Pi-Linz Emilia Galotti
Pi-Linz Emilia Galotti
Pi-Linz Emilia Galotti
EMILIA GALOTTI
Ein Trauerspiel in fnf Aufzgen
I. VORBEMERKUNG
Ein schwrmerischer, unreifer Frst, ausgestattet mit absolutistischer Machtvollkommenheit, will ein schnes, unerfahrenes Mdchen aus dem Brgertum verfhren und richtet dadurch eine Katastrophe an. Der Stoff, aus dem Gotthold Ephraim Lessings Trauerspiel Emilia Galotti gemacht ist, gehrt zweifellos einer anderen Zeit an, und mit Recht fragt man daher, ob dieses Stck im gegenwrtigen Literaturunterricht noch besondere Beachtung genieen soll. Mein Antwort darauf: Ja, es soll Beachtung finden und zwar aus unterschiedlichen Grnden. Zunchst einmal ist die Handlung des Stcks nicht auf die konkreten sozialhistorischen Hintergrnde reduzierbar. Es geht nicht nur um Adelsmacht und Standesunterschiede in Emilia Galotti, es geht auch um andere Probleme: um das erotische Begehren der Mnner (ob Frst oder nicht), um Sinnlichkeit und Moral, um Verfhrung, um sittliche Normen, die nur fr Frauen gelten, um die Spannung zwischen individuellen Glcksansprchen und gesellschaftlicher Ordnung, um eine schwierige Vater-TochterBeziehung und ein daraus folgendes neurotisches Bedrfnis nach Selbstzerstrung. Und nicht zuletzt ist Lessings Trauerspiel Emilia Galotti auch deshalb ein Glcksfall fr den Literaturunterricht an hheren Schulen, weil an ihm recht anschaulich die dramatische Bauform eines klassischen Zieldramas erlutert werden kann. Das hat nichts mit Formalismus und Beckmesserei zu tun. Wer diese Bauform nicht kennt, versteht nicht nur eine beraus erfolgreiche Methode des Stckeschreibens nicht, er durchschaut auch die Bauform vieler Spielfilme nicht, denn auch ihnen liegt sehr oft jenes Schema zugrunde, das sich seit den Tagen der griechischen Tragdie immer wieder bewht hat und das beinahe zur archetypischen Form geworden ist: Exposition erregendes Moment steigende Handlung Peripetie fallende Handlung Katastrophe.
Marinelli als Retter an. Er schlgt vor, Graf Appiani darum zu ersuchen, als Gesandten des Prinzen nach Massa zu reisen und aus diesem Grund die Hochzeit um einige Tage zu verschieben. Marinelli bricht sofort auf, um dasVorhaben umzusetzen und keine Zeit zu verlieren. Die letzte Szene zeigt noch einmal, wie sehr Prinz Gonzaga seinen gefhlen ausgeliefert ist und welche fatale Folgen dies haben kann, wenn ein Mensch an einer entscheidenden Machtposition sitzt. Camillo Rota, der Sekretr des Prinzen, legt seinem Herrn ein Todesurteil vor. Damit es vollstreckt wird, muss der Prinz, der ja im absolutistischen System auch oberster Gerichtsherr ist, seine Unterschrift unter dasUrteil setzen. Allerdings kann er den Verurteilten auch begnadigen. Hettore Gonzaga nimmt nicht mehr wahr, was er unterscheiden soll. Ohne sich mit dem Fall auch nur eine Minute zu beschftigen, will er recht gern seine Unterschrftb unter dasurteil setzen. Camillo Rota ist irrittiert. Unter einem Vorwand hlt er das entscheidende Schriftstck zurck: Ich htte es ihn in diesem Augenblick nicht mgen unterschreiben lassen, und wenn es den Mrder meines einzigen Sohnes betroffen htte.Recht gern! recht gern! Es geht mir durch die Seele, dieses grliche recht gern! Die Stufen der steigenden Handlung (2.Aufzug, Im zweiten Akt fhrt Lessing die Handlung ein folgende Weise weiter: Zunchst stellt er dem Publikum claudia und Odoardo Galotti vor, Emilioas Eltern. Aus ihrem gesprch entstehen skizzenhafte Umrisse der beiden Personen. Claudia hat ein gewissesVergngen am Stadtleben, am Glanz des Hofes und am geselligen Leben. Odoardo sieht dies alles mit Unbehagen und Misstrauen. Insbesondere auf seine Tochter hat Odoardo Galotti ein uerst wachsames Auge. Dies wird bereits aus wenigen Zeilen im 1. Auftritt des 2. Aufzugs erkennbar. Selbst die Tatsache, dass Emilia ohne Aufsicht wenige Schritte auer Haus gegangen ist, um die Messe zu besuchen, ist ihm Anlass zum Misstrauen. Schon ein Schritt ist genug zu einem Fehltritt!. Als Claudia ihrem Mann nicht ohne Stolz erzhlt, dass sie und Emilia krzluich bei einer Einladung dem prinzen begegnet seien und Gonzaga offensichtlich von Emilias Munterkeitund Witz angetan war, reagiert dieserverrgert. Ein Wollstling, der bewundert, begehrt. Claudia! Claudia! Der bloe gedanke setzt mich in Wut. Umso ungeduldiger sieht Odoardo der Verheiratung seiner Tochter mit Graf Appiani entgegen. Dass Emilia mit ihrem Gemahl auf dessen Gtern leben wird, erleichtert ihn. Endlich kommt seine Tochter weg vom Hof und von dessen zweifelhafter Moral.
