Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $9.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Nützliche Idioten
Nützliche Idioten
Nützliche Idioten
eBook410 Seiten5 Stunden

Nützliche Idioten

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der mächtige Spielzeugkonzern LupoTek macht mit Konkurrenten kurzen Prozess. Nur an der kleinen Firma olek-BroSis beißt er sich die Zähne aus. Eine Geschichte wie David gegen Goliath, wenn David ein psychopathisches Geschwisterpärchen wäre.
Das Projekt ist phänomenal. LupoTek hat angeblich das attraktivste Spielzeug aller Zeiten entwickelt und will es bei der Eröffnung seiner größten Filiale präsentieren. Dies ruft den Problemlöser Hüskers auf den Plan, der für den Konzern stets alle Hindernisse aus dem Weg räumt. Doch diesmal muss er die Grenzen von Legalität und Moral noch weiter als je zuvor dehnen und einen alten Freund, den abgehalfterten Fernsehclown Arlo Panofsky, ins Gefecht schicken.
Wenn Helden zu schade sind, schickt man Nützliche Idioten.
SpracheDeutsch
HerausgeberBlitz Verlag
Erscheinungsdatum30. Apr. 2024
ISBN9783957197870
Nützliche Idioten

Mehr von Andreas Zwengel lesen

Ähnlich wie Nützliche Idioten

Titel in dieser Serie (15)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Nützliche Idioten

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Nützliche Idioten - Andreas Zwengel

    ERSTER AKT

    Frankfurt am Main

    Samstagnachmittag. Entkräftete Eltern hingen willenlos an den Händen ihrer Kinder, die sie zu dem zwei­stöckigen, schockbunten Gebäude zogen. Zwei Etagen voll mit allem, was der Fantasie von Spielzeug­entwicklern so entsprang. Diese Filiale der Firma olek-BroSis stellte die neueste Attraktion auf der Frankfurter Zeil dar. Schließlich durfte man sich in der Stadt, in der sich die Zentrale des übermächtigen Konkurrenten LupoTek befand, nicht lumpen lassen.

    Zwei Eingänge führten ins Paradies. Einer so niedrig, dass sich Sechsjährige privilegiert vorkommen konnten, sofern sie es aufgrund ihrer Helikopter-Eltern und Soccer-Moms nicht ohnehin schon taten, der andere für gewöhnliche Erwachsene. Im Inneren ein kunterbuntes, kreischendes Inferno. Man musste den Mut oder die Kaltschnäuzigkeit derjenigen bewundern, die sich mit einem Kinderwagen hineinwagten. Wenn an gegenüberliegenden Enden eines Ganges Zwillingskinderwagen einbogen, verengten sich die Augen der Mütter zu schmalen Schlitzen und das Schicksal nahm seinen Lauf. Väter probierten unterdessen die Spielzeuge aus, die es in ihrer Jugend nicht gegeben hatte oder die damals unerschwinglich gewesen waren. Ihren Nachwuchs verloren sie dabei oftmals aus den Augen. Die schwächeren Exemplare unter den Vätern waren gegen Mittag längst gebrochen, schaukelten im Stupor auf den wenigen ­Sitzflächen und murmelten Kindernamen.

    Die Mitarbeiter von FUN by olek-BroSis hatten ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen müssen, das mehrere kombinierte Belastungstests beinhaltete. Darunter eine akustische Testbeschallung, die nur wenige Bewerber länger als eine Stunde ertrugen, bevor sie sich die Kopfhörer herunterrissen. Aber auch die körperlichen Prüfungen führten viele von ihnen rasch an die Grenzen der physischen Belastbarkeit. Unter anderem mussten sie in gebückter Haltung durch einen Regale-Parcour hetzen und Granulatsäcke in Größe und Gewicht von Kleinkindern aufheben oder umsetzen. Die rhetorische Schulung sah in erster Linie vor, jeden an sie gerichteten Vorwurf zu akzeptieren und auf möglichst unterwürfige Art die eigene Unfähigkeit zu bestätigen. Der psychologische Dienst von olek-BroSis schulte das Personal in den quietschbunten Uniformen gezielt darauf, für die Arbeitszeit eine separate Persönlichkeit zu erschaffen, die praktisch ohne Selbstwertgefühl auskam und persönliche Beleidigungen leichter erträglich machte. Besser geschultes Personal war höchstens noch in BlackOP-­Einheiten an internationalen Krisenherden zu finden.

    Doch kein Aspekt der Ausbildung hatte die jungen Frauen und Männer auf die Krise vorbereiten können, als ein mehrstimmiger Schrei in der oberen Etage die Ohren der erschöpften und unterzuckerten Kundschaft erreichte. „Mäuse! Hier sind Mäuse!"

    Die Mitarbeiter, denen man die Schrecksekunde abtrainiert hatte, versicherten der ersten Welle von empörten Kunden glaubhaft, dass es sich um eine einzige, elektronische Spielzeugmaus handelte.

