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Europe: Lost in Translation?
Akbulut, Hakan; Dzihic, Vedran; Günay, Cengiz; Pisoiu, Daniela
Veröffentlichungsversion / Published Version
Arbeitspapier / working paper
Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:
Akbulut, H., Dzihic, V., Günay, C., & Pisoiu, D. (2017). Europe: Lost in Translation? (Bericht / Österreichisches Institut
für Internationale Politik, 2). Wien: Österreichisches Institut für Internationale Politik (oiip). https://nbn-resolving.org/
urn:nbn:de:0168-ssoar-59221-6
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2 / 2017
Europe: Lost in Translation?
Hakan Akbulut
Vedran Dzihic
Cengiz Günay
Daniela Pisoiu
Leistung erbracht im Rahmen des Kooperationsprojekts
BMLVS/DIONSihPol – oiip
Trendbericht
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Einleitung
Cengiz Günay
Die tiefe politische Krise der EU hält an. Dies ist insbesondere in den Nachbarschaftsbeziehungen zu
spüren. Weder im Hinblick auf die südliche (arabischer Raum) oder östliche Nachbarschaft (Ukraine
und Kaukasus), noch in Bezug auf den Balkan und die Türkei konnte die EU in den letzten Jahren Ansätze entwickeln, die den wirtschaftlichen und politischen Umbrüchen in diesen Regionen etwas entgegenstellen, bzw. auf diese beruhigend einwirken könnten. In der südlichen und östlichen Nachbarschaft sieht sich die Union zum einen verstärkt einer Konkurrenz durch andere internationale Akteure wie China oder Russland, bzw. regionalen Akteuren wie Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emirate und zum anderen der Unterminierung der gemeinsamen Nachbarschaftspolitik durch
die Partikularinteressen einzelner Mitgliedsstaaten ausgesetzt. Die schwierigen Beziehungen mit der
Türkei haben einen neuen Tiefpunkt erreicht. Mehr als nur einmal wurde der Beitrittsprozess in Frage gestellt, nun sollen die Vorauszahlungen gekürzt werden. Das Land geht angesichts einer schwelenden Wirtschaftskrise und der anhaltenden politischen Polarisierung unsicheren Zeiten entgegen.
Weder die EU noch die USA scheinen dabei Angebote oder Strategien zu haben. Getrieben durch
geopolitische Interessen ist eine zumindest temporäre Annäherung zwischen Ankara, Moskau und
Teheran zu beobachten. Diese Annäherung basiert allerdings vor allem auf zeitweiligen überlappenden Interessen im Syrienkonflikt.
Ebenso scheint die EU auf dem Balkan das Momentum für eine wirksame Politik verloren zu haben.
Die Reaktionen auf die Urteilsverkündungen des Haager Tribunals sind ein Beweis für die wachsenden nationalistischen Diskurse, die von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt sind. Der Krieg in
Ex-Jugoslawien ist alles andere als aufgearbeitet, dazu hat auch das Kriegsverbrechertribunal nicht
beitragen können. Im Lichte einer Erweiterungsmüdigkeit und wachsender rivalisierender Nationalismen kann auch die EU Erweiterungsdynamik nicht positiv wirken, liberale Stimmen sind auf dem
Rückzug.
Ein anderes europäisches Problem, das der vorliegende Bericht anspricht, sind die Auswirkungen des
Niederganges des Islamischen Staates (IS) in Syrien. Die EU Kommission ist äußerst besorgt über die
Frage der Rückkehrer bzw. den Import von Spannungen aus der Region. In diesem Zusammenhang
wird eine engere Zusammenarbeit mit weiteren betroffenen Drittstaaten notwendig sein. In anderen
Worten, der militärische Sieg über den IS in Syrien bedeutet noch lange nicht, dass damit der IS an
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Trendbericht
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sich keine Bedrohung mehr darstellt, ganz im Gegenteil, die EU und Österreich stehen nun vor neuen,
weitaus komplexeren Herausforderungen, die auch komplexe Lösungsansätze erfordern.
