Zwięczyca 3.
Eine bandkeramische Siedlung am Wisłok
Von
Maciej Dębiec
unter Mitarbeit von Valeska Becker, Monika Dębiec, Danuta Makowicz-Poliszot,
Andrzej Pelisiak, Martin Posselt, Thomas Saile, Katalin Sebők und Anita Szczepanek
Rzeszów 2014
Zeichnungen:
Andriej Bardeckij, Maciej Dębiec, Monika Dębiec, Martin Posselt, Katalin Sebők
Deutsch von
Katarzyna Łyp, Thomas Saile und Werner Thar sowie den Autoren
Rezensent:
prof. dr hab. Sławomir Kadrow
Unterstützt mit Mitteln des Ministeriums für Kultur und Nationalerbe
Dofinansowano ze środków Ministra Kultury i Dziedzictwa Narodowego
ISBN 978-83-7667-185-7
Oficyna Wydawnicza
ZIMOWIT
INHALTSVERZEICHNIS
1.
2.
3.
4.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gang der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lage der Fundstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beschreibung der Befunde und
der „Kulturschicht“ samt einer
Analyse der Fundverteilung
(Maciej Dębiec, Monika Dębiec) . . . . . . . . . . . . . .
4.1. Beschreibung der Befunde und ihrer Inventare
samt einer chronologisch-kulturellen
Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2. Beschreibung der „Kulturschichten“ und
ihrer Inventare samt einer chronologischkulturellen Charakterisierung . . . . . . . . . . . . .
5. Analyse und Charakterisierung
der Besiedlungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1. Die Siedlung der Linienbandkeramik . . . . . .
5.1.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.2. Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.2.1. Langhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.2.2. Räumliche Analyse der Siedlung
der Linienbandkeramik . . . . . . . . . . .
5.1.3. Keramische Funde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.3.1 Gefäßformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.3.2 Verzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.4. Bükk-Keramik in Zwięczyca
(Katalin Sebők) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.4.1. Beschreibung der Funde und ihrer
Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.4.2. Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . .
5.1.5. Figürliche Funde aus Zwięczyca
(Valeska Becker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.6. Steinäxte der Linienbandkeramik . . . . . .
5.1.7. Relative Chronologie der
Linienbandkeramik . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.8. Die Siedlung von Zwięczyca im
Verhältnis zur bandkeramischen
Besiedlung Südost-Polens . . . . . . . . . . . . .
5.2. Die Siedlung der Malice Kultur . . . . . . . . . . .
5.2.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2. Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2.1. Räumliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.3. Keramische Funde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.4. Relative Chronologie der Malice Kultur . .
5.2.5. Die Siedlung in Zwięczyca im Vergleich
mit Siedlungen der Malice Kultur in
Südost-Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3. Die Siedlung der Lublin-Wolhynien Kultur . .
5.3.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5.3.2. Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.2.1. Räumliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.3. Keramische Funde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.4. Relative Chronologie der LublinWolhynien Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.5. Die Siedlung in Zwięczyca im Vergleich
mit Siedlungen der Lublin-Wolhynien
Kultur in Südost-Polen . . . . . . . . . . . . . . .
5.4. Die Siedlung der Tarnobrzeg-Lausitzer Kultur
5.4.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.2. Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.2.1. Räumliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.3. Keramische Funde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.4. Relative Chronologie der TarnobrzegLausitzer Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.5. Die frühmittelalterliche Siedlung . . . . . . . . . .
5.5.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.5.2. Das wannenförmige Objekt . . . . . . . . . . .
5.5.3. Keramische Funde . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.5.4. Relative Chronologie der
frühmittelalterlichen Funde . . . . . . . . . . .
5.5.5. Die Siedlung in Zwięczyca im Vergleich
mit der frühmittelalterlichen Besiedlung
Südost-Polens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.6. Neuzeitfunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.7. Brandgrab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.8. Radiokarbondatierungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.9. Zusammenfassung des Besiedlungsablaufes
6. Steinfunde (Andrzej Pelisiak) . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1. Beschreibung der Funde, die mittels
Silextechniken hergestellt wurden . . . . . . . . .
