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Grundlagen der Objektiven Hermeneutik

2016, In: Katzenbach, Dieter (Hrsg.): Qualitative Forschungsmethoden in der Sonderpädagogik. Stuttgart: W. Kohlhammer

Ziel des Beitrags ist es, die Verfahren der Objektiven Hermeneutik kurz vorzustellen. Dabei soll auf eine Nähe zur Forschungspraxis geachtet werden, indem zunächst das grundsätzliche Verständnis, auf welchem die Verfahren beruhen, dargelegt wird. Daran anschließend werden die Verfahrensregeln vorgestellt und erläutert. Anschließend wird sich mit forschungspraktischen Einschränkungen und forschungsüblichen Problematiken beschäftigt. Der Beitrag selbst wird keine konkret durchgeführte Analyse beinhalten, zumal er sich als Methodengrundlage der folgenden Beiträge versteht. In den genannten Folgebeiträgen werden dann beispielhaft, in Bezug auf die je konkreten Fragestellungen anhand von empirisch erhobenem Material, entsprechende Auszüge aus den jeweiligen objektiv-hermeneutischen Analysen dargelegt. Der Beitrag soll eine kleine, komprimierte methodische Grundlegung für die Anwendungsebene der Objektiven Hermeneutik darstellen. Es handelt sich um keine methodologische Grundlegung, da dies nicht Ziel des Gesamtbandes ist und für den Rahmen eines solchen anwendungsbezogenen Bandes deutlich zu umfangreich wäre. Innerhalb der empirischen Sozialforschung hat sich die Objektive Hermeneutik als eine gebräuchliche Methode etabliert. Nicht zuletzt lässt sich dies durch die große Zahl an durchgeführten Studien mittels der Verfahren der Objektiven Hermeneutik und an den theoretischen Auseinandersetzungen mit eben dieser ablesen (vgl. Lueger & Meyer, 2007, 175f.). Die Verfahren der Objektiven Hermeneutik sind eine in der empirischen Sozialforschung quasi universal anwendbare Methode, die es ermöglicht, alles, »was symbolische Bedeutung trägt« (Leber & Oevermann, 1994, 385), zu analysieren. Zentraler Gegenstand ist für die Objektive Hermeneutik die protokollierte Wirklichkeit oder Lebenspraxis. Durch die objektiv-hermeneutische Analyse werden die Gesetzmäßigkeiten herausgearbeitet, nach denen lebenspraktisch Entscheidungen getroffen werden und die somit Handlungen vorausgegangen sind bzw. sich in Handlungen ausdrücken – die Gesetzmäßigkeiten einer Lebenspraxis. Generell wird davon ausgegangen, dass soziales Handeln regelgeleitet ist. Das bedeutet, die Sinnstrukturiertheit sozialer Handlungen und somit deren objektiver Sinn werden auf der Basis bedeutungsgenerierender Regeln erzeugt (zur theoretischen Einbettung Habermas, 1982; 1995a; 1983; 1995b). Dabei ist allein das protokollierte soziale Geschehen Grundlage der Rekonstruktion. Insofern wird immer streng erfahrungswissenschaftlich vorgegangen. »Das Anliegen der Objektiven Hermeneutik besteht in einer methodischen Kontrolle der wissenschaftlich-empirischen Operation des Verstehens« (Wernet, 2006, 11). Diese Kontrollierbarkeit ist mit der Bedeutung der bedeutungserzeugenden Regeln verbunden. Sie sind die Basis dafür, den möglichen objektiven Sinn zu rekonstruieren. Rekonstruiert werden schließlich objektive Bedeutungsstrukturen und auf dieser Basis latente Sinnstrukturen der protokollierten Lebenspraxis. Latente Sinnstrukturen sind zunächst nicht unbedingt objektiv erkennbar, sondern lassen sich erst durch die Analyse objektiver Bedeutungsstrukturen erfassen – es handelt sich um die Sinnebene, die hinter dem (intentional) Ausgedrückten liegt (vgl. Hagedorn, 2008, 73). Die objektiven Bedeutungs- und latenten Sinnstrukturen protokollierter Äußerungen und die Auswirkungen dieser Strukturen auf den zu untersuchenden Fall stellen dabei den methodologischen Gegenstand der Objektiven Hermeneutik dar (Oevermann, 2002). Zentrales Merkmal der Objektiven Hermeneutik ist die sequenzielle Betrachtung des zu analysierenden Gegenstandes. Grundsätzlich ist ein Gegenstand (also ein protokolliertes soziales Geschehen) »als eine Sequenz von Selektionen zu sehen, die jeweils an jeder Sequenzstelle, d.h. einer Stelle des Anschließens weiterer Einzelakte oder -äußerungen unter nach gültigen Regeln möglichen sinnvollen Anschlüssen getroffen worden sind. Die Kette solcher Selektionsknoten ergibt die konkrete Struktur eines Gebildes« (Oevermann, 1991, 270). Grundsätzlich wird in der Objektiven Hermeneutik von einem Verständnis der sozialen Wirklichkeit ausgegangen, welches diese als textförmig begreift. Der Text ist also »in einer Konstitutionstheorie der sinnhaften Welt« (Wernet, 2006, 12) angesiedelt. Die Soziale Wirklichkeit wird immer über Protokolle übermittelt, die erst den Zugang zum Text eröffnen. Der Text ist eine räumlich-zeitlich-situative Momentaufnahme, und das Protokoll ist nicht mehr als eine Beschreibung dieses Textes. Dies kann, muss aber nicht