Im Folgenden finden sich die thematischen Beiträge von Cengiz Günay, Hakan Akbulut, Vedran Dzihic
und Daniela Pisoiu. Der Trendbericht soll einen groben, leicht lesbaren Einblick in die Entwicklungen
der Forschungsbereichere der beteiligten ForscherInnen liefern. Dieser Trendbericht bezieht sich vor
allem auf die gemeinsamen Herausforderungen für die EU. Das Thema ist auch hinsichtlich Österreichs Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2018 von besonderer Bedeutung.
EU Nachbarschaftspolitik: „Nicht alle Nachbarn sind am Modell der EU
interessiert“
Cengiz Günay
Die EU Kommission und die Mitgliedsstaaten der EU forcieren eine gemeinsame Sicherheitsunion.
Diese soll den Austausch innerhalb der Union verstärken und insbesondere die Grenzen nach außen
stärker sichern, bzw. die Zusammenarbeit in diesem Bereich verbessern. Laut Kommission kommt es
dabei zu großen Fortschritten. Im Rahmen der sogenannten Sicherheitsunion wurde auch der European Defence Fund eingerichtet, der dazu dienen soll Rüstungsprojekte und Militäreinsätze der EU zu
erleichtern (der Standard 11-09-2017). Auch wenn laut VertreterInnen der Kommission 1 derlei Vorhaben durch das Ausscheiden Großbritanniens erleichtert wurden - Großbritannien zählte bei Fragen
der Formulierung einer gemeinsamen Strategie und der Vereinheitlichung der Maßnahmen stets als
ein schwieriges Mitglied - so deutet die Einigung zur Intensivierung der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich noch nicht auf eine allgemeine stärkere gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik hin. Nach außen ist die EU weiterhin stark fragmentiert. Dies wird vor allem aus der Perspektive der Nachbarstaaten klar.
Die erst jüngst (2015) revidierte Europäische Nachbarschaftspolitik ist durch einen stärkeren Realismus und Pragmatismus geprägt, wie es ein hoher Vertreter der Kommission ausdrückt 2. Dies bedeutet im Wesentlichen eine Rücknahme der normativen Ansprüche, die die EU in ihren Außenbeziehungen mit der Nachbarschaft an sich selbst und ihre Partner stellte. Damit einher geht die Einsicht,
1
Diese Aussage trafen mehrere VertreterInnen der Kommission im Interview mit Cengiz Günay (Brüssel Juni
2017)
2
Interview Brüssel Juni 2017
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Trendbericht
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dass die Möglichkeiten der EU ihre direkte Nachbarschaft im eigenen Sinne zu transformieren äußerst eingeschränkt sind. Diese Einschränkung ergibt sich zum einen aus den fehlenden finanziellen
Kapazitäten, den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten aber auch durch den Umstand,
dass die EU in ihrer Nachbarschaft auf immer stärkere Konkurrenz durch andere staatliche, aber auch
nicht - staatliche Akteure trifft.
Der oben erwähnte Vertreter der EU-Kommission stellte nüchtern fest: „Wir haben erkennen müssen, dass nicht alle am Modell, das die EU anbietet, interessiert sind“.
Dies trifft vor allem auf Staaten wie Ägypten, Algerien, aber auch Marokko zu. Vermehrt sind andere
internationale Akteure in der europäischen Nachbarschaft aktiv geworden. Dies trifft auf China zu,
dass nicht nur in der südlichen Nachbarschaft, sondern auch in der östlichen, insbesondere auf dem
Kaukasus verstärkt aktiv ist. China errichtet zurzeit nach der russischen, die zweitgrößte Botschaft in
Armenien, aber auch in Georgien und Aserbaidschan ist China neben Russland verstärkt aktiv. Wie
auf einem Workshop zur Nachbarschaftspolitik der EU in Budapest Ende November erläutert, erzeugen vor allem Chinas Aktivitäten hinsichtlich der Errichtung einer neuen Seidenstraße Hoffnungen auf
Investitionen.
