Die PS-Dynastie: Ferdinand Porsche und seine Nachkommen
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Buchvorschau
Die PS-Dynastie - Wolfgang Fürweger
werden.
TEIL I:
EIN MYTHOS ENTSTEHT
1. DER BEGINN EINER PS-LEGENDE
Wir schreiben das Jahr 1875. Maffersdorf ist eine kleine Gemeinde in Böhmen, die überwiegend von deutschsprachigen Untertanen der Donaumonarchie bewohnten wird. Außer einer Teppichmanufaktur und viel ländlicher Idylle hat das Kaff wenig zu bieten. Dennoch beginnt hier am 3. September 1875 die Porsche-Saga. An diesem Tag wird im heutigen Vratislavice nad Nisou (Tschechien) Ferdinand Porsche als drittes von fünf Kindern des Spenglermeisters Anton Porsche und dessen Gattin Anna geboren.
Vater Porsche nannte einen Handwerksbetrieb mit mehreren Lehrlingen und Gesellen sein Eigen. In einer Zeit, als das Handwerk noch den sprichwörtlichen goldenen Boden hatte, war das schon etwas. Klein Ferdinand hatte es also bereits von Geburt an nicht allzu schlecht erwischt. Sein Vater konnte ihm zwar kein großes Vermögen, aber immerhin eine ordentliche Ausbildung im eigenen Unternehmen bieten. Wäre Ferdinand am Ende der Epoche des hässlichsten Manchester-Liberalismus in einer der zahlreichen Arbeitersiedlungen der Donaumonarchie oder als eines von vielen Kindern auf einem Bauernhof zur Welt gekommen, wer weiß, ob er seine Talente jemals hätte entfalten und nutzen können.
Ein Geheimlabor auf dem Dachboden
Als Gottlieb Daimler zum ersten Mal zu einer Ausfahrt mit seinem vierrädrigen Automobil aufbrach, war Ferdinand Porsche elf Jahre alt. Bereits in diesem Alter zeigte er eine außergewöhnliche technische Begabung. Vor allem die Elektrizität hatte es dem Knirps angetan. Er bastelte ständig herum, und als 13-Jähriger installierte er im elterlichen Haus elektrische Klingeln. Vater Porsche hielt von den Experimenten des Filius aber nicht viel – im Gegenteil: Er verbot seinem Sohn, sich weiterhin mit »diesem Firlefanz« zu beschäftigen. Weil der ältere Bruder Anton bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen war, sollte Ferdinand einmal den väterlichen Betrieb übernehmen und nicht Wissenschaftler spielen.
Klein Ferdinand dachte aber nicht im Traum daran, sich seine Leidenschaft für Technik von seinem verständnislosen Vater verbieten zu lassen. Deshalb richtete er sich unter dem Dach des elterlichen Hauses heimlich eine eigene kleine Elektrowerkstatt ein. In diese zog er sich zurück, wann immer es ging, um ungestört zu experimentieren. Der Vater arbeitete oft auswärts und kam meist spät nach Hause. Das Geheimnis blieb also lange gewahrt, zumal die Mutter die Leidenschaft ihres Sohnes duldete. Einmal sollte der Vater dann doch das kleine Reich seines Sohnes entdecken und das Laboratorium in einem Wutanfall zerstören. Der Zorn soll noch größer geworden sein, als herumspritzende Batteriesäure Löcher in die Hose des tobenden Seniors ätzte.
