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Figurationen des Porträts

2018

In diesem Beitrag, einem Glückswunsch zum Geburtstag meines lieben Kollegen und Freundes Professor Dietrich Boschung, möchte ich mich einem historischen Herrscher aus dem frühen Mesopotamien namens Mesannepada und der Abbildung auf seinem amtlichen Siegel, die ihm durch eine Inschrift Identität verleiht, widmen. Es handelt sich demzu folge um die älteste sicher belegte Herrscherdarstellung Mesopotamiens. König Mesannepada (im Amt 2563-2524 v. u. Z.) 1 übte die Oberherr schaft über die zwei Hauptstädte der frühdynastischen Länder von Sumer und Akkad, Kisch und Ur, aus. Schon sein Vater, König Meskalamdu, herrschte über diese beiden Machtzentren-und so auch über das ganze Gebiet der frühen keilschriftlichen Zivilisation Mesopotamiens. Der In schrift von Tummal zufolge, einem der Tempel der heiligen sumerischen Stadt von Nippur, baute dort Mesannepada die früher zerstörte Kultstätte wieder auf. 2 Ein tiefgreifender Wandel erfolgte aber erst mit unserem König in seiner (Residenz?)Stadt, dem sumerischen Ur. Genau mit ihm endete nämlich die vorher übliche Praxis von Beisetzungen der wichtigen Persönlichkeiten von Ur in Prunkgräbern mit großartiger Ausstattung von kostbaren Materialien-und sogar mit Menschenopfern 3. Eine sehr wichtige Quelle zu Mesannepadas Herrscherideologie stellt sein Siegel dar (Abb. 1a-d) 4. Er präsentiert sich dort als Sieger über tieri sche, und wahrscheinlich auch menschliche, Feinde; in heroischer Nacktheit verteidigt er einen Stier oder eine Kuh gegen einen furchterregenden Löwen, den er in der zweiten Szene mit einem Dolch angreift. Die identifizierende

THIERRY GREUB UND MARTIN ROUSSEL ( HRSG. ) FIGURATIONEN DES PORTRÄTS MORPHOMATA Mit dem Fokus auf Figurationen des Porträts wird ein Spannungsfeld kulturellen Wissens eröffnet, anhand dessen sich der historische Bezugsraum von Artefakten diskutieren lässt. Porträt meint also nicht (nur) die kunsthistorische Gattung, sondern ein Wahrnehmungs­ modell, das sich zwischen einmaliger Ausprägung und der Wiedererkennbarkeit der Form entfaltet. Die Studien zielen in einem Bogen vom frühesten (Herrscher­) Porträt aus dem Alten Mesopotamien bis in die Gegen­ wartskunst hinein auf historisch variable Formen, individuelles Leben als besonders darzustellen. Neben genuin bild­ und skulpturorientierten Beiträgen von antiken Centauren­Porträts und Statuenbasen im kaiserzeitlichen Sagalassos über die ›Antike der Foto­ grafie‹ bis hin zu Schwitters’ Merzbild 9b und Twomblys Selbstbildnissen behandeln textorientierte Beiträge Fragen der Lesbarkeit von Porträts, etwa in apokryphen Paulus­Texten, an der Schnittstelle von biographischem Porträt und byzantinischer Philosophie oder anhand von Poes Oval Portrait. Ein eigener Fokus gilt den kul­ turellen Praktiken der Bedeutungsstiftung, von Stalins Herrscherbildnissen bis hin zur anthropologischen Funktion beispielsweise von Masken. GREUB, ROUSSEL (HRSG.) – FIGURATIONEN DES PORTRÄTS MORPHOMATA HERAUSGEGEBEN VON GÜNTER BLAMBERGER UND DIETRICH BOSCHUNG BAND 35 HERAUSGEGEBEN VON THIERRY GREUB UND MARTIN ROUSSEL FIGURATIONEN DES PORTRÄTS WILHELM FINK unter dem Förderkennzeichen 01UK1505. Die Verantwortung für den Inhalt der Veröffentlichung liegt bei den Autoren. Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über www.dnb.d­nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2018 Wilhelm Fink Verlag, ein Imprint der Brill­Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.fink.de Gestaltung und Satz: Kathrin Roussel, Sichtvermerk Printed in Germany Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978 - 3 - 7705 - 6223 - 7 INHALT Vorwort 9 I. SKULPTUREN PETR CHAR VÁT Das früheste Herrscherporträt aus dem Alten Mesopotamien 17 AGNES THOMAS Sklavenporträts auf Grabreliefs am Ende der hellenistischen Zeit 37 CHRISTIANE VORSTER Woran erkennt man eine Ptolemäerin? Zu den Porträts Kleopatras I. in Dresden und Kopenhagen 67 FRANÇOIS QUEYREL Mithridate VI à Délos : charisme de l’image ? 99 ASUMAN LÄTZER-LASAR Köpfe und Porträts auf hellenistisch­römischer Keramik aus Ephesos 135 JÖRN LANG Bekannte Unbekannte. Bildniswiederholungen in der spätrepublikanischen Glyptik 163 BORIS BURANDT Neue Überlegungen zur Identifikation der zentralen Portraitbüste des Kavalleriehelmes aus Hallaton (UK) 189 SEMRA MÄGELE Unsichtbares sichtbar machen – Statuenbasen im urbanistischen Gefüge von Sagalassos 203 JEANETTE KOHL MARTIALI VERNA DULCISSIMO Children’s Busts, Family, and Memoria in Roman Antiquity and the Renaissance 241 II. BILDER H. ALAN SHAPIRO Portrait of a Centaur 279 PAOLO LIVERANI Il ritratto dipinto in età tardoantica 295 ADRIANA BONTEA Diderot et l’art du portrait 329 STEFFEN SIEGEL Die Antike der Fotografie. Ein Selbstporträt in drei Bildern (Daguerre, Talbot, Bayard) 347 GÜNTER BLAMBERGER Ichbild ohne Ich. Über Kurt Schwitters’ Merzbild 9b (1919) im Museum Ludwig 369 THIERRY GREUB Selbstentzug als Selbstvollzug: Cy Twomblys Selbstbildnisse 385 III. TEXTE JAN N. BREMMER The Portrait of the Apostle Paul in the Apocryphal Acts of Paul 415 MICHAEL SQUIRE A Portrait of the Ancient Artist? Self­Portraiture in Graeco­Roman Visual Culture 435 GEORGI KAPRIEV Ein literarisches Selbstporträt aus dem byzantinischen 13. Jahrhundert. Georgios von Zypern / Gregorios II. und seine »Autobiographie« 471 MARTIN ROUSSEL Figuration des Lebens und Zerstreuung des Bildes in Edgar Allan Poes The Oval Portrait 491 LUDWIG JÄGER Mythologische ›Portraits‹. Barthes’ ›Mythologien‹ und ihre semiologische Reflexion 517 IV. ANTHROPOLOGIE UND KULTUR ALAIN SCHNAPP Die Darstellung der Ruinen in der vorislamischen Welt bei ῾Adī Ibn Zayd: eine Landschaft mit bekannten Gesichtern 541 MARIAN H. FELDMAN By the Waters of Cologne: Cities and Identity, Past and Present 553 WOLFGANG BEILENHOFF Stalins Herrscherbildnis 569 JAN SÖFFNER Maske und Möglichkeit – Zwei Fallstudien zum Potential einer kulturellen Praxis 581 MARTIN SCHULZ Bild und Maske. Zur Anthropologie der Bildgesichter 611 LARISSA FÖRSTER The Long Way Home. Zur Biografie rückgeführter Objekte/Subjekte 637 Verzeichnis der Autoren 657 Tafeln 663 VORWORT Was macht ein Porträt charakteristisch? Und worin besteht die Charak­ teristik eines Porträts? Der Grundzug, der diese beiden Fragen verbin­ det, liest im Charakteristischen des Porträts die Momente einer figura etymologica heraus, nach der das Porträt ja nichts anderes meint als das Charakteristische, die Akzentuierung eines Charakterzuges Zug um Zug im Bild.1 Zweifellos erscheinen diese Grundzüge zunächst am Beispiel der Gattung Porträt und ihrer kunsthistorischen Erörterung eindringlich, doch kann man ausgehend von denjenigen Prozessen, in denen etwas als ›porträtiert‹ erscheint, die figurative Verdichtung, die mit dem Begriff Porträt verbunden ist, allenthalben am Werk finden. Entscheidend für das Porträt ist dann nicht die vorgegebene Entscheidung, dass ein Porträt die charakterisierende Darstellung einer Person im Bild sei, sondern die Frage nach der Eigenständigkeit des Porträthaften im Bild. Hierin liegen Momente einer Kritik an den mimetisch­abbildhaften Eigenschaften des Porträts – der Wiedererkennbarkeit eines Individuums im Bild –, die darauf beruht, dass jede Darstellung »aus sich selbst« darstellt, wie Jean­Luc Nancy in einer kleinen Schrift über das Porträt erhellt hat: »Aus sich als Anderem.«2 Die Darstellung des Porträts als Bild stellt also in der medialen Eigenständigkeit des Bildes – auch und gerade da, wo es ähnlich ist – diese mimetische Kritik fest. Das andere des Porträts gegenüber dem, für (pour) das seine Form da ist (tracé), wird im Brennpunkt der Figürlichkeit, die im Wortlaut der figura etymologica eigentlich nach dem Porträthaften des Porträts fragt, als figure und Figuration kenntlich. Eine Figuration in diesem Sinn nährt sich also von dem Verdacht einer Umkehr der Unterscheidung von Wesen und Veränderlichem, insofern erst die Zeit der Formwerdung, 1 »Die Vorsilbe por (ursprünglich pour) bezeichnet eine Verstärkung: der Cha­ rakterzug [trait] oder der Zug [tracé] wird betont, hervorgeholt, seine Intensität lässt die Zeichnung für das Gezeichnete stehen.« (Nancy 2015, 10). 2 Ebd., 33. 10 der mimetischen Klarzeichnung, überhaupt erst Form entdecken lässt. Zuletzt ist es die Bild gewordene Figuration, die im Porträt die oder den Porträtierte(n) gewissermaßen überlebt. Und dieses Wort, überleben, bezeichnet zunächst nur die Nachhaltigkeit, die Wiedererkennbarkeit derjenigen Form, die kraft ihrer mimetischen Schöpfung an die Stelle des Veränderlichen getreten ist. Jede Figuration (eingedenk der Tatsache, dass sie eben »[a]us sich als Anderem« schöpft) enthält also die Skizze eines Wissens, dem in den Spuren ihrer Form (als tracé, Trasse oder gebahnter Weg) die Kritik an der mimetischen Gültigkeit eingeschrieben bleibt. Im Italienischen ritratto, das »nicht nur dem französischen portrait« ent­ spricht, sondern »gleichzeitig den Rückzug, die Zurückgezogenheit, den Entzug [retrait]« bezeichnet,3 tritt dieser Charakterzug einer Figuration des Porträts übrigens noch deutlicher in die Semantik des Wortes hinein. Ausgehend von diesen systematischen Überlegungen zur Verortung des Porträts in einer Diskussion der Form der Bilder lässt sich der Titel dieses Bandes, Figurationen des Porträts, gleichfalls als eine, jedenfalls implizite, figura etymologica verstehen. Denn als Figuration bezeichnet, tritt an einem Porträt das hervor, was es – als Bedingung mimetischer Wirkmacht – (mit Nancy) in seiner ›Andersheit‹ erst als Porträt von etwas anderem erscheinen lässt. Umgekehrt verschiebt diese figura den Denkrahmen dessen, was wir als Porträt anerkennen. Denn in den Blick kommen nun Figurationen, denen wir generell porträthafte Qualitäten zusprechen können – und in dieser Zusprache die Frage nach Differen­ zen aufwerfen: zwischen verschiedenen Medien und Gattungen, Typen und Einzelfällen, den Leistungen eines Begriffs des Porträts für unser Verständnis kultureller Figurationen in der Genese ihrer mimetischen Wirksamkeit wie der Nachhaltigkeit, die vom Formbewusstsein einer Figuration ausgeht. Ganz generell kommen Strategien des Anähnelns in den Blick, mit denen Eigentümlichkeit festgestellt und Dauer eines einmal festgehaltenen Grundzugs behauptet werden kann. Was eine kul­ turwissenschaftliche Diskussion des Porträts eine Geschichte kultureller Figurationen lehren kann, ist diese strategische Relevanz einschließlich der Fragen ihrer mimetischen Problematisierung. 3 Ebd., 10. Vgl. ebd., 10 f. zur »im Porträt verdichtete[n] Logik der Mimesis«, die »zwischen den Extremen der reinen Präsenz (von der die Mimesis aufgehoben würde) und der Ähnlichkeit (in der sie die Abwesenheit des Modells oder sogar sein Verschwinden betont)« ein Set an Begriffen und Übersetzungsvarianten von pourtrait, über das ritratto bis hin zu figure und figura sowie (re)présentation situiert. VORWORT 11 Dabei steckt im Gedanken einer mimetischen Kritik, die der Figura­ tionsbegriff (wie auch der des Porträts) in sich austrägt, schon die Kritik eines systematischen Grundrisses. Der Band ist denn auch nicht an syste­ matischer Vollständigkeit (die auf dem Gebiet des Kulturellen ohnehin im Ganzen nicht zu haben wäre) interessiert, sondern an aufschlussreichen Querbezügen und Öffnungen des Bildfeldes auf die Funktion, die ein­ zelnen Figurationen im kulturellen Überlieferungsgeschehen zukommt. Eine vergleichbar aufschließende Bedeutung kommt im Übrigen auch der historischen Achse zu, die in grober Linie die Beiträge des Bandes ordnet: Was ist das früheste Porträt der Menschheitsgeschichte?, lässt sich zwar fragen, doch gibt der hierzu vorliegende Beitrag eine Antwort nur, indem er zugleich sein Quellenmaterial vor dem Hintergrund der systematischen Frage nach Signifkanz und verbunden mit der Frage nach dem Charakteristischen, Idiomatischen oder Singulären verbundenen Erkenntnisinteresse auswertet. Gleichwohl ergibt sich aus diesen beiden Komplexen, der systema­ tischen Relevanz des Figurationsbegriffs und einer historischen Zuord­ nung, die historisch-systematische Matrix dieses Bandes. Es zeigt sich so gewissermaßen die Nutzbarmachung der Prinzips pour trait als eine Funktion kulturellen Wissens bzw. der Tradierung und Fortschreibung all dessen, was porträtierbar sein kann. Figurationen des Porträts nimmt also kulturelle Figurationen als Porträts in den Blick, das heißt auch, um zu untersuchen, inwiefern es eine spezifische Qualität kulturellen Wissens ist, porträthaft zu sein. Dass bereits früheste zeichenhafte Überlieferungs­ träger porträthaftes Wissen zeigen, ist deshalb ebenso ein Indiz wie die Rede vom literarischen Porträt, die mehr als eine bloß metaphorische Entlehnung meint und auf die intrikate Beziehung von Text und Bild aufmerksam machen kann. Hierbei sind einige wenige figurative Prämissen mitzulesen: Porträt meint immer Figurationen des Porträts, das heißt Porträts in Hinsicht auf ihre Ausformung als eine Erscheinungsform kulturellen Wissens. Kultu­ relles Wissen, so wird vorausgesetzt, ist immer über einen zeitlichen Index und über die Eigenheiten medialer Prägung vermittelt. Zeitlicher Index: damit wird ›Form‹ in Abgrenzung vom aristotelischen Formbegriff (mit seinem Gegenpol Materie) als in sich zeitlicher Schwellenbegriff gefasst, der aus Vollzügen, Gestaltungsprozessen und kontingenten Faktoren heraus entsteht und in der Geschichte als Geschichte von Fortwirkungen selbst nicht einfach ›konstant‹ bleibt, sondern perspektivisch neu aus­ gehandelt werden kann. Mediale Prägung: damit unterliegt der Begriff der Figuration einer Kritik der Präsenz und berücksichtigt, dass Wissen 12 niemals ohne Medialisierung vorliegt, also den durchaus wechselnden Bedingungen medialer Aneignung, Vermittlung, Fortschreibung usw. unterliegt.4 Die Beiträge des Bandes gruppieren sich in vier Sektionen, die den visuellen Fokus der kunsthistorischen Gattung (II. Bilder) erweitern: hinsichtlich Fragen der Plastizität und Materialität (I. Skulpturen), metaphorischer Verwendungen des Porträtbegriffs und semiologischer Diskussion (III. Texte) sowie mit Bezug auf anthropologische und kulturelle Varianzen und Invarianzen (IV. Anthropologie und Kultur). Während Sektion I primär vorklassischen sowie antiken ›Skulpturen‹ gewidmet ist (vom frühesten mesopotamischen Herrscherporträt über die hellenistisch­römische Zeit bis hin zur Entstehung eines modernen Antikenverständnisses in der Renaissance), orientiert sich die ›Bilder‹­ Sektion überwiegend an der neuzeitlichen Gattung (von einer Diskussion des Ähnlichkeitsparadigmas bei Diderot bis hin zu den Techniken der Moderne – die frühe Fotografie von Daguerre, Talbot, Bayard oder die Collagen von Schwitters – und den Herausforderungen eines Spiels mit tradierten Formverständnissen bei Cy Twombly), nutzt aber auch Ver­ gleichsperspektiven zum antiken Porträt. In Sektion III ›Texte‹ stehen – mit der Leitfrage nach den Implikationen des Bildhaften für Schreib­ verfahren – frühe textuelle (Selbst-)Porträts (Apostel Paulus sowie die Frage nach Künstler­Porträts in der Antike) neben Fallbeispielen aus dem byzantinischen 13. Jahrhundert (mit der Frage nach dem Autobiographi­ schen), zu Edgar Allan Poes Oval Portrait (mit Fokus auf den Semantiken des Bildhaften im Text) und Roland Barthes’ mythologischen Porträts. Unter IV. ›Anthropologie und Kultur‹ stehen Vergleichshorizonte und Querbezüge im Vordergrund, von der präislamischen Welt zum Städte­ porträt in der Antike Vorderasiens bis hin zu Strategien des Porträts im Kontext von Herrscherkult (Stalin), mit Blick auf Gebrauchskontexte zwischen den Polen Partizipation (z. B. die Guy­Fawkes­Maske als Gebrauchsartikel) und Televisualität (Masken als Ausgangspunkt von Überlegungen zu einer transkulturellen/anthropologischen Bildgeschich­ te) sowie der politischen Bedeutung von human remains im Kontext von Rückführungsforderungen zwischen Namibia und Deutschland. 4 Mit dieser Orientierung an einer figurativen Kulturanalyse steht der Band im Kontext des Kölner Morphomata-Kollegs und seiner Arbeiten über »Ge­ nese, Dynamik und Medialität kultureller Figurationen«, insbesondere dem Forschungsschwerpunkt »Biographie und Porträt als Figurationen des Beson­ deren«. Vgl. Blamberger/Boschung 2011; Boschung 2017. V O R W O R T 13 Nicht auf die Begriffe ›Individuum‹, ›Leben‹, ›Besonderes‹ oder ›Dar­ stellung‹ kommt es dabei primär an, sondern auf die Verschiebungen, denen das Bildparadigma Porträt ausgesetzt ist, den metaphorischen Anverwandlungen etwa im ›literarischen Porträt‹, den je verschiedenen Ausleuchtungen dessen, was ein Porträt exemplarisch erscheinen lässt (oder diese Exemplarität mit der Singularität korrespondieren lässt, die das Lächeln beispielsweise der Mona Lisa zu bedeuten scheint), oder den Fragen, die sich an ein Porträt als Porträt stellen lassen: nach dem, was einmalig macht, und was Einmaligkeit bedeutet, wenn sie zitierbar, kopierbar und wiederholbar – Modell – werden kann. Die Figurationen des Porträts sind Dietrich Boschung gewidmet. Köln im Sommer 2017 Thierry Greub und Martin Roussel LITERATUR VER ZEICH N IS Blamberger/Boschung 2011 Blamberger, Günter und Boschung, Dietrich: Morphomata. Kulturelle Figurationen: Genese, Dynamik und Medialität. Paderborn 2011. Boschung 2017 Boschung, Dietrich: Werke und Wirkmacht. Morphomatische Reflexionen zu archäologischen Fallstudien. Paderborn 2017. Nancy 2015 Nancy, Jean­Luc: Das andere Porträt (Originaltitel: L’autre portrait). Aus dem Französischen von Thomas Laugstien. Zürich 2015. I. SKULPTUREN PETR C HAR VÁT DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN In diesem Beitrag, einem Glückswunsch zum Geburtstag meines lieben Kollegen und Freundes Professor Dietrich Boschung, möchte ich mich einem historischen Herrscher aus dem frühen Mesopotamien namens Mesannepada und der Abbildung auf seinem amtlichen Siegel, die ihm durch eine Inschrift Identität verleiht, widmen. Es handelt sich demzu­ folge um die älteste sicher belegte Herrscherdarstellung Mesopotamiens. König Mesannepada (im Amt 2563–2524 v. u. Z.)1 übte die Oberherr­ schaft über die zwei Hauptstädte der frühdynastischen Länder von Sumer und Akkad, Kisch und Ur, aus. Schon sein Vater, König Meskalamdu, herrschte über diese beiden Machtzentren – und so auch über das ganze Gebiet der frühen keilschriftlichen Zivilisation Mesopotamiens. Der In­ schrift von Tummal zufolge, einem der Tempel der heiligen sumerischen Stadt von Nippur, baute dort Mesannepada die früher zerstörte Kultstätte wieder auf.2 Ein tiefgreifender Wandel erfolgte aber erst mit unserem König in seiner (Residenz?)Stadt, dem sumerischen Ur. Genau mit ihm endete nämlich die vorher übliche Praxis von Beisetzungen der wichtigen Persönlichkeiten von Ur in Prunkgräbern mit großartiger Ausstattung von kostbaren Materialien – und sogar mit Menschenopfern3. Eine sehr wichtige Quelle zu Mesannepadas Herrscherideologie stellt sein Siegel dar (Abb. 1a–d)4. Er präsentiert sich dort als Sieger über tieri­ sche, und wahrscheinlich auch menschliche, Feinde; in heroischer Nacktheit verteidigt er einen Stier oder eine Kuh gegen einen furchterregenden Löwen, den er in der zweiten Szene mit einem Dolch angreift. Die identifizierende 1 2 3 4 Siehe Frayne 2008, 391–394. Ebd., E1.7.22, S. 55. Dazu zuletzt Baadsgaard und Zettler 2014. Siehe Legrain 1936, Nr. 518; Frayne 2008, 392, Nr. 2. 18 1a Siegelabdruck, König Mesannepada von Ur (2563–2524 v. u. Z.) (Legrain 1936 Nr. 518) 1b –d Siegelabdruck, König Mesannepada von Ur (2563–2524 v. u. Z.). University Museum of Archaeology and Anthropology, University of Pennsylvania, Philadelphia, sign. UM 31­16­677 CHARVÁT: DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN 19 Siegelinschrift gibt ihm den Amtstitel »König von Kisch«5 und »Gemahl der Unantastbaren« (d. h. Inanna, die sumerische Liebesgöttin, oder ihrer irdi­ schen Stellvertreterin, einer »nugig­Priesterin«6 ). So wird die duale Natur des Königstitels Mesannepadas klar erkennbar. Als König von Kisch bekleidete er ein grundsätzlich säkulares Amt; als Herrscher von Ur stieg er aber zu der Würde des Ehegatten der Liebesgöttin auf, und aus dieser Sicht können wir seine Herrschaft als sakral verstehen. Eine solche Konstellation ereignete sich mit Mesannepada zum ersten Mal in der Geschichte von Sumer. Ansonsten zeichnet sich seine Abbildung durch gänzlich formale, stilisierte Merkmale aus; wenn die Inschrift nicht wäre, konnten wir Mesannepada lediglich als traditionelle Abbildung eines ›nackten Helden‹ deuten. Es könnte aber von Interesse sein, sich etwas eingehender dem Abbil­ dungsmodus des Antlitzes Mesannepadas zu widmen. Die En-face­Dar­ stellung des menschlichen Gesichts hat nämlich im alten Mesopotamien seine eigene Geschichte und Deutung. Der bisher erste Beleg einer En-face-Wiedergabe findet sich unter den Siegelabdrücken aus den prähistorischen Schichten von Susa im süd­ westlichen Iran. Dort entdeckte man unter Materialien der Stufe Susa I (= neuestens Susa, Acropole I, Schichten 27–21)7 aus der ersten Hälfte des 4. Jahrtausends einen Abdruck mit einer kreuzförmigen Figur, dessen vier Schultern in menschlichen Gesichtern in En-face­Darstellung enden (Abb. 2)8. Die ganze Konfiguration trägt wahrscheinlich eine symbolische Bedeutung – eine Abbildung der ›vier Weltteile‹? 9 Eine besondere Darstellung bietet uns ein Siegelabdruck aus Susa aus der Zeit der späten Stufe der Uruk­Kultur (ungefähr 3500–3200 v. u. Z.). Die Mitte der Abbildung zeigt eine menschlichen Gestalt, die auf einer Leiter zu den höchsten Partien eines Speicherkomplexes hinaufsteigt. An der Seite dieser Abbildung sehen wir eine andere, sitzende Menschengestalt in über­ menschlicher Größe, deren Antlitz sich dem Beobachter in einer En-face­ Darstellung zuwendet (Abb. 3)10. In diesem Falle kann man diese Figur als Abbildung eines übermenschlichen Wesens – eines mythischen Hüters oder Wächters der Üppigkeit und Fülle des Speicherkomplexes – deuten. 5 Zum frühen Königtum von Kisch siehe Selz 1998, 313; Sommerfeld 2004; Czichon 2006; Steinkeller 2013. 6 Frayne 2008, S. 392 Nr. 2; siehe dazu Zgoll 2006, 113. 7 Dazu Dahl­Petrie­Potts 2013, im allgemeinen Butterlin 2003. 8 Amiet 1972, Nr. 218. 9 Charvát 2005, 115–116. 10 Amiet 1972, Nr. 930. 20 2 Siegelabdruck, Susa I (Iran), vor 3500 v. u. Z. (Amiet 1972, Nr. 218) 3 Siegelabdruck, Susa (Iran), Spätphase der Uruk­Kultur (3500–3200 v. u. Z.) (Amiet 1972, Nr. 930) 4 Siegelabdruck, Susa (Iran), Spätphase der Uruk­Kultur (3500–3200 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 585) Weitere Möglichkeiten solcher Darstellungen liefern andere gleichzeitige Siegelabdrücke von Susa (Abb. 4)11. Hier ist wiederum ein mythisches We­ sen dargestellt. Auf seinem menschlichen Körper trägt es einen Stierkopf, der sich dem Beobachter erneut in einer En-face­Perspektive zeigt. Auch 11 Amiet 1972, Nrn. 1013, 1017; Amiet 1980, Nrn. 581, 585 und 586. CHARVÁT: DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN 21 hier haben wir nicht einen gewöhnlichen Menschen vor uns, sondern ein Fabelwesen, eine Mischung aus menschlichen und animalischen Elementen. Ähnliche Elemente zeigt frühes sumerisches Material aus Südme­ sopotamien. Aus der Spätphase der Uruk­Kultur (ungefähr 3500–3200 v. u. Z.) stammt ein Siegelabdruck aus der Stadt Uruk mit der Abbildung eines frontal gezeigten, hockenden Dämons mit Tieren. Der Charakter des Dämons ist nicht ganz klar: sein (oder ihr) Kopf nimmt eine zweilap­ penartige Form mit großen Augen an. Man sieht keine Brüste, und sein oder ihr Geschlecht ist auch nicht klar erkennbar.12 Das Wesen konnte man in Verbindung bringen mit ähnlichen zeitgenössischen ›Ikonen‹ dieser Art, wo es, wie es scheint, dem weiblichen Geschlecht angehört (Abb. 5)13. Auf einer archaischen Tontafel desselben Alters und Fundorts sehen wir dann zwei en face ausgeführte Dämonen, die ihre Hände zu einem Capriden und einem Löwen, bzw. einem Capriden und einem Equiden, erheben. Die Tiere stehen über zwei entgegengesetzt ausge­ richteten, verflochtenen Schlangen (Abb. 6)14 . Eine andere Abbildung 5 Siegelabdruck, Uruk (Irak), Spätphase der Uruk­Kultur (3500–3200 v. u. Z.) (Rova 1994, Taf. 17, Nr. 305) 6 Siegelabdruck, Uruk (Irak), Spätphase der Uruk­Kultur (3500–3200 v. u. Z.) (Rova 1994, Taf. 47, Nr. 728) 12 Boehmer 1999, 75–76, Abb. 65 und 66; Pittman 2001, 436, Fig. 11.25: d. 13 Rova 1994, Taf. 17, Nrn. 305, 306 und 307. 14 Ebd., Taf. 47, Nr. 728; Boehmer 1999, 54, Abb. 65. 22 zeigt dieses Wesen, zusammen mit den Tieren, im oberen Teil eines Petschaftes, dessen unteres Teil eine Szene mit besiegten Kriegsgefan­ genen vorführt (Abb. 7)15. Führte man unter dem Zeichen dieses Wesens siegreiche Kriege? Ein Siegel aus der Späturuk­ bis Djemdet Nasr­Phase (ca. 3200–3000 v. u. Z.) zeigt eine Reihe überkreuz stehender mythischer Wesen in Gestalt von geflügelten Vierfüßlern mit menschlichen Köpfen und langen Ohren, deren Gesichter en face abgebildet sind (Abb. 8)16. Das Motiv taucht auch am Fundorte der Spät­Uruk­Kultur außer­ halb Mesopotamien auf. Im nordsyrischen Tell Brak (Schicht TW 12, Späturuk-Grube) erscheint es in der Form einer Reihe von eulenköpfigen und geschwänzten menschähnlichen Mischwesen, die sich abwechselnd mit Löwenstieren abgebildet finden (Abb. 9)17. Dazu kommt eine Parallele aus dem syrischen Fundort von Habuba Kabira, die aber nicht aus Men­ schenbildern, sondern aus Vögeln mit langen, ineinander geflochtenen Hälsen und Eulenköpfen besteht.18 Aus dem Milieu der archaischen Siegelungen und Texte von Ur (erste frühdynastische Zeitperiode, ca. 3000–2700 v. u. Z.) stammt ein weiterer, einzigartiger Beleg. Eine der Versiegelungen aus den Aushubschichten der administrativen Materialien des archaischen Ur (SIS 4–5) trägt über dem Rollsiegelabdruck Markierung durch ein anderes Petschaft in der Form eines menschlichen Gesichts, das en face abgebildet ist (Abb. 10)19. In diesem Falle ist es besonders schwierig, eine genauere Deutung zu treffen. In Ur erscheint auch das frontalgezeigte Wesen mit weit abgewin­ kelten Beinen der Späturuk­Kultur, hier dreht er (sie?) seinen (ihren?) vogelartigen Kopf um zu einer Profil-Abbildung (Abb. 11)20. In diesem zeitlichen und räumlichen Kontext werden die Belege für unsere Abbildungsweise zahlreicher. Das archaische Ur bietet uns die in Fara/Šuruppak (siehe unten) offensichtlich sehr populäre En-face­ Komposition eines Zweikampfs (Abb. 12)21. In einem anderen Fall sehen wir einen frontal gesehenen, nackten Mann bei der Darbringung der 15 Rova 1994, Taf. 45, Nr. 761. 16 Amiet 1980, Nr. 425, S. 301 Taf. 26. 17 Boehmer 1999, 145 Abb. 129e; Pittman 2001, 439 Taf. 11.28: a; Oates 2002, 115, Taf. 4. 18 Boehmer 1999, 145 Abb. 129 f. 19 Legrain 1936, Nr. 426 = Amiet 1980, Nr. 716. 20 Legrain 1936, Nrn. 42, 268, 269, 270. 21 Ebd., Nr. 294 = Amiet 1980, Nr. 806. CHARVÁT: DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN 23 7 Siegelabdruck, Uruk (Irak), Spätphase der Uruk­Kultur (3500–3200 v. u. Z.) (Rova 1994, Taf. 45, Nr. 761) 8 Siegelabdruck, Privatsammlung, Spätphase der Uruk­ oder Jemdet­Nasr­Kultur (3300–3000 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 425) 9 Siegelabdruck, Tell Brak (Syrien), Spätphase der Uruk­Kultur (3500–3200 v. u. Z.) (Oates 2002, 115, Fig. 4) 10 Siegelabdruck, Ur (Irak), Frühdynastisch I (3000–2700 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 716) 24 11 Siegelabdruck, Ur (Irak), Frühdynastisch I (3000–2700 v. u. Z.) (Legrain 1936, Nr. 270) 12 Siegelabdruck, Ur (Irak), Frühdynastisch I (3000–2700 v. u. Z.) (Legrain 1936, Nr. 294) 13 Siegelabdruck, Ur (Irak), Frühdynastisch I (3000–2700 v. u. Z.) (Legrain 1936, Nr. 296) CHARVÁT: DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN 25 Opfer; hierin könnte man eine durch Respekt vor den Göttern inspirierte Darstellung des ›nackten Helden‹ vermuten (Abb. 13)22. Nicht ganz klar ist das Bild einer en face gezeigten Frau, die, auf dem Dach einer an­ spruchsvollen Architektur (Tempel?) stehend, sich das Haar mit beiden Händen löst (Abb. 14)23. Offensichtlich geht es hier um den Ausdruck einer starken Emotion – Liebe oder Leid. Da sich am Dach des Tempels auch erotische Szenen abspielten,24 könnte das gelöste Haar als erotische Einladung wirken, aber es lohnt sich hier, vorsichtig zu bleiben. 14 Siegelabdruck, Ur (Irak), Frühdynastisch I (3000–2700 v. u. Z.) (Legrain 1936, Nr. 388) 15 Siegelabdruck, Fara/Šuruppak (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 819) 22 Legrain 1936, Nr. 296 = Amiet 1980, Nr. 807. 23 Legrain 1936, Nr. 388. 24 Ebd., Nr. 385. 26 Verwandte Stücke stammen aus anderen zeitgenössischen Fundorten des frühen Mesopotamiens, vor allem aus der nördlich von Ur gelegenen Fundstelle Fara/Šuruppak (vgl. Abb. 29)25. Die dortigen frühdynastisch­I­ datierten Schichten lieferten u. a. einen Siegelabdruck mit der Abbildung eines zentralen Tors oder einer Pforte, aus welcher Kühe oder Kälber her­ ausgehen. Das Tor überwacht ein en face abgebildetes Wesen mit mensch­ lichem Leib und Stierkopf (Abb. 15)26. Es stellt vielleicht die Figur eines Fruchtbarkeitsdämons dar. Eine ähnliche Gestalt sehen wir auf einem lokalen frühdynastisch­II­datierten Siegel (ca. 2700–2500 v. u. Z.), wo aber der stier­ köpfige Dämon zwei Löwen bezwingt (Abb. 16)27, wie auch auf einem anderen zeitgenössischen Siegel aus Fara/Šuruppak (Abb. 17)28. Diese letzte ›Ikone‹ liefert eine nahezu perfekte Analogie zu der Abbildung Mesannepadas (vgl. Abb. 1a–d): dem zentralgestellten Stiermenschen helfen zwei ›Mitbrüder‹, da jeder von seiner Seite her mit Dolchen besiegte Löwen angreifen. 16 Siegelabdruck, Fara/Šuruppak (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 855) 17 Siegelabdruck, Fara/Šuruppak (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 865) 25 26 27 28 Karte in Benati 2015, 2, Fig. 1. Martin 1988, Nr. 111, 234, Nr. 111 = Amiet 1980, Nr. 819. Martin 1988, 73, 248 Nr. 239 = Amiet 1980, 855. Martin 1988, 73, 249 Nr. 250 = Amiet 1980, Nr. 865. CHARVÁT: DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN 27 18 Siegelabdruck, Fara/Šuruppak (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 894) 19 Siegelabdruck, Fara/Šuruppak (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 896) Aus Fara/Šuruppak stammen noch andere derartige Abbildungen aus der frühen Frühdynastisch­II­Zeit im sogenannten ›Elegant Style‹ (Abb. 18)29.30 In Gesellschaft mit dem Stiermenschen erscheint hier ein frontal gestellter, nackter Held als Jäger, ein Tier mit langen Ohren oder Hörnern haltend (Abb. 19)31. Dieselbe Frühdynastisch­II­Zeit hin­ terließ uns eine Komposition mit zwei überkreuzten, en face gezeigten Mischwesen (Stiermenschen?).32 Ein anderes Bild, eine Kombination von frontalgestelltem Mischwesen (Stiermensch?) und zwei miteinander ver­ flochtenen Schlangen33, zitiert sogar die alte späturukzeitliche ›Ikone‹ mit frontalstehenden Dämonen und verflochtenen Schlangen (vgl. Abb. 6)34. 29 Martin 1988, 73; siehe ebd., 249 Nr. 255 = Amiet 1980, 894. 30 Martin 1988, 252, Nrn. 261 = Amiet 1980, Nr. 884; 262 = Amiet 1980, Nr. 880; 264 = Amiet 1980, 879; 268; Martin 1988, 253 Nrn. 272, 274 = Amiet 1980, Nr. 897; 276 = Amiet 1980, Pl. 72 bis: F. 31 Martin 1988, 252 Nr. 260 = Amiet 1980, Nr. 896. 32 Martin 1988, 256 Nr. 308. 33 Ebd., 259 Nr. 353. 34 Rova 1994, Taf. 47, Nr. 728; Boehmer 1999, 54, Abb. 65. 28 20 Siegelabdruck, Fara/Šuruppak (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 950) 21 Siegelabdruck, Fara/Šuruppak (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Taf. 72 bis: G) Aus der Domäne des späteren, noch frühdynastisch­II­zeitlichen ›Crossed Style‹ von Fara/Šuruppak35 kennen wir weitere Beispiele der frontalgesehenen Stiermenschen36. Dazu tritt die Abbildung eines frontal gesehenen Menschen mit einer besonderen, gezähnten Krone(?) mit einer Löwengruppe auf einer Seite und einem gehörnten Tier auf der anderen (Abb. 20)37. Dieser gekrönte Held findet Verwandte in anderen zeitgenös­ sischen Beispielen38. Beide Figuren – der Stiermensch und der gekrönte Held – können auf ein und demselben Siegel auftauchen (Abb. 21)39. 35 Martin 1988, 74–75. 36 Ebd., 263 Nr. 393. 37 Ebd., 260 Nr. 365 = Amiet 1980, Nr. 950. 38 Martin 1988, 262, Nrn. 381; 382 = Amiet 1980, Nr. 939; 386 = Amiet 1980, Nr. 913; 389; Martin 1988, 263 Nr. 390 = Amiet 1980, Pl. 72 bis E; Martin 1988, 264 Nr. 408. 39 Martin 1988, 263 Nr. 391 = Amiet 1980, Pl. 72 bis G. CHARVÁT: DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN 29 Eine ganz besondere Abbildung dieser Art hat der Schara­Tempel aus Tell Ağrab in Mesopotamien vorzuweisen. Sie stammt aus der zweiten frühdynastischen Zeitperiode (ca. 2700–2600 v. u. Z.). Dort sehen wir auf einem Siegel einen Tempelbau, über welchem sich breitgespannte ›Bogen‹ ausbreiten. In den oberen Zwickeln dieser Bogen wiederholt sich ein mo­ numentales menschliches Gesicht in der En-face­Darstellung zwischen Rosettenpaaren (Abb. 22)40. In der altmesopotamischer Symbolik galt die Rosette als ein »very powerful symbol of life«41. Hier handelt es mit aller Wahrscheinlichkeit um ein übermenschliches Wesen – vielleicht schon eine Gottheit. Sonst tauchen hier (im Schara­Tempel) auch Abbildungen von Stiermensch­Mischwesen, en face gezeigt, und oft im Zweikampf mit wilden Tieren, auf (Abb. 23)42. Solche ›Ikonen‹ findet man danach ziem­ lich oft im sogenannten Fara­Stil aus der Übergangsperiode zwischen der zweiten und dritten frühdynastischen Zeitperiode, ungefähr um 2600–2500 v. u. Z.43 22 Siegelabdruck, Schara-Tempel, Tell Ağrab (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 681) 23 Siegelabdruck, Schara-Tempel, Tell Ağrab (Irak), Frühdynastisch II (2700–2600 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 820) 40 Amiet 1980, Nr. 681; Rova 1994, Tav. 58, Nr. 955. 41 Selz 2004, 201. 42 Amiet 1980, Nr. 820. 43 Siehe oben; sowie Amiet 1980, Nr. 861 u. w. bis zu Nr. 964, siehe dazu auch Costello 2010. 30 Als zeitgenössisches Beispiel der Kunst aus der Zeit von Mesannepada kann ein weiterer Siegelabdruck (Abb. 24)44 gelten. Eine Kampfszene zwischen einem in Profil gezeigten Mann und Stier begleitet hier eine frontal gesehene Maske mit einem von Haaren gerahmten menschlichen Gesicht. Auch das Siegel der Nin­banda3 (NIN TUR NIN) aus derselben stratigraphischen Lage wie das Mesannepada­Siegel zeigt einen frontal 24 Siegelabdruck, Ur (Irak), Frühdynastisch IIIa–IIIb (2600–2400 v. u. Z.) (Legrain 1936, Nr. 499) 25 Siegelabdruck, Ur (Irak), Frühdynastisch IIIa–IIIb (2600–2400 v. u. Z.) (Legrain 1936, Nr. 516) 44 Legrain 1936, Nr. 499. CHARVÁT: DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN 31 26 Siegelabdruck, Ur (Irak), Frühdynastisch IIIa–IIIb (2600–2400 v. u. Z.) (Legrain 1936, Nr. 546) stehenden, nackten männlichen Held (Abb. 25)45, wie auch ein anderes Beispiel aus dem ›Room SW. 2‹, dem ›Archaic I‹­Bau (Abb. 26)46. Diese Bauphase der Zikkurate von Ur wird jetzt »between the end of the ED IIIa and the first half of the ED IIIb«47 datiert, d. h. genau in die Re­ gierungsperiode Mesannepadas. Auch aus dieser Fundstelle kennen wir verwandte Abbildungen48. Eine jüngere Analogie aus Mari (dritte frühdynastische Zeitperiode) zeigt auf einem Siegelabdruck eine übergroße menschliche Maske in der Mitte eines Frieses mit Zweikampf­Darstellungen und zwischen zwei Randborten mit menschlichen und tierischen Masken (Abb. 27)49. Leider wissen wir hier nicht, wem dieses eindrucksvolle Antlitz gehört – einem Menschen oder einer Gottheit? Ein gutes Beispiel für die Wertschätzung der En-face­Abbildung in den Augen von Trägern der altmesopotamischen Kultur stellt ein späterer Gegenstand – wahrscheinlich eine Gussform aus Kalkstein – mit einer triumphalen Szene mit der Darstellung von Naramsin, König von Akkad (2254–2218) vor der Göttin Ištar 50 dar. Hier sitzt die frontal gezeigte Göttin neben Naramsin, der, genauso wie die vier besiegten Häuptlinge oder Könige, im Profil abgebildet ist (Abb. 28)51. 45 46 47 48 49 50 51 Legrain 1936, Nr. 516. Ebd., Nr. 546. Benati 2013, 210. Ebd., 204, Kat.­Nr. 12. Amiet 1980, Nr. 964. Hansen 2002. Ebd., 93, Fig. 3. 32 27 Siegelabdruck, Mari (Syrien), Frühdynastisch IIIb (ca. 2500–2400 v. u. Z.) (Amiet 1980, Nr. 964) 28 Kalkstein­Relief, König Naramsin von Akkad (2254–2218 v. u. Z.) (Hansen 2002, 93, Abb. 3) CHARVÁT: DAS FRÜHESTE HERRSCHERPORTRÄT AUS DEM ALTEN MESOPOTAMIEN 33 Eine mögliche Parallele zu unseren Bildern zeigen die meist späteren ›Ikonen‹ von ›Dreikämpfen‹ zwischen zwei menschlichen Protagonisten, die in ihrer Mitte einen dritten, vermutlich übermenschlichen Gegner (›Riesen‹) besiegen.52 Dort ist die zentrale Gestalt immer in En-face­ Stellung. Dabei spricht man sofort gern von dem Kampf zwischen Gilgameš und dem Bergriesen Humbaba, was aber bisher nicht durch Schriftquellen bestätigt ist. Es ist interessant zu beobachten, wie das frontale Antlitz von König Mesannepada von Ur, dem ersten identifizierbaren Herrscherporträt im alten Mesopotamien, seinen eigenen Informationswert besitzt. Es weist auf frühere Darstellungen (abstrakte Begriffe, Gottheiten, Schutzdämo­ nen?) von übermenschlichen Wesen (Mischwesen) der altmesopota­ mischen mythologischen Welt hin, dessen frontal gesehene Gesichter offensichtlich eine übernatürliche Wirkung ausstrahlten. Auch auf diese Weise wollte der sumerische Künstler die außerordentliche soziale Posi­ tion seines Herrschers betonen. DANK Für die Unterstützung meiner Forschungstätigkeit, dessen Ergebnis dieser Text ist, bin ich mehreren Förderungsinstitutionen aus tiefem Herzen dankbar. Während des akademischen Jahres 2003–2004 weilte ich im University Museum of Archaeology and Anthropology (Uni­ versity of Pennsylvania), Philadelphia, U. S. A., wo mir ein Fellowship von der Prager Dienststelle der John William Fulbright Foundation half (grant No. 2003­28­02, Fulbright No. ME659). Im Jahre 2005 bekam ich freundlicherweise ein Franklin Grant von der American Philosophical Society zuerkannt (grant No. Franklin 2005) und auch die Mithilfe durch ein Forschungsprojekt der Grant­Agentur der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik (grant No. A8021401). Ein internationales Forschungsprojekt, durch die Grant­ Agentur der Tschechischen Republik und die Deutsche Forschungs­ gemeinschaft gefördert (Nr. GA TschCR 404/08/J013), erlaubte mir, meine Forschungen weiter zu entwickeln. Ich bin meinen Kolle­ ginnen und Kollegen Holly Pittman (Curator of the Near Eastern 52 Collon 2002. 34 Section des University Museum of Archaeology and Anthropology), Richard Zettler und Shannon White aus der Near Eastern Section desselben University Museum of Archaeology and Anthropolog für liebenswürdige Beihilfe und freundliche Unterstützung sehr dankbar. Dieser Beitrag hätte jedoch nicht geschrieben werden können ohne die großzügige Unterstützung und Hilfe des Internationalen Kolleg MORPHOMATA der Universität Köln, wo ich im akademischen Jahre 2011–2012 als Fellow des MORPHOMATA­Kollegs weilte. BILDREC HTE 1–4 Archiv des Autors. 5–7 Aus: Rova 1994, Taf. 17, Nr. 305, Taf. 47, Nr. 728, Taf. 45, Nr. 761. 8, 10, 15–23 Amiet 1980, Nr. 425, Nr. 716, Nr. 819, Nr. 855, Nr. 865, Nr. 894, Nr. 896, Nr. 950, Taf. 72 bis: G, Nr. 681, Nr. 820. 9 Oates 2002, 115, Fig. 4. 11–14, 27 Legrain 1936, Nr. 270, Nr. 294, Nr. 296, Nr. 388, Nr. 499, Nr. 516, Nr. 546, Nr. 964. 28 Hansen 2002, 93, Abb. 3; Benati 2015, S. 2, Abb. 1. LITERATUR VERZEICH NIS Amiet, Pierre (1972) Glyptique susienne, des origines à l’époque des Perses Achéménides, Paris: Geuthner. Amiet, Pierre (1980) La glyptique mésopotamienne archaique, 2. Auflage, Paris: Editions du Centre national de la recherche scientifique. Baadsgaard Aubrey, Zettler Richard L. 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Chr. verdrängt auf manchen delischen Grabstelen eine veristische, in manchen Zügen porträthafte Darstellung die in Griechenland sonst übliche idealisierte Wiedergabe der Verstorbe­ nen.1 Dieses Phänomen kann vermutlich als Zeugnis italisch­römischer Einflüsse auf Delos in dieser Zeit gewertet werden.2 Damit unterscheiden sich die Reliefs nicht nur von der übrigen deli­ schen Sepulkralkunst späthellenistischer Zeit, sondern auch ganz generell von Bilddenkmälern anderer Regionen im östlichen Mittelmeerraum, in denen trotz der politischen Veränderungen durch das römische Reich, in Teilen bereits seit dem 3. und 2. Jh. v. Chr., noch bis etwa 30 v. Chr. hellenistische Bildtraditionen dominieren.3 Vor dem Hintergrund eines durch Reisende und Händler geprägten und kulturell stark gemischten Publikums auf Delos4 wäre eine weitergehende Frage also möglicherweise auch diejenige nach der Rolle der delischen Sepulkralkunst in der Ver­ breitung italischer Bildtraditionen im zunächst hellenistisch geprägten Kulturraum. Im vorliegenden Beitrag soll dieser Frage jedoch nicht nachgegangen werden, sondern die eingangs genannte Gruppe von Grab­ steinen in einem anderen Zusammenhang näher betrachtet werden. Denn sie stammen aus einer Zeit, in der eine ganze Reihe von delischen Reliefs anhand ihrer Inschriften auf ungewöhnlich präzise Art als Sklavenstelen 1 Ich danke T. Schoberth für Anregungen zum Text. 2 Nach Marie­Thérèse Couilloud zählen dazu folgende Grabstelen, die weiter unten genauer betrachtet werden sollen: Couilloud 1974, 250 Kat. 70. 106. 118. 144 Taf. 15. 25. 27. 34. 80. Vgl. Marcadé 1969, 308–317. 493 f. zum italischen Einfluss. 3 Vgl. etwa die Reliefs Couilloud 1974, Kat. 147. 148 Taf. 35 (Anfang 1. Jh. v. Chr.) und allgemein die Skizzierung bei Hölscher 2002, 37–39. 4 Couilloud 1974, 250. 38 benannt werden können, d. h. als Grabsteine, die für verstorbene Sklaven oder Sklavinnen aufgestellt wurden und die sich dadurch grundlegend von der restlichen Überlieferung von Grabreliefs unterscheiden, die in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle freien Bürgern oder anderen, nicht­einheimischen Angehörigen der freien Bevölkerung gewidmet wa­ ren. Die Bezeichnung als Stelen für Unfreie erfolgt auf Delos dabei auf der Grundlage prosopographischer Zusammenhänge, durch die sich die in den Inschriften genannten Namen genauer einordnen lassen.5 Unter den oben genannten Reliefs, die eine Darstellung mit porträthaften Ge­ sichtszügen aufweisen, befindet sich auch ein solcher Sklavengrabstein (Abb. 1).6 Im folgenden soll für diesen eine erste Einordnung innerhalb der Bildtradition der Grabreliefs für Sklaven im antiken griechischen Kulturraum vorgenommen werden, um so dem Verständnis dieses an sich ungewöhnlichen Phänomens ein Stück näherzukommen. Auf dem Relief, das um 100 v. Chr. datiert, werden die Verstorbenen, Dia Stlaccia (Δία Σλακία) und Diodoros Stlaccius (Διόδωρος Σλάκις) als Ehepaar wiedergegeben. Aufgrund ihres Sklavenstatus, der sich an­ hand der Inschrift nachweisen lässt,7 ist jedoch davon auszugehen, dass die Beziehung von Frau und Mann hier nicht den offiziellen Charakter einer Ehe hatte, sondern vielmehr eine seitens des Besitzers geduldete Verbindung war.8 Die Frau ist im linken Teil des Bildes auf einem Stuhl sitzend wiedergegeben, der Mann frontal stehend, wobei er sich mit dem Oberkörper leicht zur Frau hinwendet. Beide Figuren sind im Handschlag (dexiosis) verbunden und tragen bürgerliche Kleidung. Die Frau ist mit Chiton und Himation bekleidet und folgt damit der klassisch­hellenis­ tischen Bildtradition der freien Bürgersfrau.9 Nach der seit klassischer 5 S. Couilloud 1974, 332–335 mit einer umfassenden Bestimmung delischer Sklaven­ und Freigelassenenstelen nach epigraphischen Anhaltspunkten, ausgehend von einer ebenfalls ursprünglich aus dem italischen Bereich stam­ menden charakteristischen Namensgebung für Freigelassene und Sklaven. 6 Couilloud 1974, 88 f. 334 Kat. 70 Taf. 15. Datierung nach Couilloud 1974, 250: 1. Drittel des 1. Jhs. v. Chr. Vgl. Schmidt 1991, 36. 70 f. 83 Abb. 54 Tabelle I: 110–90 v. Chr. 7 Zu Inschrift und Sklavenstatus s. Couilloud 1974, 89. 334. 