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Leonardo da Vinci

2020, Kunstbulletin

Leonardo da Vinci Paris —— Mit einem Blockbuster begeht der Louvre den 500. Todestag des RenaissanceKu"nstlers: Es gibt bereits 550’000 Reservierun— gen online. Doch was sagt Leonardo da Vinci der aktuellen Kunst? Vor allem etwas über den begehrenden Blick. Gleich zu Beginn rufen Studien von Faltenwürfen die bereits von Aby Warburg ausgemachte «brise imaginaire» auf. Der vorgestellte Luftzug bringt vermeintlich Leben ins unbewegte Bild. Im Louvre vermitteln Leonardos Falten nicht nur, wie Vitalität im Bild als seelische Bewegung beim Publi— kum entsteht, sondern auch eine organische, fleischige Anmutung. Während des Rundgangs wird deutlich, wie sehr dieses Werk von einer Textur des Begehrens getragen wird. Leonardos Bilder repräsentieren nicht, sie sind Körper. Seine Zeitgenossen — mit Marco d’Oggiono oder Giovanantonio Boltraffio bietet die Schau nicht die Geringsten auf — malten, was gesehen werden soll. Der 1519 in einem ihm zur Verfügung gestellten Schloss an der Loire mit 67 Jahren verstorbene, zu diesem Zeitpunkt in Italien an den Rand gedrängte Leonardo gibt dem Blick zu lesen, was gesehen werden will. Erinnern wir uns an seinen Rat, einen farbgetränkten Schwamm gegen die Wand zu werfen, um in den Zufallsgebilden Landschaften, Gesich— ter, Figuren zu erblicken. Die <Landschaft des Arnotals>‚ am 5. August 1473 ausgeführt, zeigt mehr als solche Projektionen. Sie bietet sich mit fleischigen Hügeln dar. Leonardos Gemälde rufen körperliche Reaktionen hervor, wie sonst erotische Darstellungen. Bei <Anna Selbdritt>, Highlight der Ausstellung, wird das anhand von Detailstudien deutlich. Eine davon formt deren rechtes Bein lustvoll aus den Mantelfalten. Solch höchst aktueller Einsatz des getriebenen Blicks entgeht der reduktionistischen Ausstellungsthese, Leonardo habe Naturstudien nur für die Malerei unternommen. Bedauerlich, dass die gezeigten Schriften, jeglicher Übersetzung und wissenschaftlicher Einordnung entbehren. Die mit Infrarotkopien überladene Schau setzt im Blockbuster-Format selbst Leonardo als VerführungskÜnstler ein. Durch seine Werke erscheint er als Meister der Scopo— philie, der vereinnahmenden Lust des Sehens. Sie treibt heute Millionen in Museen und vor Handybildschirme. Im schelmischen Blick des Johannes, im ironischen Ausdruck der Anna, im berückenden Sfumato der Belle Ferronnière, oder im undefinierten Lächeln der Mona Lisa sagt uns Leonardo heute: Anziehende Verführung ist Mittel der Kunst —Vorsicht ist geboten, wenn sie deren einziger Zweck wird. JES Léonard de Vinoi < Studie fu'r die Heilige Anna, um 1507—151023x 24,5 cm. RIVIN—Grand Palais (musée du Louvre). Foto: Miche! Urtodo Léonard de Vinci - Anna Selbdritt. um 1503s 1619, Öl auf Holz, 168,4x1 13 cm, RMN—Grand Palais (musée du Louvre). Foto: R. G. Oje’do —> Louvre. Hall Napoléon, bis 24.2.; nur mit Re— servation: Z ticketlouvre.fr 7 www.louvre.fr HINWEISE // PARIS 63