In der südlichen Nachbarschaft sind neben arabischen Staaten wie Saudi Arabien, den Vereinigten
Arabischen Emiraten und inzwischen trotz Schwächung Katar, vor allem einzelne EU-Mitgliedsstaaten
ein Hindernis für eine aktive Rolle der EU. Ungarn, Griechenland und Zypern verhindern vor allem in
Bezug auf Ägypten ein härteres Vorgehen der EU. Bislang konnte noch nicht einmal eine Verurteilung
der Menschenrechtsverletzungen durch den Rat durchgesetzt werden. Während Ungarn auf das
Prinzip der Nichteinmischung pocht, sind es im Falle Griechenlands und Zyperns wirtschaftliche Interessen im Zusammenhang mit den im Mittelmeer entdeckten Leviathan Gasfelder.
Angesichts einer weiteren Abnahme der Bedeutung normativer demokratischer Ansprüche und einer
immer stärker durch nationale Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen geleiteten Politik, ist auch in
näherer Zukunft trotz der Bemühungen der Kommission aber auch des französischen Präsidenten
Macron in nächster Zeit keine geschlossene Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu erwarten.
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Trendbericht
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EU-Türkei Beziehungen ein Jahr nach dem Putsch
Hakan Akbulut
Mehr als ein Jahr nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 bleiben die Beziehungen
zwischen der EU sowie einzelnen EU-Staaten und der Türkei weiterhin angespannt. Eine weitere Zuspitzung war in den Beziehungen des Landes mit Deutschland im Juli 2017 zu verzeichnen, als ein
weiterer deutscher Staatsbürger, der an einem von Amnesty International organisierten Workshop
teilnahm, wegen einer vermeintlichen Unterstützung von Terrororganisationen in der Türkei festgenommen wurde; über ihn wurde später Untersuchungshaft verhängt. 3 In Reaktion hierauf kündigte
der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel eine Reihe von möglichen Strafmaßnahmen gegen die
Türkei an, darunter auch eine Überprüfung der Vorbeitrittszahlungen der EU. Hatte Gabriel zu diesem Zeitpunkt die Beitrittsgespräche per se noch nicht infrage gestellt, so änderte sich dies während
des Wahlkampfes in Deutschland. Der Kanzler-Kandidat seiner Partei, Martin Schulz, sprach sich in
einem TV-Duell mit Kanzlerin Angela Merkel für einen Abbruch der Verhandlungen aus (vgl. Das Erste
2017). Während sich Merkel in dieser Frage nicht wirklich festlegte, stellte auch sie die Auszahlung
von Vorbeitrittsbeihilfen an die Türkei infrage. In einem späteren Interview verwies die Kanzlerin auf
die Möglichkeit, Beitrittsverhandlungen mit einem Mehrheitsbeschluss auszusetzen statt sie abzubrechen, was einen einstimmigen Beschluss erfordern würde (PNP 2017). Zudem gab sie an, die estnische EU-Präsidentschaft gebeten zu haben, „die Arbeiten für die geplante Modernisierung der Zollunion mit der Türkei einzustellen“ (zitiert nach ibid.).
Auf dem folgenden EU-Gipfel im Oktober 2017 wurden die Beziehungen der Union zur Türkei einmal
mehr thematisiert. Statt einem Abbruch oder einer Aussetzung der Beitrittsverhandlungen, die de
facto ohnehin zum Erliegen gekommen sind, verständigten sich die EU-Staaten darauf, die Vortrittsbeihilfen an die Türkei zu kürzen. Gemäß der im November erzielten Einigung über das EU-Budget für
das Jahr 2018 werden an die Türkei € 105 Million weniger ausgezahlt als von der Kommission in einem ersten Entwurf zunächst vorgesehen (Standard 2017). Darüber hinaus wurde die Auszahlung
von weiteren € 70 Millionen an Fortschritte in Fragen der Rechtsstaatlichkeit gekoppelt (ibid.).