8 Zu solchen eheähnlichen Verbindungen unter Unfreien in griechischer und römischer Zeit vgl. Klees 1998, 155 f. 9 Es lassen sich hier zahllose Belege anführen. Vgl. etwa die attischen Grabmale CAT, Kat. 2.150 (Grabnaiskos, 420–400 v. Chr.). Kat. 3.459a (Grabnaiskos, 2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.) und aus hellenistischer Zeit z. B. ein smyrnäisches Relief Pfuhl/Möbius 1977, Kat. 990 Taf. 149; Schmidt 1991, Tabelle II (110–90 v. Chr.). T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 39 1 Stele der Dia Stlaccia und des Diodoros Stlaccius, 1. Jh. v. Chr. Korfu, Archäologisches Museum Inv. 195 40 Zeit bekannten Ikonographie der verheirateten Frau hat sie den Mantel über den Hinterkopf gezogen.10 Der Mann trägt ebenfalls einen Mantel und darunter ein Untergewand.11 Durch die Angabe eines Untergewands unterscheidet sich diese Figur von der ikonographischen Tradition der früheren griechischen Grabkunst bis in hochhellenistische Zeit, die den männlichen freien Bürger, sofern er nicht als Krieger oder Jäger darge­ stellt wird, vor allem mit dem Himation, das den Oberkörper freilässt, und ohne Untergewand zeigt. Gemeinsam ist der Figur des Mannes auf dem delischen Relief mit ihren früheren Vorläufern jedoch der Mantel an sich, der gewöhnlich als Anzeiger des Bürgerstatus gilt.12 Nach Marie­Thérèse Couilloud ist die Gestaltung des Gesichts der sitzenden weiblichen Figur als ›tatsächliches‹ Porträt aufzufassen.13 Dies trifft besonders auf die charakteristische Nasen­ und möglicherweise auch Stirnpartie zu. Das Gesicht des Mannes ist nicht erhalten. Außer den beiden Hauptfiguren ist am rechten Bildrand als Begleiter des Stehenden ein Diener angegeben, wie dies auf Bürgerstelen seit klas­ sischer Zeit häufig vorkommt und womit in erster Linie der Status der Verstorbenen als freigeborene, wohlhabende Bürger angezeigt wird. Auf dem delischen Relief ist der Diener als kindliche und zudem drastisch verkleinerte Figur wiedergegeben und folgt in letzterem der üblichen 10 Vgl. z. B. die Beschreibung von Katja Sporn zu einem attisierenden griechi­ schen Relief unbekannter Herkunft aus der Zeit kurz vor oder um 350 v. Chr.: arachne.dainst.org/entity/1121015 (15. März 2017); entspricht CAT, Kat. 3.930. 11 Nach Couilloud 1975, 88 handelt es sich hier um eine Tunika. Tatsächlich unterscheidet sich die Kleidung der männlichen Figur von der auf römischen Freigelassenenstelen üblichen Toga in republikanischer Zeit, vgl. Zanker 1975, 300 mit Anm. 120. 12 Der Bürgermantel ist zunächst auf attischen Grabreliefs die übliche Darstel­ lungsweise und bis in späthellenistische Zeit verbreitet: Vgl. etwa eine attische Grablekythos aus dem späten 5. Jh. v. Chr. (CAT, Kat. 4.671; Figur links) oder den zuvor genannten Grabnaiskos aus der 2. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. (CAT, Kat. 3.459a). Zum Darstellungsschema des Mannes im Bürgermantel auf attischen Grabreliefs vgl. Bergemann 1994, 287–290. Auf einem großformatigen smyrnäischen Relief späthellenistischer Zeit ist eine der beiden männlichen Hauptfiguren wieder mit dem Bürgermantel, der die Brust freilässt, bekleidet, die andere dagegen mit Chiton und Mantel (Pfuhl/Möbius 1977, Kat. 646 Taf. 98; Schmidt 1991, Tabelle II: 150–130 v. Chr.). Das Himation verdeckt das Untergewand hier stärker als auf der delischen Stele. 13 Zitat Couilloud 1974, 250: »Les têtes des personnages figurés sur les stèles 70, 106 et 144 sont, de même, de véritables portraits.« T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 41 Darstellungsweise der Sklavenfiguren auf hellenistischen Grabreliefs seit dem 2. Jh. v. Chr.14 Auch die idealisierten, nicht­porträthaften oder nicht­ ›realistischen‹ Gesichtszüge sind für diese bis zur Miniaturhaftigkeit verkleinerten Sklavenfiguren die Regel. Die Figur ist mit einem kurzen, gegürteten Chiton bekleidet, die rechte Hand ruht auf der linken Schulter und drückt die abwartende, passive Haltung des Unfreien aus.15 Eine weitere delische Stele, die zu den Reliefs mit Porträts gezählt wird, ist die des Freigelassenen Aulus Egnatius Alexandros (Αὖλος Έγνάτιος Άλέξανδρος)16 und des Aulus Egnatius (Αὖλος Έγνάτιος), dessen Status nicht ganz klar ist (Abb. 2).17 Möglicherweise zeigt hier die mittlere Figur eines stehenden Mannes durch die hohe Stirn und die hervorspringende Nase individualisierte Züge.18 Dieser ist mit der Figur einer sitzenden Frau in dexiosis verbunden, links von ihm befindet sich die Figur eines weiteren Stehenden in Vorderansicht. Alle drei Figuren sind in bürgerlicher Kleidung wiedergegeben. Auch das nächste Beispiel aus der Reihe delischer Grabstelen mit porträthafter Wiedergabe der Verstorbenen, das Grabrelief des Publius Paconius, [Sohn (?)] des Publius (Πόπλιος Πακώνιος Ποπλίου), und des Lucius Paconius, Sohn des Publius (Λεύκιος Πακώνιος Ποπλίου υἱός), ist möglicherweise ebenfalls der Gruppe der freigelassenen Sklaven zu­ zurechnen (Abb. 3).19 Auf dieser Stele ist das Gesicht des Sitzenden im linken Teil des Reliefs durch eine Adlernase und eine breite Wangenpartie charakterisiert und weist dadurch veristisch­porträthafte Züge auf. Die Mundwinkel sind zudem etwas herabgezogen und die Augen wirken leicht zusammengekniffen, verstärkt noch durch die deutlich herausgearbeiteten Augenlider. Der Sitzende ist vollständig in seinen Mantel eingehüllt und 14 S. das zuvor genannte Relief Pfuhl/Möbius 1977, Kat. 646; Schmidt 1991, Tabelle II (smyrnäisch, 150–130 v. Chr.). 15 Vgl. zu den Figurenschemata von persönlichen Sklaven auf Bürgerstelen seit dem 5. Jh. v. Chr. das entsprechende Kapitel in: Thomas 2016 (in Druckvorbe­ reitung). 16 Couilloud 1974, 335. 17 Couilloud 1974, 101 f. 250 Kat. 106 Taf. 25 (Anfang 1. Jh. v. Chr.). Zum Status des Aulus Egnatius, möglicherweise eines Abkömmlings eines Freigelassenen, s. Couilloud 1974, 334. 18 Anhand der Abbildungen lässt sich dies nicht einwandfrei feststellen. 19 Als Freigelassener kann möglicherweise der hier und in der Inschrift zuerst genannte Verstorbene Publius gelten, vgl. Couilloud 1974, 106 f. 335 Kat. 118 Taf. 27. Datierung nach Couilloud 1974, 250: spätes 2. oder frühes 1. Jh. v. Chr. Vgl. Schmidt 1991, 75. 83 Abb. 59 Tabelle I: Datierung: 130–110 v. Chr. 42 2 Stele des Aulus Egnatius Alexandros und des Aulus Egnatius, Beginn 1. Jh. v. Chr. Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 1201 T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 43 3 Stele des Publius und Lucius Paconius, Ende 2. oder Beginn 1. Jh. v. Chr. Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 1317 44 hat den linken Arm aufgestützt. Stärker idealisiert ist dagegen die mittlere Figur einer stehenden Frau gestaltet. Sie teilt lediglich durch die schwer wirkenden Augenlider dieselben Charakteristika in der Augenpartie wie die Figur des Sitzenden. Die stehende Frau befindet sich zudem in dexiosis mit einem stehenden, wohl jüngeren Mann. Dieser ist in Frontalansicht dargestellt und weist stark idealisierte Züge auf, wobei er sich leicht zu seiner linken Seite hin neigt und mit der linken Hand den Kopf einer Herme greift. Auch auf diesem Relief sind die Figuren durchweg im bürgerlichen Habitus mit Untergewand und Mantel wiedergegeben. In einer Zeit, in der der griechische Kulturraum noch nicht restlos zum römischen Reich gehörte und in den meisten Regionen weiterhin die hellenistische Kultur die Bilder prägte,20 gibt dieser Befund einige Fragen auf: Inwieweit lassen sich – vor dem Hintergrund des expandie­ renden römischen Reiches – die hier genannten Stelen für verstorbene Sklaven und Freigelassene in den Gesamtbefund der Sklavenstelen seit dem 4. Jh. v. Chr. einordnen? Welche Unterschiede zeichnen sich im Ver­ gleich zu zeitgleichen Stelen innerhalb der delischen Sepulkralkunst ab, vor allem zu denjenigen für freie Bürger und deren Familien? Und lassen sich anhand der jeweiligen Darstellungsweise Aussagen über den Status der Dargestellten treffen? Um diesen Fragen nachzugehen, soll im folgenden etwas ausführli­ cher auf die Belege für Grabreliefs von Sklaven oder Sklavinnen im grie­ chischen Kulturraum eingegangen werden. Nimmt man die griechische Sepulkralkunst insgesamt in den Blick, so können seit spätklassischer und in hellenistischer Zeit immer wieder Sklavenstelen nachgewiesen werden. Kennzeichnend für diese Gruppe von Grabdenkmälern ist ihre bescheide­ ne Ausführung, zumeist in Form einer Bildfeldstele. Insgesamt stellen die Sklavenstelen im Gesamtbefund der griechischen Grabreliefs jedoch eher eine Ausnahme dar. Besonders für Attika in spätklassischer Zeit, mögli­ cherweise aber auch für die hellenistischen Beipiele (s. u.) ist anzunehmen, dass sie von den Herren für ihre verstorbenen Sklaven, die üblicherweise im Grabbezirk der Familie bestattet wurden, aufgestellt wurden, wenn auch nur in besonderen Fällen. Meistens wurde an den Sklavengräbern kein Grabmal errichtet.21 20 Vgl. Hölscher 2002, 37–39. 21 Die Sklavenstelen des 4. Jhs. v. Chr. sind vor allem bei Scholl 1996, 176–182 zusammengestellt, die wenigen ostgriechischen Beispiele hellenistischer Zeit bei Pfuhl/Möbius 1977, 68. Auf den Grabstelen des Bosporanischen Reichs, die ebenfalls systematisch aufgearbeitet wurden, treten Sklaven oder ehemalige T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 45 Die frühesten Reliefs für Unfreie sind im 4. Jh. v. Chr. aus Attika überlie­ fert.22 Die Identifikation als Sklavenstelen erfolgt auch hier anhand der Inschriften, und zwar vor allem über den Zusatz χρηστός oder χρηστή (chrestos bzw. chreste, im Sinn von nützlich, brav) in der Namensangabe, der die Perspektive der ehemaligen Besitzer auf ihre Sklaven zeigt.23 Mehrere Beispiele aus dieser Zeit bilden Grabsteine für Ammen, die durch die In­ schrift als solche bezeichnet werden (τίτθη, titthe). Die Ammen gehörten in griechischer Zeit zur Gruppe des unfreien Hauspersonals und waren als Stillammen oder Kinderfrauen für einen Teil der Erziehung der freien Kinder des Hauses zuständig. Dadurch entstanden in manchen Fällen wohl auch engere emotionale Bindungen zu ihren Besitzern, was als Ur­ sache für die vergleichsweise häufigen Ammenstelen angenommen wird.24 Grabsteine für Ammen zeigen die Verstorbene in der Regel entweder allein oder mit ihren Angehörigen im Figurenschema der sitzenden Bürgers­ frau.25 Die Dargestellte kann dabei wie eine bürgerliche Frau mit Chiton und Mantel wiedergegeben sein, wie etwa auf einer Stele des 1. Viertels des 4. Jhs. v. Chr.26 Dabei gilt die Geste des Mantelgreifens (anakalypsis) auf den attischen Grabreliefs ebenso wie der schleierartig über den Kopf gezogene Mantel grundsätzlich als Kennzeichen der verheirateten Frau und wurde hier auf die prinzipiell nicht heiratsfähige Sklavin übertra­ gen.27 Unklar ist, ob die Sitzende im angeführten Beispiel zusätzlich mit einer Haube dargestellt ist, die den Kopf bedeckt 28, ein Motiv, das auf Reliefs für Bürgersfrauen nicht belegt ist. Andere Reliefs für verstorbene Sklaven nach Ausweis der Inschriften und der Bilder nicht als eigene Gruppe in Erscheinung. Erst seit dem 1. Jh. v. Chr. gibt es vereinzelte Grabstelen, die möglicherweise Freigelassenen zugeordnet werden können (Kreuz 2012, 419 f.). Vgl. zu den Stelen für Unfreie in griechischer Zeit insgesamt auch das entspre­ chende Kapitel in: Thomas 2016 (in Druckvorbereitung). 22 Außerhalb Attikas sind mir aus klassischer Zeit keine eindeutigen Belege für Grabreliefs von Sklav*innen bekannt. 23 Anders als in hellenistischer Zeit wird diese Bezeichnung zumindest in den athenischen Grabinschriften des im 4. Jhs. v. Chr. ausschließlich für Sklaven verwendet. Vgl. dazu ausführlich Scholl 1996, 177–179; Bergemann 1997, 148 f. 24 Scholl 1996, 181; Schulze 1998, 13–19 bes. 14. 25 S. o. die Beispiele zu Grabreliefs für attische Bürgersfrauen mit demselben Figurenschema (CAT, Kat. 2.150. Kat. 3.459a). 26 CAT, Kat. 1.249; Scholl 1996, Kat. 125 Taf. 28, 3; Schulze 1998, 37 Kat. A G 1 Taf. 10, 1; IG II2 12387; Inschrift: ΠΑΙΔΕΥΣΙΣ | ΤΙΤΘΗ ΧΡΗΣΤΗΣ. 27 Nach Scholl 1996, 169 f. ist sie zusätzlich als Grußgeste zu deuten. 28 Vgl. Schulze 1998, 37. 46 Ammen zeigen die Sitzende wiederum mit dem für Sklavinnen typischen langärmligen Gewand und einem zusätzlichen Mantel (Abb. 4).29 In die­ ser Darstellung sind der Figur zudem Trinkgefäße, eine Chous und ein Skyphos, beigegeben. Dazu trägt sie kurzes Haar, ein Merkmal, das auch diejenigen Figuren von Sklavinnen, die als Dienerinnen ihrer Herrin auf Grabreliefs freier Bürgerfamilien erscheinen, öfter zeigen.30 Auf mehrfigurigen Reliefs kommen zu der im Schema der sitzenden Frau dargestellten Amme, wiederum in Anlehnung an die bürgerliche Ikonographie, noch eine oder zwei stehende Figuren hinzu, die meist im Handschlag verbunden sind (Abb. 5).31 Anders als auf den Reliefs für freie Frauen32 ist die Darstellung jedoch nur sehr selten um die Figur einer Dienerin mit Kästchen oder im Trauergestus erweitert, die hinter der Sitzenden steht und ihrerseits in der typischen Sklavenikonographie der Bürgerreliefs mit ungegürtetem Chiton und Sakkos wiedergegeben sein kann.33 Die Figur der stehenden Dienerin suggeriert auch hier, in Anlehnung an die Dienerinnen auf Reliefs für freie Frauen, den erhöhten sozialen Status der Verstorbenen. 29 Z. B. das Relief CAT, Kat. 1.376 (2. Viertel 4. Jh. v. Chr.); Scholl 1996, Kat. 230 Taf. 43, 2; Schulze 1998, 37 f. Kat. A G 2 Taf. 10, 2; Inschrift: ΠΥΡAIΧMΗ TITTΗ ΧΡΗΣTΗ. 30 Auch auf dem Relief CAT, Kat. 1.354 (2. Viertel 4. Jh. v. Chr.) hat die Amme kurzes Haar. Vgl. auch die Dienerin auf der oben genannten Grablekythos einer freien Bürgersfamilie aus dem späten 5. Jh. v. Chr. (CAT, Kat. 4.671; Schulze 1998, 30 Kat. A G 51 Taf. 8, 2). 31 CAT, Kat. 3.360 (2. Viertel 4. Jh. v. Chr.); Scholl 1996, 245 Kat. 74 Taf. 21, 2; IG II2 10842; Inschrift: AΡTEMIΣIA ΧΡΗΣTΗ. Vgl. auch das Relief der Amme Pynete: CAT 2.359d (2. Viertel 4. Jh. v. Chr.; hier Abb. 6); IG II3 12559; Inschrift ΠΥNETΗ | TIΘΗ ΧΡΗΣTΗ. 32 S. die Beispiele in Anm. 9. 33 Auf der Stele CAT, Kat. 3.390c (2. Viertel 4. Jh. v. Chr.) ist hinter der Sitzen­ den in Chiton und Himation, die im Handschlag mit einem stehenden Mann in Bürgertracht wiedergegeben ist, eine nicht verkleinerte stehende Dienerin mit Kästchen dargestellt. Die Identifizierung der im Epigramm genannten Ver­ storbenen ΠΛΑΓΓΩΝ ΧΡΗΣΤΗ in der Darstellung ist jedoch umstritten (vgl. Scholl 1996, Kat. 522; Bergemann 1997, 149). Zu einem Grabnaiskos gleicher Zeitstellung, der eine sitzende und eine stehende Frau in dexiosis und hinter der Sitzenden noch zusätzlich eine frontal stehende Dienerin zeigt, ist m. W. keine Abbildung publiziert (CAT, Kat. 3.362a; IG II2 12749; Inschrift: ΣΩΤΗΡΙΣ ΧΡΗΣΤΗ ΔΙΚΑΙΑ). Ungewöhnlich für das Grabmal einer Sklavin ist das große Format. T H O MA S: SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 47 4 Stele der Pyraichme, 2. Viertel 4. Jh. v. Chr. Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 3935 48 5 Stele der Artemisia, 2. Viertel 4. Jh. v. Chr. Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 759 T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 49 Interessant ist bereits in dieser Zeit der Hinweis auf Paare, z. B. auf einem Relief mit Bankettszene.34 Dargestellt sind ein gelagerter Mann und eine am Fußende der Kline sitzende Frau. Das Bildschema, das auf attischen Stelen klassischer Zeit vor allem von Metökenstelen bekannt ist,35 unterscheidet sich nicht von der Darstellung eines freien Ehepaars, obwohl – wie oben bereits angesprochen wurde – Sklaven in der griechi­ schen und römischen Antike der Status der Ehe offiziell versagt war.36 Indem dies in den Bildern jedoch nicht genauer differenziert wird, wird die Darstellung unfreier Verstorbener also auch in diesem Punkt an die Ideale der freien Bevölkerung angeglichen. Seltener als für Ammen sind attische Grabsteine des 4. Jhs. v. Chr. für verstorbene männliche Sklaven belegt. Auch hier ist das Figurenschema des sitzenden Mannes in Bürgertracht, der seine Füße auf einen Sche­ mel stellt, mehrfach belegt. Der Verstorbene wird m. W. aber, anders als die Ammen, nicht alleine abgebildet, sondern stets mit einer oder zwei weiteren Figuren, die als Angehörige vor ihm stehen.37 Die aus Laureion stammende Stele des Thous, sitzend in Bürgertracht wiedergegeben, ist möglicherweise ebenfalls den Sklavengrabsteinen 34 Schulze 1998, 39 Kat. A G 11; Scholl 1996, Kat. 148 Taf. 40, 2; Dentzer 1982, 344. 348. 351 f. Kat. R 212 Taf. 78 Abb. 468; IG II2 12815; Inschrift: ΤΙΤΘΗ ΧΡΗΣΤΗ. Nicht in CAT aufgenommen. 35 Für Bankettszenen im selben Bildschema mit gelagertem Mann und am Fußende der Kline sitzender Frau auf attischen Grabstelen klassischer Zeit s. Scholl 1996, 153 Anm. 1046 Kat. 136. 221. 421 Taf. 18, 1. 40, 3–4. 41, 6; Kat. 136 entspricht CAT, Kat. 2.385, die anderen Beispiele sind in CAT nicht enthalten. Beim Inhaber der Grabstele Scholl 1996, Kat. 221 handelte es sich nach Ausweis der Inschrift (IG II2 7877) um einen Metöken im Status der Isotelie; auch bei der Stele Scholl 1996, Kat. 136 (IG II2 12562) fehlt die Angabe eines Demotikons, weswegen der Grabinhaber also Metöke war (vgl. dazu Scholl 1996, 174). Bei der Stele Scholl 1996, Kat. 421 ist keine Inschrift erhalten. Vgl. auch Schulze 1998, 37. 39. 36 Scholl 1996, 176; Raffeiner 1977, 31; Klees 1975, 37. Auch die Geste der verhei­ rateten Frau, die den Schleier oder Mantel ergreift, ist schon früh für Sklavinnen belegt (z. B. CAT, Kat 1.249). Vgl. außerdem das eingangs genannte delische Relief. 37 Z. B. die Stele des Sklaven Mikias, der als Sitzender mit zwei stehenden An­ gehörigen dargestellt ist: CAT, Kat. 3.482 (2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.); IG II2 12133; Inschrift: ΜΙΚΙΑΣ ΧΡΗΣΤ[ΟΣ]. In einem anderen Fall ist die Stele gleich zwei verstorbenen Sklaven gewidmet: CAT, Kat. 2.492 (2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.); IG II2 11060; Inschrift: ΔΕΞΙΠΠΟΣ ΔΙΑΥΛΟΣ | ΧΡΗΣΤΟΙ. 50 6 Stele der Pynete, 2. Viertel 4. Jh. v. Chr. Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 4983 T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 51 7 Stele des Thous, 2. Hälfte 4. Jh. v. Chr. Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 890 52 zuzurechnen (Abb. 7).38 Das Bildmotiv des sitzenden Mannes, der mit einer weiteren Person im Handschlag verbunden ist, ist hier um einen Begleitsklaven erweitert, der hinter seinem Herrn steht und einen Stock mit Bündel geschultert hat. Auf demselben Relief wird auch die dem Sitzenden gegenüberstehende und mit diesem in dexiosis verbundene Frau in Begleitung einer verkleinerten, frontal dargestellten Sklavin, die zudem den Kopf als Ausdruck der Trauer auf die linke Hand stützt, wiedergegeben. Neben all diesen Darstellungen, die weniger den Sklavenstatus der Steleninhaber thematisieren, sondern sich ikonographisch vielmehr den Grabdenkmälern freier Verstorbener annähern, finden sich in spätklassi­ scher Zeit in Attika vereinzelt auch Sklavenstelen, die die Verstorbenen in ihrer ehemaligen Tätigkeit zeigen, etwa als Pferdeführer in der Chlamys, der typischen Dienerkleidung (Abb. 8)39, oder als Lastenträger 40. Letzterer ist, wie die stark fragmentierte Darstellung noch erkennen lässt, außer durch seine Funktion als Träger auch durch die gebückte Körperhal­ tung deutlich als Sklave charakterisiert. Eine solche, nicht idealisierte Wiedergabe einer Figur begegnet auch in anderen Bildgattungen der griechischen Kunst klassischer Zeit häufiger und dient, ähnlich wie die verkleinerte Darstellung, als Kennzeichnung des unfreien Status. Sie wurde in der archäologischen Forschung schon früh als sogenannte physiognomische Charakterisierung bezeichnet.41 Insgesamt sind also auf attischen Grabreliefs des 4. Jhs. v. Chr., die Sklaven oder Sklavinnen gewidmet waren, zwei verschiedene Darstel­ lungsweisen belegt, diejenige in Anlehnung an bürgerliche Bildschemata und die ›realistische‹, die die Sicht der Freien auf die Sklaven als dienende, untergeordnete Menschen klar erkennen lässt.42 Jedoch wird in klassischer 38 CAT, Kat. 3.922 (2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.); Scholl 1996, Kat. 98 Taf. 43, 1. Nach Scholl 1996, 179 handelt es sich bei den Stelen für verstorbene Bergwerksklaven aus Laureion um von Sklaven selbst aufgestellte Denkmäler. Möglicherweise ehrte die Stele aber auch einen Freigelassenen (vgl. Lauffer 1979, 131–136). 39 CAT, Kat. 1.472 (2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.); Scholl 1996, Kat. 419 Taf. 27, 2; IG II2 10692: ΑΝΤΙΠΑΤΡΟΣ ΧΑΙΡΕ. 40 CAT, Kat. 1.462 (2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.); Scholl 1996, Kat. 23 Taf. 43, 3; IG II2 11822: ΚΑΡΙΩ[Ν] ΧΡΗΣΤ[ΟΣ]. 41 Vgl. Himmelmann 1971, 27–29. 41 f. 42 Zur physiognomischen Darstellung des Verstorbenen als ›Sklaven von Na­ tur‹, der mit gebeugtem Rücken einen Sack schleppt und noch dazu als ›Karion‹ (Karer) mit einem »entindividualisierten Sklavennamen« und als χρηστός bezeichnet ist, vgl. eindringlich Scholl 2002, 183 f. Kat. 83 (Zitat: S. 183). T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 53 8 Stele des Antipatros, 2. Häfte 4. Jh. v. Chr. Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptothek Inv. 436 54 Zeit die positive Charakterisierung der Sklaven auch im Fall der stark idealisierenden Stelen für gewöhnlich schon durch den Gebrauch des Wortes χρηστός in der Inschrift eingeschränkt. Schließlich setzen die oben angeführten Darstellungen von Ammen im Schema der sitzenden Bürgersfrau auch durch die Einbindung ›sklavenikonographischer‹ Moti­ ve wie dem kurzen Haar, der langärmligen Kleidung oder den Trinkgefä­ ßen die Dargestellten noch zusätzlich von den Figuren freier Frauen ab.43 In hellenistischer Zeit sind Grabreliefs, die sicher als Sklavenstelen gelten können, zunächst kaum belegt. Teilweise wird der Status der Un­ freiheit durch die Inschrift angezeigt, vereinzelt sind Grabsteine für Skla­ ven aber auch anhand der bildlichen Darstellung als solche auszumachen. Möglicherweise zählt eine wohl ins 3. Jh. v. Chr. datierende Trapeza aus Attika dazu, die der Amme Phanion aus Korinth gewidmet war.44 In einem kleinen reliefverzierten Bildfeld wird die Verstorbene auf einem ein­ fachen Schemel sitzend und damit in ihrem sozial untergeordneten Status dargestellt; vor ihr sind außerdem die Figuren eines kleinen stehenden Mädchens und einer verkleinert wiedergegebenen, stehenden Dienerin mit Kästchen zu sehen. Wegen des fehlenden Patronymikons handelt es sich bei der verstorbenen Amme wohl um eine Freigelassene oder Sklavin. Aus früh­ und hochhellenistischer Zeit können sonst kaum Grabste­ len für Unfreie benannt werden. Erst in späthellenistischer Zeit werden die Belege für Sklavenstelen mit Reliefdarstellungen wieder etwas häufi­ ger, wenn sie auch insgesamt immer noch sehr selten bleiben. So zeigt eine Stockwerkstele mit Gelageszene aus der Nähe von Bursa in einem kleinen Bildfeld darunter zusätzlich eine auf einem Felsen in gebeugter Haltung sitzende und ihre Knie umfassende Frau in Chiton und Himation, die mit dem Namen Lais bezeichnet ist.45 Da dieser als typischer Sklavenname gelten kann46 und auch kein Vatersname ange­ geben ist, stellte sie wohl eine Sklavin des Hauses dar. Durch das Sitzen in gebeugter Haltung ist die Darstellung deutlich von der bürgerlichen Ikonographie abgehoben. Ein pfeilerförmiges Grabmal aus Mytilene (Abb. 9) aus der ausgehen­ den hellenistischen Zeit zeigt in einem schmalen Bildfeld innerhalb einer 43 S. die oben bereits angeführten Beispiele CAT, Kat. 1.249. 1.354. 1.376. 44 CAT, Kat. 1.980; Schulze 1998, 39 Kat. A G 66; IG II 2 9079. Inschrift: ΦΑΝΙΟΝ ΚΟΡΙΝΘΙΑ ΤΙΤΘ[Η]. 45 Pfuhl/Möbius 1977, 68. 244 Kat. 948 Taf. 143 (aus Iseli bei Bursa, späthelle­ nistisch). Vgl. Schulze 1998, 36 Kat. A G 76 Taf. 9, 4. 46 Schulze 1998, 36: »Kriegsbeute«. T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 55 9 Stele einer Sklavin, wohl 1. Jh. v. Chr. Mytilene, Archäologisches Museum bogenförmigen Nische eine weibliche stehende Figur mit einem Kasten auf dem linken Unterarm, ihre rechte Hand ruht darauf.47 Der untere Teil des Grabmals ist auf Höhe der Oberschenkel der Figur abgebrochen, eine Inschrift ist nicht erhalten. Da sie einen einfachen Chiton trägt und durch das Tragen eines Kästchens in einer dienenden Funktion erscheint, kann die Figur wohl als Sklavin gedeutet werden.48 47 Pfuhl/Möbius 1977, 68. 136 Kat. 404 Taf. 67 (fragmentiert, wohl 1. Jh. v. Chr.). Nach Pfuhl/Möbius ist dies das einzige sichere Grabmal für eine Dienerin in der Gruppe der ostgriechischen Grabreliefs. 48 Pfuhl/Möbius nennen diesen einen »Dienerinnenchiton« (Zitat: Pfuhl/ Möbius 1977, 136). 56 Beide hier angeführten hellenistischen Reliefs haben gemeinsam, dass sie die Sklavinnen, denen sie gewidmet sind, in einer Weise zeigen, die ihren unfreien Status durch Haltung, Tätigkeit oder Kleidung de­ monstrieren und sie damit von den Bildern freier Frauen unterscheiden. Dagegen werden auf delischen Stelen späthellenistischer Zeit, die bereits unter italischem Einfluss stehen,49 ungewöhnlich häufig solche Bildschemata, die von Reliefs für Bürgersfrauen oder Bürger bekannt sind, unterschiedslos auch für Grabsteine von Sklavinnen oder Sklaven verwen­ det, wie die folgenden Beispiele deutlich machen sollen. Da, wie eingangs beschrieben, die Situation für die Identifikation von Sklavenstelen innerhalb der späthellenistischen delischen Grabreliefs besonders günstig ist, kann es sein, dass entsprechende Beispiele in anderen Gegenden ebenfalls vorhan­ den sind, jedoch wegen mangelnder prosopographischer Indizien nicht als solche identifiziert werden können. Dies würde bedeuten, dass die delischen Stelen nur insofern eine Ausnahme bilden, als sie eindeutig interpretierbare Inschriften tragen. Auf der anderen Seite verwundert es nicht, dass gerade auf Delos, das als Freihafen seit 166 v. Chr. auch in politischer Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt und dessen Bilddenkmäler im Sepulkralbereich sich ganz allgemein als Gruppe mit einer eigenständigen Tradition fassen lassen,50 auch im Hinblick auf die Sklavenstelen eine Ausnahme bildet. Diese Frage kann jedoch nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Eine delische Grabstele des ausgehenden 2. oder frühen 1. Jhs. v. Chr. zeigt die Verstorbene Rodo Solfia im Schema der sitzenden Frau mit Dienerin; sie wird in der Inschrift als Sklavin des Appius und als Röme­ rin bezeichnet (Abb. 10).51 Dargestellt ist eine nach links sitzende Frau in Chiton und Himation, das auch den Kopf verhüllt. Mit der Rechten greift sie in ein großes Kästchen, das ihr eine miniaturhafte Dienerin im Peplos und mit kurzem Haar entgegenhält. Durch die Verwendung dieses Motivs wird hier also noch eindeutiger als auf den früheren atti­ schen Sklavenstelen eine Darstellungsweise gewählt, die auch von ent­ sprechenden Reliefs für Bürgersfrauen in klassischer und hellenistischer Zeit bekannt ist und sich in nichts von diesen unterscheidet.52 Dagegen 49 Couilloud 1974, 332–335 (s. auch oben die Einleitung). 50 Schmaltz 1983, 229 f. 51 Couilloud 1974, 116 Kat. 145 Taf. 34. 78 (Inschrift: Ῥοδὼ Σολφία Ἀππίου | Ῥωμαία χρηστὴ | χαῖρε – »Excellente Rodo Solfia, esclave d’Appius, Romaine, salut«). Zur Stele s. auch Schmidt 1991, 22 Anm. 138 (nicht in Tabelle I). 52 Z. B. zwei delische Stelen: Couilloud 1974, Kat. 152. 154 Taf. 35–36. Vgl. auch ein älteres Relief aus der Gegend westlich von Sardes: Pfuhl/Möbius T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 57 10 Stele der Rodo Solfia, Ende 2. oder frühes 1. Jh. v. Chr. Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 1253 1977, Kat. 969 Taf. 145; Schmidt 1991, 55 (nach der Mitte des 3. Jhs. v. Chr.) und ein Relief aus Samos: Pfuhl/Möbius 1977, Kat. 968 Taf. 146; Schmidt 1991, 22 Anm. 138 (späthellenistisch). 58 begegnen auf den zuvor angeführten attischen Stelen für Sklavinnen vor allem sitzende Frauen ohne Dienerin. Auch auf anderen delischen Grabreliefs für Sklaven und Sklavinnen des späten 2. bzw. frühesten 1. Jhs. v. Chr. finden sich dieselben ikonogra­ phischen Schemata wie auf Stelen für Freie. Zudem ist das in dieser Zeit übliche Format der Bildfeldstele für beide Gruppen, Freie und Unfreie, dasselbe.53 So zeigt das Grabrelief für Myrsine (Sklavin des Decimus und Schwester des – eventuell Freigelassenen – Quintus Aufidius Kassiodoros) und für Sabeis (Tochter des Pyrrhos) zwei einander gegenüber sitzende Frauen in Chiton und Himation.54 An der Seite der rechten Frau befin­ det sich eine miniaturhafte Dienerin im Profil mit Kästchen. Die links Sitzende (Myrsine) hält auf dem Schoß ein Wickelkind, vor ihr steht ein weiteres, etwas größeres Kind. Im Hintergrund des Reliefs ist ein stehender Mann im Himation zu sehen. Auch die Stele für den Sklaven Timokrates mit der Darstellung eines gerüsteten Kriegers auf einem Schiff zählt zu den üblichen Bildschemata der Freien.55 Für Sklaven bzw. Sklavinnen sind innerhalb der delischen Reliefs außerdem das Schema des stehenden Mannes im Mantel 56 und das Schema des sitzenden Mannes im Mantel mit Diener 57 sowie das Bildsche­ ma der sitzenden Frau und des stehenden Mannes in dexiosis überliefert. Letzteres ist gleich auf zwei Stelen von Sklavinnen belegt; in einem Fall ist 53 So auch Couilloud 1974, 333. 54 Couilloud 1974, 130 f. 333–335 Kat. 187 Taf. 44. 78 (Ende 2./Anfang 1. Jh. v. Chr., Inschrift: Μυρσίνη Ἑτο[ρ]- | ηία Δέκμου | Ῥωμαία ἀδελ- | φὴ δὲ Κοΐντου Αὐ- | φιδίου Κασιοδώρου | χρηστὴ χαῖρε und Σαβεῖ Πύρ- | ρου Ἀπάμι- | σσα χρηστὴ | χαῖρε). 55 Couilloud 1974, 177. 179. 333 f. Kat. 357 Abb. 7 Taf. 70 (Ende 2./Anfang 1. Jh. v. Chr., Inschrift: Τιμοκράτη Ῥαίκιε Νεμερίου | χρηστὲ καὶ ἄλυπε χαῖρε). 56 1.) Couilloud 1974, 141. 333 f. Kat. 235 ohne Abb. (verschollen, ohne Datie­ rung, Inschrift: Ἀντίοχε Λαβίηνε | χρηστὲ χαῖρε). 2.) Couilloud 1974, 141. 333 f. Kat. 233 ohne Abb. (Fragment, letztes Drittel 2./Anfang 1. Jh. v. Chr., Inschrift: Ἀθ[ηνόδωρε] | Πακώνιε χρηστὲ καὶ | ἄλυπε χαῖρε). Es ist nur der untere Teil der Stele mit den Füßen eines stehenden Mannes in der Mitte des Bildes erhalten. – Vgl. außerdem Couilloud 1974, 143 f. 333 f. Kat. 243 Taf. 49. 79 (Fragment, Anfang 1. Jh. v. Chr., lateinisch­griechische Inschrift: Calli[c]le Saufeie salve und Καλλικλ[ῆ] Σωφήιε Αὔλου χρηστὲ | ἄλυπε χαῖρε); nicht bei Schmidt 1991. Es sind nur die Füße einer frontal stehenden möglicherweise weiblichen Figur erhalten. 57 Couilloud 1974, 122. 334 Kat. 165 Taf. 38 (Ende 2./Anfang 1. Jh. v. Chr., In­ schrift: Ἀπολλώνι[ε] | Πακώνιε Γνα[ί]ου | χρηστὲ χαῖρε); nicht bei Schmidt 1991. Der stark verkleinerte frontal stehende Diener ist mit einem kurzen Chiton bekleidet, die rechte Hand (mit Gegenstand?) ist zum Sitzenden erhoben. T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 59 neben der sitzenden Frau noch die Figur einer kleinen bzw. miniaturhaften Sklavin in langem Chiton dargestellt.58 In der angewinkelten Linken hält diese ein Kästchen, die Rechte hängt neben dem Körper herab. Die späthellenistischen delischen Grabmonumente für Sklaven ent­ wickelten demnach, anders als die Sklavenstelen aus Athen in klassischer Zeit, keine eigene Ikonographie, vielmehr folgten sie unterschiedslos den Bildern der zeitgleichen Bürgerstelen aus Delos. Auffällig, für die Frage der Sklavenstelen aber nachrangig, sind darüber hinaus die Übereinstim­ mungen der späthellenistischen delischen Stelen insgesamt – d. h. sowohl der freien als auch der nicht­freien Bevölkerung – mit der Ikonographie der viel früher datierenden attischen klassischen Grabreliefs für freie Bürger, was auch in der Forschung schon mehrfach festgestellt wurde.59 Wie lassen sich nun die soeben angeführten delischen Sklavenstelen zu den am Beginn dieses Beitrags besprochenen Stelen derselben Her­ kunft und Zeitstellung mit porträthaften Zügen in Beziehung setzen? Auch diese folgen wieder der von den bürgerlichen Stelen her bekannten Ikonographie. So begegnet auch auf dem Grabrelief der Dia Stlaccia und des Diodoros Stlaccius (vgl. Abb. 1) wiederum sowohl das auf Bürgerstelen übliche Bildschema der sitzenden Frau und des stehenden Mannes in dexiosis als auch die bürgerliche Tracht der Figuren,60 außerdem entspricht auch hier die Begleitung durch einen stark verkleinert bis miniaturhaft wiedergegebenen Diener vollständig dem Motiv, das auf Grabreliefs für Freie seit klassischer Zeit den sozialen Status des freien, wohlhabenden Bürgers anzeigt.61 Ähnliches gilt auch für die beiden anderen Grabreliefs des Aulus Egnatius Alexandros und des Aulus Egnatius bzw. des Publius und Lucius Paconius, die eher der Gruppe der Freigelassenen zuzuordnen 58 1.) Couilloud 1974, 78 f. 333 f. Kat. 48 ohne Abb. (Ende 2. Jh. v. Chr., In­ schrift: Μερόπη | Στερτινία | Λευκίου | Ῥωμαία χρη- | στὴ χαῖρε). Dexiosis zwischen rechts sitzender Frau und links stehendem Mann, mit verkleinerter Sklavin (Beschreibung ev. seitenverkehrt; zum Bildschema vgl. Couilloud 1974, 54). 2.) Couilloud 1974, 63. 333 f. Kat. 8 Taf. 1 (Ende 2. Jh. v. Chr., Inschrift: Μοσχίνη Πεδία | χρηστὴ χαῖρε); Schmidt 1991, Tabelle I (130–110 v. Chr.). Dexiosis zwischen links sitzender Frau und rechts stehendem Mann, ohne Sklavenfiguren. 59 Vgl. etwa Schmaltz 1983, 227 f. zu einer teils klassizistischen Bildsprache vor dem Hintergrund der politischen Situation auf Delos; Schmidt 1991, 36. 42. 60 S. o. und generell zum hier verwendeten Bildschema Schmidt 1991, 36 mit Anm. 207. 61 Z. B. Scholl 1996, Kat. 46 Taf. 36; entspricht CAT 2.892 (2. Viertel 4. Jh. v. Chr.). Vgl. für die hellenistische Zeit auch das oben bereits angeführte Relief Pfuhl/Möbius 1977, Kat. 646. 60 11 Stele der Krino, Ende 2. Jh. v. Chr. Verona, Museo Maffeiano Inv. 890 T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 61 sind (vgl. Abb. 2–3). So ist die Wiedergabe der Figuren durch Kleidung und Gesten wie der dexiosis von der bürgerlichen Ikonographie her ver­ traut. Auf der Stele für Publius Paconius und Lucius Paconius kommen außerdem noch Motive wie die Herme am rechten Bildrand 62 sowie die im Fries oberhalb des Reliefs symbolhaft angeordneten Attribute hinzu. Es handelt sich hierbei um einen Kriegerhelm und eine Rüstung, die rechts und links von jeweils einem Stierkopf gerahmt werden.63 Lediglich die Wiedergabe der Gesichter mit teilweise nicht­ideali­ sierten, porträthaften Zügen unterscheidet diese Reliefs von den übrigen Belegen für Sklavenstelen auf Delos und überhaupt von der griechischen Sepulkralkunst (für Sklaven und Freie) in griechischer Zeit. Es ist die Frage, ob es sich hier um eine Eigenheit innerhalb der Grabdenkmäler für (ehemalige) Sklaven handelt. Dazu soll zunächst noch das einzige von Couilloud zur Gruppe mit Porträtdarstellungen gezählte Relief einer freien Frau betrachtet werden. Es ist dies die Stele der Athenerin Krino, Tochter des Artemon und Frau des Atheners Lenaios, Sohn des Artemon, vom Ende des 2. Jhs. v. Chr. (Abb. 11).64 Dargestellt ist eine sitzende Frau in Chiton und Himation nach links. Ihr gegenüber steht eine stark verkleinerte Dienerin, die mit einem Peplos bekleidet ist und der Sitzenden mit beiden Händen ein Kästchen entgegenhält, aus dem diese einen Gegenstand entnimmt; die Dienerin schaut dabei leicht zu ihrer Herrin auf. M. E. bezieht sich die Bezeichnung einer ›porträthaften‹ Wiedergabe der Gesichter 65 hier besonders auf die Darstellung der Dienerin. Diese ist durch ein breites Untergesicht, große Ohren und eine Stupsnase charakterisiert. Das Gesicht der Sitzenden ist dagegen eher durch idealisierte Gesichtszüge geprägt.66 Da in diesem 62 Nach Schmaltz 1983, 227 verweist die Herme, die häufig in Kombination mit Jünglingsfiguren dargestellt wird, auf den Bereich der Palästra. Vgl. zur Herme auf hellenistischen Grabreliefs das entsprechende Kapitel in: Weber 2016 (in Druckvorbereitung). 63 Vgl. Schmaltz 1983, 248. 244 und Fabricius 1999, 51–56 bes. 52. 60–63 zur Bedeutung solcher Attribute auf hellenistischen Grabreliefs, die als Ausdruck bürgerlicher Wertvorstellungen oder zur Heroisierung des Verstorbenen dienten. 64 Couilloud 1974, 115. 250 Kat. 144 Taf. 34 (Κρινὼ Ἀρτέμωνος Ἀθηναία, γυνὴ δὲ Ληναίου τοῦ Ἀρτέμωνος Ἀθηναίου). 65 Couilloud 1974, 250. 66 Ganz sicher lässt sich dies anhand der Abbildung nicht beurteilen, jedoch fällt bereits der Umstand auf, dass dieses Relief in der Reihe der Porträtstelen nach Couilloud 1974, 250 das einzige ist, auf dem auch die Figur einer Dienerin nicht idealisiert wiedergegeben wird und das sich schon allein dadurch deutlich 62 Fall also die Nebenfigur, nicht aber die Hauptfigur des Reliefs von der sonst üblichen idealisierten Darstellungsweise auf den hellenistischen Grabreliefs abweicht, ist es m. E. nicht zutreffend, hier von einem Por­ trät zu sprechen, das ja im Zusammenhang mit einem Grabmal eher zur Individualisierung der Verstorbenen selbst, nicht aber ihrer Dienerin zu erwarten wäre.67 Vielmehr erinnert die nicht­ideale Darstellungsweise der Dienerin an andere Figuren von Sklaven, die bereits in klassischer Zeit, teilweise aber auch noch in hellenistischer Zeit mit hässlichen Ge­ sichtszügen charakterisiert sein können. Dadurch wird der Sklavenstatus noch stärker betont, als dies durch die verkleinerte Wiedergabe und die dienende Funktion ohnehin schon der Fall ist.68 Die Beispiele mit porträthaften Darstellungen der Verstorbenen auf delischen Grabreliefs nach Couilloud halten also nur im Fall der drei Grabstelen, die Sklaven oder aber vermutlich Freigelassenen gewidmet waren, einer näheren Überprüfung stand.69 Durch diese Eigenheit unter­ scheiden sie sich in der Tat von der gesamten sonst bekannten sepulkral­ bildlichen griechischen Überlieferung und sind auch von der pejorativen sogenannten physiognomischen Charakterisierung der Begleitsklaven auf Bürgerstelen zu trennen. Eine Parallele finden die delischen ›Porträts‹ sonst nur in der etwa zeit­ gleichen stadtrömischen Sepulkralkunst, die der Gruppe der Freigelassenen von den anderen Beispielen absetzt (vgl. dagegen den miniaturhaften Diener auf der Stele Couilloud 1974, Kat. 70, hier Abb. 2). 67 Das Relief Couilloud 1974, Kat. 144 ist übrigens auch das einzige aus der Gruppe, das in der Inschrift ausschließlich griechische Namen aufweist, und unterscheidet sich auch schon von daher von den übrigen Stelen. 68 Vgl. z. B. eine Stele aus Naxos bei Couilloud 1974b, 455 Kat. 50 Abb. 49; ent­ spricht Arachne­Datenbank: arachne.dainst.org/entity/1098894 (15. März 2017): Diese zeigt einen stark verkleinerten nackten Sklaven, der sich mit vor dem Körper verschränktem rechten Arm in starker Verdrehung mit seiner linken Schulter an den Bildrand lehnt. Obwohl er in Vorderansicht wiedergegeben ist, schaut der Kopf im Profil nach links zur Figur des Herrn, der im Bürgermantel und mit einer Buchrolle in der Linken ruhig dasteht und in Richtung des Skla­ ven herabschaut. Zusätzlich zum verdrehten Körper, der ihn wenig idealisiert erscheinen lässt, ist auch der Kopf des Sklaven durch physiognomisch hässliche Züge gekennzeichnet. Die Stirn springt flach nach hinten und lässt den Kopf eiförmig erscheinen, das vermutlich lockige Haar setzt erst weit hinten an. 69 Es wäre in diesem Zusammenhang interessant, durch Autopsie das übrige Material aus Delos auf das Kriterium einer nicht­idealisierten Darstellungs­ weise der Hauptfiguren zu überprüfen. T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 63 zuzurechnen ist. Aus Rom sind seit dem 2. Viertel und dann vor allem in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. häufiger Grabreliefs von Freigelassenen (libertini) bekannt, die ikonographisch und in der Qualität der Reliefs eine relativ geschlossene Gruppe bilden und sich von den zugleich weiter tra­ dierten späthellenistischen Bildformen innerhalb der römischen Grabkunst absetzen.70 Anders als im Fall der Sklaven­ (und auch Freigelassenen­)stelen aus klassischer und vermutlich auch noch hellenistischer Zeit, die von den ehemaligen Besitzern der Unfreien gestiftet wurden,71 ist hier jedoch von Selbstzeugnissen auszugehen, d. h. dass die Grabreliefs vermutlich von Mitgliedern aus der Gruppe der Freigelassenen, die zu einigem Wohlstand gekommenen waren, selbst in Auftrag gegeben wurden.72 Auch waren Grab­ reliefs römischer Freigelassener, wie schon der büstenförmige Ausschnitt der Darstellungen und häufiger auch das breite Format vielfiguriger Reliefs nahelegt, ursprünglich in die Fassade von Grabbauten eingelassen und unterscheiden sich darin ebenfalls von den freistehenden griechischen Stelen.73 Kennzeichnend ist für diese Darstellungen die porträthafte Wieder­ gabe der Gesichter, die auf späteren Reliefs, die tatsächliche Porträtbüsten integrieren, ihren Höhepunkt findet.74 In diesem Zusammenhang wurde in der Forschung bereits die Vermutung geäußert, dass die Möglichkeit zu einem realistischen, nicht­idealisierten Individualporträt, das keine nega­ tive Konnotation beinhaltete, erst dadurch möglich wurde, dass die in der archaischen griechischen Adelsgesellschaft, aber auch im Bürgertum des klassischen Athen und teilweise noch in hellenistischer Zeit verbreitete Ideologie der kalokagathia (›des Schön­ und Gutseins‹) in Rom fehlte.75 70 Zanker 1975, 270. 280 Abb. 13–14; Kockel 1993, Kat. I 8. O 27 Taf. 66b. d. 128c. 71 Zumindest für die Reliefs aus Bursa und Mytilene (s. o.), die sich ebenso wie die attischen von den Stelen der Bürger durch das Anzeigen des Sklavenstatus durch Haltung oder Tätigkeit der Figuren ikonographisch abheben, ist dies denkbar. Zu Attika, wo davon ausgegangen werden muss, dass die Grabsteine durch die ehemaligen Besitzer aufgestellt wurden, s. o. 72 Zanker 1975, 270. 277 geht von Selbstzeugnissen der Freigelassenen aus. Vgl. auch die Eltern eines verstorbenen Jungen als Stifter des Grabmals (Zanker 1975, 290 Abb. 25). 73 Zanker 1975, 271. Die Darstellungen waren jedoch ursprünglich nicht als Büsten gemeint. Durch das Einlassen in die Fassade erweckten die Figuren den Eindruck von aus dem Fenster herabschauenden Lebenden (Zanker 1975, 276. 308). 74 Zanker 1975, 274. 310 Abb. 6. 16–17. 34. 36. Vgl. Kockel 1993, 72–76 Kat. I 1. L 4. L 17. L 19 Taf. 56d. 62a. b. 90b. 93d. e. 101a. 102a. b. 103b. d. 104a. b. 105a. 75 Zanker 1995, 480 f. 64 Dies ist durchaus plausibel und auch vor dem Hintergrund der delischen Stelen, die ebenfalls nicht­idealisiert gestaltet sind, interessant. Zwar ist die Materialbasis der Grabreliefs aus Delos mit ›Porträts‹ gering, doch ist auch hier möglicherweise anzunehmen, dass für eine kleine Gruppe von Sklaven und Freigelassenen, die durch ihr Umfeld bereits italischen Einflüssen aus­ gesetzt war, das aus archaischer und klassischer Zeit überbrachte bürgerliche Ideal der kaloikagathoi nicht mehr galt, weswegen für ihre Verewigung auf einem Grabstein durchaus selbstbewusst bereits eine andere Formenspra­ che gewählt wurde,76 als dies auf den umgebenden Grabmälern, die in der hellenistischen Bildtradition standen, der Fall war. Zugleich führten sie aber auch die seit klassischer Zeit überbrachten bürgerlichen ikonographischen Figurenschemata fort und nahmen somit – trifft die oben formulierte An­ nahme zu – eine Art Mittelstellung zwischen beidem ein. BILDREC HTE 1 Nach Couilloud 1974, Kat. 70 Taf. 15. 2 Bilddatenbank Arachne <arachne.dainst.org/entity/227403>, Negativ­ nummer DAI Athen: NM­4816 (Foto: Eva­Maria Czakó). 3 Bilddatenbank Arachne <arachne.dainst.org/entity/184709>, Negativ­ nummer DAI Athen: Grabrelief­0794 (Foto: Dimitriadis). 4 Nach Schulze 1998, Taf. 10, 2. 5 Bilddatenbank Arachne <arachne.dainst.org/entity/98718>, Negativnum­ mer DAI Athen: Grabrelief­0530. 6 Bilddatenbank Arachne <arachne.dainst.org/entity/117870> (Ausschnitt), Negativnummer DAI Athen: Grabrelief­0273. 7 Bilddatenbank Arachne <arachne.dainst.org/entity/241174> (Ausschnitt), Negativnummer DAI Athen: NM­4836 (Foto: Eva­Maria Czakó). 8 Bilddatenbank Arachne <arachne.dainst.org/entity/119445>, Negativ­ nummer DAI Athen: Grabrelief­0227. 9 Nach Pfuhl/Möbius 1977, Kat. 404 Taf. 67. 10 Bilddatenbank Arachne <arachne.dainst.org/entity/241169>, Negativ­ nummer DAI Athen: NM­4814 (Foto: Eva­Maria Czakó). 11 Bilddatenbank Arachne <arachne.dainst.org/entity/435663>, For­ schungsarchiv für Antike Plastik, Universität zu Köln: Filmnummer: 4816, Negativnummer: 02. 76 Offen bleiben muss hier die Frage, ob dies durch ihre Besitzer oder Ange­ hörigen geschah. T H O MA S : SK LA V E NPO RT R ÄT S A U F GR A B R E L I E F S 65 LITERATUR VER ZEICH N IS Bergemann 1994 Bergemann, Johannes: Die bürgerliche Identität der Athe­ ner im Spiegel der attischen Grabreliefs. In: Pöhlmann, Egert/Gauer, Werner (Hrsg.): Griechische Klassik. Vorträge bei der interdisziplinären Tagung des Deutschen Archäologenverbandes und der Mommsengesell­ schaft vom 24. – 27.10.1991 in Blaubeuren, Erlanger Beiträge zur Sprache, Literatur und Kunst 75. Nürnberg 1994, 283–293. CAT Clairmont, Christoph W.: Classical Attic Tombstones Bd. I–IV. Kilchberg 1993. Couilloud 1974 Couilloud, Marie­Thérèse: Les monuments funéraires de Rhénée, Exploration Archéologique de Délos 30. Paris 1974. Couilloud 1974b Couilloud, Marie­Thérèse: Reliefs funéraires des Cyclades de l’époque hellénistique a l’époque impériale. In: Bulletin de Correspondance Hellénique 98, 1974, 397–498. 