- Otto von Bismarck
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Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (seit 1865 Graf, seit 1871 Fürst von Bismarck, seit 1890 [1]; * 1. April 1815 in Schönhausen; † 30. Juli 1898 in Hamburg) war von 1862 bis 1890 Ministerpräsident von Preußen und zugleich von 1867 bis 1871 Norddeutschen Bundes sowie von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Königreich Preußen zunächst als Vertreter der Interessen der Reaktionsära Diplomat (1851–1862). 1862 wurde er zum preußischen Ministerpräsidenten berufen. Im preußischen Verfassungskonflikt kämpfte er gegen die Liberalen für den Primat der Deutsch-Dänischen Krieg und im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 war er als treibende Kraft an der Lösung der kleindeutschen Sinn und an der Bündnispolitik Otto von Bismarcks).
Innenpolitisch ist seine Regierungszeit nach 1866 in zwei Phasen einteilbar. Zunächst kam es zu einem Bündnis mit den gemäßigten Liberalen. In dieser Zeit gab es zahlreiche innenpolitische Reformen wie die Einführung der Zivilehe, wobei Bismarck Widerstand von katholischer Seite mit drastischen Maßnahmen bekämpfte (staatsinterventionistischen Maßnahmen. Dazu zählte insbesondere die Schaffung des Sozialversicherungssystems. Innenpolitisch geprägt waren die 1880er-Jahre nicht zuletzt vom repressiven Sozialistengesetz. 1890 führten Meinungsverschiedenheiten mit dem seit knapp zwei Jahren amtierenden Kaiser Wilhelm II. zu Bismarcks Entlassung.
In den folgenden Jahren spielte Bismarck als Kritiker seiner Nachfolger noch immer eine gewisse politische Rolle. Insbesondere durch seine viel gelesenen Memoiren
Inhaltsverzeichnis
- 1 Frühe Jahre
- 2 Politische Anfänge
- 3 Diplomat
- 4 Preußischer Ministerpräsident
- 5 Reichskanzler
- 6 Nach dem Rücktritt
- 7 Entwicklung des Bismarck-Gedenkens
- 8 Historiografie
- 9 Literatur, Quellen und Darstellungen
- 10 Weblinks
- 11 Anmerkungen
Frühe Jahre
Herkunft, Jugend und Bildung
Der am 1. April 1815 in Schönhausen bei Stendal an der Sachsen-Anhalt) als zweiter Sohn des Rittmeisters Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck (1771–1845) und dessen Ehefrau Luise Wilhelmine, geb. Mencken (1790–1839), zur Welt gekommene Otto von Bismarck war väterlicherseits Spross eines Altmark. Seine Mutter dagegen war als Tochter von Anastasius Ludwig Mencken bürgerlicher Herkunft. Die Familie Mencken hatte in der Vergangenheit Gelehrte und hohe Beamte hervorgebracht.
1816 übersiedelte die junge Familie, ohne Gut Schönhausen aufzugeben, nach Gut Kniephof im Nowogard) in [2]
Schulbildung
Anstatt, wie für einen Landadeligen üblich, in einer Kadettenanstalt erzogen zu werden, kam Bismarck auf Wunsch der Mutter 1821, im Alter von sechs Jahren in ein Berliner Internat, die Plamannsche Erziehungsanstalt. Dieses Internat, in das hohe Beamte ihre Söhne zu schicken pflegten, war ursprünglich im Geist von [3]
1827 wechselte Bismarck auf das Berliner Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster. Außer in Bezug aufs Altgriechische, das Bismarck bald als überflüssig ansah, zeigte er sich in der Schule als ausgesprochen sprachbegabt, wenn auch nicht immer als fleißig.[4]
Religion
