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Telemedizin in der akuten Schlaganfallversorgung

2009, Aktuelle Neurologie

Übersicht | Review article 431 Telemedizin in der akuten Schlaganfallversorgung Eine Standortbestimmung Autoren H. J. Audebert 1 R. L. Haberl 1 W. Hacke 2 R. Handschu 3 J. Schenkel 1 M. Scibor 3 A. M. Schleyer 4 M. Siebler 5 B. Vatankhah 6 A. Wiborg 4 B. Widder 4 Institut 1 Department of Elderly Care, Guy’s and St. Thomas’ Hospital NHS Trust, London 2 Klinik für Neurologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 3 Klinik für Neurologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 4 Klinik für Neurologie und Neurologische Rehabilitation, Bezirkskrankenhaus Günzburg 5 Klinik für Neurologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 6 Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universität Regensburg Telemedizin und Schlaganfall – eine Erfolgsgeschichte? 5 Aufgrund der hohen Inzidenz von Krankheitsereignissen und der entsprechenden Prävalenz von Krankheitsfolgen wird der Schlaganfall zu Recht als Volkserkrankung bezeichnet. So treten in Deutschland pro Jahr ca. 200000 neue Schlaganfälle auf [16], und ca. 800000 Menschen leiden an direkten Krankheitsfolgen [31]. Seit über 10 Jahren gibt es zwei evidenzbasierte und hocheffektive Therapieformen: Stroke-Unit-Behandlung und systemische Lysetherapie [1,12]. Die Tatsache, dass weiterhin nur ein Teil der Betroffenen Zugang zu diesen Behandlungsoptionen hat, führt bei verbleibenden Schlaganfallpatienten zu verlorenen Genesungschancen. Ein Hauptgrund für diese eigentlich inakzeptable Situation ist, dass sowohl für die Stroke-Unit-Behandlung als auch für die Lysetherapie neurologische Expertise und ausreichende praktische Erfahrung benötigt wird, diese „Schlaganfallspezialisten“ aber nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Der Mangel an Experten vor allem außerhalb der Ballungsregionen kann durch die Telemedizin zumindest partiell kompensiert werden. Die Telemedizin hat daher in den letzten Jahren gerade in der Schlaganfallversorgung Fortschritte gemacht. Grund dafür ist nicht nur der technische Fortschritt, sondern auch der Kostendruck im Gesundheitswesen: Die flächendeckende Einrichtung von Stroke Units, die rund um die Uhr in der Schlaganfallversorgung erfahrene Neurologen vorhalten, ist effektiver als die Behandlung auf Allgemeinstationen, aber teurer. Die Telemedizin ersetzt nicht den in der Schlaganfallversorgung erfahrenen Neurologen, aber die Bereitstellung eines solchen Facharztes an vielen, auch weiter entfernten Standorten zu allen Dienstzeiten, also auch nachts und an den Wochenenden. Gerade für die zeitkritischen Situationen der Schlaganfallversorgung stellt die moderne Telekommunikation ein ideales Instrument zur Behandlungssteuerung dar. Das soe- ben in Bayern validierte TEMPIS-Projekt hat gezeigt, dass die Patienten – verglichen mit der allgemein-internistischen und allgemein-neurologischen Behandlung – davon profitieren [21] (Tab.1). Telemedizin, Kardiologie Voraussetzungen für ein funktionierendes Netzwerkkonzept sind jedoch nicht nur die Einrichtung einer Video-Konferenz zur Patientenuntersuchung und die digitale Übertragung der zerebralen Bildgebung. Die Erfahrungen verschiedener Netzwerke zeigen übereinstimmend, dass eine Infrastruktur mit spezialisierten Behandlungseinheiten bei ausreichenden Fallzahlen, Schulungs- und Qualitätsmanagement sowie standardisierten Behandlungsprozeduren eine notwendige Voraussetzung für eine spürbare Verbesserung der Behandlungsqualität