6.1.1. Materialien, die in Befunden der
Linienbandkeramik entdeckt wurden . . .
6.1.2. Silexgeräte aus bandkeramischen Gruben
6.1.3. Silexgeräte aus dem Befund der Malice
Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1.4. Funde aus den Befunden der LublinWolhynien Kultur, die mittels
Silextechniken hergestellt wurden . . . . . .
6.1.5. Funde, die mittels der Silextechniken
hergestellt und außerhalb der Befunde
entdeckt wurden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1.6. Analyse der Funde, die mittels der
Silextechniken hergestellt wurden . . . . . .
6.2. Felsgesteinmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2.1. Felsgesteinmaterial aus den Gruben der
Linienbandkeramik . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2.2. Steinfunde aus den „Kulturschichten“ . .
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7. Magnetometerprospektion auf der
bandkeramischen Siedlung von Zwięczyca
(Martin Posselt, Thomas Saile) . . . . . . . . . . . . . . .
8. Anthropologische Analyse der verbrannten
Knochen (Anita Szczepanek) . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Archäozoologische Analyse
(Danuta Makowicz-Poliszot) . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.2. Das Knochenmaterial der Linienbandkeramik
9.3. Das Knochenmaterial der Malice Kultur . . . .
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9.4. Das Knochenmaterial der Lublin-Wolhynien
Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.5. Das Knochenmaterial aus dem
Frühmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.6. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12. Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13. Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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signifikant während der Želiežovce-Phase, und Bükk Material erscheint gewöhnlich in diesem kulturellen Kontext
(Godłowska 1986, 93–94; Šiška 1995, 8, 13).
In jedem Falle ist die Anwesenheit von zwei Gesichtsgefäßen in Zwięczyca von außerordentlichem Interesse, da
solche Gefäße üblicherweise das engere Verbreitungsgebiet
der Bükk Kultur nicht verlassen (siehe Šiška 1995, Abb. 3:
1–20, 4: 1–32), was darauf hindeutet, dass grundsätzlich
der Typ Gesichtgefäß hat nicht die Funktion, die machten
– gelegentlich oder regelmäßig – die repräsentative Gefäße der Bükk Kultur ein Teil der Austauschnetzwerk von
speziellen Waren und Materialien.
zur Verteilung und Zeitspanne des Kulturkontaktes unsinnig erscheinen. Alle untersuchten Gefäßfragmente gehören in die frühen und klassischen Phasen der Bükk Kultur.
Analogien zu den beiden Gesichtsgefäßfragmenten legen
nahe, dass sie aus dem Verbreitungsgebiet der Bükk Kultur im inneren Karpatenbecken stammen.
Unter Berücksichtigung der bekannten Silex-Vorkommen des Bereichs5, der Hinweise auf ihre mutmaßliche
Exploitation und der Verbreitung von Steinmaterialen aus
diesen Rohrstoffen sowie von kontemporäre Siedlungen
der Bükk Kultur und der in Nachbarregionen gelegenen
Plätzen mit Bükk-Importen (Abb. 21) wird offenbar, dass
die Gefäße aus Zwięczyca auf den Wegen des transkarpatischen Silex-Austauschnetzwerkes transportiert wurden.
Möglicherweise dienten die verzierten Bükk-Gefäße als
Behälter verschiedener Produkte oder gar als zusätzliche
„Paraphernalien” verwendet in den Akten der Austausch.
