Schwerpunkt
Ulrich Lamparter
Gerhard Goebel und Ulrich Lamparter
Medizinisch-Psychosomatische Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee
Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf
psychoneuro 2004; 30 (6): 337–341
D
as Interesse in der HNO-Heilkunde und psychosomatischen Medizin für den Hörsturz hat in den letzten 50 Jahren
deutlich zugenommen. Auf die Beteiligung psychischer Prozesse hat
bereits Adam Politzer in seinem
1887 erschienenen „Lehrbuch der
Ohrenheilkunde“ hingewiesen, wo
er auch den Hörsturz systematisch
beschrieb (siehe 13): „Schließlich
sind noch die Gemüthsaffecte als ursächliches Moment von Erkrankungen des Hörnervenapparates anzuführen. Obwohl im Ganzen selten,
sind solche Vorkommnisse doch
durch die Erfahrung festgestellt und
ich habe in meiner Praxis mehrere
Fälle verzeichnet, welche durch
Schreck, z.B. bei Feuersgefahr oder
durch plötzlich hereingebrochenen
tiefen Kummer von temporären
oder bleibendem Ohrensausen oder
von Schwerhörigkeit befallen wurden. Es ist dies erklärlich, wenn man
bedenkt, dass die Gemüthsaffecte zu
den stärksten, auf die Gefässnerven
(die Vasoconstrictoren und Dilatatoren) wirkenden Reizen zählen.“
Klinik
Wegen
seines
plötzlichen
(„Sturz“) und unerwartenden Auftretens ist der Hörsturz für viele Betroffene mit Erschrecken und Unsicherheit, längerfristig auch mit
Angst vor einer unerklärlichen Erkrankung und weiterer Verschlechterung verbunden. Am Anfang verspüren die Betroffenen die plötzlich
einsetzende Hörminderung („wie
Watte“), die innerhalb von Sekun-
In der Literatur finden sich belegende Hinweise, dass der Hörsturz in Zusammenhang mit Belastungen und Stressoren steht; Hörsturzpatienten insgesamt haben jedoch nicht unbedingt
mehr Stress als andere Menschen und Stress führt auch nicht zwangsläufig zum Hörsturz. Die
Belastungen vor dem Hörsturz erscheinen lediglich chronifizierter und kritischer, gepaart mit
deutlich belastenderen Alltagssorgen. Spezifische Lebensereignisse, die für das Hörsturzgeschehen verantwortlich sein könnten, wurden nicht herausgefunden. Vielmehr legen die empirischen Befunde ein komplexeres Modell der Hörsturzentstehung unter Stress nahe: Der Hörsturz konstelliert sich vielmehr in einer komplexen biographischen Situation bei Menschen mit
eher guter bis sehr guter Realitätsanpassung oft unter den Bedingungen beruflicher Belastung.
Wird eine solche Belastung ungenügend wahrgenommen bzw. verdrängt und trifft sie in auslösenden Situationen auf eine biographisch bedingte innere „Resonanz“, kann es zu einem
nicht mehr regulierbaren Konflikt kommen. Dabei auftretende Ohnmachtsgefühle, Wut- oder
Schuldgefühle münden, da nur unvollkommen integriert, in eine „vegetativen Entgleisung“ mit
der Folge Hörsturz. Persönlichkeitsmerkmale, wie sie beim Hörsturz gefunden werden, sind
unspezifisch, ähnliche Charakteristika finden sich bei Hochdruckpatienten (Aggressionshemmung), Blutspendern (soziale Angepasstheit, Moralität), Kopfschmerz- und Migränepatienten
(Perfektionismus, hoher Anspruch an sich selbst), sie bereiten jedoch den Boden für die psychosomatische Reaktion. Speziell für den Hörsturz ist am ehesten eine vermehrte Sensibilität anzunehmen.
den oder Minuten aus völligem
Wohlbefinden heraus eintreten
kann. Gelegentlich geht dem Hörsturz ein Druckgefühl im Ohr voraus
oder in seltenen Fällen wird ein
Schwank- oder Drehschwindel angegeben. In auffallend vielen Fällen
wird der in der Regel einseitig auftretende Hörsturz beim morgendlichen Aufwachen bemerkt. Tinnitus
ist entgegen landläufiger Meinungen nie der Vorbote eines Hörsturz,
in 60% der Fälle jedoch ein Folgesymptom, das sich innerhalb weniger Stunden bis Tagen einstellt. Oft
bemerken die Patienten den Tinnitus im Zusammenhang mit der
Gehörerholung. Ein ausbleibender
Tinnitus ist bezüglich der Gehörerholung eine prognostisch eher
ungünstige Konstellation (1).