ist. Dies alles ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden und kann deshalb auch nicht „personalneutral“ erfolgen. kurzgefasst Telemedizin ermöglicht schnellen Zugang zu neurologischer Expertise. Unterschiedliche Szenarien der Telemedizinanwendung 5 Telemedizin ist definiert als die Übertragung von Daten und Informationen (Telemetrie) zur Erlangung einer optimierten Diagnostik oder Therapieentscheidung. Folgende vier Anwendungen stehen derzeit im Vordergrund: 1. Bei der Teleradiologie werden Bilddaten elektronisch und verschlüsselt versandt und in der Ferne befundet. Der DICOM-Standard ist hier das Maß der Dinge. Die Mindestanforderungen sind in der Röntgenverordnung bereits festgelegt . 2. Telemonitoring oder Telehomecare befasst sich mit der Übermittlung von Messdaten des Patienten. Neben Größe, Gewicht und Blut- eingereicht 20.10.2006 akzeptiert 11.1.2007 Bibliografie DOI 10.1055/s-2007-970353 Dtsch Med Wochenschr 2007; 132: 431–436 · © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0012-0472 Korrespondenz Dr. H. Audebert Department of Elderly Care Guy’s and St. Thomas’ Hospital NHS Trust Lambeth Palace Street London, SE1 7EH Tel. +44 7726 121 731 eMail heinrich.audebert@ arcor.de Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt. Telemedicine in acute stroke care: current status and developments Übersicht | Review article Abb. 1 Telemedizinische Untersuchung (Telekonsultation) aus den Perspektiven des Patienten und des Beratungszentrums: (A) Teleneurologische Untersuchung des Patienten durch am Bildschirm agierenden Telekonsilarzt; (B) Direkte Weiterleitung der Akutbildgebung zur Fernbefunden (Teleradiologie); (C) Beurteilung der zerebralen Bildgebung und der klinischen Untersuchung im Telekonsil-Zentrum. Abbildung mit freundlicher Genehmigung aus [3]. Tab. 1 Wichtigste Ergebnisse der TEMPiS-Evaluation [7]. Evaluiert wurden Prozessqualität und das Behandlungsergebnis nach 3 Monaten aller aufgrund eines frischen Schlaganfalls aufgenommenen Patienten in fünf TEMPiS-Kliniken und fünf gematchten Vergleichskliniken ohne entsprechende Netzwerkimplementierung → In den TEMPiS-Kliniken wurden alle untersuchten Qualitätsindikatoren für die akute Schlaganfallbehandlung besser erfüllt als in den Vergleichskliniken → Die durchschnittliche akutstationäre Liegezeit war dabei in TEMPiS um über 10% kürzer. → Die Lyserate aller eingeschlossenen Schlaganfälle lag in den TEMPiSKliniken bei 4,6%, in den Vergleichskliniken bei 0,4% → Das kombinierte Behandlungsergebnis für Tod, institutionalisierte Pflege oder schwere Behinderung lag nach 3 Monaten in den TEMPiSKliniken bei 44%, in den Vergleichskliniken bei 54% → Dieser hochsignifikante Unterschied blieb auch nach statistischer Korrektur für mögliche Störgrößen erhalten. druck werden Blutzuckerwerte und EKG-Abläufe, in Zukunft möglicherweise auch intensivmedizinische Monitoraufzeichnungen offline oder online übertragen. Eine breite Anwendbarkeit wird die Weiterentwicklung in Zukunft beschleunigen [10]. 3. Telekonsultation beinhaltet die bilaterale Kommunikation mit Bild und Ton, eine Videokonferenz zwischen dem Patienten und/oder Behandelnden vor Ort und dem beratenden Spezialisten. Erforderlich sind Telefon-, Daten oder Funknetze mit ausreichender Übertragungskapazität, um eine qualitativ ausreichende Bildqualität übermitteln zu können. Sowohl Systeme auf Rechnerbasis als auch herkömmliche Kombinationen aus Kamera und Bildschirm sind handelsüblich [9, 30]. Telerehabilitation soll unter anderem die logopädische, ergotherapeutische und neuropsychologische