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Review of World Chronicle of Nangis

2023, sehepunkte

Lewy’s Rezension von The World Chronicle of Guillaume de Nangis. Daniel Williman, Karen Corsano, The World Chronicle of Guillaume de Nangis. A Manuscript’s Journey from Saint-Denis to St. Pancras, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2020, XIV–238 p., 44 ill., 33 tabl. (Research in Medieval and Early Modern Culture, 28. Studies in Medieval and Early Modern Culture, 74), ISBN 978-1-5015-18713, EUR 94,95. Habent sua fata libelli wird zwar auf Bücher gemünzt, aber man kann es auch auf Handschriften anwenden, wie es aus dem vorliegenden Buch hervorgeht. Nicht viele mittelalterliche Handschriften haben das Glück eine eingehende Biografie wie die British Library MS Royal 13 E IV erhalten zu haben. Meistens sind es kunstgeschichtliche oder historisch bedeutsame Handschriften wie z.B. das Evangeliar Heinrichs des Löwen (1). Hier genießt der in der British Library vorliegende zehn Kilogramm schwere Kodex dieses Privileg das anderen 21 Kopien der gleichen Weltchronik versagt wurde. Um diesen Umstand zu begründen, bemühen sich das Forscherpaar Daniel Williman und Karen Corsano. Beide sind ausgewiesene Fachleute für Provenienzforschung von Handschriften. Ihr Buch ist in zwei Teilen gegliedert. Der erste Teil hat vier Kapiteln, die die Genese der Weltchronik behandelt. Er ist der methodische Teil. Der zweite Teil beinhaltet sieben Kapitel und kann als narrativer Teil beschrieben werden, der von einer bibliophilen Hingabe der Autoren geprägt ist. Ein Vergleich mit Christopher de Hamels Meetings with Remarkable Manuscripts bietet sich an, wobei Hamels Buch einem höheren literarischen Anspruch genügt. Einer Biografie entsprechend, beginnt ihr Buch im ersten Kapitel (3- 14) mit dem Geburtsort der Chronik in St. Denis und ihr historiografisches Wirken samt der Stellung des Autors Wilhelm von Nangis in der Schreibstube des Klosters. Das zweite Kapitel (15- 44) weitet die Familie der Handschriften im Vergleich zu der grundlegenden Arbeit von Léopold Delisle (2) von elf auf zweiundzwanzig aus. Standesgemäß haben die Autoren aufgrund eines Zensus aller ihnen bekannten Handschriften eine genealogische Tafel stemma codicum aufgestellt, die für jegliche weitere Forschung der Weltchronik von Nangis, einschließlich einer noch ausstehenden vollen Textausgabe, unabdingbar sein wird. Es wird darin zwischen der ersten Redaktion vom Jahr 1303 (vier Handschriften) und der zweiten Redaktion (achtzehn Handschriften) unterschieden. Das dritte Kapitel (45- 62) beschreibt den Besitzverlauf von zwölf Kopien der Weltchronik. Aneinandergereihte Fakten ergeben jedoch keinen historischen Zusammenhang. Das kurze vierte Kapitel (63- 68) ist nicht nur der technischen Beschreibung der Handschrift in BL gewidmet. Darin wird auch erklärt, wieso der Londoner Handschrift eine erweiterte Biografie gebührt. Der Anlass dazu ist ein Kunstgriff, der 1 frühestens seit 1275 in der Bibliothek der Sorbonne eingeführt wurde. Es ist die sogenannte dictio probatica (beweisführende Aussage), die ein Kennwort für jegliche ausgeliehene Handschrift mit einem besonderen Kennzeichen versieht. Zu jener Zeit ist die Kopiertätigkeit von gleichen Texten als Textbücher wegen des universitären Betriebes gestiegen sodass ausgeliehene Handschriften des gleichen Textes verschiedene Erkennungszeichen bedurften. Um einen Kodex wiederzuerkennen, wurde - wie eigentlich üblich - nicht das incipit im Ausleihregister benutzt, sondern der Beginn der zweiten Zeile im zweiten Folium (secundo folio), die individuell ausfiel im Ausleihregister benutzt, das sonst bei den gegebenen Handschriften immer gleichgeblieben wäre. Sie wurden durch den Anfang der zweiten Zeile im zweiten Folio (secundo folio) gekennzeichnet, die individuell ausfiel. Diese Praxis wurde im Mittelalter von großen Bibliotheken übernommen. Williman sammelte