Nach heutigem medizinischen
Verständnis wird Hörsturz nicht als
eigenständige Krankheit, sondern
als Symptom unklarer Genese (Ursache) verstanden. Es handelt sich um
eine partielle, selten komplette,
Funktionsstörung des Innenohrs.
Auch ohne Behandlung erholt sich
das Gehör in 25 bis 75% der Fälle,
wobei eine Schädigung im Tieftonbereich sich häufiger spontan
zurückbildet. Des weiteren ist die
Spontanerholungsrate um so günstiger, je jünger die Patienten sind und
je besser der Ausgangszustand des
entsprechenden Gehörs ist. Definitionsgemäß ist als Ursache ein Akustikusneurinom, der Menière-Anfall,
Ruptur des runden Fensters, BaroTrauma, Otosklerose, Periarteriitis
nodosa, psychogene Hörstörung,
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Stressbedingte Aspekte
des Hörsturzes
u.a. auszuschließen. Erst wenn keine
plausiblen Erklärungen für die Funktionsstörung des Innenohrs gefunden werden, wird man korrekter
Weise von einem idiopathischen
Hörsturz sprechen können.
Häufigkeit
Die Forschung zum Hörsturz hat
erst richtig eingesetzt, als durch Erweiterung der HNO-Diagnostik
einschließlich Einführung der Audiometrie der Hörsturz besser von
der psychogenen Hörstörung abgegrenzt werden konnte. So wurden
noch im ersten Weltkrieg Soldaten,
die im Geschützdonner vorübergehend ertaubten, als „Kriegsneurose
des Ohres“ verkannt!
Der Hörsturz zählt zu den zunehmenden Krankheitsbildern mit
schätzungsweise 10 bis 35 neuen
Fällen auf 100 000 Einwohner pro
Jahr (13). Für Deutschland müsste
demnach eine jährliche Inzidenzrate
von etwa 15 000 Neuerkrankungen
angenommen werden. Es muss allerdings von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Nach klinischen Studien treten etwa 60% der
Hörstürze zwischen dem 30. und 60.
Lebensjahr auf (mit einem mittleren
Altersdurchschnitt von etwa 46 Jahren). Aber auch Kinder können von
Hörsturz betroffen sein (16). Die
Hörsturzhäufigkeit verteilt sich zwischen Männer und Frauen ähnlich.
Unterschiede zwischen ländlichen
und städtischen Regionen sind nicht
bekannt. Nach dem Erstauftreten eines Hörsturz muss in knapp 10% der
Fälle mit einem Rezidiv gerechnet
werden. Befragt man Berufsgruppen
nach Hörsturz, so scheinen akademische Berufe (Universitätsprofessoren) mit einer Lebenszeitprävalenz von 5% am häufigsten betroffen
zu sein (3).
herausfordernde Situationen, mit
deren Hilfe die zu ihrer Bewältigung
notwendige Energie bereitgestellt
wird. Von ihm stammen auch die Begriffe „Eu-Stress“ (für positiven
Stress) und „Dis-Stress“ (für negativen Stress). Kennzeichen des EuStress ist ein positives Gefühl der
Herausforderung, die bereitgestellte
Energie wird in der Regel verbraucht. Dis-Stress wird als bedrohlich erlebt, die bereitgestellte Energie wird meist nicht abgebaut.