    Die zweite Welle, bestehend aus denjenigen, die Zeit gehabt hatten, über diese Erklärung nachzudenken, fragten berechtigterweise nach Sinn und Zweck einer original­getreuen Nachbildung von ordinären Stadt­mäusen.

    Als Nächstes funktionierten die Kassen nicht mehr. Eine mittelschwere Katastrophe, an die sich sofort eine weitere anschloss, als Kunden beim Verlassen des Gebäudes gegen die Ausgangstüren stießen. Beide Automatiktüren verweigerten ihre wichtigste und einzige Funktion: sich zu öffnen. Angesichts der Aussicht, auf unbestimmte Zeit eingesperrt zu sein, bröckelte auch erstmals die Fassade der stoischsten Mitarbeiter.

    Die ersten brüllenden Kinder gaben dann das Start­signal zur Stampede auf die Ausgänge. Die Leute wollten raus aus dem Laden ohne Rücksicht auf Verluste. Dass es keine schwerwiegenderen Folgen als ein paar blaue Rempel­flecken und angekratzte Egos gab, war dem raschen Eingreifen der Mitarbeiter des Outdoor-Ladens auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu verdanken, einem Tochterunternehmen des LupoTek-Konzerns. Sie kamen herbeigeeilt und öffneten die Türen mit geeigneten Werkzeugen. Erleichtert über die Befreiung hinterfragte keiner der Kunden den sonderbaren Zufall, dass ihre Retter über genau das richtige Werkzeug verfügten, obwohl dieses in keinem Outdoor-Laden zum Standardangebot gehören dürfte. Freundlich und zuvorkommend wurde die traumatisierte Kundschaft über die Straße in die schutzspendenden Räumlichkeiten geführt, zu überzuckertem Kakao für die Kleinen, Prosecco für die Mütter und einem preiswerten, aber wirkungsvollen Cognac für die Väter, denen man unaufgefordert bis zu dreimal nachschenkte.

    Natürlich waren die Retter nur selbstlose Helfer. Niemand sprach auch nur die Andeutung eines Vorwurfs gegen FUN by olek-BroSis aus. Aber was die Mit­arbeiter des Outdoor-Ladens dezent vermittelten, war das Gefühl von Sicherheit und Behaglichkeit, und dieser Keim wurde bei den aufgeregten Müttern und den halb­betrunkenen Vätern wohlplatziert gesät.

    Allmählich kehrte Ruhe ein. Die ehemaligen Kunden des Spielzeugladens beobachteten aus ihrer behaglichen Sicherheit heraus, wie Polizei und Feuerwehr eintrafen. Blaulicht und Rettungskräfte unter dem überdimensionalen Firmennamen setzen sich im Bewusstsein der Betrachter fest und schufen unerfreuliche Assoziationen. Mit genau diesem Bild würden die Frankfurter Zeitungen am nächsten Morgen titeln.

    Rein zufällig, wie die Leitung von LupoTek im Anschluss nicht müde wurde zu betonen, enthüllten mehrere Arbeiter zu genau diesem Zeitpunkt an der Fassade des Nachbargebäudes ein Werbebanner, das die Ausmaße von drei Stockwerken besaß.

    Wir haben ein neues Zuhause verkündete die Balkenüberschrift. Darunter waren die berühmtesten Schöpfungen des LupoTek-Universums einträchtig ­nebeneinander abgebildet. Im Vordergrund die Hauptfigur von My ­Buddyguard, ein grinsender Teddybär, der lässig über den oberen Rand seiner Sonnenbrille linste. Dahinter fächerten sich Drachen, Ritter, Roboter, Prinzessinnen, Cowboys, Einhörner, Reiterinnen und Sternenkrieger auseinander. Die Größe der Figuren bemaß sich am Grad ihrer Popularität.

    Ganz hinten rechts, ziemlich klein, eigentlich kaum noch wahrnehmbar, ragte Onkel Manny, der böse Clown im Rockeroutfit, hinter einem Zeichentrickdrachen hervor. Ausnahmsweise in einer familientauglichen Pose, die aus keinem seiner Filme stammen konnte.

    Der zweite Schriftzug auf dem Banner, ebenso groß wie der obere, versprach: Große Eröffnung am 1. Dezember.

    Malta

    Von einem unbekannten Ort schwebte die kleine zwei­motorige Maschine im Morgengrauen über die Insel herein. Lange bevor die Propeller den Stillstand erreichten, marschierte der Mann in dem karierten Anzug schon über das Rollfeld. Mit einem schiefen Lächeln unter seiner spitzen Nase passierte er die Kontrollen und schwang dabei seine flache Reisetasche wie ein übermütiges Schul­mädchen. Die Zöllner erwiderten seinen freundlichen Gruß und erst, als er schon lange vorüber war, kamen sie auf die Idee, ihn und sein Gepäck zu kontrollieren.

