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Doing Gender – Undoing Gender?

2012, Werkstücke

Lea Weniger Doing Gender – Undoing Gender? Die Berufswahl junger Frauen unter dem Diktat der Zweigeschlechtlichkeit Einleitung Junge Frauen werden heute zu den «Gewinnerinnen» der Bildungsoffensive gezählt. Von ihrem Schulabschluss her können sie eine qualifizierende Berufsausbildung oder ein Studium in fast allen beruflichen Bereichen erlangen und in den Gymnasien wie auch bei den Studienanfänger und -anfängerinnen machen sie die Mehrheit aus. Doch können sie diesen «Bildungsvorsprung» in ihrer Berufslaufbahn in entsprechend attraktive Ausbildungsberufe umsetzen? Leider nein! Immer noch bestehen hier erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, welche gerade beim Berufseinstieg deutlich sichtbar werden.1 Da dieser als Weichenstellung für die spätere (Erwerbs-)biographie gilt, will der folgende Artikel den Fokus auf diese «Statuspassage»2 legen und dabei der Frage nachgehen, wie die Frauen- und Geschlechterforschung die geschlechtsspezifische Berufswahl zu erklären vermag. 1 Vgl. Nissen, Keddi und Pfeil 2003, 9. 2 Ebd. 221 Nach einer kurzen Darstellung der Differenz im Berufswahlverhalten junger Männer und Frauen (statistische Sicht) wird im vorliegenden Artikel mit dem Konzept des «doing gender»3 und seinen Erweiterungen ein theoretischer Ansatz vorgestellt, der anders als herkömmliche Erklärungsansätze versucht, den Prozess der Vergeschlechtlichung bei der Berufswahl von den «tatsächlichen» Unterschieden getrennt zu analysieren (konstruktivistische Sicht). In einem abschliessenden dritten Teil (diskurstheoretische Aspekte) wird ein konkretes Lehrmittel zum Thema «Gleichstellung im Lehrstellenbereich» diskurstheoretisch analysiert. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob das Bild der Zweigeschlechtlichkeit, welches auch durch die statistische Sicht geprägt ist, in der Praxis reproduziert wird oder ob hier auch Ansätze erkennbar sind, welche Diskursräume schaffen, «in denen neue Erzählungen ebenso wie die Begrifflichkeiten einer neuen Perspektive möglich werden».4 Es geht also immer auch darum zu fragen, welche Möglichkeiten des «undoing gender»,5 im Sinne eines sich dem Diktat der Zweigeschlechtlichkeit Widersetzens, vorhanden sind oder wo diese geschaffen werden könnten. Bildungswege junger Frauen aus statistischer Sicht6 Die Bildungswege junger Menschen in der Schweiz werden aus statistischer Sicht7 sehr detailliert erfasst. Im Themenbereich Allgemein- und Berufsbildung veröffentlicht das Bundesamt für Statistik (BfS) regelmässig Zahlen zu Bildungsabschlüssen, zu Eintritten in die verschiedenen Bildungsinstitutionen, zu Übergangs- und Abschlussquoten sowie zur 3 Das hier verwendete Verständnis von «doing gender» wird auf Seite 168f. genauer erläutert. 4 Hark 2001, 365. 5 Mit «undoing gender» wird hier die interaktive Neugestaltung des Geschlechterverhältnisses gemeint (vgl. mehr dazu auf Seite 172f.) 6 Das Kapitel legt den Fokus auf den Abschnitt der Bildungswege junger Frauen nach der obligatorischen Schulzeit (Sekundarstufe II) und dabei insbesondere auf die berufliche Grundbildung. 7 Wenn nicht anders vermerkt, beziehen sich die in diesem Kapitel erwähnten Zahlen auf Publikationen des Bundesamtes für Statistik und des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (vgl. Literaturverzeichnis). 222 beruflichen Grundausbildung. Die Resultate werden tabellarisch immer nach dem gleichen Schema dargestellt: Nach den Gesamtzahlen folgt die genaue Anzahl Männer bzw. Frauen, danach je nach Fragestellung Angaben zur Staatsangehörigkeit oder Ausbildungsform. Auch das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) veröffentlicht statistische Daten in Form des jährlich erscheinenden Berichtes «Berufsbildung in der Schweiz. Fakten und Zahlen».. Im Unterschied zum BfS werden bei diesen Dokumentationen nur bei ausgewählter Fragestellung die Daten nach Geschlecht aufgeschlüsselt. Dies zum Beispiel bei der Abschlussquote auf Sekundarstufe II8 oder der Berufsmaturitätsquote. Die «Hitliste» der beliebtesten Lehrberufe hingegen wird nicht nach Geschlecht aufgelöst, obwohl es auch hier markante statistische Unterschiede gibt. Das Wissen um die Geschlechterunterschiede scheint beim Bundesamt für Berufsbildung und Technologe sehr gezielt und partiell veröffentlicht zu werden. Beim Bundesamt für Statistik hingegen werden – mittels der bewährten Kategorie «Geschlecht» – sozusagen «neutrale