Jesuiten

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Jesuiten
(2,897 words)

1. Gründung und Verfassung


Article Table of Contents
J. ist die Kurzbezeichnung der Mitglieder der Societas Iesu
1. Gründung und Verfassung
(lat.; »Gesellschaft Jesu«), des in der Nz. größten,
bedeutendsten und zugleich umstrittensten 2. Geschichte bis zur
Männerordens der Römisch-katholischen Kirche. Au ösung des Ordens 1773
3. Wiedererrichtung im 19. 
Gegründet wurden die J. von dem baskischen Adligen Jahrhundert
Iñigo López de Loyola, der sich später lat. Ignatius nannte. 4. Musik
Ursprünglich Soldat, orientierte er 1521 nach einer
schweren Verwundung sein Leben neu und begann ein
Studium, das er in Paris mit dem Grad eines Magister
Artium abschloss. Da er bereits während dieser Zeit Anhänger um sich scharte und mit seinen
geistlichen Übungen ungewöhnliche Wege der Seelsorge ging, geriet er mehrfach in den
Verdacht der Häresie, zumal er bes. Frauen ansprach. Als der Versuch, ins Heilige Land
aufzubrechen, scheiterte, stellten sich Ignatius und seine ersten sechs Gefährten, die sich
bereits 1534 in Paris durch ein Gelübde dazu verp ichtet hatten, 1538 dem Papst ( Papsttum)
zur besonderen Verwendung zur Verfügung [7]; [3].

Papst Paul III. bestätigte 1540 die Gemeinschaft, die einen Orden neuen Typs darstellte: ohne
Klausur, ohne gemeinsame Gebetszeiten und eigene Ordenstracht, zusätzlich zu den
klassischen Ordensgelübden (Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam) das der besonderen
Verfügbarkeit für den Papst, was eine entsprechende Mobilität voraussetzte. Geformt wurde
der Orden durch die Exerzitien, die jeder J. abzulegen hat, und durch regen brie ichen
Austausch der J. untereinander, die bald über ganz Europa und in den Missionsgebieten im
Einsatz waren.

Ignatius erarbeitete auch die Ordenssatzungen, die mehr oder weniger bis heute Geltung
haben. Danach werden die J. von dem in Rom residierenden praepositus generalis (lat;
»Allgemeinen Vorgesetzten«), kurz »General«, geleitet. Dieser wird auf Lebenszeit von der
»Generalkongregation«, die zugleich das oberste Gesetzgebungsorgan des Ordens ist, gewählt.
/
Ihr gehören die vom General für jeweils sechs Jahre ernannten Vorsteher der Ordensprovinzen
(»Provinziale«) und weitere Vertreter der Provinzen an. Die Provinziale bestellen die
Hausoberen in ihren Sprengeln.

Die J. haben eine gestufte Mitgliedschaft: Neben den durch die drei einfachen Ordensgelübde
(s. o.) gebundenen Priestern (lat. coadiutores spirituales, »geistlichen Mitarbeitern«, auch Patres
genannt) und Laien (lat. coadiutores temporales, »für die zeitlichen Dinge zuständige
Mitarbeiter«, auch Brüder genannt) gibt es Patres, die eine intensivere Ausbildung genossen
und zusätzlich das vierte Gelübde des Gehorsams gegenüber dem Papst abgelegt haben
(Professen). Einen weiblichen Zweig lehnte Ignatius ab. 1609 gründete Mary Ward in Wallonien
mit den » Englischen Fräulein« gegen innerkirchliche Widerstände einen weiblichen Orden,
der sich in vielem an den der J. anlehnt (Institutum Beatae Mariae Virginis; heute Congregatio
Iesu).

Peter Walter

2. Geschichte bis zur Au ösung des Ordens 1773

Bereits 1556 hatten die J. 1 000 Mitglieder, deren Zahl bis zum Ende des 16. Jh.s auf 8 500 und
Mitte des 17. Jh.s auf 16 000 anwuchs. Ihr Haupteinsatzgebiet war von Anfang an das Schul- und
Unterrichtswesen (Klosterschule; Erziehung). Sie gründeten in Europa und in den Missions-
Gebieten für die Ausbildung des eigenen Nachwuchses, bald aber auch für »Externe«,
Kollegien, an denen neben dem Gymnasialunterricht auch Philosophie und Theologie gelehrt
wurden. Neben dem 1551 errichteten zentralen »Röm. Kolleg« (der heutigen Päpstlichen
Universität Gregoriana) gab es Ende des 16. Jh.s weltweit fast 250 solcher Kollegien, deren Zahl
sich bis zur Mitte des 17. Jh.s mehr als verdoppelte. Dadurch waren die J. maßgeblich an der
Scha fung des nzl. kath. Unterrichtswesens (Erziehung) und einer bis dahin nicht
existierenden wiss. Ansprüchen genügenden Ausbildung der Geistlichen beteiligt.

