bei jungen Patienten leicht übersehen werden [1]. Da bei Kindern und Jugendlichen der Verlauf meist durch eine frühe und progrediente Exsudation gekennzeich- net ist, kommt es oft zur Netzhautablösung (80%) [3, 4, 11]. Bei jungen Patienten führt meist erst die Ablatio retinae zu den ersten Symptomen [7, 11, 13]. Bei einer Nachuntersuchung von 62 Patienten war das Intervall zwischen den ersten Symptomen bis zur erforderlichen Enukleation in 47% der Fälle <1 Monat [1, 4]. Die Differentialdiagnose der Leukokorie bzw. des Morbus Coats umfaßt einige klinisch ähnlich imponierende Krankheitsbilder und bereitet deshalb gelegentlich große Schwierigkeiten [1]. In der Reichenfolge abnehmender Häufigkeit sind zu erwähnen: Retinoblastom, Morbus Coats, persistierender hyperplastischer primärer Glaskörper, Retinopathie praematurorum, intrakulare Entzündung (Toxocariasis, Toxoplasmose), konnatale Katarakt [2, 7, 8, 14]. Mit einem Anteil von bis zu 58% bei den Leukokorien im Kindesalter ist das Retinoblastom bei weitem die häufigste Diagnose und muß wegen der therapeutischen Konsequenzen immer bis zum Beweis des Gegenteils angenommen werden [6, 16]. Die Differenzierung des Morbus Coats vom Retinoblastom war früher nicht immer möglich. Die Therapieempfehlung in derartigen unsicheren Fällen ging dahin, eher ein betroffenes Auge zu enukleieren als die Erhaltung des Auges anzustreben und somit ein Retinoblastom fälschlicherweise nicht zu entfernen [15]. Von 62 Augen mit histologisch nachgewiesenem Morbus Coats, die zwischen 1958 und 1980 enukleiert worden waren, war präoperativ in 58% der Fälle die Verdachtsdiagnose Retinoblastom gestellt worden [4]. In diesen diagnostisch schwierigen Fällen kann heute mittels bildgebender Verfahren ein Morbus Coats sicher von einem Retinoblastom unterschieden werden [1, 9] (Tabelle 1). Im Ultraschall des Auges ist beim Morbus Coats das Fehlen einer soliden Masse sowie von Verkalkungen richtungsweisend [1, 5, 9]. Beim Retinoblastom liegt zwar auch eine Netzhautablösung vor, man findet aber zusätzlich Tabelle 1 Unterscheidung von Retinoblastom und Morbus Coats im Computerund im Kernspintogramm CT MRT (Tumor im Vergleich zum Glaskörper) T1 T2 Gadoliniumaufnahme Hypodens Mäßig bis stark Retinoblastom Verkalkungen häufig Iso- bis hyperdens Morbus Coats Verkalkungen selten (Kein solider Tumor) Retina nimmt stark auf Monatsschrift Kinderheilkunde 10·97 | 1063 Kasuistik a c b d Abb.4 m a Linker Bulbus oculi, medianer Sagittalschnitt nach Formalinfixierung, bräunliche Trübung des Glaskörpers, Retinaablösung und Dislokation in vordere Glaskörperabschnitte, b Originalgroßflächenschnitt. Fast vollständige Retinaablösung, massives retroretinales eiweiß- und cholesterinreiches Exsudat (PAS-Färbung), c vordere Glaskörperabschnitte. Abgelöste, degenerierte Netzhaut, schaumzellig transformierte Makrophagen mit Retinapigment (Pfeil), Exsudat, Vergr. 320:1, PAS-Färbung, d vordere Glaskörperabschnitte, fibrinoide Wandnekrosen von Retinakapillaren, spärliche lymphozytäre Infiltrate, Vergr. 320:1, PAS-Färbung einen Tumor, der in über 90% der Fälle verkalkt ist. Zur Diagnosesicherung wurde deshalb früher immer ein Computertomogramm durchgeführt, da dieses Verkalkungen bis zu einer Mindestgröße von 2 mm darstellen kann [2, 9]. Da einige Retinoblastome aber keinen Kalk enthalten und andererseits beim Morbus Coats gelegentlich Verkalkungen gefunden werden [2, 9], sollte heute eher eine Kernspintomographie durchgeführt werden. Die Therapie hängt vom Krankheitsstadium ab. Wird die Diagnose Morbus Coats frühzeitig gestellt, kann mit dem Argonlaser, gelegentlich in mehreren Behandlungen, der destruktive Prozeß gestoppt werden [11, 13]. Es 1064 | Monatsschrift Kinderheilkunde 10·97 ist dadurch möglich Auge und Visus zu erhalten [1, 17]. Bei schon fortgeschrittenen Fällen mit deutlicher Netzhautablösung können durch Kryotherapie und Glaskörperchirurgie mit Drainage der subretinalen Flüssigkeit und evtl. Silikontamponade Auge und Restvisus erhalten bleiben [15, 17]. Es gibt stark ausgeprägte Befunde, die therapeutisch nicht zu beherrschen sind, und das betroffene Auge erblindet [3]. Die Pathogenese des Morbus Coats ist bisher nicht geklärt. In elektronenmikroskopischen Studien wurden eine abnorme Permeabilität und Struktur der Netzhautgefäße festgestellt [1]. Man vermutet deshalb, daß aus unklarer Ursache die Blut-Netzhaut-Schranke ver- loren geht und es sekundär zu vermehrter intra- und subretinaler Plasmaanreicherung kommt [3, 5]. Die Folgen sind Blutungen und Ablösung der Netzhaut. Es gibt aber viele Einzelfallberichte von Erkrankungen mit meist bekanntem Chromosomendefekt bzw. Vererbung, bei denen gleichzeitig ein Morbus Coats auftrat. Die Kombination Retinitis pigmentosa und Morbus Coats wurde schon mehrfach berichtet [12]. Trotz dieser Berichte gab es bisher keinen Hinweis dafür, daß der Morbus Coats erblich ist. Das Zusammentreffen des Morbus Coats mit einem DiGeorge-Syndrom mit nachgewiesener Deletion auf Chromosom 22, wie in unserem Fall ist, wenn auch beide Erkrankungen sehr selten sind, wahrscheinlich eher zufällig. Literatur 1. Atta HR,Watson NJ (1992) Echographic diagnosis of advanced Coats’ disease. Eye 6:80–85 2. Beets-Tan RGH, Hendriks MJ, Ramos LMP,Tan KEWP (1994) Retinoblastoma: CT and MRI. Neuroradiology 36:59–62 3. Blum M, Alexandridis E, Rating D (1994) Tuberöse Hirnsklerose und Morbus Coats. Ophthalmologe 91:377–379 4. Chang MM, McLean IW, Merritt JC (1984) Coats’ disease: a study of 62 histologically confirmed cases. J Pediatr Ophthalmol Strabismus 21:163–168 5. 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