Zahlen» publiziert. Das Klassifikationsschema «Geschlecht» fördert innerhalb der statistischen Daten einige Unterschiede zwischen den weiblichen und männlichen Bildungswegen nach der obligatorischen Schulzeit zu Tage. Laut den aktuellsten Zahlen entschied sich im Jahr 2008 von insgesamt 88’200 Schulabgängerinnen und Schulabgängern die grosse Mehrheit der männlichen Jugendlichen für eine Berufslehre, bei den Frauen waren es hingegen nur gut ein Drittel. Andererseits besuchten über die Hälfte der Frauen eine allgemeinbildende Schule, wie zum Beispiel ein Gymnasium oder eine Fachmittelschule, was nur gerade auf einen Fünftel der jungen Männer in Ausbildung zutraf. Auch Übergangsausbildungen, beispielsweise das 10. Schuljahr, wurden häufiger von Frauen als von Männern gewählt. Der Anteil der Frauen in diesen so genannten Brückenangeboten betrug 16.4 Prozent, bei den Männern 8 Mit Sekundarstufe II wird die nachobligatorische Ausbildung bezeichnet. Zu dieser Stufe gehören allgemeinbildende Schulen wie die Gymnasien und die Fachmittelschulen sowie die berufliche Grundbildung in einer Berufslehre oder in einer beruflichen Vollzeitausbildung. 223 lag der Anteil bei 13 Prozent. Obwohl der Besuch der Sekundarstufe II freiwillig ist, verfügen heute knapp 90 Prozent der Jugendlichen in der Schweiz über einen solchen Abschluss. Dieser ist zu einer notwendigen Bedingung für den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit geworden, die den Lebensunterhalt auf Dauer sichert.9 Auch bei dieser Quote zeigt sich jedoch ein nach Geschlechtern divergierendes Bild. Im Jahr 2008 hatten rund 12 Prozent der Frauen keinen Abschluss auf der Sekundarstufe II, bei den Männern betrug dieser Anteil 8 Prozent. Frauen schlagen demzufolge häufiger als Männer einen schulischen Bildungsweg ein, müssen den Zugang zu zertifizierenden Ausbildungen der Sekundarstufe II häufiger indirekt über Brückenangebote suchen und erwerben seltener als Männer einen Abschluss auf der Sekundarstufe II. Auch wenn diese bildungsstatistischen Daten eine Momentaufnahme darstellen, zeigen sich in der Literatur für das vorhergehende Jahrzehnt ähnliche Befunde.10 Betrachtet man die beruflichen Bildungswege der jungen Frauen und Männer in der Schweiz spezifischer, zeigen sich markante Unterschiede bei der gewählten Ausbildungsform, bei der Wahl der Berufsbranche, beim Berufsspektrum sowie bei der Ausbildungsdauer und damit auch bei der Anerkennung und den Aufstiegsmöglichkeiten der gewählten Ausbildung. Im Jahr 2008 absolvierten rund drei Viertel der Jugendlichen, die sich für eine berufliche Grundbildung entschieden, diese im klassischen dualen System.11 Gut 15 Prozent der Lernenden in der beruflichen Grundbildung erlernten ihren Beruf jedoch in einer vollschulischen Ausbildung, wie z.B. einer Handels-, Informatiker- oder einer Fachmittelschule. Die Handels- und Informatikermittelschulen wurden dabei mehrheitlich von Männern besucht. Bei den Fachmittelschulen, die vorwiegend auf Berufe im Bereich Gesundheit, Soziales und Pädagogik vorbereiten, war das weibliche Geschlecht jedoch mit 80 Prozent überdurchschnittlich vertreten. 9 Vgl. Wettstein und Gonon 2009, 245. 10 Vgl. u.a. Imdorf 2005, Borkovsky 2000. 11 Im dualen System finden die praktische Ausbildung in einem Lehrbetrieb und die theoretische in der Berufsfachschule statt. 224 Auch bei der Wahl des Berufsfeldes zeigen sich grosse Geschlechterdifferenzen. Abgesehen von der Ausbildung zur Kauffrau und zum Kaufmann, die bei beiden Geschlechtern sehr beliebt ist, wählen junge Frauen und Männer sehr unterschiedliche Berufe – und das seit Jahrzehnten.12 Zusammengefasst nach Branchen zeigen sich für das Jahr 2009 folgende Geschlechtspräferenzen: Männer bevorzugten das Baugewerbe, Wirtschaft und Verwaltung, Maschinenbau und Metallverarbeitung sowie Fahrzeuge/Automobile. Frauen liessen sich mehrheitlich in der Wirtschaft und der Verwaltung, im Handel sowie in der Krankenpflege und den Medizinischen Diensten ausbilden. Auffallende Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen sich dabei auch beim jeweiligen Berufsspektrum. Drei Viertel aller Lehrfrauen konzentrierten sich auf lediglich 12 Berufe der über 250 Berufsmöglichkeiten. Demgegenüber verteilten sich drei Viertel der Männer auf beinahe dreimal so viele Berufe. Geschlechtsunterschiede offenbaren sich auch in der Ausbildungsdauer und damit verbunden bei der Anerkennung der Abschlüsse. Bei den kürzer dauernden Ausbildungsgängen (eidgenössische Berufsatteste), die keinen direkten Übergang in die höhere Berufsbildung ermöglichen, lag der Frauenanteil 2009 knapp über dem Anteil der Männer, während er bei der klassischen drei bis vierjährigen beruflichen Grundbildung mit eidgenössisch anerkanntem Abschluss (EFZ) deutlich darunter lag. Bei den übrigen vom Bundesgesetz nicht geregelten Berufen (wie z.B. Pflegeassistentin oder Betagtenbetreuerin) betrug der Frauenanteil sehr hohe 80 Prozent. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die berufliche Grundbildung durch eine hohe geschlechtsspezifische Segregation auszeichnet. Deutliche Unterschiede zwischen dem weiblichen und dem männlichen Berufswahlverhalten zeigen sich in erster Linie bei der Branchenwahl sowie beim Berufsspektrum. Dabei spiegeln die beruflichen Interessen der Jugendlichen weitgehend herrschende Stereotypen und Geschlechtsnormen wieder.13 Frauen wählen vorwiegend Lehrstellen in den Berei12 Vgl. Giauque Pfister und Flamigni 2010, 12. 13 Vgl. ebd., 11. 225 chen Büro- und Informationswesen, Gesundheit und Sozialwesen sowie Dienstleistungen, Männer bevorzugen hingegen technische Berufe sowie Berufe im Sektor Architektur und Baugewerbe. Diese Segregation im Bereich der beruflichen Ausbildung setzt sich im späteren Berufsleben fort. Frauen und Männer nehmen trotz gleicher Qualifikation in allen Berufen unterschiedliche Positionen ein und sind gleichzeitig sehr ungleich auf die Berufe verteilt.14 Berufswahl und Geschlecht aus konstruktivistischer Sicht Erklärungsansätze für das Phänomen der geschlechtsspezifischen Berufswahl lassen sich in der Forschungsliteratur viele finden. Herkömmliche Begründungen, welche in berufspädagogischen empirischen Studien15 zur geschlechterspezifischen Berufswahl herangezogen werden, legen dabei den Schwerpunkt auf Berufsfindungsprozesse, welche sich im Spannungsfeld zwischen den individuellen Wünschen und den Möglichkeiten und Anforderungen der Berufsstruktur abspielen.16 Auf einer dieser Perspektive übergeordneten Ebene macht es sich die Frauen- und Geschlechterforschung zur Aufgabe, die Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit für die Strukturierung und Symbolisierung von Berufsarbeit ganz allgemein herauszuarbeiten. Unter dieser Perspektive sind an die Geschlechtszugehörigkeit Zuschreibungsprozesse gebunden, die jenseits von Qualifikation und Leistung der Individuen für eine ungleiche Integration und Positionierung im Berufssystem sorgen.17 Die ethnomethodologische Forschungstradition innerhalb der Geschlechterforschung richtet den Blick mit dem konstruktivistischen Ansatz des «doing gender» auf die alltäglichen Praktiken der Herstellung von Zweigeschlechtlichkeit. Dabei rücken folgende Fragen in den Fokus des Interessens: Wie kommt es zu der binären und wechselseitigen exklusiven Klassifikation von zwei Geschlechtern und wie 14 Vgl. Teubner 2010, 501. 15 Vgl. dazu u.a. Imdorf (2005), Borkovsky (2000). 16 Vgl. Borkovsky 2000, 28. 17 Vgl. Teubner 2010, 499. 226 funktioniert die praktische Aufrechterhaltung dieser Exklusivität?18 Geschlechtzugehörigkeit wird auf Grund dieser Fragestellung nicht als Eigenschaft von Individuen, sondern als Ergebnis komplexer sozialer Prozesse betrachtet, die sich insbesondere in der sozialen Interaktion abspielen. Auf der soziologischen Interaktionstheorie aufbauend geht das Konzept des «doing gender» davon aus, dass sich in Interaktionen gezwungenermassen alle Beteiligten in Kategorien einteilen müssen. «Geschlecht» ist in diesem Zusammenhang ein stark komplexitätsreduzierendes Klassifikationsschema, welches es uns erlaubt die Welt zu ordnen und unser Gegenüber wie auch uns selbst darin zu klassifizieren.19 Das Prinzip des «doing gender» räumt jedem Gesellschaftsmitglied eine aktive Rolle in der Konstruktion von Geschlecht ein, indem die Zuordnung und Bewertung von sich selber wie auch des anderen in diesem bipolaren Deutungsmuster erfolgt. Dabei werden nicht nur Personen und Gruppen «vergeschlechtlicht»20, sondern auch kulturelle Gegenstände oder soziale Gebiete, die als geschlechtstypisch gelten oder mit geschlechtsspezifischen Attributen versehen werden.21 Zu einem solch sozialen Gebiet gehört nach Angelika Wetterer auch die Berufsarbeit.22 Die soziale Konstruktion der Geschlechtszugehörigkeit von Berufen beschreibt sie dabei immer auch als soziale Konstruktion einer hierarchischen Beziehung zwischen Männerberufen und Frauenberufen. Diese Konstruktion geschieht häufig über Analogiebildung zwischen Arbeitsinhalten und Geschlechtszugehörigkeit. Solche Analogien müssen in einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten sozialen Bereich plausibel erscheinen (z.B. die «Hausarbeitsnähe» gewisser Berufe als der «plausible» Verweis auf einen typischen Frauenberuf) und können 18 Vgl. Knapp 1995, 171. 