Nach einer Erprobungsphase wurde 1599 die Studienordnung der J. ( Ratio studiorum)
verabschiedet. Obwohl sie die kirchenreformerischen Bestrebungen des Humanismus
ablehnten, übernahmen die J. dessen Bildungs-Ideale, wie etwa eine gründliche Kenntnis der
klassischen Sprachen (Latein und Griechisch, vgl. Gräzistik) und ein praxisorientiertes
Studium. Zu didaktischen und propagandistischen Zwecken setzten sie Theater
(Jesuitendrama), Kunst (Religiöse Ikonographie) und Musik (s. u. 4.) ein. In Philosophie und
Theologie verhalfen sie der Scholastik in ihrer an Thomas von Aquin orientierten Spielart zum
Durchbruch (Spätscholastik). Allerdings gerieten sie mit den Dominikanern, die Thomas
ebenfalls als maßgeblichen Theologen betrachten, in eine heftige Auseinandersetzung um die
richtige Interpretation des Verhältnisses von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit (sog.
Gnadenstreit).

Aus der Schülerseelsorge erwuchsen seit 1563 die » Marianischen Kongregationen«, in denen
die J. spezielle Berufs- und Standesseelsorge betrieben, wobei sie bes. die Exerzitien einsetzten
(Marienverehrung). Darüber hinaus wirkten sie in Volksmissionen, Predigt und Katechese
(Katechismus). Eine besondere und bes. umstrittene Seelsorgetätigkeit war die der Beicht-
/
Väter, welche die J. zeitweise an mehreren Höfen (wie etwa Wien, Paris, Madrid und Lissabon)
stellten und die für politische Entscheidungen der von ihnen beratenen Herrscher
mitverantwortlich waren bzw. gemacht wurden [1]; [8]. Im Dienste der seelsorgerlichen
Beratung entwickelten die J. eine eigene Kasuistik (Moraltheologie), die den heftigen
Widerstand des Jansenismus hervorrief.

Seit der Ignatius-Gefährte Franz Xaver 1542 nach Goa aufgebrochen war, wirkten J. in der
Mission, zunächst in Indien, dann ab 1549 in Japan, schließlich in China und Amerika. Ihre
Methode zeichnete sich dadurch aus, dass sie zunächst gründlich Denken und
Lebensgewohnheiten der einheimischen Bevölkerung, bes. der Bildungseliten, kennenzulernen
suchten, um die Verkündigung des christl. Glaubens daran auszurichten. Die blutige Verfolgung
der Ordensangehörigen machte ihrem Wirken in Japan bereits 1614 ein Ende. 1742 wurden ihre
Akkommodationsversuche an die chines. Kultur endgültig päpstlich verboten, wodurch der
seit Mitte des 17. Jh.s schwelende sog. Ritenstreit zwischen den in Fernost missionierenden
Orden – Dominikanern und Franziskanern einerseits und J. anderseits – zugunsten der
Ersteren beendet wurde, die sich v. a. von der Furcht vor Synkretismus leiten ließen und ein
europ. geprägtes Christentum exportierten [2]. In Lateinamerika gingen die J. bei der
Missionierung mit der Gründung von »Reduktionen« neue Wege, die Mitte des 18. Jh.s von den
Anrainerstaaten beendet wurden (Jesuitenstaat).

Die zahlreichen Auseinandersetzungen, in die die J. verwickelt wurden, führten, gepaart mit
Neid auf deren beachtliche Erfolge, im 18. Jh. zu einer wachsenden inner- und
außerkirchlichen Kritik, die die Flexibilität der J. in moraltheologischen Fragen anprangerte
(man warf ihnen zu Unrecht die Maxime vor, der Zweck heilige die Mittel, und, z. T. durchaus
zu Recht, eine gewisse Erstarrung in dem von ihnen monopolisierten Bildungswesen). Von
einem ehemaligen J. gefälschte »Geheiminstruktionen« (lat. monita secreta) taten ein Übriges,
um die J. in Misskredit zu bringen [6].