sprachlich sein. Es repräsentiert somit die Textförmigkeit sozialer Wirklichkeit (vgl. Oevermann, 1986, 47). Handelt es sich beim konkreten Text zum Beispiel um ein Interview, so wären die Transkription, Tonaufnahme, Mitschrift, das Verlaufsprotokoll oder die Videoaufzeichnung mögliche Protokolle des Textes. Jede Form des Protokolls bietet verschiedene Zugänge, die unterschiedliche Vor- und Nachteile für Anwendung und Analyse mit sich bringen. Das Protokoll einer Landschaft könnte beispielsweise als Foto oder Gemälde angefertigt werden. Beide Protokolle stellen dabei lediglich Ausschnitte des Textes dar, die je nach Blickwinkel, aus dem das Protokoll entstanden ist, abhängig sind. Bei der Protokollierung muss der Versuch, eine möglichst exakte Beschreibung des Textes anzufertigen, im Vordergrund stehen; das Protokoll sollte »unselektiv total« (Oevermann, 2000, 101) sein. Damit ist gemeint, dass das Protokoll möglichst den gesamten zu analysierenden Text so detailliert wie möglich darstellen soll. Liegt ein zu analysierendes Protokoll vor, wird als erster Schritt der Analyse der Fall bestimmt. Der Fall im objektiv-hermeneutischen Sinne ist letztlich der Blickwinkel der Analyse, durch den das Forschungsinteresse expliziert wird. In der Objektiven Hermeneutik wird grundsätzlich ergebnisoffen geforscht, es wird explizit keine Hypothese aufgestellt, die durch die Analyse getestet würde (vgl. Wernet, 2006, 53). Daran liegt es auch, dass der objektiv-hermeneutische Fall nicht von vornherein gegeben ist, sondern erst bestimmt werden muss. Aus einem Protokoll – sei es beispielsweise ein Interview oder ein Beobachtungsprotokoll – wird erst dadurch ein Fall, dass geklärt wird, woraufhin dieses Protokoll ausgewertet wird und in welcher theoretischen Einbettung dies geschehen soll. So kann ein Beobachtungsprotokoll über einen Ausflug eines Kindergartens beispielsweise unter dem Fokus der Arbeitsabläufe des Personals analysiert werden, es kann aber auch hinsichtlich des Verhaltens der Kinder analysiert werden. Dabei würde es sich entsprechend um zwei verschiedene Fallbestimmungen für dasselbe Protokoll handeln. Ziel der Analyse ist die Rekonstruktion der sogenannten Fallstruktur. Wie bereits dargestellt, ist in der Objektiven Hermeneutik die Annahme zentral, dass Handlungsoptionen und -perspektiven durch vorhandene Regeln eröffnet werden. Bei der Rekonstruktion einer Fallstruktur geht es somit lediglich um die Offenlegung der Charakteristik der je konkret gewählten Handlungsoptionen in der je konkreten Lebenspraxis. Somit stellt die Objektive Hermeneutik in ihrem Selbstverständnis einen Gegenentwurf zur sogenannten subsumierenden Forschung und zur sogenannten erklärenden Forschung dar. Die wissenschaftliche Operation des Verstehens (das Verständnis des Textes als regelerzeugtes Gebilde) steht im Vordergrund, nicht die wissenschaftliche Operation des Erklärens, durch die versucht wird, Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, die auch auf die nicht untersuchten Fälle zutrifft. Der Objektiven Hermeneutik geht es nicht darum, Ergebnisse an zu Beginn aufgestellten Hypothesen zu überprüfen oder Charakteristika in ein (zuvor festgelegtes) Kategoriensystem einzuordnen. Stattdessen hat die Objektive Hermeneutik ein besonderes Konzept der Generalisierung von Forschungsergebnissen. Dabei wird davon ausgegangen, dass der »analysierte Fall immer […] schon besonders und allgemein zugleich« (Wernet, 2006, 19) ist. »Denn in jedem Protokoll sozialer Wirklichkeit ist das Allgemeine ebenso mitprotokolliert wie das Besondere im Sinne der Besonderheit des Falls. Der konkrete Fall ist insofern schon mehr als ein Einzelfall, als er ein sinnstrukturiertes Gebilde darstellt« (ebd.). Das je Konkrete ist immer besonders, da es die Entscheidung der autonomen Lebenspraxis darstellt (es wurde sich für eine der möglichen Handlungsoptionen entschieden und nicht für die anderen). Allgemein ist der Fall schon dadurch, dass er sich unter den allgemein gültigen (bedeutungserzeugenden) Regeln gebildet hat. Nach Oevermann besteht bereits ein »Anspruch auf allgemeine Geltung und Begründbarkeit [durch die] erhebende praktische Antwort auf praktische Problemstellungen« (Oevermann, 1991, 272). Der Fall ist somit typisch hinsichtlich des Handlungsproblems und der damit zusammenhängenden Handlungskonstellation (vgl. Wernet, 2006, 19f.).

Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 183 Objektive Hermeneutik Grundlagen der Objektiven Hermeneutik Hendrik Trescher 1 Allgemeines Ziel des Beitrags ist es, die Verfahren der Objektiven Hermeneutik kurz vorzustellen. Dabei soll auf eine Nähe zur Forschungspraxis geachtet werden, indem zunächst das grundsätzliche Verständnis, auf welchem die Verfahren beruhen, dargelegt wird. Daran anschließend werden die Verfahrensregeln vorgestellt und erläutert. Anschließend wird sich mit forschungspraktischen Einschränkungen und forschungsüblichen Problematiken beschäftigt. Der Beitrag selbst wird keine konkret durchgeführte Analyse beinhalten, zumal er sich als Methodengrundlage der folgenden Beiträge versteht.1 In den genannten Folgebeiträgen werden dann beispielhaft, in Bezug auf die je konkreten Fragestellungen anhand von empirisch erhobenem Material, entsprechende Auszüge aus den jeweiligen objektiv-hermeneutischen Analysen dargelegt. Der Beitrag soll eine kleine, komprimierte methodische Grundlegung für die Anwendungsebene der Objektiven Hermeneutik darstellen. Es handelt sich um keine methodologische Grundlegung, da dies nicht Ziel des Gesamtbandes ist und für den Rahmen eines solchen anwendungsbezogenen Bandes deutlich zu umfangreich wäre. Innerhalb der empirischen Sozialforschung hat sich die Objektive Hermeneutik als eine gebräuchliche Methode etabliert. Nicht zuletzt lässt sich dies durch die große Zahl an durchgeführten Studien mittels der Verfahren der Objektiven Hermeneutik und an den theoretischen Auseinandersetzungen mit eben dieser ablesen (vgl. Lueger & Meyer, 2007, 175f.). Die Verfahren der Objektiven Hermeneutik sind eine in der empirischen Sozialforschung quasi universal an- 1 Diese sind: Kauz: Sonderpädagogische Beratungsprozesse im Fokus der Objektiven Hermeneutik; Uphoff: Gewinn und Grenzen der Methode der Objektiven Hermeneutik für Interaktionsanalysen im Forschungsfeld »Geistige Behinderung« und Trescher: Objektive Hermeneutik in der Anwendung – ethnografische Beobachtung und institutionelle Strukturanalyse am Beispiel des Forschungsfelds Demenz. 183 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 184 III Auswertungsmethoden wendbare Methode, die es ermöglicht, alles, »was symbolische Bedeutung trägt« (Leber & Oevermann, 1994, 385), zu analysieren. Zentraler Gegenstand ist für die Objektive Hermeneutik die protokollierte Wirklichkeit oder Lebenspraxis. Durch die objektiv-hermeneutische Analyse werden die Gesetzmäßigkeiten herausgearbeitet, nach denen lebenspraktisch Entscheidungen getroffen werden und die somit Handlungen vorausgegangen sind bzw. sich in Handlungen ausdrücken – die Gesetzmäßigkeiten einer Lebenspraxis. Generell wird davon ausgegangen, dass soziales Handeln regelgeleitet ist. Das bedeutet, die Sinnstrukturiertheit sozialer Handlungen und somit deren objektiver Sinn werden auf der Basis bedeutungsgenerierender Regeln erzeugt (zur theoretischen Einbettung Habermas, 1982; 1995a; 1983; 1995b). Dabei ist allein das protokollierte soziale Geschehen Grundlage der Rekonstruktion. Insofern wird immer streng erfahrungswissenschaftlich vorgegangen. »Das Anliegen der Objektiven Hermeneutik besteht in einer methodischen Kontrolle der wissenschaftlich-empirischen Operation des Verstehens« (Wernet, 2006, 11). Diese Kontrollierbarkeit ist mit der Bedeutung der bedeutungserzeugenden Regeln verbunden. Sie sind die Basis dafür, den möglichen objektiven Sinn zu rekonstruieren. Rekonstruiert werden schließlich objektive Bedeutungsstrukturen und auf dieser Basis latente Sinnstrukturen der protokollierten Lebenspraxis. Latente Sinnstrukturen sind zunächst nicht unbedingt objektiv erkennbar, sondern lassen sich erst durch die Analyse objektiver Bedeutungsstrukturen erfassen – es handelt sich um die Sinnebene, die hinter dem (intentional) Ausgedrückten liegt (vgl. Hagedorn, 2008, 73). Die objektiven Bedeutungs- und latenten Sinnstrukturen protokollierter Äußerungen und die Auswirkungen dieser Strukturen auf den zu untersuchenden Fall stellen dabei den methodologischen Gegenstand der Objektiven Hermeneutik dar (Oevermann, 2002). Zentrales Merkmal der Objektiven Hermeneutik ist die sequenzielle Betrachtung des zu analysierenden Gegenstandes. Grundsätzlich ist ein Gegenstand (also ein protokolliertes soziales Geschehen) »als eine Sequenz von Selektionen zu sehen, die jeweils an jeder Sequenzstelle, d. h. einer Stelle des Anschließens weiterer Einzelakte oder -äußerungen unter nach gültigen Regeln möglichen sinnvollen Anschlüssen getroffen worden sind. Die Kette solcher Selektionsknoten ergibt die konkrete Struktur eines Gebildes.« (Oevermann, 1991, 270)2 Grundsätzlich wird in der Objektiven Hermeneutik von einem Verständnis der sozialen Wirklichkeit ausgegangen, welches diese als textförmig begreift.3 Der Text ist also »in einer Konstitutionstheorie der sinnhaften Welt« (Wernet, 2006, 12) angesiedelt. Die Soziale Wirklichkeit wird immer über Protokolle übermittelt, die erst den Zugang zum Text eröffnen. Der Text ist eine räum- 2 Es sei an dieser Stelle auch darauf verwiesen, dass es sich, aufgrund der sequenziellen Analyse, um ein Verfahren handelt, welches im Vergleich zu anderen verhältnismäßig wenig Text analysiert, da es entsprechend zeit- und aufwandsintensiv ist. 3 Als »Text« wird nach Oevermann u. a. die »Klasse aller in welchem Medium auch immer protokollierten Handlungen« verstanden (Oevermann, 1979, 396; 1993a, 120). Alles, was Text ist, kann prinzipiell auch sprachlich ausgedrückt werden (Oevermann, 1993a). 