Nach der Volksschule, die damals noch acht Jahre dauerte, musste der spätere »Autoingenieur des Jahrhunderts« im Alter von 15 Jahren eine Lehre im elterlichen Betrieb beginnen. Dank der Fürsprache der Mutter durfte der junge Mann wenigstens Abendkurse an der Reichenberger Staatsgewerbeschule besuchen, also an einer der Vorläufer-Einrichtungen der heutigen Höheren Technischen Lehranstalten (HTL). Die Stimmung des Vaters schlug erst um, als Ferdinand im April 1893 im Alter von 17 Jahren in der väterlichen Spenglerei einen Dynamo mit Schwungradantrieb installierte, der den Betrieb mit elektrischem Licht versorgte. Und das zu einer Zeit, in der selbst in den Großstädten noch Ölfunzeln brannten und die Straßen, wenn überhaupt, dann nur mit Gaslaternen beleuchtet waren. Elektrisches Licht gab es bis zu diesem Zeitpunkt in der Gegend nur in der benachbarten »Teppich- und Deckenfabrik Ignaz«. Das Unternehmen genoss damals bereits international einen ausgezeichneten Ruf, der sich in den folgenden Jahren noch verbessern sollte. 1924 stattete die Manufaktur das Waldorf-Astoria in New York mit dem damals größten Teppich der Welt aus. Aber das ist eine andere Geschichte.
Trotz seines gelungenen Coups mit dem elektrischen Licht durfte Ferdinand nicht studieren, obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte. Der Vater gestattete dem Jungen aber, eine andere Laufbahn einzuschlagen als die eines Spenglers. Abgesehen von einigen theoretischen Vorlesungen an der Technischen Hochschule Wien, an denen er als außerordentlicher Hörer teilnahm, besuchte der spätere zweifache Ehrendoktor und Professor der Technik nie eine höhere Schule. Er war ein Praktiker, ein Autodidakt, ein »Meister der Improvisation«, wie Peter Müller in seiner erstmals 1965 erschienenen Biographie schreibt: »Wenn erfahrene Monteure nicht mehr weiterwussten, dann legte er sich unter den Wagen und hantierte mit dem Schraubenschlüssel … Für Ferdinand Porsche war gewissermaßen Benzin Muttermilch.«
Der Weg nach Wien
Seine erste Stellung außer Haus führte den böhmischen Handwerkersohn im Jahr 1893, also im Alter von 18 Jahren, nach Wien, zu der Vereinigten Elektrizität AG von Béla Egger & Co – ein Unternehmen, das später in Brown Boveri aufgegangen ist. Den Posten in der pulsierenden Metropole der Donaumonarchie hatte ihm der benachbarte Teppichfabrikant Willy Ginzkey vermittelt. Dieser hatte nach dem Tod seines Vaters Ignaz die Weberei übernommen und war von der technischen Begabung des jungen Spenglerlehrlings offenbar schwer beeindruckt. Porsches neuer Arbeitgeber war nicht irgendwer: Der Ungar Béla Egger vertrat in Wien zunächst Thomas Alva Edison, den Erfinder der Glühbirne, und machte sich dann selbstständig. Zu seinen Auftraggebern gehörte auch das Kaiserhaus. So erhielt Egger den Auftrag, in der kaiserlichen Residenz, dem Schloss Schönbrunn, elektrisches Licht zu installieren.
In diesem innovativen Unternehmen erhielten auch junge Mitarbeiter rasch eine Chance, die Karriereleiter emporzuklettern. Porsche stieg aufgrund seiner großen technischen Begabung schnell auf. Bereits vier Jahre nach seinem Eintritt wurde er 1897 im Alter von 22 Jahren Leiter des Prüfraums für Elektromotoren, kurz danach Assistent des Betriebsleiters. Porsches Meisterstück während seiner Zeit bei Béla Egger & Co war die Konstruktion eines Radnaben-Elektromotors. Dabei griff er ein Prinzip auf, das in England bereits patentiert worden war. Porsche brachte die Konstruktion aber als Erster zum Laufen und meldete 1897 seinerseits ein Patent auf den ersten funktionierenden Radnaben-Elektromotor an. Diese Erfindung sollte dem jungen Spenglersohn aus Böhmen den Weg zu weiterer Karriere ebnen.