Da sie als verlängerter Arm des Papsttums galten, wurden sie von den Bemühungen zahlreicher
europ. Herrscher getro fen, dessen Ein uss zurückzudrängen und ein Staatskirchentum zu
etablieren (Kirche und Staat). V. a. die von Bourbonen regierten Staaten gingen gegen den
Orden vor, der Mitte des 18. Jh.s 22 500 Mitglieder und etwa 670 Kollegien umfasste: 1759
wurden die J. aus Portugal, 1764 aus Frankreich, 1767 aus Spanien, Neapel und Sizilien, 1768 aus
Parma vertrieben. 1773 wurde der gesamte Orden von Papst Clemens XIV. auf bourbonischen
Druck hin aufgehoben. Da ohne J. das Schulwesen im preuß. Schlesien und in Weißrussland
zusammenzubrechen drohte, verhinderten Friedrich II. für kurze Zeit und Katharina II. auf
Dauer die Verkündigung des päpstlichen Au ösungsbeschlusses. So konnten die J. ihre Arbeit
im Russ. Reich fortführen.

Peter Walter

3. Wiedererrichtung im 19. Jahrhundert

/
Nach der durch die Französische Revolution markierten Zäsur, die in der röm.-kath. Kirche v. a.
zur Erstarkung des Papsttums führte, wurden die J. durch Papst Pius VII. zunächst regional, 1814
gesamtkirchlich wieder zugelassen. Sie suchten ihre früheren Betätigungsfelder
wiederzugewinnen, doch el ihnen dies schwer, da sie sich erst langsam personell
regenerierten und die frühere staatliche Unterstützung vielfach fehlte. Gleichwohl erstarkte
der Orden stetig, der beim Neubeginn etwa 600 Mitglieder zählte: Um die Mitte des 19. Jh.s
betrug deren Zahl etwas mehr als 5 000, an dessen Ende 11 500. Der kirchlichen
Gesamtsituation entsprechend gewann der Orden ein restauratives Gepräge, das sich
kirchenpolitisch in der Unterstützung des die Ausrichtung auf die röm. Zentrale hin
befördernden Ultramontanismus und philosophisch-theologisch in der Favorisierung der
Neuscholastik zeigte. Mit der Gründung zahlreicher, z. T. noch heute bestehender Zeitschriften,
wie etwa La Civiltà Cattolica (seit 1850; »Die kath. Gesellschaft«) für den ital. und Stimmen aus
Maria Laach (seit 1871, ab 1914 Stimmen der Zeit) für den dt. Sprachraum, gri fen die J. moderne
Formen der Kommunikation auf.

Die so pro lierten J. wurden in einigen Ländern verboten: so etwa 1847 bis 1973 in der Schweiz,
1872 bis 1917 im Dt. Reich, weil man sie als einen verlängerten Arm des Papsttums betrachtete.
Mitte des 20. Jh.s versuchten zunächst einzelne J., dann der Orden insgesamt, die eher
defensive, apologetische Ausrichtung des 19. und frühen 20. Jh.s zu überwinden und sich für
neue Aufgaben zu ö fnen. Noch immer sind die J., die 1965 mit 36 000 Mitgliedern die
Höchstzahl in ihrer Geschichte auswiesen, mit etwa 23 000 Angehörigen der größte Orden der
röm.-kath. Kirche (Literatur zur Regionalgeschichte sowie statistische Angaben bei [9]).

