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4.

Sprachformen der Hoffnung:


Gleichnis, Metapher, Analogie, Erzählung
Will der Historiker sich nicht mit dem rein Faktischen zufrieden geben, so
wird er von den Sprachformen der Dichtung lernen müssen –nicht zuletzt
auch von jenen Sprachformen, die den biblischen Verheißungstexten zu-
grunde liegen. Denn Hoffnung läßt sich niemals konstatieren, sondern im-
mer nur erzählen. Es dürfte denn auch alles andere als ein Zufall sein, daß
die großen Hoffnungstexte der biblischen Tradition dem Genus des Erzäh-
lens zugehören und nicht denen der Gesetzgebung, der weisheitlichen
Spekulation oder der theologischen Argumentation (erinnert sei hier nur
an die Patriarchenerzählungen, die Josephsgeschichten sowie überhaupt
an das jahwistische und das deuteronomistische Geschichtswerk – aber
natürlich auch an die Evangelienerzählungen, die Gleichnisse Jesu).
Gerade weil sie über den »Gegenstand« ihrer Rede niemals verfügt,
ihm vielmehr nur nachdenken kann, sieht sich die Theologie mit der Auf-
gabe konfrontiert, den biblischen Sprachformen, in denen sich ihr »Ge-
genstand« kundtut, so präzise wie möglich nachzugehen. Die Sprachfor-
men, um die es sich hier handelt, sind im wesentlichen die der Erzählung,
des Gleichnisses und der Metapher; ihr Spezifikum ist es, quer zur be- 77
hauptenden (assertorischen) bzw. feststellenden (apophantischen) Rede
zu stehen. Sobald man sich bemüht, dem Symbolgehalt der biblischen
Metaphorik auf die Spur zu kommen, wird deren schillernder Charakter
offensichtlich – und damit die schwierige Aufgabe, der sich die Theologie
zu stellen hat: einerseits das nur schwer zu Fassende von Mythos und Me-
tapher der begrifflichen Kontrolle zu unterziehen159; andererseits dem
Sinn, der in diesen Sprachformen aufbewahrt ist, so nachzuspüren, daß er
sich zu erkennen gibt. In Abwandlung eines Wortes von Walter Benjamin
könnte man diese Aufgabe auch so formulieren: Theologie als wissen-
schaftliche Disziplin hat nichts zu sagen, sondern nur hinzuweisen auf das,
was in den biblischen Texten sich zeigen will.160 Ob der Gott, von dem die

159 Vgl. Ingolf U. DALFERTH: Jenseits von Mythos und Logos, aaO. 36: „In der Spannung zwischen my-
thischer Rede und dogmatischem Diskurs und damit gleichzeitig mit Mythos und Logos zu existie-
ren, ist ein Strukturmerkmal christlicher Theologie. Sie kommt nicht los von den Mythologemen
der Glaubensrede, ohne ihr religiöses Fundament zu verlieren. Und sie kann auf deren begriffliche
Kontrolle nicht verzichten, ohne ihren rationalen Charakter zu verleugnen. Kritischer Umgang mit
dem Mythos ist daher eine Kunst, von der Theologie lebt.“
160 Vgl. Walter BENJAMIN: Das Passagenwerk. Aufzeichnungen und Materialien, in: GS Bd. V/2, 574:
„Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen.“

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biblischen Mythen und Metaphern erzählen, sich in ihnen wirklich zeigt -
dies zu untersuchen ist Aufgabe der folgenden Abschnitte.

