Morgenstern, Oskar

Lebensdaten
1902 – 1977
Geburtsort
Görlitz
Sterbeort
Princeton (New Jersey, USA)
Beruf/Funktion
Nationalökonom ; Professor in Wien und Princeston ; Wirtschaftswissenschaftler ; Volkswirt
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118584065 | OGND | VIAF: 98356107
Namensvarianten

  • Morgenstern, Oscar
  • Morgenstern, Oskar
  • Morgenstern, Oscar
  • Morgenshtern, O.
  • Morgenstern, O.
  • Morgensthern, Oskar
  • Morgensthern, Oscar
  • Morgenshthern, O.
  • Morgensthern, O.

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Zitierweise

Morgenstern, Oskar, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118584065.html [02.12.2024].

CC0

  • Morgenstern, Oskar

    Nationalökonom, * 24.1.1902 Görlitz, 26.7.1977 Princeton (New Jersey, USA). (lutherisch)

  • Genealogie

    V Wilhelm ( v. 1929), Buchhalter, Kaufm. in G., dann in Straßberg (Kr. Lauban, Niederschlesien), S d. Leberecht (1831-v. 1901) aus Tautendorf u. d. Ottilie Döbbelin ( n. 1901);
    M Margarete Teichler;
    1948 Dorothy Young, Architektin;
    1 S Carl (* 1950), Mathematiker, 1 T.

  • Biographie

    M. wuchs in Wien auf, wo er 1925 mit einer Arbeit über Fragen der Verteilungstheorie mit besonderer Berücksichtigung der Theorie der Grenzproduktivität zum Dr. rer. pol. promovierte. Nach einem dreijährigen Auslandsaufenthalt als Rockefeller Fellow in den USA (Harvard und Columbia), aber auch den Universitäten London, Paris und Rom, habilitierte er sich 1929 an der Univ. Wien. Als Nachfolger von F. A. v. Hayek leitete M. 1931-38 das Österr. Institut für Konjunkturforschung. 1930-38 amtierte er zugleich als Schriftleiter der Zeitschrift für Nationalökonomie, die in dieser Zeit zur führenden wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschrift im deutschsprachigen Raum wurde. Zum Zeitpunkt des nationalsozialistischen Einmarsches in Österreich befand sich M. auf einer Vortragsreise in den USA. Von der Univ. Wien – an der er zunächst als Privatdozent und seit 1935 als ao. Professor lehrte – als „politisch untragbar“ entlassen, kehrte er nicht mehr nach Österreich zurück. Er akzeptierte ein Angebot aus Princeton, wo er von 1938 bis zu seiner Emeritierung 1970 Professor der Politischen Ökonomie und Mitglied des Institute for Advanced Study war. Von 1970 bis zu seinem Tode war er als Professor der Wirtschaftswissenschaften an der New York University tätig.

    Als Nationalökonom stand M. in der Tradition der Österr. Schule, insbesondere Eugen v. Böhm-Bawerks und Carl Mengers. Als Mitglied des von Moritz Schlick geleiteten „Wiener Kreises“ ist er zudem durch die Begegnung mit den herausragenden Mathematikern Kurt Gödel und Karl Menger geprägt worden. Die Möglichkeiten der Mathematik und der mathematischen Logik für die Wirtschaftstheorie beschäftigten M. zeitlebens. Dies führte ihn zur Zusammenarbeit mit Abraham Wald (1902–50) und vor allem mit dem Mathematiker John v. Neumann (1903–57), der entscheidenden wissenschaftlichen Begegnung seines Lebens.