Zwięczyca scheint Teil des Austauschnetzwerkes gewesen
zu sein, das vornehmlich auf zwei Richtungen orientiert
war: Einerseits belegt die Anwesenheit von jurassischem
Flint in den Steinmaterial des Siedlungs Kontakte mit der
Krakauer Region, andererseits verweisen die ObsidianArtefakte auf Beziehungen mit dem innerkarpatischen
Slanské-Hügel/Tokaj-Gebiet. Aus den Besonderheiten dieser Kontakte, der Verbreitung der Silex-Rohmaterialien
und den drei Konzentrationen zeitgleicher Siedlungen mit
echte Bükk-Importen in den Regionen Krakau, Rzeszów
und Sandomierz (Godłowska 1986, Abb. 1; Šiška 1995, 13)
ergeben sich zwei nicht-exklusive Transportrouten. Der
Kontakt mit dem Slanské-Hügel/Tokaj-Gebiet kann direkt
über die Nebenflüsse von Ondava und Laborec sowie die
Karpatenpässe südlich von Rzeszów bestanden haben. Es
besteht auch die Möglichkeit einer indirekten Verbindung,
das Obsidian erreicht das Gebiet von Krakau vermutlich
über die Zips (Šiška 1995, 13; Soják 1998, 109), wo erst
umverteilt und dann gemeinsam mit jurassischem Flint in
die Gebiet von Rzeszów im Osten transportiert wird. Die
hohe Zahl importierter Gefäße in Zwięczyca spricht für
die Möglichkeit eines direkten Kontaktes (wobei allerdings
der Umfang des geborgenen Fundmaterials vergleichend
zu berücksichtigen ist): von den 28 gleichzeitigen Fundstellen mit Bükk-Importen im südlichen Polen sind insgesamt etwa 70 Gefäßfragmente bekannt, davon allein 11
aus Krakau–Nowa Huta 62 (Godłowska 1976, Abb. 59;
1982, 155; Šiška 1995, 13). Die Anwesenheit importierter
Gefäße bereits in der Bandkeramik stützt diese Vorstellung.
Erste spärliche Kommunikationsspuren zwischen Siedlungen der Bükk Kultur aus der Zips mit Siedlungen im südwestlichen Polen datieren in die jüngere Notenkopf-Phase
(Godłowska 1986, 93). Die Intensität der Kontakte steigt
5.1.5. Figürliche Funde aus Zwięczyca
(Valeska Becker)
Anthropo- und zoomorphe Figurinen und andere figürliche Funde können einen Einblick in Glaubensvorstellungen und rituelle Handlungen in der Linienbandkeramik
ermöglichen. Bislang stammen aus dem Verbreitungsgebiet
der Linienbandkeramik etwa 270 anthropomorphe Figurinen. Damit nimmt sie eine Mittlerstellung in Europa ein,
was das Auftreten dieser Fundgattung betrifft: Die weiter
westlich und südlich verbreiteten Erscheinungen des Impresso-Cardial-Kreises kennen keine oder kaum anthropomorphe Figurinen, während die zeitgleiche Vinča Kultur als
sehr reich in Bezug auf figürliche Funde zu bezeichnen ist.
Auch in Zwięczyca kamen entsprechende figürliche
Objekte zutage (Abb. 22). Es handelt sich dabei um eine
fragmentarisch erhaltene anthropomorphe Figurine und
drei weitere, stärker beschädigte Keramikobjekte, die möglicherweise ebenfalls figürlich zu deuten sind.
Das Bruchstück der sicher ansprechbaren Figurine
(Abb. 22: 1) stammt aus dem oberen Bereich von Längsgrube 36. Anhand der Keramik, mit der es vergesellschaftet
war, ist eine Datierung für das Ende der Notenkopfphase
bzw. den Beginn von Želiezovce I wahrscheinlich.
Es handelt sich um ein 7,1 cm hohes und 4,9 cm breites Fragment einer anthropomorphen Figurine. Erhalten ist
der untere Rest des Gesäßes, der Hüftbereich, der Ansatz
des rechten und ein etwas größerer Rest des linken Beines.
Die Beine wurden offenbar aneinander anhaftend modelliert. Oberkörper, Kopf, Arme und Füße fehlen und kamen
in der Siedlung auch an keiner anderen Stelle zutage. Das
Stück ist unverziert. Ursprünglich dürfte es sich um eine
stehende anthropomorphe Figurine von geschätzt ca. 20 cm
Höhe gehandelt haben (vgl. hierzu Becker 2011, 82–83).
Für die Interpretation anthropomorpher Figurinen
ist die Betrachtung von Geschlechtsmerkmalen von Bedeutung, weil früher häufig die Deutung der Stücke als
Objekte eines Fruchtbarkeitskultes favorisiert wurde (z.B.