Und noch etwas passierte bei Béla Egger, das Porsches weiteres Leben prägen sollte: Im Büro der Arbeitsverteilung arbeitete eine junge Dame namens Aloisia Kaes. Auf diese hatte Porsche ein Auge geworfen. Bei einem Betriebsabend im Varieté Ronacher kamen der Spenglersohn und die Schneidermeistertochter einander näher. Als die Heirat vor der Tür stand, erhob Vater Porsche Einspruch. Er hätte seinen talentierten Sohn lieber mit einer Ginzkey-Tochter verheiratet, was eine sehr gute Partie gewesen wäre. Ferdinand setzte aber auch hier seinen Kopf durch: 1903 wurde Hochzeit gefeiert, ein Jahr später erblickte Tochter Louise Hedwig Anna Wilhelmine Maria das Licht einer Welt, die sich zumindest für ihre Familie nur um das Automobil drehte. Auf den ersehnten Stammhalter musste das Paar dann bis zum September 1909 warten. Der Junge wurde Ferdinand Anton Ernst genannt, aber nur »Ferdy« gerufen. Der Kosename gefiel weder der Erzieherin von Porsche junior noch dessen späterer Frau. So wurde aus »Ferdy« schlussendlich »Ferry«. Der zweite Kosename sollte dem Sohn des genialen Konstrukteurs ein Leben lang bleiben.
Der Lohner-Porsche
Zurück aber zu Ferdinand Porsches Karriere: Noch im Jahr 1897 trat der talentierte Techniker in den Dienst der »k. u. k. Hofwagenfabrik Ludwig Lohner & Co«. Das Wiener Unternehmen war als Hoflieferant damals weithin bekannt. Heute würde sich wohl kaum jemand an den Namen erinnern, hätte dort nicht Ferdinand Porsche Meilensteine in der Automobilgeschichte gesetzt. Dabei war der Kutschenbauer Lohner ein weitsichtiger Mann: Schon bald nach der Erfindung des Kraftwagens erkannte er, dass den edlen Karossen, in denen sich seit Jahrhunderten Adelige und reiche Bürger fahren ließen, keine große Zukunft mehr beschieden sein würde. Diese gehörte dem Automobil. Im Juni 1896 war Lohner daher nach Bad Cannstatt bei Stuttgart gereist, um Gottlieb Daimler und dessen berühmte Automobile mit dem Viertakt-Ottomotor kennenzulernen. Lohner zeigte sich tief beeindruckt und beschloss, das moderne Fahrzeug in sein Produktionsprogramm aufzunehmen. Daimler war jedoch nicht bereit, mit dem österreichischen Kutschenbauer einen Lizenzvertrag abzuschließen.
Also probierte es Lohner zunächst erfolglos mit einer eigenen Konstruktion. Danach versuchte er eine Zusammenarbeit mit Rudolf Diesel zu erreichen, der 1897 einen neuartigen Verbrennungsmotor erfunden hatte. Als auch das nicht klappte, setzte Lohner auf den Elektroantrieb und gründete eine »elektromobile Abteilung«. Anhand dieser Geschichte sieht man, dass an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert noch nicht klar war, welche Antriebsart sich letztlich durchsetzen würde. Bei Lohner wurde also ein erstes Elektroauto gebaut. Dieses erwies sich aber als zu anfällig für Störungen. Weil der Unternehmer die bereits getätigten Investitionen nicht abschreiben wollte und zudem fürchten musste, von der neuen Technik und der Konkurrenz im wahrsten Sinne des Wortes überrollt zu werden, sah er sich in der Branche um – und fand bei Béla Egger & Co den jungen Assistenten des Betriebsleiters. Ferdinand Porsche sei sofort Feuer und Flamme gewesen, schreibt sein Biograph Peter Müller: Er »entwickelte dem Hofkutschenerzeuger temperamentvoll seine Pläne. Ludwig Lohner ließ sich überzeugen und engagierte den damals dreiundzwanzigjährigen Techniker«.
Mit dieser Anstellung waren hohe Erwartungen verbunden, denen der geniale Konstrukteur auch voll und ganz gerecht wurde. In wahrer Rekordzeit entstand 1899 das erste Fahrzeug mit zwei Elektromotoren, die in den beiden vorderen Radnaben eingebaut waren. Durch den Einbau vorne wurde die motorisierte Kutsche – denn um nichts anderes handelte es sich – nicht geschoben, sondern gezogen. Damit war ein Schleudern in den Kurven ausgeschlossen. Die beiden Motoren wurden von einer großen Batterie in der Mitte des Wagens gespeist. Obwohl sie gerade einmal fünf PS leisteten, kam das Vehikel auf eine Dauerleistung von 37 Stundenkilometern und auf eine Spitzengeschwindigkeit von 45 Stundenkilometern, was damals absoluter Rekord war. Über die Reichweite hat der Verfasser trotz intensiver Recherche nichts herausfinden können, sie dürfte aber nicht allzu groß gewesen sein.