Auf einer zweiten Handlungsebene macht Lesing erkennbar, dass der kammerherr Marinelli im Hintergrund mittlerweile seine Fden der Intrige zu ziehen beginnt. Ein gesuchter Verbrecher namens Angelo und ein Diener der Galottis, der sich als Komplize anbietet, unterhalten sich berden Weg, den die Kutsche mit Appianini und seiner Braut heute nehmen wird.Nur zwei bediente werden den Wagen begleiten. Nicht auf Geld und Schmuck der Braut hat esAngelo abgesehen, sondern auf die Braut selbst. In wessen Auftrag, dasistleicht zu erraten. Mittlerweile ist Emilia aus der Kirche nach Hause gekommen. Gerade schien es noch, als seien Odoardo Galottis Misstrauen und Vorsicht stark berrieben. Nun scheinen ihm aber die Umstnde Recht zu geben. Emilia strzt in einer ngstlichen Verwirrung herein. Emilia erzhlt ihrer Mutter, wassie soeben in der Kirche erlebt hat. EMILIA: Eben hatt ich mich - weiter von dem Altare, als ich sonst pflege - denn ich kam zu spt - auf meine Knie gelassen. Eben fing ich an, mein Herz zu erheben, als dicht hinter mir etwas seinen Platz nahm. So dicht hinter mir! - Ich konnte weder vor noch zur Seite rcken - so gern ich auch wollte; aus Furcht, da eines andern Andacht mich in meiner stren mchte. - Andacht! das war das Schlimmste, was ich besorgte. Aber es whrte nicht lange, so hrt ich, ganz nah an meinem Ohre - nach einem tiefen Seufzer - nicht den Namen einer Heiligen - den Namen - zrnen Sie nicht, meine Mutter - den Namen Ihrer Tochter! - Meinen Namen! - O da laute Donner mich verhindert htten, mehr zu hren! - Es sprach von Schnheit, von Liebe. - Es klagte, da dieser Tag, welcher mein Glck mache - wenn er es anders mache - sein Unglck auf immer entscheide. - Es beschwor mich - hren mut ich dies alles. Aber ich blickte nicht um; ich wollte tun, als ob ich es nicht hrte. - Was konnt ich sonst? - Meinen guten Engel bitten, mich mit Taubheit zu schlagen; und wann auch, wann auch auf immer! - Das bat ich; das war das einzige, was ich beten konnte. - Endlich ward es Zeit, mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende. Ich zitterte, mich umzukehren. Ich zitterte, ihn zu erblicken, der sich den Frevel erlauben drfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte CLAUDIA: Wen, meine Tochter? EMILIA: Raten Sie, meine Mutter; raten Sie - Ich glaubte in die Erde zu sinken. - Ihn selbst. CLAUDIA: Wen, ihn selbst? EMILIA: Den Prinzen. CLAUDIA: Den Prinzen! - O gesegnet sei die Ungeduld deines Vaters, der eben hier war und dich nicht erwarten wollte! Claudia rt ihrer Tochter, von diesem Erlebnis niemandem etwas zu sagen, am allerwenigsten dem Vater und dem Brutigam! Emilia nimmt den Rat der Mutter an. Von Graf Appiani, Emilias knftigem Mann, war bisher nur die Rede. Im siebenten Auftritt des 2. Aufzugs lsst ihn Lessing auftreten. DasBild, dasbishervon ihm gezichnet wurde, besttigt sich. Appiani ist ein ernsthafter Mann, nicht nur Emilia verbunden, sondern vor allem auch ihrem Vater Odoardo, den er als Muster aller mnnlichen Tugendenund Vorbild lobt. Freilich regt sich hier derVerdacht, dieser Brutigam knnte mehr dem Geschmack
desVaters als dem der Tochter entsprechen, denn emilia erzhlt von einem seltsamen Traum, den sie nun schon dreimal getrumt habe. Die Edelsteine auf einem Geschmeide, das ihr Appiani geschenkt hat, htten sich im Traum in Perlen verwandelt und Perlen bedeuten Trnen. Marinelli kommt zu Besuch ins Haus Galotti, um den Grafen Appiani zu sprechen. Marinellis Versuch, Appiani zu einer Reise nach Massa als Bevollmchtigter des Prinzen zu berreden und die Hochzeit aufzuschieben, misslingt. Da Graf Appiani Prinz Gonzaga nicht als Untertan verpflichtet ist, kann er den Wunsch des Frsten zurckweisen. Als Marinelli nicht aufhrt, den Grafen zu bedrngen, nennt dieser ihn einen ganzen Affen. Das wird sich rchen. Steigende Handlung, Hhepunkt, Wendepunkt (3.Aufzug) Der Schauplatz wechselt. Die folgenden Szenen spielen auf Dosalo, dem Lustschloss des Prinzen. Marinelli berichtet, dass der Plan, Appiani zur bernahme einer gesandtschaft zu berreden, misslungen ist,dass er aber einen anderen weg gefunden hat. Man hrt einen Schuss. Der Anschlag auf die Kutsche, in der Appiani, Claudia