Kaufmann 1989, 113–114). Aus der Zeit der Linienbandkeramik sind sowohl männliche als auch weibliche Figurinen bekannt geworden, wobei männliche Stücke bislang
nur durch ein Exemplar aus Zschernitz eindeutig belegt
sind (Stäuble 2004). Etwa ein Drittel aller anthropomor-
5
Es gibt in diesem Bereich keine Beweise für Salzgewinnung im
Kontext der mitteleuropäischen Jungsteinzeit, durch die Analyse der
räumlichen und zeitlichen Beziehungen der Importmaterialien von
Zwięczyca die Lage der Salzreserven und des möglichen Exploitationspunktes waren nicht berücksichtigt.
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Abb. 22. Fragmente anthropomorpher Figurinen der Linienbandkeramik aus Zwięczyca. 1 – Befund 36. 2–4 – Kulturschicht.
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phen Figurinen der Linienbandkeramik ist durch Brüste,
ein geritztes Schamdreieck oder eine durch einen Einstich
angedeutete Vagina als weiblich gekennzeichnet (vgl. Becker
2011, 91–93). Zwei Drittel der Funde dagegen lassen sich
nicht eindeutig als männlich oder weiblich klassifizieren
und sind geschlechtsneutral gebildet, entweder, weil der
Darstellung des Geschlechts keine besondere Bedeutung
zugemessen wurde oder weil es umgekehrt ein Tabu in Bezug auf die detaillierte Wiedergabe von Geschlechtsmerkmalen gab. Die Figurine aus Zwięczyca (Abb. 22: 1) reiht
sich in die Vertreter ohne Geschlechtsmerkmale ein. Der
Hüftbereich ist erhalten, doch kennzeichnet kein Merkmal
das Stück als weiblich oder männlich.
Auffällig ist schließlich der stark fragmentarische Erhaltungszustand der Figurine (Abb. 22: 1) aus Zwięczyca.
Unzweifelhaft kommen die wenigsten Funde des Neolithikums unzerstört zutage, besonders, was die Gefäßkeramik betrifft, doch die Fragmentierung vieler Figurinen
der Linienbandkeramik mutet insofern seltsam an, als
Brüche an massiven Stellen, etwa der Längs- oder Querachse, auftreten und offenbar nur absichtlich erfolgt sein
können. Auch die Brüche an der Figurine aus Zwięczyca
deuten auf eine Absicht bei der Zerstörung des Stücks hin.
Im Hüftbereich misst sie fast fünf Zentimeter und ist doch
nahezu horizontal zerbrochen; auch die ungleiche Zerstörung der Beine wirkt gewollt.
Bei der Betrachtung von Figurinen des kulturellen
Phänomens Starčevo-Körös-Criş, das der Linienbandkeramik vorangeht, fällt das gleiche Prinzip der offenbar bewusst herbeigeführten Zerstörung auf (vgl. Becker 2011,
173–175). Hier treten gar Figurinen auf, die aus einzelnen,
nicht fest miteinander verbundenen Teilen gefertigt wurden
und somit leicht zu zerbrechen waren. Dies deutet darauf
hin, dass die Zerstörung der Figurinen Teil ihres Nutzens
war und somit einen Hinweis auf ihre Bedeutung geben
kann. Möglicherweise kann, zumindest für die Linienbandkeramik, eine Verbindung zum Totenritual gezogen
werden, das neben „regulären“ Bestattungen auf Gräberfeldern auch Teilbestattungen (z.B. in Form von Schädeldeponierungen in Siedlungen oder der „Entsorgung“ von
Skelettelementen in Höhlen, etwa der Jungfernhöhle bei
Tiefenellern: Orschiedt 1999) oder die postmortale Manipulation und absichtliche Fragmentierung von Knochen
kennt, wie sie z.B. in Herxheim beobachtet werden kann
(Zeeb-Lanz 2011).
Die Deponierung der Figurine aus Zwięczyca (Abb.
22: 1) erfolgte in der Längsgrube 36, wo sie offenbar als
Teil regulären Abfalls niedergelegt wurde. Nur selten lassen
sich für die Linienbandkeramik besondere Deponierungssituationen für anthropomorphe Figurinen beobachten.