Das neue Elektroautomobil wurde im Jahr 1900 auf der Pariser Weltausstellung als Lohner-Porsche präsentiert. Und es war die Sensation! Es zog die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich und wurde als epochale Neuheit gefeiert! Beim Lohner-Porsche konnte man den Radnabenmotor auch in alle vier Räder einbauen, womit gleich der erste Vierradantrieb der Welt im Angebot war. Ein in Bordeauxrot gehaltenes Exemplar dieser ersten Serie des Lohner-Porsche ist noch heute im Technischen Museum in Wien zu bewundern. Auf das Prinzip des Radnaben-Elektromotors setzte übrigens 70 Jahre später auch die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA bei ihrem Mondauto.
Kurz nach dem Lohner-Porsche entwarf der junge Porsche den sogenannten »Mixte«-Wagen. Bei dessen Motor handelte es sich um eine Konstruktion, die heute als Hybrid-Antrieb bekannt ist: Ein Motor kann sowohl mit Strom als auch mit einem Benzin-Kraftstoff betrieben werden – ein Prinzip, das heute, 100 Jahre nach dem »Mixte«-Wagen, wieder aktuell wird. Porsches Radnaben-Hybridmotor basierte auf einem Dynamo, der von einem Benzinmotor angetrieben wurde und so Strom für die Batterie lieferte. Der Einbau direkt an der Radnabe ersparte die Kraftübertragung und damit auch ein Getriebe, was damals ein großer Vorteil war. Die Reibungsverluste bei den Getrieben der Automobil-Urzeit waren nämlich enorm. Dafür ließ die Konstruktion aber keine unterschiedlichen Übersetzungen zu, sprich: weder der Lohner-Porsche noch der »Mixte«-Wagen verfügten über eine Gangschaltung, was sich vor allem bei Steigungen und Gefällen negativ ausgewirkt haben dürfte.
Weil es nun einmal in der Natur des Mannes liegt, sich mit seinen Artgenossen im Wettstreit zu messen, machte sich Porsche sofort nach der Präsentation des »Mixte«-Wagens ans Werk, eine Rennversion seines Hybrid-Fahrzeugs zu bauen. In dieser »Mixte«-Sportversion gewann er 1902 das Exelberg-Rennen, eine damals bedeutende Wertungsfahrt. Der Erfolg sollte sich bis zum kaiserlichen Hof durchsprechen, denn als Reserve-Infanterist des Regiments der Hoch- und Deutschmeister im Range eines Gefreiten durfte Porsche im selben Jahr Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand persönlich bei den Kaisermanövern chauffieren. Der junge Techniker hatte nicht nur ein gutes Gespür für kommende Entwicklungen, sondern auch ein großartiges Talent, Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten zu knüpfen. Diese Gabe sollte er später noch oft unter Beweis stellen. Porsche chauffierte im »Mixte«-Wagen aber nicht nur kaiserliche Hoheiten, sondern auch seine eigene Familie. Eine der frühesten Kindheitserinnerungen Louise Piëchs war die sonntägliche Fahrt zur Kirche in Vaters Automobil. Der Chauffeur saß mit Zylinder wie auf einem offenen Kutschbock, während die Familie hinten im geschlossenen Coupé Platz nahm.