    Hüskers verließ das Gebäude des Malta International Airport. Die Auswahl an Taxis war um diese Tageszeit recht übersichtlich. Er klopfte sachte gegen das Beifahrer­fenster des ersten Wagens in der kurzen Reihe, um den Fahrer zu wecken. Der Mann rieb sich mit der einen Hand die Augen und winkte seinen Fahrgast mit der anderen auf die Rückbank. Kaum hatte der Mann den Motor angelassen, schien seine Müdigkeit wie weggeblasen. Jenseits aller Geschwindigkeitsbegrenzungen raste er über die erwachende Insel. Dabei plauderte er munter auf Hüskers ein, der den Akzent rasch identifizierte und ihm in seiner Muttersprache antwortete. Der Exil-Franzose reagierte begeistert. Hüskers hatte Schulen in Zürich, London und Paris besucht, sprach vier Sprachen fließend, drei weitere leidlich gut und konnte sich in einem Dutzend anderer verständlich machen. Seine Mutter hatte sein Sprachtalent immer gefördert und ihn als Kind angewiesen, alle Dinge in jeder Sprache zu benennen, die er kannte. Das hatte selbst die einfachsten Gespräche mit ihr recht langwierig gemacht.

    Das Hotel, vor dem das Taxi zum Stehen kam, gehörte zur gehobenen Klasse auf Malta. Hohe Steinmauern schirmten das Gebäude nach außen ab, um dem Schutz­bedürfnis seiner Gäste zu entsprechen. Hüskers verabschiedete sich per Handschlag von dem Fahrer namens Gerard und betrat den mit Bruchstein gepflasterten Innenhof. Er blickte fünf Stockwerke hinauf, wo ein Quadrat blauen Himmels zu sehen war. Die Lobby bot ein Kabinett aus Glas und Spiegeln, welche das gebleichte und tief eingegrabene Grinsen der Rezeptionistin um ein Vielfaches zurückwarfen. Die Arme muss es sich ­wahrscheinlich jeden Abend mühsam aus ihrem Gesicht ­massieren, dachte Hüskers im Lift nach oben.

    Patrick lag rauchend auf dem Bett und aschte auf eine Untertasse, die auf seiner Brust ruhte. Als Hüskers hereinkam, drückte Patrick die Zigarette aus und schwang seine kurzen Beine vom Bett. Hüskers sah sich im Hotelzimmer um, in dem man mühelos mit einem Mähdrescher rangieren könnte, wirkte zufrieden wegen der Größe und verlor kein Wort über den Zustand. Obwohl Patrick nur zwölf Stunden vor ihm eingetroffen war, machte das Zimmer den Eindruck, als hause er bereits seit einer Woche darin.

    Hüskers arbeitete in der Regel allein, aber wenn er technische Unterstützung brauchte, griff er auf bewährte Fachkräfte zurück. Er besaß eine Kartei mit Spezialisten für jedes erdenkliche Berufsfeld und war ausgesprochen loyal gegenüber seinen freien Mitarbeitern. Wer sich als verlässlich erwies, wurde von ihm immer wieder angefordert, natürlich gegen eine erstklassige Bezahlung. Seinen Arbeitgeber LupoTek interessierte nicht, wen Hüskers als Helfer heranzog. Auch darin hatte er völlig freie Hand. Man erwartete nur, dass er jedes Problem diskret und effizient löste, ohne den Konzern in eine kompromittierende Lage zu bringen. Hüskers wusste mehr über Spielzeug als ein Inuit über Schnee, doch in seinem Arbeitsalltag kam dieses Wissen so gut wie nie zum Einsatz. Da waren andere Qualitäten gefragt.

    Patrick informierte Hüskers über den aktuellen Stand. Er redete schnell und ausdauernd, unterbrochen nur von regelmäßigen Lungenzügen an der nächsten Zigarette. Kaum hatte Patrick geendet, bestellte er telefonisch Frühstück für sie aufs Zimmer.

    Hüskers duschte sich rasch den Mief der Reise ab und trat anschließend zum Trocknen auf den Balkon. Es war noch früh am Morgen. Vereinzelt entdeckte er auf den umliegenden Balkonen Touristen in ihren unschönsten Erscheinungsformen. Nur mit Shorts oder höchstens noch einem T-Shirt bekleidet, letzteres in der Regel mit einem launigen Spruch versehen, lehnten sie am Geländer. Die meisten mit schlafzerzaustem Haar, eine Morgenzigarette schmauchend, bevor man sich notdürftig für das Frühstücksbuffet herrichtete. Alle gaben sich viel Mühe, ihre Balkonnachbarn zu ignorieren. Besonders in Hüskers’ Fall. Der Problemlöser stellte fest, dass ein nackter und fröhlich winkender Mensch wie er Ärger und Irritation auslöste. Er stützte sich auf das Geländer und genoss die frische Brise, die durch die Gitterstäbe und zwischen seinen Beinen hindurchwehte. Erst als auf der gegenüberliegenden Seite eine ältere Frau ihrer Enkelin die Augen zuhielt, ging er wieder nach drinnen und zog sich etwas über.