19 Vgl. Gildemeister 2010, 137–138. 20 Im Anbetracht fehlender Alternativen wird der passende englische Begriff «gendering» im Folgenden nach Helga Krüger (2001) mit «Vergeschlechtlichung» bzw. «vergeschlechtlichen» übersetzt. 21 Vgl. Krüger 2001, 63. 22 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Wetterer 1995, 228–237. 227 sich im Laufe der Zeit auch ändern.23 Sie dienen dem Zweck, die Verschiedenheit und hierarchische Relation von Frauen und Männern zu erzeugen und immer wieder zu bestätigen. Wetterer spricht dabei auch von einem «Gleichheitstabu», demzufolge Frauen und Männer tun können, was immer sie wollen, sofern es nur verschieden ist.24 Auf die Situation der Berufsfindung übertragen, würde das bedeuten, dass in der Familie, im Austausch mit Gleichaltrigen oder auch bei einer professionellen Berufsberatung Berufswünsche von jungen Frauen von allen Interaktionspartnern laufend anhand dieses zweigeschlechtlichen Differenzschemas klassifiziert und gleichzeitig bewertet werden. Demzufolge kann dann auch von einem «untypischen Berufswunsch» oder allgemein von typischen Frauen- und Männerberufen gesprochen werden. Obwohl die Aufklärung über die soziale Konstruktion von Geschlecht nach wie vor einen wichtigen Stellenwert im Bereich der Geschlechterforschung einnimmt, gibt es auch Kritikpunkte an der diesem Konzept inhärenten Annahme, dass das «doing gender» unvermeidbar sei und man gar nicht anders könne, als sich innerhalb dieser Bedeutungszuschreibungen und Herstellungsprozesse zu bewegen. Johanna Hopfner (2000) begrüsst zwar die Entdeckung der sozialen Konstruiertheit von Geschlecht, wie sie durch das Konzept des «doing gender» beschrieben wird. Gleichzeitig stellt sie kritisch fest, dass durch die sozialen Interaktionen die binären Strukturen des sozialen Systems offensichtlich reproduziert werden. Hopfner führt diesen Umstand darauf zurück, dass erstens die Körperlichkeit der Subjekte und die damit gemachten Erfahrungen durch den konstruktivistischen Ansatz vernachlässigt werden (z.B. die Erfahrung, dass man für eine gewisse Tätigkeit zu wenig Kraft besitzt) und dass zweitens die sozialen Strukturen, in denen sich die Subjekte bewegen, ebenfalls Ziele und Inhalte 23 Dies zeigt sich immer dann besonders deutlich, wenn es zum Geschlechtswechsel von Berufen im Zuge der Professionalisierung kommt. So wurde zum Beispiel die Schriftsetzerei mit der Ähnlichkeit des Klavierspielens der Bürgertöchter verglichen und galt deshalb als besonders weiblich. Zum Männerberuf wurde sie, weil man es dort mit grossen, komplizierten, lauten und dreckigen Maschinen zu tun hat (vgl. Wetterer 1995, 232). 24 Vgl. ebd., 237. 228 des Handelns vorgeben.25 Auf den Einfluss der gesellschaftlichen Struktur auf das soziale Handeln der Individuen geht auch Helga Krüger (2001, 2010) ausführlicher ein. Dabei kritisiert sie am Konzept des «doing gender», dass die strukturelle Gestaltung von Geschlechtshierarchien, die sozusagen im Verborgenen wirken, auf ein aktuelles Interaktionsgeschehen reduziert wird. Wichtig scheint ihr deshalb, dass bei der Analyse des Bedeutungsgehaltes von Geschlecht zum Beispiel bei der Berufswahl auch gesellschaftliche Institutionen als Handlungsrahmen für die individuelle Selbstverortung beachtet werden.26 Krüger geht davon aus, dass die Geschlechterfrage in der Leistungs- und Funktionslogik der lebenslaufrelevanten Institutionen verankert ist. Zu diesen Institutionen zählt sie neben Ordnungs- und Wertsystemen wie die Familie oder die Bildung auch deren konkrete Erscheinungsform, wie das Schulsystem, die geschlechtsspezifischen Zuständigkeiten in der Familie oder die Arbeitsmärkte als Hierarchieund Berufsstruktur. Jenseits von individuellen Leistungen lenkt dabei die strukturelle Praxis der Differenz, welche in diesen Institutionen angelegt ist, den männlichen oder weiblichen Lebenslauf in bestimmte Bahnen. So werden beispielsweise für Berufsinhaber konzipierte Ausbildungsgänge in der Regel in einer betrieblichen Ausbildung erworben und münden in einem familienernährenden, langfristigen Arbeitsverhältnis. Auf Berufsinhaberinnen ausgerichtete Ausbildungsgänge hingegen werden häufiger in Vollzeitschulen vermittelt und bereiten unter anderem eher auf eine familienkompatible und gleichzeitig familienverwandte Tätigkeit vor (z.B. soziale Berufe, Pflegeberufe).27 Gerade für solche verschulten Berufsbildungsangebote gilt, dass sie historisch eingeschriebene Vorstellungen der geschlechtstypischen Arbeitsteilung weiter tragen. Damit sind vor allem in den Fachmittelschulen, die in erster Linie auf die Berufsfelder Gesundheit, Soziale Arbeit und Pädagogik vorbereiten, Lenkungsfunktionen wirksam, die für die Vorstrukturierung von weiblichen Lebensläufen sorgen. Ausschlaggebend ist dabei, dass sich 25 Vgl. Hopfner 2000, 71–78. 