Bismarck war Angehöriger der lutherischen Konfession. Den Religionsunterricht erhielt er von Dreifaltigkeitskirche auch konfirmierte. Bismarck befasste sich in dieser Zeit mit Fragen der Religion hauptsächlich vom Verstand her und sah sich in ihr, von Spinoza beeinflusst, rückblickend eher als Pantheist[5] denn als gläubiger Christ. Ein Atheist war er allerdings nie, auch wenn seine Umgebung ihn zumeist für einen gottlosen Spötter hielt. In der Zeit seines Referendariats schrieb er 1836 an seinen Bruder Bernhard: „Ich bemerke nur, dass Du mir zu wenig Besonnenheit zumutest, wenn Du mich für einen Atheisten hältst.“[6] Das Marie von Thadden-Trieglaff traf.[7]
Studium und Ausbildung
→ Hauptartikel: Otto von Bismarck als Student
Nach dem Abitur nahm Bismarck als Siebzehnjähriger am 10. Mai 1832 das Studium der Rechtswissenschaften auf (1832–1835), zunächst an der Julirevolution lehnte er nachdrücklich ab. Es war daher auch kein Zufall, dass er sich nicht den damals oppositionellen Corps Hannovera Göttingen anschloss. Er blieb zeitlebens ein überzeugter Corpsstudent. An den Burschenschaften missfielen ihm „ihre Weigerung, Satisfaktion zu geben, ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganzen ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntnis der vorhandenen, historisch gewordenen Lebensverhältnisse beruhte.“ Er fasste seine Beobachtungen später zu der Bemerkung zusammen, dass es sich um eine Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung gehandelt habe. Andererseits bezeichnete er sich selbst als keineswegs von preußisch-monarchischen Gedanken beeinflusst.[8] Geschichte und Literatur interessierten ihn, das Jurastudium weniger. Der einzige akademische Lehrer, der ihn beeindruckte und wohl auch beeinflusste, war der Historiker Gustav Scharlach und dem späteren amerikanischen Diplomaten [9]
Im November 1833 setzte Bismarck sein Studium an der Berliner Auskultator beim Berliner Stadtgericht. Auf eigenen Wunsch wechselte er vom Justiz- in den Verwaltungsdienst. Nicht nur im Kreis um den Novellisten Carl Borromäus Cünzer suchte er Zerstreuung[10]: Vom Büroalltag eines Regierungsreferendars im mondänen Kurort Aachen bald gelangweilt, verliebte er sich im August 1836 in Laura Russell, einer Nichte des Potsdam fortzusetzen, kehrte dem Verwaltungsdienst aber nach einigen Monaten den Rücken. Er erklärte diesen Schritt rückblickend damit, dass er kein bloßes Rädchen im Getriebe der Bürokratie sein wollte: „Ich will aber Musik machen, wie ich sie für gut erkenne, oder gar keine.“[11]
1838 leistete Bismarck als Garde-Jäger-Bataillon. Im Herbst wechselte er zum Jäger-Bataillon Nr. 2 nach Bonvivant und erfolgreicher Gutsverwalter
Bismarck bezog nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1839 das Kniephof und wurde Landwirt. Gemeinsam mit dem um fünf Jahre älteren Bruder Jarchlin im Stendal.
Bismarck erwarb schnell gute Kenntnisse in rationaler landwirtschaftlicher Betriebsführung. In den etwa zehn Jahren, in denen er als Verwalter des elterlichen Besitzes fungierte, gelang es ihm nicht nur, die Güter zu sanieren, sondern auch die eigenen Schulden zurückzuzahlen, die er in den zurückliegenden Jahren aufgehäuft hatte.
