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Queering Technologies: von Cyborg über Trans* zu Posthumanismus

Frauen & Technik Queering Technologies: von Cyborg über Trans* zu Posthumanismus Einschlüsse und Ausschlüsse in den Neuen Reproduktionstechnologien und im Nanoengineering Diese neuen Technologien besitzen ein queeres1 Potenzial. Allerdings entstehen durch die wachsende Reproduktionsindustrie auch negative Auswirkungen, die bestimmte Personengruppen betreffen. So wird z. B. von Trans*personen ein gerechterer Anspruch auf Reproduktionsmöglichkeiten eingefordert. Die nanotechnologischen Aussichten, das biologische Geschlecht neu zu designen, eröffnen bereits einen Blick in die posthumanistische Zukunft. Doris Leibetseder Studium der Philosophie an der Universität Wien, während des Studiums Tätigkeit als RadiologieTechnologin, 2008-2010 OeAD Lektorin an der Durham University, UK, danach Mitarbeiterin am Zentrum für Frauen- und Geschlechterstudien der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Lehrbeauftragte an der AAU Klagenfurt, der Karl-FranzensUniversität Graz und der Universität Wien, 2013/14 Scholar in Residence der feministischen Beatrice Bain Research Group an der UC Berkeley. E-Mail: [email protected] Das Cyborg Konzept2 erklärt die queeren Möglichkeiten der Neuen Reproduktionstechnologien (NRT) am besten, denn wie bereits Haraway erwähnte: „The cyborg skips the step of original unity“ (Haraway 1991, 151). Cyborgs werden nicht in einer traditionellen Familie geboren, sondern reproduzieren sich selbst. Nina Lykke betont, dass queer durch die cyborg’schen NRTs wieder an Bedeutung zunimmt, wenn es in gegenwärtigen Diskussionen um den Zugang von lesbischen und alleinerziehenden Müttern zu neuen Reproduktionstechnologien geht (Lykke 2007). In Österreich ist die künstliche Befruchtung für Lesben noch immer verboten, auch Spanien plant wieder einen Schritt zurück zu gehen und die In-vitro-Fertilisation (IVF) für allein stehende Frauen und Lesben zu verbieten. Positive Effekte Die queeren Cyborg-Potenziale bestehen laut Ute Kalender im Folgenden: bezüglich der sexuellen Praxis: z. B. kann mit IVF der heterosexuelle Geschlechtsverkehr umgangen werden; der Geschlechtskörper muss für eine Schwangerschaft nicht mehr notwendigerweise ein binärer Frauenkörper sein, Transmänner (wie Thomas Beatie) können z. B. schwanger werden; bezüglich der Verwandtschaft: „gängige Formen von Familie und Verwandtschaft werden in Frage gestellt” (Kalender 2012, 199). Blutsverwandtschaft und heterosexuelle Paare werden zur Fortpflanzung nicht mehr benötigt. Negative Auswirkungen In der globalen Reproduktionsindustrie werden die Leihmütter nach Indien ausgelagert, und gebärfähige Körper indischer Frauen werden ohne Rücksicht auf Verluste ausgenützt, letztendlich zählt nur das Überleben des Embryos/Kindes. Nur verarmte Frauen in Indien stellen sich trotz aller gesundheitlicher Risiken als Leihmütter zur Verfügung. Indische Fertilitätskliniken sind um einiges billiger als in der restlichen Welt und vor allem westliche Paare sind dort Kund*innen (Desai 2012). Aber auch in der westlichen Welt gibt es Ungleichheiten in den Reproduktionsökonomien, was z. B. die Eizellernte betrifft. Für die IVF und Stammzellforschung sind Eizellen unbedingt notwendig, wobei oft „Migrantinnen mit unsicherem Aufenthaltsstatus als Rohstoffarbeiterinnen“ dienen (Kalender 205), z. B. in Spanien Osteuropäerinnen. Die Eizellspende ist in Österreich und Deutschland nicht erlaubt. In Großbritannien hingegen werden besonders Lesben als Spenderinnen für sogenannte „EggsharingProgramme“ umworben, obwohl sie anfangs in den IVF-Kliniken nicht so beliebt waren. Die Erfolgsrate ist bei lesbischen Frauen höher als bei heterosexuellen, da bei den ersteren kaum fruchtbarkeitsmindernde Erkrankungen vorhanden sind und sie die IVF nicht aus Sterilitätsgründen durchführen. Dieser „Eierdeal“ bedeutet, dass