Therapie in ländlichen Gebieten verbessern. Genutzt werden rechnerbasierte Programme, mit denen Patienten Übungen durchführen [26]. In den folgenden Abschnitten wird aufgrund der rasant zunehmenden Anwendung vor allem die Telekonsultation in der akuten Patientenversorgung besprochen. kurzgefasst Neben Bildübertragung und Notfalluntersuchung über Video findet Telemedizin auch ihren Einsatz in Prävention und Rehabilitation. Technische Grundlagen der Telekonsultation 5 Eine Teleuntersuchung im Sinne einer Ferndiagnostik ist eine audiovisuelle Telekommunikationstechnologie, das heißt, sie überträgt (Bewegt-) Bild, Ton und radiologische Daten zwischen zwei oder mehr Standorten. Die modernen Telemedizinanlagen, wie sie in Projekten STENO [13], TEMPIS [8] und TESS [29] verwendet wurden, bestehen aus spezialisierten Einheiten, die fernsteuerbare Kameras und Mikrofone als Eingabegeräte sowie Bildschirme und Lautsprecher als Ausgabegeräte nutzen. Bei der Übertragung von Videosignalen treten große Datenströme auf. Durch geeignete Kompression im MPEG-4/AVC(Advanced Video Coding)-Format kann der Bandbreitenbedarf für die Nutzung von preiswerten ISDN-Primärmultiplex- oder symmetrischen DSL-Anschlüssen auf handhabbare Größen (kleiner 1000kbit/s) verringert werden. Durch die rasante technologische Entwicklung der letzten Zeit stehen bei mobilen Geräten inzwischen höhere Bandbreiten (UMTS, WLAN, HSPA) zur Verfügung, die die Übertragung von Videosignalen in einer ausreichenden Qualität bieten. Hier werden derzeit erste klinische Erprobungen durchgeführt. Datenschutz Die Datensicherheit wird durch die verschlüsselte Übertragung gewährleistet. Damit die Datenübertragung nicht von außen eingesehen werden kann, gibt es ein so genanntes TunnelingProtokoll, das die Daten, die ausgetauscht werden, ver- bzw. entschlüsselt. Die IPSec-VPN(Internet Protocol Security im Virtual Private Network)-Technologie garantiert nach heutigen Maßstäben die höchste Sicherheit bei der Übertragung von Informationen in IP-Netzen. Die hohen Anforderungen werden durch eine Sicherheits-Architektur mit überprüfbarer Authentizität der Daten und den Sender, einem Protokoll für die Authentifizierung, Integrität und Vertraulichkeit der Daten sowie durch eine automatische Schlüsselverwaltung erfüllt. kurzgefasst Moderne Telekommunikation ermöglicht sichere und hoch-qualitative Telekonsultation. Reliabilität der telemedizinischen Untersuchung 5 Eine wichtige Grundvoraussetzung telemedizinischer Dienste ist die Verlässlichkeit bzw. Reliabilität der audiovisuellen Fernuntersuchungen, also die Frage, ob dabei die gleichen Ergebnisse wie durch die übliche bettseitige Untersuchung erbracht werden. Hierzu liegen inzwischen verschiedene Untersuchun- Dtsch Med Wochenschr 2007; 132: 431–436 · H. Audebert et al., Telemedizin in der … Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt. 432 Übersicht | Review article Studien zur Reliabilität der teleneurologischen Untersuchung. Studie Untersuchte Skala Anzahl Pat./ mitl Alter/ Gewichtete Kappa- Latenz nach Schlaganfall Koeff. Besonderheiten Shafqat et al. 1999 [24] National Institutes of 21/70,5 J. (54 – 86)/48 – 1752 Std Health Stroke Scale (NIHSS) - 0,07 – 0,83 Videokonferenzsytem ISDN- Leitungen, 384 kb/s Wiborg et. al. 2000 [30] Skandin. Stroke Scale , European Stroke Scale 44/63,9 J (24 – 86)/ 0,75–174,3 Std 0,70 – 0,97 (SSS) 0,72 – 0,95 (ESS) Sony Videokonferenzsystem 6 x ISDN, Handschu et al. 2003 [13] NIHSS (deutsche Version) 41/63,3 J (25 – 93)/0 – 36 Std. 0,85 – 0,99 Akutpatienten in der Notaufnahme Wang et al. 2003 [28] NIHSS 20/keine Angabe/ keine Angabe Korrelation: r = 0,955 Drahtloses System via Internet, lückenhafte Informationen Meyer et al. 2005 [19] NIHSS 25/keine Angabe/ chron. Defizit 0,61 – 1,00 Internetbasiertes System, keine akuten Schlaganfallpatienten gen vor, die jeweils die Interrater-Reliabilität von SchlaganfallSkalen bei telemedizinischer und bettseitiger Untersuchung erfassten (Tab. 2) [13; 19; 24; 28; 30]. Tab. 3 Telekonsilindikationen als Teil vertraglicher Vereinbarungen. 