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Die Reihenfolge der kuschitischen Könige

2015

Nach dem Erscheinen des Artikels „Ein Vorschlag zur Chronologie der 25. Dynastie in Ägypten“ von Michael Bányai in JEgH 6 (2013): 46–129 entstand die Idee, die dort vorgebrachte Hypothese der Umkehrung der Herrscherreihenfolge in der 25. Dyn. in einer Expertenrunde zu diskutieren. Zu diesem Anlass trafen sich am 16.05.2014 Michael Bányai, Gerard Broekman, Dan´el Kahn, Karl Jansen-Winkeln, Claus Jurman, Hans Neumann, László Török sowie Meike Becker, Anke Ilona Blöbaum und Angelika Lohwasser in Münster bei der Diskussionsrunde „Die Chronologie der 25. Dynastie im alten Ägypten“.Nach der Vorstellung der Thesen durch Bányai und der Reaktionen auf bestimmte Argumente bzw. Vorstellung von einschlägigen Quellen durch die geladenen Referenten eröffneten wir eine Podiumsdiskussion, die zuletzt auch für das anwesende Auditorium geöffnet wurde. In den abschließenden Gesprächen wurde die Idee geboren, dass Bányai eine Überarbeitung seines Artikels unter Einbeziehung der Stellungnahmen verfasst und diese zur Kommentierung nochmals den Referenten zukommen lässt. Die jeweiligen Kommentare sind—mit Namenskürzeln gekennzeichnet—direkt nach dem betreffenden Absatz eingefügt worden bzw., sofern es sich um Literaturergänzungen handelt, in den Fußnoten beigefügt worden. Mit dem erneuten Aufgreifen des Problems der Herrscherreihenfolge von Schabako und Schebitko und den Kommentaren zu den einzelnen Argumenten hoffen wir, die Diskussion auch in einem weiteren Rahmen anzustoßen.

Journal of Egyptian History 8 (�0�5) ��5–�80 brill.com/jeh Die Reihenfolge der kuschitischen Könige Michael Bányai Oberursel 61440, Germany [email protected] Mit Kommentaren von Anke I. Blöbaum, Gerard Broekman, Karl JansenWinkeln, Claus Jurman, Dan´el Kahn, Angelika Lohwasser und Hans Neumann Vorbemerkung (Angelika Lohwasser) Nach dem Erscheinen des Artikels „Ein Vorschlag zur Chronologie der 25. Dynastie in Ägypten“ von Michael Bányai in JEgH 6 (2013): 46–129 entstand die Idee, die dort vorgebrachte Hypothese der Umkehrung der Herrscherreihenfolge in der 25. Dyn. in einer Expertenrunde zu diskutieren. Zu diesem Anlass trafen sich am 16.05.2014 Michael Bányai, Gerard Broekman, Dan´el Kahn, Karl Jansen-Winkeln, Claus Jurman, Hans Neumann, László Török sowie Meike Becker, Anke Ilona Blöbaum und Angelika Lohwasser in Münster bei der Diskussionsrunde „Die Chronologie der 25. Dynastie im alten Ägypten“.1 Nach der Vorstellung der Thesen durch Bányai und der Reaktionen auf bestimmte Argumente bzw. Vorstellung von einschlägigen Quellen durch die geladenen Referenten eröffneten wir eine Podiumsdiskussion, die zuletzt auch für das anwesende Auditorium geöffnet wurde.2 In den abschließenden Gesprächen wurde die Idee geboren, dass Bányai eine Überarbeitung seines Artikels unter Einbeziehung der Stellungnahmen verfasst und diese zur Kommentierung nochmals den Referenten zukommen lässt. Die jeweiligen Kommentare sind—mit Namenskürzeln gekennzeichnet—direkt nach dem 1 Die Diskussionsrunde wurde dank der Förderung durch das Exzellenzcluster „Religion und Politik“ am Institut für Ägyptologie und Koptologie der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster veranstaltet. Kontakt: Anke I. Blöbaum: blobaum@uni-muenster .de; Gerard Broekman: [email protected]; Karl Jansen-Winkeln: karl.jansen-winkeln@fu -berlin.de; Claus Jurman: [email protected]; Dan´el Kahn: Danelka@netvision .net.il; Angelika Lohwasser: [email protected]; Hans Neumann: neumannh@uni -muenster.de. 2 Von der gesamten Veranstaltung wurde eine Audioaufnahme gemacht, die danach allen Referenten und insbesondere Michael Bányai zur Verfügung gestellt wurde. © koninklijke brill nv, leiden, ���5 | doi �0.��63/�874�665-��3400�3 116 Bányai betreffenden Absatz eingefügt worden bzw., sofern es sich um Literaturergänzungen handelt, in den Fußnoten beigefügt worden.3 Mit dem erneuten Aufgreifen des Problems der Herrscherreihenfolge von Schabako und Schebitko und den Kommentaren zu den einzelnen Argumenten hoffen wir, die Diskussion auch in einem weiteren Rahmen anzustoßen. Keywords 25. Dynastie – Chronologie – Schabako – Schebitko Der Ursprung eines Problems:4 die Überlieferung Unsere Schwierigkeit, die Reihenfolge der kuschitischen Pharaonen zu bestimmen, vor allem bezogen auf Schabako und Schebitko, geht auf die Unfähigkeit der antiken historischen Geschichtsschreiber zurück, zwischen den beiden zu unterscheiden. Seit Herodot, der den Namen Sabacos (Hdt. II 137) stellvertretend für sämtliche kuschitische Könige nutzt, zieht sich dieses Versäumnis durch das Werk von Diodor Siculus, der mittlerweile allerdings von der Existenz von vier kuschitischen Herrschern zu berichten weiß (Buch I 44.6), mit Referenz auf Herodot uns aber nur den Namen desselben, Sabaco, überliefert. Diese historische Unschärfe muss ursächlich nicht unbedingt auf Herodot persönlich zurückgeführt werden. Sie könnte u.U. bereits durch die damnatio memoriae, die seit Psammetich II. über den kuschitischen Pharaonen lastete, ausgelöst worden sein.5 3 Gerard Broekman (GB), Dan´el Kahn (DK), Karl Jansen-Winkeln (KJW), Claus Jurman (CJ), Hans Neumann (HN), Anke I. Blöbaum (AIB), Angelika Lohwasser (AL) und Michael Bányai (Autor). Dank an Meike Becker und Karin Fitzenreiter für die in diesem Fall besonders mühevolle Redaktion von Artikel und Kommentaren! 4 Ich möchte an dieser Stelle die Pionierarbeit von J. Baker und J.-Fr. Brunet erwähnen. Diese ist mir zur Zeit der Veröffentlichung nur in Form einer Korrespondenz bekannt gewesen. Wie ich nachträglich erfahre, hat J.-Fr. Brunet seine Ideen 2005 veröffentlicht: „The XXIInd and XXVth Dynasties Apis Burial Conundrum“. 5 Die systematische damnatio memoriae der kuschitischen Dynastie zur Zeit Psammetichs II. ist vielfach attestiert und in der Fachliteratur erkannt. Siehe dazu z.B. FHN 1, 286. HN: vgl. dazu (mit Literatur) jetzt Baker und Mattila, in: PNA 3 II, 1180b. DK: Against the damnatio memoriae in the days of Psammetichus see: Koch, “Usurpation and the Erasure of Names.” Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 117 Man könnte daher annehmen, dass die in Manetho überlieferten zwei Pharaonen namens Sabacôn und Sebichōs nicht nur zufällig ähnlich klingen, sondern auf eine mündliche Erinnerung zurückgehen, die den lautlichen Unterschied zwischen den Pharaonen Schabako und Schebitko nicht mehr erkannte. CJ: Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht von Interesse, dass die Manethonische Überlieferung für die 3. Dynastie ein ähnliches Phänomen zeigt: nicht nur wurde der Name von Djoser mit dem seines Nachfolgers Djoser-Teti verwechselt, auch Djoser-Teti selbst scheint bei Africanus zweifach vertreten zu sein, einmal als Τόσορθρος, ein andermal als Τύρεις (< über die hieratische Verschreibung Trj < Ttj). Siehe detailliert hierzu Gundacker, „The Chronology of the IIIrd and IVth Dynasties“, 100–04. Der Vorschlag von Jansen-Winkeln,6 das im Namen des ersten kuschitischen Königs in den Versionen des Africanus und Eusebius erhaltene ô als ein lautliches Überbleibsel des im Namen Schabakos von den zeitgenössischen assyrischen Quellen (Rassam-Zylinder) wiedergegebenen langen –u, Ša-ba-ku-u, zu behandeln, kann nicht gänzlich überzeugen.7 HN: zur Stelle vgl. jetzt auch Kessler, in: PNA 3 II, 1228b der Personenname geht auf ein Alef aus, was durchaus eine Dehnung des vorhergehenden Vokals anzeigen könnte bzw. nicht ausschließen muss. Zum Verhältnis der u-Schreibungen zu einem anzunehmenden /o/ in der akkadischen Überlieferung vgl. Westenholz, „The Phoneme /o/ in Akkadian“. CJ: Die Annahme, dass auslautendes û in der assyrischen Keilschrift immer griechischem ω entsprechen muss, ist ganz sicher nicht zutreffend. Vgl. z.B. PꜢ-dj-smꜢ-tꜢ.wj = Πετεμοστοῦς = Pa-aṭ-mu-us-tu-u (Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen II, 420). 6 Jansen-Winkeln in der Expertenrunde in Münster, 2014. 7 S. dazu auch Luckenbill, Ancient records of Assyria and Babylonia II, 295 und Smith, Die Keilschrifttexte Assurbanipals, 12. Die assyrische Wiedergabe des Namens Schebitkos (Tang-i Var) enthält hingegen kein langes –u (Šá-pa-ta-ku-⌈u’). Man kann, anhand einiger sowohl in assyrischen Texten wie in späteren griechischen vorkommenden Namen, wie Nikû>>Nechaô, Nathû>>Natõ, Pir´u>>Pharaō, die phonetische Umwandlungsregel ableiten, wonach assyrisch langes u (û) in ägyptischen Namen im Griechischen systematisch als Ω widergegeben wird. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 118 Bányai KJW: Die im Ägypischen als ŠꜢbꜢkꜢ/Šbk und ŠꜢbꜢtꜢkꜢ/Šbtk wiedergegebenen nubischen Namen der Könige „Schabako“ und „Schebitko“ entsprechen im Akkadischen Šabakû (in den Assurbanipalannalen, s. Onasch, Die assyrischen Eroberungen Ägyptens I, 122–23, 155; II, 127) bzw. Šapataku’ (in der Inschrift von Tang i-Var, s. Frame, „The Inscription of Sargon II“, 36/40 [Z. 20]); das ist unstrittig. Manetho gibt die Namen der beiden Vorgänger des Taharka als Σαβακων und dessen Sohn Σεβιχως. Herodot (II, 137) und Diodor (I, 65) erwähnen namentlich nur einen König Σαβακων. In zwei Glossen zu Hieronymus’ lateinischer Version der griechischen Chronik des Eusebios wird gesagt, dass Taharka (Tarachus) seinen Vorgänger tötete und dann selbst regierte. Dieser Vorgänger heißt dort Sebio(nem) bzw. Sebicho (s. Depuydt, „Glosses to Jerome’s Eusebios“, 33–34). Die griechische Form Σαβακω(ν) ist eine lautlich perfekte Entsprechung der zeitgenössischen akkadischen Wiedergabe des Namens des ŠꜢbꜢkꜢ durch Šabakû: Die Entsprechung von akkadisch š mit griechischem σ in ägyptisch überlieferten Personennamen ist regulär, vgl. etwa Reamašeša—Ραμ(εσ)σης; Amurṭeše—Αμορταιος/Αμονορταισις; Šuta (Stẖ)—Σηθ; Puṭubešti— Πετουβαστις; etc. Zur gleichfalls regulären Entsprechung von akkadischem auslautendem langen ū bzw. û mit griech. ω vgl. NꜢj-n-tꜢ-ḥwt (Leontopolis) = akkad. Naṭḫū (Assurbanipalannalen) = griech. Ναθω (Hdt. II,165); Ḥr-tꜢ-bꜢt (Name) = akkad. Hartibū = griech. Αρτιβως; NkꜢw (Name) = akkad. Nikū = griech. Νεκως/Νεχαω; pr-ꜤꜢ (Pharao) = akkad. Pir´ū = griech. Φαραω, etc. Von den beiden bei Manetho überlieferten Namen der ersten beiden Könige der 25. Dynastie entspricht mithin der erste, Σαβακων, ohne jeden Zweifel dem ŠꜢbꜢkꜢ der ägyptischen Quellen. Schon Herodot, nur ca. zwei Jahrhunderte nach den Assurbanipalannalen, nennt den Namen in genau derselben Form. Der Name des Schebitko ist dagegen in der Überlieferung lautlichen Veränderungen unterzogen worden (vgl. dazu auch Lloyd, Herodotus Book II, 100), die in Ermangelung von Zwischenstufen und Vergleichsmaterial zur Wiedergabe nubischer Namen im Griechischen nicht im Einzelnen rekonstruiert werden können. Man kann sich aber leicht vorstellen, dass t + k, sollten sie (z.B. durch Synkopierung) in Kontaktstellung geraten sein, durch griechisches χ wiedergegeben werden konnte. In jedem Fall entsprechen sich von den jeweils im Akkadischen und Griechischen überlieferten beiden Namen Šabakû (= ŠꜢbꜢkꜢ) und Σαβακω(ν) zu 100 %, und bei Šapataku’ ist eine Entwicklung zu Σεβιχω(ς) leicht möglich. Die Identität von Σαβακων mit Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 119 Schabako wird auch dadurch erhärtet, dass er bei Herodot und Diodor als großer Bauherr und berühmter König als einziger namentlich genannt wird (und auch viel später noch in Erinnerung blieb, vgl. Leclant, „Schabaka“, 504). Das passt zu Schabako, der auch zeitgenössisch viel besser bezeugt ist, aber in keiner Weise zu Schebitko. Es ist daher völlig unzweifelhaft, dass mit Σαβακων nur Schabako und mit Σεβιχως nur Schebitko gemeint sein kann. Von einer „Unfähigkeit der antiken historischen Geschichtsschreiber . . . zwischen den beiden zu unterscheiden“ kann keine Rede sein (und auf die anderen wilden Spekulationen über Königsnamen lohnt sich nicht einzugehen). Will man die These von der Reihenfolge Schebitko—Schabako aufrechterhalten, bleibt nur die Möglichkeit, Manetho zu emendieren. Es ist aber ganz unwahrscheinlich, dass sich Manetho geirrt haben sollte: Nach Herodot fallen die „Äthiopier“ unter Schabako in Ägypten ein, nach Manetho hat Schabako den Bokchoris gefangen und getötet, auch hier ist also Schabako derjenige, der (Unter)Ägypten erobert. Manetho kannte nachweislich Herodot, er hat sogar eine (nicht erhaltene) Schrift „Gegen Herodot“ verfasst (Verbrugghe und Wickersham, Berossos and Manetho, 100–01). Er hätte sicher die Gelegenheit genutzt, Herodot zu korrigieren, wäre Schebitko in Wahrheit derjenige gewesen, der Ägypten eroberte und Bokchoris tötete. DK: There is no factual written evidence of the conquest of Lower Egypt by Shabaka. What exists are stelae from the Delta dated to Shabaka’s reign (Meeks, “Les donations aux temples dans l’Égypte du Ier millénaire avant J.-C.,” 672–73), the mentioning by Manetho of the capturing of Bocchoris by Sabakon and burning him alive, and the stelae at the Serapeum of the Apis burial of year 6 of Bocchoris, which are associated by scholars with the stela year 2 of Shabaka. These have been dealt with extensively by Bányai. Autor: Die Logik hinter dem linguistischen Argument von KJW ist nachvollziehbar. Sehr wichtig scheint mir jedoch in diesem Zusammenhang die Notiz von HN zu sein, der nicht ausschließen möchte, dass ku-u´ im Namen Šapataku’, auch ein langes û notieren kann. Es bedeutete dann, dass beide Namen, Schebitko wie auch Schabako, in einem langen û endeten und daher beide mit griech. ω geendet haben müssen. Diese Schreibung entspräche derjenigen beider Namen im Sothisbuch, womit sie statt der Versionen des Africanus und Eusebius als die Korrekte ausgewiesen wäre. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 120 Bányai Ganz allgemein könnte man sich allerdings fragen, warum die Schreibung der Name der mit Sargon II. korrespondierenden Pharaonen so sehr von einem guten Umschreibungsstandard abweicht: Šilkanni oder Šilḫeni für Osorkon, Pir´u missverstanden als Personennamen und Šapataku’ für Shebitko. Die assyrische Schreibung des Namens Šapataku’ in Tang-i Var unterscheidet sich z.B. von dem Namen Schabakos (Šabakû) in mehr Punkten als man erwarten würde: pa statt ba, wie auch ku’ statt kû. Man sollte die Schreibungen Šilkanni/Šilḫeni oder Šapataku’ mit Vorsicht genießen, vor allem dann, wenn diese auf die Schriftpraxis einer ägyptischen Kanzlei zurückgehen sollten, die offenbar den Titel Pir´u z.B. als ägyptische Glosse zum akkadischen šar beifügte.8 Ich vermute daher, dass man anhand der Königsnamen in der Epitome überhaupt keine Entscheidung herbeiführen kann. Ganz anders verhält es sich mit der Zahlenüberlieferung bei Manetho, Herodot oder Diodor. Man darf, vor allem, wenn man sich linguistisch in Widersprüche verstrickt, Letztere nicht aus der Diskussion ausblenden. Die Gesamtlänge der Dynastie kann ausnahmslos anhand aller Quellen nicht mehr als maximal 50–51 Jahre betragen (wenn man Herodot (2.137– 141 und 2.147) oder Diodor (Buch I 44.6 + I 66.1), für die Periode zugrunde legt, in welcher „etwa vier Äthiopier regierten“). Gleichgültig, ob man annimmt, die Auswahl berücksichtigt Piye als vierten Pharao (aus meiner Sicht wahrscheinlicher) oder Tanutamun, ist diese Zeitlänge vollkommen inkompatibel mit der Schabako-Schebitko Reihenfolge. Der Verweis auf Manethos „Gegen Herodot“ ist wenig hilfreich, zumal dessen Inhalt vollkommen unbekannt ist. Offenbar hat—worauf der Titel hinweist—Manetho Widerspruch zu Herodots Historien angemeldet. Worauf sich dieser bezog, ist freilich unbekannt. Man könnte lediglich mutmaßen, dass Diodors Abweichung vom Bericht Herodots in der 8 Yariri von Karkemiš führte Anfang des 8. Jahrhunderts nachweislich keine ägyptisch sprachige Korrespondenz, unterhielt dennoch gleichzeitig Kontakte nach Ägypten. (Bryce, The World of Neo-Hittite Kingdoms, 95) Der erste ägyptische Schreiber in Ninive, ein gewisser ṢilliAššur, ist erst 692 belegt (Radner, „After Eltekeh“, 472). Die Schreibung pa- statt ba- in Šapataku’ könnte u.U. auf einen nichtassyrischen Kanzleibrauch hinweisen. Das akkadische Zeichen PA wurde nach der altakkadischen Zeit mit dem Lautwert bá- nur in Randgebieten verwendet (u.a. Allalakh und hethitisches Reich) nicht in Assyrien oder Babylonien selbst (von Soden und Röllig, Das Akkadische Syllabar 1, 39). Der Name Pir´u dürfte als ägyptische Glosse zum assyrischen šar nach Art der kanaanitischen (und ägyptischen) Glossen in der Amarna-Korrespondenz geschrieben worden sein. Daher das Missverständnis (NAME) pir´u šar KURMuṣuri (Izre´el, „The Amarna Glosses“, 104). Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 121 Darstellung der 25. Dynastie auf Manetho zurückgeht. Diodor I 4.6 weiß im Gegensatz zu Herodot von vier kuschitischen Königen zu berichten, nennt allerdings weiterhin als einzigen den uns aus Herodot bekannten Namen. Wenn also Diodor mit Bezug auf Manethos „Gegen Herodot“ uns den Namen Schebitkos dennoch verschweigt, dann führt dies zur legitimen Annahme, dass die Historiographie der Spätperiode zwar von mehreren kuschitischen Königen wusste, sie aber nicht mehr zuverlässig namentlich auseinander halten konnte. Die Deutung von Jansen-Winkeln verlangt, das im Buch von Sôthis in den beiden Namen Sabacôn und Sebecôn überlieferte ô argumentativ zu ignorieren oder im zweiten Fall als sekundär zu behandeln.9 Umgekehrt kann man auch sämtliche Vokallaute in der manethonischen Überlieferung dieser Namen als arbiträr behandeln. Sie würden auf keine orale Überlieferung zurückgehen, sondern auf eine schriftliche. Die ägyptische Schriftform der Namen liefert keinen Anhaltspunkt für ihre genaue Vokalisierung. Die Unterbrechung der oralen Überlieferungskette könnte man u.U. auf die zur Zeit Psammetichs II. auftretende damnatio memoriae der Kuschiten zurückführen und für die arbiträre spätere Vokalisierung stehen. DK: In the Assyrian inscription there are four vowels in the name Shabataku. In the Greek names of Sabacon and Sebichos there are only three vowels. So it is clear that one of the Greek name renderings is corrupt. Since Sabacon is a perfect transliteration of Shabako, it seems more plausible that the Greek sources got the name of Shabataku wrong, and not that they got both names wrong. CJ: Ich würde die velaren Endungen <kꜢ> und <ḳ> (> /k/ und /ḳ/ bzw. [k] und [kw]?) in kuschitischen Eigennamen keinesfalls miteinander gleichsetzen. Nur <ḳ> entspricht meroitischem -qo! Deshalb findet sich auch keine Schreibung von Schabako oder Schebitko mit <ḳ>! Vgl. generell Rilly und de Voogt, The Meroitic Language and Writing System, 7–10; 135. Wenn man davon ausgeht, dass sich die beiden ersten Namen in der Manethonischen Überlieferung der 25. Dynastie jeweils von „Schabako“ ableiten, erübrigte es sich, über eventuelle Fehlerquellen zu spekulieren. Falls man der unterschiedlichen Ausprägung der beiden Namen große Bedeutung beimessen möchte, wäre zu erwägen, ob sich Σεβιχῶς nicht vom Horusnamen Schabakos, Sb(Ꜣ)ḳ-tꜢ.wj herleiten könnte. Die 9 Waddell, Manetho, 247. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 122 Bányai Wiedergabe von /ḳ/ durch griechisches χ wäre zwar nicht regelhaft (normalerweise ägypt. /ḳ/ > griech. κ), doch findet sich bei genuin griechischen Personennamen häufig die Gleichung griech. χ > hierogl./dem. ḳ od. ḳ(h)w. DK: I find the suggestion of CJ unconvincing. Is there any other case where a Horus name is used for a king? If so, why was the Horus name used for only one and not for both kings? Wie bereits erwähnt, ist es durchaus möglich, dass man zur Zeit Herodots bereits nicht mehr gut zwischen Schabako und Schebitko unterscheiden konnte, u.a. auch wegen der unter Psammetich II. an den kuschitischen Pharaonen ausgeübten systematischen damnatio memoriae. Waddell macht auf die in der Epitome regelmäßig benutzte Methode aufmerksam, Könige desselben Namens durch Erfinden kleiner künstlicher Namensunterschiede auseinanderzuhalten.10 Wie z.B. die sonst durch nichts zu rechtfertigende Nennung eines Phius und eines Phiops (Pepi I. und Pepi II.), oder eines Methusuphis und Menthesuphis, (Nmtj-m-sꜢ=f I. und Nmtj-m-sꜢ=f II.). In all diesen Fällen handelt es sich um eine absichtlich unterschiedliche Vokalisierung, der keine wirkliche phonetische Grundlage zugrunde liegt. Die Leipziger Weltchronik nennt die beiden Könige gleich. Sie zählt einen Sebegchos und einen anderen Sebegchos hintereinander auf. Zudem scheint die Vokalisierung des Namens (n.B. kein Sabacôn/os!) willkürlich.11 Man könnte sich vorstellen, dass Manetho nur auf eine zur Zeit Psammetichs II. verstümmelte Vorlage zurückgreifen konnte, in der, wie so häufig, das Zeichen –tꜢ im Namen Schebitkos ausradiert wurde. In diesem Fall hätte Manetho keinen Unterschied zwischen den Namen der ersten zwei Kuschiten feststellen können. In der Epitome hätte man, zur Unterscheidung zwischen beiden Pharaonen, die von Waddell erkannte Methode benutzen können. 10 11 Waddell, Manetho, 69, N. 1. Baker macht mich nachträglich auf die „Leipziger Weltchronik“ aufmerksam. Diese ist zwar eine relativ späte Kompilation, laut Burgess („Another Look at the NewlyDiscovered ‘Leipzig World Chronicle’ “, 16) jedoch vorchristlichen Ursprungs. Dort wird ein „Sebenchos“ und ein „anderer Sebenchos“ aufgezählt. Bei Popko, „Ammeris/Marrhos/ Moiris“, 101, die gleichen Namen gelesen als: Sebegchos/ein anderer Sebegchos. Damit ist in der Weltchronik die Auffassung vertreten, dass die manethonische Quelle von zwei gleichnamigen kuschitischen Herrschern spricht. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 123 CJ: Vermutlich sollte man die Namensüberlieferung von der Überlieferung der Herrscherzahlen trennen. Manetho oder einem seiner Vorläufer könnte die Information vorgelegen haben, dass in der 25. Dynastie insgesamt drei Herrscher regierten. Die Überlieferung der konkreten Herrschernamen enthielt vielleicht jedoch nur Namen zweier Individuen, einer hiervon allerdings in einer leicht unterschiedlichen Dublette. Autor: Dies ist eine der Möglichkeiten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Manethos Original die scheinbare Namensidentität von Schabako und Schebitko (nach dem wie auch immer erklärten Verlust des Zeichens -tꜢ, siehe dazu den Vorschlag von GB) durch die zusätzliche Angabe der Thronnamen kompensierte. Auf die eventuelle zusätzliche Angabe von Thronnamen in Manethos Originalvorlage könnte die Tatsache hinweisen, dass die Epitome gelegentlich statt Eigennamen Thronnamen der Pharaonen angibt. Als die Epitome, eine völlig abgespeckte Version von Manethos Werk, zwischen Thronnamen und Eigennamen eine Entscheidung traf, musste man in den wenigen Fällen einer tatsächlichen oder vermeintlichen Namenswiederholung eine künstliche unterschiedliche Ausprägung solcher Namen einführen. Dennoch dürfte bekannt geblieben sein, wie die Leipziger Weltchronik zeigt, dass es sich nicht um einen tatsächlichen Namensunterschied handelte. Diodor zeigt mit seinem Hinweis auf (fast) vier kuschitische Herrscher, dass mit der bemerkenswerten Ausnahme bezüglich der Namensschreibung die nachherodotsche Überlieferung ziemlich akkurat war. Andererseits verdient auch die Anregung von Broekman hier erwähnt zu werden. Demnach könnte u.U. der regelmäßig auf -n endende Name des ersten kuschitischen Pharaos durch eine Missdeutung des Zeichens –tꜢ als ein Zeichen für -n entstanden sein.12 Dies kann eine alternative Erklärung für das in sämtlichen Vorlagen Manethos im Namen Schebitkos verlorengegangene –tꜢ bieten. GB: I would stress that I qualified my suggestion as just speculation. Nevertheless, as the cases of a Greek ending-n in personal names of Egyptian origin are comparatively few, I consider it not absolutely impossible that the tꜢ-sign in Shebitku, when being transcribed from the 12 GB in der Expertenrunde in Münster, 2014. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 124 Bányai Egyptian abnormal hieratic or demotic spelling into Greek, erroneously was taken to be the n-sign. On the other hand it seems more likely that Manetho applied two versions (Σαβάκων/Σεβιχώς) of a single royal name to two independent kings (Shabako and Shebitku). CJ: Die zuletzt von GB genannte Auffassung halte auch ich für ein durchaus vorstellbares Szenario. Meiner eigenen Meinung nach lässt sich aus dem Werk Manethos keine Auskunft über die Reihenfolge Schabako—Schebitko ableiten. Weder die assyrischen oder biblischen zeitgenössischen Quellen können uns helfen, dieses Problem zu klären. Die Erwähnung Schabakos im RassamZylinder Assurbanipals bietet keine chronologisch auswertbare Aussage. Keine nachweisbare kuschitische Herrschaft in Unterägypten vor 707/706 Es ist unbestritten, dass die Beibehaltung der inzwischen traditionellen Reihenfolge Schabako-Schebitko zur Annahme einer kuschitischen Präsenz bzw. Herrschaft in Unterägypten vor dem ersten offiziellen Kontakt zwischen kuschitischen und assyrischen Herrschern dokumentiert in der Tang-i Var Inschrift Sargons II. 707/706, zwingt. Schabako, der dem darin erwähnten Schebitko vorausgegangen sein soll, ist in Unterägypten etwas besser dokumentiert. CJ: Tatsächlich halten sich die unterägyptischen Belege auch für Schabako in Grenzen, wie ein Blick in Jansen-Winkelns Denkmälersammlung (Inschriften der Spätzeit III, 1–3; 28–29) deutlich macht. DK: In the Book of Isaiah chapter 20, a prophecy against both Egypt and Kush is evoked on the occasion of the campaign of the Tartan of Sargon against Ashdod, dated to 715 or 712/711. Thus, the involvement of Kush seems to predate 706 BCE. Autor: Das Argument lässt die von mir ebenfalls vor 706 angesetzte Tätigkeit des Piye außer Acht. Jedenfalls ist die Jesaja-Stelle kein Beweis für eine kuschitische Präsenz in Unterägypten zu diesem Zeitpunkt. Ganz im Gegenteil. Jes. 20 gehört Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 125 zeitlich in den historischen Zusammenhang, gebildet von Jes. 18–19 und Jes. 30. Der Hintergrund dieser Gruppe von Wahrsagungen ist die Bildung einer Allianz Judas mit Ägypten und Kusch (712/711)—ein Vorgriff auf die einzige bedeutende Kampagne Sargons in der Region, als Juda Mitglied einer antiassyrischen Koalition war. Sowohl Jes. 19 wie Jes. 30 reflektieren ein zentral geführtes Unterägypten, eine Situation, die diese Koalition 712/711 in den assyrischen Annalen von derjenigen von 701 deutlich unterscheidet. Es kann allerdings mehrere Sondierungen Jerusalems zwecks einer Allianz mit Ägypten schon vor der Absetzung von Azuri von Aschdod (also vor 713) und später von Jamani (ab 713) gegeben haben. Jes. 19 lässt durch die Auswahl: Zoan/Tanis und (vor allem!) Noph/ Memphis noch keine kuschitische Präsenz in Unterägypten erkennen. Zu diesem Zeitpunkt hinterlässt jedoch—nach herkömmlicher Reihung der kuschitischen Könige—Schabako Monumente in Memphis. Jes. 30 zählt erneut Zoan/Tanis (das unter den Kuschiten seine Bedeutung einbüßte) und Hanes/Herakleopolis magna als die zwei Ziele der Boten aus Judäa auf. Die Erwähnung von Tanis als einziger Stadt von Bedeutung in Unterägypten führt uns ein geeintes Unterägypten vor. Laut Sargons II. Annalen des Jahres 711: „(zu) Pir´u, dem König des Landes Muṣri, einem Fürsten, der ihnen nicht half, brachten sie ihr Geschenk und baten ihn wiederholt um Unterstützung“ war Unterägypten tatsächlich in dieser Periode unter einem König, fälschlich Pir´u genannt, geeint. Die Bedeutung von Tanis als Herrschaftszentrum im Nildelta geht noch auf Osorkon IV. zurück.13 Die Erwähnung von Hanes/Herakleopolis magna ist sogar von noch größerer historischer Relevanz und weist auf die Zeit zwischen der Invasion Piyes und der Kontrollübernahme der Kuschiten im Delta hin (nach herkömmlicher Chronologie wäre dies die Beseitigung Bokchoris 13 Da er 715 von Pir´u abgelöst wird, dürfte ab 715 in Tanis ein neuer Pharao geherrscht haben, höchstwahrscheinlich Tefnacht. Osorkon IV. wird mit höchster Wahrscheinlichkeit auf zwei Reliefs aus dem Tempel von Mut in Tanis dargestellt (Brandl, „Eine archaisierende Königsfigur der späten Libyerzeit“; Dodson, „The Coming of the Kushites and the Identity of Osorkon IV“). Eine alternative und noch plausiblere Möglichkeit, anstatt eine Ablösung Osorkons IV. in Tanis anzunehmen, wäre, dass Jes. 30 kurz vor der Erscheinung des „Pir´u“ entstanden ist. Da Tefnacht eine saitische Dynastie gründete und in Tanis nicht bezeugt ist, ist es schwer zu erklären, wieso man nach seiner Machtergreifung Boten nach Tanis statt nach Sais schicken sollte. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 126 Bányai durch Schabako—nach der geänderten Reihenfolge der kuschitischen Könige das 3. Regierungsjahr von Schebitko). Es ist eine weitverbreitete Überzeugung, die sich teilweise mit dem bisherigen Befund begründen lässt, dass sich Piye nach dem Sieg über die von Tefnacht angeführte Koalition aus Unterägypten zurückzog, während sich Mittelägypten mit dem wichtigsten Verbündeten Piyes, Peftjauawybast in Herakleopolis magna, politisch Piye (und damit auch Oberägypten und Theben) anschloss.14 Damit hätte eine Gesandtschaft aus Jerusalem, mit der Absicht ein antiassyrisches Bündnis mit Ägyptern und Kusch zu schließen, nur während eines kurzen Zeitintervalls zugleich Tanis und Herakleopolis magna aufsuchen können:15 14 15 Die Wortwahl von Peftjauawybast: „Die Unterwelt trägt mich davon und ich bin in Dunkelheit untergetaucht, worüber (auch) das Licht scheint. Ich fand keinen Freund am Tage der Not, der mir beistehen würde am Tag der Schlacht. Aber Du o mächtiger König, Du hast die Dunkelheit von mir entfernt.“ (FHN 1, 86) liefert den wichtigen Hinweis, dass Piye, als ihn der erste Hilferuf aus Herakleopolis ereilte, von Peftjauawybast noch nicht als Souzerän anerkannt wurde, sondern zunächst nur als mächtiger potentieller Verbündeter angesehen wurde. Die Änderung der Position Piyes gegenüber Peftjauawybast dürfte erst nach dessen Siegeszug eingetreten sein. Vermutlich zwei Töchter von Peftjauawybast sind auf den Stelen Cairo JdÉ 45348 und Cairo TN 11/9/21/4 (Daressy, „Stèle du roi Pefnifdubast“ und „Fragments Héracléopolitains“, 138–39) gegen Ende seiner Regierungszeit (beide bezeugt in seinem 10. Jahr) in Theben als Sängerinnen des Amun bezeugt. Sie waren daher im Umkreis von Amenirdis I. tätig. Kahn, „A Problem of Pedubasts?“, 33 bezieht die gleiche Passage auf die Gesandten des Pharaos, die bloß bis Hanes/Herakleopolis magna kommen konnten. Ich glaube, dass der Kontext von Jes. 30 eher auf die Gesandtschaft aus Jerusalem hinweist: Weh den trotzigen Söhnen—Spruch des Herrn—, die einen Plan ausführen, der nicht von mir ist, und ein Bündnis schließen, das nicht nach meinem Sinn ist; sie häufen Sünde auf Sünde. Sie machen sich auf den Weg nach Ägypten, ohne meinen Mund zu befragen. Sie suchen beim Pharao Zuflucht und Schutz und flüchten in den Schatten Ägyptens. Doch der Schutz des Pharao bringt euch nur Schande, die Flucht in den Schatten Ägyptens bringt euch nur Schmach. Wenn auch Israels Fürsten nach Zoan gingen und seine Boten nach Hanes: Sie werden doch alle enttäuscht von dem Volk, das nichts nützt, das niemand Nutzen und Hilfe verschafft, sondern nur Schande und Schmach bringt. (Einheitsübersetzung). Der Text würde sonst einen merkwürdigen Schlenker von den Gesandten Hiskijas zu den Gesandten des Pharaos machen. Nichtsdestoweniger ordnet sich die von Kahn präferierte Lesung ebenfalls der gleichen politischen Interpretation unter: Der Pharao von Unterägypten kontrolliert das Land nur noch bis Herakleopolis, wie zwischen der ersten Eroberung durch Piye und der zweiten kuschitischen Eroberung, die ihnen erlaubte, auch Unterägypten direkt zu kontrollieren. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 127 – als Tanis noch die Machtzentrale Unterägyptens unter Osorkon IV. (Šilkanni) darstellte, ehe er von Pir´u 715 abgelöst wurde16 – vor der definitiven Eroberung Ägyptens (je nach chronologischem Ansatz handelte es sich dabei um die Regierungen von Schabako oder Schebitko). Vor allem letzteres Datum lässt Herakleopolis für eine aus Jerusalem anreisende Gesandtschaft mit der Absicht, die Kuschiten zu kontaktieren, bedeutungslos werden. Nach diesem Datum sind Vertreter des Königs von Kusch in Unterägypten selbst anzutreffen. Unter den Bedingungen der herkömmlichen Chronologie gibt es keine Erklärung für das Aufsuchen von Herakleopolis magna durch die Botschafter Hiskijas kurz vor 712/711. Eine wesentlich frühere Zusammenarbeit zwischen Jerusalem und Ägypten ist undenkbar. Vor dem Fall Samarias war Ägypten eher den Gegnern Jerusalems zugeneigt—während Juda sich mit Assyrien verbündet hatte. Erst unter der Regierungszeit Sargons II. ist dieses Bündnis infolge der von ihm angeordneten Massendeportation der israelitischen Bevölkerung unpopulär geworden.17 Die Schlussfolgerung aus Jes. 30 und Jes. 19 ist, dass sich die kuschitische Präsenz im Norden auf das Herrschaftsgebiet von Herakleopolis 16 17 Jes. 19, reflektiert wahrscheinlich ein noch früheres Stadium der politischen Kontakte Jerusalems mit Ägypten. Herakleopolis stellt keine nennenswerte Größe dar und eine politische Spaltung Ägyptens wird angekündigt. Zumal keiner dieser Kontakte wesentlich vor 712/711 stattgefunden haben kann, muss man beide Ereignisse möglichst kurz hintereinander, z.B. 716 und 715, datieren, als laut den assyrischen Annalen ein neuer Pharao Šilkanni/Osorkon IV. verdrängte. Jes. 14, der über den Herrscher höhnt, der „seine Gefangenen nicht nach Hause entließ“, bezieht sich trotz der Einordnung des Textes unter die frühen Prophezeiungen Jesajas nicht auf den Tod von Tiglat-Pileser III. sondern auf den Tod von Sargon II. Tatsächlich sind die Umstände von Sargons II. Tod in der Schlacht, wonach seine Leiche nicht wiedergefunden und nicht bestattet werden konnte, dieselben, die Jes. 14 eloquent beschreibt. (Tadmor, Landsberger, und Parpola, „The Sin of Sargon“, 3–22). Ebenso ist der sarkastische Hinweis Jes. 14 auf das mythische Thronen Athtars (CTA 6, i, 48–65) auf dem „Berg der (Götter)Versammlung, auf der höchsten Höhe des Berges Zaphon“ als eine Reaktion auf den von Sargon II. veranlassten Kupferabbau am heiligen Berg Ba´il-sapuna 713/712 zu betrachten (Fuchs, Die Inschriften Sargons II., 325). Die Aufregung seiner Zeitgenossen über diesen Frevel Sargons dürfte sogar Jesaja nicht entgangen sein. Zumal keine der antiassyrischen Schriften Jesajas auf die Vorgänger Sargons II. bezogen werden kann, ist ein Parteienwechsel Jerusalems vor 720 bei Jesaja nicht erkennbar. Sämtliche bei Jesaja bezeugten Kontakte mit Ägypten müssen daher nach diesem Zeitpunkt angesetzt werden. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 128 Bányai beschränkte, als die Allianz, die 712/711 den Assyrern entgegentreten sollte, vorbereitet wurde. Die Entsendung von Boten aus Juda nach Hanes/Herakleopolis magna nicht lange vor 711, diente daher dem Kontakt mit den Kuschiten, die dort stationiert waren, ebenso wie die gleichzeitige Entsendung derselben Boten nach Zoan/Tanis dem Kontakt mit Osorkon IV., dem Herrscher über Unterägypten/Muṣri, diente. Obwohl sich Jes. 19 und 30 und die assyrischen Referenzen 716/715/711 gemäß der herkömmlichen Chronologie mit der Periode Schabakos dekken müssten, lassen sie sich nicht im Geringsten mit der unter Schabako in Unterägypten existierenden Situation vereinbaren. Erstere Quellen zeigen ein einheitliches Unterägypten unter der Herrschaft eines Pharaos namens Šilkani, bzw. später (mangels einer besseren Bezeichnung) der Herrschaft eines Pir´u. Schabako dürfte dagegen, wenn wir akzeptieren, dass er Bokchoris in seinem 2. Regierungsjahr beseitigte, seine Marionetten bereits in Sais (Ammeris der Äthiopier) und in Memphis eingesetzt haben.18 Es ist zudem nicht gut vorstellbar, dass Schabako nach Beseitigung von Bokchoris ganz Unterägypten noch unter dem Befehl eines libyschen Oberherrschers (sprich Pharao von Unterägypten) belassen haben soll. Tatsächlich unterscheiden auch die assyrischen Quellen die zumindest bis 711 in Unterägypten herrschende Situation von derjenigen von 701, für welches Jahr eine Myriade unterägyptischer Lokalherrscher verzeichnet wird. Allerdings ist die Präsenz kuschitischer Könige in Unterägypten mit einem Schlag durch die bekannte Aussage Sargons II. in Frage gestellt: „Der König von Meluḫḫa, welcher im . . . Land von Uriṣṣu (Oberägypten), einem unzugänglichen Ort, einen Weg . . . (wohnte)“.19 Mangels Alternativen ist diese Bezeichnung 18 19 Bokchoris hat mit Sicherheit außer der Herrschaft über Sais auch die Herrschaft über Memphis von Tefnacht I. geerbt. Denn auf der Großen Siegesstele von Piye trägt Tefnacht u.a. den Titel Sem Priester von Ptah. Damit war zu dieser Zeit die Kontrolle über Memphis verbunden. Auf zwei Uschebtis, die sich früher in Berlin befunden haben, 5829 und 7997, wird Bokchoris „Hohepriester von Memphis“ genannt. (El-Sharkawy, „A New List of the High-Priests of Ptah at Memphis“, 78). Will man Schabako nicht als denjenigen identifizieren, der Bokchoris lebendig verbrannt haben soll, sondern schreibt man diese Tat Schebitko zu, sieht man sich wesentlich größeren Problemen gegenüber gestellt. Dann müssten sich Šilkani und Pir´u ihre Alleinherrschaft mit Tefnacht und Bokchoris geteilt haben. Fuchs, Die Inschriften Sargons II., 451. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 129 mit Andreas Fuchs als Verschreibung des Begriffs PꜢ-tꜢ-rsy, d.h. Oberägypten (in späteren assyrischen Texten Paturisu) zu erklären.20 Will man sich gegen diese Aussage dennoch für eine Präsenz, also Herrschaft der Kuschiten in Unterägypten vor 707–706, entscheiden, bräuchte man dafür stärkere Argumente als bloß die Präferenz für die traditionelle Herrscherreihenfolge.21 DK: The equation of the emended GN(?) Uriṣṣu with Paturisi fails on linguistic grounds. The alleged identification of māt Uriṣṣu with Paturisu: Fuchs restored the location of the king of Meluḫḫa in ll. 109–111 in Prunkinschrift, room X on the basis of a parallel, equally destroyed inscription from room VII as follows (Fuchs, Die Inschriften Sargons II., 221, 348, 469): X:10,1: Šar māt (KUR) Me-luḫ-[ḫa] X:10,2: sa i-na qé-re[b { x x (x) māt(kur) Ú}]-[ri]?!-iṣ/z-ṣ/zu a-sar la 'aa-ri ú-ru-uḫ VII,7,11: [ -re]b LU[M] [x] [x] māt(kur) Ú -[ ] The identification of māt Uriṣṣu with Paturisi is difficult on several grounds: 1. In X:10,2 only iṣ/z-ṣ/zu remains of the location, while in VII,7,11 only Ú remains. 2. The reconstruction of the sign [ri]?! is questionable. The remains of the upper right hand of the sign are very small and can correspond to many signs. 3. The duplicated ṣ/z in Uriṣṣu does not correspond to the writing of Paturisu with a single s. 4. Fuchs reconstructs in the missing space six signs. In the rest of the inscription he reconstructs in the missing space between two and five signs maximum (see line X:10,5). 5. The emendation Uriṣṣu is based on the alleged combination of two Egyptian words: w “district” (Wb. I, 243: 1–7) and rsı̓ “south.” Their combination is rarely attested for the designation of Upper Egypt. 6. While Egypt is described as a “land far away,” “Uriṣṣu,” which is its geographical continuation, is described as a land to which the access is difficult and the way to it is [unpathable . . .]. It would thus be wise not to emend the missing toponym as Urișșu and equate it with Upper Egypt. 20 21 Fuchs, Die Inschriften Sargons II., 451. HN: Vgl. dazu auch Fuchs, Die Annalen des Jahres 711 v. Chr., 128f. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 130 Bányai GB: From the Tang-i Var inscription and Sargon’s inscriptions in Khorsabad it appears that Iamani “fled to the region of the land of Meluhha” about 712–711. That means that at that time the Kushites had not yet conquered Lower-Egypt (Thus also HN in the Münster discussion). However there is not any reason to assume that they did not conquer Lower-Egypt before 707–706 as argued by Bányai. KJW: „Urissu“ ist keine Wiedergabe von pꜢ-tꜢ-rsy, sondern von Ꜥ-rsj (in der gleichen Bedeutung, s. Wb. I, 157: 19). Im Übrigen sticht das Argument nicht: Auch wenn der nubische König in Oberägypten residiert, kann er durchaus in Unterägypten als Oberherr anerkannt sein. Autor: Es ist das bekannte Problem der Übertragung von Länder- bzw. geographischen Namen in Fremdsprachen. Derselbe linguistische Einwand wird z.B. gegen die Gleichsetzung von Aḫḫijawa mit dem mykenischen Griechenland vorgebracht. In solchen Fällen spielt selbst für Linguisten das Argument der geopolitischen Alternativlosigkeit eine wesentliche Rolle. Man kann trotz nach Meinung von DK vorhandener linguistischer Probleme keine ernsthaften Alternativen in Unterägypten aufbieten. Aufgrund der fortwährenden Erweiterung und Editierung der assyrischen Annalen macht es keinen Sinn, zum Vergleich Epitheta hineinzuziehen, die fast ein Jahrzehnt vorher zum Bestand dieser Annalen geworden waren. So macht es gar keinen Sinn, die von Fuchs (Die Annalen des Jahres 711 v. Chr., 29) in Zusammenhang mit dem Jahr 715/714 ergänzte Bezeichnung Ägyptens als ein fern ab liegendes Land: „Šilkani König von Ägypten, welcher [fern ab liegt], die Angst vor Assur, etc.“ als Antithese zur Bezeichnung von U[r]iṣṣu als bloß schwer erreichbar (etwa 10 Jahre später) heranzuziehen. Eine undatierte Inschrift Sargons von Nimrud protokolliert z.B.: „Unterwerfer des Landes Juda, welches fern ab liegt.“ (Winkler, Die Keilschrifttexte Sargons I, 168–73, Fuchs, Die Inschriften Sargons II., 315).22 Soll man auf dieser Basis die Position von U[r]iṣṣu im Verhältnis zu Juda beurteilen? Man kann zwar nicht behaupten, dass die königlichen Annalen regelmäßig jährlich aufgefrischt wurden. Ihr Wachstum ist 22 Nach mancher Deutung soll es sich hierbei nicht um Juda sondern um Jaudi/Sam´al handeln. Ohne in dieser Angelegenheit Position zu beziehen, reicht es aus darauf hinzuweisen, dass dies eine noch drastischere Relativierung dieses Epithetons in zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Annalen-Einträgen bedeutet. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 131 jedoch anlassbedingt mit den Jahren zu beobachten. Neuere Einträge hatten keinen Grund, auf früher benutzte Epitheta Bezug zu nehmen. Es ist nicht akzeptabel, dass man für eine kuschitische Präsenz vor 707/706 in Unterägypten stets ex silentio argumentiert. Bei dem ersten ausdrücklichen Beweis dafür kann man natürlich auch trotz Schweigens anderer Quellen dafür argumentieren. Bis dahin bleibt eine solche Argumentation gefährlich spekulativ. Die Autorität des kuschitischen Königs im Norden wird entweder wie unter Sanherib durch die Präsenz seiner Truppen bei Elteqeh deutlich vorgeführt: „die Könige von Muṣri und die Bogenschützen, die Kriegswagen und Pferde des Königs von Meluḫḫa“.23 Oder später zur Zeit Asarhaddons, gleichzeitig dem Höhepunkt der kuschitischen Macht, erhält der kuschitische König die formelle assyrische Anerkennung, ersichtlich am Titel eines šar Muṣur u Kūsi.24 Es gibt daher in der Bezeichnung Sargons II. nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass Schebitko für ihn als Herrscher von Muṣri gelten konnte, ob de jure oder de facto. DK: In his inscriptions, Shebitku designates himself as legitimate ruler of Upper and Lower Egypt, as do his predecessors and successors. The separation between the kingdoms of Egypt and Kush in Assyrian sources is later, and is based on historical (the loss of Egypt by the Kushite rulers) and ideological grounds. Autor: Das Argument dient der sauberen Trennung zwischen einem Pir´u, stets bezeichnet als König von Muṣri, und den ersten kuschitischen Königen, die von den Assyrern stets nur Könige von Meluḫḫa, an der Seite von Königen von Muṣri (701), genannt werden. Manche Kollegen sprechen den assyrischen Quellen die Fähigkeit ab, zwischen den autochthonen Königen von Ägypten und den kuschitischen Königen zu unterscheiden. Kann man jedoch Pir´u mit keinem kuschitischen König identifizieren, dann fehlt jeder ausdrückliche Hinweis zu kuschitischen Königen in assyrischen Quellen bis 707–706. 23 24 HN: Man sollte sagen, dass es sich hier um eine Passage aus dem 3. Feldzug des Sanherib handelt. Einen Überblick über die Variation der Titel der kuschitischen Könige in den assyrischen Quellen bietet Spalinger, „Esarhaddon and Egypt“, 322 ff. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 132 Bányai Man kann nicht pauschal von Schebitko als Herrscher über Unterägypten (Muṣri) reden, bloß weil er von einem unbekannten Zeitpunkt an diesen Titel führte. Sein erstes und einziges datiertes Denkmal (NLR 33) stammt aus seinem 3. Regierungsjahr. Was bis dahin gewesen ist, steht unter einem großen Fragezeichen. Bereits Jürgen von Beckerath („Die Nilstandsinschrift“) erkannte in dieser Inschrift Schebitkos, dass jener erst in seinem 3. Regierungsjahr aus Nubien nach Ägypten gekommen sei, wo er sich förmlich als König von Ägypten krönen ließ. Dieser Standpunkt wird auch von Török und Donald Redford übernommen.25 Jansen-Winkeln und Kahn legen sich trotz der eindeutigen Terminologie der Inschrift nicht fest, aber behaupten, dass die Inschrift die erste Erscheinung Schebitkos in Ägypten markiert.26 Der Gedanke, dass Schabako bis zu diesem Zeitpunkt die Herrschaft in Ägypten gehabt hätte, ist bereits mit Erfolg von Jansen-Winkeln („Third Intermediate Period“, 258–59) widerlegt worden: „Had Shabaka been ruler of Egypt in the year 707/706 and Shebitku his ‘viceroy’ in Nubia, one would definitely expect that the opening of diplomatic relations with Assur as well as the capture and extradition of Yamani would have been part of Shabaka’s responsibility. Sargon can also be expected to have named the regent of Egypt and senior king, rather than the distant viceroy Shebitku.“. Welcher kuschitische König herrschte dann in (Unter) Ägypten vor dem 3. Jahr von Schebitko? Wenn gemäß Kahn („The Inscription of Sargon II at Tang-i Var“, 18) der Tod von Schabako und die Thronbesteigung Schebitkos 707/706 stattgefunden haben sollten, kann dieser ebenfalls laut Kahn erst 705/704 erstmal nach Ägypten bzw. Theben gekommen sein. Zu diesem Zeitpunkt 25 26 FHN 1, 129: „In 17, (d.h.: NLR 33; NLR = Nile Level Records) Shebitqo’s enthronement in the great Amûn Temple in Thebes is presented in close and determining connection with the inundation“. Redford, From Slave to Pharaoh, 93: „If the Karnak quay graffito number 33 actually refers to Shebitku’s coronation in his third year.“. Jansen-Winkeln, „Third Intermediate Period“, 259: „The formulation of his Nile level record (no. 33) also supports the idea that Shebitku only came to Egypt in his year 3.“. Kahn, „The Inscription of Sargon II at Tang-i Var“, 7, n. 36: „Furthermore, Shabatka arrived at Thebes for the first time at the end of his third regnal year (I smw 5 = late October)“. Kahn, „A Problem of Pedubasts?“, 32: „In 707/6 Shabatka ascended the throne and immediately extradited Iamani, the rebel king, to Sargon and renewed peaceful diplomatic relations with Assyria. He arrived in 703 in Thebes for the first time, probably stayed there until 701 BC, when he went with his army and with the delta kings and their sons.“. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 133 war Sargon II. entweder bereits tot, bzw. die Tang-i Var Inschrift, worin U[r]iṣṣu als dessen Wohnsitz angegeben wird, bereits ein paar Jahre alt. Nehmen wir mit Kahn (in diesem Artikel) an, dass U[r]iṣṣu u.U. nicht außerhalb von Unterägypten lag, ist die Frage berechtigt, ob Sargon II. Wahrsagerfähigkeiten besaß, die ihm erlaubten, 707/706 eine Situation, die ebenso laut Kahn erst nach 705/704 eintreten konnte, vorauszusehen? Darauf kann es nur drei alternative Erklärungen geben: – Die Chronologie von Kahn ist vollkommen korrekt, aber U[r]iṣṣu befindet sich (zwei Jahre vor Ankunft Schebitkos in Theben) sogar weiter südlich von Theben als bisher angenommen. Vor dem 3. Regierungsjahr Schebitkos gibt es dann keine Kuschiten in Unterägypten.27 – Die Chronologie von Kahn ist leicht korrekturbedürftig (die hergebrachte Reihenfolge der kuschitischen Könige ist dennoch richtig) und das Datum der Thronbesteigung Schebitkos muss bloß weiter in die Vergangenheit gerückt werden (709/708), um sie in Einklang mit Tang-i Var und der Ersterscheinung Schebitkos in Theben/Oberägypten (U[r]iṣṣu) zu bringen. Damit wächst die Regierungszeit Schebitkos inflationär an (vielleicht 21 Jahre oder mehr). Die Art der kuschitischen Herrschaft vor dem 3. Regierungsjahr Schebitkos ist dann vor allem in Unterägypten ungeklärt, zumal der Träger des ägyptischen Königstitels unbekannt bleibt.28 – Die Reihenfolge der kuschitischen Könige ist falsch. Schebitko beginnt 709/708 oder früher zu regieren, allerdings mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass seine Regierungsjahre mit den Angaben der Quellen in Einklang bleiben. U[r]iṣṣu bleibt wie erwartet Oberägypten und Tang-i Var reflektiert die Situation bei der Ankunft Schebitkos in Theben, bevor er mit assyrischem 27 28 Wenn man aufmerksam liest, hält sich Kahn, „The Inscription of Sargon II at Tang-i Var“, 7, N. 36, angesichts NLR 33 vollkommen offen bezüglich dessen, was vor 705/704 geschah. „Theoretically, it is possible that the imperialistic Kushite activity in the Levant started immediately after Sargon’s death in Abu (approximately August) 705 BC. Taharqa could have already been summoned by Shabatka to the Delta in late 705 BC or early 704 BC“. Angesichts dessen kann man nicht gleichzeitig für ein U[r]iṣṣu in Unterägypten und eine Regentschaft Schebitkos, die erst 707/706 einsetzt, argumentieren. Gegen eine Koregenz zwischen Schabako und Schebitku (in dieser Reihenfolge) mit unterschiedlichen Argumenten Kahn, „The Royal Succession in the 25th Dynasty“, 160 und Jansen-Winkeln, „Third Intermediate Period“, 259. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 134 Bányai Einverständnis seinen Weg zur Eroberung Ägyptens in den Norden fortsetzen konnte. Jamani wäre sozusagen ein „good-will“ Geschenk für Sargon II., um das Vorrücken der Kuschiten in Unterägypten dem gefährlichen assyrischen Nachbarn schmackhaft zu machen. Vor dem 3. Regierungsjahr Schebitkos gibt es dann keine Kuschiten in Unterägypten. Piye übt demnach nach seinem Siegeszug bloß eine nominelle Herrschaft über Unterägypten aus. Da darf jeder die ihm genehme Alternative auswählen.29 Dies kann allerdings nicht an einem Mangel von offiziellen Kontakten zwischen Assyrien und Herrschern in der Zeit vor 707–706 liegen. Bezeugt ist die Aufnahme von Beziehungen durch einen Šilkani, König von Muṣri (– 716), und einem Pir´u, König von Muṣri (– 715).30 DK: It must be mentioned that the exact dating in the inscriptions of Sargon were being changed on ideological grounds. It is thus not clear that the tributes dated to 716 and 715 respectively are different events. Autor: Der Eintrag über die „Tributsendung“ von Šilkani wird in den Annalen für das Jahr 716 belegt. Pir´u wird mit einer ähnlichen „Tributsendung“ hingegen für 715 vermerkt und später noch einmal in Zusammenhang mit Ereignissen um etwa 711 erneut erwähnt. Es besteht allerdings eine Unsicherheit von einem Jahr in der Datierung dieser Ereignisse in den Annalen, was u.U. die Annahme von Hayim Tadmor („The Campaigns of Sargon II of Assur“) erlauben würde, dass sich die Annaleneinträge für 716 und für 715 auf dasselbe Ereignis beziehen könnten. Demnach wären Šilkani und Pir´u ein und dieselbe Person gewesen. Demnach wäre, mal angenommen, die Verwechslung des Titels Pir´u mit einem Eigennamen zwangsläufig erst später von den Assyrern bemerkt worden. Nach gleicher Deutung hätte der Name Šilkani in späteren assyrischen Texten, nach 716/715, den von Pir´u verdrängen müssen. Es ist allerdings genau das Gegenteil eingetreten. Der Name Pir´u bleibt in den späteren Einträgen des Jahres 712/711 bestehen, was die Hypothese Tadmors widerlegt. 29 30 Da man davon ausgehen sollte, dass eine Krönung in Napata zu den ersten Handlungen eines kuschitischen Königs gehören sollte, ist das Übergehen Thebens bis in dessen 3. Regierungsjahr bei gleichzeitiger Präsenz in Unterägypten nicht vorstellbar. Für Šilkani, König von Muṣri: Fuchs, Die Annalen des Jahres 711 v. Chr., 28, 57: III.e Ass. 8–11. Für Pir´u, König von Muṣri: Fuchs, Die Inschriften Sargons II., 424. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 135 Daher ist es vernünftig, mit Fuchs zwei separate Kontakte mit zwei unterschiedlichen Herrschern anzunehmen: mit dem Pharao Šilkani 716 und einem namentlich nicht identifizierten Pir´u 715 (Fuchs, Die Annalen des Jahres 711 v. Chr., 130–31). Der als Eigenname missverstandene Titel Pir´u wäre meiner Meinung nach lediglich eine ägyptische Glosse im akkadischen Brief des noch zu identifizierenden Pharaos gewesen, der sein Geschenk von 12 Pferden an Sargon II. 715 begleitete. Da die Glosse dem akkadischen šar voranging, konnten die Assyrer die Glosse als den Eigennamen des Korrespondenten missverstehen. In keiner assyrischen Inschrift wird ein eindeutig identifizierbarer kuschitischer Pharao ausschließlich König von Muṣri genannt. Zudem verbietet sich eine Identifizierung des Pir´u, König von Muṣri, mit Schabako, zumal Sargon ausdrücklich behauptet, vor 707–706 nie von einem kuschitischen König kontaktiert worden zu sein.31 Eine Reihe heute verlorener Reliefs aus dem Palast Sargons II. in Khorsabad wurde gemeinhin als eine Darstellung kuschitischer Truppen an der Grenze zu Gaza vor 707–706 (die Ereignisse sind in Tang-i Var und den verwandten Inschriften erwähnt) interpretiert (Abb. 1).32 Diese Ansicht, die ausschließlich auf der anscheinend negroiden Haarpracht der dargestellten Krieger beruht, muss überprüft werden. Wir haben ebenfalls zeitgenössische assyrische Darstellungen, z.B. in Form eines Abb. 1 31 32 Khorsabad Relief (aus: Botta und Flandin, Monument de Ninive II, pl. 88). Fuchs, Die Inschriften Sargons II., 451. Botta und Flandin, Monument de Ninive II, pl. 88. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 136 Bányai Reliefs Assurbanipals (EA 124928) mit der Darstellung der Belagerung einer ägyptischen Stadt, die unzweifelhaft kuschitische Krieger zeigt (Abb. 2). Wie man feststellen kann, sehen die Kuschiten hier vollkommen anders aus. Sie entsprechen dem, was wir in ägyptischen Darstellungen gemeinhin als Kuschiten (u.a. Kopf Federschmuck) zu erkennen gewöhnt sind.33 Die kuschitische Eroberung startete aus Obernubien. Man sollte daher erwarten, dass das Erscheinungsbild dieser angeblichen Kuschiten im Relief Sargons II. dem entsprach, was in den ägyptischen Darstellungen des Neuen Reiches als Unterscheidungsmerkmal zwischen den unternubischen Vasallen (die sowohl, was ihre Kleidung oder Haartracht anging, den Ägyptern gleich dargestellt wurden) und den (wohl) obernubischen Vasallen gilt (die noch in ihrer Stammestracht erscheinen); unverändert auch zu derjenigen in dem Relief Assurbanipals. Gleichgültig, was man in den Reliefs Sargons II. erkennen will, können die dargestellten fremden Soldaten keine Obernubier sein, also stricto sensu keine Kuschiten. DK: One has to remember the size of the Ashurbanipal relief and that it has been made by a different artist. It is not clear which Egyptian towns are depicted in the reliefs and in the adjacent reliefs (only drawings survive). Autor: Wenn die deutlichen Trachtunterschiede (bei Assurbanipal die bekannte Haartracht mit Haarschleife und Feder und die unterschiedliche Bekleidung) zwischen den zweifellos als Nubiern zu erkennenden Gefangenen bei Assurbanipal und den fragwürdigen nubischen Kämpfer bei Sargon nur künstlerische Subjektivität wären, dann würde sich eine Diskussion, ob in Sargons bzw. Assurbanipals Reliefs Nubier dargestellt wurden, erübrigen. Auf dieselbe Haartracht, die man in der assyrischen Reliefdarstellung erkennen konnte, lässt John Gardner Wilkinsons Kopie der Schlachtendarstellungen im Tempel von Gebel Barkal schließen (Abb. 3),34 somit besitzen wir eine deutliche einheimische Beschreibung des Aussehens der Kuschiten der 25. Dynastie.35 Die hier erkennbaren Haarschleifen sind im Relief Assurbanipals 33 34 35 Spalinger, „Notes on the Military in Egypt“, 55. Wilkinson, Mss XI, 56, Griffith Institute (Spalinger, „Notes on the Military in Egypt“, 48, fig. 3). Man könnte als einzige Darstellung der ausgehenden 25. Dynastie noch das Relief der Prinzessin Amenirdis heranziehen. Andere Darstellungen kuschitischer Personen zeigen Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige Abb. 2 137 Assurbanipal Relief (Ausschnitt) (aus: Barnett, Sculptures from the north palace of Ashurbanipal, pl. XXXVI, Slab 17). ebenfalls sichtbar36 und dienen in letzterem Relief eindeutig zur Befestigung des Federnschmucks.37 Die Federn selbst dürften der Aufmerksamkeit des Kopisten des Reliefs von Gebel Barkal entgangen sein, zumal die Haarschleifen alleine für sich genommen vollkommen sinnlos wären. Einzig an der Haartracht könnte man die ägyptischen und unternubischen Soldaten auch im Grab des Mesehti nicht auseinanderhalten.38 Bekanntlich 36 37 38 diese entweder in ägyptischer Tracht oder z.B. im Fall Pekartrors mit Duftkegeln auf dem Haupt, was vermutlich das Tragen einer Federverzierung verhinderte. Besser erkennbar in den online einsehbaren Fotos des British Museum, siehe dort unter Inv.-Nr. EA 124928. Die Kopie von Bankes beseitigt allerdings die bei Wilkinson (The Egyptians) noch sichtbaren Haarschleifen zur Befestigung der Federzier. Beide Gruppen ähneln sich in ihrer Haartracht. Auf ägyptischer Seite geht dies auf das Tragen „nubischer“ Perücken zurück. Vgl. Fletcher, „Ancient Egyptian Wigs & Hairstyles“, 3. Für eine Abbildung der Soldaten aus dem Grab Mesehtis s.a. Saleh und Sourouzian, Die Hauptwerke im Ägyptischen Museum Kairo, Abb. 72–73. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 138 Bányai Abb. 3 Gebel Barkal Relief (aus: Spalinger, „Notes on the Military in Egypt“, 48). trugen die Ägypter häufig die sogenannte nubische Perücke. Nubische Perücken gehören tatsächlich zur Standardausstattung des ägyptischen Militärs seit der 2. Zwischenzeit bis in die Perserzeit hinein. So kann Herodot z.B. die Ägypter in der Armee von Xerxes noch folgendermaßen beschreiben: Diese „trugen auf dem Kopf Helme aus Flechtwerk“.39 DK: One cannot compare helmets from any kind with wigs. It is inconceivable that warriors on the battlefield would fight with a wig. Autor: Das ist eine subjektive Meinung. Ich kann hier auf eine bereits recht breite Literatur zum Thema verweisen.40 Herodot scheint auch etwas anderes auszusagen. 39 40 Herodot, Buch 7, 89. Für eine der ältesten Quellen zum Gebrauch der Perücke im ägyptischen Militär: s. Aldred, „Hair Styles and History“, 144–45. El-Khadragy, „Some Significant Features in the Decoration of the Chapel of Iti-ibi-iqer“, 110: „Some soldiers wear shoulder-length wigs, while it is not clear whether the others have close-cropped hairs or wear short wigs.“. Der Autor beschreibt hier die Darstellung ägyptischer Soldaten in einer Schlachtenszene in einem Grab der Ersten Zwischenzeit. Die schützende Wirkung von Perücken im ägyptischen Militär wird in Kanawati und Abd El-Raziq, The Teti Cemetery at Saqqara VII, 69, beschrieben. Die ersten erhaltenen ägyptischen Perücken gehören in die 11. Dynastie. Man kann vermuten, dass erst ab dieser Zeit sich deren Gebrauch vermutlich unter nubischem Einfluss in Ägypten im Militär definitiv durchgesetzt hat. Fletcher, „Ancient Egyptian Wigs & Hairstyles“. 3: „the most interesting example was found in the mass grave of the king’s soldiers, one of whom was found to have supplemented his own hair with short curled extensions of false hair. Since his burial seems to have been hastily carried out following battle, this cannot be explained as a post-mortem Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 139 Die wahrscheinlichste Deutung der Beschreibung in Herodot 7:89 ist die einer Perücke als Kopfschutz der ägyptischen Truppe. Obwohl während des Neuen Reiches erste Metallhelme als Truppenausstattung Einzug halten, haben diese die Nutzung von Perücken als billigen Kopfschutz offensichtlich nicht beseitigt. Zum Beweis dessen könnte z.B. die Tatsache dienen, dass in der Darstellung der Kadesch-Schlacht lediglich zwei Kommandeure der Wagentruppe einen Helm trugen.41 Die Szene des Verprügelns der hethitischen Späher durch das ägyptische Militär zeigt letztere, wie sie angesichts der anstrengenden Aufgabe und des unnötigen Schutzes das, was offensichtlich nubische Perücken waren, abgelegt haben.42 Papyrus EA 74100 zeigt den Kampf eberzahnhelmtragender mykenischer Söldner an der Seite perückentragender ägyptischer Fußsoldaten (nubische Perücken!) gegen Libyer während der Amarnazeit (Abb. 4).43 Abb. 4 Darstellung von Seite an Seite kämpfender ägyptischer und mykenischer Soldaten gefunden in Amarna. Papyrus EA 74100 (aus: Schofield und Parkinson, „Of helmets and heretics“, 161–62. Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Parkinson.) 41 42 43 feature and must have been worn in life, supporting the theory that hair was the soldier’s only protection prior to the introduction of helmets.“. Die Autorin kommentiert an dieser Stelle das Aussehen eines der Soldaten gefunden in den Massengräbern aus der Zeit Mentuhoteps II. Tassie, „Ancient Egyptian Wigs“, 1145 schreibt über die Perücke des nubischen Kriegers Maiherperi, der unter Thutmosis IV. gedient habe, folgendes: „This wig is still tightly attached to the head of the „Nubian“ warrior and official Maiherpri . . . The tresses are arranged in a consistent and even style similar to 1970s Afro hair style.“. Brand, The Monuments of Seti I, 25 untersucht die verschiedenen Haarstile der Perücken der Mitglieder der ägyptischen Armee unter Sethos I. und zieht aus deren unterschiedlichen Längen Schlussfolgerungen bezüglich des Ranges ihrer Träger im Militär. Am Leichtesten immer noch in Rosellini, I monumenti dell’Egitto e della Nubia 4, Pl. LXXXVII, LXXXVIII, XCVI, zu konsultieren. Lediglich zwei ägyptische Offiziere tragen einen Helm. Rosellini, I monumenti dell’Egitto e della Nubia 4, Pl. CII. Schofield und Parkinson, „Of helmets and heretics“, 161–62. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 140 Bányai DK: 1. The Evidence from the Amarna papyrus EA 74100, dating 800 years earlier is irrelevant for the discussion. 2. There is no reason that the coiffure of the Egyptian soldiers on the reliefs should be identified as “Perücken.” The idea that soldiers would wear “Nubian” or other wigs on the battlefield, only to avoid their identification as Kushite warriors, is forced. Autor: Ich habe selbst den gelegentlichen Gebrauch von Helmen beobachtet. Worum es geht, ist die Behauptung, dass der Gebrauch von Helmen in Ägypten bis in die Perserzeit immer noch sehr eingeschränkt war (offenbar auf die Offiziersränge beschränkt), wie von Herodot 7, 89 beschrieben. Unter diesen Umständen erscheint es recht gewagt, die in den Reliefs Sargons II. bei Khorsabad dargestellten Krieger allein aufgrund ihrer Haartracht als Kuschiten zu bezeichnen. Die Bekleidung der vorgeblichen Kuschiten wirkt zudem verdächtig unkuschitisch. DK: The warriors on the walls of Gabutunnu and in the field battle holding spears have the same armament as in the Jebel Barkal reliefs. The facial traits of beardless face with wide nose, voluminous lips, and curled hair are African traits. These depictions were regarded Nubian by the excavators and subsequent scholars. Various explanations were given to explain why in the Egyptian army Nubian soldiers were depicted. There is no reason to force an Egyptian ethnicity on these depictions. See: Kahn, “The Inscription of Sargon II,” 12. Autor: Ich vertrete keine eigene Überzeugung bezüglich des Inhalts von Eugène Flandins Kopie (Abb. 1), daher spekuliere ich in Wirklichkeit nicht über ihren genauen Inhalt. Ich habe bloß alternative Sichtweisen, die man zu berücksichtigen hat, aufgezählt. Ich weise hier auf die Schwäche der Methode hin, von Flandins Künstlerkopie auf das verlorene Relief Schlüsse zu ziehen. Es ist wichtig angesichts möglicher Tradierungsfehler, zwischen Sekundär- und Primärquellen zu unterscheiden. Es ist ein Muss, bevor man vermutete physiognomische Eigenschaften der dargestellten Personen zur Diskussion stellt, zuerst die absolute Detailgenauigkeit der Künstlerkopie Flandins sicherzustellen. Ebenso sollte der erste Schritt vor der Identifizierung von Kuschiten im Relief Sargons II. sein, diese mit Darstellungen zu vergleichen, in Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 141 denen diese Identifikation bereits absolut gesichert sind (wie z.B. in Assurbanipals Relief). Die Bewaffnung ist keineswegs auf besondere Weise typisch für die Kuschiten. Sie ist zeittypisch. Demnach fehlt in den reichhaltigen assyrischen Quellen jeglicher Hinweis einer Begegnung der Assyrer mit Kuschiten entlang der gemeinsamen Grenze vor 707–706. Die Präsenz kuschitischer Händler am Hof Tiglat-Pilesers (NWL 9) bezeugt weder politische Kontakte auf hohem Niveau mit den kuschitischen Königen noch deren Anwesenheit in Unterägypten. DK: Contra this assertion see Kahn, “The Inscription of Sargon II,” 16–18. Hinweise auf die Richtigkeit der traditionellen Reihenfolge Schabako-Schebitko Zumeist werden Schlüsse gezogen auf der Grundlage der Stele Kawa V, Ich kam von Ta-Sety zusammen mit den königlichen Brüdern, die seine Majestät von dort bringen ließ, damit ich bei ihm sein konnte, denn er liebte mich mehr als seine (anderen) Brüder und all seine Kinder. Ich wurde ihnen von seiner Majestät vorgezogen, damit das Herz aller patLeute mir diente und Liebe zu mir bei allen Leuten war. Ich empfing die Krone in Memphis, nachdem der Falke zum Himmel geflogen war . . .44 kombiniert mit der Stele Kawa IV, Als seine Majestät ein Rekrut, ein Bruder des Königs und ein Beliebter in Ta-Sety war, kam er nordwärts segelnd nach Theben, zusammen mit den anderen Rekruten, nach denen der König Schebitko—gerechtfertigt— nach Ta-Sety schicken ließ, damit er bei ihm sei, weil er ihn mehr als seine anderen Brüder liebte. Er passierte dabei unterwegs diesen Bezirk des Amun von Gematon (Kawa), sodass er den Boden vor dem Doppeltor der Tempelanlage küssen möge zusammen mit der Armee seiner Majestät, die an seiner Seite nach Norden segelte.45 44 45 FHN 1, 153. FHN 1, 138–39. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 142 Bányai die auf die Identität zwischen dem mit Schebitko gleichzusetzenden Pharao, der Taharqo aus Ta-Sety holen ließ, und demjenigen, nach dessen Tod sich Taharqo in Memphis krönen ließ, hinweisen. Dies würde vordergründig bedeuten, dass man die Regierung Schabakos nicht zwischen Schebitko und Taharqo einfügen könnte. Kawa V verzichtet jedoch hartnäckig darauf, sowohl den Namen des Pharaos, der Taharqo nach Ägypten holen ließ, wie auch denjenigen des Pharaos, auf dessen Tod seine Krönung in Memphis erfolgte, mitzuteilen. Die Gültigkeit der Schlussfolgerung, beide namentlich nicht erwähnten Pharaonen miteinander zu identifizieren, hängt davon ab, ob es sich bei der Zitatstelle in der Kawa Stele V tatsächlich um eine Komposition aus einem Guss und um eine lückenlose Darstellung handelt. Man könnte z.B. die Ansicht vertreten, dass beide auf einen Vorgängertext, eine Art Apologie des Taharqo, zurückgehen. Dies könnte man mit den leichten Abweichungen der biographischen Stellen in Kawa IV und V begründen. Die Existenz eines solchen Textes könnte angesichts der Glossen des Hieronymus am Rande der verlorenen Chronik von Eusebius vermutet werden: „Dieser (Taharqo) führte eine Armee heraus aus Nubien, tötete Sebio und regierte die Ägypter (an dessen Stelle) selbst“.46 Dies wäre eine politische Situation, die vergleichbar mit derjenigen ist, die zur Zeit Ḫattušilis III. zur Schöpfung seiner bekannten Apologie führte. Würde man an dieser Stelle von Exzerpten sprechen, dann wäre eine zeitliche Kontinuität im Diskurs des Taharqo keine zwingende Notwendigkeit. Dies heißt, dass in dem Urtext, aus dem beide Stelen kurze Auszüge machen—z.B. Taharqos Gelübdeszene vor dem ruinierten Gematon und wohl auch zahlreiche andere Szenen aus dem Leben von Taharqo—dem angekündigten Tod des ungenannten Vorgängers vorausgingen. Eine gute Chance daher, dass dieser Pharao gar nicht mehr derselbe war, der ihn noch als einen jungen Mann nach Ägypten geholt hatte. KJW: Auf der Stele „IV“ (Z. 7–9) aus Kawa wird gesagt, dass Taharka mit anderen Jünglingen nach Theben kam, nachdem der König Schebitku zu ihnen nach Nubien geschickt hatte, damit er (Taharka) mit ihm (Schebitku) sei, denn er liebte ihn mehr als alle seine Brüder. Auf Stele „V“ (Z. 13–14) heißt es (in der 1. Person), Taharka sei aus Nubien gekommen inmitten der Königsbrüder, die seine Majestät dort ausgehoben hatte, damit er (Taharka) bei ihm (dem König) sei, denn er liebte ihn mehr als alle seine Brüder und alle seine Kinder. 46 Depuydt, „Glosses to Jerome’s Eusebios“, 33–34. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 143 Es ist ganz eindeutig von derselben Episode die Rede, auch wenn auf Kawa V der König nicht namentlich genannt wird. Kawa V fährt fort, dass Taharka vom König über alle anderen erhoben wurde und bei allen Leuten beliebt war. Schon im nächsten Satz heißt es dann: „Ich empfing die Krone in Memphis, nachdem der Falke zum Himmel aufgestiegen war.“. Es ist also zunächst eindeutig vom König Schebitku die Rede, und dann folgt im nächsten Satz eine Königsbezeichnung („Falke“), die sich, falls die Inschrift nicht alle Regeln semantischer Kohärenz missachten sollte, nur auf denselben König beziehen kann und nicht etwa auf einen späteren, der selbst noch mindestens 14 volle Jahre regiert hat. Es ergibt sich daraus klar, dass Taharka der Nachfolger Schebitkus war. AL: M.E. verfolgen die beiden Stelen unterschiedliche Zwecke. Eine Variante war für die Verlautbarung an verschiedenen Stellen des Reiches gedacht; dies ist der Text, der auf Kawa V sowie auf den Stelen von Tanis und Koptos zu finden ist. Es handelt sich dabei um eine Proklamation, die im gesamten Herrschaftsgebiet erfahren werden sollte. In keiner der parallel verfassten Stelen ist der Name des verstorbenen Pharaos genannt. Über die Gründe kann man spekulieren, aber man wird es letztendlich nicht wissen, für einen „Zufall beim Exzerpieren“ halte ich es jedenfalls nicht. Denkbar wäre die Anpassung an die Normen ägyptischer Proklamation, die namentlich in der Regel nur den amtierenden Pharao, aber keine Vorgänger erwähnen. Selbst zur Legitimation der Herrschaft wird in Ägypten in der Regel der Vorgänger nicht namentlich erwähnt (Siehe zur Legitimation unter Berufung auf die Amtsvorgänger in der Spätzeit Blöbaum, „Denn ich bin ein König, der die Maat liebt“, 131–39. Auch sonst ist der Name eines Vorgängers nur im Ausnahmefall genannt). Im Gegensatz dazu steht die nubische Tradition, die durchaus Vorgänger namentlich nennt, so z.B. auf der Inthronisationsstele des Aspelta (wenn auch ausgehackt) und in der Inschrift des Irike-Amanote (Inthronisationsstele des Aspelta Z. 19, FHN 1, 240; Inschrift Irike-Amanote Z. 4, FHN 2, 401). Auf jeden Fall sollen die dort geschilderten Ereignisse überregional bekannt gemacht werden. Einen anderen Hintergrund hat aber Kawa IV. Diese Stele hat nur eine lokale Reichweite und reiht sich in die Gruppe der anderen Kawa-Stelen (außer Kawa V, die keinen Bezug zum Ort Kawa hat) ein. Der Text ist nicht aus der Vorlage der Stele Kawa V exzerpiert, sondern als Narrative zur Errichtung des Tempels von Kawa gedacht. Gleichwohl stimmen aber die beiden zitierten Stellen soweit überein, dass das gleiche Ereignis geschildert wird, nämlich dass Taharqo unter den königlichen Brüdern in Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 144 Bányai Nubien war und der König Schebitko ihn in den Norden holen ließ—einmal in einer „nubischen Variante“ für die lokale Darstellung und in einer „ägyptischen Variante“ für den Zweck einer Proklamation in Ägypten und Nubien. Autor: Es ist ziemlich offenbar, dass Stelen von Taharqo, wie z.B. Kawa III oder VI durch Zusammenfassung älterer Quellen unterschiedlicher Natur entstanden sind (so z.B. Verwaltungsunterlagen, welche die Stiftungen Taharqos über die Jahre festhielten). Anzunehmen, dass er für seine Stelen auch aus anderen Quellen, wie z.B. einer eigenen offiziellen Apologie, Inschriften seiner Vorfahren (Alara), usw. schöpft, ist daher nicht abwegig. Es ist jedoch zu erwarten, dass man sich für die Entstehung von Kawa IV und V auch ein anderes Szenario vorstellen kann, wie z.B., dass jeder dieser Texte aus einem einzigen Guss ohne Verwendung gemeinsamer Quellen entstanden ist. Dagegen sprechen, meiner Meinung nach, die textlichen Parallelen zwischen Kawa IV und V. GB: Not subscribing Bányai’s rather speculative argumentation concerning the stelae Kawa IV and Kawa V being excerpts of one single original text, I think the text of Kawa V, taken in combination with Kawa IV, can be explained in two different ways. On Kawa IV, lines 7–8, it says that Taharqa, being a young man, came from Ta-Sety north to Thebes to join King Shebitku. On Kawa V, lines 13–14, Taharqa, speaking about the same event, does not mention Shebitku’s name but instead refers to him as “His Majesty.” Then the text continues (line 15): “I received the crown in Memphis after the falcon flew to heaven.” At first sight the falcon that flew to heaven, mentioned in line 15, seems to be identical with “His Majesty” referred to directly before in lines 13–14. However it is clear that in line 15 a subsequent stage of the narrative starts, and it is quite possible that Taharqa’s direct predecessor was Shabako, designated here as “the falcon that flew to heaven” in order to distinguish him from “His Majesty,” referred to in the preceding stage of the narrative, which had taken place many years before. This seems to be a valid explanation, as Kawa V does not present a continuous historical account of Taharqa’s life, but it records a number of separate events occurring at as many stages of his life. (Cf. Gozzoli, “Kawa V and Taharqo’s byꜢwt,” 247). Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 145 As both explanations of Kawa V are defensible I consider the evidence from the stela inconclusive with regard to the order of succession Shabako—Shebitku. It should be noticed however that, if Shebitku preceded Shabako, whose reign then started in 704, the purpose of Shebitku for summoning Taharqa to accompany him to the North Land cannot possibly be to aid the Levant opposition against Sennacherib of Assyria in 701 BCE. As Shebitku was in 712 in Upper-Egypt, the purpose of going north with an army might have been the submission of Lower Egypt. In Kawa V it says that Taharqa “went with His Majesty to the North Land (TꜢ-mḥw),” not to a foreign country like Palestine, but just to Lower Egypt! From this the text of Kawa V seems to fit the reversed sequence of Shabako and Shebitku rather than the conventional order. Autor: Ich möchte hier auf die Aussage Taharqos „denn er liebte mich mehr als . . . all seine Kinder“ eingehen. Wenn Taharqo direkt auf Schebitko, die Position vertreten von KJW, gefolgt wäre, wäre man in Schwierigkeiten, die hier vorausgesetzten (mit Sicherheit männlichen) Kinder Schebitkos nachzuweisen. Wir kennen namentlich gar keine Nachkommen Schebitkos, seien sie männlich oder weiblich. Nimmt man hingegen die Anregung von AL auf, dass Schabako kein leiblicher Bruder von Amenirdis gewesen sei (mein ursprünglicher Standpunkt), weil eine solche Bezeichnung in der Regel nicht wortwörtlich gemeint sei, wäre es eine Selbstverständlichkeit, die Aussage der Epitome, wonach der zweite Pharao der 25. Dynastie der Sohn seines Vorgängers gewesen sei, auf Schabako zu beziehen. Solche Angaben der Epitome haben sich in der Regel als recht zuverlässig erwiesen. Damit würde Schabako automatisch in die Rolle des von Kawa V nichtgenannten Sohnes von Schebitko rücken, dem Taharqo nach eigener Behauptung vorgezogen wurde. Damit wäre der tiefere propagandistische Sinn der Behauptung Taharqos, (zunächst) den Kindern von Schebitko vorgezogen worden zu sein, erschlossen. Ein simpler Test, ob ein widersprüchlicher Text wie Kawa V von uns die richtige Deutung erhalten hat oder nicht, wäre festzustellen, wie historische Angaben unabhängiger Quellen darin eingefügt werden können. In dieser Absicht habe ich Kawa V, in der Annahme, dass sich hinter den zwei namenlosen Pharaonen der Stele zwei unterschiedliche Identitäten verstecken, schematisch mit der (in Kawa V naturgemäß fehlenden) Angabe des Hieronymus ergänzt: Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 146 Bányai – ein ungenannter Pharao (Schebitko) ruft Taharqo zu sich und zieht ihn seinen ungenannten Kindern vor (anschließend historischer Wechsel zu Schabako). – ein darauffolgender Konflikt, der sich bloß aus der Notiz des Hieronymus ableiten lässt, mit Schabako, dem Kind des ungenannten Schebitko, wird von Kawa V aus nachvollziehbaren Gründen ausgeblendet. – nach dem Tod eines ungenannten Pharaos (Schabako) wird Taharqo dann endlich zum König in Memphis gekrönt. Die Behauptung, Kawa V würde sich nicht mit der umgekehrten Reihenfolge der äthiopischen Könige in Einklang bringen lassen, ist aus dieser Perspektive ein Fehlschluss. Vielmehr ermöglicht sie erst eine hypothetische Einordnung der Hieronymus Notiz. In dem Fall, in dem wir beide anonyme Pharaonen mit Schebitko identifizierten, ist es hingegen logisch nicht erklärbar, wie Taharqo aus seiner angeblichen Bevorzugung durch Schebitko Legitimität für die Thronfolge erlangen sollte, wenn er (laut Hieronymus) denselben ermordet haben sollte. Die Angst, durch das vollständige Verschweigen des Namens seiner Vorgänger zu einem Missverständnis beizutragen, dürfte bei der Komposition von Kawa V kaum eine Rolle gespielt haben. Kawa V, unbestritten im 6. Jahr Taharqos entstanden, ist erst im 10. Jahr von Taharqo durch Kawa IV ergänzt worden.47 Dass wir also in Kawa IV den Namen Schebitkos überhaupt erfahren, ist reiner Zufall. Die Schöpfer von Kawa V sind daher von der Vertrautheit der Leser mit dem historischen Stoff ausgegangen und haben sich keine Gedanken gemacht, dass der zeitgenössische Leser—anders als wir heute—die verschiedenen Vorgänger Taharqos, auf die im Text angespielt wird, nicht selbständig identifizieren könnte. 47 Kawa IV, obwohl ebenso wie Kawa V in das 6. Jahr Taharqos datiert, ist eine retroaktive Kommemoration des im 6. Jahr ergangenen Befehls zum Wiederaufbau (Zeilen 13–16 und 20) des Tempels von Gematon, allerdings aus der zeitlichen Perspektive seines 10. Regierungsjahrs. Die laut Kawa IV daraufhin von der Armee und entsandten Arbeitstrupps verrichteten Arbeiten entsprechen dem, was man in Kawa III, VI und VII als Ereignisse der Jahre 7 bis 10 von Taharqo identifizieren kann. Der Bauablauf und die Datierung werden in Leclant und Yoyotte, „Notes d’histoire et de civilisation éthiopiennes“, 21, mit Anm. 3 behandelt. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 147 CJ: Auch ich bin mittlerweile der Meinung, dass die narrative Stringenz bei Kawa IV und V zugunsten einer anlassbezogenen Motivauswahl hintenangestellt wurde. Dass dies zwangsläufig eine gemeinsame, ausführlichere Vorlage impliziert, wage ich jedoch zu bezweifeln. Die Aussagen in den beiden Stelen würden der Abfolge Schebitko—Schabako dennoch nicht widersprechen, da zwischen den in Kawa V geschilderten Ereignissen eine zeitliche Lücke besteht. Zwar ist die Gleichsetzung von ḥm=f in Z. 13 und bjk in Z. 14 für den unvoreingenommenen Leser naheliegend, doch scheint es nicht auf die historische Unmissverständlichkeit angekommen zu sein, andernfalls hätte man wie später in Kawa IV einen konkreten Königsnamen eingesetzt. Kann man hier nur lediglich auf die mangelnde Aussagekraft des Textes von Kawa V für die Bestimmung einer direkten Abfolge Schebitko-Taharqo verweisen, so sieht man dank der Tang-i Var Inschrift die unhaltbaren chronologischen Konsequenzen der ursprünglich auf Kawa V begründeten Annahme, dass Taharqo gleich nach Schebitko den Thron bestieg. Nimmt man die Thronbesteigung Schebitkos zwei Jahre vor seiner ersten Kontaktaufnahme mit Sargon II. an, also 709/708, müsste man auf eine mindestens 20-jährige Regierungszeit Schebitkos schließen. Hinweise auf die Richtigkeit der umgekehrten Reihenfolge Schebitko-Schabako Im Allgemeinen spricht für eine Verringerung der Ausdehnung der kuschitischen Periode, die nur dank dieser Umkehrung möglich wird, auch die u.a. von Broekman festgestellte fast vollständige Überbrückung der Periode von 7 Mitgliedern der Familie Takeloths III. und Osorkon III.48 Am dramatischsten trifft dieses Problem Schepenupet I., die bei Beibehaltung der jetzigen Chronologie 90–100 Jahre alt geworden sein dürfte. Die Relativierung des sichtbar gewordenen Problems ist falsch, denn die Tatsache, dass wir diese Feststellung an Mitgliedern der genannten Familie machen dürfen, ist lediglich mit der Tatsache zu begründen, dass fast nur über Mitglieder dieser Familie ausreichend Informationen vorliegen, die uns erlauben, sie vor und während der kuschitischen Dynastie zu verfolgen. Einen weiteren wilden biographischen Sprung belegt er an Sopdetemhaawt, Tochter des Königs 48 Broekman, „Takeloth III and the End of the 23rd Dynasty“, 93. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 148 Bányai Peftjauawybast und Enkelin von Rudamun.49 Auf dieser Grundlage schließt Broekman auf die Notwendigkeit einer niedrigeren Datierung Takeloths III. um etwa 15–20 Jahre.50 GB: The information about Sopdetemhaawt was kindly given to me by John Taylor in e-mail correspondence in January 2014. It should be noticed, however, that KJW considers the case of Sopdetemhaawt not a generation-jump (e-mail correspondence in May 2014). Though this does not detract from the fact that the funerary equipment of Takeloth III’s descendants appears (on stylistic grounds) to be later in date than one would expect if Takeloth reigned in the middle of the eighth century BCE. Erwähnen sollte man auch das auffällige Fehlen von Einträgen für die Regierungszeit Schebitkos im thebanischen Archiv des Pedubast, das mit acht Papyri die Regierungszeit von Schabako und Taharqo abdeckt.51 Es ist schwer zu erklären, wieso eine etwa 20-jährige dokumentarische Lücke innerhalb des Archivs einer Privatperson klaffen sollte. Dasselbe gilt für die Papyri über Zahlungen in die thebanische Schatzkammer von Herischef.52 CJ: Dieses Argument ist angesichts der äußerst spärlichen Beleglage meiner Meinung nach nicht aussagekräftig. Eine weitere bizarre Dehnung weist ein in den Papyri dokumentierter Rechtsstreit auf.53 Hier wird wegen einer ausstehenden Teilzahlung für einen Sklaven, Ἰrt-r-tꜢy, verkauft im Jahr 7 (also nach herkömmlicher Chronologie frühestens 715) des Schabako bis ins Jahr 6 von Taharqo ein Rechtsstreit geführt. Ohne irgendein Ereignis für die dazwischenliegende Regierungszeit 49 50 51 52 53 Die Inschrift im inneren Sarg von Sopdetemhaawt hat paläographische Gemeinsamkeiten mit derjenigen im inneren Sarg von Istemkheb, der Mutter des Montemhat. Man könnte auf dieser Grundlage auf den Tod von Sopdetemhaawt während des frühen 7. Jahrhunderts, wenn nicht gar näher der Mitte des gleichen Jahrhunderts schließen. GB in der Expertenrunde in Münster, 2014. Pedubast ist ein thebanischer Choachyt, zu dessen Archiv diese Dokumente, studiert von Menu, „Cessions de services et engagements“, gehört haben. Sie decken die Periode von Piye, Schabako und Taharqo ab. Es befinden sich keine Einträge für die ziemlich lange Regierungszeit von Schebitko. Diese seltsame Erscheinung, die mit dem allgemeinen Fehlen von Papyri, die auf Schebitko datiert sind, zusammenhängt, bedarf einer zusätzlichen Erklärung. Menu, „Cessions de services et engagements“. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 149 Schebitkos zu nennen, erstreckt sich der Rechtsstreit ohne Wechsel der Protagonisten über etwa unglaubwürdige 31 Jahre. Absurd lange Prozesse sind im Alten Orient zwar gut bekannt (z.B. der Rechtsstreit um das Erbe des Hauses von Takil-ana-ilīšu).54 Sie rechtfertigen deren Länge jedoch dadurch, dass innerhalb der prozessführenden Partei auch ein darin belegter Generationswechsel stattfindet. Die Omission Schebitkos im Kontext von Archiven, die die Periode zwischen seinem angeblichen Vorgänger und seinem angeblichen Nachfolger abdecken, oder in ähnlichen Gerichtsakten, oder in der Statue (CG 42204) des Hohepriesters des Amun Horemachet, kann man sicherlich durch das Zusammenwirken von Zufällen zurückweisen. Auffällig bleibt, dass solche Fälle ausschließlich die traditionelle Reihenfolge Schabako-Schebitko betreffen, während sie im Falle ihrer Umkehrung unbekannt sind. GB: Though statue CG 42204 of Shabako’s son the High Priest of Amun Horemakhet is only incidentally mooted by Bányai, the inscription on this statue deserves special attention, as it is strongly suggestive of Shebitku being Shabako’s predecessor. On this statue Horemakhet is named “king’s son of Shabako mꜢꜤ-ḫrw, who loves him, Sole Confidant of king Taharqa mꜢꜤ-ḫrw, Director of the palace of the king of Upper and Lower Egypt Tanutamun, may he live for ever.” In this sequence of Kushite kings with whom Horemakhet had any relation Shebitku is passed over. Kahn (“The Royal Succession in the 25th Dynasty”) supposes that Horemakhet was born at the end of Shabako’s reign, being too young to serve as a priest in Shebitku’s reign. In Kenneth Kitchen’s view Horemakhet was installed by his father Shabako as High Priest of Amun in Thebes (Kitchen, The Third Intermediate Period in Egypt, 382), which is also the opinion of Aidan Dodson (Afterglow of Empire, 156). Leo Depuydt (“Glosses to Jerome’s Eusebios,” 36) says in this connection: “The absence of any mention of Shabataka between Shabaka and Taharqa is intriguing.” Horemakhet’s son Horkhebit succeeded his father in his capacity of High Priest of Amun, and he occupied that post at the arrival of the Saïte princess Nitocris in Thebes in 656 BCE. It may be assumed that he was of age at the time of his installation in this high position, at least being about the mid of his thirties. So he must have been born about 690 BCE at the latest. His father Horemakhet, then, must have been born not later 54 Paulus, „‚Ein Richter wie Šamaš‘ “, 7–15. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 150 Bányai than about 715. Consequently in the conventional chronology he was a youngster of at least some ten years at the start of Shebitku’s reign in 707/706, and an adult of at least 25 years at the death of Shebitku in 690. So it is not unlikely that he served in any function under this king. But even if he did not, it is difficult to explain why he in the inscription on his statue would pass over Shebitku, who undoubtedly was a member of his family. The text gives a chronological sequence of kings who reigned during his life, each of their names being accompanied by a reference to the relation that existed between the king mentioned and Horemakhet. Not any good reason can be devised why Horemakhet on this statue, placed in the temple of Amun, on which he proudly displays his royal descent and his career at the royal court, would totally neglect Shebitku, the successor of his father. Even if there had been any embarrassing incident at the Kushite royal court in which Shebitku was involved, Horemakhet, he himself being a member of the royal family, would surely not publicly hint to such event by omitting Shebitku’s name. Therefore the coherent and uninterrupted enumeration of the royal names in the inscription is strongly suggestive for an uninterrupted order of succession Shabako—Taharqa—Tanutamun. KJW: Wenn der Hohepriester Harmachis, der Sohn Schabakos, auf der Statue CG 42204 sein gutes Verhältnis zum verstorbenen Taharka und zum amtierenden König Tanutamun betont, den Nachfolger seines Vaters, Schebitku, aber nicht erwähnt, könnte das damit zu tun haben, dass Schebitku von Taharka beseitigt worden war (s. Depuydt, „Glosses to Jerome’s Eusebios“) und eine Erwähnung daher peinlich gewesen wäre. Eine bemerkenswerte Beobachtung von Broekman über die Entwicklung der Bautechnologie der königlichen Pyramiden von el Kurru und Nuri,55 liefert ein weiteres Argument für die umgekehrte Reihenfolge der Pharaonen. Die Grabkammern der Pyramiden von Piye (Ku 17) und Schebitko (Ku 18) sind mit jeweils einem Kraggewölbe gedeckt. Dagegen sind die Grabkammern der Pyramiden von Schabako (Ku 15), Taharqo (Nuri 1) und alle darauffolgenden Pyramiden in el Kurru und Nuri (darunter selbstverständlich auch die von Tanutamun—Ku 16) als Tunnelstrukturen gebaut worden. 55 GB in der Expertenrunde in Münster, 2014, und unabhängig von ihm etwas später dieselbe Beobachtung durch Payraudeau, „Retour sur la succession Shabaqo-Shabataqo“. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 151 GB: Accurately studying Dows Dunham’s drawings and description of the pyramids of Piye, Shebitku and Shabako (Dunham, El Kurru, 64, 67, 55), shows that there is a clear architectural development. The substructure of Piye’s pyramid Ku 17 consists of a single burialchamber being an open-cut structure with a corbelled roof, accessible via a doorway, above which the rock extends only part way to surface. Pyramid Ku 18, belonging to Shebitku, has a substructure consisting of a burial-chamber (chamber B) being an open-cut structure with a corbelled roof, just like Ku 17, and a front-room (chamber A), being a tunnelled structure with a half round vaulted roof, unlike Ku 17. The substructure of Pyramid Ku 15, belonging to Shabako, is composed of a burial-chamber (chamber B), being a tunnelled structure with a high vaulted roof, unlike Ku 17 and Ku 18, and a front-room/corridor with a sloping vaulted roof (chamber A), also being a tunnelled structure like Ku 18 but unlike Ku 17. The building of these pyramids might have been carried out as follows: With the pyramids of Piye (Ku 17) and Shebitku (Ku 18) first of all the burial-chamber was cut out in the (smoothed) rock and next roofed with a masonry corbel vault. This being done, the proper building of the pyramid was started. After the pyramid was completed in whole or in part, the stair was cut out. At the end of the stair of Ku 17 (Piye) a doorway was cut out in the rock, directly beneath the eastern face of the superstructure, giving entrance into the burial chamber. As to Shebitku’s pyramid (Ku 18), the stair was cut out down to a depth which was roughly on a level with the floor of the burial-chamber. From that point, at approximately 6 meters east of the eastern wall of the burial-chamber, a round-topped doorway and a level tunnel with a half-round vaulted roof (Dunham’s chamber A) was cut out, leading into the burial chamber. From this working method Shabako’s architect might have hit upon the idea of fully tunnelling the substructure of the pyramid of Shabako (Ku 15), which would allow the building of the superstructure and the cutting out of the substructure being done at the same time. Suchlike course of things unmistakeably points to the sequence Ku 17 (Piye)—Ku 18 (Shebitku)—Ku 15 (Shabako), thus reflecting a logical progressive development of the building process of the Kushite pyramids, providing a weighty argument for Shebitku being the predecessor of Shabako. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 152 Bányai DK: The geographical setting of the tombs in the El Kurru cemetery field would suggest that the space between the pyramid of Piankhy (Ku. 17) and the pyramid of Shabaka (Ku. 15) was not fit for building a pyramid. Shebitku’s pyramid Ku 18 is at the back of the cemetery. If Shabaka’s tomb was not yet occupied, Shebitku would most probably have chosen the front line of burials continuing Piankhy’s tomb. Since this space was occupied, and the location of the eventual burial of Tanutamun was on lower grounds, Shebitku preferred a burial on higher grounds at the back. The location to the left of Piankhy’s pyramid seems also not to have been fit for burying, until eventually a ruler from the Meroitic period built his pyramid there (Ku 1), whose roof collapsed (private comm. Geoff Emberling), proving that the initial choice not to build there was correct. AL: Für die Position des Grabes des Schebitko „hinter“ der Linie der schon bestehenden Gräber kann man noch zusätzlich anführen, dass (wenn man von schlechtem Baugrund direkt neben Piye ausgeht) der nächste zu bebauende Platz vor der bestehenden Gräberzeile von Schabako belegt war und direkt daneben (nördlich) ein für einen Pyramidenbau relativ steil abfallendes Gelände liegt (gut zu erkennen an den Höhenlinien im Plan Dunhams). Dieses wurde zwar später von Tanwetamani als Baugrund genutzt, von den Oberbauten ist jedoch nur die Umfassungsmauer an der höhergelegenen südlichen Seite erhalten. So war tatsächlich die nächstbeste Position—nach der Anlage der Pyramide des Schabako—das erhöhte Gebiet „hinter“ der Gräberlinie, nahe des Kerns des Friedhofes bei den Ahnengräbern. Autor: Vollkommen einverstanden. Ich sehe ebenfalls diese Position als eine optimale Alternative für Schebitko nach Wegfall der Option, unmittelbar in der Nähe der Pyramide von Piye zu bauen. Wenn er allerdings nach Schabako, nach herkömmlicher Chronologie, regiert haben soll, wäre der später erst von Tanutamun benutzte Platz doch alternativlos der Beste gewesen. Die Entscheidung für die Tunnelbauweise ist nicht wegen statischer Vorzüge, sondern ausschließlich aus zeitökonomischen Gründen getroffen worden. Während der eine Bautrupp mit der Bohrung der Grabkammer im Gestein beschäftigt war, konnte gleichzeitig eine zweite Truppe von Arbeitern die Pyramide darüber errichten. Bei der früheren Bauweise musste erst die Fertigstellung der Grabkammer abgewartet werden. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 153 AL: Nach Friedrich Hinkel („Die meroitischen Pyramiden“, 325–26) handelt es sich um zwei getrennte Bauphasen: Die unterirdischen Arbeiten für die Bestattungsanlage und nach deren Fertigstellung die oberirdischen Arbeiten an Pyramide und Kapelle. Dies ist an den Pyramiden von Nuri und Meroe nachzuweisen und für El Kurru ebenso anzunehmen. Autor: Hinkel liefert aus Sicht eines Architekten keine bautechnisch oder archäologisch nachvollziehbaren Gründe für die Existenz zweier getrennter Bauphasen, außer in dem Fall, in dem er sich auf solche Grabbauten, die eine überwölbte Grabkammer besitzen, beziehen sollte. Allerdings gibt Hinkel („The Royal Pyramids of Meroe“, 12) aus meiner Sicht vollkommen korrekt die Einschätzung, dass die Suprastruktur (d.h. die Pyramide) in der Regel jeweils vom Nachfolger des verstorbenen Königs errichtet wurde.56 Da ich seine zeitliche Trennung zwischen dem Bau der unterirdischen und der oberirdischen Anlage nicht akzeptiere, muss der Gesamtbau des Grabes in die Pflicht des Thronfolgers fallen— mit der bemerkenswerten Ausnahme des Grabs von Taharqo. Im Allgemeinen sind die königlichen Begräbnisse der 3. Zwischenzeit in ganz Ägypten—bis auf Taharqo—baulich wesentlich bescheidener als zu früheren Zeiten. Dies kann nicht bloß auf wirtschaftlichen Niedergang zurückgeführt werden, denn es gibt zur gleichen Zeit Privatgräber,57 die wesentlich größer sind als gleichzeitige Königsgräber, sondern kann auf eine Änderung der Sitten hinweisen. Es sieht offenbar so aus, dass man während der 3. Zwischenzeit dazu überging, das Grab erst mit dem Tod des Herrschers anzulegen. Was dann für die recht frugalen königlichen Gräber der libyschen und kuschitischen Herrscher verantwortlich war, die in der kurzen Zeitspanne von etwa 70 Tagen zwischen Tod und Bestattung des Königs fertiggestellt werden mussten. 56 57 Ich muss andererseits zugeben, dass beide Schlussfolgerungen Hinkels, sowohl die falsche wie die richtige, auf derselben architektonisch unhaltbaren Überzeugung beruhen, dass die Pyramide, die sich bis an den Rand der die unterirdischen Grabkammer erschließenden Treppe erstreckte, erst nach Auffüllung des Treppenweges (nach Bestattung) errichtet werden konnte. Dies kann ich als Berufskollege nur verneinen. Dazu zu rechnen ist das Grab des Harwa, Majordomus von Amenirdis I., also ein Zeitgenosse von sowohl Schabako wie auch Schebitko. Dessen unterirdische Grabanlage übertrifft diejenige der beiden Könige um ein Vielfaches. Dasselbe gilt für die Grabanlage von Monthemhat zur Zeit Taharqos. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 154 Bányai Diese Sitte scheint von Taharqo aufgegeben worden zu sein, der als Usurpator nach Ausfall seines eigenen Sohnes als Thronerben, guten Grund hatte anzunehmen, dass er von Tanutamun, dem Sohn des von ihm beseitigten Schabako, kein würdiges Begräbnis erwarten konnte. Seine in einem zweiten Schritt wesentlich erweiterte Pyramide verrät, dass er sich als erster (und wohl einziger) Herrscher der 3. Zwischenzeit damit schon lange zu Lebzeiten befasst hat. Deswegen geriet seine über zahlreiche Jahre errichtete Pyramide auch zur größten nubischen Pyramide überhaupt. Es ist allerdings naheliegend, dass im Normalfall die Erbauer der Gräber das enge Zeitfenster von etwa 70 Tagen bis zur Bestattung so vernünftig wie möglich ausnutzen mussten. Gleichzeitiges ober- und unterirdisches Bauen konnte die Bauzeit halbieren. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass man in El Kurru nicht das Naheliegendste tat, indem man gleichzeitig ober- und unterirdisch baute, sobald dies durch die Entscheidung zur Aufgabe einer gewölbten Grabkammer und stattdessen Bau der Grabkammer in Tunnelbauweise möglich wurde. Die Erwägung, dass Bedenken über die Friabilität des Deckengesteins an der Baustelle Schebitkos zur Entscheidung zugunsten eines Kraggewölbes geführt hätten, ist unbegründet. Eine Stelle, die solche Probleme aufgewiesen hätte, wäre als ungeeignet für den Pyramidenbau verworfen worden. Die Gefahr, dass dadurch die enorme Masse der Pyramide ins Rutschen kommen könnte, hätte überwogen. Beweis dafür ist die Tatsache, dass nach Schebitko sich kein weiterer kuschitischer Bauherr mehr für diese Bauweise entschied. Man sollte davon ausgehen, dass die Baumeister der Pyramide von Schebitko nicht als erste und letzte vor ein solches Problem gestellt wurden. AL: Trotz der sehr plausiblen Argumentation von GB müssen auch andere Elemente des Grabbaus in El Kurru herangezogen werden, die wiederum für die ursprüngliche Reihenfolge sprechen. Die unterirdische Anlage von Piye besteht aus nur einem Raum, der mit einem Gewölbe gedeckt ist, direkt davor endet die Treppe. Das Grab von Schabako besteht genau betrachtet ebenfalls nur aus einem Raum, der als Höhlung in den Stein gehauen ist, der letzte Teil der direkt davor endenden Treppe ist jedoch (anders als bei Piye) nicht frei liegend, sondern als Tunnel im Fels gestaltet. Erst das Grab des Schebitko besteht tatsächlich aus zwei Räumen: einer Vorkammer, die aus dem Fels gehauen ist, und der Grabkammer, die durch ein gemauertes Gewölbe bedeckt ist. Warum man für die Grabkammer wieder auf ein Gewölbe zurückgegriffen hat, kann neben bautechnischen Gründen (schlechte Gesteinsader) auch in der Einbringung eines Bestattungsaufbaus liegen: Im Boden der Grabkammer sind Löcher für Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 155 zehn Pfosten vorhanden—ein Befund, der in El Kurru sonst nicht nochmals auftritt. Dunham (El Kurru, 67) hat einen Baldachin vermutet, es kann sich aber auch um eine andere Konstruktion gehandelt haben, die möglicherweise nur von oben in die Grabkammer zu stellen war. Autor: Das Argument der schlechten Gesteinsader sticht meiner Meinung nach nicht. Wenn man die Gräber von Schabako und Schebitko vergleicht, stellt man fest, dass die Stärke der über der Grabkammer von Schabako erhaltenen Deckenplatte aus Naturfels wesentlich größer ist, als das was man sich am Grab Schebitkos im Idealfall vorstellen könnte (würde man ihm die ursprüngliche Absicht unterstellen, ähnlich wie Schabako gebaut haben zu wollen). Dies liegt daran, dass man bei Schabako die Grabkammer von vornherein wesentlich tiefer angelegt hat. Eine möglichst dicke erhaltene Decke bestehend aus dem Originalfelsen, war eine Voraussetzung für die Solidität des Baus und dies konnte nur erreicht werden, indem man die Grabkammer entsprechend tief darunter baute. Dazu musste auch die dahin führende Treppenanlage entsprechend tiefer führen. Die Grabkammer von Schebitko ist jedoch wesentlich weniger tief unter der Felsoberkante angelegt, weil sie von vornherein ausgeschachtet wurde. Daher brauchte man keine entsprechende Felsstärke über der Grabkammer. Der Scheitelpunkt eines Gewölbes durfte bei dieser Bauweise nämlich über die Felsfläche hinausragen. Dagegen spricht aus statischer Sicht keine konstruktive Regel. Solange man sich an die antiquierte Baumethode hielt, konnte man zumindest an der Tiefe der auszuschachtenden Teile wertvolle Zeit sparen. Hätte man anfangs das Ziel verfolgt, eine ähnliche Decke aus Naturfels über der Grabkammer zu erhalten, wäre man bei Schebitko mit dem Bau ebenfalls tiefer gegangen. Die Tiefe der Treppenanlage belegt jedoch das Fehlen einer solchen Absicht von Anbeginn an. Die Differenz zwischen der Bauweise der Pyramide Schabakos und derjenigen Piyes und Schebitkos markiert einen technologischen Durchbruch im Tunnelbau dank Einsatz fortgeschrittener neuer Werkzeuge. Eine Entwicklung in diese Richtung beobachtet man bereits an dem zunehmenden Anteil der im Tunnelbau errichteten Bauteile im Vergleich zu dem der bloß ausgeschachteten Bereiche in der Pyramide Schebitkos verglichen mit denen im Bau Piyes.58 58 Die Ausschachtung wurde von den Ägyptern seit ältesten Zeiten durch den Einsatz vollkommen anderer Methoden praktiziert. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 156 Bányai Der ab 705 einsetzende Fortschritt in der Tunnelbauweise brachte eine große Zeitersparnis gegenüber der früher bevorzugten Ausschachtung. Daher markiert der Bau der Pyramide von Schabako den Durchbruch der Tunnelbauweise, wo man diese zum Zeitgewinn für den Gesamtbau einsetzen konnte. Dieser technologische Durchbruch lief etwa zeitgleich in Assyrien ab (Nagub Tunnel Asarhaddons) und in Judäa (Schiloam Tunnel von Hiskija). Seinen Ursprung hatte dieser eisenzeitliche Tunnelbau-Boom in dem systematischen Einsatz eiserner Spitzhacken bei den ausgedehnten Kanalbau-Projekten Sanheribs (s. Annalen Sanheribs: Luckenbill, The Annals of Sennacherib, 98 und 126). Während der vorausgegangenen Regierung Sargons II. wurden zu einem ähnlichen Zweck noch ausschließlich bronzene Spitzhacken benutzt.59 Als Ausgangspunkt dieses Trends dürfte Assyrien gelten, wo sich in der Zeit Sargon II. nach Aussage der assyrischen Archive infolge der erfolgreichen Feldzüge des Königs enorme Reserven von Eisen angehäuft hatten, die ein Abzwacken des Metalls durch den Thronfolger für profanere Zwecke erlaubte (Forbes, Metallurgy in Antiquity, 447). Eine technologische Entwicklung auf diesem Gebiet bei den Kuschiten würde bei der herkömmlichen Betrachtung der kuschitischen Chronologie um ein Jahrzehnt derjenigen in den Nachbarländern vorausgehen, den Ländern wo sie allerdings mutmaßlich ihren Ursprung hatte. Dies ist vollkommen auszuschließen, zumal die Schwelle, an der dieser technologische Durchbruch im gesamten Orient erfolgte, exakt zwischen den Regierungen Sargons II. und Sanheribs lag. Den Hinweis, dass es sich dabei um keine unbegründete Annahme handelt, liefert die innerägyptisch zeitgleiche (jedoch im Vergleich mit dem Rest der Welt zeitversetzte) Entwicklung der Privatgräber von Harwa und Monthemhat. Man steht als Vertreter der traditionellen Reihenfolge vor dem merkwürdigen Phänomen, dass man sich zur Zeit Schebitkos für die Rückkehr zur wesentlich ungünstigeren Technologie im Pyramidenbau entschieden haben sollte, obwohl sie zur Zeit seines Vorgängers Schabakos schon einmal aufgegeben wurde. Die Reihenfolge der Pyramiden von el Kurru, die idealerweise von Süden nach Norden, beginnend mit der Pyramide von Piye, von seinen Nachfolgern hätte 59 Luckenbill, Ancient records of Assyria and Babylonia II, 75. Salmanassar III setzte ein Jahrhundert zuvor noch bronzene und kupferne (!) Spitzhacken ein (Luckenbill, Ancient records of Assyria and Babylonia I, 213). Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige Abb. 5 157 Pyramiden von el-Kurru (aus: Török, The Kingdom of Kush, fig. 3). fortgesetzt werden sollen, ist eine weitere Illustration der Probleme, mit denen die herkömmliche Chronologie beladen ist (Abb. 5). Auf Ku 17 (die Pyramide von Piye) folgt eine leere Stelle, entstanden, weil sie wohl zur Bebauung ungeeignet schien. Gleich darauf folgen die Pyramiden von Schabako (Ku 15) und Tanutamun (Ku 16). Das Fehlen der Pyramide von Taharqo an dieser Stelle muss nicht erklärt werden, jedoch dasjenige der Pyramide von Schebitko, Ku 18, die abseits der Reihe an diametral entgegengesetzter Stelle gegenüber der Pyramide von Piye entstand.60 Wenn Schebitko (als Nachfolger Schabakos) seine Pyramide an der zu erwartenden Stelle hätte bauen wollen, so stand ihm diese Stelle noch frei, weil sie von derjenigen von Tanutamun noch nicht verstellt war. Den Brauch, die Pyramide des Nachfolgers an der Seite seines Vorgängers zu bauen, kann man praktisch überall an den el Kurru Pyramiden beobachten, ausgenommen bei Schebitko. Ist jedoch Schebitko der unmittelbare Nachfolger von Piye, dann wäre er der Pharao, dessen Bauleute mit der Problemstelle unmittelbar nördlich der Pyramide von Piye zu kämpfen hatten. Als sie nach einiger Zeit offenbar feststellten, dass diese Stelle nicht zu bebauen war, können sie sich entschieden haben, an vollkommen anderer Stelle ihr Glück zu versuchen. Eventuell an der ersten untersuchten Stelle bei der Pyramide von Piye vorhandene Risse 60 Siehe dazu den Plan der Nekropole von el-Kurru (Abb. 5). Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 158 Bányai hätten sich weiter nördlich ziehen können und auch einen zweiten Bauversuch vereitelt. Der später in Nuri dokumentierten Brauch, wieder unter den Ahnen seinen letzten Ruheplatz zu suchen und so gelegentlich aus der Reihe zu tanzen, ist in dieser frühen Periode noch nicht belegt und dürfte eigentlich auch in Nuri erst nach einer sorgfältigen Untersuchung so bestätigt werden.61 Die Bauleute seines Nachfolgers Schabako konnten unter dieser Hypothese mit etwas mehr Glück wieder an die Pyramidenreihe, angefangen von Piye, anknüpfen. Andererseits ist die Reihenfolge der Pferdegräber in el Kurru ohne Bedeutung für unsere Diskussion zur Reihenfolge der kuschitischen Könige. Lediglich die zwei mittleren Pferdegrab-Reihen konnten von George A. Reisner anhand der archäologischen Funde mit Sicherheit identifiziert werden, diejenigen von Schabako und von Schebitko.62 Die Seitenreihen sind lediglich anhand der eigenen Ansichten Reisners über diese strittige Reihenfolge bestimmt und anhand der Tatsache, dass in el Kurru nur noch Piye und Tanutamun begraben waren. Da in el Kurru keine Präferenz, die Pyramiden in eine ausschließliche Richtung anlegen zu lassen, beobachtet werden kann, sind die Reihen der Pferdegräber mit beiden zur Diskussion stehenden Reihenfolgen: SchabakoSchebitko, bzw. Schebitko-Schabako, kompatibel. Lediglich die bisher Piankhy, bzw. Tanutamun zugeschriebenen Gräberreihen müssen ihre Bezeichnung vertauschen. Interessant scheint auch die von Frédéric Payraudeau aufgeworfene Frage, warum Amenirdis I. die Selbstbezeichnung „Schwester eines Königs“ ausschließlich auf Monumenten, die unter Schabako datieren, trägt.63 Wäre Schabako Schebitko vorausgegangen, gäbe es keinen nachvollziehbaren Grund, warum sie unter Schebitko aufgehört hätte, diesen Titel zu tragen.64 61 62 63 64 Hinweis auf eine solche Deutungsmöglichkeit durch AL. Reisner, „Discovery of the Tombs of the Egyptian XXVth Dynasty“, 252–53: „The second row was dated by an inscribed amulet to Shabaka and the third by a large number of similar amulets to Shabataka. Thus the first row is certainly to be dated to Piankhy and the fourth to Tanutaman.