Verwandte Artikel: Jesuitendrama | Jesuitenstaat | Mission | Missionsbericht | Mönchtum |


Religiöse Interaktion, globale ‖ Bollandisten | Spiritualität

Peter Walter

Bibliography

[1] R. B , The Jesuits and the Thirty Years War. Kings, Courts and Confessors, 2003

[2] G. H. M , The Chinese Rites Controversy from Its Beginning to Modern Times, 1985

[3] J. W. O'M , Die ersten Jesuiten, 1995 (engl. 1993)

[4] J. W. O'M et al. (Hrsg.), The Jesuits. Cultures, Sciences, and the Arts 1540–1773, 1999

[5] S. P , I gesuiti dalle origini alla soppressione, 2004

[6] S. P , The Wily Jesuits and the monita secreta. The Forged Secret Instructions of the
Jesuits, 2005 (ital. 2000)

[7] A. R , Ignatius von Loyola gründet die Gesellschaft Jesu, 1982 (franz. 1974)

/
[8] F. R (Hrsg.), I religiosi alla corte. Teologia, politica e diplomazia in antico regime, 1998

[9] G. S et al., Art. Jesuiten, in: LThK 5, 1996, 794–801.

4. Musik

4.1. Allgemein

Ein spezi scher jesuitischer (= jes.) Umgang mit Musik kann v. a. bis zur Au ösung des Ordens
1773 beobachtet werden: (1) das anfängliche Verbot liturgischen Singens für die
Ordensmitglieder; (2) die dennoch bald einsetzende Integration aller Strömungen
zeitgenössischer Musik in den jes. Schulalltag und in die ö fentliche Selbstdarstellung des
Ordens; (3) die starke pädagogisch-missionarische Funktionalisierung der Musik in den
Kolonialprovinzen und im Zuge der Katholischen Reform.

4.2. »Jesuita non cantat«

Noch unter Ignatius von Loyola wurde in den Konstitutionen des Ordens (Mönchtum)
festgehalten, dass seine Mitglieder weder die täglichen sechs Stundengebete (das O zium)
singen noch Instrumente benutzen sollten. In diesen Bestimmungen spiegelte sich zum einen
seine Vision, einen in der Welt tätigen apostolischen Orden zu formen; eine Verp ichtung zu
den Stundengebeten hätte den Mitgliedern zu wenig Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben in der
Seelsorge gelassen. Zum anderen aber beweisen teils sehr prominente Stimmen aus dem
Orden, dass auch ein genereller Vorbehalt gegen die Musik als Selbstzweck und gegen ihre
ablenkende, a fektive und die Sinne aktivierende Kraft eine Rolle spielte. Da aber die
Umsetzung dieser Verbote von Anfang an auf den Widerstand des Kirchenvolkes stieß und
Papst Paul IV. zusätzlich Druck ausübte, strich Ignatius die entsprechenden Passagen 1555
wieder; er verbot nur noch den Professen (s. o. 1.) musikal. Betätigung, während er die Bildung
von Schüler- und Studentenchören erlaubte, die an Sonn- und Feiertagen die Vesper
einstimmig oder in einfachster Mehrstimmigkeit (»Falsobordone«) sangen (Chor, Chormusik)
[10].

Zwei Ereignisse des frühen 17. Jh.s symbolisieren einen deutlichen Wendepunkt im Verhältnis
der J. zur Musik: Zum einen impliziert der Einbau zweier neuer Choremporen – zwei waren
bereits vorhanden – sowie einer weiteren Orgel in der Mutterkirche Il Gesù in Rom (1614) eine
Musikpraxis, die nicht mehr ausschließlich von den Studenten getragen werden konnte,
sondern auch auf professionelle Sänger und Instrumentalisten zurückgri f. Damit begann eine
Tradition namhafter Komponisten als Kapellmeister (ital. maestri di cappella) an den jes.
Seminaren und Kollegien, unter ihnen Giovanni Pierluigi da Palestrina, Tomás Luis de Victoria,
Giacomo Carissimi und Johann Hieronymus Kapsberger [3]. Zum anderen beauftragte man
anlässlich der Heiligsprechung von Ignatius und Franz Xaver 1622 drei bedeutende
Komponisten mit der Komposition von Opern, die den Orden und seine Gründer verherrlichen
sollten. Die Musik war also mittlerweile zum Ausdruck des jes. Selbstverständnisses geworden
[7. 84–95].

