Gesang vor Türen
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Ob Parabel auf die Freiheit oder Hommage an die Tücken des Alltags: „Gesang vor Türen“ ist eine Ein-Mann-Liebesgeschichte, die nie stattfindet – originell, vielschichtig, geradezu universell.
Wie schon in seiner Lyrik erreicht Bernd Lüttgerding in seinem Debütroman das schier Unmögliche: eine Legierung aus Leichtigkeit und Tiefe.
Bernd Lüttgerding
Bernd Lüttgerding, geboren 1973 in Peine, ist Autor und nebenbei auch bildender Künstler. Seit 2008 lebt er in Belgien. Er studierte Philosophie, Geschichte und Religionswissenschaft und finanzierte sich bis vor kurzem mit der Arbeit als Gärtner, als Assistent von Antiquaren und Künstlern sowie als Techniker in einem Museum. Zwei Gedichtbände, »Stäubungen« und »Der rote Fuchs«, erschienen bei der parasitenpresse, Köln. Außerdem veröffentlicht er Gedichte, Erzählungen und Essays in Zeitschriften und Anthologien. Seit 2019 lebt er in der Künstlerresidenz Studiogarden Verrewinkel, Brüssel.
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Gesang vor Türen - Bernd Lüttgerding
verlag duotincta
Gesang vor Türen
Bernd Lüttgerding
Bernd Lüttgerding
Bernd Lüttgerding, geboren 1973 in Peine, ist Autor und nebenbei auch bildender Künstler. Seit 2008 lebt er in Belgien. Er studierte Philosophie, Geschichte und Religionswissenschaft und finanzierte sich bis vor kurzem mit der Arbeit als Gärtner, als Assistent von Antiquaren und Künstlern sowie als Techniker in einem Museum. Zwei Gedichtbände, »Stäubungen« und »Der rote Fuchs«, erschienen bei der parasitenpresse, Köln. Außerdem veröffentlicht er Gedichte, Erzählungen und Essays in Zeitschriften und Anthologien. Seit 2019 lebt er in der Künstlerresidenz Studiogarden Verrewinkel, Brüssel.
www.berndluettgerding.blogspot.com
I.
Etwas nahte wie Unheil, als gewöhnlicher blinder Fleck.
An der rissigen, im Innern finsteren Wolkenlandschaft, die hinter den Dächern aufschwoll, zwängte sich ein Lichtfeld vorbei und strich über den Bahnhofsvorplatz. Der Zopf einer Frau erglänzte, als sie einen Buckel machte, den linken Fuß hob und in ein Taxi stieg.
Noch eben hatte es ein paar Tropfen geregnet. Vor dem Eiscremestand war keine Warteschlange. Im Halbschatten neben den drei Eingängen des Hauptbahnhofs, vor denen Mitglieder einer Reisegruppe die Gänsehaut auf ihren Oberarmen verglichen, löste sich etwas, eine unheilvoll nahende Bewegung, überspielt von den ein und aus strebenden Schemen, Rucksäcken, Koffern und dem flatternden Hemd von jemandem, der auf den Bahnhofseingang zusprintete, aufrecht, ausgreifend, wie ein rennender Vogel Strauß.
Zwischen den Betonsteinplatten zerfloss eine aus der Waffel gefallene Eiskugel und machte als Kontrastmittel das Fugenraster augenfällig, über das die Sonnenstrahlen vom Horizont des weiterschwebenden Wolkenlandes gelenkt wurden. Ein sommersprossiger Soldat zupfte an seinem Nasenflügel, ein Nadelstreifenanzug mit Aktenköfferchen wollte dem Gedränge zuvorkommen, das am Nachmittag herrschen würde; der, an die Einfassungsmauer der U-Bahn-Rolltreppe hingelagerte Bettler richtete zwischen zusammengelegten Handflächen seine Irokesenfrisur, während sein Hund den Ausschreitungen zweier gestiefelter Mädchen nachsah, und was sich da hinten gelöst hatte, änderte in sanftem Bogen seinen Kurs; es nahte, unscharf und klanglos.