und Emilia reisen, wird zum schein berfallen. bedeinte des Kammerherrn eilen scheinbar als Helfer herbei, retten Emilia vor den Verbrechern und werden sie auf das Schloss des Prinzen bringen. Appiani wird bei diesem fingierten berfall erschossen. Angelo meldet Marinelli, dass die Aktion erfolgreich verlaufen ist. Emilia befindet sich nun auf dem Lustschloss des Prinzen, freilich in dem Glauben, sie sei soeben einem Anschlag entgangen. Von Appianis Tod wei sie noch nichts. Ihre Sorge zersteut Marinelli. Alle seine gerettet worden, und Emilia werde ihren Brutigam und ihre Mutter bald wieder sehen. Dass sie auf einem Schlos des Prinzen Gonzaga ist, erfhrt Emilia erst jetzt. Die erste Begegnung mit Prinz Gonzaga folgt sogleich im 5. Auftritt. dieseZusammentreffen bildet den Hhepunkt. Hettore Gonzaga hat sein Ziel erreicht. Er geht behutsam vor, entschuldigt sich bei Emilia fr sein Verhalten am Morgen in der Kirche und versichert ihr, dass sie keines Schutzes gegen ihn bedrfe. Im Gegenteil, er unterwerfe sich ihrer unumschrnktesten Gewalt. Appiani ist tot. Von ihm geht keine Gefahr mehr aus. Aber Claudia Galotti sucht natrlich nach ihrer Tochter und kommt auf das Schloss. Der Wendepunkt der Handlung zeichnet sich ab. Marinelli tritt Claudia Galotti entgegen. Marinelli, das war das letzte Wort des sterbenden Appiani. Claudia durchschaut nun die Zusammenhnge. Dieser Marinelli, mit dem Appiani Streit hatte, und das Werben des Prinzen um Emilia. Der Anschlag war nur fingiert, Emilia sollte in die Hnde des Prinzen gebracht werden. Claudia erkennt aber nicht nur die
ganze entsetzliche Wahrheit, sondern auch die Grenzen des Handelns, die ihr gesetzt sind. Appiani ist tot. Sie selbst und Emilia sind in der Gewalt der Entfhrer. Fallende Handlung (4.Aufzug) Prinz Gonzaga ist ein gedankenloser, schwrmerischer, pflichtvergessener junger Mann, aber ist kein eiskalter Schurke. Nun kommt ihm Zu bewusstsein, was Marinelli angerichtet. Er selbst fhlt sich zwar nicht schuldig an Appianis Tod, aber er erkennt, dass er in eine uerst problematische Situation gerasten ist. Marinelli mag sich noch so bemhen, den Tod des Grafen als unvorhergesehenen Unglcksfall darzustellen, der Verdacht des Mordes an seinem Konkurrenten wird fr immer am Prinzen hngen, wenn er jetzt um Emilias Liebe wirbt. Die Hoffnungen des prinzen werdenb sich nicht erfllen. Die Handlung fllt ihrem Endpunkt entgegen, auf der nchsten Stufe der fallenden Handlung durchschaut Grfin orsina die Hintergrnd edes verbrechens. Orsina erscheint auf Dosalo, um mit dem prinzen zu sprechen. Hettore Gonzaga weicht einem Zusammentreffen mit der mittlerweile ungeliebten Mtresse aus, und Marinelli muss wieder einmal fr seinen Herrn handeln. Grfin Orsina ahnt mit aller Deutlichkeit, dass Hettore Gonzaga nichts mehr von ihr wissen will. Als der Prinz merkt, dass sich die Grfin Marinellis Versuch, sie abzuwimmeln, widersetzt, erscheint er fr kurze Zeit selbst und entschuldigt sich knapp und distanziert wegen einer unaufschiebbaren Beschftigung. Orsina ist schwer gekrnkt. Nicht einmal eine Lge lsst sich der Prinz mehr einfallen, um sie wegzuschicken. Er weist sie einfach ab. Wenigstens um eine besnftigende Lge bittet sie Marinelli. Der Kammerherr liefert ihr daraufhin die halbe Wahrheit. Claudia und Emilia Galotti seien beim Prinzen, gerettet nach einem berfall. Grfin Orsina durchschaut sofort die Situation. Sie wei, dass Appiani tot ist, und sie wei auch von den Begehrlichkeiten ihres ehemaligen Liebhabers. Prinz Gonzaga wurde nmlich whrend des Gesprchs, das er mit Emilia am Morgen in der Kirche fhrte, von Vertrauten der Grfin belauscht. Sie stellt sofort die richtigen Zusammenhnge zwischen dem vermeintlichen berfall und dem Begehren des Prinzen her. Der Prinz ist ein Mrder! ruft sie aus. Als Grfin Orsina das Schloss verlassen will, trifft sie mit Odoardo Galotti zusammen. Die nchste Stufe der fallenden Handlung ist erreicht. Der Oberst wei, dass sich ein berfall ereignet hat, dass seine Frau und seine Tochter auf Schloss Dosalo Zuflucht gefunden haben. Whrend Marinelli die Ankunft des Obersten Galotti dem Prinzen meldet, kommt Odoardo mit Grfin Orsina ins Gesprch (7. Auftritt). Sie klrt ihn ber die Situation in ihrer ganzen