die lesbische Spenderin mehr Eizellen für andere Frauen abgibt, als für die eigene Behandlung gebraucht wird, dadurch werden die Kosten für ihre eigene IVF gesenkt oder sie wird gratis durchgeführt (204). So gesehen haben queere Eizellen einen besseren Wert in dieser Industrie als heterosexuelle. Eizellspenden können als Instrument benutzt werden, damit auch prekäre queere Personen als anerkannte und reproduktive Bürger*innen eines Staates gelten können (205). Vorsicht ist aber geboten, damit diese Entwicklung nicht zu einer Homonormativität3 oder, wie in Spanien oder Großbritannien, zu einer Homonationalität4 führt, wenn die Wirtschaft des Staates auf die Einnahmen der Biotechnologien angewiesen ist. Ute Kalender stellt folgende Fragen: „Be- Soziale Technik 3/2013 19 Frauen & Technik steht etwa die Gefahr, dass lesbische Frauen Rohstoffarbeit für heterosexuelle Frauen und Paare leisten (…)? Wird Rohstoffarbeit eher von transbegehrenden Femmes denn von ihren Partnern mit Female-to-Male Vergangenheit verrichtet? Oder würden Transmänner stärker als Rohstoffarbeiter adressiert, weil davon ausgegangen wird, dass sie ihre Eizellen ‚ohnehin’ vor einer möglichen Geschlechtsanpassung einfrieren? Schließlich: Besteht die Gefahr, dass sich beispielsweise lesbische Frauen als die ‚guten Queers’ in Opposition zu Transgendern etablieren könnten?” (206). Ein/Ausschlüsse von Trans* Trans* ist jemand, der sich nicht wohl fühlt in der Geschlechterrolle, die ihr/ihm bei der Geburt zugeschrieben wurde, oder es ist jemand, der/die eine Geschlechtsidentität hat, die nicht in die Kategorien „Mann” oder „Frau” passt (Whittle 2006, XI). Trans*personen sind oft aus dem reproduktiven System ausgeschlossen, so besitzen z. B. viele Trans*personen in den USA keine Krankenversicherung oder werden sterilisiert. Die Versicherung ist meist an einen Arbeitsplatz gebunden, aber für viele ist es nicht einfach, einen Job zu finden, denn dafür müssten sie erst ihre offiziellen Dokumente ändern. Um diese offiziell verändern zu dürfen, ist in vielen Staaten immer noch eine teure Geschlechtsanpassungsoperation notwendig, die in manchen Fällen bedeutet, dass sie nachher sterilisiert sind, was einige Trans*personen nicht wollen. In Österreich ist der Operationszwang für die Namensänderung in den Dokumenten 2009 gefallen. Queere Nanotechnologie Wie Christiane König schreibt, verändern nanotechnologische Entitäten radikal das Verhältnis von belebter und unbelebter Materie und modifizieren biologisch-kulturelle Körper (König 2012, 260). Laut König ist die Nanotechnologie ein „Verfahren der self assembly von subatomaren Partikeln, der Rastersondenmikroskopie sowie der Kohlenstoff-Nanotechnologie. Die konkreten nanotechnologischen Entitäten – die Nanobots – stellen ‚intelligente’ Maschinen, also Medien dar, die sich nicht nur selbst steuern und regulieren, sondern sich auf subatomarer Ebene bewegen und dabei ‚gewollt’ Partikel anderer physikalischer sowie biologischer Materialitäten adressieren können, deren Eigenschaften und Verhalten sie modifizieren” (Hervorhebung im Original 264f.). Es gibt zwei Arten der Nanotechnologie, die eine zur „Verbesserung von Werkstoffen per Nanopartikel” und die zweite, bei der „physikalische Materieteilchen zusammengefügt” werden, „die die Funktion von ‚Maschinen’ ausüben (…), die so genannten Nanobots” (267). Diese spüren z. B. Krebszellen auf und beseitigen sie. Materie wird also so konstruiert, dass sie die Materie anderer Stoffe selbst aktiv durchdringt und mit ihr Verbindungen eingeht (268). Belebte und unbelebte Materie werden miteinander verbunden und stellen somit radikal die kausale Verbindung von Natur und Kultur in Frage (König 2010, 270; Parisi 2008). Die Nanobots sind ein ideales Beispiel für Karen Barads „agential intra-actions”. In diesem Konzept wendet Barad die Idee der Performativität5, die von Judith Butler im Bereich der Gender Studies/Queer Theorie