Der Lettner im Breisacher Münster. Foto: Martin Hau / Münsterbauverein Breisach e.V.
Hans von Nussdorf
und der Breisacher Lettner
Hans von Nussdorf
Von Anne-Christine Brehm
Abb. 1: Steinmetzzeichen am
Breisacher Lettner. Rückseite, Südost.
Foto: Martin Hau.
Abb. 2: Martinsturm des Basler Münsters,
unteres Oktogon mit Kopfkonsole.
Foto: Anne-Christine Brehm.
Am spätgotischen Lettner des Breisacher Münsters haben
mehrere Steinmetze ihre Zeichen hinterlassen. Auf der
rechten Seite, an dem Pfeiler auf der Rückseite, findet sich
ein Zeichen, das sich von den anderen Steinmetzzeichen
deutlich unterscheidet (Abb. 1). Es ist größer als die anderen am Lettner angebrachten Steinmetzzeichen und lässt
deshalb auf eine größere Bedeutung dieses Steinmetzen
schließen; auch seine Lage, gut sichtbar in Augenhöhe,
hebt es von den anderen Steinmetzzeichen ab.
unser Münster Nr 51
Abb. 3: Steinmetzzeichen und Kopfkonsole
am Martinsturm des Basler Münsters.
Foto: Anne-Christine Brehm.
Dasselbe Zeichen, wenn auch in gespiegelter Form, befindet sich am Martinsturm des Basler Münsters. Neben
der Wendeltreppe, die zum unteren Turmoktogon führt,
unterhalb eines der Turmpfeiler, ist eine Kopfkonsole mit
Spruchband eingefügt. Die Konsole ist im Verbund mit
dem Türsturz der Wendeltreppe gefertigt – beides ist aus
einem einzigen Stein gehauen (Abb. 2). Im Türsturz ist ein
Steinmetzzeichen angebracht, das demjenigen in Breisach
bis auf den Unterschied einer Spiegelung genau entspricht
(Abb. 3).
Abb. 5: Kanzel im Basler Münster.
Historische Fotografie.
Bildarchiv, Institut für Baugeschichte KIT
Abb. 4: Detail Fialenhelm und Konsolen am
Breisacher Lettner.
Foto: Martin Hau.
Das Spruchband unter dem Kopf des Mannes war sicherlich für eine aufgemalte Inschrift gedacht; Hinweise auf
eine ursprüngliche Fassung konnten jedoch nicht gefunden werden1. Das Bildnis wird in der Forschung allgemein
als Selbstportrait des Basler Münsterbaumeisters Hans
von Nussdorf gedeutet2. Die Identifizierung der „Konsolfigur am Achteck des Martinsturmes“3 mit Hans von Nussdorf geht auf Karl Stehlin zurück, der auf der ersten Seite
seines Beitrags in der Festschrift zur Erinnerung an Basels
Eintritt in den Bund der Eidgenossen ein Foto der Konsole
mit der Bildunterschrift „Hans von Nussdorf “ abbildete4.
Hans von Nussdorf war spätestens ab 1472 als Parlier
(Stellvertreter des Baumeisters) in Basel tätig. Ein „Johannes de Constancia“ ist in diesen Jahren als Stellvertreter
des Baumeistes belegt5. 1475 wurde der damalige Baumeister Vincenz Ensinger in Basel entlassen, und der ehemalige Stellvertreter Hans von Nussdorf konnte ihm spätestens 1477/78 als Münsterbaumeister nachfolgen. Hans von
Nussdorf vollendete den Martinsturm des Basler Münsters, schuf das Eingangsportal zum Turm und die Kanzel
im Münsterinneren; auch arbeitete er im Kreuzgang und
der Krypta6.
Außer am Basler Münster war er ab 1480 auch am Bau
der Leonhardskirche in Basel beschäftigt und übernahm
den Bau eines Chores der Kirche von Delsberg; er nahm
also auch Baustellen außerhalb Basels und außerhalb seines Aufgabengebietes als Basler Münsterbaumeister an7.
Unter seinen Baumeisterkollegen genoss Hans von Nussdorf wohl einen ausgezeichneten Ruf: 1497 wurde die
Versammlung der Steinmetzbruderschaft in Basel durch
Sladeczek, Franz-Josef: Meister im Zwiegespräch. Das Künstlerbildnis Hans
Nussdorfs am Martinsturm. In: „mit gantzem fliss“. Der Werkmeister Hans
Nussdorf in Basel. Hrsg. von Doris Huggel und Daniel Grütter. Basel , S. .