Neben biologischen bzw. medizinischen Variablen wird für die Erklärung des Hörsturz von Klinikern
und Psychotherapeuten gleichermaßen häufig Stress bzw. emotionale Belastung als bedeutender ätiologischer Faktor genannt. Auch die
Betroffenen sehen dies ähnlich: So
finden sich in Statistiken von Patienten psychosomatischer Kliniken mit
dekompensiertem chronischen Tinnitus bis zu 53% Patienten, deren
Tinnitusursache auf einen Hörsturz
zurückgeführt wird (6, 7). Diese von
den Prävalenzdaten extrem abweichende Häufung erklärt sich durch
das Verständnis der Hörsturzbetroffenen, die eine Psychotherapie als
Rezidivprophylaxe eines Hörsturz
ansehen und entsprechend erwartungsvoll in eine psychotherapeutischen Behandlung kommen (8).
Es existieren eine Reihe von Arbeiten zu psychischen Aspekten bei
Hörsturz, wobei die Ergebnisse von
ca. 14 Arbeitsgruppen als wissenschaftlich akzeptabel erscheinen.
Insgesamt wurden damit unterschiedliche psychische Bereiche bei
mehr als 850 Hörsturz-Patienten
empirisch untersucht. Neuere Arbeiten konnten ihre Befunde mit Kontroll- und Vergleichsgruppen absichern. Die eingesetzten psychometrischen Testverfahren sind weitgehend valide.
Stressbedingte Aspekte
Der Begriff „Stress“ geht u.a. auf
den kanadischen Biologen Dr. Hans
Selye zurück, der ihn in den 50erJahren in die Medizin einführte. Er
definiert damit eine „nichtspezifische Reaktion des Körpers auf jede
an ihn gerichtete Anforderung“ wie
Not, Druck, Anspannung. Stress ist
somit die körperliche Antwort des
Organismus auf bedrohliche oder
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Zusammenhänge mit
Lebensbelastungen
Beobachtungen über psychosomatische Zusammenhänge, wie sie
Fowler 1950 (4) erstmals systematisch zusammenstellte, wurden
durch zahlreiche empirische Untersuchungen bestätigt. Globale Befragungen (z.B. „Hatten Sie psychischen
Stress?“) zeigten je nach Untersu-
chern allerdings unterschiedlich
stark variierende Ergebnisse.
Methodische Probleme ergeben
sich wie bei allen ähnlich gelagerten
Studien dadurch, dass Stressfaktoren
durch die Betroffenen eventuell erst
im Nachhinein als Erklärungsmodell
angesehen werden, da andere Erklärungen fehlen und es einem weitverbreiteten Bedürfnis des Menschen entspricht, Erklärungen für
Schicksalsereignisse zu finden. Auch
sind sich wandelnde Weltbilder Einflussgrößen für solche Bereiche: Bei
Fowler (4) gaben nur etwa 10% der
Betroffenen von sich aus psychische
Auslöser an, gegenüber den Patienten von Kropp & v. Rad (11) bzw.
Lamparter (12), von denen über 70%
spontan „Stress“ als Hörsturzauslöser nannten.
Zusammenhänge mit
individuellen Aspekten
Oft fällt den behandelnden Ärzten auf, dass viele Patienten mit Hörsturz sich als besonders sozial engagiert darstellen und z.B. sich in Lehrberufen besonders häufen (3). So
wurde bei der Suche nach biographischen Besonderheiten, Persönlichkeitsmerkmalen und besonderen
Lebensbewältigungsstilen von der
modellhaften Vermutung (Hypothese) ausgegangen, dass solche
Faktoren z.B. einen in einer bestimmten Weise defizitären Lebensstil bedingen, der dann im klassischen Sinn der Psychosomatik eine
vegetative Fehlsteuerung mit körperlicher Folge (Hörsturz) verursacht.
Erste systematische Befunde zu
Persönlichkeitsmerkmalen wurden
von Dohse et al. (2) bei 30 HörsturzPatienten im Vergleich zu 35 Otosklerose-Patienten erhoben. Die
Hörsturzbetroffenen erschienen vermehrt nervös und weniger selbstbewusst. Einzelheiten zur Stichprobe,
Untersuchungsvorgehen und Statistik sind unklar; es werden ohne
Mittelwertsangaben Abweichungen
gegenüber Normstichproben in einigen Skalen des Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) berichtet.