4.1. Die lebendige Metapher


Daß Erzählung und Metapher in den vergangenen Jahrzehnten eine so be-
merkenswerte Aufmerksamkeit auf seiten der Philosophie gefunden ha-
ben, liegt im sog. „linguistic turn“ der Kulturwissenschaften begründet. In
Aufnahme der Einsichten sowohl der Romantik (Vico, Herder, Humboldt)
als auch Nietzsches, Heideggers und Wittgensteins ist unhintergehbar ge-
worden, daß alle Welt- und Selbsterfahrung des Menschen sprachlich
nicht nur strukturiert, sondern auch generiert ist, ein Zugang zur Welt
dem Menschen nicht anders möglich ist als vermittels der Sprache, die er
spricht. Damit wird zugleich deutlich, daß Sprache nicht einfach ein Instru-
ment ist, vermittels dessen der Mensch die Wirklichkeit mehr oder weni-
ger originalgetreu abbildet; Sprache ist vielmehr das Medium, in welchem
dem Menschen die Welt als Welt erscheint; noch in der kritischen Befra-
gung seiner sprachgenerierten Weltzugänge bedarf er der Sprache,
weshalb Sprache zu einem transzendentalen Apriori menschlichen Er-
kenntnisvermögens avanciert. 78
In genau diesen Zusammenhängen ist nun aber auch die Frage nach der
ontologischen Referenz (reference) der Metapher angesiedelt; mit ihr ist
die Begrenzung der Metapher auf einen rhetorischen oder poetischen
Spezialfall der Sprache (meaning) von vorneherein unterlaufen. Wenn
nämlich Sprache die Wirklichkeit nicht einfach abbildet, sondern, was wir
Wirklichkeit nennen, in ihr überhaupt erst zur Erscheinung kommt, dann
ist offensichtlich, daß der Sprache immer auch eine wirklichkeitsentdek-
kende Kraft eignet – von dieser Einsicht lebt ja seit jeher alle große Dich-
tung. Dichtung bildet die Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern sie be-
schreibt, erzählt, skizziert und fabuliert Wirklichkeit, gibt sie zum besten,
zeichnet sie narratorisch nach, tastet sie auf ihre inwendigen Möglichkei-
ten ab, gestaltet sie aus, fingiert sie neu und entdeckt in genau diesen
Prozessen kreativer Poiesis Dimensionen der Wirklichkeit, von denen man
bis anhin nichts wußte. Die fingierende Kraft dichterischer Sprache wird
zu einem Detektor der Wirklichkeit (man überprüfe diese Einsicht nur ein-
mal an der wirklichkeitsverändernden weil perspektiverweiternden Wir-
kung, die Romane wie etwa von Harriet Beecher Stowe [Uncle Tom’s
Cabin], Charles Dickens oder Victor Hugo freigesetzt haben, von Gedich-

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ten wie denen Trakls, Rilkes oder Celans gleich ganz zu schweigen). Für
die literarische Poiesis gilt in gleichem Maße, was Paul Klee einmal für das
Metier des bildenden Künstlers gesagt hat: „Kunst gibt nicht das Sichtbare
wieder, sondern macht sichtbar.“161 Ähnlich wie man in der Rezeption ei-
nes gelungenen Kunstwerks einen Blick für etwas gewinnt, was einem bis-
lang unbekannt war, wofür man kein Auge hatte, was außerhalb des Blick-
feldes lag, so refiguriert sich in der Rezeption eines gelungenen Gedichtes,
einer treffenden Parabel, eines geglückten Aphorismus die Wirklichkeit
(um ein weniges, manchmal auch um ein vieles) neu.
Es ist dieser geschärften Wahrnehmung für die wirklichkeitsgenerieren-
de Kraft der Sprache geschuldet, daß die Metapher zu einem Zentral-
thema philosophischer Hermeneutik hat werden können: Die Metapher
gilt nicht mehr als spezieller Gegenstand der Literaturtheorie, sondern zu-
nehmend als Keimzelle aller sprachlichen Poiesis162, weshalb man die Me-
tapher nicht nur als eine Art »Mythos en miniature«163, sondern nachge-
rade als Nukleus der Sprache insgesamt bezeichnet hat164, beruht doch
auf ihr „alle natürliche Begriffsbildung“.165
Wie sehr dies zutrifft, hat Paul Ricœur in seiner magistralen Studie zur
„Lebendigen Metapher“ (1975) dargelegt. In einer detaillierten Untersu- 79
chung der einschlägigen Kapitel der aristotelischen „Rhetorik“ und „Poe-
tik“ führt Ricœur die landläufige Substitutionstheorie ad absurdum, der
zufolge gilt: Die Metapher ist Übertragung eines fremden Nomen in einen