Sladeczek, Franz-Josef: Meister im Zwiegespräch. Das Künstlerbildnis Hans
Nussdorfs am Martinsturm. In: „mit gantzem fliss“. Der Werkmeister Hans
Nussdorf in Basel. Hrsg. von Doris Huggel und Daniel Grütter. Basel , S. ;
S. , Anm. .
Stehlin, Karl: Baukunst. Bildhauerei. In: Festschrift zum vierhundersten Jahrestage des ewigen Bundes zwischen Basel und den Eidgenossen. Basel, ,
S. .
Stehlin, Karl: Baukunst. Bildhauerei. In: Festschrift zum vierhundersten Jahrestage des ewigen Bundes zwischen Basel und den Eidgenossen. Basel,
,.
Stehlin, Karl: Baugeschichte des Münsters im Mittelalter. In: Baugeschichte des Basler Münsters, hg. vom Basler Münsterbauverein, Basel , S. .
Huggel, Doris/Grütter, Daniel: Vorwort und Einführung. In: „mit gantzem fliss“.
Der Werkmeister Hans Nussdorf in Basel. Hrsg. von Doris Huggel und Daniel
Grütter. Basel , S. .
Huggel, Doris/Grütter, Daniel: Vorwort und Einführung. In: „mit gantzem
fliss“. Der Werkmeister Hans Nussdorf in Basel. Hrsg. von Doris Huggel und
Daniel Grütter. Basel , S. –.
Stehlin, Karl: Basler Baumeister des . Jahrhunderts. In: Basler Zeitschrift für
Geschichte und Altertumskunde (), S. –.
geführt, „des berühmten Werkmeisters wegen“8, also aufgrund der Berühmtheit des Hans von Nussdorf.
Kommt dieser Meister auch für den Bau des Lettners im
Breisacher Münster in Frage?
Der Breisacher Lettner wurde im letzten Jahrzehnt des
15. Jahrhundert geschaffen. Hans von Nussdorf starb erst
1503 in Basel9, der Breisacher Lettner könnte daher noch
in das Spätwerk dieses Baumeisters fallen. Gleichzeitig
mit der Vollendung des Breisacher Lettners konnte auch
die Turmspitze des Martinsturms des Basler Münsters,
die Kreuzblume, als letztes Bauteil aufgesetzt werden.10
Die Architekturformen dieses Turmaufbaus gleichen dem
einige Jahre später durch den aus Basel stammenden Baumeister Remigius Faesch fertiggestellten Turmbau des
Thanner Münsters und dem im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden aufbewahrten Entwurf des Lux Böblinger für das Konstanzer Münster11. An die Architektur
der Böblingerfamilie an der Liebfrauenkirche Esslingen
und dem Ulmer Münster erinnern in Basel insbesonde-
Simon-Murscheid, Katharina: Einblick in ein Werkmeisterleben. In: „mit
gantzem fliss“. Der Werkmeister Hans Nussdorf in Basel. Hrsg. von Doris Huggel und Daniel Grütter. Basel , S. .
Simon-Murscheid, Katharina: Einblick in ein Werkmeisterleben. In: „mit
gantzem fliss“. Der Werkmeister Hans Nussdorf in Basel. Hrsg. von Doris Huggel und Daniel Grütter. Basel , S. .
„Im Jahr “. Braun-Balzer, Ines: Die Vollendung des Martinsturms am Basler Münster. In: „mit gantzem fliss“. Der Werkmeister Hans Nussdorf in Basel.
Hrsg. von Doris Huggel und Daniel Grütter. Basel , S. .
Böker, Johann Josef/ Brehm, Anne-Christine/ Hanschke, Julian/ Sauvé,
Jean-Sébastien: Architektur der Gotik. Rheinlande. Salzburg, , Nr. .
2014 – Advent
Hans von Nussdorf
Abb. 6: Detail Breisacher Lettner. Zweites Maßwerkfeld von Norden.
Foto: Martin Hau.
Abb. 7: Detail Breisacher Lettner. Zentrales Maßwerkfeld.
Foto: Martin Hau.
re die Wimpergkränze der Turmstrebepfeiler12. Vergleicht
man die Formen jedoch mit denjenigen des Breisacher
Lettners, so fallen zunächst die Unterschiede ins Auge.
Während die Öffnungen des Lettners von einzelnen Wimpergen überkrönt sind, werden am Martinsturm die Bögen zu einem Kronenmotiv zusammengezogen. Als Maßwerk wird am Martinsturm die Fischblase in vielfältiger
Variation eingesetzt; an der Lettnerbrüstung in Breisach
finden sich Vierpässe, und das Maßwerk wird aufgebrochen und zeigt weite Verschneidungsformen, die in Basel
gänzlich fehlen. Auch am Blattwerk zeigen sich Unterschiede. In Breisach wurde das Blattwerk lockig, fein und
zerbrechlich aus dem Stein herausgearbeitet (Abb. 4). Am
Basler Martinsturm erscheinen die Formen runder und
fester. Diese offensichtliche Unterschiede könnten aber
im baulichen Unterschied zwischen Kleinarchitektur und
Turmabschluss begründet sein.
Vergleicht man den Breisacher Lettner jedoch mit einer
Kleinarchitektur Nussdorfs, der Kanzel im Basler Münster (Abb. 5), so lassen sich zunächst wiederum große Unterschiede feststellen. Wie am Martinsturm entdecken
wir das Kronenmotiv der sich kreuzenden Wimperge am
Kanzeltypus. Wie am Martinsturm dominiert das Maßwerk durch Fischblasen, lediglich durch Kreise eingefasste
Vierpässe sind zu finden. Aufgebrochene Maßwerkformen
wie am Breisacher Lettner (Abb. 6) wurden an der Basler
Kanzel nicht verwendet. Auch die Verschneidungsformen
bei den Nasen der Maßwerkfiguren (Abb. 7), wie in Breisach, sind in Basel nicht vorhanden. Die Basler Münster-
kanzel wirkt um einiges konservativer als der Breisacher
Lettner. Das täuscht jedoch. Zum einen ist die Kanzel um
1484/85 entstanden13, also mindestens 10 Jahre vor Baubeginn des Breisacher Lettners, zum anderen zeigen die
ondulierenden Formen des Kanzelkörpers ein neuartiges
flamboyantes Architekturmotiv, das Hans von Nussdorfs
Kenntnis aktueller französischer Architektur verrät.
Ein gutes Vergleichsbeispiel findet sich in der Leonhardskirche in Basel, wo Hans von Nussdorf in den 1480er Jahren und ab 1496 als Baumeister tätig war. Eine Erweiterung
des Kirchenschiffs nach Süden und Norden machte eine
Ergänzung des älteren Lettners um jeweils ein Lettnerjoch
notwendig. An diesen Bauteilen kann man tatsächlich einige Ähnlichkeiten mit dem Breisacher Lettner ausmachen. So finden sich gedrehte Säulenbasen und pyramidale
Verschneidungsformen an beiden Architekturen (Abb. 8,
9). Auch die Treppenspindel der Basler Lettnertreppe ist
kunstvoll gedreht (Abb. 10). Am Treppenaufgang gibt es
Verschneidungsformen – nicht jedoch im Maßwerk (Abb.
11). Auffallender sind denn auch die Unterschiede. Der
Breisacher Lettner ist reicher gestaltet als der Basler. Zwar
handelt es sich bei den von Nussdorf in Basel geschaffenen Lettnerstücken um Anbauten an einen um 1460 entstandenen Lettner, so dass sich Nussdorf an der einfachen
Vorgängerarchitektur orientieren musste, aber selbst in
Details wie den Konsolen (Abb. 12) fällt seine Architektur
einfacher als diejenige in Breisach aus. Hingegen zeigen
das Kronenmotiv der sich verschneidenden Bögen an den
Säulenbasen (Abb. 13) und die Konsolen der Wanddienste
(Abb. 14) deutliche Parallelen zur Architektur des Basler
Martinsturms und der Basler Münsterkanzel.
Was bedeutet das für die Identifizierung des Breisacher
Dieses Architekturdetail findet sich am Ulmer Münster an einem von Matthäus Böblinger mit Jahreszahl und Steinmetzzeichen signierten Pfeiler, in
Esslingen am Turm der Liebfrauenkirche. Ein Baldachin mit dieser Architekturform findet sich jedoch schon an dem zu Beginn des . Jahrhunderts
entstandenen Portal des Frankfurter Domturms und dem Mitte des . Jahrhunderts entstandenen Portal des Nordseitenschiffs in Thann.
Abb. 8: Pfeilerbasis
des Lettners in der
Leonhardskirche
Basel.
Foto: Anne-Christine Brehm.
Abb. 9: Pfeilerbasis
des Breisacher
Lettners.
Foto: Martin Hau.
u n s e r M ü n s t e r N r 5 1
Maurer-Kuhn, François: „Melde dich zum Wort und lass nicht nach!“. . In: „mit
gantzem fliss“. Der Werkmeister Hans Nussdorf in Basel. Hrsg. von Doris Huggel und Daniel Grütter. Basel , S. .
Abb. 13: Pfeilerbasis
des Lettners in der
Leonhardskirche
Basel. Foto: AnneChristine Brehm
Abb. 12: Konsole am Lettner
der Leonhardskirche Basel.
Foto: Anne-Christine Brehm.
Abb. 10& 11: Wendeltreppe des Lettners in
der Leonhardskirche Basel.
Foto: Anne-Christine Brehm.
Abb. 14: Wandkonsole an der
Ostwand des Kirchenschiffs
der Leonhardskirche Basel.
Foto: Anne-Christine Brehm.
Steinmetzzeichens? Der Architekturvergleich zwischen
den Werken Hans von Nussdorfs und dem Breisacher
Lettner deutet auf zwei verschiedene Entwerfer hin. Da
das Zeichen an beiden Bauteilen in gespiegelter Form
auftritt, könnte man, unterstützt durch den Stilvergleich,
annehmen, dass es sich um zwei verschiedene Steinmetze handelte, die dieselben Zeichen nur in gespiegelter
Form verwendeten. Dass zwischen diesen Zeichen keinerlei Verbindung besteht, ist jedoch aufgrund der Lage
der nur zwei Tagesreisen (60 km) entfernt voneinander
befindlichen Steinmetzarbeiten in dem eng verknüpften
Abb. 15: Wappenschilde des Matthäus
Ensinger an der Valentinskapelle Ulm.
Zeichnung aus: Mojon, Der Münsterbaumeister Matthäus Ensinger. Bern,
1967, S. 23.
Abb. 16: Steinmetzzeichen
am Ulmer Münsterchor.
Zeichnung aus: Mojon,
Der Münsterbaumeister
Matthäus Ensinger. Bern,
1967, S. 23.
Kulturraum des Oberrheingebiets eher unwahrscheinlich.
Gespiegelte Steinmetzzeichen kommen immer wieder
vor – sie lassen sich jedoch selten eindeutig zuweisen.
Eine eindeutige Zuweisung eines gespiegelten Steinmetzzeichens ist beim Baumeister Matthäus Ensinger möglich,
der sein Zeichen in einem Wappenschild an der Valentinskapelle in Ulm anbringt, zweifach in gespiegelter
Form (Abb. 15). Bei dieser Art der Spiegelung könnte es
sich um eine Spielerei mit der Symmetrie handeln; es ist
aber auch möglich, dass die Verdoppelung die Beteiligung
eines Familienmitglieds, bzw. den Bezug zur Familie der
Ensinger andeuten soll, denn Matthäus Ensinger führt
dasselbe Steinmetzzeichen wie sein Vater Ulrich von Ensingen. Seine Söhne zeigen in ihren Meisterzeichen leichte
Abwandlungen, wie sie sich auch in anderen Steinmetzfamilien, wie derjenigen der Böblinger oder Roriczer beobachten lassen14. Das Grundzeichen der Familie ist jedoch
stets erkennbar. Die Spiegelung eines Steinmetzzeichens
findet sich in Ulm mehrfach, so im Ulmer Münsterchor
(Abb. 16) und am Südostportal (Abb. 17).
Da bei einem gespiegelten Zeichen die Ähnlichkeit und
Verwechslungsgefahr sehr hoch ist, kann man vermuten,
dass, wenn nicht der Meister selbst, für das Zeichen noch
ein Familienmitglied in Frage käme. Hans von Nussdorf
hatte zwei Söhne, die ihm beide in das Steinmetzhandwerk nachfolgten. Hans Nussdorf d. J. ging nach Bern,
Friedrich Nussdorf blieb in Basel und fertigte dort 1513
den Taufstein in der Peterskirche15.
Die faszinierende Möglichkeit, die sich durch das Steinmetzzeichen am Breisacher Lettner und die Verbindung
nach Basel und Hans von Nussdorf ergibt, wird durch den
Stilvergleich wieder unsicher und zweifelhaft. Die Architekturformen des Lettners deuten eher nach Straßburg
als nach Basel. Dort käme der Baumeister Hans Hammer
durchaus als Entwerfer des Breisacher Lettners in Frage.
Jedoch kennzeichnete Hans Hammer seine Werke stets
mit seinem Steinmetzzeichen, einem M mit Kreuz (Kanzel im Straßburger Münster; Kanzel in Zabern). So muss
die Frage nach dem Breisacher Lettnermeister vorerst
noch offen bleiben, bietet jedoch neue Spuren und Hinweise, denen weiter nachgegangen werden muss.
Literaturtipp: Doris Huggel und Daniel Grütter: „mit gantzem fliss“. Der Werkmeister Hans Nussdorf in Basel. Schwabe
Verlag, Basel .
Mojon, Luc: Der Münsterbaumeister Matthäus Ensinger. Bern, , S..
Meles, Brigitte: Die Peterskirche in Basel. Schweizerische Kunstführer GSK.
Bern, , S. . Stehlin, Karl: Basler Baumeister des . Jahrhunderts. In: Basler
Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde (), S. .
Abb. 17: Wappenschilde am Südostportal des Ulmer Münsters.
Zeichnung aus: Pfleiderer, Rudolf: Das Münster zu Ulm und seine
Kunstdenkmale. Stuttgart, 1905, Sp. 17/18.
2014 – Advent