Besonders Längsgruben lieferten dabei interessante Beifunde. So entdeckte man in der Längsgrube eines bandkeramischen Hauses aus Adldorf, Niederbayern, neben dem
Fragment einer anthropomorphen Figurine auch zahlreiche
Keramikfragmente, Silexartefakte und ein Steinbeildepot
in Form eines Rohlings, des Halbfabrikats eines Flachbeils
und eines Schuhleistenkeils (Husty 2000). In Ulm-Eggingen
war das Fußfragment einer anthropomorphen Figurine in
einer Längsgrube mit Silexartefakten, Keramikfragmenten,
Sandsteinen, Flachhacken, Schuhleistenkeilen, einem Hitzestein, Rötelstücken und dem Fragment eines Miniaturgefäßes vergesellschaftet (Kind 1989, 140, 477–478). Und
auch die Längsgrube eines Hauses aus Frankfurt-Niedereschbach enthielt neben dem Kopf einer anthropomorphen
Figurine besondere Objekte, so ganz erhaltene Gefäße, Silexartefakte, Tierknochen, gebrannten Lehm, Holzkohle,
verschiedene Gerölle und einen Mahlstein (Hampel 1989,
151–154). Die Aufzählung verdeutlicht, dass durchaus „besondere“ Befunde in bandkeramischen Siedlungen vorliegen, die jedoch möglicherweise nicht immer als solche erkannt werden. Manche Ensembles könnten absichtsvolle
Niederlegungen oder Deponierungen bzw. Überreste religiöser Handlungen darstellen. Eine Unterscheidung zu
regulärem Siedlungsabfall ist jedoch im Einzelfall kaum
möglich. Wie S. Hansen richtig feststellte, liegt derzeit keine Methode vor, um etwa sakralen von profanem Abfall
(Hansen 2001, 38).
In aller Kürze sei schließlich auf die drei weiteren,
möglicherweise als figürlich anzusprechenden Objekte aus
Zwięczyca eingegangen (Abb. 22: 2–4). Es handelt sich dabei um im Querschnitt rundliche Keramikfragmente, die
zwischen 3,9 und 5,5 cm messen. Es könnte sich dabei um
Beine anthropomorpher Figurinen handeln. Dies ist besonders für ein im Querschnitt eher ovales Stück wahrscheinlich (Abb. 22: 2), das im oberen Bereich eine Verzierung
aus rundlichen Eindrücken aufweist. Denkbar ist jedoch
auch eine Ansprache als Teile von Löffeln, Gefäßfüße oder
Ähnliches. Nachdem die Stücke aus einer Kulturschicht
stammen, die zudem Keramikfragmente der Malice- und
der Lublin-Wolhynien Kultur enthielt, ist auch ihre chronologische Zuordnung mit Unsicherheiten behaftet.
Die Deutung anthropomorpher Figurinen der Linienbandkeramik ist nach wie vor umstritten und umfasst
eine Interpretation als Ahnen (z.B. Lüning 2005; Petrasch
2002) ebenso wie als Substitutionsopfer oder Objekte der
Erinnerung (Becker 2011, 343–344). Auch der Zusammenhang mit dem Totenritual ist verschiedentlich hergestellt
worden (z.B. Hofmann 2012). Die Figurinen aus Zwięczyca
reihen sich in das immer noch rätselhafte, unklare Bild der
religiösen Vorstellungen der linienbandkeramischen Menschen ein, deren Teil sie unzweifelhaft sind.
5.1.6. Steinäxte der Linienbandkeramik
In Zwięczyca wurden zwei Gegenstände, die man für
Steinäxte halten könnte, entdeckt. Diesen Funden wurde
eine separate Veröffentlichung gewidmet (Dębiec, Dzbyński
2006b). In beiden Fällen sind sie nur zur Hälfte erhalten
geblieben. Der erste Fund wurde im Befund Nr. 36 auf
dem Boden in einer dessen Vertiefungen entdeckt (in ca.
190–200 cm Tiefe von der Erdoberfläche) (Taf. 120). Außer
diesem beschriebenen Gegenstand wurden auch ein Beil
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