LAJOSKOZMA,EINARCHITEKTDERUNGARISCHENMODERNE
vonBélaRásky(Wien,Budapest)
Rezensionvon:Horányi,Éva(Hg.):
KozmaLajosmodernépületei.
ModernbuildingsbyLajosKozma.
Budapest:TERC2006,254pp.
Seite125|01|2007
ReinarchitekturhistorischgesehengiltBudapestalsdieEndedes19.JahrhundertsmitNew
YorkerTemporasantineinemStilerrichtete,historistischeStadtschlechthin.Übersehenwird
dabeiinderRegel,dassinden1930erJahren,ineinerzweiten(bzw.dritten)GründerzeitweitereStadtviertel,diesmalimsachlichen,»modernen«StilausdemBodengeschossensind:Ob
im Bauhaus-Stil oder nicht, war schon damals eine große Streitfrage unter den Architekten
selbst. Die im Norden von Pest gelegene Neu-Leopoldstadt und das Quartier Lágymányos
in Südbuda wirken dabei, obwohl eher peripher gelegen und – was soziokulturelles oder
städtisches Milieu anbelangt – Welten voneinander entfernt, oft großstädtischer als das
eigentliche Budapester historische und touristische Zentrum. Dieses architektonische Erbe
warimungarischenBewusstseingrößtenteilsverschüttetbzw.durchdiefälschlicherweiseals
»sozialistisch-realistisch« gebrandmarkte funktionale – und gar nicht hässliche, oft einfach
nur schlecht gebaute – Moderne der 60er Jahre sowie durch die organische, biologistische
Architekturder80erJahrelangeZeitvollkommendiskreditiert.ErstinjüngsterZeitsetzteine
Renaissance dieser Stilrichtung durch den Bau profitabler Wohnparks, größtenteils »gated
communities«inmondänenStadtteilenundinderAgglomerationein,unddiePozsonyiútin
Neu-Leopoldstadtgiltinzwischen(wieder)alseinederteuerstenPesterImmobilienmeilen.
Eine Ausstellung im Budapester Kunstgewerbemuseum (Iparművészeti Múzeum) über
Lajos Kozma (1884-1948), einen der bedeutendsten Bauhaus-Architekten der 1930er und
1940erJahre,sowiederdazugehörende,vonÉvaHorányiherausgegebeneBegleitbandversuchennun,seinWerkmitfrischenFragestellungenneuzuentdecken.Vorabversuchtaberdas
VorwortvonAndrásFerkai,einemderMentorendesBudapesterTERCVerlags,dersichzum
Ziel gemacht hat, das architektonische Erbe Budapests zu dokumentieren, v.a. einmal die
SinnhaftigkeiteinessolchenProjektsabzuklären,istdochKozmamitmehrerenMonografien,
Bildbänden, Ausstellungen und wissenschaftlichen Beiträgen einer der bestdokumentierten
ungarischenArchitektenderModerneüberhaupt.FerkaifragtdaherzuRecht,wasderMehrwert einer neuen Präsentation desWerkes von Kozma – über eine Zusammenfassung und
ErweiterungdesverstreutenNachlasseshinausgehend–seinkönne.DieRevisiondesgängigenBildesistdabeisicherlicheinAspekt,aberdarüberhinausstelltdasVorwortdochauch
einige andere wesentliche Fragen an dasWerk selbst: Den Kunsthistoriker interessieren, so
Ferkai,heutewenigerStilfragen,eherdieUmständederEntstehungeinesWerkes,seiendiese
wirtschaftlicher, finanzieller, gesellschaftlicher oder kultureller Natur: Wie war der Kontakt
zwischen Planer und Auftraggeber gewesen, wie kamen sie zu Kozma, warum wählten sie
geradeihnaus,mitwelchenBedürfnissenundIdealensuchtensieihnauf,wieschaffteeres
diesezubefriedigen,welcheIdealespiegelndieKozma-Bautenwiderundwieließessichin
ihnenleben?Dazumüssten–soFerkai–natürlichvieleundauchneueQuellenherangezogenwerden–dieKolumnenderGesellschaftsblätter,Familienalben,ErinnerungenvonZeitgenossenundNachfahren,oralhistory.AllesinallemeinhoherAnspruchandenBand.
Das im sorgfältig dokumentierten Einleitungsartikel gerafft dargestellte Schaffen von
LajosKozma(dessenPorträtaufdenerstenSeitendesBuchesaneinenSchauspielerineinem
der zahlreichen ungarischen »screw-ball comedies« der 30er Jahre erinnert) widerspiegelt
gleichzeitig auch die Geschichte Ungarns im 20. Jahrhundert: Nach seiner Ernennung zum
Lehrstuhlinhaber am Institut für Architektur während der ungarischen Räterepublik 1919
wird Lajos Kozma in der Horthy-Diktatur aus der Architektenkammer ausgeschlossen, seine
Arbeit–zumindestwasAufträgederöffentlichenHandbetrifft–mehrundmehru.a.durch
die»Judengesetze«behindert.Nach1945kurzfristigzueinem»sozialdenkenden«Architekten
umstilisiert,geratenaberseineArbeitennach1948imSinnederDoktrindessozialistischen
RealismuswiederinsKreuzfeuerderKritik,indessenGefolgeKozmazueinemwilligenVollstreckerdesGeschmacksder»liberalenBourgeoisie«abgetanwird.SeineBautenwerdenim
RahmenderexzessivenWohnraumbeschaffungsmaßnahmender50erJahre,inderenVerlauf
seinegroßbürgerlichenAppartementsundVillenzuverwinkelten,unfunktionalenKleinwohnungenumgebautwerden,auchnochbaulichundästhetischverunstaltet.