Durch die feuchte Luft unter den Platanen säuselte kokosimitierender Sonnenmilchgeruch, und ein Motorroller wurde angelassen, als das Etwas, die ausgeblendete Stelle, die näherkommend zu einem dunkelblauen Blouson auf dünnen Beinen unter roter Schirmmütze wurde, mit den Armen ruderte und mit einer mageren, ans Rufen nicht gewöhnten Stimme »Hey! – Stefan! – Hallo! – Hallo Stefan! – Na, sag mal, du siehst ja wohl auch keinen!« rief.
Stefan lächelte erschrocken und tat so, als würde er Carsten Löhr erst nach nochmaligem Hinsehen erkennen, denn einerseits war Carsten eine erfolgsverwöhnte Nervensäge und gar kein richtiger Freund, andererseits könnte es vielleicht angesichts des angespannten Magenkribbelns guttun, ein bisschen mit irgendwem zu sprechen.
» Ach, hallo, Carsten! Wir haben uns ja lange nicht gesehen. Ich dachte, du wohnst jetzt in London.«
Zur Begrüßung bekam er nur Carstens Zeige- und Mittelfinger hingestreckt, die seine Hand mit nichts als einem weichlichen Gefühl von Unvollständigkeit erfüllten. Carsten Löhr – meine Güte. Wie lang ist es her, seit mir die letzte Begegnung mit ihm zu vermeiden misslang? – nölte mit seiner hellen, ein bisschen krächzenden Stimme:
»Ja, nö, London hat sich erstmal erledigt, irgendwie. Ich hab da ja noch angefangen am LCC Film zu studieren, aber das …«, er blies die linke Backe auf, flatulierte seitlich zwischen den Lippen hervor und winkte ab, »das war nichts. – Was? Äl, si-si? Na, London College of Communication. Ich bin da aber echt mehr der Theoretiker, hab ich festgestellt. Realisieren ist immer schwierig, man ist abhängig von tausend Leuten«, er rollte mit den Augen, hin über die tausend Leute auf dem Bahnhofsvorplatz, »und überhaupt steht da dauernd das Geld-Ding so im Vordergrund … Jetzt bin ich in Mainz, das ist viel besser. Hab meine Eltern hier besucht.« Er schlenkerte sein Handgelenk zwischen sich und Stefan, um nach einem Blick auf seine massige Armbanduhr anfügen zu können:
» In, äh, zweieinhalb Stunden geht mein Zug zurück.«
Stefan knibbelte mit den Fingernägeln an einer Naht seiner Umhängetasche, die ihm gerade wieder den beklemmenden Eindruck suggerierte, er sei ein Sitzengebliebener, der mit annähernd zweiunddreißig Jahren immer noch zur Schule geht, während andere schon in bequemen, professionell ausgetretenen Stiefeln die Wonnen und Widrigkeiten der Wirklichkeit durchwandern.
» Film …« – na los, da antworte jetzt mal was drauf! –, »das klingt ja interessant …«
Stefans Blick trudelte weg von Carstens Milchpuddinggesicht und zu seinem T-Shirt, das sich, in die Hose gesteckt, über einer kleinen wabbeligen Plauze spannte, betont noch durch die Gürtelschnalle in Form eines keltischen Schildbuckels.