3 Patienten mit möglicher Indikation zur systemischen Lysetherapie 3 Progrediente Schlaganfallsymptomatik Für die telemedizinische Übermittlung von Bilddaten (CT, MRT), gibt es nur wenig Arbeiten, die die Reliabilität bei Schlaganfallpatienten untersuchen. Die TRACTORS-Studie [14] zeigte unter Nutzung einer digitalen Bildübertragung eine exzellente Übereinstimmung von fernbefundendem Neurologen und Radiologen direkt vor Ort. Für die Betrachtung von Röntgenfilmen mit Hilfe der Videokamera liegen bisher nur wenige Daten vor, die eine mäßige bis gute Übereinstimmung zeigen [22]. Diese sollte daher nur Ausnahmesituationen vorbehalten bleiben. kurzgefasst Neurologische Defizite des Schlaganfalls sind telemedizinisch sicher erfassbar. Organisation telemedizinischer Netzwerke Bei der Gestaltung telemedizinischer Netzwerke können unterschiedliche Lösungen gewählt werden, von denen exemplarisch drei Varianten dargestellt werden sollen: 1. Aufgrund der schnellen Verfügbarkeit und ausreichenden Beurteilbarkeit von klinischer Symptomatik und zerebraler Bildgebung wurden in den letzten Jahren einige Telemedizinnetzwerke mit dem Fokus auf die systemische Lysetherapie aufgebaut [17, 19, 23, 27]. Voraussetzungen für eine adäquate Durchführung sind jedoch der Aufbau der notwendigen Infrastruktur in den angeschlossenen Kliniken und kontinuierliche Schulungen des Personals. Die in den bisherigen Publikationen beschriebenen Fallzahlen blieben in diesem Konzept allerdings vergleichbar klein [3]. 2. Durch die moderne Videokonferenztechnik und digitale Bildübertragung kann telemedizinisch auch ein umfassenderer „virtueller“ neurologischer Konsiliardienst dargestellt werden. Hier wird die telemedizinische Beratung nicht nur auf die Beurteilung der Lyseindikation beschränkt, sondern auch andere klinische Fragestellungen wie ätiologische Einordnung, neurologische Differentialdiagnose und -therapie sowie die Indikationsstellung für Interhospitaltransporte werden zum Gegenstand der Telekonsultationen [9, 11, 20, 29]. Auch hier sind grundsätzliche Strukturmaßnahmen wie standardisierte Abläufe, Vereinbarung verbindlicher Telekonsilindikationen (Tab. 3) und Fortbildungsmaßnahmen hilfreich. Die Erfahrung zeigt, dass durch den Telekonsildienst eine neurologische Präsenz und ein spezialisiertes Behandlungs-Setting nicht gänzlich ersetzt werden können [29]. 3 Bewusstseinsstörungen mit Verdacht auf vaskuläre Genese 3 Schlaganfälle mit Hirnstammsymptomen 3 Intrazerebrale Blutungen mit möglichem Interventionsbedarf 3 Schwere Schlaganfälle (National Institutes of Health Stroke Scale > 12) 3 Unsicherheit bzgl. diagnostischem und therapeutischem Prozedere 3. Im dritten Ansatz wird daher die Telemedizin in ein integratives Konzept der Schlaganfallversorgung eingebettet. Voraussetzung hierfür ist der Aufbau von spezialisierten Schlaganfall-Schwerpunkt-Einheiten in den angebundenen Kliniken. Hier werden die Patienten von einem multidisziplinären Team in der Akuttherapie und frühen Rehabilitation betreut. Voraussetzung einer entsprechenden Struktur sind