3
Zwar wurde er Ende Oktober 2017 aus der Haft entlassen und konnte wieder nach Deutschland ausreisen,
von einer Wende in den deutsch-türkischen Beziehungen kann jedoch nicht gesprochen werden, zumal weitere
deutsche StaatsbürgerInnen in der Türkei inhaftiert sind und sich die Streitthemen zwischen den beiden NATOPartnern nicht auf diese Frage beschränken. In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass diese
Streitigkeiten zuletzt dazu geführt haben, dass Deutschland Fluggerät und Personal vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik nach Jordanien verlegt hat.
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Trendbericht
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Die Kürzung der Vortrittsbeihilfen ist als ein symbolischer Akt zu werten, um nach innen und außen
zu kommunizieren, dass die EU angesichts des autoritären Trends bzw. des autoritären Abrutschens
in der Türkei nicht untätig bleibt. Dass die EU-Staaten annehmen, mit dieser Maßnahme die türkischen EntscheidungsträgerInnen zu einem Einlenken oder Kurswechsel bewegen zu können, kann
stark bezweifelt werden. Eine Aussetzung oder gar ein Abbruch der Verhandlungen würde in diesem
Sinne wohl auch keinen wirksamen Hebel darstellen, da sie de facto lediglich auf dem Papier existieren. 4 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Verhandlungen in 14 von 35 Kapiteln
ohnehin nicht aufgenommen werden können, solange die Zypernfrage ungelöst bleibt. 5 Aufgrund der
Zypernfrage können auch keine Verhandlungskapitel (vorübergehend) geschlossen werden. Hinzu
kommt der Umstand, dass Österreich kurz nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 angekündigt hat, der Öffnung von weiteren Kapiteln nicht zustimmen zu wollen. Schließlich ist auch zu
bedenken, dass die Verhandlungen ergebnisoffen geführt wurden/werden. Somit ist stark zu bezweifeln, dass entsprechende Ankündigungen oder Warnungen von einzelnen EU-Staaten zu einer Kursänderung auf türkischer Seite führen können.
Von der deutschen Seite wurden darüber hinaus Pläne zur Reform der Zollunion als mögliches
Druckmittel identifiziert. Wie oben festgehalten, soll dieses Vorhaben zunächst nicht vorangetrieben
werden. Doch auch diese Frage scheint aufgrund des Umstands, dass das Projekt einer Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) seit Amtsübernahme von Donald Trump in den
USA zumindest auf Eis liegt, für die türkische Seite an Dringlichkeit verloren zu haben. Die türkische
Seite gibt zwar an, eine Reform anzustreben, verweist aber darauf, dass dies im Interesse beider Seiten sei und nicht als Druckmittel eingesetzt werden könne. Sie hätten in dieser Frage keine Eile, wären aber bereit für eine Reform, sofern dies auch die EU sei, hielt der türkische Minister für EUAngelegenheit Ömer Çelik zuletzt fest (vgl. AB Bakanlığı 2017).
In der zweiten Jahreshälfte 2017 setzte sich also der negative Trend in den Beziehungen zwischen der
EU und der Türkei fort. Die zunehmenden Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland schlu-
4
Die Entwicklungen der letzten 1 ½ Jahre – die türkische Regierung ist in dieser Zeit ungeachtet der Kritik aus
der EU ihren harten Kurs weitergefahren, es kam sogar die Idee auf in der Türkei ein Referendum über die
Frage einer Mitgliedschaft abzuhalten, das EU Parlament hat sich zwei Mal für eine Aussetzung stark gemacht –
werfen die Frage auf, wie viel die TR bereit zu tun ist, um diesen Prozess am Leben zu erhalten. Der Beitrittsprozess ist zwar sicherlich von Bedeutung (auch angesichts der ca. 600 Mio. Euro an Vortrittsbeihilfen pro
Jahr), aber er hat sicherlich nicht mehr den Stellenwert um von Seiten der EU als effektives Druckmittel eingesetzt werden zu können.
5
Die Verhandlungen zur Wiedervereinigung der Insel blieben einmal mehr erfolglos und wurden im Juli 2017
beendet. Für die Öffnung von acht Kapiteln gilt das Kriterium, dass die Türkei ihre Häfen und Flughäfen für
griechisch-zypriotische Schiffe und Flugzeuge öffnet; d.h. sofern es gelingen sollte, diesen Teilaspekt zu klären,
würde es bei den betreffenden Kapiteln keiner Gesamtlösung des Zyperndisputs bedürfen.