161 Paul KLEE: Schöpferische Konfession, in: Tribüne der Kunst und der Zeit. Eine Schriftensammlung,
Bd. XIII (Hg. Kasimir Edschmid), Berlin: Reiß (1920) 28.
162 Erinnert sei an die berühmte Formel von JEAN PAUL, „jede Sprache“ sei „in Rücksicht geistiger Be-
ziehungen ein Wörterbuch erblasseter Metaphern“ (Vorschule der Ästhetik, Werke [Hg. Norbert
MILLER] Darmstadt: WBG [2000] Bd. I/5, 184). Die Formel findet sich in unterschiedlicher Variation
bei Herder, Hamann und Humboldt wieder. (Belege bei Günter BADER: Symbolik des Todes Jesu,
aaO. 167, 244.)
163 Monroe C. Beardsley bezeichnet die Metapher als ein „Gedicht en miniature“ (zitiert bei Paul
RICŒUR: Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik in: Anselm Haverkamp [Hg.]: Theo-
rie der Metapher, aaO. 356-375, hier 358. Vgl. Paul RICOEUR: Die lebendige Metapher, aaO. 153-
167). Im Hintergrund dürfte Giambattista VICO stehen, der die Metapher als „einen kleinen My-
thus“ bezeichnet hat. (Die neue Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker [Übers. Erich
Auerbach], München: Allgemeine Verlagsanstalt [1924], gekürzte Übersetzung der 2. Aufl. von
1730, hier 171.)
164 Jean-Claude MARGOLIN: „La métaphore paraît bien se situer au cœur du langage, au cœur de
l'homme, au cœur de l'être.“ (Art. „Métaphore“, in: EncUniv [1985] Bd. XII, 111).
165 Hans Georg GADAMER: Wahrheit und Methode, aaO. 409. – Vgl. dazu das zu Unrecht vergessene,
ganz auf Vico, Hamann, Herder und Usenser sich stützende Buch von Alfred BIESE: Philosophie des
Metaphorischen. In Grundlinien dargestellt, Hamburg/Leipzig: Verlag von Leopold Voss (1893) 22-
33: „Die Sprache ist durch und durch metaphorisch: sie verkörpert das Seelische, und sie vergei-
stigt das Körperliche.“ (Ebd. 22).

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ansonsten vertrauten Sprachzusammenhang (metafor¦ dš ™stin ÑnÒ-
matoj ¢llotr…ou ™pifor¦).166 Ein solcher Metaphernbegriff setzt voraus,
daß es auch eine ganz und gar unmetaphorische Sprechweise gebe, näm-
lich die apophantische (d.h. die bejahende oder verneinende, der es zu-
kommt, richtig oder falsch zu sein), und daß allein hier die Wörter in ihrer
eigentlichen Bedeutung (o„ke‹a ÑnÒmata) zum Zuge kämen.167 Das „ei-
gentliche“ (verbum proprium) bzw. „herrschende“ Wort (Ônoma kÚrion)
ist das, was alle benutzen.168 Es ist der gewohnte Sprachgebrauch (par¦
tÕ e„wqÕj)169, d.h. die Übereinkunft einer Sprachgemeinschaft, die fest-
legt, was als semantisch korrekte Rede zu gelten hat.170 Von diesem
Sprachgebrauch weicht die Metapher, d.h. die Substituierung eines ei-
gentlichen Wortes (Ônoma kÚrion) durch ein uneigentliches (Ônoma
¢llÒtrion) ab, und zwar um des rhetorisch oder poetisch gewünschten
Effekts willen.171 Was aber, wenn es gar keine »eigentlichen« Wörter gibt?
Dann fiele die ganze Substitutionstheorie in sich zusammen.
Angesichts dieser Vermutung stellt Ricœur anhand der aristotelischen De-
finition der Metapher im 21. Kapitel der „Poetik“ vier Beobachtungen von
grundsätzlicher Bedeutung an:172
80
(1.) „Die Metapher ist etwas, das dem Nomen widerfährt.“ – Diese Defi-
nition hat zur Folge, daß der Gebrauch der Metapher allein auf den Be-
reich der Wortfiguren (Tropen) eingeschränkt bleibt. Konsequenter-
weise versteht Aristoteles die Metapher als einen um die Wortpartikel
»wie« verkürzten Vergleich.173 Dieses Verständnis aber verstellt von vor-
neherein den Blick für das Phänomen, daß die metaphorische Abwand-
lung nicht nur Austausch eines Wortes durch ein anderes ist, sondern
immer auch eine Veränderung im Spannungsgefüge des ganzen Satzes
zur Folge hat. Wenn Aristoteles die Verwendung der Metapher auf das
Nomen eingeschränkt wissen will, so liegt dem ein Verständnis von Spra-
che zugrunde, das sich in seinen Grundlagen an der Apophantik orien-
tiert: Metapher ist immer nur sekundäre Veränderung des von vorne-
herein feststehenden Sprachgebrauchs.

166 Poet. 21 (1457b 6).


167 Rhet. G (1404b 32).
168 Poet. 21 (1457b 3f.): Lšgw d ™stin kÚrion mn ú crîntai ›kastoi, glîttan d ú ›teroi.
169 Poet. 22 (1458b 3).
170 Peri herm. 16a 19. 26-29: Zum Ônoma kÚrion wird ein Wort „gemäß einer Übereinkunft“: kat¦
sunq»khn.
171 Vgl. Poet. 22 (1458a 18-20); Rhet. G (1404b 10ff. 35f.).
172 Das Folgende nach Paul RICŒUR: Die lebendige Metapher, aaO. 21-31.
173 Rhet. Γ (1406b 20-24).