    Für Patrick mochte es anfangs etwas befremdlich gewesen sein, dass Hüskers bevorzugt nackt herumlief, aber inzwischen hatte er sich daran gewöhnt. So barg Hüskers’ Physiognomie für ihn, trotz der Kürze ihrer Bekanntschaft, keine Geheimnisse: Sein Körper war nicht so dürr, wie die locker sitzenden Anzüge suggerierten, sondern von einer unaufdringlichen Muskulosität. Drahtig und natürlich durchgehend gebräunt. Außerdem besaß Hüskers den größten Penis, den Patrick jemals außerhalb eines Hardcorestreifens gesehen hatte.

    Beim Frühstück lauschten sie über Kopfhörer ­Lehmanns Aufwachprozess und Morgentoilette. Patrick verging bei den Geräuschen schon bald der Appetit. Ihre Ziel­person hatte die vergangene Nacht in Gesellschaft von zwei Prostituierten verbracht, und zwar auf Firmenkosten. Hüskers verurteilte nicht das Gewerbe, aber er fand es schäbig, wenn ein Mann sich derart intime Vergnügungen von anderen bezahlen ließ. Das war – neben einigem anderen auch – einfach unanständig. Lehmanns wahres Verbrechen bestand natürlich nicht darin, Spesengelder zu verschwenden, sondern im Verschachern von geheimem Firmeneigentum. Er war nur ein vergleichsweise kleines Licht in der Entwicklungsabteilung von LupoTek, doch als er die Gelegenheit bekam, Informationen über ein neues Projekt an sich zu bringen, hatte er keine Sekunde gezögert. Bevor jemand Abrakadabraverschwindibus sagen konnte, hatte Lehmann bereits das Land verlassen. Allerdings nicht geschickt genug, um keine leicht verfolgbare Spur zu hinterlassen.

    Patrick hatte Lehmanns kurze Abwesenheit am ­Vorabend genutzt, um dessen Hotelzimmer komplett zu verwanzen. Die Unterkunft war seitdem derart mit technischen Überwachungsgeräten vollgestopft, dass der abtrünnige LupoTek-Mann vor lauter Elektrosmog ­inzwischen an ­Kopfschmerzen leiden musste. Leider hatte Patrick bei dieser Gelegenheit auch festgestellt, dass Lehmann die geraubten Daten nicht in seinem Hotel­zimmer aufbewahrte. Aber das wäre auch zu schön gewesen.

    „Dann machen wir uns mal ans Werk", sagte Hüskers, wischte sich mit einer Serviette über den Mund und nahm die Kopfhörer ab. Als Erstes rekrutierte er eines der Zimmermädchen, und zwar das hübscheste, das er finden konnte. Emilia konnte ihm nicht nur Zugang zu den Zimmern gewähren, sondern verfügte auch über einen Einfluss auf das übrige Hotelpersonal, den man gar nicht hoch genug bewerten konnte. Der Hotelmanager hatte sie schon länger im Verdacht, die Belegschaft mit modernen Mythen wie Arbeitsrecht und Gewerkschaften aufzustacheln.

    Als Lehmann schließlich sein Zimmer verließ und zum Hotelpool auf der anderen Seite der Hauptstraße ging, befand sich der Problemlöser dicht hinter ihm. Man konnte die Poolanlage von der Lobby aus durch eine Unterführung erreichen. Für viele angetrunkene All-inclusive-Gäste der empfehlenswertere Weg, da sie beim Überqueren der Straße, den Linksverkehr auf Malta ignorierend, meist in die falsche Richtung schauten.

    Hüskers setzte sich neben einen Tisch mit sehr jungen Bikinischönheiten und wurde dadurch für alle männ­lichen Hotelgäste unsichtbar. Unauffällig steckte er sich den hautfarbenen Empfänger ins Ohr und kontrollierte die Verbindung. Er sah hinauf zu seinem Balkon, fünfter Stock, dritter von links, von wo aus ihn Patrick zwischen schreiend bunten Blümchenvorhängen hindurch mit einem Fernrohr im Auge behielt. Das Spiel hatte begonnen.

    Lehmann fing an, hektisch in seinen Shorts zu kramen, und zog ein klingelndes Handy hervor, von dessen Existenz er selbst am meisten überrascht war. Zögernd meldete er sich.

    „Können wir hören, mit wem er spricht?", fragte ­Hüskers.

    „Leider nein", antwortete Patrick in seinem Ohr.

    „Ich dachte, du hättest sein Handy angezapft?"

    „Das habe ich auch, aber das ist nicht sein Handy."

    „Immerhin befand es sich in seiner Hose."

    „Das muss ihm jemand zugesteckt haben."

    Lehmann eilte, noch immer telefonierend, zur Rezeption zurück. Hüskers folgte ihm und sah zu, wie er die junge Frau mit dem kalkweißen Lächeln ansprach. Sie verschwand kurz und tauchte mit einer Aktentasche wieder auf.

    „Er hat sich eine Aktentasche geben lassen, ich fürchte, er will das Hotel verlassen. Wir folgen ihm!"