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gen sich zusätzlich in diesen Beziehungen nieder. Zu einem offiziellen Abbruch oder zu einer Aussetzung des Beitrittsprozesses kam es dennoch nicht. Weder im Beitrittsprozess noch im Visastreit oder
in der Frage der Reform der Zollunion zeichnen sich kurzfristig eine Trendwende oder ein Durchbruch
ab. Nichtsdestotrotz halten beide Seiten an der Kooperation in der Flüchtlingsfrage fest. In diesem
Zusammenhang wird im kommenden Jahr (2018) die Bereitstellung von zusätzlichen € 3 Mrd. durch
die EU einen wesentlichen Punkt auf der Agenda darstellen. Die EU hatte eine erste Tranche von € 3
Mrd. bis Ende 2017 in Aussicht gestellt. „Sobald diese Mittel nahezu vollständig ausgeschöpft sind,
wird die EU - sofern die vorgenannten Verpflichtungen erfüllt worden sind - zusätzliche Mittel für die
Fazilität in Höhe von weiteren 3 Milliarden Euro bis Ende 2018 mobilisieren“, ist in der EU-Türkei
Erklärung vom 18. März 2016 nachzulesen (Europäischer Rat 2016). Auch vor dem Hintergrund, dass
sich insbesondere der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in den letzten zwei Jahren immer
wieder darüber beklagt hat, dass die EU ihre Finanzzusagen nicht einhalte und die Auszahlung der
versprochenen Beiträge nur schleppend vorangehe, ist damit zu rechnen, dass die Frage der Finanzmittel – neben den oben genannten Aspekten – in den kommenden Monaten immer wieder thematisiert werden und weiterhin einen Streitpunkt in den Beziehungen darstellen wird. Sollte die EU intern keine Einigung erzielen und die genannten € 3 Mrd. Euro nicht „mobilisieren“ können, würde
wohl der Flüchtlingspakt einmal mehr infrage gestellt werden.
Die Urteile von Den Haag als Spiegelbild einer Region in der Krise
Vedran Dzihic
Die Vergangenheitsaufarbeitung und Versöhnung in der Region des ehemaligen Jugoslawien wurden
seit dem Ende der Kriege der 1990er Jahre als eine zentrale Voraussetzung für die Befriedung und
Demokratisierung der Gesellschaften definiert. Die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia – ICTY) wurde noch explizit vom Anbeginn des EU-Integrationsprozesses für die Westbalkanländer als eine Grundbedingung für den Fortschritt auf dem Weg in die EU definiert. Nun hat das
Tribunal im November 2017, 24 Jahre nach seiner Gründung, mit zwei Urteilen seine Arbeit beendet.
Es stellt sich somit die Frage nach der Bilanz des Tribunals, zugleich aber auch die Frage, ob der Prozess der Vergangenheitsaufarbeitung und Versöhnung am Balkan vorangeschritten ist.
In einem ersten Urteil am 22. November 2017 wurde Ratko Mladic, der militärische Befehlshaber der
serbischen Truppen in Bosnien in den Jahren 1992-1995, in zehn Anklagepunkten für schuldig befun7
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den und zu lebenslanger Haft verurteilt. Mit Ratko Mladic war jener Mann angeklagt, der an der Spitze der serbisch-bosnischen Armee stand und federführend an der militärischen Umsetzung der politischen Ziele der serbischen Führung rund um Karadzic arbeitete. Er gilt als strategischer Kopf der ethnischen Säuberungen zu Beginn des Krieges sowie auch als jener der hinter dem Völkermord von
Srebrenica steckt.