allerdings Fallzahlen von 300 und mehr Patienten pro Jahr in den einzelnen Kliniken. Die telemedizinische Beratung erfolgt zur Sicherstellung einer jederzeit verfügbaren neurologischen Expertise und macht damit die effektive Umsetzung des Stroke-Unit-Konzeptes auch in neurologisch unterversorgten Regionen möglich [7, 21]. Interessanterweise konnten hiermit auch höhere Telekonsil- und Lysezahlen erreicht werden [6]. kurzgefasst Höchste Effektivität wird durch Kombination von telemedizinischer Beratung und dem Stroke-Unit-Prinzip erzielt. Standardisierte Empfehlungen und Qualitätsmanagement in Telemedizinnetzwerken 5 Der interdisziplinäre Therapieansatz moderner Schlaganfall-Therapie ist durch diverse Schnittstellen zwischen den behandelnden Disziplinen gekennzeichnet. Bei der Behandlung innerhalb eines Krankenhaus-übergreifenden Netzwerks nimmt die Zahl der Schnittstellen weiter zu und damit auch die Gefahr eines hierdurch für den Patienten nachteiligen Therapieverlaufs. Den individuellen Kompetenzen und Erfahrungen von Ärzten, Therapeuten und Pflegepersonal in der Schlaganfall-Versorgung muss ein qualitätssicherndes System zur Seite gestellt werden, das die Umsetzung internationaler Empfehlungen zur Schlaganfall-Versorgung in unterschiedlichen Krankenhäusern und Abteilungen sicherstellt. Im TEMPiS-Projekt wurde entsprechend des Kreislaufs beim operativen Qualitätsmanagement („Plan – Do – Check – Act“) vor Projektbeginn die angestrebte Verbesserung der Behandlungs-Quali- Dtsch Med Wochenschr 2007; 132: 431–436 · H. Audebert et al., Telemedizin in der … Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt. Tab. 2 433 Übersicht | Review article tät geplant. Hierzu wurde von Schlaganfall-Experten ein Katalog entwickelt („Plan“), der zu jedem Schlaganfall-Subtyp für alle an der Schlaganfall-Versorgung beteiligten Akteure detaillierte Handlungsanweisungen gibt (Standardisierte und optimierte Prozeduren, SOP). Dieser für alle Interessierten frei zugängliche SOP-Katalog (www.tempis.de) wird einmal jährlich in Anlehnung an die gültigen internationalen Empfehlungen aktualisiert und ist Grundlage jeder Weiterbildungsmaßnahme. Zur Qualitätslenkung muss die kontinuierliche medizinische Weiterbildung des gesamten Behandlungsteams sichergestellt sein („Do“). Im TEMPiS-Netzwerk wurde dies durch ein Schlaganfall-Seminar über 4 Tage in allen beteiligten Krankenhäusern vor Projektbeginn, durch regelmäßig durchgeführte Visiten in den Kooperationskliniken durch Schlaganfall-Spezialisten sowie durch zentrale Weiterbildungsveranstaltungen erreicht. Die Überprüfung der BehandlungsQualität („Check“) erfolgte durch Teilnahme aller Kooperationskliniken an einem großen Schlaganfall-Register (Bayerische Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung) und die regelmäßige Analyse und rasche Rückmeldung dieser Daten an die Therapeuten. Hierbei ist eine Überprüfung der erhobenen Qualitätsindikatoren anhand parallel erfasster Daten aus dem medizinischen Controlling sinnvoll, um Informations- und Selektionsfehler zu kontrollieren. Bei Abweichungen einzelner Kliniken von den SOP-Empfehlungen muss schnell mit Weiterbildungsmaßnahmen reagiert werden („Act“). Die Auswirkung einer Qualitäts-Verbesserung in der Schlaganfall-Behandlung innerhalb eines Telemedizin-Netzwerks wurde im TEMPiS-Projekt untersucht. Hier zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen konsequenter Umsetzung von Behandlungsempfehlungen in der Schlaganfall-Akuttherapie und deutlich verbessertem Patienten-Outcome nach 3 Monaten mit reduzierter