    „Ich bin nicht angezogen für einen Außeneinsatz", protestierte Patrick, der sich ungern im Freien aufhielt. Hüskers beobachtete, wie Lehmann den Empfang des Koffers quittierte und Richtung Ausgang spazierte. Kurz darauf kam Patrick in Shorts und Flip-Flops an den Füßen durch die Lobby gehetzt, während er ein geschmackloses Hawaiihemd zuknöpfte.

    Damit begann eine Art Schnitzeljagd, die der unbekannte Anrufer mit Lehmann und indirekt auch mit Hüskers und Patrick veranstaltete. Sie setzen mit der Fähre zur Nachbarinsel Gozo über. Lehmann in einem Taxi und seine beiden Verfolger in dem Fiat, den ­Patrick bei seiner Ankunft gemietet hatte. Bei jedem Anruf bekam Lehmann einen neuen Treffpunkt mitgeteilt und vor Ort eingetroffen, erhielt er eine weitere Anweisung. ­Hüskers zweifelte nicht daran, dass die Tasche nur als Köder diente, aber er durfte kein Risiko eingehen. Immer wieder rein nach Victoria und raus aus Victoria, bis sie alle touristischen Sehenswürdigkeiten besucht hatten und die Reise endete. Natürlich mitten in Victoria. Es mochte sein, dass alle Wege nach Rom führten, aber auf Gozo wirkte das Verkehrsnetz tatsächlich wie von einer Spinne entworfen. Oftmals gab es zwischen zwei Punkten an der Küste keine direkte Verbindung und man gelangte von einem zum anderen nur, indem man zuerst zur Hauptstadt in der Inselmitte zurückkehrte.

    Der Marktplatz von Victoria war dicht mit den Tischen und Stühlen mehrerer Cafés und Bistros bedeckt. Die Grenzen zwischen den einzelnen Läden ließen sich nur schwer ausmachen. Manche Touristen, die sich auf einem der Klappaufsteller ihr Essen ausgesucht hatten und Platz nahmen, mussten feststellen, dass ihr Tisch bereits zum nächsten Lokal gehörte und die Bedienungen begannen, um sie zu streiten. Rund um den Platz herrschte reger Verkehr mit viel Gehupe, knatternden Motoren und knallenden Auspuffrohren. Eine Gruppe alter Männer spielte mit ihren Instrumenten beherzt gegen den Straßenlärm an. Lehmann saß am äußersten Rand eines Cafés. Wenn er die Hand ausstreckte, könnte er die Seitenspiegel vorbeifahrender Autos berühren. Er nippte an einem Espresso und gab sich große Mühe, locker zu wirken, doch das übergeschlagene Bein wippte so unruhig, dass ihm seine Anspannung deutlich anzumerken war. Seine Verabredung verspätete sich offenbar. Auch Hüskers konnte der mediterranen Zeitmessung wenig abgewinnen. Nie in seinem Leben hatte er so viele Stunden mit sinnlosem Warten verschwendet wie rund um das Mittelmeer. Er schätzte die Pünktlichkeit seiner Landsleute, denn es machte sie berechenbar. Wenn man mit einem Deutschen verabredet war, wusste man genau, wo der sich zum verabredeten Zeitpunkt aufhielt, nämlich am vereinbarten Treffpunkt.

    Zusammen mit Patrick stand Hüskers in einem Laden für Wanderausrüstung, der auf den Platz hinausging. Sie beobachteten ihre Zielperson mit Ferngläsern der höheren Preisklasse und nahmen dabei eine kleine Mahlzeit aus Kaninchenspießchen und gefüllten Teigtaschen ein, die ihnen der Besitzer des Ladens freundlicherweise besorgt hatte. Hüskers spülte das Essen mit zwei Flaschen Kinnie hinunter. Obwohl er Limonade in der Regel nicht viel abgewinnen konnte, mochte er den Geschmack aus Bitterorangen und Wermutkraut vom ersten Schluck an.

    „Wir sollten etwas unternehmen, der Kontakt kann jeden Moment auftauchen", sagte Patrick.

    Hüskers drehte wortlos an den Einstellungen seines Fernglases.

    „Wer weiß, mit wem wir es zu tun haben, versuchte Patrick es noch einmal. „Hier gibt es eine Menge Zivilisten, die verletzt werden könnten.

    Ein schwarzer BMW mit verdunkelten Scheiben hielt neben Lehmanns Sitzplatz. Niemand stieg aus, der Kofferraum­deckel öffnete sich.

    „Das ist die Übergabe, keuchte Patrick aufgeregt. „Wir müssen da raus. Sofort!

    Hüskers nahm eine Hand vom Fernglas, um seinen Mitarbeiter am Arm festzuhalten. „Wir warten."

    Lehmann trat an den Bürgersteig, legte die Akten­tasche in den Kofferraum und schloss den Deckel. Der Wagen fuhr im selben Moment los und Lehmann ging in entgegengesetzter Richtung über den Platz davon.

    „Pass mal auf, was jetzt passiert", sagte Hüskers.