“. Payraudeau, „Retour sur la succession Shabaqo-Shabataqo“. Ich muss in Zusammenhang mit den bisher unpublizierten Beweisen von Payraudeau meinen Versuch, die bereits von Mariette (Karnak, 68) stammende Vermutung, dass Amenirdis I. die Schwester von Schabako gewesen sei, zu widerlegen, etwas in Frage stellen. Amenirdis I. ist, laut Payraudeau („Retour sur la succession Shabaqo-Shabataqo“, 118) in Zusammenhang mit Schabako in der Kapelle des Osiris-Nebânkh in Karnak-Nord (wo nach einer Prüfung im Jahr 2013 der Name Nfr-kꜢ-RꜤ gelesen werden konnte) attestiert. Ebenso erscheint sie in Assoziation mit Schabako auf Blöcken der Kapelle des Osiris von Koptos (Payraudeau, „Retour sur la succession Shabaqo-Shabataqo“, 118, mit Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 159 GB: According to AL the designation snt nzw, “King’s Sister,” does not refer to a strict biological brother-sister relation, but it is a generic term for certain female members of the royal family, which means that, without other sources, we cannot deduce a father-son relationship of Kashta and Shabako from Amenirdis being a snt nzw of Neferkare (E-mail correspondence in July 2014). AL: Allerdings gibt es einige Denkmäler, in denen Amenirdis I. als mꜢꜤ ḫrw bezeichnet ist, und in denen nur die Selbstbezeichnung „Tochter des Königs“, nicht aber „Schwester des Königs“ auftaucht (z.B. Statuette EA 46699 (Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit III, 277 (21); Osirisstatuette Kopenhagen AEIN 72 (Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit III, 298– 99 (58)). Das Führen der Verwandtschaftsbezeichnungen folgt keinen speziellen Regeln, siehe vor allem die Kapelle in Medinet Habu, in der an einigen Stellen sowohl Tochter als auch Schwester des Königs genannt sind, an anderen nur Tochter des Königs (gut zu überblicken in Koch, „Die den Amun mit ihrer Stimme zufriedenstellen“, 140–43). KJW: Die Gottesgemahlin Amenirdis I. ist unstrittig die Tochter des Kaschta. Sie wird einmal als Schwester des Königs Schabako bezeichnet (Mariette, Karnak, pl. 45, d; heute leider nicht mehr nachprüfbar), und diese verwandtschaftliche Beziehung lässt sich inzwischen durch noch unpublizierte Inschriften aus Karnak bestätigen (Payraudeau brieflich an Bányai). Daraus folgt, dass Schabako auch ein Sohn des Kaschta war. Schebitko, laut Manetho der Sohn des Schabako, war dagegen mit einer Tochter des Piye, des Nachfolgers von Kaschta, verheiratet (Statue Kairo JE 49157, s. Lefebvre, „Le grand prêtre d’Amon, Harmakhis“, 29). Daraus ergibt sich natürlich kein schlüssiger Beweis, aber es deutet klar darauf hin, dass Schabako eine Generation vor Schebitku anzusetzen ist, wie das ja auch Manetho ausdrücklich sagt. Autor: Würde man konsequent Könige nach deren Generationszugehörigkeit ordnen, müssten Eje und Haremhab (und vielleicht auch noch Ramses I.) vor Tutanchamun regiert haben. Bezug zu Guillou [Recherches sur le programme décoratif, 27–29]) und in der Inschrift im Wadi Hammamat aus dem Jahr 12 des Königs. Eine Alternative bietet AL, die Bezeichnung Königsschwester bzw. Königsbruder nicht wortwörtlich aufzufassen. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 160 Bányai Übernimmt man den Standpunkt von AL, dass Amenirdis keine leibliche Schwester Schabakos gewesen wäre (den ich in der Zwischenzeit präferiere), dann wäre die Generationenfrage wiederum hinfällig. Politische Kontakte zwischen Schabako und Sanherib? Die Aussage Sargons II., wonach vor 707–706 weder er noch einer seiner Vorgänger je von einem kuschitischen König kontaktiert worden sei, bietet den Ausgangspunkt jeder Diskussion der von Austen Layard entdeckten Tonbullen mit dem Siegel Schabakos im Palast Sanheribs in Ninive. Unter den von Layard gefundenen 500 Tonbullen im Raum LXI des Palasts Sanheribs gehören nicht weniger als drei Siegel-Abdrücke Schabako: EA 84884, EA 84527, BM 1881,0204.352. HN: vgl. dazu Herbordt, Neuassyrische Glyptik des 8.–7. Jh. v. Chr., 120– 21 (mit dem Satz S. 121: „Ab dem Neuen Reich wurden Skarabäen mit dem Namen des ägyptischen Königs in Massen produziert und von Privatpersonen verwendet, so dass die Bedeutung des Siegelabdrucks in Ninive nicht unbedingt offiziell sein muss.“ !!!) Autor: Diese Feststellung stellt eine Vereinfachung des Befunds dar. Eine etwas genauere Darstellung des Phänomens ist, dass ab dem Neuen Reich reichlich zeitversetzt (!!!) besonders volkstümliche pharaonische Namen in offenbar inoffizieller Verwendung auftauchen (so z.B. solche mit dem Namen Thutmosis III.). Jedoch reduziert die Tatsache, dass die einzigen zwei ägyptischen Siegelabdrücke, gefunden im Raum LXI des Palasts Sanheribs (EA 84526), Schebitko (oder Piye) und Schabako in einem für diese Pharaonen zweifellos zeitgenössischen Kontext nennen, diese verallgemeinernde Feststellung auf das notwendige Maß. EA 84884 wird widersprüchlich von Layard als „affixed by the Egyptians to public documents“, von Raphael Giveon hingegen als „jar-stopper“ und von Suzanne Herbordt „auf einem Sackverschluss“ angebracht bezeichnet.65 Trotz erkennbarer Fehler in der Diskussion dieser Bulla durch Giveon, ist eine Zweckbestimmung der Bulla erst anhand eines vom British Museum angeforderten Fotos der Rückseite (das unter den Teilnehmern an dem Runden Tisch 65 Layard, Discoveries in the ruins of Nineveh and Babylon, 132. Giveon, Egyptian scarabs, 166–68. Herbordt, Neuassyrische Glyptik des 8.–7. Jh. v. Chr., 120–21. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 161 Abb. 6 Rückseite der Bulla EA 84527: vollkommen ebene und glatte Oberfläche der gegen den versiegelten Gegenstand gepressten Partien und Schnurabdruck (© Trustees of the British Museum, Museum Nr. EA 84527). anschließend zirkuliert wurde) möglich geworden. Das Foto beweist, dass Herbordt vollkommen recht mit Ihrer Bezeichnung dieser einzelnen Bulle als Sackverschluss hatte. Nichtsdestoweniger muss man teilweise Layard Recht geben: EA 84527 (Abb. 6), welches vom British Museum als „Back shows mark, otherwise smooth“ beschrieben wird, stellt sich bei näherem Hinsehen als ein tatsächliches Dokumenten-Siegel heraus, das an einem Papyrus angebracht war. Obwohl es vom Museum weiterhin irrtümlich, in der Folge von Giveon als „jar-stopper“ bezeichnet wird, gibt es zu dieser Zweckbestimmung keinen Anhaltspunkt. Mein auf dem Foto basierender Eindruck ist, dass die Rückseite von EA 84527 den Abdruck von fein satiniertem Papyrus erhalten hat, zudem scheint der Gegenstand, gegen den die Bulla gepresst wurde, eine vollkommen ebene Fläche geboten zu haben, typisch u.a. für die flache Faltung von Papyrusverträgen. Abgesehen von der optischen Untersuchung von EA 84527 durch Layard spricht für die Zugehörigkeit dieses Funds zu einem Papyrusarchiv die Tatsache, dass die Seitenwand des Raums, wo die Bulla zusammen mit über 500 anderen gefunden wurde, in Nischen aufgeteilt war, die offenbar zur Aufbewahrung von Papyri vorgesehen waren.66 66 Siehe hierzu Veenhof, „Cuneiform Archives“, 2: „One of the archival rooms (no. 61) of Sennacherib’s ‘palace without rival’ still contained many sealed bullae, but the papyri to which they originally had been affixed, originating from Syria, Palestine and Egypt, had Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 162 Bányai Hiermit liegt ein wichtiges Beweismittel für die Umkehrung der Reihenfolge Schabako-Schebitko vor. Es liefert nämlich den Beweis einer Korrespondenz zwischen Schabako und dem assyrischen Hof. Laut Sargon II. ist allerdings Schebitko der erste König von Meluḫḫa, welcher überhaupt einem assyrischen König schrieb. Nur die Umkehrung der Reihenfolge Schabako-Schebitko kann den archäologischen Befund mit der Aussage Sargons II. in Einklang bringen. AIB: Leider ist die Art der Verschlüsse EA 84527 und BM 1881,0204.352 nicht mit vollständiger Sicherheit zu bestimmen, da die bisherigen Bearbeiter keine Identifizierung bzw. ausreichende Informationen zur Bestimmung anbieten. Insofern bleibt hier immer ein Spielraum zur Diskussion. Die sicherlich korrekte Beobachtung, dass einige Bullae: darunter EA 84884 (ein Beutelverschluss), bzw. einer der damit assoziierten assyrischen Beamtensiegel (Knaufverschluss an einer Holzkiste) nicht unmittelbar an Dokumenten angebracht waren, könnte, mit dem Hinweis auf die in Assyrien recht häufige archivarische Aufbewahrung von (Ton)Dokumenten in Assoziation mit ihrer (Ton) Hülle eine einfache Erklärung erhalten. Die Verpackungen: Beutel, Holzkiste, können in Analogie damit in Zusammenhang mit der Papyruskorrespondenz aufbewahrt worden sein.67 67 disintegrated.“. Mit Anm. 5: „A.H. Layard, Discoveries in Nineveh and Babylon (London, 1853), 153 f. 460 f., on room no. 61, with a wall provided with niches where the papyri most probably were kept. G. Goossens, RA 46 (1952), 104. note 1, uses the term ‘chancellerie araméenne’.“ Die Bezeichnung dieses Archivs durch Goossens als “aramäische Kanzlei” ebenso wie der stetige Hinweis Veenhofs auf Papyri wird nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass nicht nur die Korrespondenz Ägyptens mit Assyrien, sondern diejenige des gesamten von Assyrien kontrollierten Westens (wobei noch Unklarheit über Zypern und Teile Anatoliens herrscht), also der alphabetisch schreibenden Staaten, von diesen ausschließlich auf Papyrus abgewickelt wurde. Das bevorzugte Schreibmedium in Zusammenhang mit der alphabetischen Schrift ist der Papyrus. Der ägyptische Begriff für Tinte scheint etwa zeitgleich mit der Einführung des semitischen Protoalphabets, also während des Ägyptischen Mittleren Reichs in Palästina übernommen worden zu sein. Hierzu Quack, „Medien der Alltagskultur in Ägypten“, 250. HN: Hierzu und zum Folgenden s. Herbordt, Neuassyrische Glyptik des 8.–7. Jh. v. Chr., 120– 21: „Dieser Skarabäus ist dreimal auf Tonverschlüssen aus Ninive anzutreffen. In einem Fall tritt er auf einem Sackverschluß zusammen mit dem Abdruck eines assyrischen Siegels auf. Das assyrische Siegel ist wiederum alleine auf sechs weiteren Tonverschlüssen aus dem Süd-Westpalast vorhanden, und zwar nicht nur auf Sackverschlüssen, sondern auch auf Kasten- und Kistenverschlüssen.“. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 163 Besonders faszinierend bleibt nach wie vor die Bulla EA 84884, durch die Verbindung eines Siegels von Schabako mit einem assyrischen Beamtensiegel (Abb. 7). Dies erlaubt allerdings nur die Formulierung von Fragen, welche die zukünftige Forschung beantworten könnte. Das assyrische Stempelsiegel, dessen Abdruck sich auf Bulla Nr. 84884 an der Seite des Siegels von Schabako befindet, kehrt unabhängig auf weiteren 6 Bullen wieder. Der Stempel ist kein königlicher, sondern ein BeamtenStempelsiegel (Abb. 8).68 Die Tatsache, dass sein Besitzer offenbar in Kontakt mit Schabako treten konnte, erlaubt mir, ihn unter den niederen assyrischen Provinzfürsten in Syrien-Palästina, also in relativer Nähe zu Ägypten, zu vermuten. Ein sehr ähnliches Siegel neo-assyrischen Typs, jedoch offenbar provinzialer Produktion (die Verarbeitung ist wesentlich gröber, dadurch ist auch die Fähigkeit, wesentliche Details des assyrischen Prototyps wiederzugeben, verlorengegangen) hat Ephraim Stern in unstratifiziertem Zusammenhang in Dor (Abb. 9) ausgegraben.69 Die Ähnlichkeit mit dem assyrischen Siegel auf EA 84884 ist auffällig, obwohl nach der vergleichenden Betrachtung der Abb. 7 Der Siegelabdruck Schabakos (EA 84884) mit assyrischem Begleitsiegel gefunden in Ninive (aus: Layard, Discoveries in the ruins of Nineveh and Babylon, 173). 68 69 Autor: Zeger (Siegel und Siegelabdrücke, 52–53) und Foster („Some Middle Kingdom Sealing Types“, 132–33) haben auf die Verwendung von Kisten mit ähnlichen Pflockverschlüssen wie in der Rekonstruktion von Herbordt, in Ezbet Helmi und Mirgissa als Massenprodukt hingewiesen. Laut Zeger ist „die Art der Truhen, die zum Beispiel in den Gräbern von Tutanchamun oder von Yuya und Tuya gefunden wurden, [sind] mit ihren kurzen knaufartigen Pflöcken nicht für solche Verschlüsse (wie in Ezbet Helmi gefunden) geeignet.“. Eine verbindliche Aussage zum Zweck dieser Kisten ist leider nicht möglich. Millard, „The Assyrian Royal Seal Type Again“. Keel, Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina/Israel, 462–63 DOR Nr. 3.; Keel und Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole, Nr. 288c. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 164 Bányai Abb. 8 Abb. 9 Siegelabdrücke des assyrischen Begleitsiegels. (aus: Mitchell und Searight, Catalogue of the Western Asiatic Seals in the British Museum, 38). Neo-Assyrisches Siegel aus Dor. (aus: Keel, Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina/Israel, 462–63, DOR Nr. 3—mit freundlicher Genehmigung von Prof. Keel). Siegel nun Deutungsänderungen notwendig sind. So ist die unerklärliche ovale Aussparung oberhalb der Anbetungsszene im Abdruck von EA 84884 et al. durch das Siegel von Dor plausibel als ein Mondsymbol erklärt, welches allerdings in den älteren assyrischen Siegeln zu tief eingeschnitten war, um als solches gänzlich erkennbar zu werden. Umgekehrt müssen die bisher als weiblich betrachteten Figuren auf dem Siegel von Dor durch die wesentlich feinere Gravur der assyrischen Siegel als männlich umgedeutet werden. Position, Gestik, Proportion der dargestellten Figuren, die gesamte Ikonographie der assyrischen Siegel sind allerdings mit derjenigen des provinziellen neo-assyrischen aus Dor vollkommen identisch.70 Wir müssen selbstverständlich von vornherein ausschließen, dass dieses genau eines der Siegel wäre, die auf den Bullae abgedrückt wurden. Es 70 Ich habe diesbezüglich den Kontakt zu Prof. Keel gesucht, der keinen grundsätzlichen Einwand dagegen brachte. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 165 dürfte jedoch zu einem Siegelset desselben Besitzers gehört haben. Dies ist möglicherweise eine provinziale Anfertigung gewesen, erzeugt nach der Abtretung von Dor an Tyros im Jahre 676 v.u.Z. HN: Dies auf der Grundlage einer Siegelähnlichkeit (nicht –identität!) mit üblicher Ikonographie zu postulieren, erscheint mir reichlich gewagt. Autor: Es handelt sich um ein für Palästina singuläres Siegel. Der Versuch einer Imitation kann von der Proportion bis hin zur relativen Position aller Bildelemente zueinander verfolgt werden. Es gibt bisher ein einziges neo-assyrisches Rollsiegel aus Netanya—das von Bel-ašarad—das ikonographisch in die Nähe des Bildprogramms unseres Stempelsiegels kommt: die gleiche Götterfigur, die allerdings auf einem knienden Stier (?) steht, ihr gegenüber stehen zwei sie anbetende Figuren, in der Mitte dazwischen ist ein Halbmond zu sehen (Tadmor und Tadmor, „The Seal of Bel-ašaredu, Majordomo“, Pl. VI: 1,2). Es ist zudem mehr als nur eine zufällige oberflächliche Ähnlichkeit zwischen irgendeinem beliebigen Siegel in Dor und in Ninive. Die Pfade ihrer Besitzer haben sich mit Sicherheit sowohl zeitlich wie auch regional irgendwie überschnitten. Der Besitzer des assyrischen Beamtensiegels in Ninive stand in Verbindung mit Schabako: Dies legt nahe, dass er zumindest einmal nach Palästina verschlagen wurde, wo ein solches Zusammentreffen stattfinden konnte. Die relativ kurze Periode, in der sich Dor unter assyrischer Kontrolle befand, deckt sich andererseits mit der Periode Schabakos. Dor ist—obwohl darüber wegen der schmalen Beweislage Uneinigkeit besteht— wahrscheinlich Hauptstadt einer eigenständigen assyrischen Provinz gewesen.71 Die Fragestellung lautet: Wo wurde der Kontakt zwischen Schabako und dem assyrischen Beamten hergestellt? Dies könnte, wie Kahn privat angeregt hat, leicht mittels einer XRF- und petrographischen Untersuchung geklärt werden. Sollte der Ton der Bulla EA 84884 sich infolge einer solchen Untersuchung als palästinensischer Herkunft herausstellen, würde dies mit Sicherheit auf 71 Eine Gesamtdarstellung bei Na´aman, „Was Dor the Capital of an Assyrian Province?“. Das Jahr 676, als es an Tyros abgetreten wurde, stellt sicherlich die untere zeitliche Grenze für eine unabhängige Korrespondenz zwischen Ninive und dem assyrischen Statthalter von Dor dar. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 166 Bányai ägyptische, bzw. kuschitische Geländegewinne in Palästina hinweisen. Solche Grenzänderungen zwischen Assyrien und Ägypten sind mit der Regierungszeit Sargons II., mit dem man die Periode von Schabako nach herkömmlicher Chronologie verbindet, nicht denkbar. Der einzige Zusammenstoß Sargons mit Ägypten erfolgte 720 nämlich weit südlich davon, während der Unterdrückung des Aufstands von Hanunu von Gaza. Der ägyptische Einfluss z.Z. Sargons, bis 720, dürfte also nicht über Gaza hinaus gereicht haben.72 72 Nach der Chronologie Kahns („The Inscription of Sargon II at Tang-i Var“, 18), die vermutlich plausibelste konventionelle Chronologie der Periode seit dem Auftauchen der Tang-I Var Inschrift, würde sich Schabako (in seinem 2. Regierungsjahr) erst 720 in Unterägypten gegen Bokchoris durchsetzen. Da 720 dann zugleich das Jahr der (nota bene!) ägyptischen Niederlage bei Raphia ist, wäre es fragwürdig, worauf sich seine Präsenz in Palästina begründen soll. Die einzige Schlacht dieser Kampagne Sargons II. wurde nach den historischen Texten bei Raphia, südlich von Gaza geschlagen. Da sich ausweislich seiner Annalen kein weiterer Stadtstaat nördlich von Gaza der Revolte 720 angeschlossen habe, weder Aschkelon noch Aschdod, kann die als Gabbutunu bezeichnete Stadt in den nun verlorenen Reliefs des Palasts Sargons nicht mit dem biblisch überlieferten Gibbethon identifiziert werden. Das zwischen Gaza und Gibbethon liegende Aschkelon, welches sich dieser Rebellion nicht anschloss, muss ab 734, dank der Liste der unterworfenen levantinischen Herrscher von Tiglat-pileser, als ein unabhängiger Staat unter einem eigenen Fürsten, Mitinti von Aschkelon gelten. DK: Sargon had to quell rebellions from Hamat in the north up to Gaza in the south in 720 BCE. Stattdessen muss man eine, wie auf den Reliefs dargestellt, bloß durch einen Fluss (wohl dem bekannten Bach von Ägypten) von Raphia getrennte Stadt annehmen. Dafür sprachen sich aus: Schmitt, „Gabbutunu“ (der ein entsprechendes römerzeitliches Toponym in der Nähe von Raphia nachweisen konnte); Na´aman, Ancient Israel and Its Neighbours, 168; und Franklin, „A Room with a View“, 268–69. Das ebenfalls auf den Reliefs dargestellte Amqaruna—identifiziert von el-Amin als Ekron—muss nicht mit den Ereignissen von 720 assoziiert werden. Die Reliefs sind zwar nach einem geographischen Ordnungsprinzip aufgebaut, spiegeln jedoch nicht unbedingt eine einzige bestimmte Kampagne Sargons wider. Mit Amqaruna assoziieren dieselben Reliefs jedoch keine ägyptischen Krieger. Von Bedeutung ist auch, dass Gaza in den späteren Inschriften Sargons nach 720 nicht mehr als feindlich bezeichnet wird. ND 2765 [HN: = SAA I, 110] zum Beispiel, ein Brief geschrieben entweder 716 oder 715 („Tribut“ in Form von Pferden ist u.a. von Ägypten erwähnt, was in den Annalen nur für die Jahre 716–715 bezeugt ist), erwähnt auch Tribut aus Gaza. Während des Jamani Vorfalls, 712, dürfte es auch zu keiner Ausdehnung des ägyptischen Einflusses gekommen sein. Dafür existieren keine Hinweise. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 167 Bis dahin kann ich daher die Rekonstruktion einer Grenzziehung zwischen den Provinzen Dor und Aschkelon nur unter dem Vorbehalt einer späteren Bestätigung vorschlagen. Asarhaddons Fragen an Schamasch,73 vor seinem Feldzug von 679, zum möglichen Ausgang eines Zusammenstoßes mit den Kuschiten bei Aschkelon zeigen, dass diese Gegend südlich des Yarkon, 679, nicht mehr unter assyrischer Kontrolle stand.74 Stattdessen wurde Aschkelon von Asarhaddon als feindliches Gebiet, wo es bereits zum Zusammenstoß mit den Kuschiten kommen könnte, betrachtet. Jaffa, das auf einer Eroberungsliste Schabakos erscheint, gehörte laut Sanheribs Bericht des 3. Feldzugs (701) zum Königreich von Aschkelon.75 Daran grenzte unmittelbar das Gebiet der assyrischen Provinz Dor. Der Verlust dieser Gebiete oberhalb des Yarkon an die Kuschiten dürfte daher irgendwann vor 679 erfolgt sein. Weil die Annalen Sanheribs keine Aussagen zu irgendwelchen Spannungen im Osten machen, dürfte der früheste Zeitpunkt für den Gebietsverlust in der Levante mit dem Jahr 689, mit dem die Annalen Sanheribs abschließen, besser eingekreist sein. HN: Vgl. aber Frahm, Reallexikon für Assyriologie XII, 18 „Für die politische Geschichte der Jahre 688–681 stehen nur wenige Quellen zur Verfügung, doch scheint es, als habe es während dieser Zeit keine auswärtige Macht 73 74 75 Starr, Queries to the Sungod, 94–101. Eph´al, „On Warfare and Military Control“, 98: „queries to Shamash, the oracle god, inquiring about the possibility to wage war against the Egyptian army in the vicinity of Ashkelon, should also be connected to Esarhaddon’s preparations for a campaign in Southern Philistia during the course of which the city of Arzâ, near the Brook-of-Egypt (Nahal Musur) was captured.“. Diese Datierung der Kampagne, die deutlich nur der Wiederherstellung der Grenze mit Ägypten galt, wird von Kahn, „Taharqa, King of Kush and the Assyrians“, 110 und Eph´al, „On Warfare and Military Control“, 98 unterstützt. Nach seiner Niederlage 673 in Ägypten wurde Asarhaddon gezwungen, seine aufständischen Vasallen in Aschkelon und Tyros erneut zu unterwerfen (Nahr el-Kelb). Seine Anfragen an Schamasch in Zusammenhang mit Aschkelon erwähnen allerdings an keiner Stelle Tyros. Nach 673 (infolge der Schenkung der Provinz Dor an Tyros) bildeten die Territorien von Tyros und Aschkelon jedoch eine zusammenhängende Landmasse. Wären die Anfragen an Schamasch nach 673 statt 679 entstanden, bliebe zu erklären, warum Asarhaddon erst in Aschkelon mit den Kuschiten rechnete. Es dürfte deswegen kein Zusammenhang der Götterbefragung mit den Ereignissen nach 673 bestehen. Sanherib: „In the course of my campaign, Beth-Dagon, Joppa, Banaibarka, Asuru, cities of Sidika (of Ashkelon), who had not speedily bowed in submission at my feet, I besieged, I conquered, I carried of their spoil.“ (Luckenbill, The Annals of Sennacherib, 31). Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 168 Bányai gewagt, die von S.[anherib] etablierte pax assyriaca ernsthaft herauszufordern.“; d.h. von einem Gebietsverlust wissen wir nichts—er ist auch nicht anzunehmen. Gegenteilige Annahmen bedürfen m.E. einer besseren Quellengrundlage. Autor: Ich tue mich schwer, auch nur einen einzigen Fall in der assyrischen Geschichte zu nennen, in dem ein assyrischer Gebietsverlust, außer retrospektiv, nachdem der assyrische König oder einer seiner Nachfolger zurückgeschlagen hatte, in den assyrischen Annalen verzeichnet wurde. Wozu denn auch? Sämtliche historischen Schautafel wurden aufgestellt um die Siege des Königs zu zelebrieren und nicht um seine Niederlagen zu kommemorieren. Wir wissen dennoch indirekt darüber, weil Asarhaddon in seinen Fragen an Schamasch Aschkelon wie ein Fremdgebiet behandelt, in dem feindliche Truppenbewegungen unkontrolliert stattfinden können. Man sollte auch fragen, warum Asarhaddon 679 eine Kampagne führen sollte, die praktisch gesehen schon auf assyrischem Gebiet endete. Der einzige erzielte Geländegewinn ist (wenn man von einer Grenzverschiebung unter Sanherib keine Kenntnis nehmen will) Jurza/Arza unmittelbar auf der anderen Seite der Grenze Assyriens mit Ägypten, wie diese seit Sargon II. bestand. Solch ein bescheidenes Kriegsziel stellte normalerweise keinen Grund dafür dar, dass ein assyrischer König selbst eine Kampagne anführte. Das hätten, wenn es der einzige Zweck des Kriegszugs gewesen wäre, seine örtlichen Statthalter alleine ausführen können. Klare Zeichen für einen Abfall Aschkelons von Assyrien liefert übrigens auch die Absetzung des bisherigen Königs von Aschkelon, Šarru-lu-darri im Jahre 679 infolge des gleichen Feldzugs (Kahn „Taharqa, King of Kush and the Assyrians“, 110, 120). Das sind Zeichen für vorausgegangene assyrische Gebietsverluste, die am ehesten zwischen 689 (das Ende der AnnalenEinträge Sanheribs) und 681 stattgefunden haben. Der beste Zeitpunkt, solche assyrischen Gebietsverluste anzusetzen, wäre nach 689, als Sanherib die Lust auf militärische Unternehmungen für den Rest seiner Regierungszeit offenbar verloren hatte. Da Taharqo zwischen 689–684 sich kaum selbst (vor seiner ersten Erscheinung in Memphis, als er dort gekrönt wurde) an den entsprechenden kuschitischen Unternehmungen beteiligt haben dürfte, muss man da an seinen Vorgänger denken, je nach chronologischem Ansatz: Schabako oder Schebitko. Es gibt Hinweise auf Gebietsgewinne in der Levante zur Zeit Schabakos. Obwohl man nicht von einer eins zu eins Umsetzbarkeit stereotyper Listen in Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 169 konkrete geographische Aussagen ausgehen kann, muss man betonen, dass das Phänomen der stereotypen Eroberungslisten in der Regel häufig tatsächliche Eroberungen begleitet.76 Ein Gedenkskarabäus Schabakos77 wie auch seine in Luxor gefundenen Reste einer Fremdvölkerliste78 feiern einen „Triumph“ des Pharaos über die nördlichen Fremdländer (darunter Y-p-w/Jaffa, K-n-t-w/ Gat, Rw-tn/Lod). Auch der Siegeltext Schabakos in Ninive, wie er anhand von E.A. Wallis Budge rekonstruiert werden kann, lautet sehr kriegerisch: „Ich habe Dir gegeben [alle Fremdländer]“.79 AIB: Die Ergänzung der Inschrift erfolgte nach BM 1881,0204.352, das den Abdruck vollständiger überliefert als die beiden anderen Verschlüsse: ḏ( j).n=j n=k ḫꜢs.wt nb[wt . . .]. (Vgl. die Umzeichnung in der Datenbank des British Museum: http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=370455&partId=1&searchText=1881,02 04.352&page=1, 09.12.2014) Derartige stereotyp vorkommenden Dedikationsformeln gehören seit der 3. Dynastie zur Darstellung des Königs und sind in keiner Weise historisch ausdeutbar. Sie beziehen sich auf die göttlichen Gaben, auf die sich das ägyptische Königtum gründet; in diesem Fall auf die Zuweisung des 76 77 78 79 Kitchen, „Egyptian New-Kingdom Topographical Lists“, 131. Z.B. die kürzeren Listen Amenophis II. und Haremhabs, die lediglich Auszüge aus den längeren Listen Tuthmosis III. darstellen. „. . . Er hat diejenigen, die gegen ihn rebelliert haben sowohl im Süden als auch im Norden, und in jedem Fremdland abgeschlachtet. Die Sand-Bewohner sind vor ihm schwach geworden, fallen aus Angst vor ihm—sie kommen aus eigenem Antrieb als Gefangene und jeder von ihnen hat seinen Genossen gefangen genommen . . .“ (Giveon, The impact of Egypt on Canaan, 131). Wenn man dieser stereotypen Liste Schabakos jeglichen Aussagewert abstreitet, dann doch umso mehr der Eroberungsliste Taharqos. Auf einer Statuenbasis von Taharqo (Cairo CG 770 = JE 2096 in Borchardt, Statuen und Statuetten, 81–82 §770) im Vorhof des Mut-Tempels in Karnak werden aufgezählt: Sngr, Naharin, Hatti, Arzawa, Tunip und Qadesch. Dasselbe könnte für die vage Auflistung Taharqos der Fnḫ.w, Šasu in Sanam gelten. Andererseits sind kurzfristige kuschitische Geländegewinne in der Levante allzu deutlich, so dass man solche Listen als hyperbolischen Hinweis auf tatsächliche Erfolge bewerten muss. AIB: Zur historischen Inschrift in Sanam, siehe nun die erstmalig vollständige Bearbeitung und Übersetzung des Textes bei Pope, The Double Kingdom under Taharqo, 58–145. Hinweis auf Budge in Ritner, The Libyan Anarchy, 499, N.2, kann aufgrund der fehlerhaften Quellenangabe nicht direkt geprüft werden. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 170 Bányai Herrschaftsterritoriums. Vgl. hierzu Blöbaum, „Denn ich bin ein König, der die Maat liebt“, 257–63. Den faktischen Hintergrund der Ansprüche Schabakos in Asien belegt u.a. der Vertrag über den Verkauf eines asiatischen Sklaven aus Gaza (Monthertais, der Ḳḏwḏ80 des Nordens, d.h. Gaza) in dessen 10. Regierungsjahr (nach meiner Rekonstruktion 689, das Jahr, in dem Sanherib am anderen Ende seines Imperiums mit der Eroberung Babylons beschäftigt war).81 Ab diesem Jahr, in dem auch der Verkauf des Sklaven aus Gaza erfolgte, ist eine sogenannte kuschitische Eidesformel in zivilen Verträgen erstmals bezeugt: „So wie Amun lebt und der Pharaoh lebt, so soll er gesund sein und soll Amun ihm den Sieg verleihen.“.82 Sie belegt eine fortgesetzte militärische Tätigkeit der Kuschiten zwischen dem 10. Jahr von Schabako und dem 3. Jahr von Taharqo im Norden. Die Floskel bezüglich des Sieges wurde erst unter Schabako der Eidesformel hinzugefügt. Zur Zeit Piyes gehörte sie nachweislich noch nicht dazu.83 Dies ist auch die ungefähre Periode, in der Assyrien die Kontrolle über die Region südlich des Yarkons verlor. Man kann sich kaum vorstellen, dass diese Devise mehrere Jahrzehnte lang im Gebrauch gewesen sein konnte (auch durch die Regierungszeit Schebitkos hindurch)—zumal sie höchstwahrscheinlich an bestimmte historische Voraussetzungen gekoppelt war.84 Nach meiner eigenen chronologischen Rekonstruktion hätte diese Devise lediglich 3 Jahre lang durchgängig als Eidesformel in kuschitischen zivilen Verträgen Gebrauch gefunden.85 Sie könnte später natürlich anlassbedingt wieder aufgenommen worden sein. 80 81 82 83 84 85 Ḳḏwḏ könnte durchaus eine alternative Schreibform des Namens Gaza sein, bei Herodot II, 159 und III, 5, Kaditis genannt. Quaegebeur, „A propos de l’identification de la ,Kadytis‘ “, 266–68, erklärt das seit Ende des Neuen Reiches vorkommende Wort, Ḳḏwḏ, der gerne auch als Name verwendet wurde, als eine Herkunftsbezeichnung „der von Gaza“. P. Louvre E 3228 e. Menu, „Cessions de services et engagements“, 76–77. Erste Attestierung in P. Louvre E 3228e aus dem Jahr 10 von Schabako und später in 3228b aus Jahr 13 (dito) und 3228d aus dem Jahr 3 von Taharqo (laut meiner Rekonstruktion identisch mit Jahr 13 von Schabako). Donker van Heel, „Papyrus Louvre E 7856 verso and recto“, 80 §VI und N. 15–17; Menu, Recherches sur l’histoire juridique, 331–43. Vleeming, „The sale of a slave in the time of pharaoh Py“, 10–11 und S.14–15, N. 48. Papyrus Leiden1942/5.15 ll. 5–6. Redford, Egypt, Canaan, and Israel, 353, N. 164, möchte gerne das Auftauchen dieser Formel unter Schabako an die Schlacht von Eltekeh knüpfen, was allerdings, insbesondere unter den Folgen der Tang-i Var Inschrift, überhaupt nicht mehr möglich ist. Der Zeitabstand würde bei Annahme einer Überlappung zwischen den Regierungszeiten Schabakos und Taharqos 3 Jahre betragen, bei Verzicht auf eine solche Überlappung ca. 7 Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 171 Die politische Geographie—sprich: die Teilung Palästinas zur Zeit Schabakos und in der frühen Regierungszeit Taharqos—entspricht eher der Situation der späteren Zeit Sanheribs und nicht, wie zu erwarten, derjenigen zur Zeit Sargons II. Die Untersuchung der Bulla EA 84884 könnte sicherlich mehr Klarheit in diese Angelegenheit bringen. Damit ist—aus meiner Sicht—der Eindruck nicht abzuwehren, dass nicht die Umkehrung der traditionellen Reihenfolge, sondern diese Reihenfolge selber eine Rechtfertigung nötig hätte. GB: In my opinion the text on Horemakhet’s statue CG 42204 and the evidence from the architectonic characteristics of the El Kurru pyramids, together and complementary to each-other, unmistakably point to the sequence Shebitku—Shabako, and consequently may be considered to provide the decisive proof for that sequence. In addition we have the arguments advanced by Bányai, and there is also other incidental evidence suggesting that the traditional sequence of kings is questionable. Such are: (i) Whereas Shepenupet I features together with Shebitku in the chapel of Osiris Heqa-Djet in Karnak, there is at present no provable connection between her and Shabako, who more than once is attested together with Amenirdis I. This suggests that Shepenupet was not longer alive in Shabako’s reign; (ii) From inscriptions on the small temple of Medinet Habu it appears that the building of a new pylon that was begun during the reign of Shabako, was completed under Taharqa, whereas not any building activity of Shebitku is attested here; (iii) In the conventional chronology Tanutamun outlived his father Shabako by some 50 years; (iv) The chronological arrangement of the Old Kingdom Royal throne-names of the Kushite kings (put forward by CJ in the Münster discussion): Snfr(w)-RꜤ (archaising later throne-name of Piye, related to the 4th Dynasty), Ḏd-kꜢ(.w)-RꜤ (Shebitku, related to the 5th Dynasty), Nfr-kꜢ-RꜤ (Shabako, related to the 6th Dynasty); (v) According to Kahn (“Tirhakah, King of Kush and Sennacherib,” 25 and n. 28) Piye and Shebitku were crowned in Thebes, as their epithet ḫꜤ m wꜢs, “appearing in Thebes,” conveys, whereas that epithet is not attested for Shabako, or other rulers of the dynasty; Jahre, was ebenfalls vertretbar erscheint. Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 172 Bányai (vi) Finally we have the Nile Level Records (NLR) on the quay wall of the temple of Amun at Karnak, from which information about the sequence of Shabako and Shebitku may be deduced. As said by Lauffray, “Les Abords Occidentaux,” 86, the most ancient texts are found exactly in the central part of the wall, whereas those on the lateral parts are posterior to Shabako. However NLR No. 33, with a length of about seven meters, of Shebitku’s 3rd regnal year, is prominently positioned in the central part, just above NLR No. 30 of year 2 of Shabako, outreaching this text at both sides. NLR No. 31 of Shabako—the year being illegible—was inscribed close to the right edge of the wall, on a distance of about six meters from No. 30, on a level with text No. 33 of Shebitku. If Shabako would have preceded Shebitku the space above NLR No. 30 would have been more than enough for having NLR No. 31 inscribed in it, just above No. 30, and to all probability Shabako would have done so. However, on the assumption that Shebitku preceded Shabako, the former already occupied that space, which forced Shabako to have NLR No. 31 inscribed somewhere to the right of Shebitku’s Nile text. From all this I agree with Bányai that the demand of provability should not be put on the theory of Shebitku being Shabako’s predecessor but rather on the traditional theory of Shebitku being Shabako’s successor. CJ: Auch ich muss zugeben, dass ich die Beweislast mittlerweile eher bei den Befürwortern der Beibehaltung der traditionellen Reihenfolge sehe. Die bislang vorgebrachten Argumente gegen den von Bányai erwogenen Neuansatz können ihn jedenfalls nicht unumstößlich widerlegen, unbeschadet der Tatsache, dass sich viele Einzelargumente Bányais als unhaltbar oder hochspekulativ herausgestellt haben. Generell habe ich den Eindruck, dass die derzeit zur Verfügung stehende Beleglage nicht ausreicht, um die Streitfrage endgültig zu klären. Hinzuzufügen sind noch einige Beobachtungen zu den beiden Stiftungsstelen des Fürsten von Pharbaithos PꜢ-ṯnfj B aus der Regierungszeit des Schebitko (MMA 65.45) und aus dem 2. Jahr des Schabako (Louvre E 10571). Einerseits fällt auf, dass sich die Stelen stilistisch und qualitativ stark voneinander unterscheiden, wobei jene aus der Regierungszeit des Schebitko nicht nur eine höhere Qualität besitzt, sondern sich auch durch die große Sorgfalt bei archaisierenden Details auszeichnet. Diesen Umstand chronologisch zu interpretieren ist angesichts der geringen Zahl an vergleichbaren Stelen der Kuschitenzeit allerdings schwierig. Als Journal of Egyptian History 8 (2015) 115–180 Die Reihenfolge Der Kuschitischen Könige 173 aussagekräftiger könnte sich jedoch erweisen, dass das Bildfeld der Stele aus der Regierungszeit des Schebitko den König zusammen mit dem im klassischen Ornat eines Libyerfürsten dargestellten PꜢ-ṯnfj B zeigt, das Pendant auf der Pariser Stele aus der Regierungszeit des Schabako hingegen nur den König. Vergleicht man den Darstellungsmodus der beiden Stelen mit dem Usus der Zeit der späteren 22. Dynastie einerseits und der 25. Dynastie ab Schabako andererseits, so stellt man fest, dass die Kombination von Herrscher und Lokalfürst im 9. und 8. Jh. v. Chr. durchaus geläufig war, in der 25. Dynastie unter den Königen Schabako, Taharko und Tanutamun jedoch nicht mehr vorkommt. Weiteres fällt an den beiden Stiftungsstelen des PꜢ-ṯnfj B auf, dass der Stammestitel des Lokalregenten auf dem Stück im Louvre mit keinem Ethnikon mehr assoziiert ist, sich auf der Stele im Metropolitan Museum hingegen noch die Ergänzung wr ꜤꜢ (n) Mš[wš . . .] findet (allerdings anscheinend nur innerhalb einer Filiationsangabe im unvollständig erhaltenen Haupttext). Vgl. hierzu auch Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen ägyptischer Lokalregenten, 72. Zugegebenermaßen ist dieser Befund für sich alleine jedoch nicht besonders aussagekräftig, da man ebenso gut argumentieren könnte, die Titelkette jrj-pꜤꜢ.t ḥꜢtj-Ꜥ sꜢ-nswt (. . .) auf der SchebitkoStele stelle einen „Modernismus“ gegenüber dem „traditionelleren“ wr ꜤꜢ ḥꜢwtj (. . .) dar. Wie schwierig hierbei das Argumentieren fällt, zeigt die Titelkette des in der 26. Dynastie amtierenden Lokalregenten von Pharbaithos PꜢ-dj-Ḫnsw, der auf der Stiftungsstele Louvre E 10572 als jrjpꜤ.t ḥꜢtj-Ꜥ wr ꜤꜢ ḥꜢwtj bezeichnet wird. 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