Neusser & Knoop (14) fokussierten in Ihrer Untersuchung bei 56
Akut-Hörsturzpatienten die lebensverändernden Ereignisse und Per-
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den zweiten Blick fiel ein extrem sozial erwünschtes Verhalten auf, das
heißt, Hörsturzbetroffene scheinen
vor anderen und vielleicht auch vor
sich selbst ihre Situation im Sinne
gesellschaftlicher Erwartungen idealisierend darzustellen.
Eine weitere umfangreiche Untersuchung zu psychischen Aspekten stammt von Lamparter (12). Er
explorierte mit einem psychoanalytischen Vorgehen und einer systematisierten Befunderhebung sowie
einer wissenschaftlich sehr aufwändigen Testbatterie 50 Patienten mit
frischem Hörsturz (10 Tagesfenster)
und untersuchte sie fünf Jahre später nochmals (Rücklaufquote über
70%) sowie einen Pool von 160 Patienten, deren Hörsturzereignis unterschiedlich lange zurücklag. Auch
hier erschienen die Hörsturz-Patienten bezüglich ihrer Persönlichkeit
wenig auffällig und psychisch deutlich gesünder als Patienten psychosomatischer Ambulanzen. Lamparter unterschied verschiedene psychosomatische Funktionen des Hörsturzes und fand psychodynamisch
häufig Gewissenskonflikte und eine
oft unbewusste ohnmächtige Pro-
testhaltung unter den Hörsturzbetroffenen. Als typische primärpersönliche Züge fand er eine hohe Sensibilität, stark entwickeltes Pflichtgefühl, Aggressionshemmung sowie
Schwierigkeiten sich abzugrenzen
(Abb. 1).
Viele Merkmale der gefundenen
Charakteristika fanden sich in ähnlicher Weise auch bei einer Vergleichsgruppe von Blutspendern:
Hörsturz-Patienten und Blutspender
ähneln sich offenbar in ihrer Moralität! In der relativ einseitigen Stichprobe (es befanden sich kaum Arbeiter in der untersuchten Patientengruppe), fiel eine hohe Identifikation mit dem Beruf und Akzeptanz
der damit einhergehenden Belastung auf. Vor allem die beruflich Belasteten konnten sich weniger „abschotten“: Unter den Patienten fanden sich häufig Berufe, die als „Kommunikationsberufe“ charakterisiert
werden können: Es waren Pfarrer,
Ärzte, Psychotherapeuten, Lehrer,
Kindergärtnerinnen, Zeitungswerber, etc. In gewisser Weise passen
hierzu die Ergebnisse einer Fragebogenaktion bezüglich Hörsturz und
Tinnitus von Fleischer et al. (3) bei
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sönlichkeitsmerkmale (1 Wochenfenster, keine Angaben zum Hörtest)
im Vergleich zu Krankenhauspersonal. Ausgeschlossen wurden Patienten, bei denen die Infusionstherapie
keine rasche Erholung des Gehörs
bewirkte. Es fanden sich mehr belastende und anhaltende Lebensereignisse sowie erhöhte Werte für Depression und Hysterie (MMPI), die
sich insgesamt jedoch im Bereich
der Durchschnittsbevölkerung bewegten.
Kropp & von Rad (11) beobachteten in einer explorativen Untersuchung (Non-direktives Gespräch)
von 64 Hörsturzpatienten mit 90
Hörstürzen in 59 von 90 Fällen keine
spezifischen Persönlichkeitsmerkmale. Die Patienten berichteten „von
sich aus über einen zeitlichen Zusammenhang“ zwischen starker
psychischer Belastung und Hörsturz.
Die Untersucher selbst sahen nur in
sieben Fällen einen solchen Zusammenhang als gegeben an, in den
restlichen 24 Fällen verwarfen sie einen derartigen Zusammenhang.
Ein größerer Datensatz zur Biographie von Hörsturz-Patienten ist
der Promotionsarbeit von Hoffmeister (9) aus Tübingen zu entnehmen.