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(2.) „Die Metapher wird durch Bewegung definiert.“ – Die Übertragung
eines Wortes (ÑnÒmatoj ™pifor¦) wird als eine Art Verschiebung »von ...
zu« beschrieben. Allerdings hinterläßt diese Beschreibung eine gewisse
Ratlosigkeit; denn es fällt auf, daß Aristoteles gezwungen ist, zur Be-
schreibung des metaphorischen Vorgangs wiederum eine Metapher zu
benutzen. Wird die metafor£ als eine ™pifor£ beschrieben, so legt dies
die Vermutung nahe, Aristoteles habe die wenig befriedigende Tautolo-
gie vermeiden wollen: metafor£ ist metafor£. Wortgeschichtlich hat der
griechische Ausdruck ¹ for£ (fšrein) die Bedeutung »Tragen«, »Bewe-
gung«, »Fortschaffen von Last«; sowohl das Substantiv als auch das Ver-
bum implizieren eine Ortsveränderung. Wird diese Ortsveränderung
aber zur Ortsveränderung eines Nomen, so ist sie selber metaphorisch
geworden174, so daß sich die Schlußfolgerung nahelegt, daß es unmög-
lich ist, im Rahmen der Apophantik von der Metapher unmetaphorisch
zu sprechen. Die Definition der Metapher, wie Aristoteles sie vorlegt,
vollzieht einen Zirkelschluß. Das zu Definierende enthält das Definien-
dum immer schon in sich, so daß folgt: „Einen metaphernfreien Ort, von
dem aus man die Metapher und alle sonstigen Redefiguren wie ein dem
Blick vorliegendes Spiel betrachten könnte, gibt es nicht.“175 Dann aber
ist zu vermuten, daß der aristotelischen Definition der Metapher als ei-
ner Substitution eigentlicher Worte durch uneigentliche eine unhaltbare
Wortsemantik zugrunde liegt. Auch die im Sinne der Apophantik als »ei- 81
gentlich« verwendeten Wörter sind immer schon Metaphern.
(3.) „Die Metapher ist die Übertragung eines fremden (¢llÒtrion) No-
men.“ – Das fremde, weil metaphorisch verwendete Nomen ist Aristote-
les zufolge als sekundäre Abweichung vom normalen Sprachgebrauch zu
verstehen. Dies setzt freilich voraus, daß das entlehnte Nomen an sei-
nem ursprünglichen Ort nicht fremd war, sondern gebräuchlich. „Der
verschobene Sinn kommt von anderswo her; es ist immer möglich, einen
Bereich des Ursprungs oder der Entlehnung der Metapher zu bestim-
men.“176 Was aber, wenn das Entlehnte an seinem früheren Ort eben-
falls nur entlehnt war? Dann träte ein regressus ad infinitum ein, und
anstatt das Phänomen des Metaphorischen nach Art eines Vergleiches,
einer Entlehnung oder Substitution begreifen zu wollen, wäre ein neues
Verständnis von Sprache notwendig: das einer Interaktion, der zufolge
nur aus dem lebendigen Kontext der gesprochenen Sprache heraus er-
sichtlich werden kann, was »eigentlich« gemeint ist.177 Der ikonoklasti-

174 Ebd. 65-70.


175 Paul RICŒUR: Die lebendige Metapher, aaO. 23.
176 Ebd. 24.
177 Vgl. Gerhard KURZ: Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (31993) 13-
21; Max BLACK: Die Metapher, in: Anselm Haverkamp (Hg.): Theorie der Metapher, aaO. 55-79,
hier 68-79.