Krach mit Lohner
Der Lohner-Porsche und der »Mixte«-Wagen waren ihrer Zeit voraus und sollten ihrem Entwickler Ruhm und den Lohner-Werken gute Geschäfte einbringen. Und das, obwohl die junge Technik noch nicht ausgereift war. Das galt für die Autos im Allgemeinen: Die Fahrzeuge blieben oft liegen und wurden damit genauso oft zum Gespött der Leute; im Winter sprangen sie meist erst gar nicht an. Dennoch galt das Auto bald als chic. Der Adel machte den Anfang, und wer im gehobenen Bürgertum etwas auf sich hielt, musste eine selbstfahrende Kutsche kaufen. Wer erst einmal ein Auto besaß, der wurde dann automatisch zum Techniker. Denn ohne eingehendes Studium der Konstruktion ließ sich das Vehikel kaum anstarten oder wieder in Betrieb nehmen, wenn es denn einmal stehen geblieben war.
Damals wurde jedes Fahrzeug noch auf Bestellung produziert, daher war jedes Exemplar ein Einzelstück und speziell an die Wünsche des Kunden angepasst. Beim k. u. k-Hoflieferanten Lohner war der Absatz für damalige Verhältnisse sensationell: Etwa 270 Lohner-Porsche wurden erzeugt, darunter Dutzende Feuerwehrautos, die etwa in Wien bis zum Jahr 1917 im Einsatz waren. Auch die Florianijünger in London, Hamburg und Berlin waren in Fahrzeugen aus dem Lohner-Werk unterwegs. Zu den prominenten privaten Porsche-Fahrern zählten kurz nach der Jahrhundertwende unter anderen Baron Nathan Rothschild, Max Egon Fürst von Thurn und Taxis, Erzherzog Franz Salvator, Karl Fürst Kinsky und Julius Meinl.
Trotz der guten Verkaufszahlen kühlte das Verhältnis zwischen Lohner und Porsche aber merklich ab. Peter Müller schreibt in seiner Porsche-Biographie dazu: »Der Konstrukteur war von einer wahren Experimentierwut befallen, er wollte alles immer besser machen, und das hält finanziell auch der gesündeste Betrieb nicht aus. Ingenieur Richard Lohner, der Sohn des Industriellen, erinnerte sich noch an diese Zeit: ›Ja, der Herr Porsche hat meinen Vater rund eine Million Goldkronen gekostet. Er hat ihm zu viel experimentiert.‹« Diesen Vorwurf sollte Porsche in seinem späteren Berufsleben noch des Öfteren zu hören bekommen. Er war ein Tüftler, ein Bastler: Ihn interessierte das technisch Neue, das in seinen Augen Perfekte – gleich, wie viel es kostete oder ob es sich gewinnbringend verkaufen ließ. Ferdinand Porsche sollte in seinem späteren Berufsleben immer einen Kaufmann an seiner Seite brauchen. Im Jahr 1905 wurde sein Vertrag mit Lohner einvernehmlich gekündigt.
2. KONSTRUKTEUR BEI AUSTRO-DAIMLER
1905 übersiedelte die Familie Porsche nach Wiener Neustadt, wo der mittlerweile international bekannte Konstrukteur zum Entwicklungs- und Produktionsleiter der Österreichischen Daimler Motoren KG Brienz Fischer & Co – kurz: Austro-Daimler – bestellt wurde. Für den 30-Jährigen war das ein gewaltiger Karrieresprung. Schließlich war er der Nachfolger von niemand Geringerem als Paul Daimler, dem Sohn des Automobil-Pioniers Gottlieb Daimler. Austro-Daimler gehörte damals zu den innovativsten Unternehmen des Kontinents: Als Fiaker und Kutschen noch die alltäglichen Fortbewegungsmittel waren, baute man in Wiener Neustadt bereits Lastwagen, Kleinautos und Motorboote. 1903 wurde der erste Postautobus ausgeliefert, der auf der Linie Venedig–Padua–Treviso zum Einsatz kam. Zwei Jahre später konstruierte Paul Daimler das erste selbstfahrende Panzerfahrzeug der Geschichte. Auch unter seinem Nachfolger Ferdinand Porsche sollte Austro-Daimler kräftig im Rüstungsgeschäft mitmischen.