In einem zweiten Urteil am 29. November wurde das erstinstanzliche Urteil gegen Slobodan Praljak
und die fünf weiteren bosnischen Kroaten (Jadranko Prlic, Bruno Stojic, Milivoj Petkovic, Valentin
Coric und Berislav Pusic) bestätigt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass diese sechs Personen zu
einer "gemeinsamen verbrecherischen Unternehmung" gehört hatten, um die Kriegsziele zu erreichen, und verurteilte sie zu insgesamt 111 Jahren Haft. Der Urteilstext hielt auch explizit fest, dass
Franjo Tudjman, der erste Präsident Kroatiens in den 1990er Jahren, im Namen einer systematischen
großkroatischen Politik zahlreiche Opfer in Bosnien bewusst in Kauf nahm. Während der Urteilsverkündung am 29. November beging Slobodan Praljak Selbstmord, in dem er Gift einnahm. Es ist offensichtlich, dass er sich als Justizopfer und Märtyrer stilisieren wollte. Praljak folgte damit der verbreiteten Ansicht unter Kroaten in Kroatien und Bosnien-Herzegowina, dass das Haager Tribunal ein "politisches Gericht" sei.
Beide Urteile haben über die unmittelbaren Reaktionen in der Region, die sehr heftig ausgefallen
sind (siehe weiten unten), weitreichende Folgen für die Frage nach der Vergangenheitsaufarbeitung
in der Region.
Beide Urteile tragen dazu bei, die Geschichte des Krieges in Bosnien aufzuarbeiten. Das Ausmaß der
Dokumente, Materialien und Zeugenaussagen, die vor dem Kriegsverbrechertribunal vorgebracht
wurden, erlaubt eine minutiöse Darstellung der Kriegsereignisse und damit auch eine objektive Geschichtsschreibung. Gleichzeitig bedeuten die beiden Urteile auch das Ende des Kriegsverbrechertribunals. Dieses war ein wichtiges Instrument für die Durchsetzung von Gerechtigkeit gegen Kriegsverbrechen jeglicher Art. Das ICTY war das größte Kriegsverbrechertribunal der Ära nach dem Kalten
Krieg. Es stellte einen Meilenstein im Streben nach der Ahndung von Schuld in Kriegsverbrechen dar
und war damit auch ein wichtiges Instrument nicht nur für die Opfer, die Gerechtigkeit und Sühne
verlangten, sondern auch für die Aufarbeitung der Ereignisse. Es ist klar, dass auch in Zukunft die
positiven aber auch die negativen Erfahrungen, die man am ICTY gemacht hat, richtungsweisend für
alle zukünftigen Prozesse gegen Kriegsverbrechen sein werden.
Leider, und das führt zu einer zweiten Frage, ist die Bilanz zur Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit
in Ex-Jugoslawien eine unzureichende, trotz und paradoxerweise teilweise auch wegen bestimmter
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Urteile in Den Haag. Die Vergangenheit ist Teil des politischen Diskurses. Sie wird selektiv wahrgenommen und steht im Dienste von jeweiligen ethno-nationalen Narrativen, die sich selbst als Opfer
und die anderen ausschließlich als Täter porträtieren. Die Urteile und Erkenntnisse des ICTY werden
in vielen Gesellschaften Ex-Jugoslawiens weitgehend negiert und die Täter werden als Helden gefeiert. Nationalistische Diskurse, die in den Kriegsnarrativen verwurzelt sind, sind en vogue.
All dies konnte im November 2017 rund um die beiden Urteile beobachtet werden. Der Präsident der
Republika Srpska, Milorad Dodik, sprach nach dem Urteil gegen Mladic dem Tribunal jede Glaubwürdigkeit ab und meinte, dass Mladic nun für ihn und die Serben noch mehr als zuvor ein Held sei. Das
offizielle Kroatien reagierte ebenfalls äußerst negativ auf das Urteil gegen die sechs bosnischen Kroaten. Der kroatische Premierminister Plenkovic bezeichnete das Urteil als ungerecht und den Selbstmord von Praljak als einen moralischen Akt. Die kroatische Präsidentin Grabar-Kitarovic sprach vom
Urteil als einem „starken Schlag ins Herz des kroatischen Volkes“. Sowohl in Serbien als auch in Kroatien kann man nach den Urteilen von einem empfindlichen Rückenwind für die nationalkonservativen und die extrem-nationalistischen Kreise sprechen, die sich nun in ihrer Argumentation
von großen Mehrheiten der Bevölkerung bestätigt fühlen.