» Aber was Filme betrifft, bin ich überhaupt nicht auf dem Laufenden. Inzwischen habe ich sogar meinen Fernseher abgeschafft, um mich ganz und gar auf diese dämliche Promotion konzentrieren zu können.«
»Echt?«, staunte Carsten. Ein verständnisloses Schmunzeln hellte seine drömmelige Miene auf: »Das hätte ich mir ja dreimal überlegt. Und das finde ich auch ziemlich abgedreht, muss ich sagen. Aber, hier … wir haben uns jetzt so lange nicht gesehn, und ich würd ja gerne einen Kaffee mit dir trinken, aber ich muss noch eben in die Südstadt, ein paar Filme abholen; wenn ich da nicht hinterher bin, krieg ich die nie wieder.« Dann schob er einer ziemlich ungekonnten Kunstpause hinterher: »Aber komm doch eben mit! Wir nehmen die Stadtbahn, das geht ruckzuck und dann, äh … können wir ʼn bisschen reden, ja?«
Stefan machte nur das kehlig-kurze »O…«, das zu einem »Och, nö, ich muss meinen Zug erreichen, muss dringend nach Hause, habe zu tun, oder vielmehr so einen Druck im Kopf, fühle mich weichgeklopft, bin verwirrt und anfechtbar und brauche den Schutz meiner Bettdecke …«, hätte gehören sollen. Doch Carsten hatte so großen Gefallen an seiner Idee, dass er alles, was nach dem »O…« angedacht war, mit Gequengel abschnitt:
» Na los! Nun komm schon eben mit!«
» Ich-ä … ha-hatt-ö …«, angewidert musste Stefan sich die Stücke seiner Sprache, die es ihm verschlagen hatte, erst wieder zusammensuchen, »öh … grade mal wieder eine Vorbesprechung mit meinem werdenden Doktorvater. Eigentlich müsste ich noch in die Bibliothek und mir den Kram heraussuchen, mit dem ich mich jetzt befassen soll, aber ich glaube, das verschiebe ich auf morgen. Eigentlich möchte ich jetzt am liebsten einfach nur nach Hause.«
» Los, Mensch, bitte, wir haben uns jetzt so lange nicht gesehen! Ich muss doch nur kurz die Filme abholen, und wir können uns in der Bahn in Ruhe unterhalten, … ja? Das lenkt dich ab! Erzähl doch mal, wie stehts denn mit deiner Promotion? Guck mal, da kommt schon eine Zwei, die können wir nehmen!«
Die Stadtbahn der Linie 2 schlängelte sich unter den Platanen hervor auf den Bahnhofsvorplatz, bunt, unter Nichtachtung der Fenster beklebt mit riesigen Lachgesichtern, die, umrahmt von einem Dattelpalmenblatt und einem Cocktailschirmchen, uns den Rat geben, Urlaub zu machen, Normzähne zu blecken und Cocktails zu mögen. Die Türen klappten auf, sie mussten einem, ihnen entgegenrollenden Kinderwagen Platz machen. Die Waden der Frau, die ihn schob, waren mit chinesischen Schriftzeichen tätowiert.
Dann gab Carsten Stefan d en Vortritt, als wolle er sichergehen, dass der es sich nicht noch anders überlegt und plötzlich wegrennt. Wie ein Häftling auf Reisen und verlegen, weil er sich hatte übertölpeln lassen, eine Hand an der Stange, duckte Stefan sich ruckartig, als eine herabbaumelnde Griffschlaufe ihn am Oberkopf kitzelte, und wurde zwischen die Sitzreihen geschoben. Eigenartig, aus Trotz gebe ich nach, weil ich es für unter meiner Würde halte, mich gegen solche Unverfrorenheit zur Wehr zu setzen.
Carsten dirigierte ihn auf den Fensterplatz in einen schon halb besetzten Vierersitz, von dem es kein Entkommen gab, und quetschte sich neben ihn, so dass Stefan nicht nur von Carstens Schulter, sondern auch von dem, bei jeder Bewegung aus seinem karierten Sommerblouson gepumpten Geruch, einem empörend verführerischen Eau de Toilette, gegen das Fenster gedrängt wurde. Man konnte es nicht in seine Schranken weisen, war ihm ausgeliefert und starrte all diese, einander möglichst zu vermeiden suchenden, von unterschiedlichen Hosenstoffen überspannten Knie an. Wüstensandfarben und bügelfaltig waren die zwei Paar gegenüber. »Gleich wirds leerer«, hatte Carsten ihm zugemurmelt und schwieg jetzt in Erwartung der Leere.