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sche Versuch einer metaphernfreien Sprache muß scheitern; schlagen-
der Beweis dafür ist, daß selbst die Rede von der »nackten Wahrheit«
sich immer noch der Metapher bedienen muß.178
(4.) Die Typologie der Metapher läuft auf den „kalkulierten Irrtum“ hin-
aus, durch den es zur Neubeschreibung von Welt kommt. – Indem das
eine Wort für das andere stehen kann, leistet die Metapher einen Ver-
fremdungseffekt; dieser besteht in einer kalkulierten Verletzung der
sprachlichen Spielregeln mit dem Ziel, „das Ähnliche“ (tÕ Ómoion) zwi-
schen den Dingen ans Licht zu heben. 179 Indem man das genus nach Art
der species benennt (z.B. vom »Eisen« redet statt vom »Schwert«) und
somit ihre Unterscheidung aufhebt oder innerhalb eines Analogiever-
hältnisses dem vierten Begriff den Namen des zweiten gibt (z.B. vom
»Lebensabend« spricht, da sich das Alter zum Leben verhält, wie der
Abend zum Tag), erkennt man die logische Struktur der Sprache an und
verstößt zugleich gegen sie. Allerdings geschieht dieser Verstoß um eines
semantischen Bedeutungsgewinns willen. Die Metapher stört die kate-
goriale Ordnung der Sprache, doch in und mit der Störung leuchtet ein
neuer Sinn auf; es kommt zu einer Neubeschreibung von Welt. Dann
aber ist zu vermuten, daß die »ursprüngliche« Weltbeschreibung auf
eben demselben Weg entstanden ist, nur daß ihre Terminologisierung
nicht mehr erkennen läßt, daß auch sie zunächst eine metaphorische
war. 82

Hält man sich dies alles vor Augen, so wird folgendes Urteil unhintergeh-
bar: Wo die Apophantik sich als »eigentliche« Sprache versteht und (von
diesem Selbstverständnis ausgehend) Anspruch auf alleinige Wahrheit er-
hebt, da erliegt sie dem Vorurteil, sie beschreibe die Welt objektiv. Wie
sehr dagegen unsere Wirklichkeitswahrnehmung grundsätzlich metapho-
risch generiert ist, hat der amerikanische Sprachwissenschaftler Max
Black anhand der strukturellen Verwandtschaft von wissenschaftlichem
Modell und dichterischer Metapher dargelegt.180 In naturwissenschaftli-
chen Modellen spielen Metaphern eine konstitutive Rolle. »Feld«,
»Welle«, »Teilchen«, »Trägheit«, »Masse« usw. sind, obschon durch stän-
digen Gebrauch terminologisiert, im Grunde metaphorische Beschreibun-
gen bestimmter Phänomene; als solche leiten sie die Theoriebildung und
haben anschauungskonstituierende Funktion. Zwar scheinen diese Be-

178 Vgl. Hans BLUMENBERG: Paradigmen zu einer Metaphorologie (ABG 6), Bonn (1960) 47-58.
179 Poet. 22 (1459a 7f.): tÕ g¦r eâ metafšrein tÕ tÕ Ómoion qewre‹n ™stin.
180 Paul RICŒUR: Die lebendige Metapher, aaO. 227-238 (in ständigem Bezug auf Max Black: Models
and Metaphors [1963]).

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griffe nur beschreibender Art zu sein; und doch wird uns, was der Physiker
»Wirklichkeit« nennt, erst durch die Beschreibung anschaulich. Hier wird
deutlich, wie sehr Metaphern eine heuristische Bedeutung zuzusprechen
ist. Indem Metaphern im Moment ihres Entstehens einen neuen Blick auf
die Welt ermöglichen, wird die alte Weltsicht obsolet: Die Welt ist eine
andere, neue geworden.
Der Gang der Ricœur'schen Metapherntheorie läuft auf eine Korrelation
von metaphorischer Sprache und Wirklichkeitserfahrung hinaus. Gleich-
wohl erhebt zwischen beiden immer noch der klassische Adäquationsbe-
griff seine Forderungen. Weder steht die Wirklichkeit (res) fest noch das
menschliche Erkenntnisvermögen (intellectus), sondern beide bewegen
sich „korrelativ“181 aufeinander zu. Zur Konstitution neuer Wirklichkeits-
erkenntnis kommt es nur durch das Wechselspiel von imaginatio und in-
tellectio, ohne daß die Spannung, die zwischen beiden Polen herrscht, je
in einem absoluten Wissen zur Ruhe fände. Die intellectio kritisiert die
imaginatio, und diese treibt jene zu neuen Ufern, da das begriffliche Den-
ken ohne das Wechselspiel von Einbildungskraft und Vernunft schnell ver-
sandete.182 So gipfelt der Ricœur'sche Diskurs in der fundamentalen
Frage: Gibt es metaphorische Wahrheit? In Frage steht der Sinn des Wor- 83
tes »Wahrheit«; in Frage steht aber auch der Sinn dessen, was wir »Wirk-
lichkeit« nennen. Der Vergleich von wissenschaftlichem Modell und dich-
terischer Sprache weist Ricœur dabei den Weg: Die Verknüpfung von me-
taphorischer Sprache und Wirklichkeitserfahrung zielt auf ein Moment
hin, wo Erfinden und Entdecken nicht mehr im Widerspruch zueinander
stehen und Erschaffen und Aufzeigen ineinander fallen.183 Wie die meta-
phorische Aussage in einem Jenseits von apophantischer Affirmation und
Negation anzusiedeln ist, so verhält es sich auch mit dem Begriff der me-
taphorischen Wahrheit. Nicht wahrredend im Sinne apophantischer Rede
und doch nicht Unsinn redend verweist die Metapher auf ein Wahrheits-
verständnis jenseits der adaequatio intellectus et rei, die sich zu vollziehen
habe als eine adaequatio intellectus ad rem. Metaphorische Wahrheit ist