Angesichts dieser Reaktionen und einem sich offensichtlich verschlechternden regionalen politischen
Klima muss man aus heutiger Sicht feststellen, dass die Urteile in Den Haag nicht zur Versöhnung und
zu mehr Gerechtigkeit beigetragen haben. Der Grund dafür ist einfach: Der Krieg und die Vergangenheit werden noch immer von zentralen politischen Akteuren missbraucht und für politische Zwecke
instrumentalisiert. In Bosnien haben wir es mit einer starken Ethnopolitik zu tun, bei der alles stets
auf die Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit reduziert wird. Die unterschiedlichen Narrative über
den Krieg und die jeweilige Selbstdarstellung als Opfer dient auf allen Seiten identitätsstiftend. Damit
werden parallele, konkurrierende Wahrheiten bedient. Somit fühlen sich in Bosnien alle drei Völker
als Opfer, und beschuldigen die jeweils anderen Täter zu sein. Ähnlich sind die Narrative in Kroatien
und Serbien. Die Schuld liegt stets bei den anderen. Personen wie Mladic oder Praljak, die aufgrund
von Kriegsverbrechen verurteilt wurden, werden demnach (siehe oben) als Helden im Dienste der
eigenen Nation gesehen.
Ein substantieller und nachhaltiger Versöhnungsprozess in der Region scheint unter diesen Umständen kaum möglich. Auch der EU-Integrationsprozess für die einzelnen Staaten leidet darunter, sei es
wegen interner politischer Konflikte rund um die Deutung der Vergangenheit (wie in Bosnien) oder
wegen gestiegener Spannungen zwischen den Nachbarstaaten (wie zwischen Kroatien und Serbien).
Sollte beispielswiese das Niveau der rhetorischen Feindseligkeiten zwischen Kroatien und Serbien so
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angespannt bleiben wie zuletzt, ist davon auszugehen, dass Kroatien den serbischen EUAnnäherungsprozess verlangsamen und unter Umständen sogar blockieren wird. Indirekt beinträchtigen die letzten Ereignisse rund um die beiden Urteile des Tribunals auch die Sicherheit der Region.
Resümierend ließe sich die These formulieren, dass mangelnde Vergangenheitsaufarbeitung am Balkan sowohl die demokratische Entwicklung der Region als auch die regionale Sicherheit bedroht.
Terrorismus, Dschihadismus und Rechtsextremismus in Europa und
Österreich
Daniela Pisoiu
Europa und damit auch Österreich sind verstärkt mit den Auswirkungen der militärischen Niederlagen des IS in Syrien und dem Irak konfrontiert. Diese Entwicklung, die im zweiten Halbjahr 2017 einsetzte wird sich auch im ersten Halbjahr 2018 fortsetzen. Die größten Herausforderungen in diesem
Zusammenhang sind laut EU-Kommission die Problematik der RückkehrerInnen, und inwieweit diese
eine Gefahr für europäische Gesellschaften darstellen können, gesellschaftliche Polarisierung und
sektiererische (Sunniten gegen Schiiten) Gewalt. Bezüglich des ersten Themas hat das Radicalisation
Awareness Network (ein von der EU-Kommission ins Leben gerufenes Netzwerk von PraktikerInnen
im Bereich Prävention und Deradikalisierung) im Sommer 2017 das Handbuch „Responses to returnees: Foreign terrorist fighters and their families“ 6 herausgegeben, welches EU-Mitgliedstaaten
praktische Handlungsempfehlungen im Umgang mit RückkehrerInnen anbietet. Dennoch bleibt der
Eindruck bestehen, dass effiziente und langfristige Lösungen für die De-Radikalisierung und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft noch nicht genügend ausformuliert sind. Eine besondere Herausforderung stellt in diesem Zusammenhang die Frage des Umgangs mit Kindern und Minderjährigen,
die in einer extremistischen Ideologie bzw. einem Gewaltmillieu sozialisiert wurden, dar.