Pflegebedürftigkeit und rückläufiger Mortalität [7]. kurzgefasst Telemedizin bedarf konsequenter Qualitätssicherung und dient gleichzeitig als Instrument des Prozessmangements. Telethrombolyse beim Schlaganfall 5 Die Durchführung einer thrombolytischen Therapie mit rekombinantem Gewebe-Plasminogenaktivator (rt-PA) gehört zu einer der Zielsetzungen zahlreicher telemedizinischer Schlaganfallprojekte. Grundlage hierfür bildet die sichere neurologische Untersuchung nach dem „National Institutes of Health-Stroke Scale“ (NIH-SS) und die korrekte Beurteilung der zerebralen AkutBildgebung. Rt-PA zur Schlaganfalltherapie darf laut Zulassung nur von in dieser Therapie erfahrenen Anwendern genutzt werden. Da in kommunalen Krankenhäusern ohne spezialisierte Stroke Unit eine entsprechende Erfahrung meist fehlt, stellte sich die Frage, inwieweit durch die telemedizinische Betreuung durch Schlaganfallzentren eine entsprechende Behandlungssicherheit erreicht werden kann. Bislang existieren nur Berichte über vergleichsweise wenige Patienten mit „Telelyse“. Daten über größere Behandlungszahlen und Komplikationsraten sowie insbesondere über das langfristige funktionelle Ergebnis liegen bisher nur für das TEMPiS-Netzwerk vor [5; 7]. Hier zeigte sich im Rahmen der telemedizinischen Anbindung von zwölf kommunalen Krankenhäusern eine deutlich gestiegene Lyserate. Insgesamt wurden seit Beginn des Projektes im Februar 2003 über 500 systemische Lysetherapien durchgeführt. Die Behand- lungssicherheit und das Langzeit-Behandlungsergebnis sind dabei mit den Ergebnissen von randomisierten Studien und erfahrenen Schlaganfallzentren vergleichbar. Auch hier sei darauf hingewiesen, dass über die individuelle telemedizinische Indikationsstellung hinaus eine intensive Betreuung der kommunalen Kliniken durch die Schlaganfallzentren u.a. mit Erstellung von Leitlinien (q Abb. 2), zahlreichen Fortbildungen und Evaluationen erfolgte. kurzgefasst Selbst eine Lysetherapie ist in telemedizinisch vernetzten Schlaganfalleinheiten flächendeckend und sicher anwendbar. Telemedizin in der prähospitalen Phase – Navigation und Decision-Support-System 5 Die frühe Identifikation eines Schlaganfallpatienten durch den Rettungsdienst, ein schneller Transport eines Schlaganfallpatienten in die geeignete Klinik und die Bereitstellung der angemessenen Diagnostik sind für eine effektive Therapie essentiell. Fehleinschätzungen am Einsatzort sowie unzureichender Informationsfluss durch Informationsbarrieren zum und im Krankenhaus, Auswahl eines nicht geeigneten Krankenhauses, Wartezeiten in der Diagnostik (z.B. Bildgebung) sind häufige Gründe für Verzögerungen, durch die Patienten z.B. nicht mehr von einer Lysetherapie profitieren [2]. Für die elektronische Übertragungen von Labor-und Bilddaten und die direkte audiovisuelle Kommunikation gibt es heute technisch gut realisierbare Lösungswege. Ziel ist es, bereits präklinisch die Schlaganfalldiagnose möglichst zuverlässig zu stellen und eine Abgrenzung gegenüber anderen Erkrankungen mit teils ähnlichen Symptomen (Stroke Mimics) zu erreichen. Durch Aufbau einer Datenbank mit in der Literatur etablierten Scores zur Diskriminierung von Schlaganfall/Nichtschlaganfall (Los Angeles Prehospital Stroke Screen/LAPSS; Los Angeles Motor Scale /LAMS; 3-Item Stroke Scale [15, 18, 25] wurde in Kombination mit dem DIVI-Protokoll ein elektronisches System (q Abb. 3) („Stroke Angel“) entwickelt und auf einem handelsüblichen PDA implementiert. Alle Daten wurden über eine SSL-verschlüsselte GPRS-Verbindung oder lokales TCP/IP-Intranet