Tragweite auf. Odoardos Bedauern darber, dass er keine Waffe bei sich trgt, um den Prinzen zu tten undauf dieseWeiseRache zu nehmen, kann Orsina Abhilfe schaffen. Sdie selbst trgt einen Dolch bei sich, um sich beim Prinzen zu rchen. Diesen Dolch hndigt sie nun Odoardo aus. Er erscheitn ihr der geeignete Tter zu sein, denn seiner Tochter wrde es nicht anders ergehen als ihr selbst. Ihre Rachegefhle uert Orsina in einem grausigen Bild: (...) welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal alle wir, dasganze Heer der Verlassenen wir alle in Bacchantinnen, in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns htten, ihn unter uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwhlten um das Herz zu finden, das der Verrter einer jeden versprach und keiner gab! Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte! Claudia Galotti kommt in der letzten Szene des 4.Aufzugs dazu und besttigt ihrem Gatten gegenber alles, was dieser von der Grfin erfahren hat. Grfin Orsina und Claudia Galotti verlassen Dosalo. Odoardo bleibt mit dem Dolch zurck. Die Katastrophe (5. Aufzug) odoardo hat sich mitllerweile beruhigt. Seinem Monmolog im zwieten Auftritt ist zu entnehmen, dass er seinen Mordplan aufgegeben hat. Er will Emilia abholen und aus Guastalla wegbringen, am besten in ein Kloster weiter will er nichts. Marinelli verunsichert ihn aber erneut (3.Auftrit), weil er odoardo darauf hinweist, dass der Wille des prinzen, nicht der des Vaters ber Emilias wieterebn Aufenthalt entscehiden soll. Prinz Gonzaga kommt dazu, will odoardo zunchst durchaus zugestehen, dass dieser bervEmilias weiteren Aufenthalt zu entscehdiedne habe, wird aber von Marinelli auf einen anderen eg gelenkt. der Kammerherr behauptet, es sei das Gerckt entstanden, der berfall hnge mit einem begnstigten Nebnbuhler des Grafen Appiani zusammen. Durch das Attribut begnstigt lenkt Marinelli auch auf Emilia einen verdacht, als habe sie sich whrend ihrer Brautzeit mit einem anderen Mann eingelassen. Jedenfalls sei die Sdache gerichtlich zu untersuchen. emilia msse vorderhand in Gustalle bleiben undzwar abgeschirmt von anmderen, die auf sie Einfluss nehmen knnten,a lso auch von Vater und Mutter. Diese Aussicht, dem Objekt seiner Begierde doch noch hahe zu sein, greift Hettore Gonzaga bereitwillig auf. Er wird Emilia im Hause des Kanzlers Grimaldi beaufsichtigen lassen. Dort werde ihr mit der ntigen Ehrerbietung und Achtung begegnet. odoardo wei aber, dass im Haushalt Grimaldi gewisse lockere Sitten herrschen. Sein urprngliches Vorhaben, den Dolch zu ziehen, wird nun wieder
aktuell. Lessing schiebt ein weiteres Mal eine monologische Szene ein (6.Auftritt), die den inneren Kampf Odoardos anschaulich macht. Da erscheint im siebenten und vorletzten Auftritt Emilia selbst. Im Gesprch mit Odoardo erfhrt sie, dass sie in der Hand ihres Rubers bleiben soll. Das sei nicht dulden, entgegnet Emilia. Daraufhin zeugt ihr odoardo den Dolch. Ihre reaktion ist allerdings verblffend: Um des Himmels willen nicht, mein Vater!- DiesesLeben ist alles, was die Lasterhaften haben. Mir, mein Vater, mir geben Sie diesen Dolch. Sie begrndet ihren Wunsch nach Ttung mit der Asngst vor ihrer eigenen Verfhrbarkeit: Verfhrung ist die wahre Gewalt. Ich habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes blut als eine. Quch meine Sinne sind Sinne. ich stehe fr nichts. ich bin fr nichts gut. ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten bungen der Religion kaum in Wochen besnftigen konnten! Mit dem Hinweis auf die antike Virginia-Sage (Ehedem gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte) drngt sie ihn zur Ttung. Odoardo ersticht seine eigene Tochter. Im letzten Auftritt kommen Marinelli und der Prinz dazu. Hettore Gonzaga erkennt erst jetzt, da es zu spt ist, die ganze Tragweite seiner Begehrlichkeit und seines Verhaltens: Ist es, zum Unglcke so mancher, nicht genug, da Frsten Menschen sind: mssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen. Mit dieser Einsicht in die Rolle, die Marinelli gespielt hat, aber auch in die eigenen menschlichen Schwchen, endet das Stck.