entwickelt wurde, auf Materie an und betont, dass sich die Materie (Objekte) selbst wechselseitig beeinflusst (Parisi 2008, 286; Barad 2012). Diese posthumanistische und materialistische Darstellung der Performativität fordert die Annahme neu heraus, dass die Natur passiv sei (Parisi 287). eine Zementierung des Zweigeschlechtersystems und der Heterosexualität einerseits und für Homonormativität und Homonationalität andererseits, vermieden werden. Anmerkung 1 „Queer“ richtet sich gegen das heterosexuelle und zweigeschlechtliche Normsystem und ist für eine Vervielfältigung der sexuellen Orientierungen und Geschlechter. 2 „Cybernetic Organism“ ist ein Hybride aus Maschine und Organismus und bringt folgende Grenzzusammenbrüche in einer hierarchischen dualistischen Welt mit sich: zwischen Mensch und Organismus, Mensch und Tier, Physischem und Nicht-Physischem. 3 Im Sinne einer homosexuellen Norm als Angleichung an die heterosexuelle Norm. 4 In der neoliberalen Politik werden nur bestimmte queere Personen in den Staat/Nation inkorporiert und die Rechte von Lesben/Schwulen werden in diesem Staat instrumentalisiert. 5 Die Geschlechtsidentität wird durch Ausdrucksformen des Geschlechts hervorgebracht, d. h. Äußerungen und Handlungen fallen zusammen. Atomare Geschlechter Nanotechnologie beeinflusst die fluktuierende Bewegung der Atome, indem sie in den anorganischen Staub hineingeht und das kohlenstoffbasierte Leben neu designed, was auch impliziert, dass die genetischen und neuralen Strukturen des Körpergeschlechts neu gestaltet werden (294). Somit wird die „Bio-Logik” des Geschlechts und die Ordnung von Natur-Kultur herausgefordert. Daher beinhaltet die Nanotechnologie keine Mechanisierung der Sexualität (wie die cyborg’schen NRT), aber ein Verqueeren der Zukunft durch nanobotischen Sex (304f.). Das heißt, dass die Sexualität, die der evolutionären Entwicklung einer Menschen- oder Tiergattung dient, durch Nanotechnologie ersetzt wird. Vorteile der Nanobots können sein, dass vielfältige Geschlechter, die über das Zweigeschlechtersystem hinausgehen, bereits auf atomarer Ebene hergestellt werden. Das Risiko liegt aber genau an diesem Punkt, denn die Nanotechnologie könnte auch für das Gegenteil benützt werden, um das binäre Geschlechtersystem auf atomarem Niveau zu zementieren. Beide Technologien, sowohl NRT als auch Nanoengineering, besitzen queere Potenziale, die genützt werden sollten, wobei aber Ausschlüsse und das Ausnützen von prekären Situationen verhindert werden müssen. Nur dann kann eine Instrumentalisierung dieser technologischen Tools für Soziale Technik 3/2013 20 Literatur • Barad, K.: Agentieller Realismus. Berlin: Suhrkamp 2012. • Desai, K.: India’s surrogate mothers are risking their lives. http://www.guardian.co.uk/ commentisfree/2012/jun/05/india-surro gates-impoverished-die 5.6.2012 (14.4.2013). • Haraway, D.: A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-feminism in the Late Twentieth Century. In: Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature. New York, Abingdon: Routledge 1991, pp. 149-181. • Kalender, U.: Queere Potentiale? Zur Queernesss von Reproduktionstechnologien aus der Perspektive materialistischer Feminismen und kritischer Disability Studies. In: Feministische Studien 2/2012, S. 198-209. • König, C.: Queer becoming als techno-ontogenetisches Körperdenken. In: Feministische Studien 2/2012, S. 259-274. • Lykke, N.: Are Cyborgs queer? Biological determinism and feminist theory in the age of new reproductive technologies and reprogenetics. http://www.women.it/quarta/ workshops/epistemological4/ninalykke. htm 22.5.2007 (25.5.2011). • Parisi, L.: The Nanoengineering of Desire. In: N. Giffney, M. J. Hird (eds.): Queering the non/human. Aldershot, Burlington: Ashgate 2008, pp. 283-309. • Whittle, S.: Foreword. In: S. Stryker, St. Whittle (eds.): The Transgender Studies Reader. New York, London: Routledge 2006, pp. XI-XVI. 