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Das Spektrum reicht von zuversichtlicher Benen­ nung einzelner Porträts – etwa bei den zahlreichen Bildnissen Arsinoes II.2 – bis hin zu grundlegendem Skeptizismus, der sogar die Belastbar­ keit der Münzzuweisungen in Frage stellt.3 Letztlich fehlen verbindliche Kriterien für die Identifizierung der Porträts ptolemäischer Königinnen, beziehungsweise es besteht keine Einigkeit über deren Anwendung. Bereits die Bewertung der Attribute bereitet Probleme: Die ptolemäi­ schen Königinnen sind auf den Münzen bisweilen nur mit Stephane und Schleier ausgestattet, ohne dass ein Diadem als Abzeichen der Königswür­ de zu erkennen ist.4 Dies führte dazu, dass dem Diadem, das bei einem männlichen Porträtkopf die conditio sine qua non für die Identifizierung eines Herrscherporträts darstellt, von der nur in seltenen, eigens begrün­ deten Ausnahmefällen abgerückt werden kann, bei weiblichen Bildnissen ungleich weniger Bedeutung beigemessen wird. So werden mitunter auch unverschleierte Köpfe ohne jegliches den Rang dokumentierendes 1 Kyrieleis 1975; Queyrel 1990, 97 ff. 137 ff.; Smith 1993; Albersmeier 2002; Kyrieleis 2005, 235–243. 2 Kyrieleis 1975, 78–94 Taf. 70–81; Prange 1990. s. zuletzt: Schernig 2004, 442–445. 3 Jaeggi 2008, 122–127. 4 So z. B. bei den Goldoktadrachmen Arsinoes II. und Arsinoes III.: Kyrieleis 1975, Taf. 70, 1–2. 80, 3; Stanwick 2000, Abb. 215; Walker/Higgs 2001, 83 Kat. 69. 68 Attribut als Ptolemäerin, vorzugsweise als Arsinoe II. oder Arsinoe III. tituliert, wenn sie nur eine hinreichend individuelle Physiognomie auf­ weisen.5 Diese spielt bei der Benennung der Ptolemäerinnen vielfach eine maßgebliche Rolle,6 was insofern nachdenklich stimmt, als Ähnlichkeit bei den Porträts der römischen Kaiserzeit, zumal bei denen der Frauen, als kein besonders zuverlässiges Kriterium gilt. Außerdem ist damit zu rechnen, dass besonders paradigmatische Königinnen wie Arsinoe II. typenbildend gewirkt haben und Züge ihres Bildnisses in die Porträts späterer Königinnen eingeflossen sind.7 Unter den physiognomischen Zügen werden gerne die weit aufge­ rissenen ›Ptolemäeraugen‹ als maßgebliches Charakteristikum heraus­ gestrichen, etwa im Fall der meist als Arsinoe II. angesprochenen sog. Hirsch­Queen8. Allerdings kann in anderen Fällen auf dieses Merkmal ebenso gut verzichtet werden, wofür die sog. Arsinoe II. in Berlin9 mit ihren schmalen, mandelförmigen Augen ein gutes Beispiel liefert (vgl. Abb. 6–7). Auch die Augen des meist als Arsinoe III. angesprochenen, bronzenen Porträtkopfes in Mantua10 treten in dem großflächigen Gesicht keineswegs in besonderer Weise hervor. Sie sind sogar kleiner als die Au­ gen der neu gefundenen Gewandstatue in Kalymnos, die im übrigen das gleiche großflächige Gesicht mit der geläufigen Mittelscheitelfrisur und kleinen Löckchen vor den Ohren zeigt.11 Auch die Frisur des Mantuaner Bronzekopfes ist keineswegs so einzigartig, um als Grundlage für eine Benennung zu dienen.12 Überdies verlangt der vollständige Verzicht auf sämtliche königliche Insignien oder angemessenen Schmuck ebenso wie das Fehlen des Schleiers als obligates Requisit eines offiziellen Gewandes 5 S. etwa Kyrieleis 2001, 311–316 Abb. 1–3. Das gleiche gilt für das meist als Arsinoe III. Philopator anerkannte Bronzeporträt in Mantua, s. u. Anm. 10. 6 Exemplarisch in dieser Beziehung: Schernig 2004. 7 Bergmann s. u. Anm. 9. 8 Kyrieleis 1975, 83–85. 179 Kat. J 5; Smith 1988, 166 Kat. 53 Taf. 37 Abb. 2; Prange 1990, 199 f. Taf. 40–41. 9 Berlin, SMB Antikensammlung Inv. 1976.11: M. Bergmann, Online­Katalog Berlin http://arachne.uni­koeln.de/item/objekt/105691 (Stand: August 2015); Stewart 1990, Abb. 645. 10 Mantua, Mus. Civico Inv. 961 902 79: Kyrieleis 1975, 105. 110. 182 Kat. L 3 Taf. 92–94,1; Smith 1988, 92. 165 Kat. 50 Taf. 35, 7–9; Stanwick 2002, 55 Abb. 252–253; Ghisellini 2008, 13–18, 27–31 Abb. 9–14 (mit Lit.). 11 Pothia (Kalymnos), Archäologisches Museum Inv. 3903: Daehner/Lapatin 2015, 72–75 Abb. 5.1. 12 S. Jaeggi 2008, 123 Anm. 639. V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 69 bei der Porträtstatue einer ptolemäischen Königin eine Erklärung. Hier stellt sich die Frage, in was für einem Kontext und mit welcher Konno­ tation eine derart private Darstellung einer Königin überhaupt zu denken ist. Die unverschleierte Arsinoe III. auf den Münzen erscheint demge­ genüber betont reich geschmückt und trägt stets die Stephane mitsamt dem Diadem, letzteres sogar mit deutlich angegebenen Enden.13 Schließlich stellt sich die Frage, welcher Stellenwert der Frisur bei der Identifizierung eines königlichen Porträtkopfes zukommt. Die Me­ lonenfrisur der frühen Ptolemäerinnen von Arsinoe II. bis Arsinoe III. ist in erster Linie eine weit verbreitete Luxusfrisur, die zwar fraglos der vermögenden Oberschicht, aber keineswegs den Angehörigen des Herr­ scherhauses vorbehalten war.14 Nichts desto weniger war diese Frisur bei einigen Königinnen offenbar fester Bestandteil ihres offiziellen Erschei­ nungsbildes, so etwa bei Berenike II., deren Münzbilder sich sogar durch eine besonders streng gegliederte Variante dieser Haartracht auszeich­ nen.15 Hier sind zumindest Zweifel erlaubt, ob es methodisch zulässig ist, bei der Zuweisung rundplastischer Porträts diese Haartracht völlig außer Betracht zu lassen. Dies gilt etwa für den durch seinen hervorragenden Erhaltungszustand beeindruckenden Porträtkopf in Mariemont 16, der in der Forschung mit größter Selbstverständlichkeit als Porträt Berenikes II. angesprochen wird, obwohl der Kopf weder die für Berenike II. nach Ausweis der Münzen verbindliche Melonenfrisur noch sonst irgendeine königliche Insignie aufweist und überdies auch noch einen für ptolemä­ ische Herrscherinnen ungewöhnlich breiten Mund besitzt.17 An der Wende vom 3. zum 2. Jahrhundert tritt zudem eine neuartige Spirallockenfrisur auf, die in der Folgezeit sowohl bei Darstellungen der Isis als auch bei Bildnissen der Ptolemäerinnen weite Verbreitung finden 13 Kyrieleis 1975, Taf. 88; Smith 1988, Taf. 75 Abb. 8; Ghisellini 2008, 14 Abb. 4. 14 Vorster 2008, 136. 15 BMC Ptolemies 1883, Taf. 13; Kyrieleis 1975, 94 f. Taf. 82; Smith 1988, Taf. 75 Abb. 6–7; Walker/Higgs 2001, 83 Kat. 70–71; 85 Kat. 80–81. 16 Mariemont, Mus. Royal de Mariemont Inv. B 264: Kyrieleis 1975, 99 f. 181 Kat. K 5 Taf. 86,4. 87; Bildhauerkunst III 2007, 390 Abb. 136. 17 Auf der goldenen Oktadrachme im Berliner Münzkabinett (Franke – Hirmer 1972, Nr. 804 Taf. 20; Kyrieleis 1975, 96 Taf. 82,4) wird die Königin zwar mit etwas volleren Lippen wiedergegeben, was aber nicht ohne weiteres auf die rundplastischen Porträts übertragen werden kann. Wie gravierend der Kopf in Mariemont von dem üblichen Schönheitsideal der frühen Ptolemäerinnen mit dem betont kleinen Mund abweicht, wird erst in der Frontalansicht ganz deutlich. 70 sollte.18 Diese Frisur allein bietet demnach keine sicheren Anhaltspunkte für die Benennung einer Ptolemäerin, denn nur selten ist die Haartracht einer Ptolemäerin so einzigartig, dass sie als plausibles Argument für die Identifizierung dienen kann, wie dies bei Kleopatra VII. der Fall ist.19 Vielmehr müssen in der Regel weitere Kriterien erfüllt sein, um die Bildnisse der Ptolemäerinnen von anderen Frauenköpfen göttlicher oder auch menschlicher Natur zu unterscheiden. Ob die Frisuren aber deshalb gleich als völlig beliebig gelten dürfen, und nicht doch eine bestimmte Haartracht fest zum Erscheinungsbild einer Königin gehörte, wurde bislang nicht hinreichend untersucht. Ein allgemeines Merkmal, um ptolemäische Bildnisse auch unter solchen Köpfen und Statuen zu erkennen, die sich heute ohne Fundortan­ gabe in den Museen befinden, bieten die für alexandrinische Werkstätten charakteristischen, technischen Besonderheiten. Alexandrinische Arbei­ ten zeichnen sich nahezu ausnahmslos durch einen äußerst sparsamen Umgang mit dem Marmor und die überaus häufige Zweitverwendung von Werkstücken aus. Sogar bei kleinformatigen Köpfen sind meist nur die Vorderseite oder sogar nur die Gesichtsmaske vollständig ausgearbeitet, während Rückseite und Frisur in Stuck ergänzt waren.20 Zudem handelt es sich nahezu ausnahmslos um Einsatzköpfe, die vormals mit einer Statue aus einem anderen Material, am ehesten aus bemaltem und vergoldetem Holz, verbunden waren. Diese Besonderheiten in der technischen Zu­ richtung und in der Verwendung der Materialien sind, wie H. Kyrieleis zutreffend betont, geradezu ein Markenzeichen marmorner Köpfe aus dem ptolemäischen Ägypten, so dass zumindest die geographische Zuordnung selbst bei Köpfen ohne Fundortangabe recht zuversichtlich vorgenommen werden kann21. Nichts desto weniger fehlt es an einer hin­ reichenden, allgemein anerkannten Systematik, um unter diesen Arbeiten die Porträts ptolemäischer Herrscherinnen mit hinreichender Sicherheit erkennen oder sogar benennen zu können. Eine solche kann hier nicht geliefert werden, es sollen aber mögliche Kriterien für die Bestimmung dieser Porträts zur Diskussion gestellt werden. Ausgangspunkt jeglicher Zuweisung bleiben trotz der in diesem Medium üblichen Verknappung und Stilisierung die Münzbilder 22 . 18 19 20 21 22 S. u. S. 83–84, Anm. 49–50. Walker/Higgs 2001, 218 f. 220 f. Kat. 196 u. 198; Vorster 2013, 54. 56. Laube 2012, 51–53 mit zahlreichen Beispielen. Kyrieleis 2005, 237–238. So zu Recht Kyrieleis 2005, 235. Anders Jaeggi 2008, 12 f. 127. V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 71 Außerdem bleibt festzuhalten, dass nicht zuletzt aufgrund der Variations­ breite ptolemäischer Bildnisse, ein einzelnes Kriterium selten für eine Benennung ausreicht. Plausibilität oder gar Sicherheit einer Benennung sind nur dort zu erreichen, wo ein Kopf mehrere Kriterien zugleich erfüllt. Ein Musterbeispiel hierfür bieten die Porträts Kleopatras VII., bei denen das breite Diadem, die betont eigenwillige Frisur und die Physiognomie der Askalon­Münzen in den beiden Porträtköpfen im Vatikan und in Berlin eine unmittelbare Entsprechung finden.23 Auch ein Charakterkopf wie die Wiener Ptolemäerin24 kann aufgrund der Kombination von betont unidealen Gesichtszügen mit Isis­Frisur zuversichtlich als Bildnis einer lagidischen Herrscherin eingeordnet werden, auch wenn keine Einigkeit darüber besteht, welche der gleichnamigen Herrscherinnen des mittleren oder späteren 2. Jhs. v. Chr. hier dargestellt ist. Die Möglichkeiten und Grenzen, das Porträt einer Ptolemäerin zu identifizieren, sollen im Folgenden am Beispiel eines Mädchenkopfes aus Kyzikos in Dresden (Abb. 1–5, vgl. Taf. 1) exemplarisch vorgeführt werden.25 Der 1892 in Konstantinopel erworbene, angeblich aus Kyzikos stammende Mädchenkopf ist aus einem ungewöhnlich qualitätvollen, möglicherweise parischen Marmor gefertigt. Nach Form und Zurichtung der Büste war der Kopf zum Einlassen in eine Gewandstatue bestimmt, die mit einer Gesamthöhe von ca. 1,50 m leicht unterlebensgroßes For­ mat besaß.26 Die aufrechte Haltung des langen, schlanken Halses in Verbindung mit der ausgeprägten Kopfwendung zur erhobenen rechten Schulter vermitteln den Eindruck selbstbewusster Grazie. Die zugehörige Figur könnte in Haltung und Bewegung der kleinen Isis­Statuette in Athen entsprochen haben, die mit in die Hüfte gestützter rechter Hand 23 Berlin, Antikensammlung SMB 1976.10: Stewart 1988, 169 Kat. 68 Taf. 44 4–6; Walker/Higgs 2000, 159 Kat. I I I.4; Walker/Higgs 2001, 220 f. Kat. 198 (P. Higgs, mit Lit.). Vatikan, Museo Gregoriano Profano Inv. 38 511: Walker/ Higgs 2000 157 f. Kat. III.2; Walker/Higgs 2001, 218 f. Kat. 196. Zu den beiden Porträtköpfen zuletzt: Vorster 2013, 55–70 Abb. Taf. 1–4. 24 Wien, Kunsthistorisches Museum Inv. 406: Smith 1988, 170 Kat. 74 Taf. 48, 1–2; Walker/ Higgs 2001, 60 Kat. 26 (A. Bernhard­Walcher / S. Ashton); Stanwick 2002, 117 f. Kat. D 4 Abb. 119–120; Albersmeier 2002, 377 f. Kat. 142 Taf. 34 d. 35 a–b; Jaeggi 2008, 124 f. 25 Dresden, SKD Skulpturensammlung Inv. Hm 136: Herrmann 1925, 40 Nr. 136; Protzmann 1989, 52–55 Nr. 25; Knoll u. a. 1993, 32 f. Nr. 15 Abb. (H. Protzmann); Stemmer 2001, 164 f. Nr. L 11 Abb. (A. Wagner­Schwarz). s. demnächst: Knoll/ Vorster (im Druck), Kat. Nr. 48. 26 Gesamthöhe des Kopfes mit Büste: 31,5 cm; Gesichtslänge: 15 cm. 72 1 Mädchenkopf aus Kyzikos, Porträt der Kleopatra I., Dresden, SKD Skulpturensammlung Inv. Hm 136 (siehe Taf. 1) V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 73 2 Mädchenkopf aus Kyzikos, Porträt der Kleopatra I., Dresden, SKD Skulpturensammlung Inv. Hm 136 74 3 Mädchenkopf aus Kyzikos, Porträt der Kleopatra I., Dresden, SKD Skulpturensammlung Inv. Hm 136 V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 75 4 Mädchenkopf aus Kyzikos, Porträt der Kleopatra I., Dresden, SKD Skulpturensammlung Inv. Hm 136 76 5 Mädchenkopf aus Kyzikos, Porträt der Kleopatra I., Dresden, SKD Skulpturensammlung Inv. Hm 136 V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 77 im Schreiten innehält.27 Das schmale, ebenmäßige Gesicht erhält durch die tiefliegenden Augen, die von dem hohen Nasenrücken verschattet werden, und durch den kleinen, fein geschwungenen Mund mit der weich vorquellenden Unterlippe seinen individuell anmutenden Ausdruck. Die Politur der Oberfläche verleiht der zarten, die Konturen überspielenden Modellierung des Gesichts einen besonderen Schmelz. Die über der Stirn gescheitelten Haare rahmen in feingewellten Strähnen Stirn und Schläfen, wobei einige kürzere Strähnen den Haaransatz umspielen. Der Wechsel von Bohr­ und Meißelarbeit verleiht den Haaren ein le­ bendiges Oberflächenrelief. Um den Kopf ist ein flaches Band gelegt; ein kleines Bohrloch über dem Scheitel diente der Befestigung eines metallenen Schmuckelementes. An den Seiten bricht die sorgfältige und bis zur Politur vollendete Ausführung abrupt ab und geht in ungeformte Bosse über, in die nur skizzenhaft mit dem Flachmeißel Strukturen von Haar und Binde eingezeichnet sind (vgl. Abb. 3–5). Da auch die Ohren in Bosse stehen geblieben sind, ist die Zurichtung nur so zu erklären, dass die seitlichen und rückwärtigen Teile der Frisur ursprünglich in Stuck ausgeführt waren.28 Der obere Teil des Kopfes zeigt eine nur unzureichend geglättete Schnittfläche, die viel zu uneben ist, um der Anstückung einer marmornen Kalotte gedient zu haben, und die im Gegensatz zur wohlerhaltenen Oberfläche des Gesichts deutliche Spuren von Korrosion aufweist (vgl. Abb. 2). In der Schnittfläche befindet sich eine große quadratische Eintiefung, deren Ränder ausgebrochen sind und die in keinem achsialen Bezug zum Kopf steht. Offenbar stammt diese Zurichtung von einer älteren Verwendung des Werkstücks, aus dem erst sekundär der Mädchenkopf gearbeitet wurde.29 Sowohl die sekundäre Verwendung von meist sehr qualitätvollen Marmorblöcken, als auch die Technik der Stuckergänzung finden bei alexandrinischen Werken ihre nächste Parallele. Dem ansprechenden Kopf wurde bereits unmittelbar nach seiner Bekanntmachung Ende des 19. Jahrhunderts eine breite Aufmerksamkeit zuteil. Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang den Gang der Forschung 27 Athen, Nationalmus. Inv. 224: Ägypten – Griechenland – Rom 2005, 588 Kat. 160 (E. Kalauria). 28 So bereits treffend Strocka 1967, 133 f. Nr. 5. 29 Eine ähnlich übergroße quadratische Einlassung am Oberkopf zeigt ein Mädchenkopf in New York, bei dem die Ohren ebenfalls nur grob angelegt sind und die bossierte Rückseite ehemals in Stuck ausgeführt war. New York, Acc. no. 15.146: Richter 1954, 170 Kat. 169 Taf. 120 d–f; Strocka 1967, 133 Nr. 4. 78 kurz nachzuzeichnen, denn in seltener Deutlichkeit ist hier zu verfolgen, wie nachhaltig die bei der Erstpublikation eines Objekts verwendeten Kategorien archäologischer Zuordnung die Wahrnehmung dieses Objekts bestimmen. In dem Vierteljahrhundert von der ersten Bekanntmachung des Kopfes durch Paul Herrmann im Jahr 1894 bis in die 20er Jahre des folgenden Jahrhunderts bewegte sich die Beurteilung des Dresdner Mädchenkopfes in den von Furtwänglers Meisterwerken geprägten, kunsthistorischen Kategorien. Der Kopf wird als »feine, griechische Originalarbeit der attischen Schule«30 beurteilt, je nach Geschmack als der Richtung des Skopas folgend oder – ungleich häufiger – dem praxitelischen Einfluss unterworfen.31 Es fällt auf, dass Eigenheiten wie Augen­ oder Lippenform, die in der neueren Forschung gerne als spezifisch für ein Porträt angesehen und für eine mögliche Benennung ausgewertet werden, in den damaligen Abhandlungen durchweg als Argumente für die Meisterzuschreibung dienten. Typologische und inhaltliche Fragen spielten in den Publikationen des genannten Zeitraums eine eher untergeordnete Rolle. Man war sich offenbar einig, dass es sich um eine jugendliche Göttin handeln müs­ se, die je nach persönlicher Einschätzung als Artemis 32 oder Selene 33 tituliert wurde. Erst Margarete Bieber, die den Dresdner Mädchen­ kopf, dem Trend der Forschung folgend, ebenfalls dem Umkreis der Praxiteles-Werkstatt zuschreibt, hebt die »ausgesprochen individuellen Züge, die an ein Porträt denken lassen«34, hervor. Diese wichtige Fest­ stellung fand in der späteren Forschung jedoch keine Beachtung. Selbst Helmut Kyrieleis folgt in seiner Arbeit zu den Ptolemäerporträts der traditionellen Einschätzung des Dresdner Mädchenkopfes und führt ihn lediglich als Beispiel einer Reihe ›praxitelischer‹ Köpfe an, um die stilistische Entwicklung des frühen 3. Jhs. v. Chr. zu illustrieren.35 Die flache Binde im Haar bleibt dabei ebenso unerwähnt, wie die technischen 30 Herrmann 1894, 28 Nr. 10 Abb. 10. 31 Klein 1898, 353–354; Reinach 1900, 391; Reinach 1903, 141; Herrmann 1925, 40 Nr. 136; Poulsen 1938, 26. Selbst Walter Amelung, der treffend die techni­ schen Besonderheiten des Kopfes beschreibt und sie als typische Eigenheiten alexandrinischer Werkstätten erkennt, ordnet das Werk dem Einflußgebiet der praxitelischen Kunst zu. s. Amelung 1897, 141. 32 Reinach 1894, 282. 33 Amelung s. o. Anm. 31. 34 Bieber 1923/24, 262 f. 35 Kyrieleis 1975, 88 Anm. 333. V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 79 Besonderheiten, die auf eine Stuckergänzung weisen, wie sie gerade bei Ptolemäerporträts die Regel ist.36 Heiner Protzmann und Kordelia Knoll, die den Kopf im Unter­ schied zu den meisten Forschern zwischen 1945 und 1990 aus täglicher Anschauung kannten, stellten Ende des 20. Jahrhunderts erneut den Porträtcharakter des Kyzikener Mädchenkopfes heraus, wobei Kordelia Knoll zutreffend bemerkt, dass »die breite Tänie dem Werk sogar Pro­ minenz geben« 37 könnte. Allerdings fand auch dieser Hinweis keine weitere Beachtung.38 Offenbar hatte sich der ›Mädchenkopf aus Kyzikos‹ während seiner mehr als hundertjährigen Bekanntheit derart fest und unverrückbar in den Kategorien von Landschafts­ und Bildhauerstil als ein alexandrinisches Werk der nachpraxitelischen Richtung etabliert, dass auch Herausgeber und Bearbeiter des Dresdner Bestandskataloges – unter ihnen die Autorin dieses Artikels! – ihn unbesehen dem ersten Band des Katalogwerkes zuordneten, ohne eine Aufnahme des Kopfes in den Porträtband der Katalogreihe 39 auch nur in Erwägung zu ziehen. Erst bei der eingehenden Autopsie im Zusammenhang mit der an­ stehenden Publikation stellte sich mit überraschender Klarheit heraus, dass der Mädchenkopf aus Kyzikos gleich mehrere Kriterien erfüllt, die als maßgeblich für die Identifikation des Porträts einer Ptolemäerin gelten können. So finden, wie bereits W. Amelung vermerkte, die technischen Besonderheiten des Kopfes bei alexandrinischen Werken und dort vor allem bei Herrscherbildnissen ihre nächsten Parallelen.40 Als Beispiel sei hier der bereits erwähnte, in der neueren Forschung als Arsinoe II. ange­ sprochene Kopf in Berlin angeführt (Abb. 6–7)41. Wie bei dem Dresdner Mädchenkopf sind auch hier die rückwärtigen Teile des Kopfes von den Ohren ausgehend nur kursorisch ausgeführt und waren ursprünglich mit 36 Dabei hatte Volker Michael Strocka nur wenige Jahre vorher darauf hinge­ wiesen, dass der Dresdner Kopf zu den seltenen Exemplaren von Marmorköpfen mit aufmodellierter Stuckfrisur gehört, die nicht aus Ägypten stammen. Strocka 1967, 133 f. Nr. 5. 37 Protzmann 1989, 52–55 Nr. 25; Knoll 1993, 32 f. Nr. 15. 38 A. Wagner­Schwarz, in: Stemmer 2001, 164 f. Nr. L 11 vermerkt nur die »An­ sätze individueller Züge, die an ein Porträt denken lassen«, ohne die in diesem Zusammenhang entscheidende Binde auch nur einer Erwähnung zu würdigen. 39 Knoll – Vorster 2013. 40 Amelung 1897, 141. 41 S. o. Anm. 9. Vgl. auch das aus einem kannelierten Beckenuntersatz gear­ beitete Porträt Arsinoes II. (?) in Mariemont, Inv. 161: Kyrieleis 1975, 85 f. 180 Kat. J 10 Taf. 79 u. 80. 80 6 Einsatzkopf, Porträt der Arsinoe II. (?), Berlin, SMB Antikensammlung Inv. 1976.11 V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 81 7 Einsatzkopf, Porträt der Arsinoe II. (?), Berlin, SMB Antikensammlung Inv. 1976.11 82 Stuck aufmodelliert. Im Gegensatz dazu weisen Gesicht und Dekolleté eine feine Politur der Oberfläche auf, die der sensiblen Modellierung den charakteristischen ›Sfumato­Effekt‹ verleiht, indem sie die Transparenz des Marmors unterstreicht.42 Darüber hinaus offenbaren die Gesichter eine Reihe physiognomischer Übereinstimmungen: sie sind gleicherma­ ßen schmal proportioniert mit einer hohen, dreieckig begrenzten Stirn und einem lang gezogenen Untergesicht. Der hohe, ohne Einziehung in die Stirn einbindende Nasenrücken verschattet die Innenwinkel der Augen. Der kleine, dicht unter der Nase sitzende Mund mutet individuell an und besticht durch den zierlichen Schwung der in der Mitte ein wenig eingezogenen Oberlippe. Diese Form des Mundes in Verbindung mit dem auffallend kurzen Philtrum wird in der Forschung mitunter als Merkmal von Porträts Arsinoes II. gewertet. Auch wenn angesichts der gravieren­ den Abweichungen zwischen den angeblichen Bildnissen dieser Köni­ gin nicht alle entsprechenden Benennungen zu überzeugen vermögen, scheint es sich hierbei um eine für die Porträts früher Ptolemäerinnen charakteristische physiognomische Eigenheit zu handeln.43 Die flachen, kaum konturierten Brauen und der auffallend lange Hals verstärken die individuelle Wirkung des Dresdner Kopfes (vgl. Abb. 1) und verleihen ihm überdies eine mädchenhaft anmutende Note. Angesichts der Tatsache, dass der Dresdner Kopf (vgl. Abb. 1–5) sowohl die technischen Eigenheiten alexandrinischer Werke, als auch unverkennbare physiognomische Übereinstimmungen mit Porträts von Ptolemäerinnen aufweist, erstaunt es, dass das rundum deutlich ange­ gebene, flache Band im Haar bislang keine weitere Beachtung gefunden hat. Dabei entspricht dieses Band in Form und Tragweise durchaus dem königlichen Diadem und berechtigt zu der Frage, ob sich bei dem ›Mädchenkopf aus Kyzikos‹ nicht um das Porträt einer hellenistischen, genauer einer ptolemäischen Herrscherin handeln könnte.44 42 Der Begriff wurde von W. Amelung 1897 in seinem wegweisenden Aufsatz zur alexandrinischen Kunst geprägt und auch damals bereits mit dem Dresdner Kopf in Verbindung gebracht: Amelung 1897, 141. 43 M. Bergmann, Online­Katalog Berlin s. o. Anm. 9. 44 Zum Diadem der Ptolemäerinnen s. La Rocca 1984, 23–29. Bei der Gabelung des Diadems auf der linken Seite des Dresdner Kopfes könnte es sich um eine Korrektur handeln, die im Endzustand durch die Stuckfrisur verdeckt wurde. Entscheidend für die Bewertung als Diadem ist die Breite des flach anliegen­ den Bandes sowie die Tatsache, dass es rundum läuft, ohne irgendwo von den Haaren verdeckt zu werden. V O R S T E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 83 Maßgebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Frisur zu. Die über der Mitte der Stirn gescheitelten Haare sind in fein gewellten Strähnen zur Seite geführt und gehen vor den Ohren abrupt in Bosse über, nur das Diadem wird rundum klar angegeben (vgl. Abb. 3–5). Auf­ fallende Furchen in dem nur grob angelegten Haar auf dem Ober­ und Hinterkopf, die sich auf der rechten Seite auch unterhalb des Haarbandes fortsetzen (vgl. Abb. 3), zeigen, dass hier ehemals Spirallocken in Stuck aufmodelliert waren. Eine derartige Frisur kennen wir von einer ganzen Reihe von Köpfen, die teils als Isis, teils als ›Ptolemäerin‹ angesprochen werden, wie etwa die kleinformatigen Köpfe in Baltimore 45 oder in Stutt­ gart 46. Eines der bekanntesten Exemplare ist die sog. Isis-Berenike aus Tell Timai in Kairo47, bei der allerdings statt des flachen Diadems ein halbrunder Reif das Haar umschließt, das in einer doppelten Reihe von Spirallocken angeordnet ist. Alle drei Köpfe zeigen schulterlange, die Ohren vollständig verdeckende Korkenzieherlocken in Verbindung mit glatt zur Seite gekämmten Stirn­ und Schläfenhaaren. Ebenso wie beim Dresdner Kopf befindet sich jeweils ein Stiftloch am Kreuzungspunkt zwischen Scheitel und Diadem, das der Befestigung eines metallenen At­ tributs, wohl des für Isis­Hathor üblichen Kuhgehörns mit Sonnenschei­ be, diente. Alle Köpfe sind ähnlich schmal proportioniert und besitzen durch die Kombination der hohen Stirn mit der langen, ohne Einziehung an der Nasenwurzel gerade durchlaufenden Nase und dem kleinen Mund mit dem auffallend kurzen Philtrum sogar ähnliche Gesichtszüge. Ob diese aber im Sinne einer individuellen Physiognomie zu interpretieren sind oder nicht doch – möglicherweise unter dem typusbildenden Einfluss der königlichen Porträts – zu einem allgemeinen, vielfältig verwendbaren ›Zeitgesicht‹ geworden waren, ist derzeit nicht abschließend geklärt. Der Kopf aus Tell Timai wird in der neueren Literatur sowohl als Isis als auch als Porträt Berenikes II. angesprochen.48 Die schulterlangen, mitunter mehrere Stufen bildenden Spirallocken sind eine typische Frisur des hellenistischen Ägypten.49 Die Kombination 45 Baltimore, Walters Art Museum Inv. 23.6: Albersmeier 2005, 254 f. Abb. 1–2. 46 Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum, Inv. I.5: Laube 2012, 239–241 Kat. 121. 47 Kairo, Ägyptisches Mus. Inv. JE 3917: Lembke 2000, 122 f. Abb. 11–14. 133. 141; Walker/Higgs 2001, 49 Nr. 11 (S. Ashton); Queyrel 2003, 479. 488 Nr. 5 Abb. 9–10 (mit ält. Lit.). 48 Isis: Lembke 2000. Berenike II: Walker/Higgs 2000; Queyrel 2003. 49 S. die umfassende Darstellung bei Albersmeier 2002, 67–75. 84 8 Bronzemünze Ptolemaios VI., London, British Museum Inv. CM 1926­1­16­951 dieser Spirallockenfrisur mit in der Mitte gescheitelten, fein gewellten Stirnhaaren lässt sich allerdings erst seit frühen 2. Jh. v. Chr. nachwei­ sen.50 Die frühesten Belege bieten unter Ptolemaios V. Epiphanes oder Ptolemaios VI. Philometor auf Zypern geprägte Bronzemünzen, die einen weiblichen Kopf mit entsprechender Spirallockenfrisur und einer Ähre im Haar zeigen (Abb. 8)51. Ob derartige Münzen bereits zu Lebzeiten Ptolemaios V. geprägt wurden oder erst unter der Regentschaft seiner Gattin, Kleopatras I., die nach dem frühen Ableben ihres Gatten für einige Jahre allein die Regierung für ihren kleinen Sohn führte, ist nicht abschließend geklärt.52 Außer Frage steht jedoch, dass in diesen Jahren, in denen erstmalig in der Geschichte des hellenistischen Ägyptens eine Frau die faktische Alleinherrschaft und damit auch das Münzrecht innehatte, ein neues Bild der Isis oder der Königin in Gestalt der Isis geprägt wurde.53 50 Laube 2012, 239; Albersmeier 2002, 70–75; Albersmeier 2005, 254. Albersmeier 2002, 72 Anm. 432 weist überzeugend auf die grundlegenden Unterschiede ge­ genüber der Frisur der Libya auf den Münzen von Kyrene hin, deren Locken nach hinten zu regelmäßig länger und dichter werden und die auch über der Stirn kurze Korkenzieherlocken zeigt. s. hierzu auch Pincock 2011, 56. 51 BMC Ptolemies 1883, 78 f. 89, 11 Taf. 18, 5–9. Taf. 21,3; Svoronos III 1904, Taf. 40, 7–15; La Rocca 1984, 35–36; Walker/Higgs 2000, 93. 95 Kat. I. 114; Walker/ Higgs 2001, 86 Kat. 88; Albersmeier 2002, 72. 52 Huß 2001, 537–540. Zur Datierung der Münzen s. Pincock 2010, 57–59. 53 Albersmeier 2004, 428–429; Pincock 2011, 62. V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 85 Damit ist allerdings noch nicht geklärt, ob es sich bei dem Kopf mit der modifizierten Spirallockenfrisur und dem Ährenkranz im Haar um eine neues Bild der segenspendenden Göttin Isis oder um ein Bildnis Kleopatras I. als Isis handelt. Für letztere Annahme könnte die Umschrift ΒΑΣΙΛΙΣΣΗΣ ΚΛΕΟΠΑΤΡΑΣ auf dem Avers einiger Münzen spre­ chen.54 Allerdings trägt der Frauenkopf auf den Münzen kein erkennbares Diadem und die gleiche Umschrift erscheint auch auf Münzen mit Dar­ stellungen des Ammon oder der Alexandria, weshalb sie nicht zwingend auf den Kopf mit Spirallockenfrisur zu beziehen ist.55 Ein Diadem in Verbindung mit dem Basileion der Isis­Hathor tragen demgegenüber die entsprechenden Frauenköpfe auf den Siegeln von Edfu56 und Paphos57. Auch hier ist die Identifikation der dargestellten Frau in der Forschung nicht unumstritten.58 Außer Frage steht jedoch, dass die Kleopatra I. auf den Doppelporträts mit Ptolemaios V. Epiphanes und Ptolemaios VI. Philometor. nicht nur mit der betreffenden Spirallocken­ frisur, sondern auch mit den Attributen der Isis­Hathor dargestellt wird.59 Eine weitere Bestätigung für die Annahme, dass die neue Spirallo­ ckenfrisur nicht nur bei Bildern der Isis, sondern auch bei Bildnissen Kleopatras I. Verwendung fand, liefern die Ptolemäerkannen. Bereits Dorothy Burr Thompson schlug für die dargestellte Königin mit der neu­ artigen Spirallockenfrisur auf einem Kannenfragment in Oxford (Abb. 9) 54 BMC Ptolemies 78, 1 Taf. 18,7; Pincock 2010, 53–59 Abb. 1. 55 Albersmeier 2002, 73; Albersmeier 2004, 429; Pincock 2010, 58 Anm. 22. 56 Plantzos 1996, 310–312 Taf. 51 Abb. 17; Plantzos 2011, 396 f. 408 Abb. 1 57 Kyrieleis 2015, 126–128 Taf. 72–73. 58 Plantzos 2011 spricht den Münz­ und Siegelbildern jegliche Porträtintention ab, und läßt diese nur für die Siegel mit Doppelporträts gelten. Allerdings er­ scheint Kleopatra I. auf einigen Siegeln mit Doppelporträts mit den Attributen der Isis. s. hierzu Boussac 1989, 327–332. Kyrieleis 2015, 46 hält die Unterschei­ dung von Isisköpfen und Porträts ptolemäischer Königinnen zwar für schwierig, geht aber davon aus, dass zumindest auf einem Teil der Siegel das Porträt der Königin wiedergegeben ist. 59 Von maßgeblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Siegel mit dem Doppelporträt Kleopatras I. und Ptolemaios VI. Athen, Benaki Mus. MN 2443: Boussac 1989, 326–332 Abb. 3; Plantzos 2011, 400. 411 Abb. 9 auf dem Kleopatra I. im Vordergrund mit Spirallockenfrisur, Geierhaube, Hathorkrone und Ammonshörnern ausgestattet ist, während Ptolemaios VI. im Hintergrund die Doppelkrone Ober­ und Unterägyptens trägt. Auf einem Siegel aus dem Fund von Edfu trägt die Königin dagegen die Spirallockenfrisur ohne weitere göttliche Attribute: Plantzos 2011, 399. 411 Abb. 8. 86 9 Fragment einer Ptolemäerkanne, Oxford, Ashmolean Museum Inv. 1909.347 V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 87 eine Benennung als Kleopatra I. vor 60 und identifiziert dementsprechend auch drei weitere Fayence­Medaillons aufgrund der engen Übereinstim­ mung mit den Münzen und Siegeln als Bildnisse dieser Königin.61 Hierin folgt ihr Sabine Albersmeier 62 und stellt ausgehend von den Münzen, den Siegeln und den Darstellungen auf den Ptolemäerkannen zwei rundplastische Köpfe in New York63 und in Alexandria64 als mögliche Porträts Kleopatra I. zur Diskussion. Maßgeblich für die Benennung sind in beiden Fällen abgesehen von der Frisur mit den seitwärts gekämmten Stirnhaaren und den schulterlangen Spirallocken die physiognomischen Eigenheiten, vor allem der langgezogene Gesichtsumriß mit dem kleinen Mund und dem schweren Kinn, die bei sicheren Porträts Ptolemaios VI. eine Entsprechung finden. Nicht weniger markant ist die neu kreierte Frisur auf einem Sardonyx im British Museum abgebildet (Abb. 10)65. Auch hier gibt das Diadem die Dargestellte als Königin zu erkennen, wobei die Übereinstimmungen mit den Münzbildern eine Datierung in das frühe 2. Jh. v. Chr. und damit eine Benennung als Kleopatra I. nahelegen. Es könnte sich aber gleichwohl auch um eine der späteren gleichnamigen Ptolemäerinnen handeln. Auch wenn nicht alle Forscher der Annahme zustimmen, dass es sich bei den Münzbildern um ein Porträt der Königin handelt, so ist es gleichwohl signifikant, dass diese gräzisierte Form der Isis-Frisur, 60 Oxford, Ashmolean Museum Inv. 1909.347: Burr Thompson 1973, 166 Kat. 123 Taf. 43–44; Plantzos 2011, 400 f. Abb. 6. 61 Burr Thompson 1973, 200 f. Kat. 274–276 Taf. 65. 62 Albersmeier 2002, 73; Albersmeier 2004, 428. 63 New York, Brooklyn Mus. of Art Inv. 71.12: Walker/Higgs 2001, 164 Kat. 163 (S. A. Ashton); Stanwick 2002, 124 f. Kat. E 13 (Kleopatra VII.); Albersmeier 2002, 202 f. 301 f. Kat. 38 Taf. 30 c–d. 64 Alexandria, Griechisch-Römisches Mus. Inv. 28107: Kyrieleis 1975, 119. 184 Kat. M 9 Taf. 103,3 (Ptolemäerin, 1. Jh. v. Chr.); Stanwick 2002, 115 Kat. C 19 (Kleopatra II.?); Walker/Higgs 2001, 53 Kat. 17 (S. A. Ashton, Kleopatra I. oder II.); Albersmeier 2002, 203 f. 289 f. Kat. 18 Taf. 31 b (Kleopatra I.). Die Statue New York, Metropolitan Mus. Inv. 89.2.660 mit der Kleopatra­Kartusche auf dem rechten Oberarm sollte aus der Diskussion ausscheiden, da die Echtheit der Kartusche angezweifelt wird: Walker/Higgs 2001, 150–152. 154. 165 Kat. Nr. 164 (dort als Kleopatra VII. angesprochen, S. Ashton); Albersmeier 2002, 205. 349 f. Kat. 105 Taf. 2b. 31a. Stanwick 2002, 125 Kat. E 14 Abb. 173 (hält Kartusche für möglicherweise modern); Pantzos 2011, 394 Abb. 17. 65 London, British Museum G R 1877.8–25.1 (Gem 1196): Walters 1926, Nr. 1196; Walker/Higgs 2000, 83 Kat. I. 81; Walker/Higgs 2001, 66 Kat. 42. 88 10 Sardonyx mit Porträt der Kleopatra I. (?), London, British Museum GR 1877.8–25.1 (Gem 1196) bei der die Stirnhaare eben nicht in Spirallocken in die Stirn hängen, sondern in traditioneller Weise zur Seite geführt sind, erst unter der Regentschaft Kleopatras I. (194–174 v. Chr.) aufkommt – möglicherweise sogar erst in der Zeit ihrer faktischen Alleinherrschaft – und dass sowohl die Göttin Isis, als auch die Königin selbst in dieser Weise dargestellt werden konnten. Ob auf den Bronzemünzen die Göttin mit den Zügen der Königin oder die Königin sub specie deae dargestellt ist, lässt sich nicht eindeutig entscheiden. Diese Doppeldeutigkeit war möglicherweise sogar intendiert.66 Vor diesem Hintergrund gewinnt der Dresdner ›Mädchenkopf aus Kyzikos‹ (vgl. Abb. 1–5), der sowohl die charakteristische Spirallockenfrisur 66 Zur Isis­Angleichung der Ptolemäerinnen s. Stanwick 2002, 74–76; Albersmeier 2004, 421–432; Albersmeier 2005, 253–255; Pincock 2011, 59–60. V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 89 als auch das flache Diadem trägt, eine neue Relevanz. Dabei fällt auf, dass sich auch die physiognomischen Eigenheiten mit den auffallend langge­ zogenen Untergesicht und dem kleinen Mund unter dem kurzen Philtrum gut mit Köpfen vereinbaren lassen, für die eine Benennung als Kleopatra I. vorgeschlagen wurden.67 Bleibt zu prüfen, ob auch das stilistische Er­ scheinungsbild des Kopfes mit einer solchen Benennung zu vereinbaren ist. Der Kopf erweist sich durch die feine, sensible Bildhauerarbeit, die in den zart anschwellenden Nasenflügeln ebenso hervortritt wie in den plastisch gerundeten Haarsträhnen, unzweifelhaft als hellenistische Arbeit. Das klare Achsengerüst und die ruhige, verhaltene Formgebung des Gesichts führten in der älteren Literatur zu einer nahezu einhelligen Zuordnung zur frühhellenistischen Kunst.68 Eine derart frühe Datierung erscheint angesichts der Besonderheiten der Frisur jedoch ausgeschlos­ sen. Auch im Vergleich mit der sog. Arsinoe II. in Berlin (vgl. Abb. 6–7) wird man den Dresdner Kopf mit seinen glatten, spannungslosen Wan­ genflächen eher später als diese datieren.69 Ungleich näher steht dem Dresdner Kopf die sog. Berenike­Isis aus Tell Timai in Kairo70. Auch der Dionysos­Kopf aus demselben Fund zeigt sowohl in der Haltung wie in der Formgebung der Haare übereinstimmende Stileigenheiten.71 Die Köpfe aus Tell Timai sind zwar keineswegs sicher datiert, werden aber von der Mehrzahl der Forscher mit überzeugenden Argumenten dem Zeitraum vom ausgehenden 3. bis zum frühen 2. Jh. v. Chr. zugewiesen.72 In diesem Umfeld hat auch der Dresdner Porträtkopf seinen Platz, zumal die ruhigen Formen und der Verzicht auf jegliches Pathos eine wesentlich spätere Entstehung ausschließen.73 Das stilistische Erscheinungsbild ist somit durchaus mit einer Benennung des Dresdner Mädchenkopfes als Porträt Kleopatras I. zu vereinbaren. 67 Kopf in Alexandria und New York, s. o. Anm. 63 u. 64. 68 Reinach 1903, 141; Marshall 1909, 80–81; Bieber 1923/24, 262–263; Kyrieleis 1975, 88; Stemmer 2011, 164 f. Nr. L 11. 69 S. o. Anm. 9. 70 S. o. Anm. 47. 71 Kairo, Ägyptisches Mus. Inv. JE 39518: Lembke 2000, 128 f. Abb. 22–25; Queyrel 2003, 482. 490 Kat. 10. 495 Abb. 19–20. 72 Lembke 2000, 134–136; Walker/Higgs 2001, 73 zu Kat. I 61 (S. Ashton); Queyrel 2003, 482–485. 73 Man vergleiche etwa die fraglos jüngere, gleichwohl aber sicher noch im 2. Jh. v. Chr. entstandene sog. Louvre­Kleopatra, s. o. Anm. 24. 90 In Anlehnung an die oben genannten Münzbilder 74 wurde jüngst auch für einen Frauenkopf in Kopenhagen (Abb. 11–12) eine Benennung als Kleopatra I. vorgeschlagen.75 Dieser Kopf zeigt nun nicht nur diesel­ ben technischen Eigenheiten des abozzierten, für eine Stuckergänzung zugerichteten Hinterkopfes, sondern auch die gleiche Kombination von in feinen Wellen zur Seite gekämmten Stirnhaaren und senkrecht von der Kalotte herabfallenden Spirallocken wie sie für die Dresdner Kleopatra rekonstruiert werden konnte. Allerdings waren bei dem Kopenhagener Kopf die Haare im Nacken möglicherweise zu einem Knoten hochgebunden. Beide Köpfe zeigen über Stirn und Schläfen die kurzen, den Haaransatz umspielenden Haarsträhnchen, die bei dem Kopenhagener Kopf sogar noch lebhafter bewegt sind. Zudem stimmen die Breite und der Verlauf des Diadems überein, und das Bohrloch zur Befestigung eines metallenen Attributs befindet sich bei beiden Köpfen an derselben Stelle. Zudem sind die physiognomischen Übereinstimmungen mit der Dresdner Kleopatra als signifikant zu bewerten, auch wenn der Kopf in Kopenhagen in der lebhaften Kopfwendung und dem schwellenderen Inkarnat der Wangen ein stärkeres Pathos zeigt. Die Proportionen mit dem langen Untergesicht, den großflächigen Wangen und dem schweren Kinn stimmen grundsätzlich überein. In beiden Fällen ist das Philtrum eher kurz, auch wenn die Mund­ partie bei dem Kopenhagener Kopf durch Beschädigungen beeinträchtig ist, und die schmalen Augen liegen tief unter den flachen Brauenbögen. Prägend für das Erscheinungsbild der beiden Einsatzköpfe ist neben der individuellen Frisur schließlich auch der auffallend lange Hals, der mögli­ cherweise die Mädchenhaftigkeit der sehr jungen Königin betonen sollte. Über den Fundort des Kopenhagener Porträtkopfes gibt das sonst so informative Inventar der Ny Carlsberg Glyptotek keinerlei Aufschluss: Das Stück wurde erst 1994 in den Depots entdeckt.76 Demgegenüber erstaunt angesichts der hier vorgeschlagenen Benennung des Dresdner Kopfes als Kleopatra I. dessen Herkunft aus Kyzikos. Auch wenn die Angaben eines Antikenhändlers im Konstantinopel des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht überbewertet werden dürfen und die technischen Eigenheiten des Kopfes für eine Fertigung im alexandrinischen Ägyp­ ten sprechen, ist diese Provenienz zunächst einmal ernst zu nehmen.77 74 S. o. Anm. 51. 75 Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 3698: Nielsen/Øestergaard 1997, 58 f. Kat. 26; Nielsen 1995; Schmid 2001, 96 Anm. 16 (Ptolemäerinnen­Porträt). 76 Nielsen – Øestergaard 1997, 58 f. 77 Bis heute wurden nur sehr wenige Köpfe mit vergleichbaren technischen V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 91 Abgesehen davon wissen wir, dass an verschiedenen Orten außerhalb Ägyptens Bildnisse ptolemäischer Herrscher in Städten und Heiligtü­ mern aufgestellt waren.78 In der zum seleukidischen Herrschaftsgebiet gehörenden Schwarzmeerstadt Kyzikos wäre ein Standbild Kleopatras I. sogar durchaus plausibel, war sie doch eine Tochter Antiochos III., die von den Alexandrinern als ›Syra‹ betitelt wurde.79 Dass es dieser syrischen Königin überdies gelang, nach dem frühen Tod ihres Gatten im Jahr 180 v. Chr. den ägyptisch­syrischen Krieg zu beenden, könnte einen hinreichenden Anlass für die Aufstellung einer Statue innerhalb des syrischen Herrschaftsgebiets geboten haben. Als Ergebnis dieser exemplarischen Betrachtung bleibt festzuhalten, dass sich auf der Grundlage klar definierter Kriterien durchaus neue, be­ gründete Benennungsvorschläge für Porträts ptolemäischer Königinnen vornehmen lassen. Der Dresdner ›Mädchenkopf‹ erfüllt zusammen mit dem typologisch eng verwandten Kopf in Kopenhagen in Hinblick auf Machart, Physiognomie, Attribut und Frisur eine bemerkenswert große Zahl dieser Kriterien, so dass beide Köpfe nicht nur plausibel als ptole­ mäische Porträts eingeordnet, sondern auch zuversichtlich als Porträts Kleopatras I. benannt werden können. Die Eingrenzung auf die erste Herrscherin dieses Namens ergibt sich zum einen aus der eigenwilligen Spirallocken­Frisur, die in dieser Form vor der Regierungszeit Kleopatras I. nicht nachgewiesen werden konnte, zum anderen aus dem stilistischen Erscheinungsbild, das zumindest für den Dresdner Kopf eine wesentlich spätere Entstehung und damit die Zuweisung an eine der Nachfolgerin­ nen ausschließt. Angesichts dieser potentiellen Bildnisse Kleopatras I. in Dresden und Kopenhagen ist die Verlockung groß, weitere Köpfe auf den Prüfstand zu stellen. So besitzt zum Beispiel ein hellenistischer ›Isis­Kopf‹ in Venedig nicht nur dieselbe charakteristische Frisur mit den seitlichen Spirallo­ cken und dem in der Mitte gescheitelten Stirnhaar, sondern darüber hinaus auch ein deutlich erkennbares Diadem.80 Das Gesicht hat durch Besonderheiten außerhalb Ägyptens gefunden. So bereits Amelung 1897, 141. Das Bild hat sich seitdem nicht wesentlich geändert. 78 Kyrieleis 2005, 235. s. auch die Tabelle zu den Fundorten außerhalb Ägyp­ tens: Albersmeier 2002, Tabelle 4. 79 DNP 6 (1999) 587 s. v. Kleopatra (W. Ameling). 80 Venedig, Mus. Arch. Inv. 116­B: Traversari 1986, 30–32 Kat. 6; La Rocca 1984, 25 Abb. 17. Der Kopf wurde von Traversari bereits mit dem Isis­Köpfchen von Tel Timai verglichen und als ein Werk des früheren 2. Jhs. v. Chr. eingeordnet. 92 11 Einsatzkopf, Porträt der Kleopatra I., Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 3698 V O R ST E R : W O R A N E R K E NNT M A N E I N E P TO L E M Ä E R I N ? 93 12 Einsatzkopf, Porträt der Kleopatra I., Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 3698 94 mechanische Reinigung der Oberfläche und vor allem durch die Ergän­ zung einer merkwürdig stumpfen Nase viel von seinem ursprünglichen Reiz eingebüßt. Die mandelförmigen Augen mit dem hochgezogenen Unterlid und der kleine Mund stimmen aber mit den Kleopatra­Porträts in Dresden und Kopenhagen hinlänglich überein, denen der veneziani­ sche Kopf übrigens auch im Format entspricht.81 Die Frage, ob auch die venezianische ›Isis‹ als ein Porträt der Kleopatra zu verbuchen ist und falls ja, welcher der Königinnen dieses Namens, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Außer Frage steht aber, dass eine entsprechende Sichtung des Materials unseren Kenntnisstand zum Porträt der Ptolemäerinnen durchaus erweitern könnte. BILDREC HTE 1–5, Taf. 1 Foto SKD Dresden, H. P. Klut. 6–7 Foto http://arachne.uni­koeln.de/item/objekt/105691. 8, 10 Foto British Museum. 9 Thompson 1973, Taf. D Abb. 123. 11–12 Foto Ny Carlsberg Glyptotek. LITERATUR VERZEICH NIS Ägypten – Griechenland – Rom 2005 Ägypten Griechenland Rom. Abwehr und Berührung. Ausstellungskatalog Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie Frankfurt 26.11.2005 – 26.2.2006. Frankfurt 2005. Albersmeier 2002 Albersmeier, Sabine: Untersuchungen zu den Frauensta­ tuen des ptolemäischen Ägypten. Aegyptiaca Treverensia 10. Mainz 2002. Albersmeier 2004 Albersmeier, Sabine: Das ›Isisgewand‹ der Ptolemäerinnen. In: Bol, Peter (Hrsg.): Fremdheit – Eigenheit: Ägypten, Griechenland und 81 Allerdings zeigen diese eher kurze Spirallocken über der Stirn wie die durch das Diadem als Ptolemäerin ausgewiesene Kleopatra II. oder III. auf der Lykomedes­Gemme oder das Porträt Kleopatras II. oder I I I. in Berlin; Gemme des Lykomedes, Boston, MfA Acc. 