telemetrisch in das aufnehmende Krankenhaus übertragen, in einer Datenbank hinterlegt und liegen dann im optimalen Falle am „point of care“ zur Therapieentscheidung vor. Das System entspricht damit einem Decision-Support-System (DSS). In einer ersten Anwendungsstudie erwies sich das System als einfaches, schnelles und zuverlässiges Medium zur Erfassung von Patientendaten. Von 217 Patienten wurden 40/53 (75%) Schlaganfälle korrekt bei einer Spezifität von 156/164 (95%) identifiziert. Erfasst man noch die Sprachstörungen als zusätzliches Item, ergibt sich eine Sensitivität von 83%. Ein computerunterstütztes DSS kann damit die Dokumentation von Patientendaten besonders über die kritischen Schnittstellen hinweg verbessern und Grundlage für eine elektronische Notfallakte mit Einbindung in ein Krankenhausinformationssystem werden. Dadurch ist eine Steuerung der Ressourcen Personal und Bildgebung möglich. Dtsch Med Wochenschr 2007; 132: 431–436 · H. Audebert et al., Telemedizin in der … Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt. 434 Übersicht | Review article Monitoring des Pat. auf Schlaganfalleinheit über 24 h Erstellung und elektronische Übermittlung des Konsilbefundes Übermittlung der Lyseprotokolle zur Qualitätssicherung Kontroll-cCT und tele-medizinische Wiedervorstellung Abb. 3 Handelsüblicher PDA zur Eingabe prähospitaler Daten im Rettungswagen beim Schlaganfall als Decision-Support-System sendet die Daten in das Krankenhaus und an das Bildgebungsgerät (CT/MRT). kurzgefasst Auch ambulant kann Telemedizin einen Beitrag zu optimierter Versorgung leisten. Zukünftige Perspektiven 5 Nachdem Fragen der Anwendbarkeit, des Datenschutzes, der Haftung und Finanzierung zumindest keine grundsätzlichen Hürden mehr für die telemedizinische Beratung beim Schlaganfall darstellen, stellt sich angesichts des rasanten technischen Fortschritts auf dem Gebiet der Telekommunikation die Frage nach zukünftigen Perspektiven und neuen Einsatzgebieten. Zwei Entwicklungen erscheinen dabei in naher Zukunft realisierbar: 1. Mobilität im Versorgungskrankenhaus: Durch den Einsatz fahroder tragbarer Telemedizin-Arbeitsplätze, die über Funk (WLAN) oder Kabel an das Datennetz des Krankenhauses angebunden werden, können Patienten letztlich an beliebigen Orten der Klinik via Telemedizin vorgestellt werden. Bei Einsatz geeigneter Schnittstellen erscheint zukünftig auf diese Weise auch möglich, gleichzeitig Bildgebung, Monitoring- und Labordaten im Sinne eines „integrativen Patientenmonitorings“ zu übertragen. 2. Mobilität des Konsiliararztes: Ein Grundproblem der telemedizinischen Beratung stellt die Verfügbarkeit eines erfahrenen neurologischen Konsiliararztes während der Nachtstunden und an Wochenenden dar. Nur bei sehr großen telemedizinischen Netzwerken ist eine 24-Stunden-Präsenz im „Telemedizin-Zentrum“ ökonomisch darstellbar. Hier könnte der Einsatz der mobilen Telekommunikation z.B. über UMTS sowie über neue Techniken im flächendeckend verfügbaren GPRSSystem (EDGE GPRS) helfen, eine telemedizinische Beratung auch ohne feste örtliche Gebundenheit anzubieten [19]. Allerdings sind bei dieser Anwendung deutlich umfangreichere datenschutzrechtliche Vorkehrungen zu treffen, und die Übertragungsraten sind aktuell noch nicht mit ISDN- oder DSL-Verbindungen vergleichbar. Mobile Telemedizin-Konzepte werden derzeit in mehreren Projekten untersucht. In Zukunft könnten mobile Anwendungen auch im klinikeigenen „Hintergrundsdienst“ Verwendung finden, der auf diese Weise über die telefonische Kommunikation hinaus den Patienten und dessen