Fünfzig Jahre lang diese mittelalterlichen Ausleihregistern und digitalisierte sie zuletzt für seine Provenienzforschung (3). Die Krönung seiner Bemühungen erreichte Williman als er einen Kodex der lateinischen Weltchronik Nangis aus dem Kloster St. Denis im Inventar des bibliophilen Johann Herzog von Berry aus dem Jahr 1415 mit dem französischen Vermerk Chronique de France, en latin de lettre de forme, qui se commence au second feuillet: Tisetvocatum verglichen hatte mit der Katalogbeschreibung des Kodex MS Royal 13 E IV in der British Library, das folgende Vermerk hatte: Chron.G.de Nangis 2f tisetvocatum. Obzwar die beiden Erkennungszeichen nicht den gleichen Buchnamen trugen und daher früheren Forschern nicht auffielen, hat Williman den Kodex in London eigenhändig untersucht. Er stellte fest, dass es derselbe Kodex sei, dass 1415 Johann von Berry von St. Denis auslieh. Für den ausgewiesenen Experten der Provenienzforschung ein glücklicher Fund, dem sogar Delisle versagt blieb, als er nach allen in England befindlichen aus der Bibliotheque National gestohlenen, Handschriften suchte (Epilog 170- 173). Die Kapiteln Fünf bis Elf (71- 170) beschreiben nun ausgiebig und manchmal ermüdend die vielen Stationen der Handschrift und den historischen Ereignissen, denen sie vielleicht beigewohnt haben. Es ist ein literarisches Genre, das an die fiktive Novelle Ilya Ehrenburgs erinnert „Dreizehn Pfeifen“, die die moderne Geschichte Russlands anhand eines dreizehnfachen Besitzwechsels einer einzigen Pfeife beschreibt. Die Reise von St. Denis nach St. Pancras dauerte einige Jahrhunderte vom Herstellungsjahr 1304 durch den Schreiber Guillaume Lescot, durch etliche Besitzer bis 1998 als der Kodex in St. Pancras im neuen Gebäude der British Library landete. Der Autor musste auf Spekulationen in der 2 Reisebeschreibung des Kodex zurückgreifen, da er keine handfesten Beweise für das Schicksal der Handschrift zwischen den Jahren 1415 und 1525 finden konnte. Dieser fiktive Kunstgriff nimmt gerade in der Schlüsselfrage, wie der Kodex nach England gelangt ist, einen gewichtigen Stellenwert ein. Der Kodex ist erst in England um das Jahr 1525 mit dem Besitzvermerk des damals von Kardinal Wolsey in abseits gestellten Herzogs von Norfolk Thomas Howard belegt. Dass der designierte Kaiser Sigismund 1416 den voluminösen Kodex nach England brachte und der Kapelle des heiligen Georgs in Windsor vermacht hat, und die ihrerseits Thomas Howard den Kodex geschenkt habe, um Platz zu sparen, ist nirgendswo dokumentiert. Die Randnotizen Königs Heinrich VIII., der Nangis Chronik für historischen Präzedenzen von königlichen Scheidungen ausschlachtete, belegen die Präsenz des Kodex in der Privatbibliothek Heinrichs. Sie können für Forscher seiner Scheidungskampagnen von Interesse sein. Kurz nach dem Tod Heinrichs im Jahr 1547 wurde der Kodex in der königlichen Bibliothek registriert. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Giordano Brunos Aphorismus se non è vero, è molto ben trovato (wenn es nicht wahr ist, so ist es doch sehr gut erfunden) sich kaum in dem hier rezensierten Buch bewahrheitet. Mordechay Lewy, Bonn Anmerkungen: 1. 2. 3. Bernd Schneidmüller, Harald Wolter-von dem Knesebeck, Das Evangeliar Heinrichs des Löwen und Mathildes von England. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt, 2018. Léopold Delisle, „Mémoire sur les ouvrages de Guillaume de Nangis," Mémoires de l'Institut national de France 27 (1873) : 287-372. Williman Daniel and Corsano Karen, “Tracing provenance by Dictio probatoria,” Scriptorium, 53 (1999), 124-145. Empfohlene Zitierweise: Mordechay Lewy: Rezension von: Daniel Williman / Karen Corsano (eds.): The World Chronicle of Guillaume de Nangis. A Manuscripts Journey from Saint-Denis to St. Pancras, Berlin: de Gruyter 2020, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 12 [15.12.2023], URL: http://www.sehepunkte.de/2023/12/38280.htm 3