Hinter dem, durch die halbdurchsichtige Dattelblatt- und Cocktailschirmbeklebung beeinträchtigten Fenster – als Kind auf dem Schulweg hatte mir aus einem der elliptischen Fensterschlitze des Gefängnisbusses, der da gelegentlich morgens früh vorbeifuhr, einmal zwischen Zotteln und Bart ein Auge zugezwinkert … – ruckelte, sirrte, schwebte Junilicht, unterbrochen von Mauerschatten und Straßenecken, gebrochen an den, zu einem schiefen, aber gerade noch nicht stürzenden Bauklotzturm aufgeschichteten Glasstockwerken einer Bank. Schaufenster, Ladenschilder, Arkaden flirrten vorbei, das satte Laub hinter Masten und vor finsteren Wolkenflatschen auf der Azuritgrundierung. Der Wolken wegen hatte Stefan seine dünne olivgraue Baumwolljacke mitgenommen, die jeder Sonnenstrahl lästig überm Arm und auf der Schulter machte. Jetzt hing sie zu warm über seinem Knie; sein Hemd klebte unter den Achseln, und seine Hose zwickte etwas in den Leisten. Und schon verlangsamte die Bahn sich wieder. Tatsächlich stiegen mehr Leute aus als ein; auch die beiden mürrischen Gegenübersitzer schlurtschten auf schwarzhaarigen Flip-Flop-Füßen zum Ausgang. Carsten aber wuchtete sich ächzend auf den frei gewordenen zweiten Fenstersitz:
» Puh, endlich! Im Gedränge redet es sich ja immer nicht so ungezwungen. Find ich aber echt gut, dass du mitkommst, ich meine, ich hätte auch lieber irgendwo einen Kaffee getrunken, aber … wie gesagt, meine Filme …, das ist mir schon wichtig, irgendwie.«
Auf seiner altroten Baseballmütze prangte ein D, geformt aus einer stilisierten, blauen Klapperschlange; das konnte man erdeuten, weil ihre Schwanzspitze tatsächlich in Klapperwirbeln auslief.
Und summend, ein Wespenchor, fuhr die Stadtbahn wieder an.
Stefan stellte sich vor, wie Carsten irgend jemandem erst Filme aufgeschwatzt hatte, um ihm dann mit dem Wiederhabenwollen lästig zu fallen; wie eine zarthäutige Raupe spann er sich ein in seine Verachtung, bis ihm wohlig wurde in diesem Kokon, und er seinen Peiniger beschwichtigen konnte:
» Och, ich hab ja eigentlich auch grade Zeit; und in der Südstadt, muss ich sagen, war ich, glaube ich, noch nie. Vorhin habe ich innerlich ein bisschen gekocht, als ich von dem Termin bei meinem Doktorvater gekommen bin, aber … so ist es bestimmt besser, dann gehe ich nachher doch noch in die Bibliothek, dann ist das auch getan …«
Einige Sitze entfernt räusperte sich unsichtbar jemand und zauste eine Zeitung, aus Kopfhörern zirpten die Obertöne einer Musik, ein Mobiltelefon brummte, und Carsten presste seine Lippen missfällig zu einer vorgestülpten Doppelwurst. Stefan dachte zunächst, das bezöge sich auf den Hintergrundlärm, musste sich dann aber fragen lassen: »Was willst du eigentlich in der Bibliothek? Die meisten Sachen findet man doch inzwischen online«, und musste abwiegeln: »Aber nie das, was ich brauche,« und in seinem Kokon, in ihm, inwendig kondensierte Wut. Er betrachtete den sorgfältig zurechtgestutzten Bartstreifen, der die Flucht von Carstens Kinn kaschierte und im Widerspruch zu den bleichen Pöterwangen stand. Ein Ring pendelte an seinem Ohr. Neben seinem Adamsapfel hatte ein einsames Barthaar schon mehrere Rasuren länger werdend überstanden. Und von dieser Kreatur musstest du dich einwickeln lassen.