184 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 185 Grundlagen der Objektiven Hermeneutik lich-zeitlich-situative Momentaufnahme, und das Protokoll ist nicht mehr als eine Beschreibung dieses Textes. Dies kann, muss aber nicht sprachlich sein. Es repräsentiert somit die Textförmigkeit sozialer Wirklichkeit (vgl. Oevermann, 1986, 47). Handelt es sich beim konkreten Text zum Beispiel um ein Interview, so wären die Transkription, Tonaufnahme, Mitschrift, das Verlaufsprotokoll oder die Videoaufzeichnung mögliche Protokolle des Textes. Jede Form des Protokolls bietet verschiedene Zugänge, die unterschiedliche Vor- und Nachteile für Anwendung und Analyse mit sich bringen. Das Protokoll einer Landschaft könnte beispielsweise als Foto oder Gemälde angefertigt werden. Beide Protokolle stellen dabei lediglich Ausschnitte des Textes dar, die je nach Blickwinkel, aus dem das Protokoll entstanden ist, abhängig sind. Bei der Protokollierung muss der Versuch, eine möglichst exakte Beschreibung des Textes anzufertigen, im Vordergrund stehen; das Protokoll sollte »unselektiv total« (Oevermann, 2000, 101) sein. Damit ist gemeint, dass das Protokoll möglichst den gesamten zu analysierenden Text so detailliert wie möglich darstellen soll. Liegt ein zu analysierendes Protokoll vor, wird als erster Schritt der Analyse der Fall bestimmt. Der Fall im objektiv-hermeneutischen Sinne ist letztlich der Blickwinkel der Analyse, durch den das Forschungsinteresse expliziert wird. In der Objektiven Hermeneutik wird grundsätzlich ergebnisoffen geforscht, es wird explizit keine Hypothese aufgestellt, die durch die Analyse getestet würde (vgl. Wernet, 2006, 53). Daran liegt es auch, dass der objektiv-hermeneutische Fall nicht von vornherein gegeben ist, sondern erst bestimmt werden muss. Aus einem Protokoll – sei es beispielsweise ein Interview oder ein Beobachtungsprotokoll – wird erst dadurch ein Fall, dass geklärt wird, woraufhin dieses Protokoll ausgewertet wird und in welcher theoretischen Einbettung dies geschehen soll. So kann ein Beobachtungsprotokoll über einen Ausflug eines Kindergartens beispielsweise unter dem Fokus der Arbeitsabläufe des Personals analysiert werden, es kann aber auch hinsichtlich des Verhaltens der Kinder analysiert werden. Dabei würde es sich entsprechend um zwei verschiedene Fallbestimmungen für dasselbe Protokoll handeln. Ziel der Analyse ist die Rekonstruktion der sogenannten Fallstruktur. Wie bereits dargestellt, ist in der Objektiven Hermeneutik die Annahme zentral, dass Handlungsoptionen und -perspektiven durch vorhandene Regeln eröffnet werden. Bei der Rekonstruktion einer Fallstruktur geht es somit lediglich um die Offenlegung der Charakteristik der je konkret gewählten Handlungsoptionen in der je konkreten Lebenspraxis. Somit stellt die Objektive Hermeneutik in ihrem Selbstverständnis einen Gegenentwurf zur sogenannten subsumierenden Forschung und zur sogenannten erklärenden Forschung dar. Die wissenschaftliche Operation des Verstehens (das Verständnis des Textes als regelerzeugtes Gebilde) steht im Vordergrund, nicht die wissenschaftliche Operation des Erklärens, durch die versucht wird, Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, die auch auf die nicht untersuchten Fälle zutrifft. Der Objektiven Hermeneutik geht es nicht darum, Ergebnisse an zu Beginn aufgestellten Hypothesen zu überprüfen oder Charakteristika in ein (zuvor festgelegtes) Kategoriensystem einzuordnen. Stattdessen hat die Objektive Hermeneutik ein besonderes Konzept der Generalisierung von Forschungsergebnis185 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 186 III Auswertungsmethoden sen. Dabei wird davon ausgegangen, dass der »analysierte Fall immer […] schon besonders und allgemein zugleich« (Wernet, 2006, 19) ist. »Denn in jedem Protokoll sozialer Wirklichkeit ist das Allgemeine ebenso mitprotokolliert wie das Besondere im Sinne der Besonderheit des Falls. Der konkrete Fall ist insofern schon mehr als ein Einzelfall, als er ein sinnstrukturiertes Gebilde darstellt« (ebd.). Das je Konkrete ist immer besonders, da es die Entscheidung der autonomen Lebenspraxis darstellt (es wurde sich für eine der möglichen Handlungsoptionen entschieden und nicht für die anderen). Allgemein ist der Fall schon dadurch, dass er sich unter den allgemein gültigen (bedeutungserzeugenden) Regeln gebildet