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C HARIS ME ET MO N NAIES Les portraits monétaires de Mithridate constituent la base de l’étude de ses représentations plastiques depuis l’étude classique de Gerhard Kleiner 2 et le corpus monétaire est bien connu depuis la publication de François de Callataÿ3. On doit donc partir des monnaies pour apprécier le pouvoir charismatique du portrait, mais en renversant les perpectives des spécialistes d’iconographie princière sans insister d’emblée sur l’existence de types iconographiques distincts. F. de Callataÿ a mis en lumière les rapports entre frappes monétaires de Mithridate et effort de guerre 4 : contrairement à ce qui est parfois présenté de manière simplificatrice, les frappes monétaires ne coïn­ cident pas toujours exactement avec la durée de la guerre, mais peuvent 1 Je suis heureux d’offrir à Dietrich Boschung cette étude issue de ma collabora­ tion au programme de recherche intitulé « Macht und Herrschaft » qu’il a dirigé pendant mon séjour à Cologne au collège international Morphomata. J’ai tiré le plus grand profit des remarques et suggestions de François de Callataÿ ainsi que d’observations d’Anca Dan, de Lorenz Baumer et de Richard Veymiers. Un séjour à Délos en juillet 2013 m’a permis de vérifier au musée et sur le site certaines interprétations en bénéficiant des meilleures conditions de travail, grâce à l’Éphorie des Cyclades et à l’École française d’Athènes, avec le concours de Frédéric Herbin et l’assistance de Caroline Le Lay et de Timothy Pönitz, dans le cadre du programme de recherche franco­allemand EIKON sur la vie des portraits grecs. 2 Kleiner 1953. 3 Callataÿ 1997. 4 Callataÿ 2000, 355–359. 100 précéder de plusieurs mois son déclenchement si elle est préparée de longue date. C’est le cas pour les années 75 et 74, avant la troisième guerre mithridatique, qui était préméditée ; en revanche, c’est très peu de temps avant le début de la première guerre mithridatique (89–85) que le roi du Pont, pris de court, a émis beaucoup de numéraire. Un second point est mis en évidence par F. de Callataÿ : ces monnaies ont servi à payer des mercenaires étrangers. Une conséquence paraît au premier abord en découler pour la signification du portrait royal figuré au droit : il délivre un message de mobilisation destiné à garantir la loyauté de mercenaires étrangers et, pour ce faire, le portrait doit être reconnu ; faut­il supposer que cette adhésion se porte au­delà de l’image, jusqu’à la personne représentée ? Sur ses monnaies, Mithridate, avec ses longs cheveux, se présentait-il en nouvel Alexandre ? Cette image apparaît en fait au terme d’une évo­ lution du portrait princier qui se dessine à la basse époque hellénistique chez les Séleucides. L’usurpateur du trône séleucide Diodotos Tryphon (142–138) avait laissé pousser ses cheveux à la manière de l’Alexandre 5 des monnaies de Lysimaque 6 et on voit se multiplier les portraits monétaires chevelus dans la seconde moitié et la première moitié du Ier siècle av. J.­C., à partir d’Antiochos VIII (128, 125–96).7 Mithridate VI s’inscrit sans rup­ ture dans ce mouvement en l’accentuant : ses cheveux sont plus longs et ruissellent sur la nuque. Le portrait « de style réaliste », qui apparaît sur des tétradrachmes de 106 à 988, caractérise ensuite un premier groupe de tétradrachmes datés dont la frappe commence en 96/5, avec les boucles qui tombent sur les épaules, alors que, dans un second groupe, elles s’en­ volent vers l’arrière, dégageant un visage aux traits idéalisés9 : ce style « idéalisé », les cheveux au vent, qui fait son apparition sur les statères en octobre 89 au plus tôt, n’apparaît pas avant le mois de juillet 85 sur les tétradrachmes10. Un tel portrait rompt avec les images aux cheveux courts des prédécesseurs de Mithridate VI, comme son père Mithridate V (vers 150–120).11 Cette image, qui n’est pas attestée à la haute époque hellénistique pour Alexandre, développe des potentialités de son portrait. 5 Smith 1988, 121, pl. 76, 17. 6 Ibid., pl. 74, 5. 7 Ibid., pl. 76, 20 ; 77, 1–6. 8 Voir la démonstration de Callataÿ 1996, 35. 9 Smith 1988, 122, pl. 77, 13–14 ; Callataÿ 1996, 33, pl. XV A–B. 10 Callataÿ 1997, 43–44, pl. VII. 11 Smith 1988, 122, note 36, pl. 77, 12. Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 101 Le portrait monétaire de Mithridate VI combine la liberté des mèches folles d’Alexandre avec les longs cheveux qui caractérisent Dionysos, en particulier dans le type de Dionysos­« Ariane »12 : l’image invente un Alexandre-Dionysos qui réincarne le modèle divin d’Alexandre en la personne du roi du Pont. Cette image, devenue familière à la fin de l’époque hellénistique à force d’être représentée et répandue, véhiculait la légende du conquérant de l’Asie. Pour les mercenaires, elle était synonyme de succès et de ri­ chesses, à cause du souvenir de la geste du Macédonien. Le roi au large diadème était donc par définition doté d’une qualité essentielle pour susciter l’adhésion : il réincarnait Alexandre, qui avait mis ses pas dans ceux de Dionysos13 ; l’imitatio Alexandri de Mithridate se constate aussi bien dans l’iconographie que dans l’historiographie.14 Cette adhésion était le fait d’étrangers au royaume qui reconnaissaient ainsi une image porte­bonheur. Mais elle était aussi de nature rationnelle : le roi du Pont prétendait descendre par sa mère d’Alexandre et des Séleucides et, par son père, des Achéménides15 ; dans ce faisceau d’ancêtres Alexandre est choisi parce qu’il parle aux Grecs de manière directe et immédiate et peut-être parce qu’il avait voulu unir traditions royales macédoniennes et perses. La revendication de l’image d’Alexandre s’inscrit aussi dans la lignée : le portrait monétaire d’Ariarathe IX, placé par son père Mithridate VI sur le trône de Cappadoce (101/0–87), a reproduit les caractéristiques de l’image paternelle ; il en va de même pour son autre fils, Pharnace II, roi du Bosphore (63–47). Comment expliquer cette perpétuation d’une même image dans des contextes différents ? Nous pouvons recourir aux catégories idéelles forgées par Max Weber à partir du mot grec charisma et appliquées par Hans­Joachim Gehrke à l’analyse de la royauté hellénistique 16 : l’adhé­ sion charismatique et légale est immédiatement compréhensible pour Ariarathe IX qui doit son royaume à son père, mais pour Pharnace II, elle paraît contredite par des facteurs politiques : il a conspiré contre son 12 Gasparri 1986, 445, note 204 a, pl. 322. Sur les cheveux de Dionysos, voir en général Cain 1997. 13 Goukowsky 1981. 14 Voir Muccioli 2013, 329–332, sur cette épithète de Dionysos. 15 Appien, Mithridate, CXII ; voir Gross 1954, 106–107 ; Goukowsky 2001, 247 note 1048. 16 Voir Gehrke 1982. Ce concept est aussi utilisé pour analyser l’image d’Alexandre : Demandt 2013. 102 père, qui a été acculé au suicide. Il faut en réalité comprendre l’adhésion non pas comme liée à la personne du roi, mais comme le résultat d’un mouvement politique destiné à susciter une réaction de la part des des­ tinataires : rien de plus rassurant que la stabilité, synonyme de sécurité pour qui utilise une monnaie. L’utilisateur, le mercenaire au premier chef, est en fait attaché à la monnaie, à sa valeur « faciale » pourrait­on dire, et c’est pour ce public que l’image est conçue : en se faisant représenter comme Mithridate VI, son fils Pharnace II, qui l’avait trahi, ne cherchait aucunement à masquer le souvenir de sa faute ou à faire repentance ; il reproduisait cette image tout simplement parce qu’elle avait du prix : son choix est lié à l’utilisation attendue du monnayage par des mercenaires attachés aux valeurs sûres des monnaies sonnantes et trébuchantes. Cette remarque amène à modifier la perspective initiale : le charisme du portrait monétaire est avant tout fondé sur la valeur de la monnaie et explique la continuité de l’image. II. LES PS EU D O - MIT H R IDAT ES EN SCUL P TURE Les archéologues ont été particulièrement généreux dans l’identification de portraits plastiques de Mithridate : on a utilisé les sources antiques pour débusquer des représentations du roi du Pont dans des endroits où il a exercé sa domination. Il serait ainsi figuré à Pergame en Héraclès délivrant Prométhée dans un groupe qui traduirait de manière allégorique la délivrance des cités d’Asie par le roi du Pont lors des guerres mithridatiques (fig. 1).17 Héraclès, coiffé de la léontè, a aussi la tête ceinte d’un large diadème. Mithridate n’est pourtant pas le seul roi qui a exercé son pouvoir à Pergame ; on pensera avec plus de vraisemblance aux Attalides, qui revendiquaient le héros des Travaux pour ancêtre mythique, ce qui suffit à expliquer le port du diadème, mais on peut aussi bien penser qu’un Attalide (selon moi, plutôt Eumène II) est ici assimilé à Héraclès. Quelle que soit l’identifi­ cation de la figure héroïque, elle n’a aucun rapport avec Mithridate VI. 17 Berlin, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Antikensammlung und Pergamonmuseum, AvP VII 168. Voir Queyrel 2003, 153–161, pl. 22, 3 ; 23 ; Kreuz 2009, 132–133, exclut aussi ce monument de l’iconographie de Mithridate, au contraire d’Ercinyas 2006, 151, 153–154, fig. 77 et de Vorster 2011, qui le date, sur critères stylistiques, de la fin du IIe ou du début du Ier siècle av. J.­C. Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 103 1 Héraclès ou Attalide dans le groupe de la délivrance de Prométhée. Berlin, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Antikensammlung und Pergamonmuseum, AvP VII 168 Il suffit à cet égard de comparer la tête du héros pergaménien avec le portrait de Mithridate coiffé de la léontè pour faire ressortir les différences qui les séparent.18 Passons à Délos, où trois têtes colossales ont reçu le nom de Mithri­ date, alors que ce sont en fait des portraits d’Alexandre. La tête colossale du Dôdékathéon (fig. 2)19, qui arborait probablement les cornes caprines de Pan, le dieu de Pella, présente l’anastolè d’Alexandre et date de la haute époque hellénistique : elle vient de la statue de culte du Macédonien as­ socié au culte des Douze Dieux dans le Dôdékathéon de l’île où elle a été retrouvée. Une autre tête plus grande que nature, aux longs cheveux, au large diadème et au visage peu individualisé, figure probablement aussi 18 Paris, Musée du Louvre, Ma 2321. Smith 1988, 171, n° 83, pl. 51–52, 1–2. 19 Délos, Musée, inv. A 4184. Smith 1988, 42 note 95 ; 100, 173, n° 92 ; F. Queyrel, in Marcadé 1996, 84, n° 32, fig. 85 ; Queyrel 2016, 148–150, 349–350, fig. 121. 104 2 Alexandre du Dôdékathéon de Délos. Délos, Musée, inv. A 4184 Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 105 3 Alexandre de Délos. Athènes, Musée national archéologique, inv. 429 106 4 Alexandre dit « l’Inopos ». Paris, Musée du Louvre, inv. MR 235 (Ma 855) Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 107 Alexandre (fig. 3).20 Pour le buste rapporté désigné conventionnellement comme l’Inopos, il a toute chance de venir de Délos et ne peut représenter qu’Alexandre, non pas Mithridate comme l’a proposé Jean Charbonneaux, qui l’attribuait de manière un peu rapide au sculpteur de la Vénus de Milo (fig. 4)21 : son nom d’Inopos n’a rien à voir avec sa provenance exacte dans l’île, qu’on ignore, et rien n’indique qu’il provienne du Samothrakeion, où s’élevait le monument de Mithridate au­dessus du réservoir supérieur de l’Inopos.22 Ces portraits, qui ont pour seul point commun de ne pas représenter Mithridate, attestent, indépendamment des portraits du roi du Pont, le succès qu’a connu l’image d’Alexandre tout au long de l’époque hellé­ nistique. III. LE MO NUMEN T D E MITH R IDATE À D ÉL O S Nous gardons de Mithridate VI l’image de l’ennemi irréductible des Romains, mais, à Délos, le monument qui porte son nom est antérieur à la première guerre mithridatique.23 Ce petit bâtiment quadrangulaire, dont on a dégagé les fondations jusqu’au rocher, se dressait en bordure nord du Samothrakeion de Délos, dans l’axe de la porte qui donnait accès à la partie du sanctuaire consacrée à Héraclès24 (fig. 5). Cette chambre 20 Athènes, Musée national archéologique, inv. 429. Homolle 1885, 253–255, pl. XVII ; Michalowski 1932, 5–8, n° 2, pl. VII ; Marcadé 1969, 266–268, 277 note 6, pl. LXXIII ; Smith 1988, 30, 100, 123, 172, n° 90. 21 Paris, Musée du Louvre, inv. MR 235 (Ma 855). Charbonneaux 1951 ; Smith 1988, 100, 123, 172, n° 89 ; F. Queyrel, in Marcadé 1996, 86, n° 33, fig. 87 ; Hamiaux 1998, 67–69, n° 71, fig. ; Queyrel 2016, 63, 340, fig. 34. 22 Contrairement à Smith 1988, 100. 23 Je laisse ici de côté les autres témoignages sur les bases de statues de Mithridate à Délos ; voir les inscriptions réunies et rapidement commentées par Bruneau 1970, 576–577 ; Erciyas 2006, 122–125. 24 Chapouthier 1935, à compléter par Risom 1948 ; voir Homolle 1913 ; Bruneau / Ducat 2005, 94, fig. 30. Les études plus récentes reprennent toutes les éléments de la publication de Chapouthier, à laquelle il faut toujours se référer : Webb 1996, 141–142 ; Sauron 1994, 69–71 ; Cadario 2004, 70–73 ; Ercinyas 2006, 134–146 ; Højte 2009, 157 ; Kreuz 2009, 134–140 ; Gross 1954, 108–109, ne paraît pas avoir saisi que le Monument est profondément fondé jusqu’au rocher. Grâce au travail sur le terrain fait par Frédéric Herbin avec l’aide de Caroline Le Lay et Timothy Pönitz, je peux ici présenter quelques observations nouvelles. 108 5 Samothrakeion de Délos, plan du second état 6 a/b Monument de Mithridate, restitution graphique de la façade avec restitution de (a) trois statues ; (b) cinq statues 7 Monument de Mithridate, fronton avec la dédicace Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 109 8 Monument de Mithridate, médaillons nos 4–5 9 Portrait de Diophantos, Délos, Musée, inv. A 4192 110 rectangulaire à deux colonnes in antis en façade, dont « les murs furent élevés avec beaucoup de négligence et de fantaisie »25, abritait au moins une base replacée sur la banquette contre le mur de fond long de 4,40 m et ses parois intérieures étaient ornées en hauteur d’une frise de douze mé­ daillons située à 2,52 m du dallage (6 médaillons au fond et 3 sur chaque paroi latérale ; fig. 6a–b). Le fronton de cette chapelle présente aussi un médaillon au centre (fig. 7). Le pourtour mouluré des médaillons entoure dans la cavité centrale un buste sculpté dont la tête et le cou étaient fixés contre le fond au moyen d’un goujon (fig. 8–9). Des inscriptions, gravées rapidement sur les parois, indiquent à l’accusatif le nom des personnages représentés et au nominatif le nom du dédicant, le prêtre Hélianax fils d’Asclèpiodôros. Les bustes sont cuirassés, avec ou sans chlamyde, sauf deux vêtus de la tunique avec l’himation. L’exécution de ces médaillons, en marbre local à gros grains, n’est pas très soignée : l’épaisseur de la moulure notamment est variable.26 La dédicace du monument est pré­ cisément datée de 102/1, à la sortie de charge du prêtre Hélianax27 : « Le prêtre Hélianax fils d’Asklépiodôros, Athénien, prêtre à vie de Poséidon Aisios, ayant aussi été prêtre des Grands Dieux de Samothrace, Dioscures, Cabires (a dédié) pour le peuple des Athéniens et le peuple des Romains le temple, les statues de culte (?) qu’il contient et les boucliers aux dieux dont il a été le prêtre et au roi Mithridate Eupatôr Dionysos, à ses frais sous l’épimélète de l’île Théodotos fils de Diodôros, de Sounion. » Le terme « boucliers » (ὅπλα) désigne les médaillons ornés de bustes, qu’on appelle en latin imagines clipeatae 28 ; le terme traduit par « statues de culte » a été restitué dans la lacune sous la forme [ἀγάλματα], qui désigne des statues qui font l’objet d’un culte, mais on pourrait aussi bien restituer andriantas, pour désigner des effigies portraits sans fonction culturelle qui peuvent être offertes en ex-voto, même si le monument est appelé naos. Rien dans cette dédicace n’impose l’idée d’un culte de Mithridate, dont Hélianax serait le prêtre.29 25 Chapouthier 1935, 22. 26 Ibid., 40. 27 Ibid., 40–41 ; I D 1562. Le texte de la dédicace du monument a été établi par Chapouthier 1935, 34–35, fig. 41 et fig. 42 ad 34, et complété par Sanders / Catling 1990. 28 Voir Marcadé 1969, 319–323. 29 Au contraire de l’interprétation de Savalli­Lestrade 2009, 135, suivie par Muccioli 2013, 331. Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 111 III.1 LES « B O UCLIER S » Le fronton présentait un buste dans un médaillon inscrit au nom d’un – fils de – ros (Eudôros ?), d’Amisos, ami (philos) (?) du roi Mithridate Eupatôr » (cuirasse et chlamyde ; Durrbach 1921–1924, 136 a ; ID 1569)30 (fig. 7). D’après cette inscription, on ne peut pas restituer ici un buste de Mithridate.31 Dans le monument, les médaillons des parois intérieures figuraient, de gauche à droite, des personnages en buste portant différents vêtements32 (fig. 8) : – paroi de gauche : 1. Gaios fils d’Hermaios, d’Amisos, compagnon (syntrophos) du roi Mithridate Eupatôr (cuirasse et chlamyde ; Durrbach 1921–1924, 136 d ; ID 1570) ; 2. – os fils d’Antipater, ami du premier rang du roi Mithridate Eupatôr et « préposé au secret » (cuirasse et chlamyde ; Durrbach 1921–1924, 136 e ; ID 1571) ; 3. Dorylaos fils de Philétairos, d’Amisos, compagnon (syntrophos), « pré­ posé au poignard », commandant des forces armées du roi Mithridate Eupatôr (cuirasse et manteau ; Durrbach 1921–1924, 136 f ; ID 1572) ; – mur de fond : 4. Diophantos fils de Mitharès, de Gazioura (cuirasse et manteau ; Durrbach 1921–1924, 136 b ; ID 1574) ; 5. le roi Ariarathe VII de Cappadoce Philomètôr fils d’Ariarathe Épiphane et Philopatôr (cuirasse et manteau ; Durrbach 1921–1924, 136 g ; ID 1576) ; 6. le roi Antiochos VIII Épiphane Philomètôr Kallinikos fils du roi Démé­ trios et de la reine Kléopatra (cuirasse et manteau ; Durrbach 1921–1924, 136 h ; ID 1552) ; 30 Chapouthier 1935, fig. 42 ad 34 ; 36. 31 Webb 1996, 141, suivie par Cadario 2004, 72, affirme que le buste représentait le roi Mithridate VI. 32 Voir les inscriptions dans Chapouthier 1935, 32–34, dont je suis la numé­ rotation en ajoutant la caractérisation du vêtement d’après l’étude des blocs à Délos. Gross 1954, 112–113, a voulu reconnaître des armures et des vêtements romains comme la toge ou le paludamentum : voir les observations de Marcadé 1969, 331–332 ; Bernard 1985, 87, note 179, juge sa « théorie aberrante sur le caractère romain des cuirasses des médaillons et des statues ». 112 7. Asclèpiodôros père d’Hélianax (tunique ; ID 1903) ; 8. – (cuirasse et manteau) ; 9. Mithridate fils d’Eu–, compagnon (syntrophos) (?) et préposé aux requêtes (?) d’Arsace VII d’Arménie (tunique ; ID 1582) ; – paroi de droite : 10. Dor–, ami (philos) d’Arsace VII d’Arménie (cuirasse ; Durrbach 1921–1924, 136 i ; ID 1581) ; 11. – (cuirasse) ; 12. Papias fils de Mènophilos d’Amisos, ami (philos) de Mithridate, mé­ decin­chef, juge chargé des instructions (cuirasse ; Durrbach 1921–1924, 136 c ; ID 1573). Une tête légèrement plus grande que nature, en marbre blanc de Paros, au visage endommagé, (fig. 9)33 se replace dans le médaillon de Diophantos (n° 4), le premier à gauche sur le mur de fond, et une deuxième tête vient d’un autre médaillon du monument. Ce Diophantos fils de Mitharès, de Gazioura, dont le nom est restitué et dont le titre ne figure pas dans l’ins­ cription (ID 1574), serait le général de Mithridate qui mena des campagnes à la fin de son règne, en 73 et 71.34 Il porte le même nom que le meilleur gé­ néral de Mithridate, Diophantos fils d’Asklèpiodôros, de Sinope, qui mena notamment des campagnes victorieuses contre les Scythes en Chersonnèse Taurique à la fin du IIe siècle.35 On a cru que ce portrait témoignait d’une mutilation intentionnelle 36 qui a été attribuée aux habitants de Délos après le départ des troupes de Mithridate en 88–87.37 Selon Casimir Michalowski, « les cassures du menton, du nez, des yeux semblent avoir été faites avec une masse » ; cette interprétation est peu vraisemblable : on ne discerne en fait aucune trace d’outil de cette nature sur la tête ; s’il y avait eu damnatio memoriae, le visage porterait la marque de traces de pointe, comme une tête défigurée qui représentait un magistrat romain (fig. 10)38 ; d’autre part, 33 Délos, Musée, inv. A 4192. Michalowski 1932, 9–10, n° 3, fig. 4–5, pl. VIII ; Chapouthier 1935, 30, fig. 37–38 ; Marcadé 1969, 141 et note 1, 272–273, 319, 373 ; Neumann 1977, 87, note 4 ; 89 fig. 4–5. 34 Durrbach 1921–1924, 136 b, 219 ; ID 1574. 35 McGing 1986, 50–54 ; Ballesteros Pastor 1996, 46–52. 36 Michalowski 1932, 9 ; voir, entre autres, Marcadé 1969, 266 note 4 ; Callataÿ 1997, 304 ; Savalli­Lestrade 2009, 135–136. Kousser 2017, 212, fig. 84. 37 Bruneau 1968, 673–674 (= Bruneau 2006, 151–152) ; Marcadé 1969, 266 note 4 ; Bruneau 1970, 577 et note 4. 38 Délos, Musée, inv. A 1732. Michalowski 1932, p. 52, n° 3, fig. 4–5, pl. XXXVII 1 ; Queyrel 2016, 155, 350, fig. 126. Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 113 10 Portrait de Romain mutilé volontairement. Délos, Musée, inv. A 1732 les noms inscrits sur le monument n’ont pas été effacés, au contraire de ce que l’on constate à Délos pour les portraits de magistrats romains39 ; enfin le fond des médaillons ne présente aucune marque qui suggérerait 39 F. Queyrel, in Marcadé / Queyrel 2003, 93–94. 114 une tentative d’arrachement, comme me l’a fait observer Frédéric Herbin. La deuxième tête a perdu tout le visage, sans que la moindre trace d’outil puisse non plus faire penser à une mutilation intentionnelle.40 Les cheveux couvrent en nappe tout le haut de l’oreille, à la différence de l’autre tête dont les mèches courtes et bouclées découvrent les oreilles. III.2 LES S TAT UES Une banquette moulurée haute de 60 cm environ courait sur 4,40 m envi­ ron le long du mur de fond.41 On restitue sur elle en position centrale des statues en marbre en ronde bosse, dont l’une représentait Mithridate VI ; sa base inscrite dédiée par le prêtre Hélianax (ID 1563) a été découverte dans la vanne du réservoir supérieur de l’Inopos (fig. 11).42 On restitue sur la banquette du Monument de Mithridate, à côté de cette base qui nomme Mithridate VI, d’autres bases non retrouvées ; dans une niche aménagée dans le mur de fond du temple ou salle de banquets, on a aussi retrouvé 11 Base de la statue de Mithridate VI. Délos, Musée 40 Délos, Musée, inv. A 5968. H 26,5 cm ; l 18 ; ép. 11. Marcadé 1969, 141, pl. VIII. 41 Chapouthier 1935, 37–38, fig. 46–48. 42 Ibid., 38 fig. 49 ; ID 1563 ; voir Højte 2009, 157, fig. 15. H 15 cm ; l 75,5 cm ; ép. 57 cm. Cuvette d’encastrement : H 8 cm ; l 60 cm ; prof. 46 cm. Dans un second temps, la face latérale droite a été percée pour ménager un canal en U et la cuvette d’encastrement a été piquetée dans cette zone pour la recreuser lé­ gèrement : ce recreusement n’est pas destiné à mettre en place la statue, comme le suggère Chapouthier 1935, 38. Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 115 une base à orthostates, dédiée en 132/1, (ID 1899) avec deux encastrements pour statues en marbre et, en bordure est du sanctuaire, deux autres bases anépigraphes. Un cippe mouluré dédié par Hélianax (ID 1902) supportait une petite statue en marbre. On rapporte enfin au Samothrakeion des statues trouvées en contrebas dans la région de l’Inopos. Les dimensions du Monument de Mithridate permettaient d’y abriter plusieurs statues, dont on ne connaît pas le nombre exact.43 L’emplace­ ment privilégié se trouve au milieu, sous les quatre médaillons centraux du mur de fond, dont les inscriptions ont été reportées au­dessus, ce qui a fait penser que des statues masquaient la paroi sous ces médaillons44 ; en fait il y avait place au­dessus pour les inscriptions, alors que, près des murs latéraux, la pente du toit a obligé à les inscrire sous les médaillons. Pour que les effigies soient bien visibles, on les restituera de préférence sous les deux médaillons centraux, car les deux médaillons voisins sont masqués par les colonnes. Il y a place dans cette hypothèse pour deux, voire trois figures hautes au maximum de 1,75 m, placées sur des bases comme celle de Mithridate (H 15 cm) qui reposaient elles­mêmes sur la banquette (H 60 cm) (fig. 6a). Le monument a été conçu pour exposer en même temps médaillons et statues en ronde bosse. D’après la dédicace du monument par Hélianax (ID 1562) Philippe Bruneau a proposé de restituer dans ce naos les statues synnaoi des Cabires, de Poséidon Aisios et du roi Mithridate VI45 à qui l’offrande est dédiée : il y en aurait alors quatre placées sur la banquette, soit Mithridate VI (dont la base a été retrouvée), les Grands Dieux de Samothrace, Dioscures­Cabires, et Poséidon Aisios. Cette interprétation n’est pas certaine : le prêtre Hélianax a fort bien pu dédier le monument avec les statues qu’il contenait à des divinités (les Grands Dieux, Poséidon Aisios) et à un roi (Mithridate VI) sans qu’ils soient forcément figurés par les statues : la base retrouvée (ID 1563) assure que Mithridate était représenté, mais rien n’oblige à restituer des statues des Grands Dieux et de Poséidon Aisios à ses côtés ; les médaillons représentent des person­ nages dont le nom n’est pas mentionné dans la dédicace. Voyons maintenant quelles statues pouvaient prendre place dans le Monument de Mithridate ; les fragments conservés ont été pour la plupart découverts en contrebas, dans le bassin de l’Inopos. On peut les répartir 43 Contrairement à Savalli­Lestrade 2009, 136, note 27. 44 Chapouthier 1935, 39 ; voir Hallett 2005, 333. 45 Bruneau 1968, 578. 116 en deux groupes que rapprochent entre eux les dimensions et la technique de sculpture : deux effigies, plus grandes que nature (H 2,15 m), avaient la tête rapportée ; trois autres sont à peine plus petites que nature (H 1,55 pour les adultes, 1,45 m pour l’adolescent) et leur tête est sculptée avec le corps complété par des pièces rapportées. Les deux effigies du premier groupe, si on les place sur la banquette du Monument de Mithridate, qui sont plus grandes, masqueraient en partie les portraits des médaillons. III.2.1 DEUX STAT UES CUIR ASSÉES P LUS GRAN D ES Q UE N AT URE Deux statues cuirassées trouvées près du bassin de l’Inopos ont toute chance de provenir du Samothrakeion (fig. 12–13)46 ; plus grands que nature, les personnages figurés mesuraient environ 2,15 m de haut. Ces deux effigies cuirassées forment une paire : l’une est en appui sur la jambe gauche (A 4173), l’autre sur la jambe droite (A 4242) ; la première avait les deux bras abaissés, la seconde tenait la lance dans la main gauche levée. Toutes deux portent la cuirasse hellénistique avec corselet en cuir et double rangée de lambrequins ; une ceinture fait deux fois le tour de la taille et une épée dans son fourreau était fixée sur le côté gauche, retenue par un baudrier rapporté. La bottine montante qui reste au pied gauche de la statue A 4173 a la forme d’embades dont les pattes retombent à mi­ jambe ; les lanières croisées étaient nouées avec des rubans rapportés en métal (deux trous de goujon) sous une lanière horizontale aux extrémités également rapportées (deux autres trous de goujon pour le nœud) et un ornement central parait également le bord supérieur de la bottine. Le manteau retombe en cape sur l’arrière de la statue A 4173 en couvrant aussi les épaules, tandis que sur la statue A 4142 le manteau fait le tour du cou et s’enroule autour de l’épaule gauche. Un pied gauche qui ne touchait le sol que par l’extrémité vient peut-être de la statue A 4242, car il a les mêmes dimensions et les courroies portaient aux mêmes points 46 Délos, Musée, inv. A 4173. H 182 cm ; l 57 ; ép. 45,5. Chapouthier 1935, 39, fig. 5 ; Marcadé 1969, 331 note 2 et 3, 332 et note 1, 333, pl. LXXV ; F. Queyrel, in Marcadé 1996, 198 n° 89 ; 199 fig. gauche ; Zaphiropoulou 1998, 158 fig. à gauche, 274–275, n° 155, fig. ; Hallett 2005, 333 ; Ercinyas 2006, 158, 160 fig. 84 (ne connaît que Chapouthier 1935). – inv. 4242. H 118 cm ; l 68 ; ép. 39. Chapouthier 1935, 39 note 1 ; Marcadé 1969, 331 note 2, 332, 333, pl. LXXV ; F. Queyrel, in Marcadé 1996, 198 n° 89 ; 199 fig. droite ; Zaphiropoulou 1998, 158 fig. à droite, 275, n° 156, fig. ; Hallett 2005, 333. Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 117 les mêmes ornements rapportés47 ; il ne formait pas paire avec un frag­ ment de bas de jambe qui présente deux trous pour des ornements placés verticalement sur le côté de la jambe entre deux rivets.48 Fernand Chapouthier pensait que la statue qui conserve un fragment de plinthe sous le pied gauche, était érigée sur la base inscrite au nom de Mithridate (ID 1563)49, mais cette restitution est impossible pour des raisons matérielles : « l’identification doit être abandonnée »50, car la base est trop petite, et Jean Marcadé a proposé de reconnaître des portraits d’officiers de Mithridate dans les personnages représentés par ces deux statues cuirassées qu’il restitue dans le Monument de Mithridate. Une autre interprétation me paraît plus séduisante : comme la première effigie ne peut être replacée sur la base de Mithridate, ces deux statues formant pendant figureraient les Dioscures/Cabires, selon Matteo Cadario.51 Ces Dioscures sont armés, comme sur de rares représentations en pied, no­ tamment sur des monnaies émises par Ptolémée, dynaste de Chalcis au Liban en 73/2.52 Le port de la cuirasse convient à ces divinités qui étaient vénérées à la guerre, pas seulement en mer.53 Où restituer leurs effigies ? Dans le monument dédié par Hélianax, elles pouvaient accompagner la statue de Mithridate, qui était de plus petite échelle d’après la base inscrite conservée, placées sur la banquette 47 Délos, Musée, inv. A 360. Marcadé 1969, 217, 332 note 1, 461 note 2, pl. XXXIX. Le fragment du pied qui se raccorde au bas de la jambe aurait été trouvé selon le registre du musée le 12–07–1906 au milieu du Portique d’Antigone, mais le « catalogue de fouille » tenu par F. Courby en 1906 donne pour le numéro 6424 la provenance générale « Nord­Ouest de la Rue du théâtre ». Un problème analogue de provenance se pose pour le numéro précédent dans ce catalogue de fouille, un patron de mosaïste : voir Bruneau 1972, 49 note 2. Lors de ces fouilles de 1906 dans le Quartier du théâtre, a été trouvé dans la partie basse un fragment de statuette égyptienne qui en complète un autre trouvé au sanctuaire des dieux étrangers : Holleaux 1907, 360 fig., 361. 48 Délos, Musée, inv. A 275. Trouvé le 22–06–1906 au Monument de granit (registre du musée) ou le 5 juillet 1906 sur la Terrasse des lions (catalogue de fouille). Marcadé 1969, 217 et note 3. 49 Chapouthier 1935, 38–39, fig. 50 ; Højte 2009, 157, fig. 15. 50 Marcadé 1969, 331. 51 Cadario 2004, 73. 52 Seyrig 1970, 97–98, fig. 21 ; 100 ; Hermary 1986, 574, n° 77 ; Augé / Linant de Bellefonds 1986, 594, n° 11, pl. 479 ; Cadario 2004, 73, note 157, pl. XI 7. 53 Voir Ballesteros Pastor 2006, 212, avec la note 11 (témoignages relatifs à Alexandre). 118 12 Statue cuirassée. Délos, Musée, inv. A 4173 Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 119 13 Statue cuirassée. Délos, Musée, inv. A 4242 120 du fond (fig. 6b) ; elles seraient alors contemporaines de la dédicace du monument en 102/1. Mais une objection va à l’encontre de cette restitu­ tion souvent acceptée : ces statues masqueraient la vue des médaillons. Doit­on les restituer à un autre emplacement du sanctuaire, de préférence dans le temple en fonction de statues de culte ou d’ex-voto ? On ne peut pas les replacer aisément sur la base à orthostates située au fond de la niche percée dans le mur de façade du temple dont la dédicace date de 132/1 (ID 1899)54, car elle est trop petite pour accueillir ces deux statues plus grandes que nature. Une tête avec bouchon d’encastrement, trouvée aussi dans le bassin de l’Inopos, vient d’une statue plus grande que nature de dimensions analo­ gues aux deux statues cuirassées (hauteur restituée de la figure : 2,15 m ; fig. 14).55 Le bouchon d’encastrement implique que le torse n’était pas nu. Comme le manteau (d’après ce qui en reste sur le côté gauche du cou) tombait verticalement, on doit supposer que le dieu portait une tunique. Plutôt que d’un diadème, la tête était ceinte d’une couronne rapportée par deux rangs de broches métalliques et une mortaise ronde servait à fixer un attribut métallique à l’avant du crâne. Plutôt que Zeus-Sarapis, Jean Marcadé évoquait la possibilité d’y reconnaître un portrait princier, ce qui me paraît douteux, car une petite tête trouvée aussi dans l’Inopos représente le même sujet avec un trou percé au même emplacement sur l’avant du crâne 56 : on pourrait penser à un Poséidon proche, pour la tête et l’attitude, de la statuette lysippique trouvée dans la Maison du Dionysos57 et, pour le port du chiton avec l’himation, d’une statuette plus petite qui figure le même dieu, vêtu, ou Sarapis.58 Le rapprochement pour les di­ mensions, la technique et la provenance avec les deux effigies cuirassées des Dioscures-Cabires n’est pas suffisant pour leur associer cette statue. Si la tête vient du Samothrakeion, serait­ce le Poséidon Aisios59 dont Hélianax était le prêtre à vie ? ou encore une divinité cabirique ? Mais la tête peut venir d’un autre sanctuaire voisin, comme le Sarapieion C. Il est de toute façon difficile de la restituer dans le Monument de Mithridate. 54 Chapouthier 1935, 70–73, fig. 92–97. 55 Délos, Musée, inv. A 4180. H 42 cm ; l 27,5 ; 27. Roussel 1916, 65–66, fig. 11 ; Marcadé 1969, 427 ; Zaphiropoulou 1998, 155 fig., 274, n° 151, fig. 56 Délos, Musée, inv. A 5998. H 14,6 cm ; l 10,8 ; ép. 12. Marcadé 1969, pl. LVIII. 57 Délos, Musée, inv. A 4120. Marcadé 1969, 47, 281, 380, pl. LVIII ; Ph. Jockey, in Marcadé 1996, 96, n° 38 ; 97, fig. 58 Délos, Musée, inv. A 126. Marcadé 1969, 427 note 2, pl. LIX. 59 Voir Bruneau 1970, 265. Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 121 14 Tête de divinité (Poséidon ?). Délos, Musée, inv. A 4180 122 15 Statue à renfort en forme de cuirasse (Mithridate VI ?). Délos, Musée, inv. A 5998 (cf. pl. 2) Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 123 III.2.2 TR O IS STATUES À P EINE G R AND EUR N AT URE On a trouvé dans la région de l’Inopos des fragments d’une statue à support en forme de cuirasse (Panzertronk) qui figure un adulte presque grandeur nature (hauteur restituée : 1,55 m), dont l’himation, selon le schéma dit Hüftmantel, couvre le bas­ventre, la cuisse droite et le haut de la cuisse gauche et remontait sur l’épaule gauche avant de s’enrou­ ler autour du bras (fig. 15 ; pl. x).60 Pour la taille et la technique (partie antérieure de l’avant­bras gauche rapportée et face de joint montant obliquement de droite à gauche au niveau du bas­ventre) cette statue se distingue des précédentes. Ce schéma est connu dans le premier tiers du Ier siècle av. J.­C., à l’époque des guerres mithridatiques, pour le « Général de Tivoli », avec le manteau qui couvre les hanches et s’enroule autour du bras gauche 61 ; cette effigie offerte en ex-voto dans le temple d’Hercule à Tivoli est donc très proche, par son schéma et sa fonction, de la statue du Samothrakeion, offerte elle aussi en ex-voto dans un sanctuaire. Il paraît possible, vu sa provenance en contrebas du monument de Mithridate, sa facture et son iconographie, d’associer l’effigie délienne au groupe du Samothrakeion : elle se place même très probablement dans la cuvette d’encastrement (l 60 cm ; prof. 46 cm ; H 6–7) de la base inscrite au nom de Mithridate qui est bien adaptée à cette statue, dont la plinthe conservée sur la face interne du support en forme de cuirasse est épaisse de 5 cm ; la plinthe pouvait avoir une longueur maximale de 60 cm environ et une largeur de 45 cm environ. Cette statue serait donc celle de Mithridate qui se présentait selon le schéma statuaire adopté un peu plus tard par le Général de Tivoli, 60 Délos, Musée, inv. A 4254 (partie inférieure) + A 915 (épaule gauche et majeure partie du bras). H 138 cm ; l 57,5 ; ép. 40. Marcadé 1969, 334, note 6 ; 336, pl. LXXVII ; Cadario 2001, 120, fig. 4 ; 121–122 ; 144 note 40 ; Post 2004, 497–498, n° XVII 7, pl. I a et CD-Rom Katalog, 177–178. Je publie ici, avant une étude plus développée, la statue restaurée avec quatre fragments (bras gauche avec la retombée du manteau sur le haut de l’épaule), ce qui permet de préciser le schéma statuaire adopté : Queyrel 2016, 160–162, 239, 351, fig. 138. 61 Rome, Musée national romain, inv. 106 513. Trouvé en 1925 dans les subs­ tructions du temple d’Hercule Victor. Post 2004, 396–397, n° I 11, pl. 2 a–d et CD-Rom Katalog, 10–13 ; Vorster 2007, 284–286, 288–289, 408, fig. 260 a–g ; Queyrel 2016, 161–162, 351–352, fig. 139. 124 16 Tête de la statue fig. 15 (Mithridate VI ?). Délos, Musée, inv. A 2368 Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 125 dont on a souvent souligné la ressemblance avec les portraits dits de Romains à Délos.62 Une tête en ronde bosse trouvée dans la fouille de l’Inopos en contrebas du Samothrakeion, provient d’une statue en ronde bosse presque grandeur nature (fig. 16).63 Jean Marcadé la décrit ainsi64 : « la face est presque bouf­ fie, et le regard ne paraît guère ‹ pathétique › ; il est vrai que le marbre est fort usé et qu’il ne s’agissait pas d’un chef-d’œuvre ». Pour le style, elle est fort proche de la tête de la statue fig. 18 : le modelé du visage, peu détaillé, insiste sur la plénitude des joues et du menton ; l’emploi du foret dans les cheveux rapproche aussi ces deux têtes. Et pour l’aspect, cette tête juvénile tournée à gauche se rapproche de têtes de Dioscures aux cheveux mi-longs, comme, par exemple, une statue de Pergé.65 Jean Marcadé envisageait de restituer un casque sur le haut du crâne piqueté, mais il peut aussi bien s’agir du bonnet conique des Dioscures. Cette tête, qui est bien trop petite pour convenir aux dimensions plus grandes que nature de l’une des sta­ tues cuirassées du Samothrakeion, convient parfaitement pour la statue présumée de Mithridate VI (fig. 17). Deux interprétations sont possibles : soit un Dioscure, soit un portrait dont les traits ne sont pas très marqués, comme celui des toutes premières frappes de tétradrachmes de Mithridate.66 Des fragments d’une petite statue (hauteur restituée de la figure : 1,45 m), trouvés dans le Samothrakeion, viennent d’une autre figure qui porte un manteau enroulé autour de l’avant­bras gauche ; un support en forme de cuirasse lui tient lieu de renfort (Panzertronk) (fig. 18).67 La tête, dont le raccord est probable, mais qui a été recollée trop bas à gauche, ce qui raccourcit le cou, avait le haut de la calotte crânienne rapporté ; 62 Post 2004, CD-Rom Katalog, 13 note 1449 rappelle les portraits Michalowski 1932, pl. 23–24 (Délos, Musée, A 4187), pl. 21–22 (Délos, Musée, A 2136) et pl. 12–13 (Délos, Musée, A 4189) ; à mon avis, la tête du Général de Tivoli se rapproche davantage encore du portrait de la Maison du Diadumène pl. 10–11 (Délos, Musée, A 2912). 63 Délos, Musée, inv. A 2368. Trouvée en 1911 dans la fouille de l’Inopos. H 23,5 cm ; l 16 ; ép. 10,6. Marcadé 1969, 267, note 1, pl. LXXVII. 64 Marcadé 1969, 267, note 1. 65 Antalya, Musée archéologique, inv. A 3028. Hermary 1986, 575, n° 90, pl. 464 ; Pehlivaner 1996, n° 4. 66 Callataÿ 1996, 33–36. 67 Délos, Musée, inv. A 4269+A 1645+A 1757. H 147 cm ; l 59 ; ép. 26,5. Marcadé 1969, 335, 373, pl. LXXVI ; F. Queyrel, in Marcadé 1996, 194, n° 87 ; 195 fig. ; Zaphiropoulou 1998, 157 fig., 274, n° 154, fig. ; Cadario 2001, 119, fig. 3 ; 121 ; 144 note 37 ; Cadario 2004, 72, note 153. 126 17 Statue fig. 15 avec la tête fig. 16 18 Statue à renfort en forme de cuirasse. Délos, Musée, inv. A 4269+A 1645+A 1757 elle représente un jeune homme joufflu avec une chevelure bouclée. La figure n’est pas celle d’un enfant 68, mais on pourrait y reconnaître un adolescent grassouillet. 68 Voir par exemple une statue de jeune garçon de Lilaia (Athènes, Musée natio­ nal archéologique, inv. 2772), haute de 85 cm : Vorster 1983, 355, n° 67, pl. 6, 4–5. Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 127 La taille et la technique (ici pièces rapportées sur tout le côté gauche et tête non rapportée) amènent à dissocier cette petite effigie de celles des Dioscures cuirassés, au contraire des propositions antérieures69 ; en tout cas elle ne peut pas figurer un « soutien de Mithridate », comme l’a cru Matteo Cadario.70 Cette identification est peu vraisemblable, car on aurait représenté cet allié en buste dans l’un des médaillons, comme les autres officiers et rois proches de Mithridate VI. On peut supposer que le groupe s’est constitué en deux temps sur la banquette du Monument, d’abord avec Mithridate, puis avec l’adjonction de cette effigie, qui pour­ rait éventuellement représenter son fils Ariarathe IX, né en 109/8, devenu roi de Cappadoce en 100/99 à l’âge de 8 ans, après l’assassinat d’Ariarathe VII, qui a dû intervenir après l’érection du Monument de Mithridate 71 : le modelé du torse n’est pas ferme et l’insistance sur la mollesse des formes s’accorde avec les conventions de représentation de l’enfance. On ne peut associer cette effigie à aucune base retrouvée : la base dédiée par le prêtre Hélianax (ID 1902), dont l’inscription ne précise pas le sujet, a une cuvette d’encastrement trop petite en largeur (40 cm) pour recevoir cette statue dont la plinthe mesurait au moins 50 cm.72 Ces deux statues pourraient représenter le roi Mithridate VI associé à son fils aîné sur la banquette devant la paroi du fond du Monument. Mithridate et surtout son fils auraient pris l’apparence usuelle des Dioscures, avec la chlamyde qui dénude plus ou moins largement leur corps : le roi et son fils deviennent ainsi des dieux par allusion et conta­ mination visuelles. Une dernière statue, en himation, peut être associée à la dédicace du Monument de Mithridate par Hélianax en 101 (fig. 19).73 Légèrement plus petite que nature (H restituée : 1,55 m), ses fragments ont été trouvés dans la région de l’Inopos en contrebas. Sa technique (avec le bras gauche rap­ porté et une ligne de joint au bas du torse) la rapproche des deux précé­ dentes. Le personnage se présente en majesté, avec l’himation qui couvre en triangle les cuisses, adaptant un schéma connu pour figurer Zeus ou 69 Marcadé 1969, 373. 70 Cadario 2001, 121. 71 Voir McGing 1986, 66, 75 note 37 ; Strobel 1996, 164–165. 72 Chapouthier 1935, 39, fig. 51. 73 Délos, Musée, inv. A 4253. De la région de l’Inopos. H 1,15 cm ; l 50 ; ép. 29. Marcadé 1969, 324, pl. LXX. Une photographie de 1903 présente cette statue redressée contre un mur à côté de la statue cuirassée inv. A 4242, dans la région de l’Inopos : Zaphiropoulou 1998, 17, fig. 128 19 Himatiophore. Délos, Musée, inv. A 4253 Q UE Y R E L : MIT H R IDAT E V I À D É LO S : CH A R I SM E D E L’ I M A GE ? 129 un roi comme Attale Ier à Pergame.74 Serait-ce Hélianax, le dédicant, dont la présence est possible dans le monument, car son père côtoie dans un médaillon central du mur de fond le roi séleucide Antiochos VII ? mais ce pourrait aussi bien être le père de Mithridate VI, le roi Mithridate V à cause de sa présentation en majesté, car elle est moins attendue pour un simple particulier.75 Deux emplacements sont susceptibles d’accueillir cette petite statue dont la plinthe peut être restituée à une quarantaine de centimètres en largeur : soit la banquette du fond du monument de Mithridate, soit, éventuellement, le cippe dédié par Hélianax (ID 1902). Comment se présente le groupe de ces trois personnages si on les res­ titue sur la banquette 76 (fig. 6a) ? Mithridate VI serait en position centrale, sur sa base placée dans l’axe médian qui passe entre les médaillons du roi séleucide Antiochos VII et d’Asklèpiodôros, le père du dédicant. Il regarde­ rait son père Mithridate V (ou peut-être Hélianax) placé à sa gauche sous le médaillon d’Asklèpiodôros, le père d’Hélianax ; le fils de Mithridate, le futur Antiochos IX, serait placé sous le médaillon du Séleucide Antiochos VII, auquel la dynastie du Pont était liée par les liens matrimoniaux avec des reines séleucides77, et près du médaillon d’Ariarathe VII de Cappadoce, qui était lui­même le neveu de Mithridate VI (son père Ariarathe VI avait épousé la sœur de Mithridate VI, sa mère Laodice).78 Comme me l’a suggéré François de Callataÿ, que je cite en le remer­ ciant bien vivement, la présentation du monument met en valeur un « panthéon personnel incluant les amis du roi » avec les dynasties asso­ ciées dans les médaillons. Alors que la présence des dieux protecteurs, qui ne surprend pas, est attendue dans leur sanctuaire, la figuration des amis pourrait donner « l’image d’un roi proche, non pas réfugié dans une Olympe terrestre mais agissant avec son peuple et soutenu par lui. Il y a là peut-être un élément atypique, novateur et significatif. » Dans cette hypothèse de travail, l’image de Mithridate VI est une image agissante, 74 Istanbul, Musées archéologiques, inv. 2767. Queyrel 2003, 50–52, pl. 68, 2 ; 69 ; 70, 1–3 ; Queyrel 2016, 150, 172, 350, fig. 123, 124. 