Carsten ließ davon ab, den Stahlreifen auf seinem Daumen zu drehen, hob die Augen und fuhr fort:
» Dann erzähl doch mal. Was ist denn jetzt mit deiner Promotion?«
» Ach …, mit der hab ich noch gar nicht richtig angefangen. Es fällt mir schon schwer, mich mit mir selbst auf ein Thema zu einigen; und dann hab ich auch noch den Ölpenauer-Schmitz als Doktorvater, der mir mit seinen Vorstellungen dazwischenfunkt.«
» Den kenn ich doch auch noch, das ist doch dieser Schlaksige, so ein Opa, der hat doch immer einen ganz netten, harmlosen Eindruck gemacht, fand ich.«
»Ja, anfangs dachte ich das auch. Und natürlich ist er vordergründig nett, aber das ist nur die Maske eines ziemlich zermürbenden Charakters: Immer dieses fistelige ›von Haus aus bin ich ja Theologe‹«, äffte Stefan mit abgespreizter Unterlippe und zwischen den Schneidezähnen glänzender Zungenspitze nach, während ihm der Geruch der Universitätsgänge wieder in die Nase stieg. Aschfarbener Teppichboden, in dem Neonröhrenlicht versickerte. Ein Tisch voller Prospekte, die luftballon- und eiffelturmgespickte Informationen über Spracherwerb, Auslandsaufenthalt, Berufsfindung, Adrenalinsprudeln und dissoziative Bauchschmerzen boten, war in dem kahlen Gang das einzige, was der grauen Tür gegenüberstand, an der zwei Studentinnen auf donnernden Absätzen vorbei plapperten und durch den Brandschutzdurchgang im Foyer verschwanden. Neben der Tür war das plexiverglaste Namensschild Prof. Dr. theol. Dr. phil. Ingo Ölpenauer-Schmitz angebracht. An der Tür, recht tief, unterhalb eines Plakates, das eine Aufführung kammermusikalischer Werke von Krzysztof Penderecki und Jan Jargoń für einen Novemberabend vor mehr als vier Jahren ankündigte, hing eine Liste, in die man sich für einen Termin eintragen konnte. Stefan hatte den seinen allerdings telefonisch vereinbart, vergewisserte sich viermal, vor der Tür mit dem rechten Namensschild zu warten, versuchte flüsternd, den Namen Krzysztof auszusprechen und lauschte auf das Gemurmel, das durch die Tür drang.
Und als er Carsten erklärte:
»Weißt du, ich hatte den Eindruck, alles, was mich reizt, wäre entweder zu abgegrast oder zu abseitig; und Ölpenauer-Schmitz hat immer gemäkelt, es wäre kokett, über einen vergessenen Autor zu schreiben; er wollte ›Relevanz für die Gegenwart‹«, gor in seinem Kopf noch das heillos missratene Gespräch mit dem Professor, dessen Stimme auch nach achtzehn Minuten weiter so gleichbleibend leise hinter der Tür rumort hatte, dass, als sie geöffnet wurde, Stefan für einen Augenblick zu halluzinieren meinte. Durch den Türspalt zwängte sich ein kurzbärtiger Bursche, die langen, zu Würsten verfilzten Haare in einem Kopftuchstreifen gebündelt, barfuß in ausgelatschten, von weiten Hosensäumen umschlackerten Ledersandalen. Aber er glänzte unter den Augen, sah zu Boden und drängte sich an Stefan vorbei.
» Ah, äh-Sie …!«, hatte Professor Doktor Doktor Ölpenauer-Schmitz ihm säuerlich grinsend von seinem Schreibtisch aus zugerufen. Reflexe des Computerbildschirms verschleierten die Brillengläser, die seine Schillernase flankierten, und er vollführte, in seinen Bürosessel gesackt, zur Begrüßung mit langem Arm im Sakkoärmel die ungelenke