hat. Nach Oevermann besteht bereits ein »Anspruch auf allgemeine Geltung und Begründbarkeit [durch die] erhebende praktische Antwort auf praktische Problemstellungen« (Oevermann, 1991, 272). Der Fall ist somit typisch hinsichtlich des Handlungsproblems und der damit zusammenhängenden Handlungskonstellation (vgl. Wernet, 2006, 19f.). Es folgt nun ein (zusammenfassender) Überblick über die anwendungsrelevanten zentralen Begriffe, anschließend werden die Regeln der objektiv-hermeneutischen Operation dargelegt. Begriff Bedeutung für die Anwendung Text • Alles was sozial vermittelbar ist, ist Text (Wirklichkeit) Protokoll • Verdinglichungsinstanz des Textes • Ist bereits interpretativ Fallbestimmung • Die Fragestellung, unter der das Material untersucht werden soll Fallstruktur (-Hypothese) • Fallstruktur ist dynamisch (die Aufeinanderfolge getroffener Entscheidungen der Lebenspraxis) • Im Verlauf der Analyse werden Fallstrukturhypothesen herausgearbeitet. Diese sind eine Art Zwischenfazit. Sie werden im Verlauf überprüft (es wird nicht darunter subsumiert) Lesarten4 • Zeigen die möglichen Entscheidungen der Lebenspraxis auf 4 Darauf wird im Folgenden noch näher eingegangen. 186 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 187 Grundlagen der Objektiven Hermeneutik 2 Die objektiv-hermeneutische Operation erfolgt nach fünf Regeln5 1. Kontextfreiheit Mit dem Prinzip der Kontextfreiheit als Prinzip ist nicht gemeint, dass der Kontext grundsätzlich irrelevant sei. Es geht stattdessen um die bewusste Nichtberücksichtigung eines äußeren Kontextes – das Prinzip dient somit der Fokussierung auf den Text (vgl. Oevermann, 1993b, 142; 2000, 104; Garz, 1997, 539). Die bereits analysierten Abschnitte des Protokolls stellen den inneren Kontext dar, dieser bildet sich also nach und nach heraus. Zu Beginn der Analyse ist ein innerer Kontext somit noch nicht vorhanden, er wird aber durch das Voranschreiten der Analyse immer weiter aufgebaut. Die Kontextfreiheit bedeutet nicht, dass das Verwenden dieses inneren Kontextes ausgeschlossen würde. Im Gegenteil ist die Berücksichtigung des inneren Kontextes sogar nötig, da nur so der sequenziale Charakter der Protokolle erhalten werden kann (vgl. Oevermann, 1996, 101). Lediglich der äußere Kontext wird zunächst nicht berücksichtigt, um die analytische Unterscheidung zwischen der Ebene des Situationszusammenhangs (äußerer Kontext) und der je konkreten Ebene des Protokolls (innerer Kontext) zu gewährleisten. Diese Unterscheidung ist so bedeutend, weil es das Ziel der objektiv-hermeneutischen Operation ist, einen Fall zu analysieren, indem die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten herausgearbeitet werden. Es geht eben genau nicht darum, das Geschehene in einen Handlungskontext einzubetten, um subsumtionslogische Schließung zu vermeiden (vgl. Trescher, 2013, 40f.; Trescher & Fischer, 2013, 185). Die Kontextfreiheit dient der Bedeutungsexplikation, um Lesarten formulieren zu können, die mögliche Handlungsoptionen der je konkreten Lebenspraxis aufzeigen (vgl. Oevermann, 1979, 381). Erst im Anschluss an die Analyse erfolgt eine Einbindung des Analysierten in den äußeren Kontext. Somit wird die Differenz zwischen der tatsächlichen und den möglichen (anderen) Handlungsoptionen der Lebenspraxis deutlich. 2. Wörtlichkeit Dem Prinzip der Wörtlichkeit folgend, muss der protokollierte Text in seiner Wirklichkeitsgestalt, also nur das tatsächlich Protokollierte, analysiert werden. 5 Dies ist keine feststehende, numerische und kategorische Konstante, aber eine inhaltliche. Verschiedene Autoren verwenden unterschiedliche Termini und trennen unterschiedlich zwischen einzelnen Regeln – dies hat primär methodologische Gründe, die hier nicht weiter ausgeführt werden. Es sei bereits hier erwähnt, dass es sich um eine idealtypische Darstellung handelt, die so in der praktischen Umsetzung nicht immer eingehalten wird. Es sei in diesem Zusammenhang bereits jetzt auf den folgenden Abschnitt forschungspraktische Einschränkungen verwiesen. 187 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 188 III Auswertungsmethoden Die Analyse wird durch das Wörtlichkeitsprinzip, ebenso wie durch das Prinzip der Kontextfreiheit, an den Text selbst gebunden (vgl. Oevermann, 2000, 103). 3. Sequenzialität Beim Prinzip der Sequenzialität »spannt sich ein weiter Bogen von konstitutionstheoretischen Überlegungen über methodologische Implikationen bis zu methodischen Grundoperationen der Textinterpretation. Konstitutionstheoretisch verweist das Prinzip der Sequenzialität auf die von Mead und Peirce entfaltete Theorie der Entstehung des Neuen als einer Theorie der Zukunftsoffenheit der Lebenspraxis.