Hier wurden 58 Patienten mit akutem Hörsturz im Vergleich zu einer
Gruppe von Menière-Patienten, Migräne-Patienten, Kopfschmerz-Patienten und einer Gruppe von gesunden Personen mit einem Fragebogen
zur Biographie untersucht.
Am unauffälligsten stellten sich
die Hörsturz-Patienten dar: Sie
schilderten ihre Ursprungsfamilie
als sehr ideal, es gab wenig Streitigkeiten zwischen den Eltern im Gegensatz zu den sehr negativ urteilenden Kopfschmerz-Patienten. Bis
auf eine etwas unpünktliche und
weniger fürsorgliche Mutter wurden
die Eltern als ideale Personen beschrieben. Der Erziehungsstil war
bei den Hörsturz-Patienten am demokratischsten und es wurden wenige Schulprobleme erinnert. Auch
die aktuelle Partnerschaft wurde im
Gegensatz zu den anderen Vergleichs- und Kontrollgruppen als besonders zufriedenstellend beschrieben. Sie schätzten sich pünktlich, ordentlich und hilfsbereit im Sinne einer Überangepasstheit ein. Erst auf
Abb. 1 Stress-Hörsturzmodell (nach 12)
„Infantile Resonanz“
Auslösendes Ereignis
oft: Wahrnehmung
Somatisierung:
„Stop!“, „Weg!“
Telefon
„Kommunikationsstress“
Hörsturz
Patient ist empfindsam/verletzlich kann
sich schwer abgrenzen
hoher Über-Ich-Druck
Überlastung im Beruf
Überlastung im
Privatleben
„Alles zuviel“
Handlung
Aggressionshemmung
Anspannunng
Abwehr
hoher adrenerger
Tonus
psychovegetative
Lanilität
Die aus einer (akustischen) Wahrnehmung eines Ereignisses (auslösende Situation) folgende
Handlung wird blockiert und über eine Somatisierung abgewehrt. Berufliche und private
Überlastung, insbesondere „Telefonstress“ tragen zur Somatisierung bei, indem sie die psychischen Anpassungsressourcen des Individuums erschöpfen und disponierende somatische
Faktoren bahnen: Es ist „alles zuviel“. Individuelle persönlichkeitsspezifische Faktoren bedingen die Handlungshemmung, aber auch die Tendenz sich zu überlasten. Eine „infantile
Resonanz“(mit Konfliktmustern der Kindheit) gibt der auslösenden Situation besondere
Wirkkraft
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alle Bereiche klinisch relevante Unterschiede. Lediglich für die Bereiche soziale Unterstützung bzw. psychosoziale Belastung schienen keine
Zusammenhänge mit dem HörsturzTinnitusauslöser zu bestehen (siehe
Abb. 2).
In einer differenzierten Datenanalyse untersuchten Gerhards et al.
(5) die prämorbide Stressbelastung
von 21 akuten Tinnitus- und Hörsturzpatienten (3 Wochen-Fenster;
81% sekundärer Tinnitus): Es fanden
sich im Vergleich zu einer teils konservativ, teils operativ behandelten
HNO-Patientengruppe ohne Tinnitus
weder abweichende Aspekte der Arbeitsbelastung, arbeitsbezogener
Anspannung/Nervosität, Stressanfälligkeit- bzw. -reagibilität, noch chronische Stressbelastung oder eine erhöhte Belastung durch kritische Lebensereignisse. Auch beim Vergleich
der Tinnitus-/Hörsturzbetroffenen,
die ihre Symptomatik auf erhöhte
Stressoren zurückführten (52%) mit
den Patienten, die die Fragen nach
Stressauslöser ihres Tinnitus/Hörsturz verneinten, ließ sich mit den
objektiven Fragebögen keine unterschiedlichen Stressniveaus belegen.
Die Autoren diskutieren ihre von
Hoffmeister (9), Neuser & Knoop (14)
sowie Schmitt et al. (17) abweichenden Befunde auch unter dem Aspekt,
dass Unterschiede in den Merkmalen
der verschiedenen Stichproben eine
Erklärung der Diskrepanz sein könnten. Sie fordern weiterhin dezidiert,
die Stress-Hypothese bei Hörsturz
weiter zu beforschen.