Aber auch nach Kozmas Tod 1948 blieb die Rezeptionsgeschichte Kozmas in höchstem
Maßepolitisiert:AlleinderauchvonihmselbstgepflegteMythosderpolitischenVerfolgung
lässt sich angesichts der Fülle der Aufträge in den 1930er Jahren heute nicht mehr wirklich
http://www.kakanien.ac.at/rez/BRasky1.pdf
LAJOSKOZMA,EINARCHITEKTDERUNGARISCHENMODERNE
vonBélaRásky(Wien,Budapest)
aufrechterhalten,spiegeltvielmehrdiepolitischeWidersprüchlichkeitdesganzenHorthy-Systemswider.SelbstdiegängigeBehauptung,dassöffentlicheAufträgeinderRegelanregimetreueKreise,diefinanzkräftigenprivatenanmodernistischeGruppenergingen,wirdvonden
AutorendesBandesvorsichtiginFragegestellt,zumTeilrevidiert.SelbstnachderVerabschiedungdessog.»ZweitenJudengesetzes«,dasbereitseindeutigrassistischwar,konnteKozma
offensichtlichweiteraktivbleiben–auchwennersichindieserZeitmehrseinenarchitektur-
unddesigntheoretischenPublikationenwidmete.1944gelangesihm,unterzutauchenundso
demsicherenTodzuentkommen.
Fast durchgängig stellen aber alle Autoren des Bandes eindeutig klar, dass Kozma wohl
kaum als ein sozial oder gesellschaftlich sensibler Architekt bezeichnet werden kann: Als
AuftragnehmerfinanzkräftigerKapitalkreisestandhinterKozmasbaulicherVorstellungwenigsozialerInhalt,vielmehrdasKonzepteinerradikaldurchkomponiertenModerne–wobei
sichauchhierjenachAuftraggeberWidersprüchlichkeitenergaben,wennz.B.dieInnenraumgestaltung Kozmas aufWunsch des Auftraggebers in das Design von neobarocken Einrichtungsgegenständenabdriftete.
BudapestwarjanieWien,wonach1918derWohnbauwegendesstrengenMieterschutzes
einekommunaleunddamitnichtprofitableSachewar:InBudapestwarderWohnungssektor,
ja die ganze Stadtentwicklung – nicht einmal den Bauboom der Stadt in der Gründerzeit,
als der Közműtanács alles regulierte, ausgenommen – eine Sache des Profits. Auch Kozmas
WerkistsonurvordemHintergrundderrenditeträchtigenUrbanisierungderzudieserZeit
nochweitgehendendörflichenBudaerSeiteundderSuburbanisierungderBudaerBergezu
verstehen (die Suburbanisierung der Pester Seite ging, anders als in den westeuropäischen
MetropolenderZeit,mitderProletarisierungderVorstädteeinher).
AberauchhinterdenWohnpalästendesProletariatsinWienstandnichtsosehreinneues
soziales und wohnkommunikatives Konzept, als vielmehr die Notwendigkeit einer raschen
und möglichst funktionalen Wohnraumbeschaffung. Und hinter der Stuttgarter Weißenhofsiedlung oder derWienerWerkbundsiedlung stand genauso wenig ein soziales Konzept
wie im Fall der Siedlung in der Napraforgóstraße in Buda, an der Lajos Kozma wesentlich
beteiligtwar,sonderneherdiearchitektonische»Modernisierung«deransichkonservativen
Gartenstadt-und»ArtsandCrafts«-Bewegung.AlleinwarumeinliberalesWienerBürgertum,
imGegensatzzumBudapester(oderPrager),inden30erJahrenkeinevergleichbaremoderne
Villenarchitekturaussichherausentstehenlassenundfinanzierenkonnteoderwollte,bleibt
eineoffeneFrage,dieaberzubeantwortensicherlichnichtdieAufgabediesesBandesist.
LajosKozmawarabernichtnurArchitekt,sonderngewissermaßeneingestalterischerKomponistseinesganzenWerkes,daserimmerals»Gesamtkunstwerk«sah:BiszumletztenNagel
war in seinen Häusern alles durchgestaltet und durchkonzipiert, für die Individualität der
BewohnergabeswenigRaum.Selbstdie(Re-)Präsentation,diefotografischeInterpretation
seinerBautenüberließernichtanderen,zelebriertesiebiszumÄußersten:SelbstZeitungen,
diescheinbar»zufällig«herumlagen,warenaufdiesenFotosgewolltgesetzteZeichen.
SpätestenshierzeigtsichdanndochaucheinMangeldesBandes:Dennvielederinder
EinleitunggestelltenFragenbleibenunbeantwortet,Versprechungenuneingelöst.Solassen
sichz.B.indem254Seitenumfassenden,reichillustriertenBandnichtwirklichFotosfinden,
die zeigen würden, wie tatsächlich in diesen Villen und Wohnungen gewohnt und gelebt
wurde.DieangekündigtenAlltagsaufnahmenausprivatenAlbenfehlengrößtenteils,inder
überwiegendenMehrzahlsindsieDarstellungenderexaktkomponiertenKozma’schen»Idealbilder«.InsgesamtkanndiesaberdenVerdienstdesBandeskaumschmälern,genausowenig
wiedieFehlerbeideutschsprachigenZitatenundArtikelnimwissenschaftlichenApparat.
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