« (Wernet, 2006, 27) Sequenz wird die kleinstmögliche Sinneinheit eines Textes genannt. Am Beispiel einer Rede kann dies etwa nur ein »Ehm« sein, das die sprechende Person vor der Verlesung eines Textes ausspricht. Es ist entscheidend, dass auf die Analyse einer Sequenz immer die im Text darauffolgende Sequenz folgt. Die Anwendung des Sequenzialitätsprinzips ist bei schriftförmigen Protokollen, die einem zeitlichen Ablauf folgen, unproblematisch praktikabel. Bei solchen Protokollen aber, die nicht zeitlich angeordnet sind, gestaltet sich dies mitunter bedeutend schwieriger (wie etwa bei einem Foto). Es ist verboten, im gesamten Protokoll nach geeigneten Sequenzen zu suchen, es sei denn das ganze Protokoll wurde zuvor bereits analysiert. 4. Extensivität Das Prinzip der Extensivität besagt, dass die Analyse qualitativ (alle Sequenzen ausschöpfend im Sinne der Lesartenbildung) und quantitativ (das komplette Protokoll im Detail) vollständig sein muss.6 5. Sparsamkeit Das Prinzip der Sparsamkeit ist eng mit dem Prinzip der Extensivität verbunden. Während das Extensivitätsprinzip besagt, dass alle möglichen Lesarten gebildet werden müssen, schränkt das Sparsamkeitsprinzip dies insoweit ein, als dass diese nur gebildet werden dürfen, wenn sie textlich überprüfbar sind bzw. wenn sie zwingend aus dem Text rekonstruiert werden können. Letztlich dient die Sparsamkeitsregel dem Schutz vor der beliebigen Interpretation. 6 Es sei in diesem Zusammenhang bereits auf die noch folgenden forschungspraktischen Einschränkungen verwiesen. 188 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 189 Grundlagen der Objektiven Hermeneutik 3 Forschungspraktische Einschränkungen Wie erwähnt, handelt es sich bei den oben dargelegten Regeln um eine idealtypische Darstellung. In der Forschungspraxis werden die Regeln oftmals forschungspraktischen Einschränkungen unterzogen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Prinzipien der Wörtlichkeit und der Sparsamkeit immer bestehen bleiben. Das Prinzip der Wörtlichkeit besteht immer, da es die Referenz auf den Text, also auf die Wirklichkeit selbst ist.7 Die Sparsamkeitsregel ist zwingend notwendig, da sie die Verfahren der Objektiven Hermeneutik zusammenhält, und zwar insofern als dass sie vor der beliebigen Interpretation schützt. Die Sequenzialität ist insofern variabel, als dass die Größe der zu wählenden Sequenz von Autor zu Autor variiert und mitunter auch vom Stand der bereits im Rahmen der Analyse gebildeten Fallstrukturhypothese abhängt. An diesem Beispiel wird noch einmal klar, dass es sich bei den Verfahren der Objektiven Hermeneutik um eine Kunstlehre handelt, die zwar Verfahrensregeln hat, diese aber keinen endgültigen Normativcharakter haben (es sei auf die vorangegangenen Einschränkungen verwiesen). Auch in den in diesem Band folgenden Beiträgen zeigen sich, je nach Autor, unterschiedliche Herangehensweisen in Bezug auf die Sequenzialität, was allerdings nicht nur vom Autor, sondern primär auch vom untersuchten Material abhängig ist. Üblicherweise wird aus forschungspraktischen Gründen bei umfangreicheren Protokollen nicht das ganze Protokoll analysiert. Es werden in der Regel einzelne Passagen komplett analysiert, danach wird nach markanten Passagen im Text gesucht.8 Und zwar solche, die der bereits bestehenden Fallstrukturhypothese am ehesten widersprechen, da diese überprüft werden soll. Oevermann beschreibt beispielsweise ein sehr enges Korsett für die Analyse von Interviews, indem er empfiehlt, nach einer Segmentierung9 vier Passagen auszuwählen, von denen eine zwingend die Initialpassage ist (vgl. Oevermann, 2000, 97f.). Diese Einschränkung der Extensivität geschieht zum einen aus Gründen der Zeitersparnis, zum anderen muss aber auch erwähnt werden, dass sich die Analyse der Initialpassage und anderer einzelner markanter Passagen bewährt hat. Schlussendlich kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass durch dieses Vorgehen ein Qualitätsverlust einhergeht, zumal die Extensivitätsregel nicht auf- 7 Die Wörtlichkeitsregel hat auch dann weiter vollkommenen Bestand, wenn nicht klar ist, was tatsächlich gesagt wurde. Diese Problematik wird im Beitrag von Uphoff i. d. B. diskutiert. 