Einerseits gefiel es ihm, sein eigener Herr zu sein, andererseits füllten ihn die landwirtschaftliche Tätigkeit und das Leben als Landjunker nicht wirklich aus.[12] Er beschäftigte sich nebenher intensiv, aber unsystematisch mit Philosophie, Kunst, Religion und Literatur, ohne dass ihn dies nachhaltig geprägt hätte. 1842 unternahm er eine Studienreise nach Frankreich und England und in die Schweiz. Das Bestreben, in den Staatsdienst zurückzukehren, gab er 1844 auf – erneut aufgrund seiner Abneigung gegen alles Bürokratische. In diesen Jahren war er gerngesehener Gast bei zahlreichen gesellschaftlichen Ereignissen in der Region. Er nahm unter anderem an zahlreichen Jagdveranstaltungen teil, aber auch an ausschweifenden Zechgelagen. Eigenen Bekundungen zufolge hatte er sich in diesem Zusammenhang eine Art Trinkfestigkeit angeeignet; bei den Landjunkern habe er an Ansehen hinzugewonnen, weil er dazu fähig sei, seine „Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch zu trinken“.[13] Dies wie auch die ihm anhaftende Neigung, bei gesellschaftlichen Ereignissen fast stets im Mittelpunkt zu stehen, brachte ihm den Ruf des „tollen Bismarck“ ein.[14]
Gatte und Vater
Durch Adolf von Thadden-Trieglaff. Blanckenburg war mit der Tochter Johanna von Puttkamer als Tischdame für Bismarck aus. Im Sommer 1846 reisten das Ehepaar Blanckenburg, Bismarck und Johanna von Puttkamer gemeinsam in den Harz. Nach dem unerwarteten Tod Maries am 10. November 1846 hielt Bismarck in einem berühmt gewordenen Brautbrief[15] an Heinrich von Puttkamer um die Hand von dessen Tochter an. Der Gutsbesitzer antwortete hinhaltend. Bismarck reiste daraufhin nach Reinfeld bei Rummelsburg in Hinterpommern und überzeugte die Eltern Johannas in einem persönlichen Gespräch. Die Heirat fand im Jahr 1847 in Reinfeld ([16]
Der Ehe von Otto und Johanna von Bismarck entsprossen drei Kinder:
- Marie (1848–1926), ∞ Herbert (1849–1904), ∞ Marguerite Gräfin von Wilhelm (1852–1901), ∞ Sibylle von Arnim-Kröchlendorff
Johanna ordnete ihre Bedürfnisse denen ihres Mannes unter und bot ihm zugleich – anders als seine Mutter – eine feste emotionale Bindung. Die Briefe, die die beiden austauschten, gehören zu den Höhepunkten der Briefliteratur des 19. Jahrhunderts.[17]
Politische Anfänge
Konservativer Agitator
Bismarck trat politisch zunächst auf kommunaler Ebene hervor. In seiner Zeit auf Gut Kniephof war er Deputierter des Provinziallandtags der Provinz Pommern[18][19] und unterstützte in einigen Fällen seinen Bruder bei dessen Tätigkeit als Landrat. Über seinen pietistischen Freundeskreis kam er um 1843/1844 in Kontakt zu führenden konservativen Politikern, insbesondere zu den Brüdern Leopold Gerlach. Er verpachtete 1845 nicht zuletzt, um diese Verbindung auszubauen, den Kniephof und zog nach Schönhausen. Dieser Ort lag näher bei Deichhauptmann in [20] Zusammen mit den Brüdern Gerlach trat Bismarck beispielsweise für die Bewahrung der Patrimonialgerichtsbarkeit ein.
Als Nachrücker im sächsischen Provinziallandtag wurde Bismarck als Vertreter der Ritterschaft der Provinz Sachsen 1847 Mitglied des Vereinigten Landtags.[21] In diesem Gremium, das von der gemäßigten liberalen Opposition dominiert war, fiel er bereits bei seiner ersten Plenarrede als strikt konservativer Politiker auf, als er bestritt, dass es bei den [22]
Die Leidenschaft des politischen Kampfes ließ ihn kaum essen und schlafen. Am Ende der Versammlung hatte sich Bismarck in den konservativen Kreisen einen Namen gemacht. Auch der König war auf ihn aufmerksam geworden.[23] Wenngleich er eindeutig konservative Positionen vertrat, war Bismarck bereits in dieser Zeit auch Pragmatiker und bereit, vom politischen Gegner zu lernen. Dies kam etwa in dem Plan zum Tragen, als Gegengewicht zur liberalen „[24]
Bismarck lehnte die Karl von Prittwitz lehnte dieses Angebot jedoch ab. Danach versuchte Bismarck, Prinzessin Wilhelm I., von der Notwendigkeit einer Gegenrevolution zu überzeugen. Augusta wies das Ansinnen als intrigant und illoyal zurück. Bismarck zog sich durch sein Verhalten die dauerhafte Abneigung der späteren Königin zu.[25] Nach der Anerkennung der Revolution durch preußische Nationalversammlung wurde Bismarck nicht gewählt. Dafür beteiligte er sich an der außerparlamentarischen Sammlung des konservativen Lagers. Im Sommer 1848 war er an der Gründung und inhaltlichen Ausgestaltung der „Junkerparlaments. In diesem versammelten sich mehrere hundert adlige Gutsbesitzer, um gegen den Eingriff in ihr Eigentum zu protestieren.[26]
Diese Aktivitäten führten dazu, dass die konservative [27]
Hinwendung zur Realpolitik
Im Januar und im Juli 1849 wurde Bismarck in die zweite Kammer des preußischen Landtages gewählt. Er beschloss in dieser Zeit, sich ganz der Politik zu widmen, und zog mit seiner Familie nach Berlin. Damit war er einer der ersten Berufspolitiker in Preußen.[28] Im Parlament trat er als Sprachrohr der Ultrakonservativen auf. So verteidigte er die Ablehnung des Kaisertitels durch Friedrich Wilhelm IV., weil aus seiner Sicht zu befürchten stand, dass Preußen in Deutschland aufginge. Die nationale Frage war für ihn gegenüber der Sicherung der preußischen Macht zweitrangig.