III / 1 Hfischer Absolutismus Emilia Galotti ist ein politisches Drama. Die Handlung knnte nie diesen Verlauf nehmen, wenn Hettore Gonzaga nicht die Machtposition eines absolut regierenden Frsten inne htte. Er selbst ist sich freilich dieser Problematik kaum bewusst. Als Mensch ist Hettore Gonzaga kein Bsewicht, Schurke oder Scheusal. Er ist leicht entflammbar, mglicherweise ein wenig erotomanisch und im Umgang mit diesen seinerCharaktereigenschaftener unreif, seinen spontanen Gefhlen ausgeliefert, ja geradezu schwrmerisch. Solche Eigenschaften mgen an jungen Mnnern aus den niederen Stnden des 18. Jhs. vielleicht ein wenig lcherlich, vielleicht sogar liebenswert gewesen sein, jedenfalls nicht ernsthaft bedrohlich. Im Falle des Frsten stellt sich dies freilich anders dar. Indem Hettore Gonzaga einfach nur seinen spontanen Neigungen nachgeht, bringt er das Ordnungsgefge der Gesellschaft durcheinander. Er ist sich seiner Machtflle nicht bewusst und zerstrt dadurch eine brgerliche Familie. Er trgt Mitschuld am Tod des Grafen Appiani, und auch Grfin Orsina ist das Opfer seiner Launenhaftigkeit. Wie ein Kind, das seines Spielzeugs berdrssig geworden ist, so wendet sich der Prinz von der Grfin ab. Hier verlsst nicht nur ein Mann eine Frau, sondern ein Frst verstt seine Mtresse. Die sozialen Rollen verschrfen mageblich das Leid der betroffenen Frau. Sie strzt nicht nur in die emotionale Enttuschung, sondern auch in eine schlimme soziale Situation. DasAusma ihrer Rachefhle wird dadurch begreiflich. Auch die Camillo-Rota-Szene aus dem 1.Akt zeigt die gravierenden Folgen von Gonzagas Gedankenlosigkeit. Er ist so sehr auf Emilia Galotti fixiert, dass er ohne nachzudenken seine Unterschrift unter ein Todesurteil setzen wrde. Als erjhngnisvoll erweist sich natrlich auch, dass ausgerechnet ein skrupelloser Schurke wie Marinelli dem Frsten als Ratgeber zur Seite steht. Er bemht sich darum, den Wnschen und Bedrrfnissen seines Herrn nahe zu kommen, koste es, was es wolle. Dadurch erhofft er sich eine starke Position am Hof. Es ist allerdings kein Zufall, dass ausgerechnet Marinelli der engste Vertraute des Frsten ist und nicht etwa ein Ehrrenmann wie Appiani oder der Oberst Galotti. Von beiden heit es, sie seien zum Frsten in deutliche Distanz gegangen. Offensichtlich duldet Gonzaga niemanden in seiner Nhe, der ihm widerspricht, der seine Wnsche problematisiert und eine korrekte und verantwortungsvolle Fhrung der Staatsgeschfte fordert. Von Appiani heit es, er sei
freiwillig nach Guastalla gekommen, um dem Frsten seine Dienste anzubieten. Nun will er sich mit seiner Braut auf seine Landgter zurckziehen, ohne dem Hof von Guastalla auch nur eine Trne nachzuweinen. Das hat zweifellos gute Grnde. III/ 2 Die Moral der brgerlichen Familie Aus heutiger Sicht kann nicht nur die unumschrnkte Machtposition des absolutistischen Frsten, sondern auch die rigide Sexualmoral des deutschen Brgertums im 18.Jh. zum Gegenstand kritischer Betrachtung werden. Immerhin zieht ja Emilia den Tod der Verfhrung vor, wohl gemerkt: der Verfhrung, nicht etwa der Vergewaltigung. Hettore Gonzaga deutet in keiner Weise an, dass er Emilias Krper mit Gewalt zum Gegenstand seiner Lust machen mchte, im Gegenteil! Er versichert ihr im 5. Auftritt des dritten Aufzugs ausdrcklich, dass sie keines Schutzes gegen ihn bedrfe. Und es gibt keinen Hinweis im Text, dass er dieses Versprechen nicht einhalten wird. Das Problem ist also nicht die Angst vor der gewaltanwendung, sondern die Angst vor der eigenen Verfhrbarkeit, vor dem jener Keuschheit bzw. Jungfrulichkeit, die das brgerliche Frauenbild des18.Jhs. so rigide fordert. Nicht zuletzt durch solch strenge Normen der Sittlichkeit grenzte sich das Brgertum gegen den unzchtigen, sittlich liberaleren Adel ab. Zweifellos ist der gedanken- und verantwortungslose Umgang Hettore Gonzagas mit seiner Machtposition die eigentliche Ursache der menschlichen Katastrophe. Aber die selbstzerstrerische Anklage, die Emilia in der vorletzten Szene des 5. Aufzugs gegen ihre eigene Verfhbarkeit erhebt, trgt auch vieles zur Ttung bei. Dass ausgerechnet der Vater zum Vollstrecker wird, ist folgerichtig. Er vertritt am konsequentesten die Keuschheitsforderung brgerlicher Moral. Zusatztext 1 Johann Bernhard Basedow: Keuschheit und Ehrbarkeit (1774) bertritt in keiner Handlung die Ehrbarkeit. Wende die Augen ab von entblten Krpern, vornehmlich