    M. wird vor allem als Koautor des mit John v. Neumann verfaßten Klassikers „Theory of Games and Economic Behavior“ in Erinnerung bleiben. Erst in den Jahren 1939-43 kam es in Princeton zur langersehnten engen Zusammenarbeit mit dem aus Budapest stammenden Mathematiker, die in dem Werk kulminierte, mit dem die Spieltheorie in die Wirtschaftswissenschaft eingeführt wurde. Interessanterweise hatten beide Autoren unabhängig voneinander bereits 1928 entscheidende Vorarbeiten geleistet. Von Neumann hatte das für Zweipersonen-Nullsummenspiele fundamentale Minimax-Theorem bewiesen. M. seinerseits war in der Habilitationsschrift auf ein interessantes Paradoxon des Prognoseproblems gestoßen, das er sieben Jahre später in seinem wohl bekanntesten Aufsatz „Vollkommene Voraussicht und wirtschaftliches Gleichgewicht“ (Zs. f. Nat.-ökonomie 6, 1935, S. 337-57) ins Zentrum rückte und das ihn in Richtung Spieltheorie führen sollte. Rational handelnde Wirtschaftssubjekte müssen nicht nur die Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidungen kennen, sondern auch diejenigen der Entscheidungen aller anderen Individuen und die ihres eigenen künftigen Verhaltens auf das der anderen. Die wechselseitige Einbeziehung der Voraussicht vermutlichen fremden Verhaltens im Entscheidungsprozeß der Wirtschaftssubjekte – so M. – führe jedoch zu einem unauflösbaren Paradoxon. Wegen der Reflexe des eigenen Verhaltens in dem der anderen liege eine unendliche Kette von wechselseitig vermuteten Reaktionen und Gegenreaktionen vor, die nur durch einen Willkürakt abgebrochen werden könne, der jedoch auch wiederum von allen Beteiligten vorausgesehen werden müsse. Wirtschaftssubjekte können keine vollkommene Voraussicht haben, wenn diese die Voraussicht der Handlungen anderer Wirtschaftssubjekte beinhalten muß, die ihrerseits annahmegemäß vollkommene Voraussicht haben. M. zog hieraus ein vernichtendes Urteil für die elaborierteste Form ökonomischer Theorie, die Theorie des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts: Sukzessive Anpassungen wie im walrasianischen Tâtonnement-Prozeß oder im Edgeworthschen Rekontrahierungsverfahren seien ebenso unvereinbar mit vollkommener Voraussicht wie allgemeines wirtschaftliches Gleichgewicht.

    Das dem „Morgenstern-Paradoxon“ zugrundeliegende Problem resultiert im Kern daraus, daß Wirtschaftssubjekte in ihren Entscheidungen nicht nur mit „toten“, sondern auch mit „lebendigen“ Variablen konfrontiert werden, d. h. solchen, die die Entscheidungen anderer sozialer Akteure reflektieren. M. illustriert das Problem optimaler Entscheidungen in Situationen mit zwei oder mehr Personen, die unabhängig voneinander agieren und zumindest teilweise konfligierende Interessen haben, anhand eines Beispiels aus den Detektivgeschichten von Sir Arthur Conan Doyle: der Flucht von Sherlock Holmes vor seinem Gegenspieler Professor Moriarty. M. und v. Neumann greifen dieses Beispiel wieder auf und zeigen die bestmögliche Strategie (und Wahrscheinlichkeit) für Holmes auf, zu entkommen. Durch präzise mathematische Formulierung in Form einer Auszahlungs(Nutzen)-Matrix vermeiden sie den infiniten Regreß des „er denkt – ich denke – er denkt …“.

    Die Spieltheorie als Analyse rationalen strategischen Verhaltens in Situationen der Unsicherheit hat seit der Pionierstudie von v. Neumann und M. sowie dem von Nash (1950) entwickelten Gleichgewichtskonzept, welches auch auf Nichtnullsummenspiele angewandt werden kann, einen blühenden Aufschwung genommen und größere Teilbereiche der Wirtschafts- und anderer Sozialwissenschaften durchdrungen. Allerdings hat sie lange Zeit auch erhebliche Widerstände zu überwinden gehabt. Dazu haben ihre vor allem durch die Methoden und Entwicklungen in den Naturwissenschaften und der reinen Mathematik beeinflußten radikalen Ideen ebenso beigetragen wie der Tatbestand, daß M. bis zu seinem Lebensende ein Außenseiter der ökonomischen Zunft und einer der vehementesten Kritiker der herrschenden, anglo-amerikan. dominierten neoklassischen Wirtschaftstheorie blieb. Die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an John F. Nash (Princeton), John C. Harsanyi (Berkeley) und Reinhard Selten (Bonn) „für ihre grundlegende Analyse des Gleichgewichts in nicht-kooperativer Spieltheorie“ im Herbst 1994 bedeutete jedoch die endgültige Anerkennung der bahnbrechenden Studie von M. und v. Neumann.