Die Unionspolitik von [29] Er wurde trotz seiner Kritik am Projekt einer deutschen Union zum Mitglied des Volkshauses des [30]
Nach dem Scheitern der Unionspläne übernahm Bismarck die schwierige Aufgabe, im preußischen Parlament die Olmützer Punktation zu verteidigen. Er schaffte es dabei, einerseits konservative Standpunkte zu vertreten, sich andererseits aber zu einer staatlichen Machtpolitik fern irgendwelcher Ideologien zu bekennen: „Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinen eigenen Interessen angehört.“[31] Mit seiner Betonung des Staates, der Macht- und Interessenpolitik, entfernte Bismarck sich vom traditionellen Konservatismus, der (in eher defensiver Grundeinstellung) aus der Gegnerschaft zum modernen, zentralen, bürokratischen und absolutistischen Staat entstanden war.[32]
Diplomat
Bundestagsgesandter
Bismarck wurde, obwohl er keine diplomatische Ausbildung besaß, am 18. August 1851 auf Betreiben Leopold von Gerlachs durch Friedrich Wilhelm IV. zum preußischen Gesandten beim [33] In Frankfurt handelte Bismarck jedoch sehr eigenständig. Er befand sich zeitweise sogar im Gegensatz zur Berliner Regierungspolitik.[34]
Allerdings machte er als Abgeordneter deutlich, dass er noch immer ein Mann der Hochkonservativen war. Seine Haltung in einer Kammerdebatte führte am 25. März 1852 zu einem Pistolenduell mit dem liberalen Abgeordneten [35]
Als das Kaisertum Österreich nach dem Ende der Unionspolitik zusammenarbeiteten, wollte Bismarck sich nicht damit abfinden, dass der österreichische Ministerpräsident Deutschen Zollverein beizutreten.[36]
Die Entscheidung der preußischen Regierung im Jahr 1854 (vor dem Hintergrund des Mobilisierung der Napoléon III. nur einen Vertreter des revolutionären Prinzips und einen „natürlichen Feind“ sahen. Bismarck antwortete, dass ihm die Legitimität der Staatsoberhäupter letztlich egal sei. Für ihn standen nicht die konservativen Grundsätze, sondern die Staatsinteressen im diplomatischen Geschäft im Mittelpunkt. Im Lager der Konservativen galt er nun zunehmend als egoistischer Opportunist.[37]
Gesandter in St. Petersburg und Paris
Der Konflikt mit den Gerlachs hatte aber auch innenpolitische Gründe. Nach der Übernahme der Regentschaft durch Prinz Wilhelm 1857 verloren die Hochkonservativen an Einfluss; statt dessen nahm die Bedeutung der gemäßigt liberal-konservativen Wochenblattpartei zu. In der beginnenden Neuen Ära versuchte auch Bismarck, durch eine gewisse Distanzierung von den extremen Konservativen seine Position zu behaupten. In einer umfangreichen Denkschrift sprach er nunmehr von einer „nationalen Mission“ Preußens und von einem Bündnis mit der national-liberalen Bewegung. Damit vollzog er einen bemerkenswerten Kurswechsel. Allerdings ging es ihm nicht um den Kampf für die deutsche Einheit um ihrer selbst willen, sondern war es sein Ziel, den deutschen Nationalismus einer Stärkung der preußischen Macht dienstbar zu machen.[38]
Die Erwartungen, die er mit der Anpassung an ein verändertes politisches Klima in Preußen verband, erfüllten sich für ihn selbst allerdings zunächst noch nicht. Im Januar 1859 wurde er nach St. Petersburg versetzt. Er selbst sprach davon, dass er an der Newa kaltgestellt worden sei. Der Wechsel fiel der Familie schwer; die Eheleute Bismarck hatten in Frankfurt die glücklichste Zeit ihrer Ehe erlebt. Bismarck erweiterte in der neuen Funktion allerdings seine diplomatischen Kenntnisse und erfreute sich des Wohlwollens des russischen Hofes und des Kaiserpaares. Sein Ehrgeiz richtete sich aber zunehmend auf die höchsten Ämter im preußischen Staat. Er beobachtete genau die Entwicklung des preußischen Verfassungskonflikts. Die Hoffnung, bereits im April 1862 zum Ministerpräsidenten ernannt zu werden, erfüllte sich nicht. Statt dessen wurde er Gesandter in Paris, wo er im Palais Beauharnais residierte. Dieser Posten galt ihm jedoch von Beginn an nur als Wartestellung.
In diese Zeit fiel die von seiner Ehefrau geduldete Liebesaffäre mit Fürstin Katharina Orlowa, der Ehefrau des russischen Gesandten in Belgien Nikolai Alexejewitsch Orlow. Es war die letzte private Eskapade Bismarcks, ehe er sich ausschließlich der Politik widmete.[39]
Preußischer Ministerpräsident
Berufung
In Berlin verfestigte sich inzwischen die ablehnende Haltung der Liberalen gegen eine geplante Heeresreform. Die Notwendigkeit einer solchen Reform wurde eigentlich von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Im Gegensatz zu den anderen Großmächten war die preußische Armee seit 1815 kaum gewachsen. Selbst im Vergleich mit Österreich waren die preußischen Streitkräfte deutlich schwächer. Die offiziell bestehende Wehrpflicht existierte in der Wirklichkeit nur noch auf dem Papier, und seit Längerem gab es Bemühungen, die [40]
Dies bestärkte die Liberalen in ihrer Kritik, und das Abgeordnetenhaus verweigerte die für die Reform nötigen Finanzmittel. Im März 1862 wurde das Parlament aufgelöst und eine neue Regierung gebildet. Statt der gemäßigten Liberalen der Neuen Ära hatten in dieser Regierung Konservative wie der Kriegsminister Albrecht von Roon das Sagen. Aus den Neuwahlen ging allerdings die neu gegründete Friedrich III. Nach einer Auseinandersetzung mit den Ministern der Regierung hatte der König bereits den Entwurf einer Abdankungsurkunde formuliert.[41]
General Roon sah in der Ernennung Bismarcks zum Ministerpräsidenten die einzige Möglichkeit, den Thronwechsel zugunsten des als liberal geltenden Kronprinzen zu verhindern. Mit einem Telegramm: „Periculum in mora. Dépêchez-vous!“ („Gefahr im Verzuge. Beeilen Sie sich!“) rief er Bismarck nach Berlin zurück. Nach 25 Stunden Bahnfahrt traf Bismarck am 20. September 1862 wieder in Berlin ein. Zwei Tage später wurde er von König Wilhelm I. im Schloss Babelsberg empfangen. Über Inhalt und Verlauf der Unterredung liegt nur Bismarcks Bericht vor, der aber im Gegensatz zu anderen Teilen seiner Erinnerungen im Kern korrekt sein dürfte.[42] Bismarck gewann den noch zögernden König, indem er sich als seinen unbedingten Gefolgsmann gab.[42] Er versprach die Durchsetzung der Heeresreform und betonte seinerseits die grundlegende Bedeutung der Auseinandersetzung um sie. Es gelte, um die Entscheidung zwischen „königlichem Regiment oder Parlamentsherrschaft“ zu kämpfen. Um die letztere abzuwenden, befürworte er auch „eine Periode der Diktatur.“[43] Der König habe Bismarck daraufhin gefragt, ob er bereit sei, sich für die Heeresreform ohne Abstriche einzusetzen und an der Reform festzuhalten, notfalls auch gegen die Mehrheitsbeschlüsse des Abgeordnetenhauses. Als Bismarck beides bejahte, habe der König sich von seiner Entschlossenheit beeindruckt gezeigt: „Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen und ich abdiziere nicht“ (d. h., ich danke nicht ab).[44] Der König ernannte Bismarck zum Ministerpräsidenten und Außenminister.[45]
Beziehung zum König und Grundsätze
Das Ernennungsgespräch legte die Grundlage für die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem König und Bismarck in den folgenden Jahrzehnten. Bismarck schuf sich die Grundlage für eine außergewöhnliche Vertrauensstellung bei Wilhelm I. und verschaffte sich eine Blankovollmacht, die seinen Handlungsspielraum über das übliche Maß eines leitenden Ministers hinaus erweiterte ([46]
Im Einzelnen erhielt Bismarck sehr starke Vollmachten, auf die er sich später berief. Darunter war die Vollmacht, dass seine Minister nur mit seinem Einverständnis dem Monarchen einzeln berichten dürfen.[47]