des anderen Geschlechts. Entble dich selbst nicht im Beisein anderer ohne die uerste Not. Meide nach Mglichkeit die Annherung an Orten, wo das andere Geschlecht und selbst dein eigenes auf eine ungewhnliche Weise entblt erscheint. Gemlde und Bildsulen entblter Personen haben wenigstens die halbe Wirkung als die wirkliche Ble. Meide also ihre Betrachtung, sobald sie in dir ein unruhiges Verlangen erregt, welches du nicht erfllen darfst. Schlafe, wenn du es kannst, in einem besonderen Bette und nicht in demselben Zimmer mit dem anderen Geschlechte. Die Teile deines Leibes, welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar zeigen darfst, berhre nur in der hchsten Not und mittelbar. Sei nicht einsam mit einer Person des anderen Geschlechts an solchen Orten, zu einer solchen Zeit und in
solchen Umstnden, dass es, wenn man es wsste, fr unehrbar gehalten wrde. Solang du jung und unverheiratet bist, so vermeide nach Mglichkeit den Anlass, sowohl von unzchtigen Handlungen, als auch von dem krperlichen Umgange der Eheleute vieles zu reden, zu hren und zu lesen. Fliehe den Anblick der Eheleute, welche in deinem Beisein unvorsichtig oder aus Leichtsinn unehrbar miteinander scherzen. Scherze selbst nicht schamlos mit Personen weder deines eigenen noch des anderen Geschlechts. Rede, wenn du davon reden musst, von den Lastern der Unzucht nur mit Ernsthaftigkeit. Alles Verhalten solcher Personen, die nicht miteinander verheiratet sind, ist alsdann wirklich unehrbar, wenn es nach den Sitten der Tugendhaften im Lande dafr gehalten wird. Vermeide eine jede Handlung, an welcher du zweifelst, ob sie mit der Ehrbarkeit bestehe. Es ist leicht, ehrbar zu bleiben, wenn man es schon ist, und einem ehrbaren Menschen ist es nicht schwer, in der Keuschheit zu verharren. Die Unehrbarkeit aber ist ein abhngiger Weg zur Unzucht, an welchem sich ein Mensch schwer zurckhlt, weiterzugehen als er wollte. Faulenze niemals im Bette, wenn du des Morgens schon erwacht bist. Sei mig im Essen und Trinken. (...) Wenn du diesen weisen Ermahnungen folgst, so wirst du die Ehre, die Gesundheit, die Munterkeit des Geistes, die reine Einbildungskraft, das gute Gewissen und die Glckseligkeit einer keuschen Jugend behalten. III / 3 Ehedem wohl gab es einen Vater... Das Virginia-Motiv Lessing kannte die von Titus Livius berlieferte Geschichte der Virginia, die er als Vorlage fr sein Stck bentzte. Titus Livius berichtet in seiner Rmischen Geschichte, dass der Decemvir Appius Claudius seine Macht missbraucht habe, um in den Besitz der Virginia zu kommen, eines sehr schnen Mdchens, das bereits mit dem ehemaligen Tribunen L. Icilius verlobt war. Appius Claudius veranlasste seinen Kienten M. Claudius dazu, das Mdchen als Sklavin zu beanspruchen. Angeblich sei sie gar nicht das Kind ihrer freien Eltern, sondern die Tochter zweier Sklaven aus dem Besitz des M. Claudius. Der Anspruch kam vor Gericht, wo Appius Claudius die Sache natrlich zu Gunsten seines Klienten entschied. Virginia sollte nun Sdklavin im Haus des M. Claudius werden. So hoffte sich der Decemvir Zugang zu dem Mdchen zu verschaffen. Verginius, der Vater des Mdchens, ein Soldat und ehrenhafter Brger, war aber nicht bereit, diese Freveltat des Appius Claudius einfach hinzunehmen. Text 2 Titus Livius: Rmische Geschichte (Auszug) ... Verginius (streckte) seine Hnde zu Appius und rief: Dem Icilius habe ich meine Tochter verlobt, Appius, nicht dir und zur Hochzeit habe ich sie erzogen, nicht zur Schndung. Hltst du es fr Recht, dass man sich nach Art des Viehs und der wilden Tiere zur Paarung bald auf die eine, bald auf die andere strzt? Ich wei nicht, ob diese hier das dulden werden; aber ich hoffe, dass die es nicht dulden werden, die Waffen haben. Als der Mann, der das Mdchen fr sich beanspruchte, von der Schar