    M.s wissenschaftliche und staatsbürgerliche Interessen reichten weit über die Spieltheorie hinaus. So beschäftigte er sich intensiv mit Fragen nationaler Verteidigung und war strategischer Berater des Weißen Hauses ebenso wie der US-Atomenergiekommission. Nach dem frühen Tod seines engsten Freundes v. Neumann widmete er einen Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Aktivitäten der Verallgemeinerung von dessen Wachstumsmodell. M. war Mitbegründer der erfolgreichen Consulting-Firma „Mathematica“ und zusammen mit dem Soziologen Paul Lazarsfeld Initiator des Anfang der 60er Jahre gegründeten Instituts für Höhere Studien in Wien.|

  • Auszeichnungen

    Dr. h. c. (Mannheim 1957, Basel 1960, Wien 1965);
    Distinguished Fellow d. American Economic Association (1976);
    Gr. Goldenes Ehrenzeichen d. Republik Österreich (1976);
    Ehrenmitgl. d. Hebräischen Univ. Jerusalem (1977).

  • Werke

    Weitere W Wirtsch.prognose, Eine Unters. ihrer Voraussetzungen u. Möglichkeiten, 1928;
    Zur Theorie d. Produktionsperiode, in: Zs. f. Nat.ök. 6, 1935, S. 176-208;
    Theory of Games and Economic Behavior, 1944, ³1953, dt. u. d. T. Spieltheorie u. wirtsch. Verhalten, 1961, russ. 1970 (mit J. v. Neumann);
    The Question of National Defense, 1959, ²1961, dt. u. d. T. Strategie – Heute, 1962, japan. 1962;
    Thirteen Critical Points in Contemporary Economic Theory, in: Journal of Economic Literature 10, 1972, S. 1163-89;
    Mathematical Theory of Expanding and Contracting Economies, 1976 (mit G. L. Thompson);
    A. Schotter (Hrsg.), Selected Economic Writings of O. M., 1976 (W-Verz.).

  • Literatur

    J. v. Neumann, Zur Theorie d. Gesellschaftsspiele, in: Math. Ann. 100, 1928, S. 295-320;
    J. F. Nash, Equilibrium Points in n-Person Games, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 36, 1950, S. 48 f.;
    R. Henn u. O. Moeschlin (Hrsg.), Mathematical Economies and Game Theory, Essays in Honor of O. M., 1977 (W-Verz.);
    L. Silk, The Game Theorist, in: The New York Times v. 13.2.1977, S. 1 u. 9 (P);
    M. Shubik, in: Internat. Enc. of the Social Sciences 18, Biographical Suppl., 1979, S. 541-44;
    ders., in: J. Eatwell u. a. (Hrsg.), The New Palgrave, A Dictionary of Economics, III, 1987, S. 556;
    A. Schotter, On M., in: H. W. Spiegel u. W. Samuels (Hrsg), Contemporary Economists in Perspective, 1984, S. 395-406;
    M. Blaug, Great Economists since Keynes, 1985, S. 172-74 (P);
    U. Rellstab, Ökonomie u. Spiele, Die Entstehungsgesch. d. Spieltheorie aus d. Blickwinkel d. Ökonomen O. M., 1992;
    H. Hagemann u. C.-D. Krohn, Biogr. Hdb. d. dt. wirtsch.wiss. Emigration, 1996;
    Enc. Jud. 1971;
    BHdE II.

  • Autor/in

    Harald Hagemann
  • Zitierweise

    Hagemann, Harald, "Morgenstern, Oskar" in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 111-113 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118584065.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA