Vorlesung 3. + 10. 12
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159 Vgl. Ingolf U. DALFERTH: Jenseits von Mythos und Logos, aaO. 36: „In der Spannung zwischen my-
thischer Rede und dogmatischem Diskurs und damit gleichzeitig mit Mythos und Logos zu existie-
ren, ist ein Strukturmerkmal christlicher Theologie. Sie kommt nicht los von den Mythologemen
der Glaubensrede, ohne ihr religiöses Fundament zu verlieren. Und sie kann auf deren begriffliche
Kontrolle nicht verzichten, ohne ihren rationalen Charakter zu verleugnen. Kritischer Umgang mit
dem Mythos ist daher eine Kunst, von der Theologie lebt.“
160 Vgl. Walter BENJAMIN: Das Passagenwerk. Aufzeichnungen und Materialien, in: GS Bd. V/2, 574:
„Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen.“
161 Paul KLEE: Schöpferische Konfession, in: Tribüne der Kunst und der Zeit. Eine Schriftensammlung,
Bd. XIII (Hg. Kasimir Edschmid), Berlin: Reiß (1920) 28.
162 Erinnert sei an die berühmte Formel von JEAN PAUL, „jede Sprache“ sei „in Rücksicht geistiger Be-
ziehungen ein Wörterbuch erblasseter Metaphern“ (Vorschule der Ästhetik, Werke [Hg. Norbert
MILLER] Darmstadt: WBG [2000] Bd. I/5, 184). Die Formel findet sich in unterschiedlicher Variation
bei Herder, Hamann und Humboldt wieder. (Belege bei Günter BADER: Symbolik des Todes Jesu,
aaO. 167, 244.)
163 Monroe C. Beardsley bezeichnet die Metapher als ein „Gedicht en miniature“ (zitiert bei Paul
RICŒUR: Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik in: Anselm Haverkamp [Hg.]: Theo-
rie der Metapher, aaO. 356-375, hier 358. Vgl. Paul RICOEUR: Die lebendige Metapher, aaO. 153-
167). Im Hintergrund dürfte Giambattista VICO stehen, der die Metapher als „einen kleinen My-
thus“ bezeichnet hat. (Die neue Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker [Übers. Erich
Auerbach], München: Allgemeine Verlagsanstalt [1924], gekürzte Übersetzung der 2. Aufl. von
1730, hier 171.)
164 Jean-Claude MARGOLIN: „La métaphore paraît bien se situer au cœur du langage, au cœur de
l'homme, au cœur de l'être.“ (Art. „Métaphore“, in: EncUniv [1985] Bd. XII, 111).
165 Hans Georg GADAMER: Wahrheit und Methode, aaO. 409. – Vgl. dazu das zu Unrecht vergessene,
ganz auf Vico, Hamann, Herder und Usenser sich stützende Buch von Alfred BIESE: Philosophie des
Metaphorischen. In Grundlinien dargestellt, Hamburg/Leipzig: Verlag von Leopold Voss (1893) 22-
33: „Die Sprache ist durch und durch metaphorisch: sie verkörpert das Seelische, und sie vergei-
stigt das Körperliche.“ (Ebd. 22).
Hält man sich dies alles vor Augen, so wird folgendes Urteil unhintergeh-
bar: Wo die Apophantik sich als »eigentliche« Sprache versteht und (von
diesem Selbstverständnis ausgehend) Anspruch auf alleinige Wahrheit er-
hebt, da erliegt sie dem Vorurteil, sie beschreibe die Welt objektiv. Wie
sehr dagegen unsere Wirklichkeitswahrnehmung grundsätzlich metapho-
risch generiert ist, hat der amerikanische Sprachwissenschaftler Max
Black anhand der strukturellen Verwandtschaft von wissenschaftlichem
Modell und dichterischer Metapher dargelegt.180 In naturwissenschaftli-
chen Modellen spielen Metaphern eine konstitutive Rolle. »Feld«,
»Welle«, »Teilchen«, »Trägheit«, »Masse« usw. sind, obschon durch stän-
digen Gebrauch terminologisiert, im Grunde metaphorische Beschreibun-
gen bestimmter Phänomene; als solche leiten sie die Theoriebildung und
haben anschauungskonstituierende Funktion. Zwar scheinen diese Be-
178 Vgl. Hans BLUMENBERG: Paradigmen zu einer Metaphorologie (ABG 6), Bonn (1960) 47-58.
179 Poet. 22 (1459a 7f.): tÕ g¦r eâ metafšrein tÕ tÕ Ómoion qewre‹n ™stin.
180 Paul RICŒUR: Die lebendige Metapher, aaO. 227-238 (in ständigem Bezug auf Max Black: Models
and Metaphors [1963]).
Modelle in der Tat metaphorischen Neubeschreibungen gleichzukommen: „Der Rückgriff auf die
metaphorische Neubeschreibung ist eine Konsequenz der Unmöglichkeit, eine strenge Dedukti-
onsrelation zwischen dem Explanans und dem Explanandum zu erzielen; allenfalls darf man auf
eine ‚approximative Angemessenheit‘ rechnen; diese Annehmbarkeitsbedingung kommt der
Wechselwirkung [sc. zwischen Explanandum und Explanans], die in der metaphorischen Aussage
am Werk ist, näher als der bloßen Deduzierbarkeit“ (Die lebendige Metapher, aaO. 230f.). Die 85
„‚approximative Angemessenheit‘“, welche im wissenschaftlichen Modell zwischen Explanans und
Explanandum herrscht, entspricht der Analogie, nach welcher Metaphern, sollen sie gelingen, zu
bilden sind.
Die Analogie zwischen neukonzipierendem wissenschaftlichem Modell und metaphorischer
Neubeschreibung der Welt legt sich aber noch von einer anderen Seite her nahe: Die wissenschaft-
liche Neubeschreibung ruft „‚das Problem der metaphorischen Referenz‘“ auf den Plan. „Die Dinge
werden ‚gesehen als‘; [...] das Explanandum selbst [wird] durch die Wahl der Metapher verändert;
man muß daher so weit gehen, die Idee einer Invarianz der Bedeutung des Explanandums zu ver-
werfen, und bis zu einer ‚realistischen‘ Anschauung der Theorie der Wechselwirkung vorzudrin-
gen“ (Die lebendige Metapher, aaO. 232; Markierung J.N.). Was hier erkenntnistheoretisch auf
dem Spiel steht, ist deutlich: Die Art und der Ort eines wissenschaftlichen Experiments gehen in
das Ergebnis ein und verändern es. Unsere Wahrnehmung wird von der ihr zugrundeliegenden
Metaphorik wesentlich mitbestimmt. So zieht Ricœur den Schluß: „Nicht nur unsere Auffassung
der Rationalität, sondern zugleich die der Realität werden in Frage gestellt“ (ebd. 232). Mit dieser
Schlußfolgerung gibt Ricœur der klassischen Definition von Wahrheit als einer „adaequatio intel-
lectus ad rem“ vorläufig den Abschied, um über den Begriff der „metaphorischen Wahrheit“ zu
einem vertiefteren, wenngleich radikal modifizierten Verständnis derselben zu kommen. Die res
verändern sich durch die Adäquation; Wirklichkeit als von vorneherein vor jeder Erkenntnis fest-
stehende, in sich fixe Größe gibt es nicht; was wir »Wirklichkeit« nennen, ist ein Amalgam aus
Wahrnehmung und Deutung, Beobachtung und Begriff. Deshalb folgert Ricœur gegen die „onto-
logische Naivität“ der klassischen Adäquationsforderung: „Es gibt [...] keine Anschauung ohne
Konstruktion“ (ebd. 184). Allerdings hält er gegen einen „demythifizierenden Szientismus“ gleich-
ermaßen an der „Imaginationsfunktion der Sprache“ (ebd. 204) fest. Der zu explizierende Begriff
der „metaphorischen Wahrheit“ hängt wesentlich daran, ob es gelingt, aus der verhängnisvollen
Alternative von ontologischer Naivität einerseits und demythifizierendem Szientismus anderer-
seits herauszufinden und zuallererst zu „so etwas wie einem metaphorischen Glauben nach der
Entmythifizierung“ zu gelangen, d.h. zu einer „zweite[n] Naivität nach dem Ikonoklasmus“ (ebd.
249).