Austro-Daimler war also ein Unternehmen, das für Porsche und dessen schier unbändigen Forschergeist wie geschaffen war. Das zeigte sich auch daran, dass Porsche bis 1923 technischer Direktor blieb. In späterer Folge sollte er niemals mehr so lange Zeit für ein und dasselbe Unternehmen tätig sein. Am Beginn seiner Tätigkeit für Austro-Daimler fing Porsche dort an, wo er bei Lohner aufgehört hatte: Er konstruierte Automobile mit benzinelektrischem Antrieb (Hybrid-Technik), aber auch mit reinen Verbrennungsmotoren.
Der Herrenfahrer
Porsche war aber nicht nur Konstrukteur, sondern auch begeisterter, guter und vor allem schneller Autofahrer. Als solcher nahm er an vielen Rennen teil. Nach dem Exelberg-Rennen gewann er mit einem Lohner-Porsche auch das Semmering-Bergrennen in neuer Rekordzeit. Bei einem weiteren Start am Semmering im Jahr 1909 verpasste Porsche übrigens die Geburt seines Sohnes Ferry. Sein größter motorsportlicher Erfolg gelang ihm aber 1910: In einem Austro-Daimler mit einer damals revolutionären Torpedo-Karosserie (»Tulpenform«) siegte er bei der Prinz-Heinrich-Fahrt, der bedeutendsten Wertungsfahrt seiner Zeit. Bei diesem Rennen ging es auf wechselnden Strecken vor allem darum, die Zuverlässigkeit der noch jungen Automobiltechnik unter Beweis zu stellen.
Im Jahr 1910 führte die Strecke über 1.495 Kilometer von Berlin über Magdeburg, Braunschweig, Kassel, Würzburg, Nürnberg, Stuttgart, Straßburg und Trier nach Bad Homburg. Das Siegerfahrzeug, das eine für damalige Verhältnisse geradezu sagenhafte Spitzengeschwindigkeit von 140 Stundenkilometern erreichte, hatte Porsche nicht nur selbst gesteuert, sondern natürlich auch selbst konstruiert. Tochter Louise durfte zur Feier ihres siebten Geburtstags nach dem Zieleinlauf auf dem Trittbrett des Siegerautos mitfahren. Der Beifahrer ihres Vaters bei diesem Rennen war übrigens ein junger Kroate namens Josip Broz, der später den Kampfnamen »Tito« annahm und zum kommunistischen Partisanenführer und jugoslawischen Staatschef aufsteigen sollte. Auch die Plätze zwei und drei gingen in diesem Jahr an Autos, die Porsche für Austro-Daimler konstruiert hatte.
Das Verhältnis zwischen den Automobilen und ihren Piloten zu dieser Zeit beschreibt Peter Müller in seiner Porsche-Biographie derart köstlich, dass der Verfasser seinem geneigten Leser den Originaltext nicht vorenthalten möchte: »Heute beschäftigt der Generaldirektor einen routinierten Fahrer, der seine hundertund-achtzigpferdige Limousine sicher durch das Verkehrsgewühl steuert. Früher sah man es anders. Um bei Porsche zu bleiben: der technische Direktor war Herrenfahrer. Er wollte keinen Chauffeur, er wollte in jungen Jahren selbst seinen Wagen lenken. Daher auch der Name Herrenfahrer. So wie sie in den Achtzigerjahren ihre Viererzüge durch die Straßen lenkten, sausten sie in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts über die staubigen Straßen, und dieser Schnelligkeitsrausch musste hart erarbeitet werden: achtzig Prozent aller Pannen wurden durch geplatzte Pneus verursacht. Als einer der Freunde Porsches im Jahre 1903 eine Autotour nach Italien unternahm, brauchte er zwanzig Schläuche und vier Mäntel. Dieses Gummiarsenal musste er aber mitführen, denn auf der ganzen Strecke gab es keine Reparaturwerkstätte.
Der Treibstoff war anfänglich nur literweise in Drogerien erhältlich. Als das Gedränge in den Drogerien dann gefährliche Formen annahm, kam ein Benzinlieferant in der Brigittenau auf die gute Idee, den Sprit in große handliche Kannen abzufüllen und zu verkaufen. Das Kannengeschäft florierte und innerhalb weniger