8 Wobei hier immer voranschreitend, nie im Sinne des beliebigen Suchens vorgegangen wird. 9 Eine Segmentierung teilt ein Protokoll in mehr oder weniger grobe Teile ein, die inhaltlich beschrieben werden. In der Regel wird das komplette Protokoll segmentiert, anschließend werden aus diesen Segmenten Passagen herausgenommen, welche analysiert werden. Streng genommen ist dieses Verfahren eine Verletzung der Kontextfreiheit, da Wissen herangezogen wird, welches nicht aus der Analyse des inneren Kontexts entstanden ist. 189 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 190 III Auswertungsmethoden rechterhalten werden kann, da so nicht alle möglichen Lesarten über das ganze Protokoll hinweg gebildet werden können. Zudem ist es gerade bei protokollierter Lebenswirklichkeit in Bezug auf Personen, also bei Interviews und Beobachtungsprotokollen üblich, sogenannte Objektive Daten zu erheben, bzw. zu gewinnen. Es handelt sich dabei um fallspezifische und in Bezug auf Personen in der Regel biografische Eckdaten, die (soweit vorhanden) eine Art Rahmen des Falls beschreiben (vgl. Trescher, 2013, 46f.; Scheid, 1999, 20). In der Regel sind das Geburtsdaten, Familienstand, Eckdaten über die Herkunfts- und Zeugungsfamilie(n), Daten zu Ausbildung und Beruf. Diese werden dann vor der eigentlichen Protokollanalyse analysiert – ihre Analyse gehört also zum inneren Kontext. Dies vereinfacht die Analyse dahingehend, dass viele Lesarten bei der Protokollanalyse ausgeschlossen werden können, die sonst gebildet und in der Folge geprüft werden müssten.10 Weitere forschungspraktische Einschränkungen sind in der Wahl der Erhebungsmethoden zu suchen. Ein Protokoll sollte zwar immer »unselektiv total« (Oevermann, 2000, 101) sein, das ist aber ein Anspruch, der nur näherungsweise erreicht werden kann, da ein Protokoll immer bereits interpretativ ist (vgl. Oevermann, 2001, 36; 1993a, 132; Trescher, 2013, 35). Allerdings bieten verschiedene Arten der Protokollierung der Wirklichkeit verschiedene Fehlerquellen. So ist es für die objektiv-hermeneutische Operation wichtig, möglichst wirklichkeitsnahe Protokolle zu erzeugen. So sind beispielsweise technisch vermittelte Aufzeichnungen (Tonbandaufnahmen, Videos etc.) subjektiven Aufzeichnungen (Beobachtungs- oder Verlaufsprotokolle) vorzuziehen. Technische Protokollierungen sind »semantisch unselektiv« (Oevermann, 2002, 19), während bei der Aufzeichnung durch ein interpretierendes Subjekt bedeutungsdifferente Protokolle entstehen (vgl. Trescher, 2013, 23).11 Zudem mahnt Oevermann an, dass die Rahmenbedingungen, unter denen Feldforschung stattfindet, idealerweise in Abhängigkeit zum Feld und zum Fall arrangiert werden sollen (vgl. Oevermann, 2002, 18). Dies trifft insbesondere auf Parameter einer Interviewsituation zu, wenn eine solche Erhebungsform gewählt wird. Nun ist es üblich, bzw. mitunter notwendig, auch im Fall der Datenerhebung forschungspraktische Einschränkungen zu machen.12 So gibt es 10 Streng genommen stellt die Gewinnung der Objektiven Daten spätestens dann eine Verletzung der Kontextfreiheit dar, wenn diese nicht erhoben, sondern aus dem zu analysierenden Protokoll gewonnen wurden. Im Projekt Adipositas im Kindes- und Jugendalter (siehe Beitrag Trescher & Oevermann i. d. B.) wurde beispielsweise so vorgegangen. 11 Wobei hier auch angeführt werden muss, dass auch Aufzeichnungsgeräte interpretativ sind, und zwar insofern dass sie von einem Subjekt zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Punkt platziert oder gar bewegt werden. Somit sind auch sie von einem interpretierenden Subjekt abhängig (vgl. Trescher, 2013, 22ff.). Weiterhin sind auch sie keineswegs total, zumal sie nur bestimmte Informationen aufzeichnen, aber viele eben auch weglassen. So liefert eine Tonbandaufnahme kein Bild, ein Video keine Gerüche usw. (ebd.). 12 Dass ein solches Setting erdacht wird und dann aus verschiedenen Gründen nicht eingehalten werden kann, zeigt der Beitrag »(Sonder-)pädagogische Fallakquise und ihre 190 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 191 Grundlagen der Objektiven Hermeneutik äußere Faktoren, die dazu führen, dass dennoch auf Beobachtungsprotokolle zurückgegriffen werden muss (siehe hierzu Trescher zu Demenz und Trescher zum Feldzugang bei kognitiver Beeinträchtigung i. d. B.). Weiterhin kann es problematisch sein, wenn der Beginn einer Aufzeichnung in eine sich bereits vollziehende Praxis hineinfällt (siehe hierzu Uphoff i. d. B.). In diesem Fall entfällt also für die Anwendungsebene die quasi-natürlich gegebene Initialpassage, die wie oben dargelegt eine zentrale Rolle in Bezug auf die Analyse spielt. Weiterhin ist beispielsweise bei Tonbandaufnahmen abzuwägen, gerade wenn die Forschung in einem begrenzten zeitlichen Rahmen stattfinden muss, wie viel Zeit und Aufwand in eine Transkription investiert werden kann. Dies kann sehr detailliert geschehen, so dass eine Feintranskription vollzogen wird (siehe hierzu Schlick i. d. B.). Je nach Gegenstand und Autor kommt es vor, dass eine Transkription auch etwas gröber gehalten wird. Hier wird beispielsweise auf kleinere Nuancen in der Betonung nicht mehr explizit geachtet, außerdem werden beim parallelen Sprechen zweier Personen diese in der Transkription nacheinander dargestellt. 