Probleme die über die oben genannten Kernthemen hinausgehen und die europäische Politik, Wissenschaft und Praxis auch weiterhin beschäftigen werden, sind Entwicklungen in Drittstaaten bzw.
terroristische und extremistische Propaganda-Aktivitäten. In diesem Zusammenhang sind die MENA
(Middle East and Nord Africa) Staaten und die Westbalkanstaaten für die Antiterrorbekämpfung in
der EU aus zweierlei Gründen von besonderer Bedeutung. Einerseits sind sie, ähnlich wie die EU, mit
islamistischer Radikalisierung und mit einer verstärkten Tendenz hin zu Extremismus konfrontiert,
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https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/ran_br_a4_m10_en.pdf.
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andererseits bestehen transnationale ideologische und organisatorische Vernetzungen, die sich über
Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben. Weiterhin beschäftigen sich die Kommission und die EUMitgliedstaaten mit den Auswirkungen terroristischer Propaganda und der Entwicklung sogenannter
Gegennarrative. Sämtliche Untersuchungen stellen fest, dass trotz der Energie und der Finanzierung,
die in Gegenkampagnen investiert worden sind, diese offenbar weniger wirksam sind als die Videos,
die durch den IS veröffentlicht werden. Das bedeutet konkret, dass in Summe weiterhin mehr Personen radikalisiert als deradikalisiert werden, was wiederum die Verschärfung der Problemlage verdeutlicht.
Im rechtsextremistischen Bereich sehen sich die Bewegungen der Neuen Rechten durch die Erfolge
rechtspopulistischer Parteien in den Wahlen in Österreich und Deutschland in ihrem Ansatz bestätigt
und bestärkt. Weiterhin werden, im Kontext einer in Europa zersplitterten und wenig erneuerten
linken Gegenbewegung, linke Themen übernommen und aus der Perspektive eines sogenannten
Kulturrassismus neu „verpackt“ (siehe z.B. die Idee einer Gewerkschaft für PatriotInnen, die sich für
Personen die aufgrund ihrer ‚patriotischen’ Einstellungen am Arbeitsplatz benachteiligt fühlen, gebildet hat). Aufgrund des erhöhten Aktivismus im rechten Lager (siehe z.B. verschiedene Störaktionen
und Demonstrationen im Inland und europäischen Ausland) sind erneute Konfrontationen mit LinksaktivistInnen (nach einer Phase, die von Konfrontationen zwischen Neo-Nazis und Salafisten geprägt
war) und eine Rückkehr des klassischen links-rechts-Konflikts zu erwarten. Ende November wurde
beispielsweise eine Demonstration der Identitären in Paris verboten und anschließend mehrere
LinksaktivistInnen festgenommen.
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Quellen
AB Bakanlığı (2017): AB Bakanı ve Başmüzakereci Ömer Çelik AA'ya Konuştu, 28. Oktober 2017,
https://www.ab.gov.tr/50967.html [Zugriff: 27. November 2017].
Das Erste (2017): Das TV-Duell: Merkel gegen Schulz [Videoaufzeichnung],
http://www.daserste.de/information/nachrichten-wetter/ard-sondersendung/videos/tv-duellmerkel-schulz-2017-das-erste-100.html [Zugriff: 12. November 2017].
Europäischer Rat (2016): Erklärung EU-Türkei, 18. März 2016,
https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/03/18/eu-turkey-statement/ [Zugriff: 27. November 2017].
PNP (2017): "Wir können uns keine Experimente erlauben", 16. September 2017,
https://plus.pnp.de/ueberregional/politik/2657715_Wir-koennen-uns-keine-Experimenteerlauben.html? [Zugriff: 27. November 2017].
Standard, Der (2017): EU kürzt in Haushaltsverhandlungen Hilfen für Türkei, 18. November 2017,
http://derstandard.at/2000068053712/EU-Haushalt-Einigung-auf-145-Millionen-an-Ausgaben-fuer2018 [Zugriff: 27. November 2017].
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