CT/MRT-Bilder am mobilen Bildschirm beurteilen kann. Weitere Anwendungsgebiete zeichnen sich für die Versorgungsforschung beim Schlaganfall ab [4, 21, 30], lassen aber darüber hinaus auch konsiliarische Beratungen bei selteneren Krankheitsbildern wie Enzephalitiden, Basilaristhrombosen oder Hirnvenenthrombosen zu. Schließlich ist auch ein Einsatz in multizentrischen Therapiestudien für die SchlaganfallAkutbehandlung denkbar. Dies erfordert aber über die schon beschriebenen Infrastrukturmaßnahmen hinaus spezielle Vor- Dtsch Med Wochenschr 2007; 132: 431–436 · H. Audebert et al., Telemedizin in der … Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt. Neurologische Bewertung der cCTs Check von Ein- und Auschlusskriterien, gemeinsame Indikationsstellung zur systemischen Lyse Bolusgabe und anschließende Lyseapplikation über 1 h 30 min Telefonische Anfrage Fokussierte Anamnese-Erhebung+ Gemeinsame Untersuchung über Videokonferenz 15 min Kooperations-Klinik Nativ-cCT und digitale Bildübertragung ins Zentrum Ablauf der „Telethrombolyse“. Schlaganfall-Zentrum 60 min 15 min 15 min 15 min Screening-Untersuchung durch Aufnahmearzt 24 h 15 min Abb. 2 Schnellstmöglicher Transport in Netzwerkklinik 435 Übersicht | Review article bereitungen und muss bezüglich der Akzeptanz beim klinischen Personal und bei Patienten erst noch untersucht werden. kurzgefasst In Zukunft ist neben dem mobilen Einsatz der Telemedizin auch eine Nutzung für die klinische Forschung möglich. Fazit 5 Die Telemedizin ist keine neue Behandlungsmethode, aber sie ermöglicht einen leichteren und schnelleren Zugang zu Expertenwissen auch im individuellen Behandlungsfall. Wenn die Telemedizin in ein multimodales Behandlungskonzept nach dem Stroke-Unit-Prinzip eingebunden ist, lässt sich auch in strukturschwächeren Regionen eine erhebliche Verbesserung der Schlaganfallversorgung erzielen. Konsequenz für Klinik und Praxis 3Durch den Aufbau von telemedizinischen Netzwerken ist eine moderne Schlaganfallversorung auch in Regionen außerhalb der Ballungsräume möglich. 3Durch die Kombination mit dem Stroke-Unit-Konzept und kausalen Behandlungsoptionen wie der systemischen Thrombolyse lässt sich die WHO-Empfehlung einer flächendeckenden spezialisierten Behandlung von Schlaganfallpatienten bereits heute umsetzen – mit nachgewiesen positiven Auswirkungen auf Behinderung und pflegerische Abhängigkeit. Autorenerklärung: Die Projekte TEMPIS, TESS, STENO und DSS (Düsseldorf) werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Kompetenznetzes Schlaganfall gefördert. Die bayerischen Projekte TEMPiS, TESS und STENO erhalten bzw. erhielten darüber hinaus eine Unterstützung durch die gesetzlichen Krankenkassen Bayerns und durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Von der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe werden die Projekte TEMPiS und DSS gefördert. Das DSS-Projekt erhält zudem eine Förderung über die Florindon Stiftung. Danksagungen: Die Autoren bedanken sich ausdrücklich für die engagierte Mitarbeit der zahlreichen Projektteilnehmer. Literatur 1 Organised inpatient (stroke unit) care for stroke. Cochrane Database Syst Rev 2002; 1: CD000197 2 Adams Jr. HP, Adams RJ, Brott T et al. Guidelines for the early management of patients with ischemic stroke: A scientific statement from the Stroke Council of the American Stroke Association. Stroke 2003; 34: 1056–1083 3 Audebert H. Telestroke: effective networking. Lancet Neurol 2006; 5: 279–282 4 Audebert HJ, Clarmann VC, Schenkel J et al. 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