/
4.3. Musik auf dem Stundenplan

Die anfänglich ablehnende Haltung zur Musik galt nie für die Schüler und Studenten an den
Kollegien und Universitäten des Ordens. Nicht nur gehörten theoretische und praktische
Kenntnisse der Musik zu einer dem Ideal der Zeit entsprechenden Bildung, sondern die
Förderung einer tätigen, singenden Teilnahme an festlich ausgestalteten Messen und
Stundengebeten war auch Teil der seelsorgerischen und gegenreformatorischen Bestrebungen
des Ordens. So wurde in das Curriculum bald auch praktischer Unterricht in Musik integriert,
nachdem diese in theoretischer Form als Disziplin des Quadriviums seit den ersten
Schulgründungen zum Lehrsto f gehört hatte. Zusätzlich zu den liturgischen Aufgaben
(Gottesdienst) wurden den Schülern weitere Entfaltungsmöglichkeiten geboten: Regelmäßig
wurden Jesuitendramen einstudiert und aufgeführt, die neben prächtigen Bühnenau auten
auch musikal. Nummern hatten. Waren diese zu Beginn noch auf die Finalchöre oder die
Begleitung von Balletten beschränkt, gewannen sie immer mehr Raum, bis das J.-Drama sich
eng an die Form der damals noch jungen Gattung Oper anlehnte und weltliche Musik auf der
Höhe ihrer Zeit vorführte [11].

Des Weiteren wurden alle akademischen Feiern von Musik begleitet, zumeist von extra für die
jeweilige Gelegenheit komponierten und mit einem auf sie passenden Text versehenen
Motetten und von geistlichen Madrigalen in anspruchsvoller Polyphonie (Satz, musikalischer).
Auch die Marianischen Kongregationen (s. o. 2.) schmückten ihre geistlichen Übungen mit
Musik aus; zumeist sangen sie gemeinsam die Vesper am Sonntagabend (Marienverehrung)
[8].

Damit wurden die J.-Schulen zu einer bedeutenden Plattform zeitgenössischer und


ambitionierter Musik (herausragend insbes. das Collegium Germanicum in Rom, solange
Carissimi dort als Kapellmeister amtete), da sie einerseits die Produktion von Werken anregten,
die ihre Bedürfnisse an weltlicher und geistlicher Musik bedienten, und diese Werke
andererseits auch publik machten, da zu allen Anlässen der Selbstpräsentation die weltliche
und geistliche Prominenz des Ortes geladen war.

4.4. Musik im Missionarsgepäck

Ein weiterer wichtiger Umstand war die Erkenntnis, dass sich die Musik sowohl in der europ.
als auch der außereurop. Mission als überaus nützlich erwies. Während man in Europa die
Menschen mit der schieren Pracht einer kath. Messe anzuziehen vermochte, aber auch mit der
Verö fentlichung zahlreicher volkssprachlicher Gesangbücher dem Erfolg der Protestanten
begegnen wollte [6], trafen die Missionare bes. in Südamerika auf Einwohner (Indio; Indianer
), über deren Musikbegeisterung sich rasch Brücken der Verständigung bauen ließen. Die J.
übersetzten zentrale Texte des christl. Glaubens in die indigenen Sprachen und unterlegten sie
mit geistlichen wie weltlichen europ. Melodien. Diese Lieder, v. a. über die Kinder in Umlauf
gebracht, stellten das zentrale pädagogische Mittel der Konversion dar. Anfangs gab es Ansätze,
sich auch indian. Melodien und Instrumente zu bedienen, was aber die Bischöfe sowohl der
span. wie der portug. Kolonien untersagten. Der fast vollständige Verlust der indigenen
amerikan. musikal. Kultur ist nicht zuletzt auf diesen Entschluss zurückzuführen [2]. /
Bald boten die J. in ihren Missionsschulen auch praktischen Unterricht in Musik auf europ.
Niveau an [5]. In den Städten des Jesuitenstaates in Paraguay gab es schließlich zahlreiche
indian. Orchester und Chöre, die in der Messe und zu anderen Anlässen musizierten.
Konservatorien wurden gegründet, und Manufakturen für Musikinstrumente entstanden. Dem
Bestreben, ständig die neuesten Kompositionen aus Europa kennenzulernen, sowie
zahlreichen in den Missionsgebieten entstandenen Kompositionen sind Quellen zur jes. Musik
zu verdanken, die sich in dieser Form in Europa fast nie erhalten haben. Ähnlich wie in
Südamerika gingen die Missionare auch in Ostasien vor [8].