26 Vgl. Krüger 2001, 64–66. 27 Vgl. Krüger 2010, 220–221. 229 die jungen Frauen von den angebotenen Inhalten und Lernformen von Fachmittelschulen angesprochen fühlen, da diese ihrem weiblichen Habitus entsprechen.28/29 So gesehen erfolgt die Integration von Frauen in das Erwerbssystem zu einem grossen Teil in spezifischen Berufsbildungsinstitutionen, die mit der Trennung der Berufe in Männer- und Frauenberufe korrespondieren. Demzufolge ist eine Trennung der Geschlechter bereits im Berufsbildungssystem angelegt und der Weg in unterschiedliche Berufe vorgezeichnet.30 Der Sinnzusammenhang von kulturellen Objekten, wie z.B. Ausbildungsgänge zu einem Geschlecht, wie eben beschrieben, wird dabei zirkulär hergestellt. Ist zum Beispiel der Pflegeberuf traditionellerweise ein von Frauen gewählter Beruf, wird er zu einem weiblichen Objekt, woraufhin die Personen, die ihn ausführen verweiblicht werden.31 Im Unterschied zu den «klassischen Erklärungsansätzen» zur Berufswahl, welche das Geschlecht sozusagen als natürliche Kategorie einfach mitdenken, fassen genderspezifische Erklärungsansätze die Berufswahl als Interaktionsprozess auf, in dem das Geschlecht von den beteiligten Personen erst konstruiert wird. In diese Konstruktionen fliessen vergeschlechtlichte institutionelle Ressourcen und gesellschaftliche Machtstrukturen mit ein. Das Individuum befindet sich dabei in einer ambivalenten Situation. Sein Handeln ist einerseits weder durch natürliche Voraussetzungen – Körper oder Geschlecht – noch durch soziale Definitionen und Konstruktionen vorherbestimmt. Auf der anderen Seite ist das Subjekt dennoch nicht in einem abstrakten Sinne frei, so dass es sich über die natürlichen oder gesellschaftlichen Bedingungen hinwegsetzen könnte. In diesem Spannungsfeld ist die Möglichkeit angelegt, dualistische Fundamentalpositionen zu verlassen und das 28 Vgl. Imdorf 2005, 146. 29 So gibt beispielsweise der Rahmenlehrplan für Fachmittelschulen (vgl. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren 2004) als eines der Hauptziele die vertiefte Persönlichkeitsbildung an und legt damit einen Schwerpunkt auf die Förderung von Selbst- und Sozialkompetenzen, was junge Frauen in der Regel anspricht. 30 Vgl. Teubner 2010, 502. 31 Vgl. Villa 2011, 99. 230 Geschlechterverhältnis interaktiv neu zu gestalten.32 Um dieses «undoing gender» auch in der Berufswahl beobachten oder unterstützen zu können, braucht es eine möglichst unvoreingenommene Beobachterposition, welche nicht bereits gefangen ist in einem dualistischen Weltbild, das keine «dritten» Möglichkeiten zulässt und diese deshalb auch nicht wahrnehmen kann.33 Diese unbefangene Position bedingt einerseits bei der forschenden Person, andererseits vor allem aber auch bei Personen, die bei der Berufwahl junger Menschen eine wichtige Rolle spielen (wie z.B. Lehrpersonen, Eltern, Berufsberater und Berufsberaterinnen) eine methodische Reflexion über eigene Vorannahmen und über die Bedingungen des eigenen Sprechens. Aus diesem Grund sollen im anschliessenden Kapitel einige diskurstheoretische Überlegungen zur geschlechtsspezifischen Berufswahl den Abschluss dieses Artikels bilden. Die Macht der Sprache – diskurstheoretische Aspekte In der Diskursanalyse34 wird versucht die Normativität der gesellschaftlichen Strukturen, ihre Eigenlogik, denen das Tun der Akteure folgt und die das Tun (re)produzieren, zu analysieren. Untersucht werden dabei – unter anderem – normative Diskurse der Geschlechterdifferenz auf der Ebene der symbolischen Ordnung wie z.B. der Sprache. Sprache, Sprechen und Diskurse werden dabei als produktive Handlungen begriffen und nicht als subjektiver Ausdruck eines Individuums. Sprache «tut» etwas, sie ist selbst aktiv und bildet keine gegebene Realität ab. Sprache bringt im Gegenteil selbst Phänomene erst hervor und wird demzufolge als performativer Akt verstanden. Damit wohnt ihr die «epistemologische» Macht inne, Realität zu konstruieren. Damit ein Sprechakt jedoch Realität erzeugen kann, muss er bereits bestehende Bedeutungen (z.B. das diskursive System der Geschlechterdifferenz) zitieren. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass man eine überlieferte Bedeutung einfach wiederholt und damit untermauert. Zitieren kann auch eine ironische 32 Vgl. Hopfner 2000, 78-79. 33 Vgl. ebd., 83. 34 Die folgenden theoretischen Ausführungen zur Diskursanalyse beziehen sich auf Villa 2011, S. 147–164. 231 Um- oder Neudeutung oder ein kritisches Hinterfragen der Überlieferung beinhalten. Neben ihrer erkenntnistheoretischen Macht besitzt Sprache auch eine «soziale» Macht, welche von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen ausgeübt wird. So ist zum Beispiel der ironische Umgang mit Begriffen auch eine Frage sozialer Definitionsmacht, also eine Frage danach, wer überhaupt in der Lage ist, einen solchen Umgang zu pflegen und bei wem eine solche Umdeutung der Begriffe schliesslich auch an strukturellen Ungleichheits- oder Diskriminierungsverhältnissen effektiv etwas ändert. Um dem Phänomen der geschlechtsspezifischen Berufswahl entgegenzuwirken, wurden in der Schweiz bundesweite Projekte gestartet. Ein solches Projekt war das Lehrstellenprojekt 16+, welches von 1998-2004 von der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten (SKG) entwickelt und durchgeführt wurde. Das Projekt wollte unter anderem Jugendliche dazu motivieren, frei von rollenspezifischen Vorurteilen ihre Berufswahl zu treffen.35 Aus diesem Projekt heraus entstand das Lehrmittel «Bits and Bytes for Girls», welches im Folgenden diskurstheoretisch analysiert wird. Mit der Auswahl dieses Untersuchungsmaterials kann selbstverständlich keine umfassende Diskursanalyse zum Thema der geschlechtsspezifischen Berufswahl geleistet werden. Beim untersuchten Material handelt es sich vielmehr um ein «Diskursfragment» als Teilstück eines grösseren Diskurses.36 Mit der an der Diskursanalyse angelehnten Untersuchung des beschriebenen Materials will ich der Frage nachgehen, ob das Wissen um geschlechtliche Unterschiede in der Berufswahl durch soziale Praktiken und Institutionen, wie z.B. Angebote von Gleichstellungsinstitutionen reproduziert werden oder ob im Gegenteil versucht wird, dieses Wissen für eine Dekonstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und damit für ein bewusstes «undoing gender» zu nutzen. 35 Vgl. http://www.equality.ch/d/projekte.htm (8.02.2013). 36 Vgl. Keller 2004, S. 109. 232 «Bits and Bytes for Girls» Nach einem umfassenden Vorwort, welches in das Thema einführt, beinhaltet das Lehrmittel eine Sammlung von Unterrichtseinheiten für die erste bis neunte Klasse, welche «bei den Schülerinnen – und natürlich auch bei den Schülern – das Interesse an technischen Zusammenhängen»37 wecken und entwickeln soll. Aufgeteilt in drei Kapitel zu drei Altergruppen führt jede Seite in ein neues Thema ein, gibt praktische Tipps für den Unterricht und stellt weiterführende Informationen zur Verfügung. Das Lehrmittel ist übersichtlich gestaltet, Piktogramme helfen bei der Orientierung innerhalb der dreispaltigen Themenblätter, Bilder und Grafiken werden nur spärlich eingesetzt. Auf dem Umschlagsbild sowie bei den Einführungen in die einzelnen Kapitel wurden als Hintergrund Fotos von Computerfestplatten eingefügt, auf denen kleine Figuren stehen und sitzen, welche durch ihre stereotype Darstellung (Röcke, lange Haare) als Frauen erkennbar sind. Diese Hintergrundsbilder werden eingesetzt als Metapher für «Frau und Technik», was hier scheinbar keineswegs als Widerspruch verstanden werden will. Auffallend für ein Lehrmittel ist das ausführliche Vorwort, welches im Folgenden einer genaueren Analyse unterzogen werden soll. Das Thema des einleitenden Textes ist in erster Linie die Berufsfindung junger Frauen im technischen, insbesondere im Informatikbereich. Diese wird als problematisch definiert, da nur sehr wenige Frauen sich für eine Berufslehre in dieser Branche entscheiden. Das Lehrmittel soll diesem Umstand entgegenwirken. Argumentiert wird dabei einerseits funktional, indem durch die Volksschule den Nachwuchsmangel der Informatikbranche verhindert werden soll. Andererseits will man aber auch einen Beitrag zur Chancengleichheit leisten, weil Bildung und damit eben auch technische Bildung ein Grundrecht ist und nicht nur einem Geschlecht zugute kommen soll: «Die Unterrichtsideen zeigen auf, wie die Volksschule und die Berufsberatung mit kleinen Schritten auf eine Chancengleichheit in technischen Berufen hinarbeiten können».38 Eine 37 Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten 2000, 1. 