Bismarck blieb zwar ein Konservativer, allerdings ein zunehmend pragmatisch handelnder und nicht an ideologischen Fixierungen klebender Politiker. Ideale, Theorien und Prinzipien waren für ihn nicht vorrangig ausschlaggebend; was vor allem zählte, waren die Interessen der Staaten. Daraus ergab sich die Machterweiterung Preußens als maßgebliches Ziel. Aus Bismarcks Sicht war es nur möglich, den Großmachtanspruch Preußens zu bewahren, wenn dieses eine hegemoniale Stellung in Europa zu Lasten Österreichs gewinnen konnte und die übrigen europäischen Mächte das duldeten. Um Nationalismus im landläufigen Sinn ging es ihm dabei nicht, vielmehr um außenpolitischen Realismus. Er setzte darauf, dass außenpolitische Erfolge sich auch auf seine Innenpolitik günstig auswirken würden. Er wollte die Monarchie und den Obrigkeitsstaat ebenso erhalten wie die besondere Stellung von Militär und Adel. Erste Priorität hatte aber im Zweifelsfall die Macht des Staates. Darauf zielte auch das zeitweilige Bündnis mit der nationalen und liberalen Bewegung.[48]
Verfassungskonflikt
Am Anfang dominierte in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit bis hinein ins konservative Lager die Ablehnung Bismarcks, der noch immer als extremer Reaktionär galt. Er hatte es daher schwer, geeignete Minister zu finden, und schrieb: „Wir sind froh, wenn wir acht Männer finden und halten.“[49] Das erste Kabinett Bismarck bestand so denn auch mehrheitlich aus eher zweitrangigen Persönlichkeiten. Unter ihnen waren Heinrich Friedrich von Itzenplitz und [50]
Vor diesem Hintergrund war Bismarck die alles entscheidende Persönlichkeit. Als Chef eines Konfliktministeriums berufen, dominierte er klar die Auseinandersetzung mit den Liberalen.
Bismarck versuchte anfangs, die Opposition nicht nur durch Drohungen, sondern auch durch Ausgleichsbemühungen zu neutralisieren. Dies scheiterte, weil er mit einigen seiner Äußerungen erneut das Renommee eines stockkonservativen Politikers bediente. Oft zitiert wurde die Aussage: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht. […] Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden […] – sondern durch Eisen und Blut.“[51]
Eigentlich war die „Deutsche Frage“ nicht ohne Gewalt durchzusetzen sei,[52] fasste man, insbesondere die (liberale) Presse, „Eisen und Blut“ als eine angekündigte Gewaltherrschaft auf, die sich auf außenpolitische Abenteuer stürze.[53] Dies hat dazu beigetragen, Bismarcks Ruf als Gewaltpolitiker zu festigen.[54] Bismarck gab in der Folge seinen Schlingerkurs auf und bekämpfte die Liberalen mit aller Schärfe. Das Parlament wurde vertagt. Damit regierte Bismarck im Herbst 1862 ohne ordnungsgemäßen Haushalt. Anfang 1863 wurde das Parlament wiedereinberufen. Bismarck rechtfertigte sich mit der berühmt gewordenen, heftig umstrittenen [55]
Dahinter stand Bismarcks Voraussetzung, der Fall eines unauflöslichen Dissenses zwischen Monarch und Parlament sei in der Verfassung nicht geregelt. Demnach liege eine Lücke vor, die durch die Prärogative des Königs geschlossen werden müsse. Diese Auslegung der Rechtslage war nach Auffassung vieler Zeitgenossen schlicht ein Verfassungsbruch. [56]
Um gegen die Liberalen zu mobilisieren, verfolgte Bismarck zeitweilig unterschiedliche Pläne. Dazu gehörte auch ein Bündnis mit der sozialdemokratischen Bewegung. 1863 traf er sich mehrfach mit Rudolf Virchow (ein Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses) zum Duell, das dieser jedoch ablehnte, weil es keine zeitgemäße Form der Auseinandersetzung sei.
An der verfahrenen politischen Situation änderte sich freilich nichts. Die Verfassungskrise blieb bis 1866 ungelöst und artete in so etwas wie einen Stellungskrieg aus. Bismarck versuchte, die Opposition zu zermürben. Er regierte mit dem Staatsapparat, und lange Zeit wurde das Parlament gar nicht einberufen. Am 9. Mai 1866 wurde es erneut aufgelöst. Bismarck spielte anfangs selbst mit dem Gedanken eines Staatsstreichs durch Abschaffung von Wahlrecht und Verfassung. Je länger je mehr lehnte er solche Forderungen, die von konservativer Seite erhoben wurden, aber ab, da sie keine politische Ordnung heraufzurühren versprachen, die langfristig stabil sein würde.[57]
Bismarck versuchte unterdessen, mit außenpolitischen Erfolgen innenpolitischen Druck auf die Opposition auszuüben. Zunächst ging dieses Kalkül nur sehr bedingt auf. Das erste Abkommen, die Alvenslebensche Konvention vom 8. Februar 1863 zur Unterstützung Russlands gegen den Fürstentag in Frankfurt auszureden. Der Ministerpräsident legte im Gegenzug die preußischen Vorstellungen einer Bundesreform vor. Diese zielten wie schon früher auf gleiche Rechte für Österreich und Preußen. Neu war aber die Forderung nach einer „aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehenden Nationalvertretung.“[58] Dies war nicht mehr und nicht weniger als ein Bündnisangebot Preußens an die Nationalbewegung, die eng mit dem Liberalismus verbunden war. Kurzfristig nützte das Bismarck nichts, da er angesichts des Verfassungskonflikts als Partner für die Liberalen nicht in Frage kam. Die Opposition in Preußen konnte bei den Neuwahlen Ende Oktober 1863 ihre Position behaupten.[59]
Deutsch-Dänischer Krieg
→ Hauptartikel: Friedrichs VII. von Dänemark entbrannte ein Streit um die Zukunft der beiden Herzogtümer Holstein. Christian IX., der unter dem Druck der Nationalbewegung im eigenen Land stand, kündigte dagegen an, Schleswig in den dänischen Staatsverband integrieren zu wollen.
Zur Enttäuschung der nationalen und liberalen Bewegung lehnte Bismarck es ab, den Anspruch Friedrichs von Augustenburg zu unterstützen. Er wandte sich gleichzeitig aber auch gegen die dänische Position und strebte mittelfristig die Einbindung der beiden Herzogtümer in den preußischen Machtbereich an. Dies war zum Zeitpunkt der Krise außenpolitisch allerdings nicht durchsetzbar. Deshalb hegte Bismarck zunächst wie Österreich ein Interesse an einem neuen Augustenburger Staat. Die Österreicher sahen in einer „nationalen Lösung“ der schleswig-holsteinischen Frage eine Gefahr für den eigenen Vielvölkerstaat. Vor diesem Hintergrund konnte es noch einmal zu einer Zusammenarbeit der beiden deutschen Großmächte kommen.