Teilweise nahm der kulturelle Transfer auch den umgekehrten Weg. So wurde die von der
europ. Kunstmusik am meisten aufgegri fene und verarbeitete chines. Melodie 1735 von einem
jes. Chinamissionar in einem geographischen Werk verö fentlicht [1]. Ein weiteres lit. Zeugnis,
das die Bedeutung der Musik für die J. allgemein und in der Mission im Besonderen
veranschaulicht, ist die Musurgia universalis (1650) des dt. J. Athanasius Kircher: Diese
Musikenzyklopädie berücksichtigt neben der europ. Musiktradition auch die Musik
außereurop. Völker und beschreibt zudem ein von ihm selbst erfundenes Komponierkästchen,
mit dem man ohne musikal. Vorkenntnisse vierstimmigen geistlichen Gesang auf Texte in jeder
beliebigen Sprache komponieren kann. Ganz deutlich richtete Kircher sich dabei an den
Notwendigkeiten in den Missionsgebieten aus.

4.5. Abbruch der frühneuzeitlichen Tradition

Die 40-jährige Unterdrückung des Ordens ab 1773 ließ viele Traditionen abreißen. Auf die
musikal. Praxis wirkte sich neben der Zerstörung fast aller musikal. Archive der Kollegien und
Kapellen v. a. der Verlust an Ein uss in Europa und mehr noch in Übersee sehr negativ aus: Die
blühende jes. Musikkultur bis 1773 war also wesentlich an die große gesellschaftliche und
politische Rolle des Ordens gebunden. Sie beruhte auf ordensinternen Netzwerken und der
Entdeckung der Musik als eines Mittels, die apostolischen Aufgaben zu unterstützen. Nach der
Wiedergründung ab 1814 machten sich J. vornehmlich als Forscher und Musikwissenschaftler
einen Namen. Als ihr Hauptbetätigungsfeld gilt der Gregorianische Choral, dem sie erstmals
eine histor. Betrachtung, kritische Ausgaben und Rekonstruktionsversuche widmeten [6].

Verwandte Artikel: Jesuitendrama | Katholische Reform | Kulturkontakt, globaler | Mission |


Musik, kirchliche

Melanie Wald

Bibliography

Quellen

[1] J. B. D H , Description géographique, historique, chronologique, politique et physique


de l'Empire de Chine et de la Tartarie chinoise, 1735.

/
Sekundärliteratur

[2] P. C , The Use of Music by the Jesuits in the Conversion of the Indigenous Peoples
of Brazil, in: J. W. O'M (Hrsg.), The Jesuits, 1999, 641–658

[3] T . C , Jesuits and Music. A Study of the Musicians Connected with the German
College in Rome during the 17th Century and Their Activities in Northern Europe, 1970

[4] P. G , Les Jésuites et la musique. Le Collège de la Trinité à Lyon 1565–1762, 1991

[5] J. H , Orfeo nelle Indie. I gesuiti e la musica in Paraguay (1609–1767), 2001

[6] D. H , Art. Jesuiten, in: MGG2 S4, 1460–1475

[7] F. T. K , Jesuits and Music. Reconsidering the Early Years, in: Studi Musicali 17/1, 1988,
71–100

[8] F. T. K , Art. Jesuits, in: NGr2 13, 2001, 19–21

[9] K. K -S , Dokumente über das Musikleben der Jesuiten. Instrumenten- und


Musikalienverzeichnisse zur Zeit der Au ösungen, in: Studia musicologica Academiae
scientiarum Hungaricae 39, 1998, 283–366

[10] J. W. O'M , Musik und Gottesdienst, in: J. W. O'M , Die ersten Jesuiten, 1995, 188–
191

[11] A. S , La musica presso il Collegio dei Gesuiti di Trento, con particolare attenzione alla
attività spettacolare (1625–1773), in: R. D (Hrsg.), Musica e società nella storia trentina,
1994, 307–388

[12] J. S , Die Musik der Jesuiten-Akademie in Olmütz (Mähren) im frühen 18. Jh., in:
Musik des Ostens 14, 1993, 65–84

[13] W. J. S , The Jesuits in Manila, 1581–1621, in: J. W. O'M et al. (Hrsg.), The Jesuits.
Cultures, Sciences, and the Arts 1540–1773, 1999, 659–679.

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Walter, Peter and Wald, Melanie, “Jesuiten”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in
Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst
Poeschel Verlag GmbH 2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-0248_edn_COM_286804>
First published online: 2019

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