    „Was meinst du? Nichts passiert. Die Sache ist gelaufen, die Tasche ist weg."

    Hüskers machte eine Kopfbewegung, dass er weiter beobachten sollte. Und schon kam Bewegung in die Szenerie: Ein Briefträger ließ sein Fahrrad stehen und sprang auf den Beifahrersitz eines Taxis. Ein Motorradfahrer startete seine Maschine und nahm die Verfolgung auf. Eine Frau mit Kinderwagen hob diesen in den Laderaum eines wartenden Geländewagens und setzte sich zu dem Fahrer. Innerhalb von Sekunden hatte sich ein Teil der Straßenszene in Luft aufgelöst.

    Patrick runzelte die Stirn. „Das war nur ein Täuschungsmanöver, um die Konkurrenz abzuschütteln?"

    „Oder um sie kennenzulernen. Es gibt nicht nur ­Lehmanns Käufer und uns, sondern auch noch eine Reihe anderer Interessenten. Und nicht alle beabsichtigten wohl, für die Ware zu bezahlen."

    „Was machen wir jetzt?"

    „Ich würde wetten, während alle der Tasche nachjagen, findet die echte Übergabe im Hotel statt."

    „Aber wo sind die Daten?"

    „Die trägt er am Körper. Wahrscheinlich schleppt er sie die ganze Zeit auf einem USB-Stick mit sich herum. Es wird Zeit, Bekanntschaft mit Herrn Lehmann zu schließen."

    *

    Aus den Boxen am Hotelpool erklang ein Gute-Laune-Stimmungsmix, dessen stampfender Bass niemanden unberührt ließ, und sei es nur durch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Applaus und Mitgröl-Chor waren bereits beigemischt, ohne den lästigen Umweg über eine Liveaufnahme zu gehen. Hüskers trug einen hellbeigen Anzug mit Rotweinfleck an der Schulter, als er auf die Terrasse des Hotels trat. An seinem Arm begleitete ihn Emilia. Sie hatte ihre Zimmermädchenkluft gegen ein gewagt geschnittenes Kleid ausgetauscht, das er ihr zuvor in der hoteleigenen Boutique gekauft hatte. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und sie lachte amüsiert. Bei einem ­gemütlichen Gang um den Pool grüßten sie jeden, mit dem sie Augenkontakt bekamen, damit sich möglichst viele Gäste ihre Gesichter einprägten. Hüskers stellte seine attraktive Begleitung als die französische Tourismus­expertin Caprie Sonnèh vor. Der unübersehbare Weinfleck an seiner Schulter, offenbar von panischen Händen zu einem hellen Rosa geschrubbt, würde ein Übriges tun, damit Hüskers im Gedächtnis blieb. Wenn er Lehmann erst einmal aufgefallen war, würde er bei der späteren Kontaktaufnahme weniger misstrauisch sein.

    „Zielperson ist am Pool eingetroffen. Sichtkontakt gewährleistet, meldete Patrick über den Ohrstecker. „Cocktail präpariert, Kontaktaufnahme steht unmittelbar bevor.

    Hüskers beobachtete Lehmanns großspuriges Verhalten. Der Mann benahm sich wie King Kong in Liliput und hielt es für weltmännisches Auftreten. Er gab übertriebene Trinkgelder, redete auffällig laut und gab sich vertraulich mit dem Personal. Den Kaschmirpullover trug er über die Schultern seines senffarbenen Polo-Shirts drapiert. Die teure Sonnenbrille saß unverrückbar im gegelten Resthaar verankert. Selbst wenn man mildernde Umstände wie eine schwere Kindheit und soziale Dysfunktion geltend machte, fiel es schwer, Lehmann für einen angenehmen Menschen zu halten. Sein feis­tes Grinsen in einem Bart, der aussah, als würde er aus Schamhaaren bestehen, ließ auch das herzlichste Lächeln der Angestellten bemüht wirken. Über seine körperlichen Defizite hätte man hinwegsehen können, aber Lehmanns Unzulänglichkeiten im Umgang mit seinen Mitmenschen ließen Hüskers ein ums andere Mal rätseln, wie es der Mann geschafft hatte, im LupoTek-Konzern aufzusteigen.

    Hüskers beobachtete den Kellner mit dem präparierten Cocktail, der direkt auf Lehmann zusteuerte. Das Getränk würde ihn für mindestens eine Stunde an die nächste Toilette fesseln, die sich in der Lobby befand. Ein Klassiker im Spionagegeschäft. Hüskers schätzte den gesundheitsfördernden Aspekt einer Darmentleerung und zog sie Mitteln wie Rohypnol vor. Emilia hielt ein Schild bereit, das die Benutzung der Toilette untersagte, sobald Lehmann eingetreten war, damit er allein in dem Raum blieb. Nach ein paar Minuten würde Hüskers als guter Samariter auftauchen, den Lehmann bereits vom Pool her kannte. Der tollpatschige Hotelgast mit dem Weinfleck und der heißen Freundin. Völlig ungefährlich. Hüskers konnte den Austausch vornehmen, indem er die brisanten Daten durch seine eigenen, entsprechend präparierten, in der heruntergelassenen Hose ersetzte. Eine relativ einfache Aktion.