4 Abschließendes Schlussendlich hat sich gezeigt, dass die Verfahren der Objektiven Hermeneutik zwar feste gemeinsame Regeln haben und die objektiv-hermeneutische Operation immer nach dem Ziel der Totalität der Analyse strebt – dazu zählt allem voran die Herausarbeitung der Struktur der Ausdrucksgestalt der Wirklichkeit –, das sie jedoch immer nur näherungsweise erreichen kann. Im Laufe der Forschungsoperation müssen dabei immer mehr Fehlerquellen in Kauf genommen werden; angefangen bei der unüberbrückbaren Distanz zwischen Text und Protokoll, über die Wahl der Erhebungsform sowie die Verschriftlichung der Erhebung bis hin zu den forschungspraktischen Einschränkungen bei der Analyse. Aber genau in der Überwindung und dem souveränen und bewussten Umgang mit diesen Problematiken liegt die Kunst. Während die Regeln eigentlich die Lehre vorgeben. Somit ist auch nicht jede objektiv-hermeneutische Operation gleich aufgebaut. Die Objektive Hermeneutik ist eben eine Kunstlehre, die folgenden Beiträge werden dies zeigen. Problemfelder am Beispiel der Thematik Adipositas im Kindes- und Jugendalter« Trescher & Oevermann i. d. B. 191 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 192 III Auswertungsmethoden Literatur Garz, D. (1997). Die Methode der Objektiven Hermeneutik. Eine anwendungsbezogenen Einführung. In: B. Friebertshäuser & A. Prengel (Hrsg.), Handbuch qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft (535–543). München: Juventa. Habermas, J. (1982). Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik. In: ders., Zur Logik der Sozialwissenschaften (1970) (331–336). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Habermas, J. (1983). Rekonstruktive vs. Verstehende Sozialwissenschaften. 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Objektive Hermeneutik. In: R. Buber & H. H. Holzmüller (Hrsg.), Qualitative Marktforschung. Konzepte – Methoden – Analysen (173–187). Wiesbaden: Gabler. Oevermann, U. (1979). Die Methodologie einer »objektiven Hermeneutik« und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: H.-G. Soeffner (Hrsg.), Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften (352–434). Stuttgart: Metzler. Oevermann, U. (1986). Kontroversen über sinnverstehende Soziologie. Einige wiederkehrende Probleme und Mißverständnisse in der Rezeption der »objektiven Hermeneutik«. In: S. Aufenanger & M. Lenssen (Hrsg.), Handlung und Sinnstruktur. Bedeutung und Anwendung der objektiven Hermeneutik (19–83). München: Kindt. Oevermann, U. (1991). Genetischer Strukturalismus und das sozialwissenschaftliche Problem der Erklärung der Entstehung des Neuen. In: S. Müller-Doohm (Hrsg.), Jenseits der Utopie. Theoretik der Gegenwart (267–336). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Oevermann, U. (1993a). Die objektive Hermeneutik als unverzichtbare methodologische Grundlage für die Analyse von Subjektivität. Zugleich eine Kritik der Tiefenhermeneutik. In: T. Jung & S. Müller-Dohm (Hrsg.), »Wirklichkeit« im Deutungsprozeß (106– 189). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Oevermann, U. (1993b). Struktureigenschaften supervisorischer Praxis. Exemplarische Sequenzanalyse des Sitzungsprotokolls der Supervision eines psychoanalytisch orientierten Therapie-Teams im Methodenmodell der objektiven Hermeneutik. In: B. Bardé & D. Mattke (Hrsg.), Therapeutische Teams. Theorie – Empirie – Klinik (141–269). Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht. Oevermann, U. (1996). Becketts Endspiel als Prüfstein hermeneutischer Methodologie. Eine Interpretation mit den Verfahren der objektiven Hermeneutik. Oder: Ein objektiv-hermeneutisches Exerzitium. In: H.-D. König (Hrsg.), Neue Versuche, Becketts »Endspiel« zu verstehen. Sozialwissenschaftliches Interpretieren nach Adorno (93– 249). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Oevermann, U. (2000). Die Methode der Fallrekonstruktion in der Grundlagenforschung so wie der klinischen und pädagogischen Praxis. In: K. Kraimer (Hrsg.), Die Fallrekonstruktion. Sinnverstehen in der sozialwissenschaftlichen Forschung (58–156). Frankfurt am Main: Suhrkamp. 192 Katzenbach, Sonderpädagogik 22.9.15 S. 193 Grundlagen der Objektiven Hermeneutik Oevermann, U. (2001). Strukturprobleme supervisorischer Praxis. Eine objektiv hermeneutische Sequenzanalyse zur Überprüfung der professionalisierungstheorie. Frankfurt am Main: Humanities Online. Oevermann, U. (2002). Klinische Soziologie auf der Basis der Methodologie der objektiven Hermeneutik. Manifest der objektiv hermeneutischen Sozialforschung. (http://www. agoh.de/cms/de/downloads/uebersicht/oeffentlich/oevermann/Oevermann-Ulrich-Klini¬ sche-Soziologie-auf-der-Basis-der-Methodologie-der-objektiven-Hermeneutik-Manifestder-objektiv-hermeneutischen-Sozialforschung-%282002%29/), Zugriff am 18.02.2012. Scheid, C. (1999). 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