181 Paul RICŒUR: Die lebendige Metapher, aaO. 249.


182 Vgl. ebd. 203, 206, 281-285.
183 Ebd. 238. – In einem in die deutsche Ausgabe von La métaphore vive nicht aufgenommenen Text-
abschnitt heißt es: Das Rätsel des metaphorischen Diskurses besteht, so scheint es, darin, daß er
im doppelten Wortsinn (er)findet: was er erschafft, entdeckt er; und was er findet, erfindet er.
(„L'énigme du discours métaphorique c'est, semble-t-il, qu'il ‚invente‘ au double sens du mot: ce
qu'il crée, il le découvre; et ce qu'il trouve, il l'invente.“ [Paris: Seuil ‹1975› 301]; Dt. Übersetzung
J.N.)

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gerade nicht nach dem Modell einer vorgefertigten Adäquation zu verste-
hen, die Wahrheit im Sinne der Subjekt-Objekt-Dichotomie als „Verifizie-
rungswahrheit“184 definiert – und doch ist die Adäquationsforderung
nicht einfach preiszugeben. Zwar reduziert ein nach dem Modell der Ve-
rifizierungswahrheit gefertigter Adäquationsbegriff das Verständnis von
Wahrheit letztlich darauf, daß nur noch sprachlich bekanntzugeben sei,
was immer schon gewußt werden kann; der Widerstand gegen die Adä-
quationsformel findet hierin seine Berechtigung, denn diese Formel ver-
mag nicht plausibel zu machen, wie Erfahrung von Neuem möglich wer-
den soll; das vermeintlich Neue wäre, da deduzierbar und unter das Bis-
herige subsumierbar, immer schon das Alte. Dennoch würde das Wahr-
heitsmoment des Metaphorischen gründlich verfehlt, wollte die Meta-
pher ohne Rücksicht auf jede Adäquation an der Wirklichkeit vorbeireden.
Deshalb entwickelt Ricœur einen Begriff metaphorischer Wahrheit, der
sich mit der Adäquationsformel verbinden läßt: In der Metapher, so seine
These, kommt etwas Mögliches so zur Sprache, daß gerade dieses Mögli-
che zur Entdeckung neuer Dimensionen der Wirklichkeit führt. Metapho-
rische Sprache bringt mehr zur Sprache, als bisher wirklich war. Gerade
dies aber bedeutet nicht, daß sie an der Wirklichkeit vorbeiredet. Viel- 84
mehr geht metaphorische Sprache, indem sie über das bislang Wirkliche
hinausgeht, in zwingender Weise auf die Wirklichkeit ein. Ihre Wahrheit
liegt darin beschlossen, als möglichkeitsweckende Sprache wirklichkeits-
konstituierende Sprache zu sein.185

184 Ebd. 288.


185 Ebd. 188: „Die Idee des Kategorienfehlers [, den die Metapher vollzieht,] führt in die Nähe des
Zieles. Kann man nicht sagen, daß die Sprachstrategie, die in der Metapher am Werk ist, darin
besteht, die Grenzen der etablierten Logik zu verwischen, um neue Ähnlichkeiten sichtbar zu ma-
chen, die von der früheren Klassifizierung verdeckt wurden? Mit anderen Worten, die Gewalt der
Metapher bestünde darin, eine frühere Kategorisierung zu brechen, um auf den Trümmern der
älteren logischen Grenzen neue zu errichten.“
Ricœur verweist in diesem Zusammenhang auf eine Max Black nahestehende Autorin, Mary
Hesse, die die Entdeckungsfunktion von Modell und Metapher in Analogie zueinander setzt: „Das
Modell ist ein Mittel zur Neubeschreibung“, und zwar im Sinne einer „ursprünglichen erkenntnis-
theoretischen Verwendung“ (ebd. 228). „Die wissenschaftliche Imagination besteht darin, auf
dem Umweg über diese ‚beschriebene‘ Sache [d.i. das Modell] neue Zusammenhänge zu sehen.
Verstößt man das Modell aus der Logik der Entdeckung oder reduziert man es sogar auf ein pro-
visorisches Hilfsmittel, so reduziert man letztlich die Logik der Entdeckung selbst auf ein dedukti-
ves Verfahren.“ (ebd. 230f.). Vgl. hierzu eine Bemerkung von Max Planck: „Wenn der Pionier der
Wissenschaft die tastenden Fühler seiner Gedanken ausstreckt, braucht er eine lebendige intuitive
Phantasie; denn neue Ideen werden nicht durch Deduktion gefunden, sondern durch eine künst-
lerisch-schöpferische Einbildungskraft“ (Scientific Autobiography and other Papers [1949], zit.
nach Conrad BONIFAZI: Eine Theologie der Dinge, aaO. 177f., Anm. 26). Sind wissenschaftliche Ent-
deckungen nicht schlechthin auf Deduktion rückführbar, dann scheinen neue wissenschaftliche