75 Le peu qu’on sait de l’Athénien Hélianax est rappelé par Sanders / Catling 1990, 331–332 ; il a agi comme agent du roi Mithridate VI : Bernard 1985, 87 note 179. 76 Queyrel 2016, 239, fig. 235. 77 Ballesteros Pastor 1996, 310–312. 78 Durrbach 1921–1924, 222, ad n° 136 g ; Will 1967, II, 396 ; Will 1982, II, 473 ; Ballesteros Pastor 1996, 33. Sur la succession d’Ariarathe VII, voir Ballesteros Pastor 1996, 60–65. 130 un Bildakt. Elle est le sujet central qui agit par rayonnement, mais je ne pense pas que la composition obéisse à un « mysticisme astral » comme l’a supposé Gilles Sauron79 : elle interagit plutôt avec les deux autres statues. La qualité de Mithridate est marquée dans la dédicace du monument par son association aux Dioscures-Cabires et à Poséidon Aisios, par le titre de Dionysos80 et par le schéma iconographique qui le rapproche des Dioscures avec le port possible du pilos. Cela ne signifie pas pour autant que sa statue fasse l’objet d’un culte divin.81 Son père Mithridate V (ou le dédicant Hélianax ?) reproduit un schéma iconographique qui est lié à la figure de Zeus. Un avenir se dessine avec la figure de l’adolescent bien en chair qui peut rappeler le second Dioscure, s’il était coiffé du pilos : il est alors le fils déguisé en frère, ne se distinguant de son père que par une taille un peu plus petite. La filiation comme principe de légitimité est donc ici interprétée en fusion gémellaire. L’embonpoint du fils et la plénitude du visage paternel expriment la tryphè qui garantit la jouissance du pouvoir. Le rayonnement des statues est enfin une action collective : les médaillons placés en hauteur présentent les visages de la philia82 et des alliances. Ces boucliers honorifiques démultiplient l’action du roi en l’inscrivant dans un réseau institutionnel : leur présence résume le fonctionnement du royaume dans l’action, l’administration et la politique internationale fondées dans l’amitié avec le roi. L’aspect militaire du roi est affiché par la présence d’une cuirasse en support de sa statue et la figuration, majoritaire sur les médaillons, de personnages en cuirasse avec la chlamyde, le plus souvent : c’est donc le principe de la victoire, consti­ tutif de la monarchie hellénistique, qui est ici représenté.83 Mithridate réinterprète aussi le modèle d’Alexandre en se présentant fastueusement avec son fils (si on accepte l’identification) qui est une vivante image de la tryphè, et en mettant en valeur dans les médaillons les liens de philia et d’alliances à la fois diplomatiques et familiales. 79 80 81 82 83 Sauron 1994, 70–71. Voir Goukowsky 2001, 133 note 73 ; voir Robert 1978, 160. Voir Ballesteros Pastor 1996, 302 note 44. Sur les fonctions, voir Ballesteros Pastor 1996, 324–331. Voir Ballesteros Pastor 1996, 298–300. 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Chr. produziert.3 Die Herstellung von Keramik in der Matrizentechnik erreichte in Grie­ chenland und Kleinasien während des Hellenismus einen Höhepunkt. Köpfe, Büsten oder Porträts wurden in der Matrize geformt und dann auf das Gefäß appliziert. Im Folgenden werden Exemplare von matrizengeformten Köpfen und Porträts auf ephesischer Keramik aus hellenis­ tischer Zeit näher vorgestellt und in ihrem lokalen, soziokulturellen Bedeutungskontext verortet. In der ersten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. entwickelte sich in Ephesos eine Massenproduktion an aufwändig verzierter Keramik, die überregional verhandelt wurde. Abstrakte, vegetabile und auch figürliche Dekormotive auf den Gefäßen zählten dabei zum Standardrepertoire der Töpfer. Als 1 Hacilar, Mitte 6. Jahrtausend v. Chr.: Mellart 1965, 106, Abb. 90; Nordsyrien, 2. Jahrtausend v. Chr.: Reallexikon der Assyriologie, 3. Bd., s. Gesichtsvasen, 297–299; in Troja: Schmidt 1902, passim. 2 Schlotzhauer 2006, 230. 3 Ebd., 238; 243, Anm. 15. 136 Leitgruppe dieser verzierten Keramik stechen die Ionischen Reliefbecher heraus, daneben finden sich die sog. Applikenware und die EphesosLampen. Alle Keramikgruppen zeichnen sich durch eine besondere Produktionstechnik aus, die mithilfe von Matrizen durchgeführt wurde.4 Eine Matrize war ein Model mit negativen Eindrücken, in das feuchter Ton gedrückt wurde. Die daraus entstandene positive Form des Abdrucks konnte von den Töpfern nachträglich mit verschiedenen Werkzeugen bearbeitet werden. So wurde das Bild mit Details, wie z. B. Bauchnabel oder Muskelpartien bereichert, was der bildlichen Darstellung einen leibhaftigen Eindruck verschaffen konnte.5 Bei der Applikenware wurde das im Model geformte Stück Ton auf das Gefäß aufgeklebt und anschließend engobiert. Als besondere, lokale Eigenart sind die Appliken in Ephesos mit einer anderen Rezeptur her­ gestellt als der Gefäßkörper. Archäometrische Analysen ergaben, dass die Tonmatrix der Appliken, wenn sie als reine Verzierung auf das Gefäß aufgeklebt waren, stärker von organischen Einschlüssen versetzt war. Die Zutaten waren notwendig um den Ton weicher und besser formbar zu machen, so dass Details über die Matrize angegeben werden konnten. Al­ lerdings brannten im Ofen die organischen Zusätze aus und hinterließen infolgedessen eine poröse Matrix und Oberfläche. Eine solche Oberfläche scheint das ästhetische Empfinden des Konsumenten im späthellenis­ tischen Ephesos nicht gestört zu haben, da diese Fertigungstechnik über knapp zwei Jahrhunderte Bestand hatte. Verschiedene Gründe für die Streckung des Tons sind denkbar: zum einen trocknet die Applik schneller und verkürzt womöglich die Prozessabläufe. Zum anderen wird die Applik leichter, was für den Nutzer komfortabler im Umgang mit dem Gefäß, für den Töpfer und Händler womöglich auch nützlich beim Lastentransport gewesen sein könnte. Weiterhin denkbar wäre auch, dass der Töpfer seinen Ton strecken wollte und ihn deshalb mit den organi­ schen Zusätzen, wie z. B. Dung, vermischt hat. Der ephesische Töpfer wusste, was die Veränderung der Tonrezeptur bewirken konnte, denn bei den Muschelappliken verwendete er eine ganz andere Rezeptur. Mu­ schelappliken wurden als Standfüße an den Gefäßboden angebracht. Die archäometrischen Untersuchungen zeigten, dass die Muschelfüße eine viel dichtere Tonmatrix besaßen als der dazugehörige Gefäßkörper, der Ton also dementsprechend anders geschlämmt und mit weniger groben 4 Siehe dazu die Arbeiten von Giuliani 2005, passim; Rogl 2003, passim; Lätzer­Lasar 2013, passim; Lätzer­Lasar / Peloschek 2014, passim. 5 Zur Leibhaftigkeit von Skulpturen siehe Boschung/Vorster 2015, 5. LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 137 Zutaten versetzt wurde als bei den Appliken auf der Wandung. Grund für die dichte Tonmatrix muss die hohe Belastbarkeit der Standfüße sein, die nicht leicht (weg­)brechen sollten. Ein Vergleich der Proben ergab, dass lediglich ephesische Keramikgefäße diese Eigenheit aufwiesen. Im Vergleich dazu besaßen die aus Pergamon stammenden Gefäße, die in Ephesos gefunden wurden, eine durchweg homogene Tonmatrix.6 In Ephesos waren vegetabile und abstrakte Verzierungsmuster beim Relief­ und Applikendekor äußerst beliebt. Doch es gibt auch einen nicht unbeachtlichen Anteil figürlicher Motive. Beim figürlichen Dekor treten vermehrt mythologische Szenen oder Liebesakte auf. Porträts oder Köpfe sind hingegen selten zu finden. So lassen sich aus den hellenistischen und frühkaiserzeitlichen Fundkomplexen in Ephesos lediglich 15 Beispiele verzeichnen, die einen Kopf bzw. eine Büste als Bildmotiv aufweisen. Sie werden im Folgenden detailliert vorgestellt. Darstellungen von Silensköpfen treten mit sieben Exemplaren am häufigsten auf (Tab. 1), wobei das vorliegende Bildmaterial den Silen stets als Erwachsenen bzw. als Greis (Papposilenos)7 und nicht als Jugendlichen oder als Kind zeigt. Der Papposilenos ist allgemein durch sein älteres Aussehen charakterisiert, das vor allem durch einen schwindenden Haar­ ansatz im Bereich der Stirn, wie auch ein stark faltiges und zerfurchtes Gesicht verdeutlicht wird. Jedoch wirkt er dabei nicht gebrechlich. Die Art, den Silen in Form von Büsten als Verzierungselement zu benutzen, existierte zwar schon in der Archaik, doch ihren Höhepunkt erreichte die Entwicklung im Hellenismus und der frühen römischen Kaiserzeit.8 Besonders auf Symposiumsinventar, wie beispielsweise Klinen, finden sich vermehrt Köpfe des äußerst beliebten Papposilenos.9 Im keramischen Fundmaterial sind vor allem Medaillonschalen, die ebenfalls beim Sym­ posium genutzt wurden, mit der Büste verziert. Das Charakteristikum dieses Trinkschalentyps ist eine Applik, die im Innern des Gefäßes, meist mittig, auf dem Boden angebracht worden ist. Für das zentrale Bild sind ausschließlich figürliche Motive gewählt worden. Dies konnten Götter, Menschen oder – wie v. a. in Knidos – Tiere sein.10 6 Lätzer­Lasar 2013, 140. 7 Simon 1997, 1112, 4. 8 Schlotzhauer 2006, 249, Anm. 88 9 Barr­Sharrar 1987, C1–C49, Taf. 1–15. 10 In Knidos sind v. a. Frösche sehr beliebt, die leicht versetzt zur konzentri­ schen Bodenmitte appliziert wurden, siehe Lätzer­Lasar 2013, 52, 154; Kögler 1996, Taf. 20, 4. 138 1 Innenseite Medaillonschale mit Kopf des Papposilenos (Aufsicht) Als einziges Importstück unter den Medaillonschalen ist Kat. 1 zu verzeichnen. Archäometrische Untersuchungen belegen, dass die Trink­ schale in Pergamon produziert wurde (Abb. 1).11 Sie stammt aus einem der frühsten Fundkontexte in Ephesos im Bereich der Stoa, der in die 11 Mitsopoulos­Leon 1991, 56, C1, Taf. 64; Lätzer­Lasar 2013, 141, Probe PIE 12–13. LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 139 zweite Hälfte des 3. Jh. v. Chr. datiert wird.12 Auf der Applik findet sich die Darstellung eines älteren Silens, im Typus des Papposilenos.13 Das Gesicht ist gekennzeichnet durch tiefliegende Augenhöhlen mit nach oben gezogenen, wulstigen Augenbrauen, einer hervorstehenden und in Falten gelegten Stirn sowie einer kurzen spitzen Nase (Stupsnase). Die prägnante Stirnglatze wird an den Seiten von einer zotteligen Haar­ reihe flankiert. Womöglich liegt ein Blätterkranz über der verbleibenden Haarpracht, der nicht über der Stirn geschlossen ist. Aufgrund der Be­ stossungen und des Abplatzens der Engobe in diesem Bereich ist es nicht eindeutig erkenntlich. Der Bart ist lang und wellig. Die Schale weist eine in Ephesos rare Kombination von verschiedenen Verzierungselementen auf, so wurde die Applik zusätzlich mit einer weißen Efeuranke umrun­ det, wie es für Keramik des sog. Westabhang­Nachfolgestils üblich ist.14 Die gleiche Technik und die gleichen Motive (Papposilenos, Efeuranke) wurden für Kat. 15 (Abb. 2) eingesetzt. Die lokal hergestellte Oinochoe stammt aus einem Fundkontext, der in das letzte Viertel des 1. Jh. v. Chr. datiert wird.15 Die Applik wurde unter der kleeblattförmigen Mündung der Kanne angebracht. Zusätzlich wurde der Hals der Kanne mit einer weißen Efeuranke bemalt. Die Darstellung unterscheidet sich von Kat. 1 in der Mund­ und Stirnkranzgestaltung. Der Mund ist stark oval­förmig geöffnet. Der buschige Bart verstärkt die Öffnung des Mundes. Kat. 1 hingegen weist zwar wulstige Lippen auf, doch diese sind nur leicht ge­ öffnet und die Mundwinkel sind nach unten gezogen, ähnlich wie es bei den Dionysos­Köpfen (siehe unten) vorkommt.16 Die Kombination der beiden Verzierungstechniken sowie der beiden Motive scheint gängig in Ephesos gewesen zu sein, da sie in einer Zeitspanne von fast 200 Jahren wiederholt auftreten. 12 Lawall 2007, 29. 13 Simon 1997, 754, Nr. 48. 14 Lätzer 2009, 133 mit Anm. 70 und 138–140. Eine weitere Medaillonschale mit einem geflügelten Eros in der Mitte weist ebenfalls Rankenverzierungen um die Applik auf, allerdings wurden diese nicht mit Farbschlicker aufgemalt, sondern eingeritzt. Diese Verzierungstechnik ist in Ephesos nicht unüblich bei der lokalen Keramik im Westabhang­Nachfolgestil. Für die Kombination von Applik und Ritzdekor in Pergamon siehe Hübner 1993, Kat. 109c, Taf. 19, Kat. 138.2, Taf. 27. 15 Lätzer 2009, 140. 189, Kat. 63, Typ W2, Abb. 8 a. b., Taf. 4, 63; vgl. LIMC VIII, 2, 754, Silenoi 48. 16 Vgl. Mitsopoulos­Leon 1991, 55 ff, B 27, Taf. 27 und C 1, Taf. 64. 140 2 Hals einer Oinochoe mit Applik unter dem Ausguss (Silenskopf ) Die stark geöffnete Mündung wirkt maskenhaft und findet sich auf Kat. 5 wieder (Abb. 3).17 Die Applik zeigt einen Kopf mit einer hervor­ stechenden zotteligen Barttracht. Der füllige Schnurrbart umrahmt die Mundform. Über der Stirnglatze liegt ein Kranz, der in die Stirn gezogen ist. Die genannten Charakteristika lassen den Kopf eindeutig als einen älteren Silen identifizieren, wie er schon von Kat. 1 bekannt ist. Eine form­ ähnliche Applik ist mit Kat. 9 (Abb. 4, vgl. Taf. 3d) erhalten.18 Womöglich 17 Mitsopoulos­Leon 1991, 56. 63, C3, Taf. 64. 18 Lätzer-Lasar 2013, Kat. 164, Taf. XLVII, LX. LÄT Z E R -LA S A R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 141 3 Innenseite Medaillonschale mit Silenskopf (Aufsicht) 4 Innenseite Medaillonschale mit Silenskopf (Aufsicht; s. Taf. 3d) 142 5 Außenwandung mit Kopfapplik (Silen) 6 Außenwandung mit Kopfapplik (Silen) LÄT Z E R -LA S A R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 143 stammen die Appliken aus der gleichen Matrize oder zumindest von der gleichen Vorlage ab. Die Details des Gesichts sind bei der Schale Kat. 9 aufgrund ihrer scharfen Konturierung noch eindeutiger zu erkennen. Der Kranz über der Stirn endet in Korymben, ist aber nicht geschlossen. Ge­ sichtsfalten, wie z. B. über der Stirn oder im Bereich der Nasolabialfalten, sind in tiefen Furchen wiedergegeben. Einzelne Haar­ und Bartsträhnen wurden mit dem Werkzeug nachbearbeitet, so dass sich dort ein Wech­ selspiel aus tiefen, aber auch feinen Rillen ergeben hat. Neben den vier Medaillonschalen kommen Silensköpfe auf der Außenwandung von drei weiteren Gefäßen vor. Aufgrund des Scherben­ profils kann man bei Kat. 6 (Abb. 5) von einer eimerartigen Gefäßform, womöglich einer Situla, ausgehen.19 Die Darstellung des Silens weicht stilistisch ab von den vorherigen Beispielen. Das Gesicht ist flacher modelliert, wodurch die mandelförmigen Augen besonders hervorste­ chen. Die charakteristische zottelige Bart­ und Haarttracht ist in großen Strähnen wiedergegeben, die sich strahlenartig und ohne Unterteilung um den Kopf und das Gesicht legen. Die Stirnpartie ist typischerweise stark ausgeformt und mit Wülsten und Falten betont. Beim Ansetzen der Applik wurde die Nasenpartie flach gedrückt. Allerdings hat der Töpfer die Applik nicht nachträglich korrigiert bzw. bearbeitet, was auf eine nachlässige und schnelle (Ab­)Fertigung des Produkts hinweist. Der Kopf des Silens von Kat. 11 (Abb. 6) gehört zu einer Trinkschale mit überlappender Lippe. Die Applik wurde unter der Lippe angebracht und reicht bis zu einer Profilierung, auf die ein Wandknick folgt.20 Mit der polosartigen Bedeckung auf dem Kopf wirkt der Silen wie ein archi­ tektonisches Bindeglied, das den Formaufbau des Gefäßes betont. Unter dem Polos scheiteln sich die Haare und legen sich gewellt nach hinten. Die Augenbrauen sind buschig angegeben. Die einzelnen Partien des Gesichtes sind voneinander getrennt und deutlich erkennbar. Sogar die Wangenknochen wurden als eigenes Gesichtselement modelliert und dadurch besonders hervorgehoben. Die Abbildung des Silens auf der Trinkschale Kat. 12 (Abb. 7) ähnelt Kat. 11, allerdings unterscheidet sich die Barttracht durch eine Scheitelung/Teilung in der Mitte.21 Die Schale 19 Mitsopoulos­Leon 1991, 62, C28, Taf. 73; Parallelen bei Hübner 1993, 77. 187, Kat. 22, Taf. 3. 20 Zur Datierung des Fundkomplexes: Rogl 2003, 188, Anm. 3; ZabehlickyScheffenegger/Schneider 2000, 106, Abb. 1, 8 und 2, 6 oben. 21 Waldner 2009a, 177. 418, K1334, Taf. 70; Parallelen: Rotroff 2003, Taf. 125, 717; Hübner 1993, Taf. 4, 24. 144 Kat. 12 stammt aus einem Fundkontext, der um das Ende des 2. bis Mit­ te des 1. Jh. v. Chr. datiert wird, während Kat. 11 aus einem augusteisch datierten Stratum geborgen wurde. Silensköpfe bzw. ­büsten auf Kera­ mikgefäßen abzubilden scheint zum Standardrepertoire eines Töpfers in hellenistischer Zeit zu gehören. Womöglich übernimmt er das Bildthema von metallenen Vorbildern, die auf Möbeln oder Gefäßen appliziert waren. Bis in die frühe Kaiserzeit bleibt der ältere Silen als Büste auf Keramik beliebt.22 Neben den Silensköpfen kommen bärtige, männliche Darstellungen am zweithäufigsten vor. Der Kopf von Kat. 2 (Abb. 8) ist sehr stark be­ schlagen.23 Das Gesicht war der höchste Punkt der ca. 4 cm hohen Applik. Schemenhaft lassen sich die zwei Augenhöhlen und die Nasenwurzel erkennen. Das Gesicht umrandet ein Kranz von dicken Locken, welche in Strähnen um den Kopf gelegt sind, ähnlich einer weiblichen Melonen­ frisur. An der rechten Seite ist der Rest eines Bartes zu sehen. Es handelt sich demnach um eine männliche Figur. Der Kopf ist verhüllt (capite velato), was auf eine Darstellung als Opfernder hinweist.24 Die Applik von Kat. 13 (Abb. 9) zeigt ebenfalls einen männlichen Kopf, dessen Haare sich in eingedrehten Strähnen um das Haupt legen.25 Das Gesicht ist schmal. Der Bart ist lang und läuft spitz zu. Auch der Schnurrbart ist ebenfalls sehr lang. Während der lange Bart bis zur Klassik das virile Merkmal in der allgemeinen Körperbildästhetik war, galt er im Hellenismus als Spezifikum für Götter, Philosophen, Strategen oder Älteste. Es ist unklar, wen das Bild konkret zeigt, da neben der Haar­ und Barttracht das unspe­ zifische Gesicht eine Identifizierung kaum zulässt. Auch lassen sich keine Attribute erkennen, die die Identifizierung einer Gottheit ermöglichen würde. Dass mit dieser Abbildung ein Philosoph gemeint sein könnte, wäre möglich, zumal ein weiteres Beispiel für ein Philosophenporträt im Fundmaterial vorhanden ist. Die Medaillonschale Kat. 10 (Abb. 10) zeigt einen bärtigen Mann im Profil.26 Der Kopf wendet sich nach rechts. Die 22 In seiner ganzen Gestalt wird der Silen ebenfalls auf lokaler Keramik dar­ gestellt, wie eine Schale mit der Darstellung eines rückwärts reitenden Silenen auf einem Maulesel zeigt, Lätzer­Lasar 2013, Kat. 330. 23 Mitsopoulos­Leon 1991, 56, C8, Taf. 65. 24 Sehlmeyer 199, 122. 25 Waldner 2009a, 61. 252, K237, Taf. 11. 84; Waldner 2009b, 291, Abb. 11, 22. 26 Lätzer-Lasar 2013, Kat. 351, Taf. LXIV. Zur Datierung des Fundkomplexes: Rogl 2003b, 188, Anm. 3; Zabehlicky­Scheffenegger/Schneider 2000, 111, Abb. 5, 2 (links oben). LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 145 7 Fragment mit Kopfapplik (Silen) 8 Innenseite Medaillonschale mit Kopfapplik (Aufsicht) 146 9 Außenwandung mit Applik (bärtiger Kopf ) 10 Innenseite Medaillonschale mit Philosophenporträt (Aufsicht) LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 147 Applik ist gebrochen, weshalb der Hinterkopf und die obere Hälfte des Kopfes nicht mehr erhalten sind. Die hohe gebogene Stirn lässt jedoch eine Stirnglatze vermuten. Über dem rechten Ohr liegen dichte Haarsträhnen, die horizontal gelockt sind. Der Bart ist ebenfalls lockig und in einzelne Strähnen gelegt, die zu den Enden dünner und geschwungener werden. Als Betonung wurde bei den untersten Windungen der Bartsträhnen ein spitzes Werkzeug in den noch ungebrannten Ton eingedrückt, so dass die Bartlocken dort eine weitere Tiefe erhielten. Das Gesicht zeigt einige markante Züge, so ist beispielsweise die Nase lang und gekrümmt (Adlernase). Zudem liegen die Augen tief in ihren Höhlen und die langen Augenbrauen formen sich in einem leichten Knick nach unten. Der Blick ist nach vorne gerichtet. Ein Hals ist nicht mehr erkennbar, da an dieser Stelle der Rand der Applik mit der Gefäßwandung verstrichen wurde. Eine konkrete Benennung des Philosophen gestaltet sich schwierig.27 Aufgrund der Stirnglatze, der horizontalen Locken über den Ohren, sowie der langen gekrümmten Nase könnte ein Diogenes vermutet werden.28 Doch es ist ebenfalls möglich, dass die porträthafte Abbildung vielmehr einen Ste­ reotyp darstellen sollte. Archäometrische Untersuchungen ergaben, dass die Medaillonschale zur Gruppe der ›Eastern Sigillata B‹ gehört, die erst ab dem letzten Drittel des 1. Jhs. v. Chr. in Ephesos hergestellt wurde.29 Der Fundkontext, aus dem das Fragment stammt, wird in die augusteische Zeit datiert. Da Medaillonschalen und die Applikenverzierung in der ersten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. langsam aus der Mode kamen, scheint die zeitliche Einordnung beider kohärent zueinander zu sein. Bei den folgenden beiden Abbildungen Kat. 3 und 4 (Abb. 11 und 12, vgl. Taf. 3a–b) handelt es sich um Büsten, deren Köpfe in Dreivier­ telansicht gezeigt werden. Bei Kat. 3 sind der obere Teil der Brust und die Schultern angegeben.30 Der Rand der ca. 2,5 cm hohen Applik wurde nicht mit dem Boden des Gefäßes verstrichen und geebnet, sondern die scharfe Kante wurde durch eine zusätzliche Profilierung betont. Der Kopf wendet sich nach links. Die schwarze Engobe ist partiell abgeplatzt, den­ noch lassen sich die Details des Gesichtes erkennen. Das Gesicht besitzt ein schweres Kinn, ist aber bartlos. In dieser Gestaltung entspricht der Kopf dem Dionysos­Typus Basileia, der sich in der Mitte des 4. Jh. v. Chr. 27 Als nicht näher benannter Philosoph bei Lang 2012, VU14. 28 von den Hoff 1994, 46, Nr. 32;Richter 1965, 185, Abb. 1072. 29 Rogl 2003, 188, Anm. 3; Zabehlicky­Scheffenegger/Schneider 2000, 111, Abb. 5, 2 (links oben). 30 Mitsopoulos­Leon 1991, 56, C6, Taf. 65. 148 11 Innenseite Medaillonschale mit Büste des Dionysos (Aufsicht; siehe Taf. 3a) entwickelt.31 Die Lippen sind fleischig und die Mundwinkel leicht nach unten gezogen. Die Haare sind in der Mitte gescheitelt und nach hinten gestrichen. Auf dem Kopf sind zwei seitliche Erhebungen zu erkennen. Es könnte sich dabei um zwei Hörner handeln, wie sie beim Typus des Dionysos Tauromorphos vorkommen. Dann allerdings wären sie von langen Haarsträhnen überdeckt, die sich um die Hörner winden und anschließend bis zu den Schultern herabfallen. Der Hals wurde sehr breit dargestellt und weist zwei feine Falten auf. Die Figur scheint ein Gewand zu tragen, das sich vorne auf der Brust in weiche, überlappende Falten legt. Die Schale gehört zur sog. Grauen Ware mit schwarzem Überzug. Sie weist eine lokale Tonrezeptur und Produktionstechnik auf, die der Eastern 31 LIMC III, 2 (1986), 321, Nr. 202b, s. v. Dionysos, Tipo Basileia (C. Gasparri). LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 149 12 Innenseite Medaillonschale mit Dionysoskopf (Aufsicht; siehe Taf. 3b) Sigillata B zumindest chemisch sehr ähnlich ist, jedoch reduzierend ge­ brannt wurde.32 Die Leitform der in der frühen Kaiserzeit entstandenen Keramikware ist der Teller. Die Medaillonschale bleibt somit bisher ein singuläres Beispiel in diesem Fabric. Kat. 4 ist eine oxidierend gebrannte Medaillonschale, die zur Gruppe der Eastern Sigillata B gehört (Abb. 12).33 Der Kopf und ein kleiner Teil des Halsansatzes sind abgebildet. Die Applik hebt sich nicht ab, sondern ist gleichmäßig mit dem Gefäßkörper verschmolzen. Hier wendet die Figur ihren Kopf stark nach rechts und schaut leicht nach oben. Das Gesicht ist bartlos, wie bei Kat. 3, doch das Kinn ist viel schwerer und runder. 32 Eine Dissertation zur Grauen Ware mit schwarzem Überzug wird von T. Hintermann vorbereitet (Universität Zürich). 33 Mitsopoulos­Leon 1991, 56, C7, Taf. 65. 150 Die wulstigen Lippen liegen horizontal übereinander und sind dabei leicht geöffnet. Das Haar ist kurz und gewellt. Auf dem Kopf trägt die Figur einen Kranz aus Blattwerk. Da der obere Kopfteil der Applik bis zum linken Auge bestoßen ist, sind Details zum Kranz nicht erkennbar. Es ist jedoch anzunehmen, dass es sich um Wein­ und/oder Efeublätter handelt. Die beschriebene Ikonographie der Figur und ihre Darstellung deuten auf den Typus des Dionysos­Hades hin.34 Appliken lassen sich nicht nur auf Trinkgefäßen – im Innern als Medaillon oder auf der Außenwandung – sondern ebenfalls auf geschlos­ senen Gefäßen, wie z. B. Krügen oder Kannen finden. Sowohl Kat. 7 und 8 wurden beide als Henkelattaschen genutzt (Abb. 13 und 14, vgl. Taf. 3c). Dabei wurde die Applik über das untere Ende des Henkels angebracht, um die Verbindungsstelle von Henkel und Gefäßkörper zu verdecken bzw. zu zieren. Bei Kat. 7 handelt es sich um ein eimerartiges Gefäß mit Henkeln (Situla), dessen Applik v. a. im rechten Bereich durch eine un­ saubere Fertigungstechnik verwischt worden ist.35 Der Überzug außen ist abgerieben. Die Konturen des fülligen Gesichtes sind weich angegeben. Die hohen Wangenknochen stehen rund heraus. Die Augen sind groß und rund. Die Lippen ähneln denen der Dionysos­Köpfe, in ihrer sehr wulstigen und horizontal übereinandergelegten Form. Eine Haarfrisur ist im Detail nicht erkennbar. Über der Stirn ist ein hoher, scharfkantig ab­ gesetzter Bereich. Es könnte sich dabei um den Teil einer Frisur handeln. Ursprünglich wurde eine Stephané36 angenommen. Diese würde dann aber nicht wie üblich sichelförmig sein, sondern durchgehend gleich hoch bleiben und auch sehr weit über die Stirn hinausragen37. Vermutlich han­ delt es sich um den Teil einer Frisur, der allerdings schlecht ausgefertigt wurde. Die Applik auf der Kanne Kat. 8 setzt am tiefen unteren Teil des sehr bauchigen Gefäßkörpers an. Der Form nach kommt als Gefäßtyp eine Kanne in Frage.38 Die Kanne ist mit einer glänzenden, schwarzen Engobe überzogen, die im Bereich der Applik partiell abgeplatzt ist. Das 34 Vgl. Richter 1958, 373, Taf. 92, 22. 35 Mitsopoulos­Leon 1991, 62, C27, Taf. 73. 36 Stephané ein sichelförmiger Haarreif, der z. B. von Hera und Juno als Zeichen ihrer Hoheit getragen wird. Ab der hellenistischen Zeit wurde er auch von sterblichen Herrscherinnen getragen, siehe dazu: Fleischer 1991, 42. 37 Als Stephané müsste sie auch weiter hinten auf dem Kopf sitzen und nicht am Stirnansatz, freundliche Mitteilung F. Queyrel; siehe auch: Queyrel 1984, passim. 38 Mitsopoulos­Leon 1991, 62, C26, Taf. 73. LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 151 13 Henkelattasche mit weiblichem Kopf 14 Henkelattasche mit Büste einer weiblichen Figur (siehe Taf. 3c) 152 Bild zeigt einen Kopf mit Halsansatz, der frontal nach vorne schaut. Ihn umgibt ein Schleier, der am hinteren Kopfende befestigt zu sein scheint, wodurch ein großer Teil der Frisur sichtbar wird. Um die Stirn ist das lockige Haar in einzelnen Strähnen nach innen eingeschlagen und wie ein Kranz um das Haupt gelegt. Der Rest des Haares ist in der Mitte gescheitelt und in Wellen nach hinten gekämmt. Wahrscheinlich war das Haar dieser weiblichen Figur am Hinterkopf unter dem Schleier hoch­ gesteckt. Das Gesicht ist rundlich, doch eher schmal. Die runden Augen, die schmale Nase und die wulstigen, doch kurzen Lippen konzentrieren sich auf der Achsenlinie des Gesichts. Dadurch erhält die Wangen­ und Kinnpartie mehr Fläche. Der Hals ist hoch und breit dargestellt. Eine nähere Bestimmung der Bildfigur ist nicht möglich39. Aus einem frühen Stratum, das um 200 v. Chr datiert wird, stammt der Henkel einer Kanne (Kat. 14, Abb. 15).40 Bei diesem Beispiel ist die Applik noch auf dem Henkel und nicht an der Schnittstelle zum Gefäß­ körper angebracht. Es handelt sich um einen Kopf, der von einem Schleier verhüllt wird. Der Schleier ist unter dem Kinn sehr eng übereinander geschlagen, so dass die Wangen verdeckt werden. Die Augen liegen tief und stehen eng beieinander. Sie verlaufen zudem zur Außenseite hin schräg nach unten. Unter der geraden Nase liegen wulstige Lippen. Die Stirn ist hoch. Das Haupthaar ist schwierig zu erkennen, doch scheint der vordere Teil wellig und in der Mitte geteilt zu sein. Der Schleier darüber wirft sich in drei Falten hoch, wobei die mittlere Falte sich am höchsten erhebt. Die Applik ist nachlässig bearbeitet. Dafür spricht, dass über dem rechten Auge ein kleines rundes Stück Ton klebt, dass nicht mehr nachträglich entfernt, sondern einfach mit Farbschlicker überzogen und danach mitgebrannt wurde. Entweder machten solche kleinen Produk­ tionsfehler bei der Massenware nichts aus oder dem Töpfer ist dieser klei­ ne Makel nicht aufgefallen, was auf eine verminderte Qualitätskontrolle hinweist.41 Die Gestaltung des aufgeworfenen Schleiers über dem Kopf und der Frisur spricht gegen eine Interpretation als Perserdarstellung. 39 Eine Ähnlichkeit zu den Darstellungen zu ptolemäischen Herrscherinnen könnte vermutet werden, jedoch fehlt die Stephané als königliches Erkennungs­ zeichen, siehe dazu: Burr Thompson 1933, passim. 40 Ladstätter 2003a, 70, K292. 41 Wie sie beispielsweise auf dem böotischen, schwarzfigurigen Skyphos aus Lokris, (400 v. Chr., Athen Nationalmuseum dargestellt ist: https://www.uibk. ac.at/klassischearchaeologie/Institut/Diplomarbeiten/KrassnitzerDipl.html (08.09.2016). LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 153 15 Henkelattasche mit ummanteltem Kopf Er verweist eher auf eine weibliche Figur, wie beispielsweise eine Diene­ rin. Vergleichsbeispiele aus der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. lassen sich in der thasischen Großplastik finden.42 Die Matrizentechnik ermöglichte figürliche, dreidimensionale Bilder serienmäßig auf Keramik anzubringen. Im Hellenismus besaßen die ephesischen Töpfer sowohl das Know­how als auch das Werkzeug, um die Bilder detailreich zu gestalten bzw. nachzubearbeiten. Allerdings machen allgemein figürliche Bilder nur einen sehr geringen Prozentsatz im lokalen Keramikinventar von durchschnittlich 1 % aus.43 Dabei wäre es ein Leichtes für die Töpfer gewesen, porträthafte Bilder von z. B. hellenistischen Herrschern, wie sie auf Münzprägungen bekannt waren, anzufertigen. Doch der Fokus bei der Auswahl der Bildthemen lag bei den lokalen Töpfern eher auf narrativen Bildszenen, wie beispielsweise Liebesszenen oder Amazonomachien. Die sehr begrenzte Auswahl an Köpfen oder Porträts auf hellenistischer und frührömischer Keramik in Ephesos lässt vermuten, dass kein Interesse an individuellen oder 42 Gkikaki 2011, 502, Kat. Mc­P 9, oder auch die große Herkulanerin (Kat. Mc­P 2a). 43 Lätzer­Lasar 2015, 254, Abb. 2. TAB. 1 MOT IVE NACH FUN D O R T EN INVENTARNUMMER MOTIV STRATIGRAPHISCHE ANGABE/DATIERUNG 1 Basilika/Stoa BAS 63/61/K309 Silen (Spät­)Hellenistisch 2 Basilika BAS 63/S1/17 Priester? Hellenistisch und Bauzeit Basilika 3 Basilika BAS 65/145/4342 Dionysos Hellenistisch und Bauzeit Basilika 4 Basilika BAS 65/146/4343 Dionysos Hellenistisch und Bauzeit Basilika 5 Basilika BAS 65/4066 Silen Hellenistisch und Bauzeit Basilika 6 Basilika BAS 68/18 Silen Hellenistisch und Bauzeit Basilika 7 Basilika BAS 68/82/7104 Weibliche Figur mit Stephané Späthellenistisch / Beim Odeion 8 Basilika BAS 70/46/912/7 Weibliche Figur mit Peplos Späthellenistisch / Süd 9 Basilika BAS 500/1 Satyr Hellenistisch und Bauzeit Basilika 10 Tetragonos­Agora AG 95/200/1 Philosoph »Sentiusschutt« (augusteisch) 11 Tetragonos­Agora AG 95/188/4 Silen »Sentiusschutt« (augusteisch) 12 Kuretenhalle, Straßenniveau n7 1996/95/21 Silen Ende 2. bis erste Hälfte 1. Jh. v. Chr. 13 Heroon HE 89/5/100 Bärtiger Mann Baugrube (Späthellenistischer Haushalt, 75–50 v. Chr.) 14 SR 12, Hanghaus 1 H1 94/SR12/K292 Weibliche Figur mit Schleier Um 200 v. Chr. 15 Hanghaus 2 Silen Letztes Viertel 1. Jh. v. Chr. H2 99/729/01 154 KAT. NR. FUNDORT LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 155 individualisierten Bildern bestand. Vielmehr wurden traditionelle Dar­ stellungen aus dem dionysisch­symposiastischen Bereich bevorzugt, wie Silene, der Gott Dionysos, bärtige Männer oder unspezifische weibliche Figuren. Sogar Philosophen wurden derart unspezifisch dargestellt, dass eine konkrete Zuschreibung unmöglich erscheint. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass Trinkschalen mit der Abbildung eines Philo­ sophen eher symbolisch zu verstehen waren. Damit sollte entweder das Gespräch während des Symposiums zu einem intellektuellen Gesprächs­ austausch animiert werden oder der Gastgeber beabsichtige, sich mit altbekannten Symposiumsthemen zu präsentieren. In Ephesos erfreuten sich die Ionischen Reliefbecher größerer Beliebtheit als applikenverzierte Keramik, doch deren Dekormotive waren vornehmlich vegetabil. In Per­ gamon hingegen lässt sich eine größere Vielfalt an figürlichen Bildthemen auf applikenverzierter Keramik finden. Dort finden sich jedoch ebenfalls spärliche Evidenzen für porträthafte Bilder. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass im Hellenismus und in der frühen römischen Kaiserzeit porträthafte Bilder, Köpfe oder auch Büsten nicht den zeitgenössischen Geschmack trafen und deshalb keinen Bestand im lokalen Keramikka­ talog fanden. Vielmehr bestand in Ephesos eine höhere Nachfrage nach Keramik mit pflanzlichem Dekor oder Bildnarrativen. KATALOG KAT. 1 Inv.Nr: BAS 63/61/K309 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Medaillonschale Fabric: hart, fein, feinporös; 10 YR 8/4; Glimmer, sehr fein, 10 %, rote ES, sehr fein, 25 %, mittel, 1 %, schwarze ES, fein, rund und länglich, 15 %, Quarz, fein, 5 % Überzug: glatt, leicht glänzend; 10 YR 2/1 mit 8/3 BDm in cm: 2,5 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 56, C1, Taf. 64. Für die Kombination von Applik und Schlickerdekor: Hübner 1993, 210, Kat. 343, Taf. 76 KAT. 2 Inv.Nr: BAS 63/S1/17 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Medaillonschale 156 Fabric: hart, fein, feinporös; 7.5 YR 7/3; Glimmer, fein, 30 %, weißer Quarz, fein, 15 %, mittel, 2 %, graue ES,sehr fein, 7 %, rote ES, fein, 7 %, schwarze ES, fein, 7 %, brauner Quarz, fein, 3 %, braune ES, fein, länglich, 10 % Überzug: glatt, matt; 10 R 5/4, eine Seite ist leicht fleckig mit 4/1 BDm in cm: 4 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 56, C8, Taf. 65 KAT. 3 (Taf. 3a) Inv.Nr: BAS 65/145/4342 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Medaillonschale mit getreppten Boden Fabric: hart, fein, feinporös, unregelmäßig; 5 YR 6/4; Glimmer, fein, 25 %, weiße ES, fein, 15 %, rote ES, fein mittel, 2 %, schwarze ES, fein, rund und länglich, 10 %, mittel, 1 % Überzug: glatt, leicht glänzend; GLEY 1 2.5/N BDm in cm: 4 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 56, C8, Taf. 65 KAT. 4 (Taf. 3b) Inv.Nr: BAS 65/146/4343 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Medaillonschale mit getreppten Boden Fabric: hart, fein, feinporös; 2.5 YR 6/8; Glimmer, fein, 25 %, weiße ES, fein, 20 %, mittel, 1 %, graue ES, fein, 7 %, schwarze ES, fein, 5 %, rote ES, fein, 1 %, Quarz, fein, 2 % Überzug: glatt, matt; 10 R 5/6 (nur innen) BDm in cm: 3,4 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 56, C7, Taf. 65 KAT. 5 Inv.Nr: BAS 65/4066 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Medaillonschale mit Ringstandfuß Fabric: hart, fein, feinporös; 2.5 YR 6 /6; Glimmer, fein, 15 %, weiße ES, fein, 20 %, fein­mittel, 3 %, rote ES, sehr fein, rund Überzug: glatt, matt; außen 10 R 4/6 und innen 2.5 YR 2.5/1 BDm in cm: 2,2 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 56. 63, C3, Taf. 64. KAT. 6 Inv.Nr: BAS 68/18 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Situla mit Henkelattasche Fabric: hart, fein, feinporös; 2.5 YR 6/6; Glimmer, fein, 15 %, weiße ES, fein, LÄT Z E R -LA S A R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 157 40 %, Quarz, fein, 15 %, dunkelgrau, fein, rund und länglich, 7 % Überzug: glatt, matt; 10 R 5/4 innen, außen fast vollständig abgerieben Erhaltene Höhe in cm: 5,4 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 62, C28, Taf. 73, vgl. Hübner 1993, 77. 187, Kat. 22, Taf. 3. KAT. 7 Inv.Nr: BAS 68/82/7104 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Situla/Eimer mit Henkelattasche Fabric: hart, sehr fein, feinporös; 2.5 Y 5/1; Glimmer, fein, 15 %, weiße ES, fein, 40 %, Quarz, fein, 7 %, dunkelgrau, sehr fein, rund und länglich, 7 % Überzug: glatt, matt; 2.5 Y 2.5/1 innen, außen fast vollständig Erhaltene Höhe in cm: 4,7 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 62, C27, Taf. 73; vgl. Hübner 1993, Kat. 31, Taf. 4 (aber Dionysos­Kopf ). KAT. 8 (Taf. 3c) Inv.Nr: BAS 70/46/912/7 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Kanne mit Henkelattasche Fabric: h hart, sehr fein, feinporös; 7.5 YR 6/4; Glimmer, sehr fein, 10 %, weiße ES, fein, 30 %, Quarz, fein, 7 %, dunkelgraue ES, sehr fein, rund und länglich, 7 % Überzug: glatt, partiell leicht glänzend; 7.5 YR 2.5/1 (innen teilweise) Erhaltene Höhe in cm: 3,6 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 62, C26, Taf. 73. KAT. 9 (Taf. 3d) Inv.Nr: BAS 500/1 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Medaillonschale mit Ringstandfuß Fabric: hart, fein, feinporös; 7.5 YR 6/4, Glimmer, fein, 15 %, Quarz, fein­ mittel, 2 %, rote ES, sehr fein, 3 %, dunkelgraue ES, sehr fein, 2 % Überzug: glatt, matt; 7.5 YR 5/2 bis 2.5/1 BDm in cm: 2,8 Literatur: Mitsopoulos­Leon 1991, 56. 63, C3, Taf. 64. K AT. 1 0 Inv.Nr: AG 95/200/1 Ware: Eastern Sigillata B Gefäßtyp: Medaillonschale Fabric: hart, sehr fein, feinporös; 2.5 YR 6/8; Glimmer, sehr fein, 20 %, dun­ kelgraue ES, sehr fein, 10 %, weiße ES, fein, 3 %, organisches Material, 2 % 158 Überzug: glatt, glänzend; 10 R 4/8 BDm in cm: ? Literatur: Für die Datierung des Fundkomplexes: Rogl 2003b, 188, Anm. 3; Zabehlicky­Scheffenegger/Schneider 2000, 111, Abb. 5, 2 (links oben). KAT. 1 1 Inv.Nr: AG 95/188/4 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Becher mit nach außen biegender Lippe Fabric: hart, fein, feinporös; 5 YR 6/6; Glimmer, fein, 25 %, weiße ES, fein, 20 %, Quarz, fein, 20 %, mittel, 2 %, dunkelgraue ES, sehr fein, 10 %, braune ES, fein, länglich, 25 % Überzug: glatt, leicht glänzend; außen 10 R 4/6 und 2.5/1 (metallischglän­ zend), innen 5 YR 6/6 gefleckt mit 2/1 RDm in cm: 10 Literatur: Für die Datierung des Fundkomplexes: Rogl 2003b, 188, Anm. 3; Zabehlicky­Scheffenegger/Schneider 2000, 106, Abb. 1, 8 und 2, 6 oben KAT. 1 2 Inv.Nr: BAS 65/4066 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Skyphos Fabric: hart, fein, feinporös; 5YR6/4, weiße ES, fein, vereinzelt Überzug: glatt, leicht glänzend, flächig; GLEY1 3/N Erhaltene Höhe in cm: 5 Literatur: Waldner 2009a, 177. 418, K1334, Taf. 70; vgl. Rotroff 2003, Taf. 125, 717; Hübner 1993, Taf. 4, 24. K AT. 1 3 Inv.Nr: HE 89/5/100 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Schale Fabric: hart, fein, feinporös; 5 Y 5/1; Glimmer, sehr fein, 25 %, weiße ES, fein, 7 %, fein­mittel, 1 %, Quarz, fein, 3 %, gelbe ES, fein, 3 % Überzug: uneben, matt; 5 Y 2.5/1 Erhaltene Höhe in cm: 3,6 Literatur: Waldner 2009a, 61. 252, K237, Taf. 11. 84; Waldner 2009b, 291, Abb. 11, 22; vgl. Mitsopoulos­Leon 1991, C2. C5; für Sardis (als pergameni­ scher Import deklariert): Rotroff/Oliver 2003, Taf. 124, 712–3. KAT. 14 Inv.Nr: H1 94/SR12/K292 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Krug (Henkelfragment) LÄT Z E R -LA SA R : K Ö PFE UND P O R T R ÄT S A U S E P H E SO S 159 Fabric: hart, fein, feinporös Überzug: glatt, matt; außen 7.5YR 5/6 und innen 2.5 YR 5/8 Erhaltene Höhe in cm: 5,8 Literatur: Ladstätter 2003a, 70, K292. K AT. 1 5 Inv.Nr: H2 99/729/01 Ware: Applikenware Gefäßtyp: Oinochoe Fabric: hart, fein, feinporös; 5 YR 7/4, Glimmer, fein, 10 %, weiß, sehr fein, 10 %, Quarz, fein, 5 %, länglich, fein, 5 %, gelb, fein, 1 %, schwarz, fein, 1 % Überzug: glänzend, kompakt; 5 YR 3/3, 5 YR 8/1 RDm in cm: 7,4 Literatur: Lätzer 2009, 140. 189, Kat. 63, Typ W2, Abb. 8 a. b., Taf. 4, 63; vgl. Mitsopoulos­Leon 1991, 55 ff, B 27, Taf. 27 und C 1, Taf. 64. BILDREC HTE 1–15, Taf. 3a–d ÖAI, Foto N. Gail. Tab. 1 Verfasserin. LITERATUR VER ZEICH N IS Barr-Sharrar 1987 Barr­Sharrar, Beryl: The Hellenistic and early imperial decorative bust. Mainz 1987. Boschung/Vorster 2015 Boschung, Dietrich/Vorster, Christiane (Hrsg.): Leibhafte Kunst. Statuen und kulturelle Identität. Morphomata Bd. 24. Paderborn 2015. Burr Thompson 1933 Burr Thompson, Dorothy: Ptolemaic Oinochai, and Portraits in Faience, Aspects of the Ruler-Cult. Oxford 1973. Fleischer 1991 Fleischer, Robert: Studien zur seleukidischen Kunst. I. 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J Ö RN LANG BEKANNTE UNBEKANNTE Bildniswiederholungen in der spätrepublikanischen Glyptik Der folgende Beitrag ist ein Versuch, den Blick auf ein Phänomen antiker Bildniskunst zu richten, das zwar wahrgenommen, aber in der jüngeren Forschung abseits von einzelnen Katalogbeiträgen bisher kaum über­ greifend benannt wurde.1 Da die moderne Erforschung antiker Porträts ihren Ausgang in bis ins kleinste Details ausgefeilten, vergleichenden Betrachtungen von Formen nahm, lag es nahe, geschnittene Steine in den Blick zu nehmen, da sie durch ihr miniaturhaftes Erscheinungsbild besonders detaillierte Formbetrachtungen voraussetzen. Auch die Zeiten und kulturelle Erscheinungsformen transzendierende Perspektive des Internationalen Kollegs Morphomata ist gerade bei solch kleinteiligen Ob­ jekten auf Detailstudien angewiesen, bevor diese in einem zweiten Schritt in einen größeren (inter)kulturellen Kontext eingebettet werden können. Geschnittene Steine wurden bis auf Ausnahmen bisher nicht syste­ matisch in die Überlegungen zur Bildniskunst einbezogen.2 Wenn hier nicht die typologisch gebundenen Bildnisse der Kaiserzeit im Vordergrund 1 Die Idee zum Beitrag entstand aus der Beschäftigung mit der Gemmen­ sammlung des GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Leipzig (Cain/Lang 2015). Zugleich schließt sich damit ein Kreis, da Dietrich Boschung im Winter­ semester 1998/ 99 über die Kunst der späten Republik und frühen Kaiserzeit las und dies meine erste archäologische Vorlesung im Studium war. 2 Von den Hoff 2009 berücksichtigt in seinem Beitrag zur medialen Reprä­ sentation Caligulas zwar Kameen, geht aber nicht umfassender auf die Aussa­ gemöglichkeiten der Glyptik insgesamt ein. Eine Ausnahme bilden Megow 1987 zu den kaiserzeitlichen Bildniskameen (mittlerweile in einigen Benennungen zu revidieren) und Zwierlein­Diehl 2011 zu den Bildnissen der Soldatenkaiser. 164 stehen,3 sondern diejenigen der späten römischen Republik, so ist dies darauf zurückzuführen, dass die materielle Überlieferung der Bildniskunst in dieser Zeit insgesamt größere Lücken aufweist und durch die Betrach­ tung der geschnittenen Steine in besonderem Maße differenziert werden kann. Neben den Münzen mit Ahnenbildnissen4 sowie rundplastischen Bildwerken5 ist die Glyptik eine der wichtigsten Gattungen, in der sich eine größere Anzahl an Bildnissen erhalten hat. Sie wurden bereits in einer umfänglichen Zahl zusammengestellt, doch konzentrierte sich die por­ trätikonographische Einordnung meist auf Vergleiche mit Münzbildern, die auf eine Benennung der Dargestellten zielte. Die in diesem Zusam­ menhang erzielten Ergebnisse halten aktuellen porträtikonographischen Anforderungen nicht immer stand 6. Die jüngere Forschung konzentrierte sich vor allem auf die rundplastischen Bildnisse, Werke anderer zen­ traler Gattungen des römischen Alltags wurden dagegen kaum in die Betrachtungen einbezogen.7 Eine Ausnahme bildet die Untersuchung der großen Serien von Intaglien und Glasgemmen, in denen die Bildnisse der Protagonisten des zweiten Triumvirats verbreitet wurden.8 Nimmt man 3 Mit rundplastischen Bildnistypen zu verbindende Intagli z. B.: Tiberius, vom Typus Kopenhagen 624 abhängig: Zwierlein­Diehl 2002, 92 Nr. 105; Nero im vierten Bildnistypus: Spier 2010, 54 Nr. 30; Hadrian im Typus ›Rollockenfrisur‹: Zwierlein­ Diehl 1991, 68 Nr. 1722; Commodus im Princeps Iuventutis Typus: Fittschen 1999, Taf. 111 m; Commodus im ›Samtherrschaftstypus‹/ Typus Liverpool–Tivoli: Fittschen 1999, Taf. 111 n + o; Spier 2001, 66 Nr. 38; Weiß 2010, 86, Nr. 72; Caracalla im ›1. Samtherrschaftstypus‹: Zwierlein­Diehl 1991, 70 Nr. 1728; Neverov 1976, 79 Nr. 140; Septimius Severus im ›Serapistypus‹: Spier/Ogden 2015, 120 f. Nr. 50. 