    Der Kellner, der Emilia einen Gefallen tat, stand inzwischen vor Lehmann und hielt ihm das Tablett mit dem präparierten Cocktail direkt vor das Gesicht. Lehmann streckte die Hand nach dem schlanken Glas aus, als er von einem jungen Schnösel mit Kinnbart zur Seite gerempelt wurde, der dreist das angebotene Glas ergriff. Er schaute Lehmann herausfordernd an, ob dieser ­protestieren wollte, dann zog der Cocktailräuber lachend mit seiner Beute davon. Hüskers schnalzte verärgert mit der Zunge und musste umdisponieren. Doch bevor er sich eine neue Strategie zurechtlegen konnte, klingelte Lehmanns Handy erneut. Er meldete sich und mit einem Mal schien die Poolparty für ihn keinerlei Bedeutung mehr zu haben. Telefonierend eilte er ins Innere des Hotels.

    Hüskers und Emilia folgten ihm zur Rezeption. Als Lehmann wieder gegangen war, erkundigte sich ­Emilia bei ihrer Kollegin nach seinen Wünschen. Lehmann hatte gerade einen kleinen Konferenzraum gebucht. Das sprach dafür, dass die Übergabe dort stattfinden würde, und zwar ziemlich bald.

    Hüskers brauchte keine Beweise für Lehmanns Tat vorlegen, denn es ging nicht um eine Verurteilung. Der Problem­löser hätte sich damit begnügen können, das Material zurückzustehlen oder es einfach zu vernichten, aber Hüskers war angewiesen, Lehmann einen Denk­zettel zu verpassen. Zusammen mit Emilia eilte er zu dem Konferenzraum.

    „Das ist ziemlich aufregend, sagte sie mehr amüsiert als beunruhigt. „Aber hast du nicht gesagt, dass ihr für einen Spielzeugkonzern arbeitet?

    „LupoTek ist die Mutter aller Spielzeugkonzerne."

    „Nie gehört."

    „Der Name ist nur deshalb nicht so bekannt, weil die populärsten Produkte unter den Namen von Tochter­firmen herausgebracht werden."

    „Und er hat euch die Idee für ein Spielzeug gestohlen?"

    Hüskers nickte bloß und verzichtete darauf, ihr zu erklären, dass es sich bei den entwendeten Projekt­plänen um technische Hilfsmittel handelte, die einzig für den internen Gebrauch bestimmt waren. Hüskers war ein begeisterter Nutzer jener Gadgets, die die Entwicklungsabteilung in Darmstadt ihm und seinen Kollegen zur Verfügung stellten. Deshalb unterteilte er die Mitarbeiter seiner Abteilung auch in die Craigs und die Moores, womit die beiden am weitesten entgegengesetzten Bond-­Interpretationen gemeint waren. Sein Kollege Linksrheiner beispielsweise war ein hundertprozentiger Craig. Brutal und direkt, nutzte jede Waffe, die er in die Finger bekam, und kannte keine Skrupel. Aber das war eben nicht Hüskers Stil.

    Er kniete sich vor das Schlüsselloch des Konferenzraums und zog die Kappe von einer Spritze ab.

    „Was ist das?", flüsterte Emilia interessiert.

    „Ein Pheromon. Ein Duftstoff, der bei jedem Raucher, der ihn riecht, das unstillbare Verlangen nach einer Zigarette weckt."

    „Warum erfindet man sowas?"

    „Es ist ganz praktisch in Zeiten schwindender Absatzzahlen. Das Zeug wirkt nicht nur bei aktiven Rauchern, sondern auch bei ehemaligen."

    „Die Tabakindustrie würde doch sicher Millionen für so einen Stoff bezahlen."

    „Milliarden, erklärte Hüskers. „Wir haben nachgefragt. Und jetzt halte dir bitte Mund und Nase zu.

    Er spritze den Inhalt in den Raum und trat dann schnell zurück. Es dauerte weniger als eine Minute, bis sie ­Lehmann durch die Tür in den gläsernen Innenhof stürzen sahen, während seine Finger mit der Zellophanhülle einer Zigarettenschachtel kämpften.

    Hüskers schlüpfte in den Raum und entdeckte sofort das MacBook Pro auf dem Tisch. Er meldete den Stick ab und zog ihn aus dem Laptop. „Pass gut auf unseren Freund auf", sagte er zu Emilia und eilte dann zur Lobby, wo Patrick ihn erwartete.