Abb. 2 Stress-Hörsturz-Modell (nach 17)
Andere Faktoren:
z.B. Konflikte
Lebensereignisse
Alltagsbelastung
Stress
Sich Sorgen,
Grübeln
Dysfunktionale
Stressverarbeitung
Hörsturz
Tinnitus
Biographische und aktuelle Konflikte sowie Sorgen und Grübeln sind entscheidende Wirkfaktoren auf die Alltagsbelastungen. Eine damit verbundene
dysfunktionale Stressverarbeitung gilt letztlich als Risikofaktor von Hörsturz
und Tinnitus
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Zusammenfassung
Die meisten der vorgestellten Arbeiten finden deutliche belegende
Hinweise, dass der Hörsturz in Zusammenhang mit Belastungen und
Stressoren steht; Hörsturzpatienten
insgesamt haben jedoch nicht unbedingt mehr Stress als andere Menschen und Stress führt auch nicht
zwangsläufig zum Hörsturz. Die Belastungen vor dem Hörsturz erscheinen lediglich chronifizierter und kritischer, gepaart mit deutlich belastenderen Alltagssorgen. Spezifische
Lebensereignisse, die für das Hörsturzgeschehen verantwortlich sein
könnten, wurden nicht herausgefunden. Vielmehr legen die empirischen Befunde ein komplexeres Modell der Hörsturzentstehung unter
Stress nahe: Der Hörsturz konstelliert vielmehr in einer komplexen
biographischen Situation bei Menschen mit eher guter bis sehr guter
Realitätsanpassung oft unter den Bedingungen beruflicher Belastung.
Wird eine solche Belastung ungenügend wahrgenommen bzw. verdrängt und trifft sie in auslösenden
Situationen auf eine biographisch
bedingte innere „Resonanz“, kann es
zu einem nicht mehr regulierbaren
Konflikt kommen. Dabei auftretende
Ohnmachtsgefühle, Wut- oder
Schuldgefühle münden, da nur unvollkommen integriert, in eine „vegetative Entgleisung“ mit der Folge
Hörsturz. Persönlichkeitsmerkmale,
wie sie beim Hörsturz gefunden
werden, sind unspezifisch, ähnliche
Charakteristika finden sich bei
Hochdruckpatienten (Aggressionshemmung), Blutspendern (soziale
Angepasstheit, Moralität), Kopfschmerz- und Migränepatienten
(Perfektionismus, hoher Anspruch
an sich selbst), sie bereiten jedoch
den Boden für die psychosomatische
Reaktion. Speziell für den Hörsturz
ist am ehesten eine vermehrte Sensibilität anzunehmen.
Bei Lamparter (12) war diese
Persönlichkeitseigenschaft zusammen mit dem Gefühl „alles zu viel,
ich kann es nicht mehr hören“ mit
einem erhöhten Rezidivrisiko verbunden (zweiter Hörsturz) und eine
testpsychologisch gefundene mehr
nach innen gerichtete Aggression
mit einem quälenden Charakter des
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unterschiedlichen Berufsgruppen:
Die höchste Häufigkeit von Hörstürzen (5%) wurde bei den 1.600 hessischen Hochschulprofessoren gefunden (Rücklaufquote etwa 60%) im
Gegensatz zu einer Hörsturzhäufigkeit von 3% bei den befragten Soldaten und weniger als 1% bei den befragten Jugendlichen. 12% der Hochschulprofessoren in Hessen gaben
chronische Ohrgeräusche an, die für
sie allerdings wenig belastend waren, 60% blieben auch nach dem
Hörsturz „tinnitusfrei“.
Bei der empirischen Überprüfung des Stressbewältigungsverhaltens fanden Kröger et al. (10) bei einer Stichprobe von 50 Hörsturz-Betroffenen der TU Aachen im Wesentlichen die Beobachtungen von Neuser (14) und Kropp & v. Rad (11) bestätigt: Die Untersucher eruierten
eine unterdurchschnittliche Selbstaufmerksamkeit sowie ungenügende Bewältigungsstrategien. Hörsturz-Patienten scheinen in Krisensituationen offenbar weniger mit intra- und interpersonellen Lösungsstrategien zu reagieren, sondern sich
mehr mit körperlichen Missempfindungen bis hin zu einem Hörsturzrezidiv zu äußern (Somatisierung).