4 Lahusen 1989. Zum Phänomen der bärtigen Bildnisse republikanischer Zeit jüngst auch Biedermann 2013. 5 Vgl. Vessberg 1941, 115–251 mit akribischer Zusammenstellung der Schrift­ quellen 40–46; Schweitzer 1948; Megow 2005 mit einem dezidiert formal­ stilistischen Untersuchungsansatz. Dazu Rez. K. Fittschen, G GA 258, 2006, 72–90; Papini 2004 mit Fokus auf der Genese der republikanischen Bildnis­ kunst zwischen 4. und 2. Jh. v. Chr. Vgl. ebd. 429–348 zur Rolle von Münzen und Gemmen in diesem Zeitraum. 6 Vollenweider 1972/ 74; Lahusen 1989, 36–38. Zanker 1974, 587 nannte die Porträtgemmen zwar bei seinen Überlegungen zum »hellenistischen Individu­ alporträt«, bezog sie aber inhaltlich nicht systematisch ein. Plantzos 1999, 92–94 ordnete einige Bildnisse in seine Ausführungen zur hellenistischen Glyptik insgesamt ein, erfasste dabei aber nur einen Ausschnitt des Materials. 7 Eine Ausnahme bilden Fischer/Lehmann 2016. 8 Octavian: Maderna 1988; Gagetti 2001; Sena Chiesa 2002; Pompeius: Trunk 2008. Zur Problematik der Benennung von Bildnissen einer Glasgemmenserie, LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 165 jedoch die spätrepublikanische Glyptik insgesamt in den Blick, so lassen sich bereits vor diesen großen Serien aus der Zeit des zweiten Triumvirats Gruppen von Bildnissen mit Wiederholungen nachweisen. Da für deren Analyse meist nicht die eindeutig zuweisbaren Haarsysteme der Kaiserzeit zur Verfügung stehen,9 seien zunächst Möglichkeiten und Grenzen einer Bestimmung als Bildniswiederholung in der republikanischen Glyptik anhand von Fallbeispielen erläutert. Der systematische Vergleich der Werke dient dazu, sich den methodischen Weg für eine Erfassung von Bildnisgruppen zu vergegenwärtigen. In der archäologischen Forschung zählen solche Formvergleiche zu den seit langer Zeit etablierten Verfahren. In diesem Sinne versteht sich der Beitrag auch lediglich als bescheidenes Plädoyer, solche Vergleiche unter Rücksichtnahme auf die materiellen Bedingungen von Bildträgern weiterhin konsequent anzuwenden, auch wenn die Voraussetzungen der Dokumentation in Form hochwertiger Photographien von Originalen und den seitenrichtigen Abdrücken, immer schwieriger zu erfüllen sein werden. In einem zweiten Schritt ist zu überlegen, welchen Beitrag eine erneute Betrachtung der geschnittenen Steine für das Verständnis und die Bewertung von Erscheinungsbild und Funktion der spätrepublikanischen Porträtkunst insgesamt leisten könnte. DIE BILDNISG R UP P E LEIP ZIG Den Ausgangspunkt der Betrachtung bildet ein Karneol, der heute im GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig aufbewahrt wird (vgl. im Katalog am Ende des Beitrags A1; Abb. 1a–b; vgl. Taf. 4a). Er stammt aus der Sammlung des Leipziger Juristen Jacob Benedict Winckler (1699–1779) und gelangte mit dem Verkauf der Sammlung 1742 in den Besitz der Stadt.10 Der dunkelorange, fleckige Intaglio zeigt den kantigen Kopf eines Mannes in deutlich fortgeschrittenem Alter im Profil nach rechts bzw. auf dem Abdruck nach links11. Über dem Büstenabschluss mit die als Caesar (Vollenweider 1960; Vollenweider 1964) oder Cato Uticensis (Zwierlein­Diehl 1973) angesprochen wurden, vgl. Lang 2012, 53–55. 9 Vgl. etwa Boschung 1989, 51; Fittschen 1999, S. X. 10 Vgl. Cain/Lang 2015, 22–28. 11 Auch wenn der Abdruck in der Regel die seitenrichtige Ansicht darstellt, erfolgen die Beschreibungen aus Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit zunächst vom Original aus. 166 1a/b Karneol. Leipzig, GRASSI Museum für Angewandte Kunst Inv. 1952.55/438. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. (siehe Taf. 4a) LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 167 herabgezogener Brustspitze geht der kurze und von Querfalten durchzogene Hals in den kräftigen Kopf mit fleischigem Gesicht über. Der Dargestellte zeigt deutliche Spuren fortgeschrittenen Alters, die sich in der schlaffen Haut unter dem Doppelkinn und am unteren Bereich der Wange, der scharf akzentuierten Nasolabialfalte, den Tränensäcken und den Krähenfüßen äußern. Trotz dieser unmissverständlichen Alterszüge ist kein ehrwürdiges Greisengesicht wiedergegeben, die Kontraktion des Brauenbereichs mit den tiefliegenden, kleinen Augen verleiht der Darstellung vielmehr einen konzentrierten, entschlossenen Ausdruck, der durch den fest geschlossenen Mund mit auffallend nach vorn gezogener Unterlippe zusätzlich unterstri­ chen wird. Weitere Kennzeichen sind die fliehende Stirn sowie die große Nase mit prägnant gebogenem Profil und leicht hängender Spitze. Das Haar ist kurz gehalten und in feinen, sichelförmigen Strähnen gestaltet, die in unregelmäßiger Folge vom Wirbel am Hinterkopf und dem Scheitel nach unten gestrichen sind. Es fällt zungenförmig in die Stirn, wobei dieses Motiv durch die haarlosen Schläfenecken zusätzlich verstärkt wird. Die gleichen formalen Charakteristika weist ein Intaglio auf, der verschollen und nur in Form einer Glaspaste und Abgüssen überliefert ist (A2; Abb. 2). Trotz enger Übereinstimmungen kann die Glaspaste in Würzburg nicht auf den Leipziger Intaglio zurückgehen, da der Kopf in die entgegengesetzte Richtung gewandt ist.12 Hinzu treten der geöffnete Mund, die leicht abweichende Form des Ohrknorpels, der bei der Glaspaste gleichförmig gerundet ist, und eine kleine haarlose Stelle hinter der Ohr­ muschel 13. Ansonsten weist der Intaglio, nach dem die Glaspaste gefertigt wurde, eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Leipziger Exemplar auf. Auf der Büste mit leicht herabgezogener Brustspitze sitzt ein kräftiger Hals, der durch eine deutliche Querfalte vom massiven Schädel mit dem kurzen Haar abgesetzt ist. Die leicht fliehende Stirn ist von zwei Horizontalfal­ ten durchzogen und mündet in den stark kontrahierten Brauenbereich. Darunter liegt das tief eingebettete Auge, das am Außenwinkel deutliche Krähenfüße erkennen lässt. Die Nase weist ein gebogenes Profil auf und seitlich des Nasenflügels entspringt eine scharfe Falte, die sich in der Form eines umgekehrten ›L‹ bis auf die kräftige Wange zieht. Die Unterlippe des deutlich geöffneten Mundes ist vorgeschoben, seitlich ist der Mund durch eine tiefe Falte von der deutlich erschlafften Haut der Kinnpartie abgesetzt. 12 Bei Glaspasten handelt es sich um exakte Replikate, die eine abweichende Wendung ausschließen. Vgl. zur Herstellung Zwierlein­Diehl 1986, 8–9. 13 Auf das Detail der Haare machte mich freundlicherweise E. Zwierlein­Diehl, Bonn, aufmerksam. 168 2 Glaspaste nach antikem Intaglio. Würzburg, Martin von Wagner­Museum der Universität. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. Trotz der genannten, kleinen Abweichungen muss das in der Glaspaste erhaltene Bildnis aufgrund seiner formalen Übereinstimmungen auf das­ selbe Vorbild wie der Leipziger Karneol (vgl. A1; Abb. 1a–b) zurückgehen. Stellt man diesen beiden Intagli einen Jaspis im Museum of Fine Arts in Boston zur Seite (A3; Abb. 3a–b), so sind die typologischen Ver­ bindungen evident, wenngleich sie sich nicht so eindeutig präsentieren wie bei den vorherigen Beispielen.14 Einige Charakteristika des Gesichts entsprechen auffallend deutlich denjenigen des Leipziger Beispiels. Insbesondere die fleischige Anlage des kurzen Halses und des kräftigen Gesichts, die fliehende Stirn mit kahlen Schläfenecken und mittiger Haarzunge, die gebogene Nase mit scharf eingetiefter Nasolabialfalte und der zusammengekniffene Mund mit vorgeschobener Unterlippe stimmen überein. Abweichungen lassen sich hinsichtlich der Kontur des Hinter­ kopfes beobachten, die beim Jaspis in Boston etwa auf Höhe der Ohrmitte deutlich eingezogen ist. Auch in der Schilderung der Alterszüge liegen 14 Auf die Parallelität von Würzburger Glasgemme und Bostoner Intaglio wies bereits Zwierlein­Diehl 1986, 198 hin. LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 169 3a/b Jaspis. Boston, Museum of Fine Arts Inv. 27.715. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. 170 Unterschiede vor. Im Falle des Karneol in Leipzig wurde der Wangenbe­ reich faltig ausmodelliert, während das Bostoner Gesicht weitaus flächi­ ger geformt ist. Zudem ist die Stirnpartie des Bostoner Bildnisses nicht kontrahiert, der Brauenbogen ist vielmehr gleichmäßig geschwungen, so dass der Dargestellte entspannter und ein wenig jünger wirkt. Angesichts dieser geringfügigen Abweichungen und vor dem Hintergrund der großen Heterogenität, die den republikanischen Bildnissen in der Glyptik zu ei­ gen ist,15 ist es wahrscheinlich, dass beide Werke von einer gemeinsamen Vorlage abhängen. Dafür spräche auch die chronologische Einordnung der Werke, die mangels außerstilistischer Anhaltspunkte jedoch nur auf Basis einer relativchronologischen Reihung erfolgen kann. Einen ersten Hinweis bietet die Form der Büste mit tiefer Einwölbung am Hals und herabgezogener Brustspitze, die in der republikanischen Münzprägung ab der ersten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. Verwendung fand.16 Alle Bildnisse zeichnen sich darüber hinaus durch eine besondere Sorgfalt in der Mo­ dellierung der faltigen Hebungen und Senkungen der Gesichtsoberfläche aus, die deutliche Alterszüge aufweist. Diese stehen im Kontrast zu dem feinen, in flockigen Schnitten angelegten Haar. Die nächsten Parallelen dazu finden sich in Bildnissen aus der ersten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr.17 Die betrachteten Bildnisse stellen in dieser Eindeutigkeit einen selte­ nen Fall in der Überlieferung republikanischer Porträts auf Gemmen dar. Bei einem weiteren Karneol in Boston (A4?; Abb. 4a–b; vgl. Taf. 4b) fällt dieser Vergleich weniger deutlich aus. Der im Bereich der Büste ergänzte Intaglio zeigt ebenfalls einen massiven, männlichen Kopf mit Adlernase, leicht faltigem Untergesicht und in diesem Fall nur leicht vorgeschobe­ ner Unterlippe, deren Form insbesondere auf dem Abdruck (Abb. 4b) deutlich zu erkennen ist. Im Gegensatz zu den vorherigen Beispielen ist am unteren Bildrand jedoch ein Panzer angedeutet, über den ein Mantel drapiert ist. Hinter der Schulter verläuft ein länglicher Gegenstand. Von 15 Guter Überblick bei Vollenweider 1972/ 74. 16 Vgl. z. B. Crawford 1975, 332 Nr. 334/ 3b Taf. XLIII; 435 Nr. 408/ 1b Taf. L; 437 Nr. 410/ 1 Taf. L. Die von Crawford 1975 angegebenen absoluten Daten sind jedoch in Teilen zu korrigieren. Vgl. z. B. Mattingly 1995; Wolters 1999, 10 Anm. 4. 17 Vgl. zum Stil der Haare z. B. Vollenweider 1972, Taf. 59, 1–3. Vollenweider 1974, 82 liegt aufgrund der Büstenform mit ihrem Ansatz noch im 2. Jh. v. Chr. ein wenig früh. Typologisch zeigt sich eine enge Verwandtschaft mit dem Peperinkopf aus Palestrina in Berlin: Vessberg 1941, 237 f. Taf. 82, 1. 2, für den sich eine Datierung in das 2. Viertel des 1. Jhs. v. Chr. durchgesetzt hat. Vgl. La Rocca u. a. 2011, 156 f. m. Abb. Nr. 2. 20. LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 171 4a/b Karneol. Boston, Museum of Fine Arts Inv. 27.741. Mitte 1. Jh. v. Chr. (siehe Taf. 4b) 172 der Gruppe der drei anderen Bildnisse unterscheidet sich der Karneol zunächst hinsichtlich der Haarbehandlung. So zeigt das Haar auf dieser Gemme keine kahlen Schläfenecken wie bei den anderen Beispielen, sondern ist dicht und biegt an der Schläfe fast in einem rechten Winkel um. Weitere Abweichungen sind die bis auf die Querfalten über der Stirn glatten Gesichtszüge und die bis zum Untergesicht straff über das Gesicht gespannte Haut. Angesichts der Tatsache, dass wenige Merkmale ausrei­ chen können, um Gesichter zu identifizieren,18 ist nicht auszuschließen, dass dieses Bildnis der Gruppe hinzugefügt werden muss,19 auch wenn dies anhand der verwendeten Formen nicht exakt nachzuweisen ist. Stilistisch spräche nichts gegen eine Zugehörigkeit zur genannten Gruppe. Aufgrund der Gestaltung der Haare in kurzen, regelmäßig gestrichelten Strähnen gehört der Karneol in den Zeitraum um die Mitte des 1. Jhs. v. Chr.20 DIE BILDNIS G R UP P E B ER L IN – F LO R ENZ Die Vertreter der folgenden Gruppe 21 zeigen das in bisher drei Beispielen (B1–3) überlieferte Bildnis eines Mannes mittleren Alters, dessen wesent­ liche Charakteristika an einem Karneol in Berlin erläutert werden sollen (B1; Abb. 5a–b)22. Sein augenfälligstes Merkmal ist der deutlich nach 18 Vgl. zur Wiedererkennung von Gesichtern Leopold/Bondar/Giese 2006, 572–575; Ansorge/Leder 2016, 124–30. 19 Weitere bei Beazley/Boardman 2002, 72–73 als Vergleiche genannte Bild­ nisse wurden entweder in der Neuzeit gefertigt oder weichen typologisch sig­ nifikant ab, so dass sie hier nicht berücksichtigt wurden. Vgl. Zwierlein­Diehl 1986, 306 f. Nr. 927; Simon 1995, 558 (C. Weiß). Ein Granat in Paris ist zwar im Erscheinungsbild verwandt, meint aber aufgrund der hageren Gesichtszüge und der deutlichen Stirnglatze eine andere Person: Vollenweider / Avisseau­Broustet 2003, 24 f Nr. 13 Taf. 38. 20 Vgl. zum Stil Zwierlein­Diehl 1969, Taf. 73 Nr. 414. 416; zum Haar: hier B1, Abb. 9; Crawford 1975, 502 Nr. 494/ 37 Taf. LX. Nach den zur Verfügung stehenden Abbildungen ist die antike Entstehung des Werkes wahrscheinlich. 21 Vgl. Vollenweider 1972, Taf. 60 f.; Lahusen 1989, Taf. 45. 22 Aufgrund signifikant abweichender Kopfformen, Haarmotive und physiog­ nomischer Details auszuscheiden sind dagegen die Beispiele bei Lahusen 1989, Taf. 44. Der Karneol in Privatbesitz: Lahusen 1989, Taf. 44, 2–3 ist aufgrund des höheren Haaransatzes, des schärferen Profils der Nase, des knochigen Un­ tergesichts mit spitzem Kinn, des deutlich herabgezogenen Mundwinkels und des hervorgewölbten Adamsapfels auf eine andere Person zu beziehen. LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 173 5a/b Karneol. Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung Inv. FG 6537. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. 174 6a/b Karneol. Florenz, Museo Archeologico Inv. 14998. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 175 vorn gestreckte und im hinteren Bereich gleichförmig runde Schädel, der auf einem sehnigen Hals sitzt und im Bereich des Untergesichts schmal zuläuft. Die Gesichtszüge weisen kaum Altersmerkmale auf, einzig die deutliche Nasolabialfalte und die leicht eingefallene Wange der Intagli in Berlin und Florenz (Abb. 5–7) legen ein fortgeschrittenes Alter des Dargestellten nahe. Die Mimik wird im Wesentlichen von zwei quer verlaufenden Stirnfalten dominiert. Die Stirn selbst ist im unteren Bereich leicht vorgewölbt und geht in den tief eingezogenen Nasensattel über. Die Nase weist eine leicht hängende Spitze und ein adlerförmiges Profil auf, das einzig bei einem Karneol in Florenz begradigt wurde (vgl. Abb. 7). Unter der gleichförmig gewölbten Braue liegt das von feinen Lidern eingefasste, große Auge mit leicht nach unten gezogenem Au­ genwinkel 23. Das fliehende Untergesicht weist einen minimal geöffneten Mund mit betonter Unterlippe und kugelig vorgewölbtem Kinn auf. Das Haar ist schlicht frisiert und liegt kappenartig an. Bei zwei Beispielen (vgl. Abb. 5–6) ist die Frisur in gleichmäßigen Strähnen gestaltet, beim Karneol in Florenz (vgl. Abb. 7) strebt das Haar dagegen vor allem an den 7 Karneol (Abguss in Gips). Florenz, Museo Archeologico Inv. 358. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. 23 Dieser bereits von Vollenweider 1974, 94 beschriebene Eindruck ist vor allem am Original erkennbar und tritt am Abdruck weniger deutlich hervor. 176 Schläfen in unterschiedliche Richtungen. Insgesamt wirkt die Version bei diesem Bildnis im Vergleich zu den beiden anderen Beispielen beruhigt, ein Effekt, der vor allem durch das unauffälligere Profil der Nase und die Zurücknahme der Alterszüge hervorgerufen wird. Eine chronologische Einordnung kann einzig aufgrund stilistischer Merkmale erfolgen, da keine zugehörigen Ringfassungen vorliegen oder andere, außerstilistische Kriterien herangezogen werden können. Die Büste mit herabgezogener Spitze und die Behandlung der Haare veranlassten bereits Vollenweider zu einer Datierung in die erste Hälfte des 1. Jhs. v. Chr.,24 ein Vorschlag, dem vor dem Hintergrund der stilistischen Entwicklung der spätrepub­ likanischen Glyptik25 hier gefolgt werden soll. DIE BILDNIS G R UP P E B ER L IN – B ER N Die letzte der hier zusammengestellten Bildnisgruppen ist bisher nur in zwei Vertretern überliefert.26 Ein mittelbrauner Sard­Intaglio in Berlin (C1; Abb. 8) zeigt das Porträt eines jungen Mannes im Profil nach links. Über dem kräftigen Hals, der unten in einer s­förmigen Kurve abschließt, erhebt sich der langovale Schädel mit im Wangenbereich fleischigen, aber glatten Gesichtszügen. Die mimische Bewegung ist auf zwei Falten reduziert, die quer über die leicht fliehende Stirn verlaufen. Diese ist nach unten durch einen deutlich hervorgewölbten Wulst abgeschlossen, unter dem das weit geöffnete Auge mit lunulaförmiger Iris erkennbar ist. Der eingezogenen Nasenwurzel entspringt die Nase mit leicht konkav einge­ zogenem Rücken und kugelig gerundeter Spitze. Unterhalb schließt sich die kräftige Mundpartie an, die durch eine weich modellierte Furche von der Wange getrennt ist. Die Lippen liegen locker aufeinander, wobei die Oberlippe deutlich über die Unterlippe vorgeschoben ist. Das Gesicht endet in einem festen Kinn mit ausgeprägter Kinnlade. Die Frisur ist in kurzen ungleichmäßig nach vorn gestrichenen Einzelsträhnen gestaltet, die in kräftigen, leicht gebogenen Gravuren eingetragen wurden. Die Haare begrenzen die Stirn in einer geraden Linie, sind seitlich oberhalb der Schläfe deutlich eingezogen und biegen darunter über einen rechten Winkel schräg zum Ohr um. Diesem Beispiel kann ein dunkelbrauner Sard in Bern zur Seite gestellt werden (C2; Abb. 9; vgl. Taf. 4d). Neben der 24 Vgl. Vollenweider 1972, 95. 25 Vgl. dazu Zwierlein­Diehl 2007, 132–140. 26 M. W. erstmals erkannt in Jucker/Willers 1982, 283 (I. Jucker). LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 177 8 Sard. Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung Inv. FG 6538. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. (siehe Taf. 4c) 9 Sard in Goldring des 17. Jhs. Antikensammlung der Universität Bern Inv. DL 288. Mitte 1. Jh. v. Chr. (s. Taf. 4d) 178 Kontur des langgezogenen Schädels stimmen das Fehlen von Alterszügen, der Stirnwulst, die spitz hervorstehende Nase, die weiche Furche zwischen Nase und Wange, das feste Kinn mit ausgeprägter Kinnlade sowie die eingezogene Haarkante oberhalb der Schläfe deutlich mit dem Berliner Beispiel überein. Der einzige Unterschied besteht in der Zeichnung der Brauenpartie, die beim Berner Exemplar leicht gestrichelt ist. Geht man davon aus, dass das Bildnis zu Lebzeiten angefertigt wurde, entstand die Darstellung um die Mitte des 1. Jhs. v. Chr. Dafür sprechen die Form des Büstenausschnitts und vor allem die Behandlung der Haare in einzelnen, kräftigen und ungleichmäßig angeordneten Gravuren27. ZEUGNIS S E D ER G LY P TIK IM K O N TEXT D ER REPUBLIKAN ISCH EN B IL D NISK UNST Ordnet man die betrachteten Werke in den Kontext der republikanischen Bildnisse ein, so erweitern die betrachteten Beispiele zunächst das Spek­ trum an bekannten römisch­republikanischen Porträttypen,28 da keines von ihnen einem der bisher bekannten Typen rundplastischer Zeugnisse entspricht.29 Da keine Benennungen möglich sind, läuft man nicht Gefahr, sich von biographischem Wissen leiten zu lassen, sondern ist ganz auf die verwendeten Bildformen und ­formeln angewiesen. Hinsichtlich ihrer äußeren Erscheinung stimmen die Intagli mit dem aus der Rundplastik bekannten Bild überein, da alle die charakteristischen Merkmale repu­ blikanischer Porträtkonzeptionen mit einer besonderen Betonung von Altersmerkmalen aufweisen. Die Bildnisse sind damit veristisch im Sinne der Verwendung physiognomischer Charakteristika, die einem Betrachter aus seiner alltäglichen Beobachtung bekannt gewesen sein dürften. In der Bildnisgruppe Leipzig werden insbesondere innere Anspan­ nung und Alter geschildert. Tiefe Falten, Hebungen und Mulden des 27 Vgl. Vollenweider 1972, 143. 28 In den Arbeiten zu republikanischen Bildnistypen finden Gemmen in der Regel kaum Berücksichtigung. Vgl. Megow 2005, 144. 29 Ähnlich wie in der Rundplastik sind die Bildnisse auch bei den Gemmen bis auf wenige Ausnahmen in kleinen Serien überliefert. Vgl. zusätzlich Vollenweider 1972, Taf. 124, 1; 125, 1. 4 (zu beachten sind hier vor allem die Haarmotive wie die hakenförmig eingerollten Strähnen an der Schläfe). Damit sind auch für die zweite Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. abseits der bekanntesten Pro­ tagonisten der späten Republik Bildnisse mit Wiederholungen überliefert. LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 179 Karnats sowie erschlaffte Hautpartien sind mit mimischer Anspannung wie der deutlich kontrahierten Stirn­Brauen­Partie vereint. Die vielfach beschworene Verbindung aus Alter und auctoritas, die sprichwörtliche auctoritas senectutis tritt hier deutlich vor Augen.30 Insbesondere das Bild­ nis auf dem Leipziger Karneol entwickelt dabei eine gesteigerte bildliche Präsenz, die Qualitäten, die der Person zugeschrieben werden sollen, werden suggestiv ausgestellt.31 Auch die Beispiele der Bildnisgruppe Ber­ lin–Florenz zeigen durch die eingefallenen Wangen und den knochigen Aufbau des Gesichts den Wert, der dem fortgeschrittenen Alter des Dar­ gestellten beigemessen wurde. In der Bildnisgruppe Berlin–Bern findet sich dagegen eine Kombination aus kräftigem Gesichtsaufbau und der nur über die Stirnkontraktion zum Ausdruck gebrachten Anspannung. In diesem Fall wurden nur sehr dezente Verweis auf das Alter gegeben. Dies könnte darauf verweisen, dass sich die dargestellte Person noch in einem vergleichsweise frühen Stadium ihrer Karriere befand. Der Gesichtsaus­ druck ist ruhig, wirkt aber vor allem durch die Kinnpartie energisch, so dass in diesem Bildnis vor allem Entschlossenheit und Tatkraft in den Mittelpunkt gerückt werden. Wie in der Rundplastik zählen demnach Alter und angespannte Gesichtszüge zum Standardrepertoire republi­ kanischer Porträts in der Steinschneidekunst 32. Alle hier betrachteten Bildnisse vereint schließlich die Schlichtheit ihrer Frisuren, die zu Recht immer wieder mit dem vielbeschworenen Streben nach simplicitas verbun­ den wurde. Darin bestätigen die Gemmen das auf Basis der Rundplastik herausgearbeitete Bild spätrepublikanischer Bildnisse.33 Doch während die Kopien republikanischer Porträtplastik vom 2. Jh. v. Chr. bis in das 3. Jh. n. Chr.34 streuen, sind die hier zusammengestellten Bildnisse auf den Gemmen durchweg originale Werke spätrepublikanischer Zeit des frühen 1. Jhs. v. Chr. Zugleich erhält die Überlieferung durch die Gemmen­ bildnisse eine Nuancierung, da sie nicht das Ausdrucksspektrum der Rundplastik wiederholen, sondern eine gattungsimmanente Tradition herausbilden. So wurden die von rundplastischen Bildnissen bekannten 30 Vgl. etwa Cicero, topica 73. 31 Typologisch bestehen enge Parallelen zum republikanischen Bildnis Megow Typus IV: Megow 2005, 87–93. 32 Vgl. zusätzlich auch die eindrücklichen Beispiele bei Vollenweider 1972, Taf. 22, 1; 58, 1; 60, 1–5; 65, 1. 3; 87, 1; 112, 1. 33 Vgl. den deutlichen Negativbefund bei Papini 2002, 434 mit Verweis auf den Capuaner Goldring ebd. Abb. 395. 34 Vgl. Megow 2005, 143. 180 »Pathosformeln«35 wie heftige Kopfbewegungen mit gespannter Mus­ kulatur des Halses oder aufgeworfenem Haar, die sich formal aus der hellenistischen Herrscherikonographie ableiten lassen, weder bei den hier betrachteten Bildnisgruppen noch in der weiteren Glyptik spätre­ publikanischer Zeit regelmäßig verwendet.36 Der Kopf des Berliner Sard (vgl. Abb. 8; vgl. Taf. x) ist zwar leicht in den Nacken gelegt und zeigt einen dezent geöffneten Mund, doch ist diese Bewegung zu verhalten, um als Ausdruck gesteigerten Pathos angesehen werden zu können.37 In der Glyptik lassen sich insgesamt unterschiedliche Grade mimischer Bewegung greifen, doch bleibt diese häufig auf eine stark kontrahierte Stirn­Brauen­Partie beschränkt und ist ganz auf die Darstellung innerer Spannung und Tatkraft konzentriert.38 Wenngleich auch hellenistische Porträtgemmen mitunter angespannte Gesichtszüge wie etwa eine stark kontrahierte Stirn­ oder Brauenpartie aufweisen, werden die Möglich­ keiten differenzierter mimischer Details vor allem ab der Wende vom 2. zum 1. Jh. v. Chr. auf die Spitze getrieben. Bei den hellenistischen Herrscherporträts wurden sie noch mit jugendlichen Zügen kombiniert und gezielt als einzelne Elemente eingesetzt,39 im römischen Kontext wurden sie dagegen Standardformeln mimischen Ausdrucks 40 . Diese »Anspannungsformeln« entwickelten sich zu Leitmotiven der Bildnisse. Während in rundplastischen Werken das bestehende Repertoire helle­ nistischer Bildformeln Verwendung fand, wurden diese in der Glyptik im italischen Raum weiterentwickelt. Denn ungeachtet der Frage, ob es sich bei Gemmenbildnissen um solche von Ahnen handelt oder lebende Amtsträger dargestellt wurden, weist eine Wiederholung von Bildnissen auf unterschiedlichen Intagli darauf hin, dass Personen gezeigt sind, die eine öffentliche Funktion inne hatten und daher mit hoher Wahrschein­ lichkeit als römische Bürger angesprochen werden können.41 Ohne im 35 Vgl. dazu Zanker 1976, 589–590. 36 Es finden sich unter den Bildniswiederholungen bisher keine Vertreter der aus der Rundplastik bekannten Porträts, bei denen diese bildliche Formeln Verwendung fanden. Vgl. zu diesen Zanker 1995, 479. 37 Vgl. als Kontrast etwa die rundplastischen Bildnisse Megow 2005, Taf. 3. 5–12. 38 Vgl. dazu Fittschen 1991, 269–270. 39 Vgl. z. B. Plantzos 1999, Taf. 3 Nr. 16; 24 Nr. 138; 27, Nr. 153. 154. 40 Vgl. z. B. Vollenweider 1972, Taf. 19, 1; 21, 1; 22, 1; 25, 1; 35, 9; 42, 46, 6. 41 Unter den Bildnissen ohne Repliken sind dagegen auch Angehörige der Mit­ telschichten zu vermuten, ebenso wie Zanker 1976, 592 es für die Rundplastik in Erwägung zog. LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 181 Einzelnen ethnische Zuweisungen vorzunehmen,42 ist davon auszugehen, dass die Stücke politisch aktive Persönlichkeiten der späten Republik zeigen und an enge Vertraute weitergegeben wurden.43 Angefertigt wur­ den diese Bildnisse meist von griechischen Gemmenschneidern. Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund der insgesamt einheitlichen stilistischen Entwicklung von den griechisch­hellenistischen zu den hellenistisch­ spätrepublikanischen Porträts plausibel.44 Vielmehr ist auffallend, dass alle Bildnisse, die von ihren Steinschneidern signiert wurden, von grie­ chischen Gemmenschneidern stammen.45 Allein durch ihre im Vergleich zu den rundplastischen Werken weitaus dichtere Überlieferung sollten Analysen der spezifischen bildlichen Formeln im spätrepublikanischen Porträt die Zeugnisse dieser Gattung systematisch in die Überlegungen einbeziehen. So träte deutlicher hervor, welche eigenen Dynamiken ein­ zelne Gattungen entwickeln konnten. Daneben können die Gemmen Untersuchungen zum Phänomen der spätrepublikanischen Porträts durch ihre spezifische Funktionalität erweitern. Bisher wurden die Besonderheiten römisch­republikanischer Porträtkunst primär auf Basis der Rundplastik analysiert. Dabei wur­ den die Bildnisse grundsätzlich als Mittel öffentlicher Repräsentation angesehen.46 Ähnlich wie bei der Analyse verwendeter Bildformeln ist auch hinsichtlich der Funktionalität eine Beschränkung auf die Aus­ drucksform des öffentlich aufgestellten Bildnisses für eine differenzierte Gesamtbewertung des Phänomens römisch­republikanischer Porträt­ kunst kaum zulässig. Bewertungen müssen grundsätzlich auf Basis aller 42 Vgl. etwa die anhaltende Diskussion um den sog. Thermenherrscher: z. B. Papini 2002, 439–442. 43 Bereits Smith 1987, 33 erkannte den Wert der Gemmen für diese Frage, ohne jedoch die Wiederholung eines Bildnisses als Argument anzuführen. 44 Hinsichtlich der Kontinuitäten sei etwa auf die Haargestaltung von Plantzos 1999, Taf. 15 Nr. 90 (Philhetairos) gegenüber Vollenweider 1972, Taf. 42, 1–2 oder Plantzos 1999, Taf. 16 Nr. 91 (wohl Mithradates IV.) gegenüber Vollenweider 1972, Taf. 44. 45, 1 verwiesen. 45 Vgl. Zwierlein­Diehl 2007, 109–119; Zwierlein­Diehl 1990. Vgl. Plantzos 1999, 133 Nr. 611 Taf. 73; 617. 618.–621 Taf. 74 f. Auch Inschriften, die gemmarii (Gemmenschneider oder Juweliere) nennen, weisen regelmäßig auf Griechen hin, z. B. C I L VI Nr. 9436: L. Vittedius Hermias (Freigelassener); C I L VI Nr. 9433: M. Lollius Alexander (Freigelassener). Die von Vollenweider 1974, 39–47 postulierte italische Bildnistradition in der Glyptik wurde bereits von Zanker 1976, 585 Anm. 13 zu Recht abgelehnt. 46 Vgl. Giuliani 1986, 47. 182 Ausdrucksformen rekonstruiert werden. In der Glyptik ist das Abbild einer Person in besonderem Maße mit einer bekennenden Funktion verbunden.47 Einen Zugang zum inhaltlichen Verständnis von Bildnis­ gemmen bietet die Überlieferung, dass Siegelring und Träger als eins gesehen werden konnten. So heißt es in den Briefen des Cicero: »Dein Ring sei nicht wie irgendein Gerät, sondern gleich wie du selbst […]« (sit anulus tuus non ut vas aliquod, sed tamquam ipse tu)48. Der Abgebildete wurde in seinem Ring als körperlich anwesend verstanden.49 Das Bild­ nis am Ringstein war der Träger selbst, blieb also engstens mit diesem verbunden, selbst wenn es sich durch das Siegeln körperlich vom Träger löste. Dabei zielte das Bildnis selbst auf unmittelbare Präsenz und erhielt darüber Bedeutung als Zeichen der in spätrepublikanischer Zeit grundle­ genden persönlichen Verbundenheit zwischen politischen Freunden oder Klientelbeziehungen50. Gemmen können als Teil und zugleich manifester Ausdruck der Kommunikation innerhalb dieser personalen Beziehungsgeflechte ver­ standen werden, auch sie sind Teil der öffentlichen Kommunikation, wenngleich auf einer visuell anderen Ebene als die Statuen des öffent­ lichen Raumes. Die in verschiedenen Wiederholungen dargestellten Personen müssen über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügt haben und vor dem Hintergrund der Spezifika der römisch-republikanischen Gesellschaft wird man kaum fehlgehen, diese Bekanntheit auf aktuelle oder vergangene politische Aktivitäten zurückzuführen. Angesichts der Bedeutung enger sozialer Geflechte für den Alltag der römischen Republik ist bemerkenswert, dass den Zeugnissen der Glyptik in der Forschung nicht derselbe Stellenwert eingeräumt wurde wie den in weitaus geringerer Zahl erhaltenen rundplastischen Bildnissen. Denn nach dem vorliegen­ den Befund wurde das Potenzial von Gemmen zwar vor allem im Zuge der Zuspitzung innenpolitischer Auseinandersetzungen in der zweiten 47 Vgl. dazu Lang 2012, 103–105 für das Beispiel der Philosophenbildnisse oder Vollenweider 1955 für die Zeit der ausgehenden römischen Republik. 48 Cicero, Epistulae ad Quintum fratrem 1, 1, 13. 49 Sie erstarren gerade nicht in »pathognomischer Eintönigkeit«, wie dies Giuliani 1986, 240 für die rundplastischen Werke postulierte. Dagegen bereits Zanker 1995, 476–478. 50 Dies gilt auch abseits einer möglichen Verwendung im Kontext mit einem bekleideten Amt. Darauf deutet etwa Cicero, pro L. Valerio Flacco 37. Vgl. Haensch 1996, 451 f. Anm. 10. 14. LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 183 Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. erkannt und konsequent genutzt,51 die Anfänge sind dagegen bereits in der ersten Hälfte dieses Jhs. v. Chr.52 zu suchen. In der weitgehenden Beschränkung auf die Betrachtung einzelner Gattungen und Fokussierung auf die rundplastischen Werke wurde in der Rekonstruktion des Gesamtphänomens demnach bisher nur ein Ausschnitt der materiellen Überlieferung zum römisch­republikanischen Bildnis konsequent berücksichtigt. So wäre ausgehend von den vorge­ legten Bemerkungen weitergehend zu fragen, inwiefern sich die weit verbreitete Reduzierung der Bildaussagen auf politische Schlagworte vor dem Hintergrund dieses Materials halten lässt 53 oder ob nicht stärker als bisher unterschiedliche Öffentlichkeiten, ihre Bedeutung im Kontext der römischen Gesellschaft der Republik und die damit verbundene mediale Diversität der Bildnisse berücksichtigt werden müssten.54 KATALOG A : B IL D N ISG RU PPE L EIPZIG 1) Karneol. Leipzig, GRASSI Museum für Angewandte Kunst Inv. 1952.55/ 438 (Abb. 1a–b; Taf. 4a) Maße: 1,64 × 1,47 × 0,31. Leipzig, GRASSI Museum für Angewandte Kunst Publ.: Cain – Lang 2015, 103 f. Abb. II 13 (J. Lang). 2) Verschollen. Glaspaste Würzburg, Martin von Wagner­Museum (Abb. 2) Maße (Bild): 1,76 × 1,41. Publ.: Zwierlein­Diehl 1986, 198 Nr. 525 Taf. 93. Ebd. schließt sie mit Verweis auf die leicht geringere Größe und das zu magere Gesicht eine Identifizierung der Glaspaste mit dem Abdruck Lippert 1 II 2 Nr. 330 (Sarda, Alia Galbae iam certior, ohne Angabe des Besitzers) aus. 51 Das bisher unpublizierte Material dürfte noch eine ganze Reihe bekannter Unbekannter der römischen Republik bereithalten, die über die oben skizzierte Annäherung auf Basis systematischer Vergleiche zu weiteren Bildnisgruppen zusammengeschlossen werden können. 52 Dahingehend ist Vollenweider 1955, 108, die das Phänomen des »Bekenntnis­ charakters« auf die zweite Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. beschränkt, zu korrigieren. 53 Zu kurz greift hier Giuliani 1986, 47, dessen umfassende Bewertung allein auf Werken der Rundplastik basiert. 54 Interessanterweise genießen Gemmen auch in neueren Überlegungen zur kontextuellen Wirkung römischer Bildnisse keinen besonderen inhaltlichen Stellenwert, sondern fungieren etwa als Vignette. Vgl. Fejfer 2008, S. V. 184 3 ) Schwarzer Jaspis. Boston, Museum of Fine Arts Inv. 27.715 (ehem. Slg. Tyszkiewicz, davor Slg. Piombino Boncampagni) (Abb. 3a–b) Maße: Dm. 1,6 Publ.: Furtwängler 1900, Taf. XXXIII, 16; LI, 25 (Achat); Vollenweider 1972, Taf. 52, 4–6 (Achat); Vollenweider 1974, 81 f.; Beazley – Boardman 2002, 64 f. Nr. 101; Smith 1981, 27. 33 f. Taf. 2 Nr. 3. Daktyliotheken: T. Cades, Catalogo del Museo del Principe di Piombino. Collezione di 68 impronti cavati da gemme antiche appartenenti a S. E. il Sig.r Principe di Piombino Nr. 65; Pirzio Biroli Stefanelli 2007, 147 f. Nr. 413. 4 ? ) Karneol. Boston, Museum of Fine Arts Inv. 27.741 (ehem. Slg. Evans (Abb. 4a–b; vgl. Taf. 4b) Maße: 1,6 × 1,2 × 0,3 Publ.: Beazley – Boardman 2002, 72 f. 121 Nr. 116 Taf. 24; erw. Simon 1995, 558 (C. Weiß); Zwierlein­Diehl 1986, 306 f. zu Nr. 927. Daktyliothek: Lippert1 II 2 Nr. 223. B : B IL D N IS G RU PPE B E RLIN – F LO REN Z 1 ) Karneol. Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung Inv. FG 6537 (ehem. Slg. von Stosch) (Abb. 5a–b) Maße: 1,29 × 1,06 × 0,29 Publ.: Furtwängler 1896, 240 Nr. 6537 Taf. 46; Furtwängler 1900, Taf. XLVII, 26; LI, 26; Lahusen 1989, Taf. 45, 1–2; Vollenweider 1972, Taf. 4. 8. 9. 2 ) Karneol. Florenz, Museo Archeologico Inv. 14998 (alte Inv.­Nr. 275) (Abb. 6a–b) Maße: 1,25 × 1,00 × 0,40 Publ.: Gori 1731, Taf. XXXXII, 10; Furtwängler 1900, Taf. XLVII, 6; Vollen­ weider 1972, Taf. 61, 1–3. Daktyliothek Paoletti: Pirzio Biroli Stefanelli 2007, 223 Nr. 206. 3 ) Karneol. Florenz, Museo Archeologico Inv. 358 (ehem. Slg. William Currié, 1863 in den Besitz des Museums übergegangen) (Abb. 7) Maße: 1,05 × 1,00 Publ.: Vollenweider 1972, Taf. 61, 5–7; Lahusen 1989, Taf. 45, 5. C : B IL D N IS G RU PPE B E RLIN –B E RN 1 ) Hell­ bis mittelbrauner Sard. Berlin, Staatliche Museen, Antikensamm­ lung Inv. FG 6538 (Abb. 8; vgl. Taf. 4c) Maße: 1,60 × 1,39 × 0,32 Publ.: Furtwängler 1896, 240 Nr. 6538 Taf. 46; Furtwängler 1900, Taf. XLVII, 18; Zwierlein­Diehl 1969, 157 Nr. 412 Taf. 73. LANG: BILDNISWIEDERHOLUNGEN IN DER SPÄTREPUBLIKANISCHEN GLYPTIK 185 2 ) Dunkelbrauner Sard in Goldring des 17. Jhs. Antikensammlung der Universität Bern, DL 288 (Stiftung Leo Merz, ehem. Slg. Fürstenberg, Donaueschingen) (Abb. 9; vgl. Taf. 4d) Maße: 1,55 × 1,30 Publ.: Vollenweider 1972, Taf. 97, 5; Jucker – Willers 1982, 283 Nr. 141 (I. Jucker); Vollenweider 1984, 170 f. Nr. 288; Raselli­Nydegger – Willers 2003, 166 Nr. 171. Daktyliothek Paoletti: Pirzio Biroli Stefanelli 2007, 313 Nr. 456 (irrtümlicherweise mit Berlin FG 6538 [hier C1 ] identifiziert. Dagegen sprechen jedoch die abweichende Halsform mit v­förmig spitz zulaufenden Falten am Nacken, die drei nach vorn gerichteten Locken des Nackenhaares sowie die weniger stark eingezogene Haarkante über der Schläfe). BILDREC HTE 1a, Taf. 4a © Photo Institut für Klassische Archäologie und Antikenmuseum der Universität Leipzig (Marion Wenzel). 1b Photo J. Lang. 2 © Photo Martin von Wagner­Museum der Universität Würzburg. 3a. b © Photo Boston Museum of Fine Arts. 4a. b, Taf. 4b © Photo Boston Museum of Fine Arts. 5a © Photo Antikensammlung, SMB (Johannes Laurentius). 5b Nach Lahusen 1989, Taf. 45, 1. 6a © mit Erlaubnis der Soprintendenza Archeologia, Belle Atri e Paesaggio per la città metropolitana di Firenze e per le provincie di Pistoia e Prato. 6b Photo J. Lang. 7 Nach Lahusen 1989, Taf. 45, 5. 8, Taf. 4c © Photo Antikensammlung, SMB (Johannes Laurentius). 9, Taf. 4d © J. Zbinden, Institut für Archäologische Wissenschaften, Uni­ versität Bern. LITERATUR VER ZEICH N IS Ansorge/Leder 2016 Ansorge, Ulrich/Leder, Helmut: Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Wiesbaden 22016. Biedermann 2013 Biedermann, David: Zur Bärtigkeit römischer Porträts spätrepublikanischer Zeit, BJb 213 (2013), 27–50. Boschung 1989 Boschung, Dietrich: Die Bildnisse des Caligula, Das Römi­ sche Herrscherbild I/ 4. Berlin 1989. 186 Cain/Lang 2015 Cain, Hans­Ulrich / Lang, Jörn (Hrsg.): Edle Steine. Lehr­ reiche Schätze einer Bürgerstadt. Ausstellungskatalog. Leipzig 2015. Crawford 1975 Crawford, Michael: Roman Republican Coinage. Cambridge 1975. Fejfer 2008 Fejfer, Jane: Roman Portraits in Context, Image & Context 2. Berlin 2008. Fischer/Lehmann 2016 Fischer, Bernard / Lehmann, Stefan: Bildnisse un­ bekannter Römer. Drei Chromchalcedongemmen aus Privatbesitz. 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Besondere Betrachtung verdient in diesem Kontext die weibliche Büste, welche nahezu vollplas­ tisch, zentral über der Stirn des potentiellen Trägers aus der Helmkalotte herausgearbeitet wurde, sich jedoch in solch hohem Maß beschädigt zeigt, dass eine Identifikation der Dargestellten nicht ohne Weiteres möglich ist. Simon James schlug in einer der frühen Publikationen zu diesem außergewöhnlichen Helm vor, es könnte sich um eine Wieder­ gabe der Göttin Cybele handeln, da an der Schläfenpartie zwei Löwen die Büste flankieren und diese allgemein als Begleittiere dieser Gottheit auftreten.1 S. James weist jedoch in dem gleichen Artikel darauf hin, dass die Löwen größere Ähnlichkeiten mit Darstellungen aus der Sepulkral­ kunst aufweisen und auch als sogenannte Totenwächter interpretiert werden können, wodurch in logischer Konsequenz eine Ansprache der Büste als Idealportrait einer Göttin hinfällig würde.2 Der Wiedergabe einer weiblichen Gottheit widerspricht zudem, dass Darstellungen von Göttern auf römischer Militärausrüstung vor dem zweiten nachchrist­ lichen Jahrhundert ausgesprochen selten sind. Zwar treten dekorative 1 Sharp/James 2012, 39. 2 Ebd. 190 1 Hallaton­Helm, Eisen mit Fragmenten von teilvergoldeter Silberfolie, 2. Viertel 1. Jh. n. Chr., Harborough Museum (UK) Elemente, die Bezug auf bestimmte Gottheiten nehmen, durchaus in Erscheinung – angeführt seien hier lediglich die der Jupiter-Ikonografie zugehörigen Blitzbündel mit Adlerschwingen, wie sie sich als Motive für Schilde, Gürtelplatten oder auch Wangenklappen belegen lassen –, Vi­ sualisierungen der Gottheiten selbst treten jedoch nicht in Erscheinung. Fest zum Kanon militärischen Zierrates der Frühen Kaiserzeit gehören jedoch Darstellungen der Angehörigen des julisch­claudischen Kaiser­ hauses. So treten vor allem die Herrscher selbst, also Augustus, Tiberius oder Claudius in Erscheinung. Exemplarisch aufgeführt sei hier das sogenannte Schwert des Tiberius, dass nach aktuellem Forschungsstand Tiberius und seinen Adoptivsohn Germanicus im Scheidenmundblech B U R A N D T : D IE PO R T R A IT B ÜS T E D E S K A V A LLE R I E H E L M E S A U S H A L L ATO N 191 wiedergibt,3 die an verschiedenen Fundorten geborgenen Gürtelplatten mit Portrait des Tiberius zwischen zwei Füllhörnern,4 die zahlreichen Schwertaufhängungen mit Portrait des Augustus5 oder der Reiterhelm aus Xanten-Wardt 6, der typologisch dem Fund aus Hallaton ausgespro­ chen nahe steht und zentral die Büste eines römischen Feldherren, entweder Tiberius, Germanicus oder – mit höchster Wahrscheinlichkeit – Claudius zeigt. Doch auch weitere Familienmitglieder, wie die desig­ nierten Thronfolger, oder weibliche Angehörige, etwa die Kaisergattin oder ­mutter lassen sich auf Helmen, phalerae oder Scheidenblechen nachweisen. In Folge dessen erscheint es meines Erachtens sehr viel wahrscheinlicher, in der Dargestellten auf dem Helm aus Großbritannien ebenfalls ein weibliches Mitglied des Kaiserhauses zu sehen als die Idealbüste einer Göttin. Bislang lassen sich auf militärischen Ausrüs­ tungsstücken des ersten Jahrhunderts Livia Drusilla und Agrippina Maior nachweisen. Erstere auf einem Scheidenmundblech mit Treibde­ kor aus Bonn (D)7 und Letztere auf direkt mehreren identischen Me­ daillons aus kobaltblauem Glas (u. a. Avenges (CH))8. In der Büste des Hallaton Helmes also eine dieser beiden Persönlichkeiten zu vermuten liegt nahe – auch mit Blick auf den zeitlichen Horizont der Fertigung des Helmes. Da der Helm unzweifelhaft römischer Provenienz ist, dürf­ te er nicht vor der Invasion Britanniens durch römische Truppen unter Kaiser Claudius, mit der 43 n. Chr. begonnen wurde, in den Boden ge­ langt sein. Seine Auffindung als Depot in einem indigenen Heiligtum hat zur Folge, dass er wiederum kaum nach der weitestgehenden Unter­ werfung Britanniens gegen Ende des ersten Jahrhunderts datieren kann. Eine Fertigung im ersten Jahrhunderts n. Chr. ist folglich aus rein his­ torischen Erwägungen ausgesprochen wahrscheinlich. Hinzu kommt die typologische Verwandtschaft zu Helmen wie dem bereits angesprochenen Fund aus Xanten-Wardt oder solchen des Typs Weiler-Bubenheim9, die sich alle durch übereinstimmende Konstruktionselemente auszeichnen und zeitlich in die mittleren Dekaden des ersten Jahrhunderts einzuord­ nen sind. Es findet sich bei ihnen stets ein weit auf den Nacken des 3 4 5 6 7 8 9 Hertel 2013, 85. 128. 