der Frauen und der um das Mdchen herumstehenden Freunde zurckgedrngt wurde, gebot der Herold Schweigen. Der Decemvir, auer sich vor Begierde, sagte, er habe nicht nur aus der gestrigen Scheltrede des Icilius und der Heftigkeit des Verginius, wofr er das rmische Volk zum Zeugen habe, sondern auch durch zuverlssige Aussagen erfahren, dass whrend der ganzen Nacht in der Stadt Zusammenknfte stattgefunden htten um einen Aufruhr zu entfachen. Deshalb sei er im Wissen um diesen zu erwartenden Kampf mit Bewaffneten hergekommen, nicht um einen ruhigen Brger zu verletzen, sondern um die, die die Ruhe der Brgerschaft strten, kraft der Hoheit seines Amtes in die Schranken zu weisen. Daher wird es besser sein, sich ruhig zu verhalten. Geh, Liktor, sagte er, drnge die Schar zurck und bahne dem Herrn den Weg, seine Sklavin zu ergreifen. Als er das voll Zorn mit donnernder Stimme gerufen hatte, ging die Menge von selbst auseinander und verlassen, eine Beute des Unrechts, stand das Mdchen da. Da sagte Verginius, als er nirgendwo mehr Hilfe sah: Ich bitte dich, Appius, verzeihe zunchst dem Schmerz eines Vaters, wenn ich dich etwas zu hart angefahren habe. Dann lass mich hier im Angesicht des Mdchens die Amme befragen, wie die Sache sich verhlt, damit ich, wenn ich zu Unrecht als Vater bezeichnet worden bin, mit grerer Gelassenheit von hier weggehe. Als er die Erlaubnis erhielt, fhrte er seine Tochter und die Amme beiseite in die Nhe des Heiligtums der Cloacina zu den Lden, die jetzt die Neuen heien. Hier entriss er einem Metzger das Messer und sagte: Auf diese einzige Art, die mir mglich ist, Tochter, bewahre ich dir die Freiheit. Dann durchbohrte er die Brust des Mdchens und rief zur Gerichtstribne zurckgewandt: Dich, Appius, und dein Haupt verfluche ich mit diesem Blut. Bei dieser grausigen Tat erhob sich ein Schrei. Aufgeschreckt befahl Appius, den Verginius zu ergreifen. Der aber bahnte sich mit dem Messer, wo er ging, einen Weg, bis er, auch durch die Menge der Menschen, die ihm folgten, geschtzt, zum Tor gelangte. Icilius und Numitorius hoben den leblosen Krper auf und zeigten ihn dem Volk. Sie beklagten das Verbrechen des Appius, die unselige Schnheit des Mdchens, die Zwangslage des Vaters. (Aus: Titus Livius, Rmische Geschichte, Lateinisch und Deutsch, Buch 1-3, herausgegeben von Hans Jrgen Hillen, 3. Auflage, Patmos Verlag GmbH & Co.KG/Artemis & Winkler Verlag, Dsseldorf/Zrich, 1997) Der Tod der Virginia fhrte in unmittelbarer Folge zu einem Volksaufstand gegen den Decemvir Appius Claudius. Bevor das Urteil ber ihn gesprochen werden konnte, beging er Selbstmord. III / 4 Das brgerliche Trauerspiel Die Tragdie des 17. und frhen 18.Jahrhunderts zeigte im Mittelpunkt der Handlung stets eine Hauptfigur, die der Aristokratie angehrte. Tragische Schicksale - so scheint es - konnten nur Angehrige des ersten Standes haben, whrend die Schicksale niederer Standespersonen, also der Brger und Bauern, als unerheblich galten. Brger und Bauern taugten als komische Figuren. Die lcherlichen Bhnenhelden des franzsischen Komdiendichters Moliere, vom
eingebildeten Kranken bis zu Tartuffe, waren Brger, und die komische Figur der Volkskomdie war ein Bauer. England war das erste Land in Europa, in dem dieses vorwiegend ungeschriebene, teilweise aber auch geschriebene Gesetz seine Gltigkeit verlor. Dafr gibt es berzeugende sozialgeschichtliche Erklrungen. Englands wirtschaftliche Entwicklung verlief aus unterschiedlichen Grnden rascher als die des Kontinents. Handel und Gewerbe wurden schon bald zum wesentlichen wirtschaftlichen Faktor, und die industrielle Produktionsweise setzte nirgendwo so frh ein wie auf der Insel. Parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung vollzog sich daher die soziale Strukturvernderung. Das wirtschaftstreibende Brgertum wurde neben dem Adel immer mehr zur herrschenden gesellschaftlichen Klasse, die Stdte wurden neben den Frstenhfen zu kulturellen Zentren, und das Brgertum fand nach und nach zu eigenstndigen knstlerischen Ausdrucksweisen. Diesen Umstnden verdankt das Brgerliche Trauerspiel seine Entstehung. Als Beispiel fr diese Art von Dramatik soll hier kurz das Stck GEORGE BARNWELL OR THE MERCHANT OF LONDON erwhnt werden, das ein Juwelier namens George Lillo geschrieben hat und das in London im Jahr 1731 seine erste Auffhrung erlebte. George Barnwell ist ein junger, bislang unbescholtener Mann aus brgerlichem Haus, der auf die sprichwrtliche schiefe Bahn gert, weil er einer verruchten Frau namens Millwood verfallen ist. Um ihre Zuneigung und Leidenschaft zu erkaufen, lt er sich auf allerlei Unredlichkeiten ein. Als selbst die auf diese Weise erworbenen finanziellen Mittel nicht ausreichen, um die Luxusbedrfnisse der niedertrchtigen Millwood zu befriedigen, scheut George Barnwell nicht einmal vor dem Mord zurck. Das Opfer dieser Tat ist ein Onkel, der sterbend noch ein Gebet fr den miratenen Neffen spricht. Der junge Barnwell wird von der Polizei gefat und stirbt am Galgen, aber die hexenhnliche Millwood entgeht letztlich auch nicht der verdienten Strafe, soda das emprte Publikum doch noch zufrieden den Heimweg antreten kann. Diese Art des Theaters, fr das GEORGE BARNWELL steht, erfreute sich in England groer Beliebtheit und erweckte aufgrund des Erfolgs nach und nach auch das Interesse des Kontinents. In Frankreich bemhte sich zum Beispiel der vorwiegend als Philosoph und Enzyklopdist bekannte Denis Diderot um das brgerliche Drama und schuf selbst zwei Stcke dieser Art, DER NATRLICHE SOHN (Le fils naturel,1757) und DER