    Emilia beobachtete Lehmann, der mit gierigen Zügen an seiner Zigarette sog. Wenn er in dem Tempo weitermachte, würde er schnell fertig sein. Zufrieden sah sie, wie er sich eine zweite Zigarette an der ersten ansteckte und sich diesmal etwas mehr Zeit dafür ließ. Sie wartete, bis er den Innenhof verlassen wollte, dann ging sie zu ihm nach draußen. Überzeugend spielte sie den leicht beschwipsten Urlaubsgast, der die Kippen für seine Zigaretten­pause vergessen hatte. Während Hüskers in der Lobby darauf wartete, dass Patrick an seinem Laptop den Stick präparierte, behielt er die beiden durch die Panorama­scheiben im Auge. Emilia machte ihre Sache sehr gut und flirtete genau im richtigen Maß. Nicht zu aufdringlich, aber auch nicht völlig uninteressiert. Gerade genug, um Lehmann bei der Stange und in dem Innenhof zu halten. Der Mann blickte zwar mehrmals verstohlen auf seine Uhr, aber er blieb. Hüskers drängte Patrick, dessen Finger über die Tastatur flogen. Und dann sah er sie.

    Es gab zahlreiche potenzielle Abnehmer für die Informationen und die kleine Scharade auf dem Marktplatz hatte dafür gesorgt, dass alle voneinander wussten. Aber das waren nur Handlanger gewesen. Für einen Coup dieser Größenordnung begab sich die Chefetage persönlich auf die Reise. Umgeben von einer Horde Leibwächter kam ein Paar mit auffallend blasser Haut aus der Unterführung.

    Sie waren gutaussehend, Mitte dreißig und unverheiratet. Beide trugen weiße Polo-Shirts und beige Leinenhosen. Nur die dunklen Sonnenbrillen im weißblonden Haar stachen hervor. Die beiden sahen sich trotz des unterschiedlichen Geschlechts unglaublich ähnlich, was kein Wunder war, denn es handelte sich um Zwillinge. Goran und Valerija Olek, besser bekannt als die Gründer und Inhaber von olek-BroSis. Sie zeigten sich gern in der Öffentlichkeit. Meist mit bekannten Werbeträgern: Promis, Kinderstars und Kindern von Promis.

    In der Spielzeugbranche waren sie berüchtigt wegen ihres Ehrgeizes und ihrer rauen Methoden. Gerüchten zufolge wurden sie ohne soziale Kontakte in einem Keller voller Spielwaren großgezogen, bis sie dreizehn waren, und offensichtlich war ihnen das nicht allzu gut bekommen. Die Spielzeugindustrie war ein hartes Geschäft und die Geschwister der lebende Beweis dafür, dass um Entwürfe für knuffige Teddybären genauso unbarmherzig gekämpft werden konnte wie um Schnittmuster, Rezepte oder Baupläne. Die Industriespionage blühte in dieser Branche ebenso prächtig wie in jeder anderen. Das Business hatte absolut nichts Spielerisches an sich und nicht nur im Umfeld von Drogen, Waffen oder Prostitution konnte man mit einem Motorblock an den Füßen im Hafenbecken enden. Wie alle in dieser Branche jagten auch die Zwillinge nach dem Heiligen Gral: Ein Spielzeug, das jedes Kind zwischen drei und siebzehn begeistern konnte. Es war so begehrt wie das Zwei-Liter-Auto oder ein wirksames Krebsmedikament. Wer es zuerst fand, hatte für immer ausgesorgt.

    Bevor sich die Geschwister der Spielzeugbranche zuwendeten, hatten sie Sexpuppen berühmter Musikerinnen und Schauspielerinnen in anatomisch korrekter Ausführung hergestellt und im Darknet vertrieben. Für die Dauer eines englischen Sommers florierte das Geschäft prächtig und machte die Geschwister zu Millionären. Bis der bis dahin größte Zivilprozess über Persönlichkeitsrechte, der sehr einem Monty-Python-Sketch ähnelte, wie ein Tsunami über das blutjunge Unternehmen hinwegspülte. Die meisten hätten sich davon nie wieder erholt. Aber Valerija und Goran eröffneten stattdessen ihre erste Spielzeugfirma, kauften billige Lizenzen auf und begannen schnell zu wachsen. Sie spannten schon sehr früh Blogger für ihre Geschäfte ein, als diese noch nicht wussten, dass man auch geschenkte Produkte schlecht bewerten durfte.

    Olek-BroSis war zwar zu klein, um von LupoTek als Bedrohung eingestuft zu werden, doch der Konzern behielt andere Firmen im Auge. So handhabten das die Profis. Und als Hüskers zum ersten Mal auf den Namen Olek stieß, forderte er das Dossier über die Zwillinge an und stellte überrascht fest, welchen Umfang dieses bereits angenommen hatte.

    Patrick riss den USB-Stick aus seinem Laptop und hielt ihn in die Höhe. Hüskers steckte den Datenträger in die Tasche und machte sich auf den Rückweg zum Konferenz­raum. Von seiner Position aus konnte Patrick beobachten, wie Hüskers den Raum betrat, gleichzeitig den Innenhof überblicken, wo Lehmann gerade seine Zigarette ausdrückte und sich von Emilia verabschiedete, und den Westflur einsehen, auf dem sich die Oleks mit ihren Leibwächtern näherten. „Mach, dass du da rauskommst, Mann!"

    Hüskers verließ den

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1