212 f. Kat. Nr. 168 Taf. 126,3. Unz/Deschler­Erb 1997, 63, Nr. 2422, Taf. 82. Ebd., 62, Nr. 2401–2403 u. 2406, Taf. 80. Prittwitz 1991, 225–246. Miks 2007, 242 f., 786 B 39, 1. Boschung 1987, 206 f., 247 f., Abb. 79–82. Fischer 2012, 206 f. 192 Trägers herabreichender, rückwärtiger Schutz mit ausgesprochen kurzer Falz, Wangenklappen mit ausgearbeitetem Ohrprotektor und eine dia­ demartige Gestaltung der Stirnpartie. Außerdem fehlt ihnen die zwischen die Wangenklappen gegliederte und mittels eines Scharniers visierartig schließende metallene Gesichtsmaske, die ihre chronologischen Vorgän­ ger charakterisiert 10. Der Helm aus Hallaton dürfte somit aller Wahr­ scheinlichkeit nach im zweiten Viertel des ersten Jahrhunderts gefertigt worden sein. Betrachtet man nun die erhaltenen und aufwendig restau­ rierten Fragmente der weiblichen Büste auf der Helmkalotte (Abb. 2), so wird direkt ersichtlich, dass für die Analyse eines Portraits existenzielle Bereiche unwiederbringlich verloren sind: es fehlt der größte Teil des Mundes, die gesamte Nasenpartie, die Augen mit Ausnahme der rechten Augenbraue nebst darunter befindlichem Lied, sowie das Gros der Haar­ frisur. Insbesondere die Frisur leistet an anderer Stelle große Hilfe bei der Ansprache antiker Herrscherinnen. Sie kann für diesen Fund aber lediglich als ergänzendes Indiz herangezogen werden. So lassen sich über dem rechten Ohr der Büste noch drei Strähnen identifizieren, die in leichtem Bogen fallend nach hinten zurückgenommen sind und dabei das Ohr selbst verdecken. Nach einer weiter oben anschließenden Fehl­ stelle können einige Locken ausgemacht werden, welche leicht eingedreht, beziehungsweise gewellt aus dem Material getrieben sind. Es ist kaum möglich zu entscheiden, ob es sich um zwei parallel von oben nach unten verlaufende Strähnen handelt, die im Sinne von sogenannten »Korken­ zieher­Locken« zu interpretieren wären, oder ob es sich um drei annä­ hernd horizontal und somit parallel verlaufende Haarstränge handelt. Oberhalb dieser stark strukturierten Partie zeigt sich der Ansatz eines Diadems, das leicht zum Scheitel hin anzusteigen scheint, in seiner Mas­ se aber der Korrosion zum Opfer gefallen ist. Drei links des Diademzwi­ ckels diagonal ansteigende Rippen dürften nicht zu der Frisur gehören, sondern zu einer Art weiterem Kopfschmuck, eventuell in Verbindung mit dem Diadem rekonstruiert werden. Den Hals der Büste begleiten zu beiden Seiten zwei schmale, nur flach konturierte Streifen, welche direkt in die Falten des Gewandes über dem Schlüsselbein der Dargestellten münden und daher wohl ebenfalls sehr viel weniger als Teil der Haar­ tracht, denn viel mehr als Teil eines Schleiers angesprochen werden müssen. Offenbar war die gezeigte Frauenfigur ursprünglich mit capite velato dargestellt, den Hinterkopf verhüllt. Was das Gesicht betrifft, so 10 Ebd., 205 f. B U R A N D T : D IE PO R T R A IT B ÜS T E D E S K A V A LLE R I E H E L M E S A U S H A L L ATO N 193 2 Detailaufnahme der weiblichen Büste an der Stirnpartie des Kavalleriehelms aus Hallaton (siehe Taf. 5) fällt besonders die recht starke Kinn­ und Kieferpartie auf. Der Mund hingegen scheint schmal gemeint – zumindest legt dies die erhaltene untere Linie der Unterlippe nahe, welche fast die Hälfte weniger in der Breite misst, als das Kinn. Die Augen dürften weiter auseinander gestan­ den haben. So ist der erhaltene äußere Winkel des rechten Auges weit zur Schläfe hin verrückt, was das Auge als solches von der Nase wegrü­ cken muss. Die Stirn wiederum dürfte nicht sonderlich hoch gewesen sein, da der Verlauf der erhaltenen Frisur nur unwesentlich gegen den Scheitel hin ansteigt. Der weitreichende Verlust der Frisur macht, wie bereits unterstrichen, eine klare Ansprache ausgesprochen schwierig. Hinzu tritt der Umstand, dass die Physiognomie auf die Portraittypen direkt mehrerer der weiblichen Angehörigen der julisch­claudischen 194 Dynastie übertragbar ist, wobei der Grad der Übereinstimmung, sowie Abweichungen von Kopie zu Kopie variieren kann. Die wenigen nach­ vollziehbaren Charakteristika der Gesichtes lassen sich in Einklang mit den Darstellungen folgender drei Familienmitglieder des Kaiserhauses setzen: Es sind dies Livia Drusilla, Gattin des Augustus und Großmutter des Claudius, Antonia minor, Gattin des Drusus maior und Mutter des Claudius, sowie Agrippina maior, Gattin des Germanicus und Mutter des Caligula, sowie erst Schwägerin, später dann Schwiegermutter des Claudius. Alle drei Frauen zeichnen sich in ihren Portraits durch eine starke Kinnpartie, rundliche Kontur des Gesichtes, schmalen Mund und weit auseinander stehende Augen aus. Verschiedenen Aufstellungen von Figurengruppen, die Familienmitglieder des Kaiserhauses zeigen, bezeu­ gen, dass alle drei Frauen zudem regelmäßig durch repräsentative Statu­ en geehrt wurden11. Wie bereits erwähnt datiert das Fehlen einer Gesichts­ maske Helm und Portrait in claudische Zeit. Alle drei Frauen haben al­ lerdings als Großmutter, Mutter und Schwiegermutter einen klaren Bezug zu Claudius als dem herrschenden Kaiser selbst. Eine Eingrenzung allein über die familiären Verbindungen ist also nahezu obsolet. Einzig Agrip­ pina maior weist eine geringere Verbindung zu Claudius auf, da sie keine Blutsverwandte darstellt. Doch mit dem Jahr 49 n. Chr. rückt sie als neue Schwiegermutter des Claudius wieder näher an den Kaiser he­ ran. Zudem dürfte ihre Beliebtheit bei den Legionen und Hilfstruppen ebenso eine Darstellung auf militärischer Ausrüstung legitimieren, wie das große Prestige, dass ihr Gatte Germanicus bei den Truppen genoss12. Wie wichtig die Person des Germanicus für die Legitimation der Herr­ schaft des Claudius und die zu erhoffende Loyalität der Legionen war, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass der Kaiser in seiner offiziellen Herrscherrepräsentation regelmäßig auf seinen beliebten Bruder zurückgriff und Portraitstatuen des Germanicus neben seinen eigenen Darstellungen errichten ließ13. Der Ruf des Drusus maior als charisma­ tischer Feldherr dürfte dem entgegen in den Streitkräften, die seit 43 n. Chr. Britannien invasierten, bereits verblasst gewesen sein, lagen seine Erfolge doch über 50 Jahre und somit etwa zwei Dienstgenerationen 11 Boschung 2002, 219–227 12 Vgl. hierzu die Darstellung auf den bereits in Fußnote 8 vorgestellten glä­ sernen phalerae, die wohl als Set und in ikonografischer Ergänzung mit dem Portrait des Germanicus an Soldaten ausgegeben wurden. 13 So etwa in der claudischen Statuengruppe auf dem Stadttor von Verona oder am 51/52 n. Chr. errichteten Claudiusbogen in Rom (Boschung 2002, 153). B U R A N D T : D IE PO R T R A IT B ÜS T E D E S K A V A LLE R I E H E L M E S A U S H A L L ATO N 195 an Soldaten zurück. Dies macht eine Darstellung der Antonia minor im militärischen Kontext unwahrscheinlich. Die bereits angesprochenen Errichtungen von Statuengruppen in claudischer Zeit, die verschiedene Konstellationen von Juliern und Claudiern offerieren, zeigen jedoch durchaus die Mutter des Regenten. So tritt diese etwa in Leptis Magna, in Herculaneum und auf dem Claudiusbogen in der Hauptstadt Rom auf 14. Eine solch prominente Darstellung, wie es die Büste auf dem Helm aus Hallaton aber ohne Frage ist, erscheint dennoch zweifelhaft. Ein weiteres Indiz, das gegen Agrippina maior und Antonia maior im Falle der Hallaton­Büste spricht, dürfte das Diadem sein, das sich noch über der rechten Schläfe des Portraits zeigt. Es spricht für eine bereits vollzo­ gene Divinisierung der Dargestellten und dürfte zusammen mit den beiden flankierenden Löwen dazu geführt haben, dass S. James hierin die Göttin Cybele erkennen wollte. Eine der ersten Amtshandlungen des Claudius als neuer Kaiser war die Vergöttlichung seiner Großmutter, welche ihm als Einzige einen unmissverständlichen dynastischen Bezug zu Augustus garantierte. Sie taucht dementsprechend regelhaft in den Statuengruppen der Herrscherfamilie auf 15. Im Gegensatz zur Majorität der augusteischen Portraits der Livia trägt die Augusta auf den Wieder­ gaben claudischer Zeit keine nodus­Frisur mehr. Das Haar ist nun in lockeren Wellen von einem Mittelscheitel ausgehend nach hinten zurück­ genommen, wobei die Ohren weitestgehend bis komplett überdeckt sind. Neben einer zu postulierenden realen Veränderung in der Haartracht der Livia dürfte auch dieses Element dazu gedient haben, den göttlichen Status der Kaisergroßmutter zum Ausdruck zu bringen16. Dies lässt sich in Einklang bringen mit den erhaltenen Frisurfragmenten am Halaton­ helm. Wie beschrieben können über dem Ohr einige locker nach hinten zurück genommene Strähnen ausgemacht werden. Über dem rechten 14 Ebd., 153. 15 U. a. in Leptis Magna ­ hier gar als monumentale Sitzstatue ­, in Herculaneum und in Veleia (Boschung 2002, 9, Nr. 1.13, 25, Nr. 2.6, 120, Nr. 42.10 u. 153). Letzt­ genanntes Beispiel zeigt eindrücklich die Übereinstimmung in der Physiogno­ mie der Livia und der ebenfalls zur Aufstellung gehörenden Agrippina maior ­ wenngleich hier das Portrait der Livia im Verhältnis zu Agrippina schmaler gearbeitet ist, außerdem dient auch hier das Diadem als separierendes Attri­ but, das die divinisierte Großmutter von der Schwägerin und Schwiegermutter abhebt (vgl. Boschung 2002, 25, Nr. 2.6 u. 2.7, Taf. 16 u. 18). 16 Vgl. Darstellungen der Juno, z. B. in Holkham Hall (Angelicoussis 2001, 144 f. Kat. Nr. 45 Taf. 82. 83,1–4). 196 Stirnansatz befindet sich gewellte Haarstränge, die noch in ihrer geringen Erhaltung an die entsprechende Haarpartie der Livia­Portraits aus der Basilica von Veleia oder aus dem Augustus und Roma­Tempel von Leptis Magna erinnern17 . Ein Diadem tritt bei claudisch datierenden Livia­ Darstellungen regelhaft auf, der über den Hinterkopf gelegte Saum der palla für die capite velato zumindest vermehrt. Beides lässt sich an der Büste des Helmes in gleicher Form ablesen. Wie die Divinisierung seiner Großmutter, so fällt auch eine umfassende Reformation des Cybele­ Kultes in die Regentschaft des Claudius18. Während sich hieraus eine besondere Bedeutung dieser Gottheit für den Kaiser selbst nur indirekt ableiten lässt zeigt ein heute im Kunsthistorischen Museum in Wien verwahrter Cameo Livia mit Diadem, Mauerkrone und capite velato un­ zweifelhaft als bereits vergöttlichte Herrscherin, das Abbild ihres ebenfalls divinisierten Gatten betrachtend 19 (Abb. 3). Eine Gleichsetzung mit Cybele, Ceres oder Ops kommt durch die in der linken Hand der Livia präsentierten Ähren und Mohnkapseln, sowie das Diadem und die Mau­ erkrone in Frage, wobei Letztere zusammen mit der Wiedergabe eines Löwen auf dem Globus, welcher unter dem linken Arm der Livia promi­ nent in Szene gesetzt ist, stärker auf Cybele verweisen dürfte, denn auf die anderen beiden Göttinnen. Ein weiterer Cameo in der Eremitage in St. Petersburg zeigt Livia im Dreifachportrait mit Augustus und einem jungen julisch­claudischen Prinzen20 (Abb. 4). Hier dürfte eine Gleichset­ zung der Augusta mit Ceres durch die Angabe eines Ähren­ und Mohn­ kranzes als einziges Attribut unzweifelhaft sein. Bei einer Statue der Livia aus dem Theaterbezirk von Leptis Magna21 und einer weiteren Figur aus dem Augusteum von Roselle ist die vollzogene Divinisierung ebenfalls offensichtlich, wobei die Attribute lediglich auf eine Mutter­ gottheit zielen22. Die Attribute capite velato und Diadem lassen sich, wie bereits herausgestellt, an der Büste des Hallatonhelmes nachweisen. Bei den drei beschriebenen diagonalen Rillen oberhalb des Diadems könnte es sich zudem um die rudimentären Überreste eines weiteren Kopfschmu­ ckes aus Ähren und/oder Mohnkapseln handeln, ähnlich der Darstellung auf dem Petersburger Cameo, einer Büste in den kapitolinischen Museen 17 18 19 20 21 22 Boschung 2002, 9, Nr. 1.13, 25, Nr. 2.6, Taf. 18, 1 u. Taf. 9, 1–3. Haarmann 1996, 129–130. Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv. Nr.: IXa95. Neverov 1970, 60. Boschung 2002, 10, Nr. 1.22. Ebd., 69, Nr. 20.1, Taf. 56, 2. B U R A N D T : D IE PO R T R A IT B ÜST E D E S K A V A LLE R I E H E L M E S A U S H A L L ATO N 197 3 Umzeichnung eines Cameos aus Sardonyx mit Darstellung der Livia, eine Büste des Augustus haltend, nach 14 n. Chr., Kunsthistorisches Museum Wien, Zeichnung B. Burandt 198 4 Cameo aus Sardonyx mit Darstellung der Livia mit einem Kranz aus Ähren und Mohnkapseln, des Augustus und eines kaiserlichen Prinzen, nach 14 n. Chr., Eremitage, St. Petersburg in Rom23 (Abb. 5) oder einem weiteren Livia­Portrait in St. Petersburg24. Es erscheint in Folge dessen und meinem Erachten nach mehr als nur sinnvoll in der prominenten Büste des Hallatonhelmes die vergöttlichte Livia in ihrer Mutterrolle als Cybele oder Ceres zu erkennen. Die beiden Löwen an den Flanken der Stirnpartie des Reiterhelmes könnten dann eben doch als göttliche Begleittiere fungieren und gleichzeitig in ihrer augenscheinlichen Übereinstimmung mit Grabskulpturen der Frühen 23 Winkes 1995, 156, Kat. Nr. 81. 24 Ebd., 170, Nr. 94.; zwar ist der Ährenkranz hier in weiten Teilen ergänzt, doch ist seine Existenz durch die erhaltene Originalsubstanz der Büste unzweifelhaft. B U R A N D T : DIE PO R T R A IT B ÜS T E D E S K A V A LLE R I E H E L M E S A U S H A L L ATO N 199 5 Portraitbüste der Livia mit ährengeschmücktem Diadem, Mitte 1. Jh. n. Chr., Museo Capitolino, Rom Kaiserzeit eine Brücke schlagen zwischen der Sepulkral­ und der Sakral­ kunst. Die erst postum vorgenommene Divinisierung der Livia könnte somit gleichfalls Eingang in das Darstellungskonzept des Hallatonhelmes gefunden haben, wie der dynastische Hintergrund des Portraits. Basierend auf diesen Überlegungen schlage ich die in Abb. 6 gezeigte Rekonstruk­ tion für die verlorene Partie der Helmbüste vor. BILDREC HTE 1–2, Taf. 5 Leicestershire County Council, Harborough Museum, Market Harborough. 3, 6 B. Burandt. 4 State Hermitage, St. Petersburg. 5 Musei Capitolini, Collezione Albani, Palazzo Nuovo, Rom. 200 6 Rekonstruktionsvorschlag zum ursprünglichen Erscheinungsbild der zentralen Büste des Hallaton­Helms, Zeichnung B. Burandt B U R A N D T : D IE PO R T R A IT B ÜST E D E S K A V A LLE R I E H E L M E S A U S H A L L ATO N 201 LITERATUR VER ZEICH N IS Angelicoussis 2001 Angelicoussis, Elizabeth: The Holkham Collection of Classical Sculptures, MAR 30. London 2001. Boschung 1987 Boschung, Dietrich: Römische Glasphalerae mit Porträt­ büsten. In: Bonner Jahrb. 187 (1987), 193–258. Boschung 2002 Boschung, Dietrich: Gens Augusta. Untersuchungen zu Aufstellung, Wirkung und Bedeutung der Statuengruppen des julisch­ claudischen Kaiserhauses. Mainz 2002. Fischer 2012 Fischer, Thomas: Die Armee der Caesaren. Archäologie und Geschichte (Regensburg 2012). Haarmann 1996 Haarmann, Harald: Die Madonna und ihre griechischen Töchter. Rekonstruktion einer kulturhistorischen Genealogie. Hildesheim / Zürich / New York 1996. Hertel 2013 Hertel, Dieter: Die Bildnisse des Tiberius. Das römische Herr­ scherbild I, 3. Wiesbaden 2013. Miks 2007 Miks, Christian: Studien zur römischen Schwertbewaffnung in der Kaiserzeit. 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April 2015 in Brandenburg an der Havel als Denkmal für den Ehrenbürger Vicco von Bülow (1923–2011) alias Loriot eingeweiht wurde, umfasst neben acht sogenannten Waldmöpsen aus Bronze und einer Aussichtsplattform mit Informationstafeln auch einen hochrechteckigen Steinsockel (Abb. 1).1 Dieser ist auf der Vorderseite mit einer Inschrift versehen, und auf der Oberseite sind – nichts als – die Schuhabdrücke des Geehrten eingelassen. Eine lebensechte Statue, die in der Regel konstitutiver Bestandteil solcher Denkmäler ist, war zu keinem Zeitpunkt der Planungs­ und Gestaltungsphase angedacht.2 Trotz des Fehlens einer Porträtstatue dürfte der Anblick des Sockels bei dem zeitgenössischen Betrachter eine visuelle Imagination des Karika­ turisten und Humoristen erwecken. Der Statuensockel bietet mit dem 1 Das als Waldmopszentrum titulierte Denkmal nach einem Entwurf von Clara Walter wurde vom Kulturverein Brandenburg unter der Leitung des damaligen Außenministers Frank Walter Steinmeier gestiftet und befindet sich heute auf dem Johanniskirchplatz. Die Waldmöpse entstammen als Kunstfigur dem Loriot­Sketch Tierstunde – der wilde Waldmops. Die Zahl der ursprünglich acht Waldmöpse beläuft sich heute auf 20 Stück, die im gesamten Bereich der In­ nenstadt aufgestellt sind. Für die Unterstützung und die Erstellung von Fotos gebührt mein Dank Frau Dr. Wera Groß vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege. Zugleich bedanke ich mich für die immerwährende Förde­ rung und Unterstützung beim Sagalassos Research Project und Marc Waelkens. 2 Die Erben entschieden sich gegen eine Statue mit dem Verweis, dass Vicco von Bülow das Personendenkmal aufgrund der damit zum Ausdruck gebrachten Überhöhung abgelehnt habe. Quelle: http://www.zeit.de/2015/17/mops­loriot­ denkmal­steinmeier­brandenburg­havel (26.09.2017). 204 1 Steinsockel des Vicco von Bülow, Waldmopszentrum, Brandenburg an der Havel indexikalischen Zeichen der bloßen Schuhabdrücke eine Assoziations­ brücke und ermöglicht so, dem Nicht­Sichtbaren auf einer imaginativen Ebene nachzugehen. Anders gesagt, er stellt einen materiellen Verweis dar, um den Bezug zur nicht existenten Statue herzustellen. A1 Der hintergründige, für Loriot charakteristische Humor lässt sich als Spiel mit dem kulturellen Imaginären und der Einbildungskraft des Betrachters begreifen: Spuren eines Denkmals, im Zeichen der M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 205 Abwesenheit.3 Den Zeitgenossen ist es möglich, die Gestalt Vicco von Bülows mühelos zu vergegenwärtigen. Wie jedoch gestaltet sich eine vergleichbare Situation, richtet man den Blick zurück in die Antike? Nahezu in jeder antiken Stadt begegnet man einer großen Anzahl an Sta­ tuenbasen, ohne Statuen. Von explizit konstruierten Leerstellen, wie das zeitgenössische Beispiel vorführt, kann hier natürlich keine Rede sein. In vollständigem Zustand zählten die Statuendenkmäler zu den wichtigsten visuellen Gestaltungselementen des öffentlichen Raums und besaßen zugleich als Repräsentationsmedien soziale Funktionen. Worin liegt der Wert der Statuenbasen, die von der archäologischen Forschung lange Zeit gering beachtet wurden? Die Erkenntnis, dass es sich um integrale Bestandteile jener Statuendenkmäler handelt – und nicht bloß um stei­ nerne Inschriftenträger – hat zu einem neuen Umgang mit dieser großen Materialgruppe geführt. Über die Zusammenschau diverser Kriterien – Stand­ und/oder Fundort, Inschriften, Typen/Format, Beschaffenheit – lassen sich mehrere Bedeutungsebenen der Statuenbasen rekonstruieren, sei es in ihrer Funktion als Abbilder sozialer und politischer Hierarchien und/oder als strukturimmanente Elemente im urbanen Raum. Die Statuenbasen aus der pidischen Stadt Sagalassos (Südwest­ türkei) bilden im folgenden den Ausgangspunkt, um das fragmentierte Bild einer ursprünglich von Statuen visuell durchdrungenen urbanen Landschaft zu ergänzen. Dabei kann das Ziel nicht die Sichtbarmachung beziehungsweise exakte Rekonstruktion einer plastischen Statue in ihrem ikonographischen und typologischen Erscheinungsbild sein. Im Gegensatz zum zeitgenössischen Beispiel mit einer bewusst als visu­ elles Argument eingesetzten Abwesenheit steht die Leerstelle bei den antiken Statuenbasen für eine Defizienz, die positiv gewertet jedoch aufschlussreiche Erkenntnisse liefert und zuvor Unsichtbares sichtbar werden lässt.4 3 Bei der Eröffnungsfeier erinnerte Frank Walter Steinmeier an Loriots »große poetische Rede, die so inhaltsleer war, dass vielleicht mancher politischer Redner peinlich berührt war«. Das Inhaltsleere scheint als Form­Vorlage des Denkmals gedient zu haben, das gerade in seiner Nicht-Existenz vorstellbar ist. 4 Ähnlich verhält es sich mit den antiken Ruinen, die von der Vollständigkeit ins Fragmentarische übergehend eine andere Bedeutung erlangt haben. Vgl. Schnapp 2014. 206 DIE ANTIKEN STATUEN B ASEN VO N SAG AL A S S O S Als eine der wichtigsten Repräsentationsformen seit hellenistischer Zeit 5 war das statuarische Ehrendenkmal immer mit einer Bildnisstatue des Geehrten ausgestattet. Die Statuenbasis war hier eine integrale Kompo­ nente.6 Schaut man sich die archäologische Überlieferung an, offenbart sich indes ein starkes Missverhältnis zwischen den beiden Komponenten Statue und Basis: Während auf der einen Seite ein außerordentlich hoher Bestand an Basen erhalten geblieben ist, ist der Großteil der zugehörigen Bildnisse aufgrund von Zerstörung oder Beschädigung nahezu vollständig verloren. Dieser Befund trifft für zahlreiche antike Städte zu, so auch für die pisidische Stadt Sagalassos (Abb. 2). Im Rahmen der Untersuchung zur statuarischen Ausstattung von Sagalassos war es entsprechend nahe­ liegend, neben den rundplastischen Statuen selbst auch die Basen als relevante Artefakte zu berücksichtigen.7 Seit Beginn der systematischen Ausgrabungen im Jahre 1990 kamen rund 115 Statuenbasen zutage.8 Von den Porträtstatuen sind dagegen nicht mehr als 20 Fundstücke erhalten, in Form von Körper­ oder Gewandfragmenten. Die kombinierte Unter­ suchung beider Materialgruppen nimmt nicht zuletzt eine in der archäo­ logischen Forschung zu beobachtende Tendenz auf. Waren Basen seit jeher aufgrund der Inschriften bedeutsame Objekte epigraphischer und prosopographischer Forschungen, kam ihnen aus archäologischer Sicht lediglich eine selektive und untergeordnete Rolle zu. Erst seit kurzem werden sie als archäologische Objekte mit eigenem Bedeutungshorizont 5 Aus der reichen Bibliographie hier nur eine Auswahl, Zanker 1995, Raeck 1995, Ma 2013. 6 Angesichts der numerischen Überlegenheit ragt die stehende Einzelfigur als populärste Form unter den statuarischen Ehrendenkmälern hervor. Seltener sind Reiterstandbilder (vgl. Bergemann 1990 und ders. 1992) oder Gespann­ monumente (vgl. Erkelenz 2003a). 7 Mägele 2009. Dokumentiert wurden alle Gattungen statuarischer Ehren­ monumente: Hierzu zählen neben den Statuenbasen vereinzelt Säulen­ und Pfeilermonumente sowie Bogenmonumente. 8 Eine Gesamtpublikation der Inschriften in Corpusform von Sagalassos er­ scheint in Kürze, Eck/Eich/Eich (im Druck). Ältere Editionen zu den Inschrif­ ten von Sagalassos bei Lanckoroński 1892, Nr. 188–234, Devijver/Waelkens 1995 und dies. 1997; Devijver 1996. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 207 2 Stadtplan von Sagalassos verstärkt in historisch­wissenschaftliche Diskurse eingebunden und eröffnen wertvolle Perspektivenerweiterungen.9 Ausgehend von der These, dass Statuenbasen für sich genommen Rückschlüsse über das Selbstverständnis und/oder die Sicht auf den 9 Zur Bedeutung der Statuenbasen bereits Alföldy 1979 und ders. 1984; siehe auch den Sammelband Alföldy/Panciera 2001. Im Fokus jüngerer Untersu­ chungen stehen die mediale und politisch­soziale Funktion sowie die formale und räumliche Kontextualisierung der Statuendenkmäler: (Hellenismus): Dillon/Baltes 2013; Griesbach 2014; Leypold 2013; Sielhorst 2012; Krumeich 2007; Krumeich/Witschel 2009. (Römische Kaiserzeit): Filges 2007 (Didyma), Krumeich 2008 (Athen, Akropolis), Leypold 2013 (Olympia); Smith 1998 und ders. 2006 (Aphrodisias); Gilhaus 2015. Mit Fokus auf bestimmte Personen­ gruppen: Erkelenz 2003 (römische Amtsträger), Ruck 2005 (Senatoren), Højte 2005 (Kaiser), Murer 2017 (weibliche Ehrenstatuen in Italien und Nordafrika). Für die Spätantike umfassend der Sammelband Bauer/Witschel 2007. Vgl. auch Konzepte zur Objektbiographie, für die Archäologie zuletzt Jung 2015. 208 Einzelnen in der öffentlichen Repräsentation liefern und folglich als figura­ tive Bestandteile in den sozial-historischen Kontext der Stadt eingegliedert werden können, berücksichtigt die folgende Betrachtung der sagalassischen Statuenbasen in einem knappen Abriss zunächst die Widmungsinschrif­ ten.10 Sie verhelfen zur Klärung der Identität der im Bild dargestellten Person und liefern Informationen zum Grund der Ehrung. Darüberhinaus tragen sie maßgeblich dazu bei, die Sozialstruktur der Stadt zu erfassen. Außerdem besitzt auch der Standort des Ehrendenkmals im urbanen Ge­ füge eine Signifikanz, da hierüber spezifische Aussagen zur visuellen For­ mierung von sozialen und politischen Hierarchien erlangt werden können. Durch die unmittelbare Materialität der Statuenbasis selbst – Form/Typus, Größe und Beschaffenheit – wird die Besonderheit des Ehrendenkmals in seiner kontextuellen Implikation teilweise rekonstruierbar. A2 DIE W IDMUN G SIN SCH R IFT EN AUF D EN STAT UEN BAS EN Neben dem Anspruch eines Ehrendenkmals, die Aufmerksamkeit anhand der äußeren Erscheinung und des Standorts zu sichern, war die Kommemo­ ration des Dargestellten das übergreifende Anliegen. Dies manifestierte sich in den Widmungsinschriften auf den Basen, die die Verdienste, Ehrungen und Taten öffentlich proklamierten. Zugleich bezeugen die Inschriften eine Dedikationspraxis, die von der frühen Kaiserzeit bis in die 1. Hälfte des 5. Jhs. n. Chr. andauerte und, wenn auch in unterschiedlicher numerischer Gewichtung, alle gehobenen sozialen Gruppen umfasste – hierzu zählen das Kaiserhaus, römische Amtsträger, die städtische Bürgerschaft und Athleten. Die Mehrheit der statuarischen Ehrungen erhielten Bürger von Sagalassos. Sie reichen von der augusteischen Phase bis in die 1. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr., wobei der größte Zuwachs in der 1. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. zu verzeichnen ist. Nach Ausweis der tituli honorarii und den öf­ fentlichen Ämtern,11 zählten die Geehrten zur lokalen Führungsschicht. Da diese von einigen wenigen Familien – als herausragend sind die Tiberii Claudii und Titi Flavii zu nennen – gebildet wurde, überrascht es wenig, dass deren Mitglieder überaus häufig statuarische Ehrungen erhielten.12 Mit 10 Zur Funktion von Ehreninschriften in der römischen Kaiserzeit vgl. Eck 1995. 11 Zu Ämtern und Leiturgien während der Kaiserzeit vgl. Quaß 1993, 303–346. 12 Vgl. Devijver 1996, 108–114. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 209 3 Statuenbasis des T. Flavius Severianus Neon, sekundär auf­ gestellt im antoninischen Nym­ phäum auf der Oberen Agora 4 Statuenbasis des Tib. Claudius Regulus, sekundär aufgestellt im antoninischen Nymphäum auf der Oberen Agora ihren zahlreichen Wohltätigkeiten (Euergesien),13 worunter die Stiftung von Bauwerken14 oder die Ausrichtung von Festen und Agonen zu den Prestigereichsten zählten, dominierten sie das politische, kommerzielle und religiöse Leben (Abb. 3. 4). A3/4 13 Zum Phänomen des Euergetismus zuletzt Zuiderhoek 2009. 14 Beispielhaft das Macellum aus spätantoninischer Zeit, gestiftet von P. Aelius Akulas, Richard/Waelkens 2012 und Richard 2014, bes. 261, 265, 267 und 273, Abb. 2, 9 und 13, oder die Erneuerung des Apollo Klarios­Tempels im 1. Viertel des 2. Jhs. n. Chr., finanziert von T. Flavius Collega, seiner Frau Flavia Longilla und weiteren Familienmitgliedern, zuletzt Eck 2013, bes. 45–49, Talloen/ Waelkens 2004, 175–177. 210 Die in den Familiendominanzen zum Ausdruck kommende Hier­ archie und Geschlossenheit spiegeln auch die Ehrentitel wider, die nur einem äußerst kleinen Personenkreis zuerkannt wurde. Hierzu zählen die Titel φἰλόπατρις (Vaterlandsliebender­Patriot), κτίστης (Gründer, Bauherr, Stifter, Wohltäter), υιος τῆς πόλεως (Sohn der Stadt), πανἀρετος (Tugendhaftester), ευεργέτης (Euerget), φἰλοκαισαρος (Freund des Kaiserhauses), die vom Stadtrat (Boule) und Volk (Demos) verliehen wurden. Der nur für T. Flavius Neon gesicherte Ehrentitel φἰλοκαισαρος unterstreicht die politisch herausragende Stellung dieser Familie, deren prominentester Vertreter T. Flavius Severianus Neon (2. Viertel 2. Jh. n. Chr.) ist. Er erhielt zu Lebzeiten vier statuarische Ehrungen, von denen drei öffentlich und eine in dem von ihm selbst errichteten Memorial­ bau aufgestellt wurden.15 Die ihm zuteil gewordenen selten vergebenen Titel κτίστης, υιος τῆς πόλεως und πανἀρετος unterstreichen in der Gleichwertigkeit mit seinen Bildnissen die Einzigartigkeit seiner Person. Lediglich Tib. Claudius Piso (1. Viertel 2. Jh. n. Chr.) aus der zweiten bedeutenden Familie in Sagalassos besaß einen vergleichbaren Status. Ergänzend zu den Ehrentiteln gehörten auch moralisch­ethische Normen zum gängigen Formular der Widmungsinschriften, die zusam­ men mit den konkreten Leistungen den Grund für die Dedikation des Ehrendenkmals erläutern.16 So begegnen die seit hellenistischer Zeit be­ kannten Normen ἀρετη / (Tugend), τειμή / (Ehrerbietung), σωφροσύνη (Frömmigkeit),17 die häufig mit ἒυνοια (Wohlwollen) ein Wortpaar bilden. Erneut ragt hier T. Flavius Severianus Neon hervor, da τειμή und ἒυνοια einzig bei ihm als auszeichnungswürdig befunden wurden. Während die Ehrentitel als moralische Statements erahnen lassen, wie umfangreich die Handlungen und Leistungen der jeweiligen Per­ sonen waren, halfen die in den Inschriften genannten Ämter jene zu 15 Der Bau in Sagalassos wurde von T. Flavius Severianus Neon zu Ehren seines Vaters errichtet und mit sieben Bildnisstatuen von Familienmitgliedern ausgestattet. Über die Funktion des in hadrianischer Zeit errichteten Gebäudes herrscht keine Einigkeit: Nach Mägele 2009, 220–229 hat es sich ursprünglich um einen Memorialbau gehandelt, der nach der 2. Bauphase (Ende 2. Jh. n. Chr.) in eine Bibliothek umgewandelt wurde. Nach Waelkens u. a. 2000, 424 f. war der Bau von Anfang an eine Bibliothek. Eine kritische Bewertung der Befunde bei Ferruti 1999/2000. 16 Hervorgehoben wird dies in den Inschriften durch die Präposition ἑνεκα + Akkusativ. 17 Vgl. Tuchelt 1979, 61; Höghammer 1993, 76–80. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 211 konkretisieren. Es sind nur zwei überliefert, allerdings solche, die zu den prestigeträchtigsten Ämtern eines Bürgers zählten: das politisch wichtige Amt des Kaiserkultpriesters18 und die Agonothesie, die die Erfüllung politischer Interessen begünstigte. Diese mit immensen finanziellen Aufwendungen verbundenen Ämter wurden nur von reichen Bürgern übernommen, sodass erneut die Mitglieder der genannten Familien pri­ vilegiert waren. Den Anfang in der Reihe der Kaiserkultpriester macht T. Flavius Neon gegen Ende des 1. Jhs. n. Chr., gefolgt von seinem Sohn Tib. Claudius Piso. Wie vielfach in Kleinasien beobachtet, agierten ins­ besondere die Kaiserkultpriester dank ihres wirtschaftlichen Status als Stifter und Financiers großer Bauvorhaben. So lassen sich in Sagalassos drei Gebäude mit dem Wirken eines Kaiserkultpriesters in Verbindung bringen. Hierzu zählen das Nymphäum des Tib. Claudius Piso, in dem gleich zwei seiner Bildnisstatuen Aufstellung fanden,19 der Apollo Klarios­ Tempel, dessen partielle Erneuerung zu Beginn des 2. Jhs. n. Chr. durch T. Flavius Collega getragen wurde,20 und das Macellum von P. Aelius Aquila in spätantoninischer Zeit.21 Die starke Dominanz einer mit Statuen visualisierten männlichen Präsenz im öffentlichen Raum – neben den Bürgern zählten hierzu Kai­ ser, römische Amtsträger und Athleten – blieb über die Jahrhunderte unverändert. Lediglich sieben Statuenehrungen, mit einer Ausnahme alle­ samt aus dem 2. Jh. n. Chr., sind für Frauen überliefert. Die Singularität inmitten eines von männlichen Porträtstatuen okkupierten öffentlichen Raums wird man positiv bewerten dürfen, ging damit doch eine größere Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit einher. Die Inschriften benennen keine Gründe für die Ehrungen. Ausschlaggebend scheint der verwandtschaft­ liche Bezug der Frauen zu einem männlichen Mitglied der ranghohen Familien gewesen zu sein und somit ihr sozialer Status.22 Das Beispiel der Claudia Severa, die nach Ausweis der Bauinschrift gemeinsam mit ihren 18 Grundlegend zum Kaiserkult Price 1984; Cancik/Hitzl 2003; Frija 2012 und zuletzt Kolb/Vitale 2016 mit reichhaltigen Einzelbeiträgen zur Entwicklung des Kaiserkults. Zum Kaiserkult und den Agonen in Sagalassos bes. Talloen/ Waelkens 2004 und 2005; vgl. auch Quaß 1993, 216–220; 303–317. 19 Mägele/Richard/Waelkens 2007, 491–492 Abb. 17. 497–499; Mägele 2009a. 20 Eck 2013, 45 mit Edition der Dedikationsinschrift des Apollo Klarios­ Tempels, hier Anm. 14. 21 Vgl. Richard/Waelkens 2012 und Richard 2014, 261–263. 22 Ähnlich argumentiert Murer 2017, 140. 212 Brüdern Kaiser Trajan ein Nymphäum23 westlich des Stadtzentrums ge­ stiftet hat, legt nahe, dass neben dem Status auch euergetische Leistungen von Frauen den Beschluss zur öffentlichen Ehrung mitgetragen haben.24 Eine zweite wichtige Form statuarischer Präsentation zur politischen Durchdringung des öffentlichen Raums bilden die Stiftungen zu Ehren der Kaiser und römischen Amtsträger. Hier setzt der Visualisierungs­ prozess in claudischer Zeit 25 ein und findet im späten 4. Jh. n. Chr. sein Ende,26 ohne dass dabei die Omnipräsenz der privaten Porträtstatuen je­ mals aufgehoben worden wäre. Auffällig ist, dass bis Hadrian die Stiftun­ gen – hierunter sind auch die mit Statuen bekrönten Bogenmomumente für die iulisch­claudische Dynastie 27 anzuführen – in privater Initiative errichtet wurden, ab Trajan treten dann der Demos und die Boule als Stif­ terinstitutionen auf. Deutlich zurückhaltend, zumindest in numerischer Hinsicht, bleiben mit sieben Ehrungen die Statuen römischer Amtsträger. Als letzte wichtige Personengruppe sind die Athleten zu nennen. Ein Sieg in einem Wettkampf war nicht nur für den Athleten profitabel, da er oft den sozialen Aufstieg bedeutete, sondern auch die Stadt häufte über die Siege ihrer Athleten Ruhm und Ehre an.28 Für Sagalassos sind vier 23 Zum Nymphäum, das bislang als Ehrenmonument gedeutet wurde, zuletzt Richard/Waelkens 2013. 24 Exemplarisch für den herausragenden Euergetismus einer Frau ist Plancia Magna aus Perge, Boatwright 1991; vgl. auch Murer 2017, 141–144. Als Ehefrau des T. Flavius Neon war Claudia Severa zusammen mit ihrer Tochter in dem Memorialbau in Sagalassos mit Bildnisstatuen vertreten, hier Anm. 15. Zur Flavia Longilla und ihrer Rolle bei der Erneuerung des Apollo Klarios­Tempel, hier Anm. 14. Nach Ausweis einer unpublizierten Weihinschrift traten die Pries­ terin Briseis und Aelia Ias als Euergetinnen auf, die den Göttinnen Demeter und Persephone Bauteile für ihr Heiligtum weihten. 25 Den Beginn markieren die beiden kürzlich aufgerichteten Ehrenbögen für Claudius und für Claudius/Germanicus auf der Südseite der Oberen Agora am östlichen und westlichen Zugang, Eck/Eich/Eich (im Druck), 51–57. Nr. 8. 9; Waelkens/Poblome/Rynck 2012, 84–86 mit Rekonstruktionen der Bögen. 26 Als späteste Stiftung ist die des Statthalters der Provinz Pamphyliae, M. (?) Attius Cornelianus, für einen (nicht mehr bennenbaren) Kaiser der 1. Tetrarchie gesichert, Eich/Eich 2012. 27 Neben den kaiserlichen Ehrenbögen sind mit Inschriften versehene Bauteile erhalten, die zu größeren Monumenten gehören; so sind mindestens noch zwei Ehrungen für Claudius und Nero sowie Nero alleine fassbar. 28 Miller 2004, bes. 216–226. In den wenigen Fällen, wo Angaben zu Bürger­ schaften vorliegen, handelt es sich um Athleten aus anderen Städten, oder sie besaßen mehrfache Bürgerschaften, wie im Falle der Knaben G. Iulius M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 213 gymnische Agone überliefert, von denen die Klareia als Älteste die größte Popularität und Anziehungskraft besaßen.29 Insgesamt sind 15 Statuen­ basen aus dem späten 1. bis in die 1. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. erhalten, die den erfolgreichen Wettkampf der jeweiligen Athleten materialisieren und vor Augen führen. Dabei rückte die grundlegende Funktion der Denkmäler, Athleten mit Name und Bildnisstatue zu verewigen, nicht selten in den Hintergrund, indem Widmungsinschriften als ostentative Selbstverweise benutzt wurden, um auf denjenigen zu rekurrieren, durch dessen materielle Aufwendung das Denkmal realisiert werden konnte (Abb. 5).30 A5 Vor dem Hintergrund dieses Gesellschaftstablaeus liefern die Wid­ mungsinschriften nur vereinzelte Informationen zu den Bildnisstatuen oder zu den Abläufen, die die Aufstellung der Ehrenmonumente be­ gleiteten. Einzig in zwei Fällen sind Informationen zu Material, Größe oder Typus der Statue generierbar. So handelte es sich nach Ausweis des Epigramms31 bei der Statue des Flavius Zenon (441–451 n. Chr.), Oberbefehlshaber der Truppen im Osten, um ein lebensgroßes Bildnis aus vergoldeter Bronze, die dem militärischen Status entsprechend als Panzerstatue gefertigt war.32 Laukadios, Bürger von Sagalassos und Perge, und Aurelios Antiochianus Papianos Antiochos, Bürger von Sagalassos, Claudioseleukeia und Timbriada, Lanckoroński 1892, 225, Nr. 194. Die meisten Athleten dürften somit Bürger von Sagalassos gewesen sein. 29 Die Klareia wurden auf Initiative des Tib. Claudius Piso im Laufe des 1. Jhs. n. Chr. eingerichtet; in Analogie zu vielen anderen Städten sind auch in Sagalassos um die Wende vom 2. zum 3. Jh. n. Chr. neue Agone (Tertullia, Rhodoneia und Kallipianeia) eingerichtet worden, Talloen/Waelkens 2004, 201–202 Anm. 112. 30 Prägnant äußert sich dies bei vier Athletenehrungen, für die laut Inschrift Tib. Claudius Piso als Agonothet verantwortlich war: Devijver 1996, 133, Nr. 4; Devijver/Waelkens 1995, 119 Nr. 7, Abb. 8 und 9. 31 Lanckoroński 1892, 228, Nr. 208; Merkelbach/Stauber 2002, 118. Das Epi­ gramm wurde sekundär auf der Statuenbasis angebracht; die ältere Inschrift wurde dabei nicht eradiert. 32 Lahusen/Formigli 2001, 506 und 510–518 (fälschlich als Kaiser Zenon iden­ tifiziert). Es ist anzunehmen, dass nicht die gesamte Statue, sondern nur Teile der Tracht wie Panzer, Waffen und Beinschienen vergoldet waren; das Epi­ gramm liefert zusätzlich ein Indiz auf die Technik des Goldauftragens (»durch Farbanstrich« – ἐν γραφίσιν), womit die Blattvergoldung gemeint sein dürfte, Lahusen/Formigli 2001, 508–509. Zu Panzerstatuen Stemmer 1978. 214 5 Mittelteil der Basis des Athleten Arnestes mit Nennung des Agonotheten Tib. Claudius Piso, verbaut in der Südmauer des Torbogens am Nord­Ost­Eingang zur Oberen Agora M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 215 Der zweite Fall betrifft die Statue des Präfekten Panhellenios33 (um 375–390 n. Chr.), die »wie ein Gott – ἳδρυσεν ὣστε θεόν« ausgesehen habe und in der Nähe eines heiligen Bezirks aufgestellt war. Der Hinweis auf das göttergleiche Aussehen lässt sich sowohl auf die Ikonographie als auch auf das Material der Statue beziehen; während Ersteres nicht mehr zu bestimmen ist, dürfte die außergewöhnliche Wertigkeit der Statue am ehesten über den Werkstoff Marmor erlangt worden sein, das in der Antike für Götterstatuen meist geschätzte Material.34 Weitere indirekte Verweise auf Statuen sind in sechs Fällen durch die stereotype Formel »ἀνάστασιν τοῦ ἀνδριάντος ἐποιήσατο« gesichert, die am Ende der Widmungsinschrift mit der gleichzeitigen Nennung der Per­ son erscheint, die die Aufstellung des Standbildes (ἀνδριάς) durchgeführt (ἐποιήσατο) hat. Die Aussage bezieht sich auf die Finanzierung des Ehren­ denkmals und betont somit den wirtschaftlichen Status des Stifters. Die mannigfaltigen Hinweise auf die Stifter solcher Denkmäler sind besonders nachvollziehbar angesichts der Tatsache, dass eine Aufstellung weit mehr als nur die Kosten für die Herstellung von Statue und Basis umfasste: Transportkosten – entweder aus lokalen oder auswärtigen Werkstätten –, Logistikkosten mitsamt Arbeitern, die die Aufstellung am vorgesehenen Ort bewerkstelligen, und Kosten in Zusammenhang mit der zwecks einer langfristigen Memoria erhofften Pflege und Konservierung lassen den Aufwand erahnen.35 Die Nennung der Person in der Inschrift, die für die Statuenaufstellung verantwortlich zeichnet, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. In Fällen, wo keine Privatperson, sondern die Polis als Auf­ traggeber auftritt, konnten Personen einen Auftrag zur Beaufsichtigung der korrekten und reibungslosen Aufstellung eines Statuendenkmals erhalten.36 Von der finanziellen Verantwortung befreit, dürften diese Personen auch für die rechtzeitige Fertigung und Lieferung der Statue gesorgt haben.37 33 Lanckoroński 1892, 229–230, Nr. 214; Devijver 1996, 136–137. 34 Speziell mit Marmor befasst sich Plinius in seinem 36. Buch der Naturalis Historia; Tuchelt 1979, 70–90; Lahusen 1992, 190–192; vgl. auch Damaskos 1999, 201–202 und 304–309; zur Bedeutung des Materials bei antiken Skulpturen vgl. Berns 2003. 35 Zu Preisen von Statuen siehe Duncan­Jones 1982, 78 f., 93–99, 126 f. und 162–166; Pekáry 1985, 13–22; zu Transportkosten von Waren wie Marmor oder Statuen siehe Harris 2011, 281–282, 309–310; Russel 2013, 141–200, 180. 333. 36 Erläutert wird dies durch das Partizip von επιμέλομαι; Lanckoroński 1892, 229, Nr. 212; Devijver 1996, 149, Nr. 2, Abb. 9. 37 Vgl. Smith 2006, 27. 216 VERORTUNGEN: D IE STATUEN B ASEN IM Ö FF EN T L I C H EN RAUM Die in den Widmungsinschriften angelegte soziale Distinktion wurde durch die Verortung der Ehrendenkmäler im städtischen Raum physisch konstatierbar. Als architektonische Gestaltungselemente erweiterten die Statuendenkmäler die Gliederung des öffentlichen Raums, der sich durch Platzanlagen, (Monumental­)Bauten unterschiedlicher Funktion und Straßen strukturierte. Die mit der Ehrung intendierte größtmög­ liche Sichtbarkeit für und Wahrnehmung durch eine Gesellschaft, in der die Selbstdarstellung ein maßgebliches Leitmotiv darstellte, wurde neben der formalen Gestaltung nicht zuletzt durch die Wahl eines pro­ minenten Aufstellungsorts gefördert.38 Die Obere Agora definierte sich dabei nach Ausweis der Funddichte von Basen als der prominenteste – locus celeberrimus – Aufstellungsort für Statuenehrungen in Sagalassos (Taf. 6a; Abb. 2 Nr. 9).39 Ausschlaggebend hierfür war die politische und religiöse Semantik des Platzes, die durch die angrenzenden Bauten wie das Bouleuterion an der Westseite und Tempel am bzw. auf dem Platz sowie Memorialbauten nördlich des Platzes architektonisch manifestiert wurde.40 Zur Bestimmung des Standorts eines Statuendenkmals dient in erster Linie der Fundort der Statuenbasen, womit zugleich ein Problem verbun­ den ist, da in den meisten Fällen der Fundort nicht mit dem primären Aufstellungsort des Ehrendenkmals identisch ist.41 Die Gründe hierfür sind komplex und liegen in den dynamischen Wandlungsprozessen von Stadträumen, die auch in Sagalassos ab dem 4. Jh. n. Chr. verstärkt ihre Wirkung entfaltet haben. Davon betroffen waren nicht nur die Standbil­ der, wie eingangs erwähnt, sondern auch ihre Basen, die entweder versetzt, verschleppt oder wiederverwendet wurden, sei es erneut zum Zwecke der Statuendedikation oder, was häufiger der Fall war, als Baumaterial 38 Reglementierung und Zuweisung der Aufstellungsorte für die Ehrendenk­ mäler oblag dem Stadtrat, vgl. Alföldy 1984, 60–61; Zimmer 1992; Stemmer 1995, 332–358; Højte 2006, 114. Zur Präsentation der Ehrenstatuen siehe auch Erkelenz 2005. 39 Der Befund ist für viele Städte ähnlich, Zimmer 1992; Bergemann 1992, 14–16; Kleinwächter 2001; Erkelenz 2003, 138 und 150; Witschel 2007; 40 Waelkens / Poblome / De Rynck 2012, 80–95. 41 Vgl. Boschung 2002, 128–134; Stewart 2003, 128–136 und 148–154. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 217 (Abb. 3–5).42 Insofern kann eine historische Auswertung der Statuenbasen nur vor der Folie der letzten Nutzungsphase und unter Berücksichtigung der meist punktuell fassbaren Rezeptionsprozesse erfolgen, die zu Verän­ derungen in Funktion und Bedeutung führen. Die Herausbildung als locus celeberrimus setzt bereits zu Beginn der urbanistischen Gestaltung von Sagalassos in frühaugusteischer Zeit ein. Als einige der wenigen in situ­Denkmäler für eine statuarische Ehrung dienten vier in spätaugusteischer Zeit errichtete Säulenmonumente (Taf. 6a. Nr. 1 und 6; 6b).43 Mit der Positionierung der ca. 12 Meter hohen Säulen an den Ecken des Platzes wurde die Autonomie der Oberen Agora als das städtische Zentrum – in Abgrenzung zur Unteren Agora – un­ termauert. Die Säulen trugen nach Ausweis der Einlassungen auf den korinthischen Kapitellen jeweils ein lebensgroßes, bronzenes Standbild, von denen zwei namentlich überliefert sind.44 Eine Vorstellung vom sozia­ len Status der Brüder Krateros und Ilagoas vermittelt Plinius’ Bewertung dieser Monumentform: 45 Nach ihm ermöglichten die Säulenmonumente, den Geehrten über die anderen sterblichen Mitbürger zu erheben, womit er diese den Bogenmonumenten gleichstellt. A6u7 Die Singularität der Säulenmonumente – eine Wiederholung fand in der Folge nicht statt – an einem exklusiven Standort bildete den Auftaktund Referenzpunkt für alle nachfolgenden Statuenehrungen, die nun in der vereinfachten Variante »Standbild auf Basis« konzipiert wurden. Die kurze Zeit später errichteten Ehrenbögen für das iulisch­claudische Kai­ serhaus potenzierten die Semantik des Platzes als politisches Zentrum, an dem die Macht der Kaiser durch die Präsenz ihrer Bildnisse visuell fassbar wurde (Taf. 6a. Nr. 1; 6b). Es überrascht also nicht, dass auch die meisten Basen für die römischen Amtsträger als Vertreter des Kaisers auf der Oberen Agora gefunden wurden. Mehr als die Hälfte aller überlieferten 19 Statuenbasen für die Kaiser lassen sich der Oberen Agora zuweisen, von denen jedoch nur Einzelne in situ gesichert wurden. Hierzu zählen 42 Zum Phänomen der Spoliierung zuletzt mit umfassenden Beiträgen Altekamp/ Marcks­Jacobs/Seiler 2013 und dies. 2017. 43 Fundamentbettungen und zahlreiche Bauteile der Säulen sind erhalten, so dass drei der Säulen in situ wieder aufgerichtet werden konnten, Waelkens / Poblome / De Rynck 2012, 84–87 mit Abb.; Vandeput 1997, 46–49, 196 f., Taf. 13,2–3, 14, 15 und 16,1–2; Berns 2003a, Nr. 36, A4–6. 44 Die Inschriften wurden jeweils auf die Säule angebracht, Vandeput 1997, 46–49, 196, Taf. 13,2–3, 14 und 16; Devijver 1996, 108. 45 Plin. nat. his. 34, 27. 