In einer Untersuchung von
Schmitt et al. (17) wurden 40 Patienten mit akutem Tinnitus- und Hörsturz (10 Tagesfenster) bezüglich ihrer prämorbiden Stressoren, Alltagssorgen, Worrying (sich sorgen, grübeln), Stressbewältigung etc. mit
konservativ behandelten HNO-Patienten verglichen. Es fanden sich für
Schwerpunkt
Stress and sudden hearing loss
The literature on sudden hearing loss
suggests that this problem is correlated with various types of stress. However, patients with sudden hearing
loss overall do not exhibit more signs
of stress than other individuals, and
stress itself does not inevitably lead
to sudden hearing loss. On the other
hand, the stress factors preceding
sudden hearing loss appear to be
more chronic, more salient and are
compounded by more troublesome
daily hassles. Pertinent research was
not able to identify any specific life
events that would be correlated with
or causally related to sudden hearing
loss. However, empirical research
suggests a more complex stress model
for the time before the first occurrence of the problem: sudden hearing
loss afflicts individuals with good or
excellent reality adaptation who
experience a complex biographical
situation, often in combination with
difficult working conditions. If the
person fails to recognize the psychological nature of these stress factors
at work while experiencing at the
same time major private problems,
i.e. if problems at work “resonate”
with private issues, the existing inner
conflict is exacerbated and cannot be
regulated appropriately any more.
Feelings of helplessness, rage or guilt
are not integrated properly and lead
to a dysregulation of the vegetative
nervous system with the symptom of
sudden hearing loss. These patients
exhibit certain nonspecific personality characteristics that, on the one
hand, prepare the ground for a psychosomatic reaction, but, on the
other hand, can also be found in
other patient groups, e.g. in patients
with high blood pressure (inhibition
of aggressive impulses), individuals
who donate blood (social over-adjustment, moralism), patients with
headaches and migraine (perfectionism, high self-standards). Only an
increased level of sensitivity seems to
be specific to individuals with sudden
hearing loss.
Keywords:
sudden hearing loss – stress – daily
hassles – biography – psychosomatic
reaction
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chronischen Ohrgeräusches in der
Folge des Hörsturzes (5 Jahres-Katamnese). Bei einer Nachuntersuchung der Stichprobe von Schmitt et
al. (17) war von 33 bisher erfassten
Patienten nach drei Monaten bei
etwa der Hälfte der Tinnitus chronifiziert. Bei einer ersten Analyse erschienen das aktuelle Befinden im
Anfangsstadium, negative Stressbewältigungsstrategien, eine fatalistische Kontrollüberzeugung sowie die
Beeinträchtigung durch den Hörverlust bzw. den Tinnitus negative Prädiktoren für die Chronifizierung.
Ein Rezidivrisiko bis 40% (12)
und dekompensierter Tinnitus nach
Hörsturz implizieren daher eine
psychotherapeutische Konsequenz.
Die Untersuchungen und Erfahrungen der Autoren belegen eine hohe
Therapiemotivation der Hörsturzpatienten mit Tinnitus. Nicht zuletzt
verstehen Hörsturzpatienten Psychotherapie auch als Hörsturzprophylaxe. Sie stellen in der Klinik Roseneck die Patientengruppe mit der
höchsten Erfolgsquote, zumindest
bezüglich Abnahme ihrer Tinnitusbelastung, dar. Wie bereits v. Rad
(15) und Gerhards et al. (5) ausführen, erweist sich der Hörsturz
wie aus somatischer Sicht auch aus
psychosomatischer nicht als einheitliche Erkrankung, was weitere Forschungsarbeit erfordert.
Korrespondenzadresse:
Priv.-Doz. Dr. med. Gerhard Goebel
Facharzt für Psychotherapeutische Medizin
Facharzt für Innere Medizin
Chefarzt der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck
D-83209 Prien am Chiemsee
E-Mail:
[email protected]
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