FAMILIENVATER (Le pere de famille, 1758). Und Pierre Augustin Caron, besser bekannt unter dem Namen Beaumarchais, schuf mit seinem Figaro eine brgerliche Komdienfigur, die fr selbstbewute franzsische Brger durchaus ein Identifikationsangebot war. Die Brger der deutschen Stdte hatten zwar weder im konomischen und politischen noch im kulturellen Bereich den Entwicklungsstand der englischen Standesgenossen erreicht, aber selbst in Deutschland entstand im 18.Jahrhundert ein eigenstndiges brgerliches Drama. Den Ansto dafr gab Gotthold Ephraim Lessing. Lessing sah 1754 in Hamburg die deutsche Erstauffhrung des oben erwhnten Stcks GOERGE BARNWELL, und er ging sofort daran, ein deutsches Trauerspiel dieser Art zu schreiben. Schon ein Jahr spter, am 10.7.1755, wurde in Frankfurt an der Oder das Trauerspiel MISS SARA SAMPSON uraufgefhrt. Die tragische Hauptfigur des Stcks ist ein Mdchen aus dem Brgertum, das den Verfhrungsknsten des Aristokraten Mellefont nicht widerstehen kann. Er hat sie dazu gebracht, mit ihm in einem Provinzgasthof abzusteigen. Sara erhofft sich eine stndige Bindung, Mellefont hlt sie hin, indem er auf eine Erbschaftsklausel verweist. Whrend Sara und Mellefont im Provinzgasthof ihren Leidenschaften frnen, hat aber Marwood, Mellefonts ehemalige Geliebte, mit der er auch ein Kind hat, William Sampson, Saras Vater, ber die Situation aufgeklrt. Beide, die Marwood und William Sampson, reisen unabhngig voneinander in die Provinz. Marwood will Mellefont zurckgewinnen. Sampson will, da die Verbindung zwischen Sara und Mellefont legalisiert wird. Beider Vorhaben wird vereitelt. Als Mellefont Marwood zurckweist, vergiftet die tdlich beleidigte Frau ihre Nebenbuhlerin. Als Vater Sampson eintrifft, liegt seine Tochter bereits im Sterben. Angesichts des Unglcks, das er verschuldet hat, ersticht sich Mellefont neben Saras Leiche. MISS SARA SAMPSON war ein enormer Publikumserfolg. Berichte ber die Urauffhrung geben Auskunft ber herzzerreiende Szenen im Zuschauerraum. Die Menschen sollen in Trnen ausgebrochen und Wildfremde sollen einander in die Arme gesunken sein. Diese starke emotionale Wirkung ist wohl nur dadurch zu erklren, da Lessing in seinem Drama Probleme angesprochen hat, die den Menschen aus ihrem eigenen Erfahrungsbereich gelufig waren. Solch ein Problem der Zeit war wohl die Verfhrung naiver Brgermdchen durch Aristokraten. Es ist sicher kein Zufall, da dieses Motiv in mehreren deutschen Dramen des 18.Jahrhunderts handlungstragend geworden ist, so zum Beispiel in Heinrich Leopold Wagners KINDERMRDERIN, in Jakob Michael Reinhold
Lenz SOLDATEN, in Friedrich Schillers KABALE UND LIEBE und natrlich auch in Goethes CLAVIGO und im FAUST. Auch Lessing selbst hat die Handlungsstruktur des brgerlichen Trauerspiels noch einmal zur Grundlage eines Bhnenstcks gemacht. Bereits im Jahre 1757 wollte er die altrmische Geschichte der Virginia als modernes brgerliches Trauerspiel bearbeiten. Sein Vorhaben wurde vorlufig vereitelt, als das von ihm gefhrte Deutsche Nationaltheater in Hamburg, das als Novitt, nmlich als ffentliches brgerliches Theater, gegrndet worden war, schon nach drei Jahren nicht mehr finanzierbar war. Lessing mute nun einen Brotberuf annehmen und wurde Bibliothekar beim Herzog in Braunschweig. Der Plan, die Virginia-Sage zu modernisieren, mute unter diesen ungnstigen Bedingungen aufgeschoben werden. Erst fnfzehn Jahre spter, am 13.3.1772, erlebte Lessings brgerliches Trauerspiel EMILIA GALOTTI in Braunschweig seine Urauffhrung. hnlich wie in MISS SARA SAMPSON ist auch in EMILIA GALOTTI ein Mdchen aus gutbrgerlicher Familie die tragische Hauptfigur.
Quelle: GERM. Die Zeitung der Arge Deutsch an AHS in Obersterreich. 6/2002 Pdagogisches Institut des Bundes in Obersterreich, Linz http://www.pi-linz.ac.at/ahs/arge/deutsch/germ/emilia%20galotti.doc