Bismarcks Politik in der schleswig-holsteinischen Krise folgte wie auch bei anderen Gelegenheiten keinem festen Plan. Er ging vielmehr davon aus, dass die Umstände denjenigen am meisten begünstigen würden, der sich von ihnen leiten ließ, ihnen Lösungen abgewann und sie ihnen nicht aufzuzwingen versuchte.[60]
Bismarck trat als Verteidiger des bestehenden Völkerrechts auf und forderte von Dänemark, wieder auf den Boden der Deutschen Bund und der Bundestag wurden dadurch weitgehend an den Rand gedrängt. Tatsächlich erklärten Bismarck und der österreichische Gesandte Alajos Károlyi in Berlin, dass beide Großmächte das Recht beanspruchen, sich über die Beschlüsse des Bundestages hinwegzusetzen. Damit wurde das Fortbestehen des Bundes erstmals von Preußen und Österreich gemeinsam in Frage gestellt.[61]
Der Konflikt um Schleswig und Holstein führte im Februar 1864 zum Krieg zwischen dem Deutschen Bund und Dänemark. Im Gegensatz zu früheren Kriegen Preußens lag die eigentliche Führung nicht beim König oder den hohen Militärs, sondern beim Ministerpräsidenten, dessen politischem Kalkül die militärischen Schritte untergeordnet wurden. Als der Oberbefehlshaber General [62]
Nach dem Sieg Preußens an den Jütland. Damit war Dänemark besiegt. Der Krieg endete mit dem [63]
Innenpolitisch löste der Erfolg in Dänemark kein Nachgeben der Fortschrittspartei im preußischen Parlament aus. Die Liberalen befanden sich Bismarck gegenüber jetzt aber mit verschiedenen Anträgen in der Defensive, wenn sie z. B. wegen des Verfassungsstreits den Ausbau der Marine ablehnten, der von der Mehrheit sachlich gewollt wurde. In der liberalen Bewegung begannen ehemalige Kritiker des Ministerpräsidenten wie [64]
Deutscher Krieg
→ Hauptartikel: Ludwig von Biegeleben bestimmte österreichische Deutschlandpolitik eine Erweiterung der preußischen Macht nicht zuließ, setzte Bismarck auf ein Bündnis mit der liberalen und nationalen Bewegung mit dem Ziel der Schaffung eines [65] Allerdings steuerte er keineswegs von Beginn an auf eine kriegerische Auseinandersetzung hin. Vielmehr hielt er sich zunächst mit dem Ziel der alleinigen Kontrolle über Schleswig und Holstein alle Optionen offen. In der [66] Für ihn war die Auseinandersetzung mit Österreich allerdings nur aufgeschoben.
Bismarck entschied sich letztlich auch deswegen für einen Krieg, weil er hoffte, so den preußischen Verfassungskonflikt beenden zu können, zeichnete sich doch immer deutlicher eine Spaltung des oppositionellen Lagers ab. Die zentrale Weichenstellung fiel auf einer Kronratssitzung am 28. Februar 1866. Bismarck gelang es, den vor einem „Bruderkrieg“ zurückschreckenden König von der Kriegspolitik zu überzeugen, und er schaffte es, Wilhelm I. in den folgenden Monaten von der Änderung seiner Meinung abzuhalten.
Bismarck unternahm nun alles, Österreich zu isolieren und zu provozieren. Er hielt sich aber auch die Möglichkeit offen, den Konfrontationskurs abzubrechen, sollte es zu starke Widerstände der Großmächte geben.[67] Mit Erfolg hielt Bismarck insbesondere Napoleon III. zu einer neutralen Haltung an. Die Unterstützung Italiens sicherte Bismarck sich durch einen befristeten Bündnisvertrag (8. April 1866). Nachdem er erneut die Wahl eines direkt gewählten deutschen Parlaments ins Spiel gebracht hatte, um Österreich zu provozieren, löste er massive Kritik im Lager der preußischen Konservativen aus. Selbst Ludwig von Gerlach distanzierte sich in aller Schärfe von ihm. Die Liberalen hielten Bismarck weiterhin für unglaubwürdig und gingen auf dessen Bündnisangebot nicht ein. Auch in der Öffentlichkeit war ein deutscher Bürgerkrieg höchst unpopulär. Um den Krieg abzuwenden, verübte Bundestag übertrug, ließ Bismarck mit dem Argument, dies sei eine Verletzung der Gasteiner Konvention, die preußische Armee in Holstein einmarschieren. Daraufhin beschloss der Bundestag auf Antrag Österreichs die Mobilmachung des Hannover, Kurhessen. Ein Erfolg der preußischen Armee war keineswegs sicher. Ein Großteil der Zeitgenossen, so auch Napoleon III., rechneten mit einem österreichischen Sieg.[68] Bismarck setzte somit alles auf eine Karte. „Wenn wir geschlagen werden […] werde ich nicht hierher zurückkehren. Ich werde bei der letzten Attacke fallen.“[69]