38 Ebd., 5. 233 Ursache des Problems ortet die Herausgeberin des Lehrmittels (die SKG) in den schlechten Lernzugängen für Mädchen in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern. Sie stellt Mädchen dabei als Lernende dar, die besser lernen, wenn ihnen die Zusammenhänge klar sind und die Aufgabe einen Bezug zu ihrem Alltag hat. Diese Darstellung klingt schon beim Klappentext an: «Wenn technische Fragestellungen mit alltäglichen, den Mädchen bekannten Gebrauchsgegenständen verknüpft werden, sehen die Mädchen in der Beschäftigung mit der Technik einen Sinn. Dann interessieren sie sich dafür, warum der Schneebesen das Ei schaumig oder den Rahm steif schlägt, warum ein Föhn das Haar trocknet oder ein Rasensprenger das Gras bewässert.»39 Auffallend sind hier die «alltäglichen Beispiele», welche sich auf stereotypisierte weibliche Interessen beziehen: Hausarbeit und Körperpflege. Mit dieser Darstellung der Mädchen als in gewissen Bereichen genuin anders als Knaben, werden den Mädchen (und damit auch den Knaben) ganz in der Tradition der Geschlechterdifferenz bestimmte natürliche Eigenschaften zugeschrieben. Dieser «Code» im Sinne von «Mädchen sind anders als Knaben», wiederholt sich auch bei den Begründungen der einzelnen Unterrichtsideen. Mädchen werden dabei auf der einen Seite als strukturiert, systematisch und mit einer ganzheitlichen Denkweise ausgestattet, auf der anderen Seite mit schlecht ausgebildetem Selbstvertrauen und Körpergefühl beschrieben. Im Gegenzug werden Knaben als spontan und experimentierfreudig charakterisiert. Sie setzen sich gekonnt in Szene und zeichnen sich durch eine saloppe Ausdrucksweise aus. «Wenn Kinder erfinden, tun Mädchen und Knaben dies nach verschiedenen Methoden. Knaben [...] probieren aus und lernen aus ihren Misserfolgen; Mädchen arbeiten in der Regel strukturiert, das heisst, sie gehen systematisch vor.»40 39 SKG 2000, Klappentext. 40 Ebd., 16. 234 «Ausserdem beanspruchen die Knaben mehr Zeit, weil sie sich in der Klasse in Szene setzen und dadurch mehr Raum einnehmen. Das Selbstvertrauen der Mädchen leidet unter diesen täglichen Interaktionsmustern.»41 «Der gemeinsame Wortschatz hilft, dass sich die Mädchen nicht durch Computer-Halbwissen der Knaben und die saloppe Verwendung von Fachbegriffen bluffen lassen.»42 «Mit dieser Fragekultur fühlen sich besonders die Mädchen wohl: Sie können ihrem Anspruch gerecht werden, richtige und treffende Aussagen zu machen, weil sie ausdrücklich nachfragen dürfen, wenn Informationen ungenau [...] weitergegeben werden.»43 Solche Formulierungen sprechen die Zielpersonen dieses Lehrmittels als Mädchen bzw. als Knaben mit spezifischen Eigenschaften und Lebensweisen an. Sie werden dadurch aufgefordert eine bestimmte Bezeichnung anzunehmen und sich mit dieser zu identifizieren.44 «Undoing gender» scheint hier nicht mehr möglich zu sein, geschweige denn im Gedankenhorizont der Verfasserin des Lehrmittels zu liegen. Eine weitere Ursache des Mangels von jungen Frauen in technischen Berufen lokalisiert die SKG in der unterschiedlichen Sozialisation von Mädchen und Knaben. Auch der Code «Mädchen werden anders behandelt als Knaben» zieht sich durch das gesamte Lehrmittel. Diese zweite Problemursache wird nun nicht mehr den Mädchen zugeschrieben, sondern ihrem sozialen Umfeld: «Die Knaben interessieren sich in der Regel aus eigenem Antrieb für die Technik und bekommen Erklärungen für technische Zusammenhänge beiläufig von ihrem Umfeld vermittelt. Die Mädchen hingegen erhalten auf ihre Fragen, die die Wirkung und den Nutzen der Technik betreffen, nicht so häufig technikbezogene Antworten, das familiäre Umfeld weckt und fördert bei den Mädchen nur selten das Interesse für technische Sachverhalte.»45 41 42 43 44 45 SKG 2000, 23. Ebd., 24. Ebd., 38. Vgl. Villa 2011, 161. SKG 2000, 19. 235 Der sozialisatorische Aspekt wird hier durch die prototypische Zuschreibung vor allem der Knaben noch untermalt, interessieren sich diese doch sozusagen «von Natur aus» für Technik währendem die Mädchen eher auf die aktive Unterstützung durch ihre Umwelt angewiesen sind. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im untersuchten Lehrmittel von einer Umdeutung des herrschenden Diskurses der Zweigeschlechtlichkeit im Bereich der Berufe wenig zu spüren ist. Vielmehr wird die Kategorie «Knabe/Mädchen» als objektive Tatsache angenommen. Damit bleiben die eingesetzten Formulierungen dem Differenzdenken der Zweigeschlechtlichkeit mehr oder weniger verhaftet. Das Potential der sozialen Macht, welche eben auch in einem solchen Lehrmittel steckt, wird dadurch nicht ausgeschöpft, die herrschenden Geschlechtstereotypen im Gegenteil reproduziert. Gerade in ihrer Position als Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten könnte die Herausgeberin über einen bewussten Umgang mit der Sprache an den herrschende Ungleichheitsverhältnissen im Berufsfeld (hier am Beispiel der Informatik) grundlegend etwas ändern. Ansonsten wird es für junge Frauen im Prozess der Berufswahl sehr schwierig werden, sich den unhinterfragten Deutungsmustern entgegenzusetzen. Nach der Analyse des Lehrmittels «Bits and Bytes for Girls» herrscht auf jeden Fall der Eindruck vor, dass die Schülerinnen vermehrt den Beruf der Informatikerin ergreifen, nicht weil ihr Interesse an Technik gestiegen wäre, sondern weil ihre «weiblichen Kompetenzen» auch in der Informatik gefragt sind: «Und – sicher eine Aufmunterung während der Berufswahl – viele Firmen suchen Informatikerinnen und schätzen ihre Mitarbeit in Projektteams, weil sie den Frauen eine hohe Sozialkompetenz zuschreiben.»46 Der Beruf der Informatikerin wird damit sozusagen nochmals vergeschlechtlicht oder anders ausgedrückt im Spektrum der Berufe neu positioniert, indem ihm eine sogenannt «weibliche Eigenschaft» rückwirkend zugeschrieben wird, in der Hoffnung, dass sich dann auch junge Frauen dafür interessieren. 46 236 SKG 2000, 31. Fazit Mit dem Blick auf die Differenzierungsprozesse, wie es die Frauen- und Geschlechterforschung mit dem Konzept des «doing gender» anstrebt, lässt sich am Beispiel des untersuchten Lehrmittels verdeutlichen, wie schwierig es ist, sich dem Denken in der Differenz weiblich/männlich zu entziehen. Die Frage stellt sich, ob man überhaupt verstanden wird, wenn man versucht diese Kategorisierung zu umgehen. Es scheint, als sei ein Lehrmittel auch nicht der passende Ort, um eine neue Perspektive einzuführen. Gerade das hier untersuchte Lehrmittel ist als sogenannt «nicht-verbindliches» Lehrmittel auf die Gunst der Lehrpersonen angewiesen, damit es Verbreitung findet. Es muss, soll es auch benutzt und verstanden werden, dem Mainstream entsprechen und ist deshalb an eine bestimmte Ausdrucksweise und Sprache gebunden. Damit wird aber, zumindest im besprochenen Fall, die verlangte Chancengleichheit in Frage gestellt und gerade die Ungleichheit diskursiv reproduziert. Dennoch ist ein Lehrmittel durch seine soziale Macht dafür prädestiniert, neue Möglichkeiten des Denkens zu vermitteln. Die öffentliche Schule als staatliche Institution wäre durch ihre Vormachtstellung in der Lage, am etablierten Gender-Diskurs im Allgemeinen insbesondere aber auch bei der geschlechtsspezifischen Berufswahl nachhaltig etwas zu ändern. Dazu müsste jedoch das schmalspurige zweigeschlechtliche Denken gerade in Lehrmitteln, die sich der Genderthematik widmen aufgebrochen und alte Geschichten nicht weiterdiktiert, sondern neu erzählt werden. Die Gleichstellung von Mann und Frau in allen Bereichen des Berufslebens lässt sich offensichtlich nicht durch blosse Gesetzgebung herstellen, sondern muss gerade auch auf institutioneller Ebene durch «neue Erzählungen» zur diskursiv konstruierten Wirklichkeit werden. 237 Quellenangaben Primärliteratur Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten (SKG) (Hg.): Bits and Bytes for Girls. Unterrichtsideen für die 1. - 9. Klasse. Zürich: SKG, 2000. Bundesamt für Berufsbildung und Technologie: Berufsbildung in der Schweiz. Fakten und Zahlen 2011. Bern: BBT, 2011. Bundesamt für Statistik: Statistik der beruflichen Grundbildung 2009. BFS Aktuell. Bildung und Wissenschaft. Neuchatel: BfS, 2010a. Bundesamt für Statistik: Schülerinnen, Schüler und Studierende 2008/09. Neuchatel: BfS, 2010b. Bundesamt für Statistik: Bildungsabschlüsse 2009. Sekundarstufe II und Tertiärstufe. Neuchatel: BfS, 2010c. Sekundärliteratur Borkowsky, Anna: Frauen und Männer in der Berufsbildung der Schweiz. In: Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 22/2 (2000), 279–294. Giauque Pfister, Barbara und Elettra Flamigni: Malerin und Coiffeur. Jugendliche als Pionierinnen und Pioniere in geschlechtsspezifisch geprägten Berufen. In: Vpod Bildungspolitik, 166 (2010), 11–13. Gildemeister, Regine: Doing Gender. Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung. 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