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Als Resumée der Ricœur'schen Metapherntheorie läßt sich demnach fol-
gendes festhalten: Indem eine gelingende Metapher dem Verständnis
von Wahrheit als einer adaequatio intellectus ad rem zuwider läuft, wird
sie der Adäquationsforderung auf paradoxe Weise gerecht. Wahrheit läßt
sich nicht zurechtstutzen auf ein vorgefertigtes Adäquationsmodell, denn
ein solches Modell riskiert, die Dimension des Möglichen von vorneherein
aus dem Wahrheitsbegriff auszuschließen. Vielmehr wird man sagen müs-
sen, daß einem Wahrheitsbegriff, der den Forderungen der Adäquation
gerecht werden will, das Modell einer Annäherung von Sprache und Wirk-
lichkeit eher angemessen ist. Dieses Modell zielt nicht auf das Immer-
schon-Gewußte oder Immerhin-Wißbare; es zielt auf eine Annäherung
von Sprache und Wirklichkeit, in welcher das Moment des Schöpferischen
der Sprache gerade nicht ausgeklammert, sondern in seiner Bedeutung
für die Entdeckung neuer Dimensionen des Wirklichen ernst genommen

Modelle in der Tat metaphorischen Neubeschreibungen gleichzukommen: „Der Rückgriff auf die
metaphorische Neubeschreibung ist eine Konsequenz der Unmöglichkeit, eine strenge Dedukti-
onsrelation zwischen dem Explanans und dem Explanandum zu erzielen; allenfalls darf man auf
eine ‚approximative Angemessenheit‘ rechnen; diese Annehmbarkeitsbedingung kommt der
Wechselwirkung [sc. zwischen Explanandum und Explanans], die in der metaphorischen Aussage
am Werk ist, näher als der bloßen Deduzierbarkeit“ (Die lebendige Metapher, aaO. 230f.). Die 85
„‚approximative Angemessenheit‘“, welche im wissenschaftlichen Modell zwischen Explanans und
Explanandum herrscht, entspricht der Analogie, nach welcher Metaphern, sollen sie gelingen, zu
bilden sind.
Die Analogie zwischen neukonzipierendem wissenschaftlichem Modell und metaphorischer
Neubeschreibung der Welt legt sich aber noch von einer anderen Seite her nahe: Die wissenschaft-
liche Neubeschreibung ruft „‚das Problem der metaphorischen Referenz‘“ auf den Plan. „Die Dinge
werden ‚gesehen als‘; [...] das Explanandum selbst [wird] durch die Wahl der Metapher verändert;
man muß daher so weit gehen, die Idee einer Invarianz der Bedeutung des Explanandums zu ver-
werfen, und bis zu einer ‚realistischen‘ Anschauung der Theorie der Wechselwirkung vorzudrin-
gen“ (Die lebendige Metapher, aaO. 232; Markierung J.N.). Was hier erkenntnistheoretisch auf
dem Spiel steht, ist deutlich: Die Art und der Ort eines wissenschaftlichen Experiments gehen in
das Ergebnis ein und verändern es. Unsere Wahrnehmung wird von der ihr zugrundeliegenden
Metaphorik wesentlich mitbestimmt. So zieht Ricœur den Schluß: „Nicht nur unsere Auffassung
der Rationalität, sondern zugleich die der Realität werden in Frage gestellt“ (ebd. 232). Mit dieser
Schlußfolgerung gibt Ricœur der klassischen Definition von Wahrheit als einer „adaequatio intel-
lectus ad rem“ vorläufig den Abschied, um über den Begriff der „metaphorischen Wahrheit“ zu
einem vertiefteren, wenngleich radikal modifizierten Verständnis derselben zu kommen. Die res
verändern sich durch die Adäquation; Wirklichkeit als von vorneherein vor jeder Erkenntnis fest-
stehende, in sich fixe Größe gibt es nicht; was wir »Wirklichkeit« nennen, ist ein Amalgam aus
Wahrnehmung und Deutung, Beobachtung und Begriff. Deshalb folgert Ricœur gegen die „onto-
logische Naivität“ der klassischen Adäquationsforderung: „Es gibt [...] keine Anschauung ohne
Konstruktion“ (ebd. 184). Allerdings hält er gegen einen „demythifizierenden Szientismus“ gleich-
ermaßen an der „Imaginationsfunktion der Sprache“ (ebd. 204) fest. Der zu explizierende Begriff
der „metaphorischen Wahrheit“ hängt wesentlich daran, ob es gelingt, aus der verhängnisvollen
Alternative von ontologischer Naivität einerseits und demythifizierendem Szientismus anderer-
seits herauszufinden und zuallererst zu „so etwas wie einem metaphorischen Glauben nach der
Entmythifizierung“ zu gelangen, d.h. zu einer „zweite[n] Naivität nach dem Ikonoklasmus“ (ebd.
249).

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wird. Der Ricœur'sche Begriff metaphorischer Wahrheit zielt auf ein sol-
ches Modell spannungsreicher Annäherung von Sprache und Wirklichkeit
– einer Annäherung, die freilich immer nur eine vorläufige sein kann.
Denn unter den kategorialen Bedingungen des Endlichen liefe der Ver-
such, das Approximative von Sprache und Wirklichkeit in Identität über-
führen zu wollen, darauf hinaus, Wahrheit im Begriff gleichzuschalten,
dem von Ricœur abgewiesenen traditionellen Adäquationsbegriff durch
die Hintertüre doch wieder ein Recht einzuräumen. Im selben Augenblick
wäre das innovative Potential der Metapher verspielt. Nicht mehr mit
möglichkeitsweckender Poiesis hätten wir es zu tun, sondern mit dem,
was Ricœur als „ontologische Naivität“ bezeichnet. Daß der Begriff der
metaphorischen Wahrheit die Fähigkeit in sich birgt, unter Vermeidung
sowohl eines naiven »es ist«186 als auch eines bloß kritischen »als ob«187
ein »Sehen-der-Dinge-als«188 zu etablieren (und zwar aufgrund der Auf-
deckung eines ontologischen »Sein wie«189 der Dinge) und dadurch das
innovative Potential der Sprache in seiner Entdeckungsfunktion gerade
für die unabgegoltenen Möglichkeiten des Seins an den Tag zu bringen,
erhebt ihn zu einem Philosophoumenon ersten Ranges. Was dies für die
Theologie bedeutet, formuliert Ricoeur am Ende seines Metaphernbu- 86
ches wie folgt: „Die Dichtung lehrt uns, das, was wir Realität nennen, kei-
neswegs als ein in sich Geschlossenes zu betrachten, das fix und fertig
wäre. Vielmehr gestattet sie uns, die Realität in ihrer Potentialität, d.h. in
ihrer dynamischen Dimension zu sehen, die in der Kreativität der sie ver-
mittelnden Sprache ihre Entsprechung hat.“190

186 Zum Begriff der „ontologischen Naivität“ vgl. ebd. 241-245.


187 Das Gegenextrem zur „ontologischen Naivität“ wäre ein aufklärerischer Szientismus. Vgl. ebd.
245-249.
188 Ebd. 203-207 (in Anschluß an Marcus B. Hester: The Meaning of Poetic Metaphor [1967]). Im „‚Se-
hen als‘“ verbinden sich Aktivität und Passivität der Erkenntnis in einer Weise, daß diese „halb
Denken, halb Erfahrung“ ist (ebd. 204). Insofern bewirkt das „‚Sehen als‘“ den nicht-sprachlichen
ontischen Ursprung eines sprachlich vermittelten ontologischen Seinzuwachses.
189 Vgl. ebd. 239ff., 249ff., 275. Wiederaufgenommen in Paul RICŒUR: Zeit und Erzählung Bd. I. Zeit
und historische Erzählung, München: Fink (1988) 126.
190 Die lebendige Metapher, aaO. 291, mit Bezug auf Met. V, 7 [1017a 35 – b 9].

Prof. Dr. Joachim Negel


Herbstsemester 2018, Vorlesung Fundamentaltheologie „Religion als Lebensdeutung“

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