218 6 Obere Agora von Sagalassos, Blick von Osten; 1 Statuenbasen des Constantius II.; 2 Statuenbasis des Caracalla 7 Statuenbasis des Caracalla, auf der Oberen Agora M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 219 die Basis für Caracalla (211–217) sowie zwei nahezu identische Basen für Constantius II. (337–361) (Abb. 6 Nr. 1 und 2; Abb. 7).46 Letztere waren an der Ostseite des Platzes, vor der Portikus nebeneinander und in einer Achse zum südlich befindlichen Ehrenbogen für Claudius/Germanicus aufgestellt. Sie liefern ein (wenn auch) schwaches Indiz, dass die Portiken, von denen die Agora mit Ausnahme der Nordseite an drei Seiten einge­ fasst war, bevorzugte Aufstellungsorte für die Bildnisstatuen waren. Die Positionierung der Statuen vor oder zwischen den Säulenstellungen der Portiken sicherten die Aufmerksamkeit der hier zahlreich wandelnden Menschen.47 Diese gewährte auch die einzige in Sagalassos überlieferte freistehende Exedra an der Nordostecke des Platzes, direkt vor einem Säulenmonument gelegen (Taf. 6a Nr. 6).48 In der Nähe dieser Exedra fand sich ein unprofilierter, rechteckiger Block, der eine besondere Erwähnung verdient. Laut Widmungsinschrift stammt er von einem Ehrendenkmal für Kaiser Vespasian49 und bildete nach Ausweis der Maße und Bearbei­ tungsspuren den Frontblock einer zusammengesetzten Orthostatenbasis. Da solch eine Basis bei einem einzelnen Standbild wenig Sinn macht,50 ist in Analogie zu anderen Orthostatenbasen davon auszugehen, dass es sich bei dem Bildnis Vespasians um eine Reiterstatue gehandelt hat.51 Der Fundort des Blockes könnte durchaus den Aufstellungsort des Reiter­ denkmals beschreiben, bot die Exedra doch eine vorzügliche Möglichkeit, es im Sitzen angemessen zu würdigen. Die wenigen Beispiele lassen erahnen, dass die Aufstellungsorte nicht nur eine ausreichende Sehfrequenz gewährleisten sollten, sondern auch un­ tereinander bestehende Bezüge berücksichtigten. So wird man den Fundort 46 Devijver/Waelkens 1995, 155–116, Nr. 1 (Caracalla), 116 und 117, Nr. 2. 3 (Constantius II.). 47 Vgl. die außerordentlich reiche Besetzung mit Statuen in den Portiken des Augustusforums, Muth 2012, 26–28. 48 Nicht zu klären ist, ob die in die 1. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. zu datierende Exedra auch zur Aufstellung von Statuen gedient hat, Waelkens / Poblome / De Rynck 2012, 87 mit Abb. Zu Exedren und ihren Funktionen, von Thüngen 1994, bes. 36–39 und 44. 49 Eck/Eich/Eich (im Druck), 61–62, Nr. 13; Devijver 1996, 132, Nr. 1. 50 Eine weitere Orthostatenbasis, von der sich zwei profilierte Deckplatten mit Inschriften erhalten haben, trug mindestens vier Bildnisse der Familie des Prokonsuls der Provinz Lycia et Pamphylia, Gaius Ulpius Antoninus (Ende 2. oder 1. H. 3. Jh. n. Chr.), Eck/Eich/Eich (im Druck), 111–113, Nr. 43 a/b. 51 Jacob­Felsch 1969, 79 f. und 91–94; Bergemann 1990, z. B. Kat. E9, E32, E44 und E77. 220 8 Statuenbasis der Ias; Profilzeichnung und Aufsicht mit Einlassungsspuren der Basis für den Prokonsul der Provinz Asia, Sextus Iulius Frontinus (Abb. 12), in der Nähe der Reiterstatue Vespasians nicht als zufällig erach­ ten, war es doch jener Kaiser, unter dem seine politische Laufbahn startete. Ähnliches trifft für die Statuenbasis der Ias zu,52 die in der 1. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. als erste Frau in Sagalassos geehrt wurde (Abb. 8). Der Fundort der Statuenbasis an der Südwest­Ecke der Agora dürfte ebenfalls den originalen Standort kennzeichnen, denn er ist nur wenige Meter von dem Säulenmonument des Krateros entfernt, bei dem es sich um den Schwiegervater der Ias gehandelt hat. A8 52 Lanckoroński 1892, 230, Nr. 218. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 221 Mehr als 30 auf der Oberen Agora gefundene Statuenbasen belegen die Dominanz der Bürgerschaft von Sagalassos; somit relativierten sie deutlich die Präsenz des Kaiserhauses. Der ursprüngliche Aufstellungsort ist für die Mehrzahl der Statuenbasen nicht mehr bestimmbar, wofür tiefgreifende Transformationsprozesse im Verlauf des 4. Jhs. und nach dem Erdbeben um 500 n. Chr. im gesamten Bereich der Stadt verantwort­ lich sind.53 Infolgedessen kam der Großteil entweder als Baumaterial in Mauerverbänden zur Verwendung54 (Abb. 5) oder fand in Zweitverwen­ dung Aufstellung im spätantoninischen Nymphäum an der Nordseite der Agora, wo sie zusammen mit sekundär genutzten Idealstatuen die neue Ausstattung bildeten (Abb. 3 und 4).55 Im 3. Jh. n. Chr. kam die Dedikation von privaten Bildnisstatuen auf der Oberen Agora weitestgehend zum Stillstand,56 vereinzelt folgten im 4. Jh. n. Chr. noch Ehrungen für Kaiser und hohe Amtsträger.57 Trotz zahlreicher Bemühungen zum Erhalt eines politisch intakten wie repräsentativen öffentlichen Raums58 war die Auf­ lösung dieses einst von Statuen so zahlreich besetzten Platzes bereits ab dem 4. Jh. n. Chr. ein nicht mehr aufzuhaltender Prozess. A9 Nicht anders verlief es auf der Unteren Agora, das als Zentrum der Unterstadt, eindrucksvoll gerahmt von den monumentalen Thermen im Osten und dem Heiligtum des Apollo Klarios im Westen, einen passenden Platz für Statuenehrungen geboten hatte (Abb. 2 Nr. 3; Abb. 9). Nach den 53 Waelkens 2006, 217–227; Lavan 2006. 54 Mehrere Statuenbasen fanden sich verbaut in der Südmauer des Torbogens zum Eingang an der Nordost­Ecke der Oberen Agora. Für die Nutzung als Baumaterial wurden die Schäfte der mehrteiligen Statuenbasen bevorzugt, die übrigen Teile der Basen wie Aufsätze oder Plinthen wurden entsorgt. Es fällt auf, dass trotz Verbauung auf die Lesbarkeit der Inschriften Wert gelegt wurde, was als Akt der pietas und der memoria gegenüber dem Geehrten interpretiert werden kann. 55 Mägele 2011, 327–328, Abb. 21.8; das Nymphäum hatte mehrere Renovie­ rungsphasen, von denen die erste im Verlauf des 4. Jhs. n. Chr. und die zweite nach dem Erdbeben um 500 n. Chr. dazu geführt haben, die größtenteils beschä­ digte Originalausstattung mit wiederverwendeten Statuen und Statuenbasen zu ersetzen; das Nymphäum blieb bis in das 7. Jh. n. Chr. intakt. 56 Ein Befund, der in vielen Städten des Imperium zu beobachten ist, vgl. Borg/ Witschel 2001, 50–116. 57 Hier Anm. 26, 31 und 32. 58 Jacobs 2013, 8 mit Gesamtplan von Sagalassos. 689–691 und 724 (Obere Agora). 732–734 (Brunnenanlagen). 222 9 Untere Agora von Sagalassos; 1 Apollo Klarios­Tempel nach Umbau in Basilika; 2 hadrianisches Nymphäum des Tib. Claudius Piso; 3 Nord­Ost­ Straße; 4 Untere Agora; 5 Ostportikus; 6 Westportikus; 7 Thermen spärlichen Befunden zu urteilen,59 begann auch hier die Dedikationspraxis in frühaugusteischer Zeit und korrespondiert mit der architektonischen Gestaltung des Platzes durch Portiken.60 Die Ehrungen scheinen jedoch im Umfang niemals an das Niveau der Oberen Agora herangekommen zu sein,61 was wahrscheinlich der kommerziellen Ausrichtung der Unteren Agora geschuldet sein dürfte.62 Die Besonderheit in der Entwicklung der Unteren Agora äußert sich in den intensiven Bestrebungen mitttels Basen und Statuen, die allesamt von anderen Standorten stammen, den Platz 59 Hierzu zählt u. a. ein aufwendiges Sofakapitell einer Basis, das die Bronzestatue trug, Vandeput 1997, 195, Taf. 10,1–3. 60 Putzeys 2007, 213. 61 Hierfür lassen sich vier Aufsätze von Basen anführen, die bei der Ostportikus gefunden wurden; da ungeeignet für die sekundäre Nutzung als Baumaterial, ließ man sie zurück, folglich könnten die Fundorte zugleich die primären Standorte der Statuenbasen sein. 62 Putzeys 2007, 282–284 stellt dies überwiegend für die Spätantike fest. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 223 nachträglich »zu verschönern«.63 Zu den auffälligsten Formationen zählt dabei eine Gruppe von frühaugusteischen und formal auffälligen Statuen­ basen (Abb. 9 Nr. 5; Abb. 10 und 11). Die überlebensgroßen Bronzestatuen von Bürgern,64 die sie einst trugen, existierten bei der Neuaufstellung vor der Ostportikus nicht mehr, so dass man allein mit der Aufstellung der Basen als Gruppe 65 und ihrer ästhetisch ansprechenden Gestalt einen visuellen Akzent auf dem Platz schaffen wollte. Vieles spricht dafür, dass diese Statuenbasen ursprünglich die prachtvolle Säulenstraße von Sagalassos gesäumt haben,66 über die seit augusteischer Zeit der Zugang in die Stadt von Süden erfolgte. Von der Unteren Agora beginnend de­ finierte die Säulenstraße zugleich die Achse, die zum Kaiserkulttempel führte, der auf dem südlichsten Hochplateau der Stadt errichtet wurde (Abb. 2 Nr. 1).67 A10u11 Der zu Ehren des Antoninus Pius errichtete Tempel zählt zu den wenigen städtischen Bereichen, wo Statuenbasen von der Errichtung bis zur Auflassung des Tempels an der Wende vom 4. zum 5. Jh. n. Chr.68 am ursprünglichen Standort ohne Eingriffe verblieben sind. Tempelbau und Inauguration des Kaiserkults haben dabei als direkte Auslöser für Statuenaufstellungen gewirkt. Die sakral­politische Versinnbildlichung des Raums erfolgte dabei über Bildnisse eines klar definierten Personenkrei­ ses: Eindrucksvoll demonstrierten dies die Statuen der Kaiser Marc Aurel, Commodus und Septimius Severus,69 ergänzt um Kaiserkultpriester und Agonisten, als diejenigen, die aufs engste mit dem Kultbetrieb verflochten 63 Zu Skulpturen als »Schmuck – ornatus« auf Platzanlagen des 4. Jhs. n. Chr, zuletzt Witschel 2007, 116–126. 64 Vandeput 1993, 1999–200, Abb. 2 (Typ 2b). Die Basen trugen Inschriften, die jedoch stark verwittert sind; die Tatsache, dass es Bronzestatuen waren, spricht für private Bildnisstatuen. 65 Ausgehend von den Einzelteilen Aufsatz, Schaft und Plinthe hat es sich um mindestens sieben Basen gehandelt. 66 Zu den spätantiken Umbauten der Säulenstraße Jacobs 2011, 78–80, Abb. 4. a.b. Zur funktionalen und sozialen Bedeutung von Säulenstraßen, mit beson­ derem Fokus auf Perge, Heinzelmann 2003. 67 Lanckoroński 1892, 236, Nr. 188. Ein im Jahre 2003 gefundenes neues Frag­ ment der Architravinschrift belegt, dass der Tempel nicht Hadrian geweiht war; der Baubeginn datiert dennoch in hadrianische Zeit, Vandeput 1997, 77. 68 Zum Ende des Kaiserkults, Trombley 2011; zum Schicksal der paganen Tempel Ward­Perkins 2011 und Talloen 2011. 69 Lanckoroński 1892, 225, Nr. 190 (Marc Aurel); 225, Nr. 191 (Commodus); 224, Nr. 189 (Septimius Severus). 224 10 Statuenbasis vor der Ostportikus der Unteren Agora: Zeichnung Frontansicht und Oberseite mit Sohlenbettungen und Zapfenlöcher zur Befestigung der Bronzestatue waren.70 Die Standbilder auf ihren Basen wurden direkt vor der Tempel­ front aufgestellt. Diese gewaltige architektonische und politisch­religiöse Kulisse erlangte jedoch nicht ansatzweise die Anziehungskraft wie sie die Obere Agora hatte. Ein Grund dürfte wohl der spezifische Zuschnitt auf Rezipienten sein, ein anderer liegt schlicht in der großen Entfernung des Tempels zu den städtischen Zentren. Zu Beginn des 3. Jhs. n. Chr. fanden nur noch einzelne Statuenaufstellungen statt, die angesichts der krisen­ haften Entwicklungen um die Mitte des Jahrhunderts gänzlich aufhörten.71 70 Der Kaiserkult manifestierte sich besonders über Feste und Agone, Price 1984, 53–77. 71 Überliefert sind Ehrungen für Severus Alexander und Iulia Mamae, Lanckoroński 1892, 196, wobei das Ehrendenkmal in seiner formalen Gestaltung nicht zu M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 225 11 Statuenbasis vor der Ostportikus der Unteren Agora; Zeichnung Oberseite mit Sohlenbettungen und Zapfenlöcher zur Befestigung der Bronzestatue Ein weiterer Stadtraum, dessen thematische Geschlossenheit durch Statuenehrungen wirkungsvoll in Szene gesetzt wurde, ist die Nord­Ost­ Straße, die als wichtigste Hauptverkehrsachse die Mitte zwischen Ober­ und Unterstadt markierte (Abb. 9 Nr. 3). Die Statuenbasen dokumentie­ ren, dass hier ausschließlich Agonisten vom späten 1. bis zum 3. Jh. n. Chr. geehrt wurden. Die Fundorte verteilen sich auf den Abschnitt zwischen dem Eingang zur Unteren Agora und dem Heiligtum des Apollo Klarios. bestimmen ist. Die letzte kaiserliche Ehrung galt Saloninus oder Gallienus und Saloninus gemeinsam, Lanckoroński 1892, 198. 226 Als Kristallisationspunkt mit der größten Dichte an Statuenbasen ragt der Bereich hervor, an dem das vom Agonotheten Tib. Claudius Piso zu Ehren Hadrians gestiftete Nymphäum lag (Abb. 9 Nr. 2).72 Über eine Stu­ fenanlage erreichbar erhob sich der an der Straße gelegene zweistöckige Bau zu einer monumentalem Fassade. Die Straße war davor promena­ denartig ausgebaut und wurde im 3. Jh. mit einer Balustrade ausgestattet, auf der ebenfalls Statuen aufgestellt waren.73 Die Statuenbasen lassen klar erkennen, dass das in augusteischer Zeit errichtete Heiligtum des Apollo Klarios und die zu seinen Ehren ausgetragenen Wettkämpfe, die Klareia, die Standortwahl für die Ehrendenkmäler bestimmt haben. Die raumimmanente Semantik erhielt mit dem monumentalen Nymphäum ein Element, das über Standort und Stifter einen weiteren ideologischen Bezugspunkt zum Heiligtum des Apollo Klarios herstellte. Sukzessiv wurde die Wertigkeit des Standorts für die Ehrenstatuen der Agonisten erhöht, die ihrerseits in ihrer gestaltbildenden Funktion einen anschau­ lichen Rahmen für die Festprozessionen bei den Klareia gebildet haben.74 MIT DEN S TAT UEN B ASEN D IE VER LO R ENEN S TAT UEN »S IC HTBAR MACH EN« Wie verhält es sich nach den obigen Ausführungen mit der Wirkmacht von statuarischen Denkmälern im öffentlichen Raum und ihrer ma­ teriellen Überlieferung durch die Statuenbasen? Da die wesentliche Funktion des Ehrendenkmals in der Heraushebung des Einzelnen lag, könnte man annehmen, dass einem solchen Konkurrenzverhalten auch im Denkmal Ausdruck verliehen wurde. Wege zur Distinktion lassen sich in der Regel über Werkstoff, Typus und Format erreichen, für Basis und Statue gleichermaßen. Beim Material der Statuenbasen dominierte die Einheitlichkeit; es wurde fast immer der gleiche, lokal abgebaute beige­ farbene Kalkstein benutzt. Der für die Verkleidung der Orthostatenbasis Vespasians verwendete rosafarbene Kalkstein stellt die einzige Ausnahme 72 Hier Anm. 18. 73 Die Balustrade bestand aus Basen mit seitlichen Nuten und Anschluss­ blöcken; zwei Widmungsinschriften belegen die Aufstellung von Statuen auf der Balustrade. 74 Auch wenn Informationen zu Festabläufen in Sagalassos fehlen, sind Pro­ zessionen vorauszusetzen. Zur Bedeutung von Prozessionen bei Agonen vgl. die Salutaris­Stiftung, Inschriften von Ephesos 1979, Nr. 27. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 227 dar. Da dieser Kalkstein vorzugsweise als Baumaterial verwendet wurde,75 dürften die Platten der Basis auch aus einer Bauhütte stammen. Die Produktion der Statuenbasen muss dagegen in darauf spezia­ lisierten Werkstätten stattgefunden haben. Man beschränkte sich auf drei grundlegende Basentypen – rechteckig, polygonal (hexagonal und oktagonal) und zylindrisch –, die entweder in mehreren Teilen oder als Ganzes gefertigt wurden. Zu den exklusiven Beispielen des 1. Jahrhunderts zählen neben der oben genannten Gruppe von Statuenbasen auf der Unteren Agora auch die Rundbasen. Erstere sind gekennzeichnet durch ein Kapitell mit Pfeifenfries, zylindrischem Aufsatz und seitlichen Akroterien sowie einem Sockel und einem Schaft jeweils mit starker Profilierung. Mit solch auf­ wendiger Gestaltung erfuhren die Geehrten eine Nobilitierung, die sowohl durch ihre Singularität als auch durch den prominenten Aufstellungsort an der Säulenstraße noch verstärkt wurde (Abb. 10 und 11).A12 Ähnliches trifft für die Rundbasen zu (Abb. 12). Durch ihre Selten­ heit – dokumentiert sind sechs Exemplare – dürften sie aus der Masse der rechteckigen und polygonalen Basen herausgestochen sein. Nach Ausweis von zwei Widmungsinschriften und durch stilistische Vergleiche 12 Statuenbasen des Marcus Lollius und des Sextus Iulius Frontinus 75 Zu den Steinbrüchen auf dem Territorium von Sagalassos, Degryse 2007. 228 lässt sich zudem der zeitliche Nutzungshorizont, von augusteischer bis flavischer Zeit, eingrenzen. Geht man von den Geehrten aus, scheint die Rundbasis zudem vorzugsweise für bedeutende römische Amtsträger des 1. Jahrhunderts genutzt worden zu sein. Sowohl die Basis für den in enger Freundschaft zu Augustus stehenden Marcus Lollius,76 als auch die des bereits genannten Sextus Iulius Frontinus beeindrucken nicht nur durch die qualitätvolle Ausarbeitung, sondern auch durch ihre Dimensionen. Die jeweils aus einem Block gefertigten Rundbasen erzeugen mit einem Umfang von 2 Meter – bei einer Höhe von knapp 1,50 Meter – einen monumentalen Eindruck, der durch die kompakte zylindrische Form noch intensiviert wird. Einen hohen repräsentativen Anspruch erfüllte auch die hexagonale Statuenbasis. Im frühen 1. Jh. n. Chr. noch eine singuläre Erscheinung, erfreute sie sich vom 2. bis in das 4. Jh. n. Chr. großer Beliebtheit. Die erste hexagonale Basis galt jedoch keinem Kaiser, sondern einer Frau, oben genannter Ias (Abb. 8). Ihre Statue muss auf der Agora, die in dieser Früh­ phase noch ganz frei von Ehrenstatuen war, eine große Wirkung erzeugt haben, was nicht nur der Basenform, sondern auch dem Erscheinungsbild der Statue selbst geschuldet war.77 Die Basis der Ias kann als exemplarisch bezeichnet werden, denn nicht nur die Statuenbasen der wenigen Frauen orientierten sich, gut 100 Jahre später, hieran, sondern auch die spätesten Ehrungen in Sagalassos, die Kaiser Constantius II. galten. Die überwiegende Mehrheit der Statuenbasen gehört zum recht­ eckigen Typus und wurde für Kaiser, männliche Bürger und Athleten gleichermaßen benutzt. Schlichter als die zuvor betrachteten zeichnet sich dieser Basentypus durch eine fortschreitende Normierung in Form und Größe aus. Die auf diese Weise erlangte Einheitlichkeit dürfte die Wahrnehmung von gleichwertigen und geschlossenen Gesellschaftsgrup­ pen verstärkt haben. Besonders deutlich wird dies anhand der Athleten­ Statuenbasen, die, nahezu gleich groß und in ähnlich schlichter Ausar­ beitung, die inhaltliche Zusammengehörigkeit dieser zudem an einem Ort versammelten Personengruppe zum Ausdruck bringen. Der Erkenntnisgewinn anhand der Basen für das plastische Erschei­ nungsbild der Statuen beschränkt sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte: Format und Material. Rückschlüsse auf die Größe der Statuen lassen sich 76 Devijver 1996, 106 Abb. 1; Eck/Mägele 2008. 77 Informationen zum Erscheinungsbild respektive zum Statuentypus fehlen gänzlich; das Repertoire hierfür war jedoch für die gesamte römische Kaiserzeit recht überschaubar, zuletzt Murer 2017, 9–11. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 229 anhand der Breitenerstreckung der Basis ziehen.78 Was bereits bei den zylindrischen und hexagonalen Beispielen und auch bei der Basengruppe von der Unteren Agora angeklungen ist, trugen diese außerordentlich repräsentativen Statuenbasen überlebensgroße bis kolossale Statuen. Wenn, wie im Falle der Ias­Basis, zusätzlich noch Verdübelungsspuren hinzukommen, an welchen sich die Fußlänge der Statue ablesen lässt, sind die Richtwerte für die Höhe der Statue umso verlässlicher. So be­ saß das Standbild der Ias mit einer Höhe von ca. 2,30 Meter kolossales Format.79 Bildnisse mit diesem außergewöhnlichen Format hat es nur wenige gegeben: Fünf von insgesamt sieben Basen, die kolossale Statuen trugen, datieren in das 1. Jh. n. Chr. und wurden nicht etwa für Kaiser­ bildnisse genutzt, sondern für Privatporträts oder römische Amtsträger. Die einzigen kolossalen Kaiserstatuen im öffentlichen Raum waren die des Constantius II.; 80 der Durchschnitt kaiserlicher Standbilder hatte mit 1,80–2,20 Meter überlebensgroßes Format. Eine kategorische visuelle Abgrenzung zwischen kaiserlichen und privaten Bildnissen gemessen an der Statuenhöhe hat es in den ersten beiden Jahrhunderten nicht gege­ ben: Das Gros der privaten Bildnisse hatte jeweils zu gleichen Anteilen lebens­ bis überlebensgroßes Format, wobei das Verhältnis zuungunsten letzterer im fortgeschrittenen 2. Jahrhundert immer mehr abnahm, um im 3. Jahrhundert fast aufzuhören. Wiederum sind es die Athleten­Statuen, die in Analogie zu ihren einheitlichen Basen auch in der Höhe ein ein­ heitliches Bild geboten haben: Sie waren allesamt lebensgroß, wobei bei Knabenehrungen sogar unterlebensgroßes Format üblich war.81 Es bleibt festzuhalten, dass in Form und Format bei den Statuen­ basen des 1. Jhs. n. Chr. die merklichste Distinktion vorhanden gewesen ist. Die verhältnismäßig geringe Menge an Ehrungen im 1. Jahrhundert hat allem Anschein nach die Exklusivität dieser Materialgruppe gefördert. Dies ändert sich zu Beginn des 2. Jhs. n. Chr., als im gesamten Stadtgebiet intensive Baumaßnahmen einsetzen. Der hohe Bedarf an Skulpturen 78 Zur Methode siehe Ruck 2007, 36–46; 79 Ruck 2007, 9–15 und 25 definiert Kolossalität bei männlichen Statuen ab einer Mindesthöhe von 2,50 Meter, bei weiblichen ab 2,30 Meter (weiblich); nach Fittschen 1994 sollte eine Statue mindestens die doppelte Lebensgröße (ca. 1,60 Meter) aufweisen, um als kolossal bezeichnet zu werden. 80 Kolossales Format besaßen auch die akrolithen Kaiserstatuen in den Ther­ men, die als Kultstatuen ursprünglich im Antoninus Pius­Tempel gestanden haben. Vgl. Mägele 2013. 81 Vgl. hier Anm. 28. 230 – Ideal­ und Porträtplastik gleichermaßen – trug bei zu einer Produk­ tionserhöhung an Basen, die formal immer ähnlicher wurden. Der Aspekt der Konformität galt auch für das Material der Skulptu­ ren, welches anhand der Bearbeitungsspuren auf den Basenoberseiten zu ermitteln ist. Trotz einer hohen Anzahl an Basen, die mangels relevanter Aufsätze nicht berücksichtigt werden können, zeigt der auszuwertende Befund eine deutliche Präferenz für Bronzestatuen, und das über den gesamten hier behandelten Zeitraum. Die Befestigung erfolgte dabei über Zapfenlöcher, die mit oder ohne Sohlenbettungen vorhanden sind (Abb. 8 und 10).82 Beide Varianten fanden bereits an den frühesten Sta­ tuenbasen Anwendung83 und sind, je nach Größe der Statue, bis in das 4. Jh. n. Chr. überliefert.84 Die Erkenntnisse aus den Einlassungsspuren sind in mehrfacher Hinsicht wertvoll: Sie liefern nicht nur Hinweise zur Bestimmung der Statuenhöhe, sondern anhand ihrer Anordnung lassen sich auch Standmotive der Statuen rekonstruieren.85 Nur wenige Auftraggeber entschieden sich für steinerne Ehrenstatu­ en. An den knapp 20 Statuenbasen lassen sich zwei Befestigungsmetho­ den feststellen: Entweder wurde die Statue mit Plinthe in eine Bettung eingelassen und der Zwischenraum mit Blei ausgegossen, oder, was die übliche Methode war, sie wurde direkt mit der Plinthe auf der planen Oberseite der Basis verdübelt. Was anhand der Bearbeitungsspuren nicht abgelesen werden kann, ist jedoch, aus welchem Material die Statue war, prinzipiell kommt Marmor ebenso in Frage wie Kalkstein.86 Marmor scheint jedoch unter Heranziehung der wenigen rundplastischen Funde, die zu Porträtstatuen gehören, überwogen zu haben. Als Beleg hierfür stehen die Basen selbst, denn es handelt sich um die prachtvolleren und repräsentativeren Exemplare, wozu die bereits genannten des Marcus Lollius und Sextus Iulius Frontinus aus dem 1. Jahrhundert ebenso zählen 82 Zu Versockelungstechniken von Bronzestatuen Willer 1996; vgl. auch Filges 2007, 105–110. 83 So zeigt die Basis der Ias Zapfenlöcher, wogegen die nicht viel älteren Basen auf der Unteren Agora Sohlenbettungen haben. 84 Die Basen des Caracalla und des Constantius II. trugen Bildnisse von über­ lebensgroßem und kolossalem Format (zw. 2,30 und 2,50 Meter); die Statuen wurden sowohl mit Zapfenlöchern als auch Sohlenbettungen versockelt, womit zweifellos eine größere Standsicherheit erreicht wurde. 85 Filges 2007, 105–110. 86 Die Nutzung von Kalkstein für Porträtstatuen belegt ein weiblicher Porträt­ kopf von hoher Qualität, Waelkens/Poblome 1997, 161, Abb. 91–92 M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 231 13 Statuenbasen (von links nach rechts) der Publia Aelia Aruntia, des T. Flavius Severianus Neon, der Publia Aelia Ulpiana Noe, sekundär aufgestellt im antoninischen Nymphäum auf der Oberen Agora wie die Basen der Publia Aelia Ulpiana Noe und ihrer Tochter Publia Aelia Aruntia aus spätantoninischer Zeit (Abb. 13).87 A13 Die Außergewöhnlichkeit der marmornen Ehrenstatuen inmitten der Bronzebildnisse bewirkte zweifellos eine größere Aufmerksamkeit.88 Dass die Nutzung unterschiedlicher Materialien als gezieltes Mittel zur Hervorhebung dienen konnte, legen auch Inschriften nahe, die von der Kontrastierung bronzener und steinerner Statuen berichten.89 Darüber­ hinaus jedoch sind die marmornen und sehr kostspieligen Ehrenstatuen Ausdruck einer besonderen Wertschätzung, die auf enge persönliche Be­ ziehungen fußt.90 Denn überwiegend sind die Stiftungen von den engsten Verwandten wie Ehefrau, Tochter oder Mutter vorgenommen worden. 87 Devijver/Waelkens 1997, 296, Nr. 1,2; Abb. 2; Devijver 1996, 114, Nr. 4,2. 88 Polychromie dürfte diese zudem erhöht haben, allgemein Brinkmann/Wünsche 2004. 89 Merkelbach/Stauber 2002, Nr. 18/01.05. 90 Im Gegensatz zu Kalkstein mussten Marmorskulpturen importiert werden; die Werkstätten in Dokimeion gehörten zu den wichtigsten Lieferanten, vgl. Waelkens u. a. 2002. 232 DER W ERT VO N STAT UEN B ASEN Auf der Grundlage einer statistisch relevanten Menge liefert die Be­ trachtung der Statuenbasen von Sagalassos unterschiedliche Facetten ihrer Wirksamkeit im öffentlichen Raum. Dabei treten sie zunächst als bedeutsame Medien für die Repräsentierbarkeit der Stadt auf. Diese wird nach Ausweis der auf den Basen angebrachten Inschriften durch die lokale Elite getragen, und das mit großem Selbstbewusstsein, welches sich angesichts einer gemäßigten Bezugnahme zum Kaiserhaus in erster Linie an das eigene städtische Publikum richtet. Mit zu Beginn formal aufwendigen und groß dimensionierten Statuenbasen werden urbane Räume von unterschiedlichen Wertigkeiten beschrieben, die durch dif­ ferente Nutzungshorizonte und soziale Prägungen gekennzeichnet sind. Diese raumgliedernde Funktion, die die Basen auch für sich alleine er­ füllen konnten, manifestiert sich in der materiellen Erscheinungsform, die zugleich als Abbild einer gesellschaftlichen Ordnung nutzbar gemacht werden kann. Beispielhaft sind die Athleten­Basen, die durch Einheit­ lichkeit und Schlichtheit ihren Status im sozialen Gefüge offenlegen. Die Wirksamkeit der Statuenbasen lässt sich nicht nur auf die ur­ sprüngliche Funktion reduzieren, die sie als Träger der Ehrenstatuen besessen haben. Sie kommt auch in einer Variabilität zum Vorschein, die den Basen im Laufe der Zeit durch andere Verwendungen zugeführt wird und die zugleich ihre Bedeutung als historische Artefakte unterstreicht. Nicht zuletzt wird anhand der Materialität der Statuenbasen deutlich, dass sie auch ohne den intrinsischen Zusammenhang mit den verlorenen Bildnissen, die »lediglich« die ästhetische Ebene der Wahrnehmung ver­ vollständigt hätten, als statuarische Ehrendenkmäler funktionieren. Dabei ermöglichen sie durchaus eine allgemeine Vorstellung von den Statuen, indem sie Informationen zu Material und Format zur Verfügung stellen. Die Betrachtung der Statuenbasen zeigt nicht zuletzt, dass sie aufgrund ihrer reichen Überlieferung eine wertvolle Materialgruppe bilden, an denen Verfahren und Methoden herausgearbeitet werden können, um scheinbar Unsichtbares »sichtbar« zu machen. M Ä G E LE : S TAT UE NB A S E N IM UR B A NIST IS CH E N GE F Ü GE V O N SA GA L A SSO S 233 BILDREC HTE 1 Foto: Wera Groß. 2, 5, 12 Foto: Sagalassos Research Project, K. U. Leuven. 3, 4, 8, 10, 11 Foto: Semra Mägele. 6, 7, 9, 13, Taf. 6a/b Foto: Ahmet Ertuğ. LITERATUR VER ZEICH N IS Alföldy 1979 Alföldy, Géza: Bildprogramme in den römischen Städten des Conventus Tarraconensis. Das Zeugnis der Statuenpostamente. In: Homenaje a García Bellido IV. Revista de la Universidad Complutense de Madrid. Madrid 1979, 177–275. Alföldy 1984 Alföldy, Géza: Römische Statuen in Venetia et Histria. 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Our lovely little somnambulist 1 My warmest thanks to the following dear colleagues, who helped me tre­ mendously when researching the objects in this article – works for which only scarce information can be found: Monique Kornell, Jeffrey Spier, Annika Backe­ Dahmen, Sheryl Reiss, Caroline P. Murphy and Martin Kemp. I would also like to thank Sonja Sekely­Rowland for her assistance with the images, and above all Thierry Greub for his kindness and patience. 2 The Roman poet Martial (Marcus Valerius Martialis, circa 40–103 AD), father of the modern epigram, was a contemporary of little Martial. 3 Unlike most other Roman busts of children, the object’s pupils are not marked or drilled, perhaps they were painted onto the marble, as the “paint ghosts” in one of the eyes seem to indicate. This observation was generously shared by Jeffrey Spier, Senior Curator of Antiquities at the Getty Villa, Malibu. 242 1 Unknown artist: Portrait bust of a boy named Martial, Roman, circa 98–117, marble, J. Paul Getty Museum, Malibu (cf. pl. 7) K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 243 is a visitor from a bygone era. Martial, we learn, died at the age of not even three. He passed away almost two thousand years ago – the style of his haircut hints at the Trajan period, between the years 98 and 117 AD. In this essay, honoring my dear colleague in Classical Archaeology Dietrich Boschung, I would like to discuss a small number of busts of children from Roman antiquity and the Italian Renaissance. These ob­ jects, although some of them are in the world’s most prominent museums, have been largely neglected both by art historians and classical archaeolo­ gists, and they have never been discussed together, which is somewhat surprising, given the heavy influence of Roman antique sculpture on early modern aesthetic thought and artistic practice. In particular the portraits of dead children with their potential to psychologically unsettle the viewer, all the more when they are executed in the touchable and presence generating medium of sculpture, have received but sparse attention – and are often kept in the museum depots. The bandwidth between portraits of frisky and self­assured children portrayed after life and those much rarer images confronting the viewer with the face of premature death is broad, in Roman Antiquity and the Italian Renaissance alike. For both time periods, little is known about many of the objects’ immediate physi­ cal contexts and their individual functions, let alone the names of the sitters. In the case of Martial, we are lucky. In what follows, I will take the intriguing bust of Martial as a point of departure to discuss some concepts of family and dynastic represen­ tation, of societal and familial attitudes toward the value of childhood and children as they might relate to a number of bust portraits of small children from the Imperial Roman period and the ‘Renaissance’ in Italy. I will re-contextualize some of these objects tentatively, providing first insights into possible family backgrounds and looking into the discus­ sion of grieving processes related to premature deaths. This is not the place to address the complex issues of childhood in antique, medieval, and Renaissance societies in detail; hence I will neither discuss Philippe Aries’s milestone publication “L’Enfant et la vie familiale sous l’Ancien Régime” of 1960, nor the recent revisions of Aries’s viewpoint, namely by Nicholas Orme.4 However, I will present an attempt at a new identifica­ tion of a Renaissance baby bust, and I will for the first time relate it to an antique object in the British Museum. My contribution to this Fest­ schrift aims at a better understanding of the role of likeness and family 4 Ariès 1960; Orme 2001. 244 2 Detail of fig. 1 with inscription 3 Alternative view of fig. 1: Profile, before cleaning of marble K O H L: MA R TI A L I V E R N A D U L CI SSI M O 245 representation in sculpted portraits of children in Roman Antiquity and their reanimation’ in early modern Italy. Let us turn to young Martial again. He was a beloved, apparently important child – and a fortunate one, for that matter. All the more sur­ prising is the laudatory inscription on the front of the bust’s block­like pedestal (fig. 2): “To the sweetest Martial, a slave child, who lived two years, ten months, and eight days. [For him] well deserving, Tiberius Claudius Vitalis provided [this monument].5” Martial was a slave, and his owner cherished the boy to the extent of having a costly and artful marble bust commissioned in his honor, perhaps as part of a funerary monument.6 The object on display at the Getty Villa in Malibu is particularly arresting as it documents affection and esteem for a single slave in a fine marble monument and epitaph.7 The bust’s most striking detail is the little braided strand of hair above the right ear (fig. 3).8 It can be identified as a Roman adoption of the ancient Egyptian ‘horus lock.’ 9 The braid, worn on the right side, marks him as a boy partaking in the religious cult of Isis.10 Martial must have been consecrated as a baby, which means that he was under the special protection of the tutelary deity Isis, a fact that would have guaranteed 5 MARTIALI.VERN / DULCISSIMO.QUI. / VIXIT.ANN.II.M.X.D.VIII / TI.CLAUDIUS.VITALIS. / B.M. FECIT. The term “dulcissimus” was gen­ erally used for younger children, whereas the similar terms “carissimus” and “pietissimus” were used to characterize children above the age of five. See Rawson 2003, 50–51. 6 See Rawson 1997, 205–238; 227, fig. 9.12. 7 The marble bust, including its pedestal, is 40,5 cm high and currently on view at the Getty Villa in Gallery 207. It was purchased by the J. Paul Getty Museum in 1985. For provenance and details see: http://www.getty.edu/art/collection/ objects/11089/unknown­maker­portrait­bust­with­inscription­roman­98­117/ (last access Dec. 12, 2015); see also Acquisitions/1985, 182–83, no. 9. 8 Goette, 1989 (1), 203–217, discusses the Getty bust on 212, no. 20. 9 On the significance of the ‘horus curl’ in imperial iconography, see Gonzenbach 1957, 102–128, Goette 1989 (1), 208. 10 Annika Backe­Dahmen, in her essay “Initiation of Children into Roman Mystery Religions: The Isis Case” (currently in print), provides a detailed dis­ cussion of the state of research on the different forms of the so­called ‘horus lock’ or ‘youth lock’ and their relation to the cult of Isis, with a particular refer­ ence to Borg 1996. 246 him eternal life.11 The cult of Isis became popular in imperial Rome from the 1st century BC on and gained a strong foothold in aristocratic circles and imperial families.12 A number of fine marbles of young children in Imperial Roman art show the same feature, the most famous one being the bust of a boy of similar age in the British Museum (fig. 4) of around 150–200 AD, with its remarkably soft and delicate features.13 Martial’s face, as those of a number of other busts of boys of the first centuries AD, is rendered al vivo, bearing witness to an obvious interest in the child’s individual facial features and countenance. The intersection of two significant historical developments is epitomized in bust portraits like Martial’s: the ‘face value’ of portraiture in Roman antiquity as documented in the practice and cult of the imagines maiorum (a controversially discussed field on which I can only touch here), and new forms of appreciation of childhood in Roman society. Beryl Rawson, in her comprehensive study on Children and Childhood in Roman Italy, identifies several key elements of the Romans’ esteem of childhood and youth.14 Among these are the role of pedagogical concepts, a sensitivity toward the specifics of childhood development, the importance of the family in utterances of sentiment, the role of surrogate families in which slaves and former slaves played a key role, the impact of exempla in guid­ ing childhood development, and the importance of commemoration in funerary monuments, all of which seem to have culminated in the late first and second centuries BC. While en buste depictions of the family – father, mother, and child or children – are a common motif on Roman tombs (and rather popu­ lar among families of freedmen), a single marble monument including a sculpted portrait of a child explicitly denominated as verna, that is a slave born in a Roman household, would have been rather unusual. Still, owners would often take the obligations to care for their vernae quite seri­ ously, as is documented in a number of epitaphs dedicated to vernae, who were sometimes the children of free males still living in the household.15 11 Gonzenbach 1957, 102–105. The lock could be worn by boys up to the age of 14 years. For a general discussion see Felgenhauer 1996. 12 Lembke 1994. 13 The object is in the British Museum, registration no. 1805,0703.112. http:// www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details. aspx?objectId=460133&partId=1 (last access: Dec. 16, 2015). 14 Rawson 2003, and Laes 2011 (Dutch original 2006). 15 Bradley 1994, 33–34, 48–49; Mouritsen 2011, 100. K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 247 4 Bust of a young boy, worshipper of Isis, Roman, 150–200 AD, marble, British Museum, London Some slave babies even shared wet­nurses with the owner’s children, as is documented in an epitaph by the powerful Augusta Antonia for her slave Communio.16 16 COMMVNIO VERNA / ANTONIAE AVGVSTAE / V. A. II MES. X / COLLACTEUS DRUSI / BLANDI F. (Communio, slave of Augusta Antonia, lived for two years and ten months, the fellow­nursling of Drusus, son of Blan­ dus) (CIL 6.16057), see Rawson 2003, 256–257. 248 5 Roman inscription, 2nd century AD (?), marble. Ashmolean Museum (currently in storage) K O H L: MA R TI A L I V E R N A D U L CI SSI M O 249 We know nothing about the precise nature of Martial’s relation with Tiberius Claudius Vitalis, who commissioned his portrait, except for that he was a verna in his household and that his owner must have been quite fond of him. The assumption that he was an illegitimate son conceived with a slave mother is tempting, yet there is no evidence to support this speculation.17 An epitaph to a slave boy in the Ashmolean Museum in Oxford bears a similar inscription (fig. 5): To the spirits of the dead. For Lucius Annaius Firm(ius?), who lived 5 years, 2 months, 6 days, 6 hours, who was born on the 7th of July and died on the 10th of September. Annaia Ferusa set this up for her dearest household slave.18 Lucius Annaius Firmius was born a slave to the household of Annaia Ferusia, the house’s mistress, who commissioned the tombstone in his honor, possibly with an accompanying image, now lost.19 Her attach­ ment to the little boy must have been considerable: She records the span of his short life down to the hour – testimony of a close famil­ iarity with the child, mixed with caring undertones expressed in the 17 An example among others is the epitaph of a two-year old boy, verna of Volusia Phoebe. In this case, the mother commissioned the epitaph: DI S MANIBVS / ARCINO VOLVSIAES / PHOEBES VERNA / VIX. ANN. II / MENS. VIII / FECIT MATER; Rawson 2003, 255. For the legal relations of slave mothers, owners, and their children see ibid., 265–267. 18 “D(IS) M(ANIBUS) / L(VCIO) ANNAIO FIRM(—) / VIXIT ANNOS V / M(E N S I B U S) I I . D(I E B U S) VI . H(ORI S) VI / QU I NATU S E ST / NON I S IVLI I S / DE FU NCTU S / E ST I I I I I DU S / S E PTE M B RE S / 10 ANNAUA FERUSA VERNAE SU/O KARISSIMO.” See: http://www. ashmolean.org/ashwpress/latininscriptions/2014/08/01 /he­lived­5­years­2­ months­6­days­6­hours­the­roman­child­slave­and­the­woman­who­loved­ him/ (Blog of the Ashmolean Latin Inscriptions Project (AshLI), last access December 29, 2015). 19 The inscription tells us that the boy had three names, Lucius Annaius Fir(mius?) – however, slaves usually had only one name. The tripartite name and use of his mistress’s name ‘Annaia’ in his middle name ‘Annaius’ tells us that he must have become a libertus, a freedman, probably shortly before his death – quite unusual as a slave normally would have had to reach the age of 30 before he could be granted freedom. Why did Annaia still call him a verna? The Ashmolean’s webpage gives a possible explanation: She freed her little slave on the deathbed to grant him a death as a free man, see ibid. 250 boy’s description as ‘karissimus’ (Greek­like spelling of ‘carissimus’), most beloved.20 A very similar (and certainly in an epitaph to a degree conventional­ ized) expression of love and appreciation resonates from the portrait of Martial and its inscription, commissioned by Tiberius Claudius Vitalis, who might be identical with the imperial freedman whose name is documented in a large, three­story tomb structure on the Caelian Hill in Rome. Vitalis was a freedman under Claudius (41–54 AD), during a time in which imperial freedmen gained considerable influence at court and in the empire.21 The columbarium was discovered in 1866, on the premises of the Villa Wolkonsky in Rome. Its marble inscription informs us that the monument was erected “[t]o Tiberius Claudius Vitalis, son of Tiberius, of the tribe Galeria, from the rank of Roman eques (…) (who) served in the second cohort as princeps posterior for eleven years, lived forty-five years.” 22 The tomb must have been built sometime between 41 and 80 AD.23 Freedmen, many of whom climbed the economic ladder and became rich quickly, frequently became slave owners themselves, hence it is quite possible that the owner of the ambitiously large Roman tomb structure is identical with the commissioner of the portrait bust for Martial.24 How­ ever, this would date the Getty bust at least twenty years earlier, as an artistic product of the Flavian rather than the Nerva­Antonine dynasty under Trajan. Veronique Dasen has recently drawn attention to a group of images hinting at representational strategies alternative to the strictly aristo­ cratic imagines maiorum in non­elite Roman circles, in particular those of freedmen, in the second to fourth centuries AD.25 Her discussion and re-evaluation of these images is largely based on findings of plaster molds 20 “It is a monument which testifies to the emotional realities which blurred the strict legal lines between slave and free.” (cit. ibid.), 2nd century AD (?), from Rome. Ashmolean Museum, ANChandler. 3.90. H. 0.38, W. 0.21, D. 0.4; currently in storage at the Ashmolean Museum. 21 For a concise description of the status of imperial freedmen see Treggiari 2010, 227–230. 22 85 ILS 2656=Smallwood NH (Nerva Hadrian) 294, inscription, Rome, 2nd C.AD. In: Campbell 1994, 48. 23 The tomb war erected by Tiberius Claudius Eutychus, son of Tiberius Claudius Vitalis. See Borbonus 2014, 184–186. 24 See Dunstan 2011, 203. 25 Dasen 2010, 109–145 K O H L: MA R TI A L I V E R N A D U L CI SSI M O 251 in tombs, some of which were already published by Heinrich Drerup in 1980.26 Among these are three molds (face masks used to produce facials casts) of children’s faces, with the oldest datable in the period between 70–115 AD, according to paleography.27 The oldest of these molds stems from a tomb in Lyon, which contained hairpins in ivory and bronze, frag­ ments of a box, and a funerary stela bearing the inscription: “To the departed spirit of Claudia Victoria who lived 10 years, 1 month and 11 days. Her mother Claudia Severina made this monument for her sweetest daughter and for herself during her lifetime. It was dedicated sub ascia.” 28 The two other plaster molds of children’s faces were found in the tomb of C. Valerius Herma, a freedman and owner of the most opulent and important tomb in the necropolis under Saint Peter’s Basilica in Rome (fig. 6).29 The mausoleum of around 160 AD is inscribed: “Valerius Herma made this tomb for himself, his wife Flavia Olympia, daughter of Titus, his daughter Valeria Maxima, and his son C. Valerius Olympianus, and for his freedmen, freedwomen and their descendants.” 30 The two funerary molds are probably of his own two children who died, according to fragmentary inscriptions, at the age of 12 and 4.31 Both show a certain resemblance to the marble portrait of a bearded man like­ wise found in the tomb and probably depicting Valerius Herma.32 Another plaster mold of a very young infant was found in a sarcophagus in Paris 26 Drerup 1980, 81–129. 27 Dasen 2010, 125. 28 D(IS) M(ANIBUS) / ET MEMORIAE / CL(AUDIAE) VICTORIAE / QUAE VIXIT ANN(OS) X / MENS(ES) I DIES XI / CLAUDIA SEVERI / NA MATER FILIAE / DULCISSIMAE / ET SIBI VIVA FECIT / SUB ASCIA DEDI/CAVIT (CIL 13.2108) – “sub ascia” meaning that the monument was still under construction. The facial cast was broken during its recovery from the opened tomb in 1874. For a modern plaster cast taken from the fragmented mold see Dasen 2010, 125–127. 29 Mielsch/Hesberg 1995, 143–208 (mausoleum H). 30 C(AIUS) VALERIUS HERMA FECIT ET / FLAVIAE T(ITI) F(ILIAE) OLYMPIADI CONIUGI ET / VALERIAE MAXIMAE FILIAE ET C(AIUS) VALERIO / OLYMPIANO FILIO ET SUIS LIBERTIS / LIBERTABUSQUE POSTERISQ(UE) EORUM. Eck 1986, 245–293, 256–258. 31 Ibid. The other possibility is that the funerary plaster molds belonged to other children of Valerius Herma’s domus, some of which are mentioned in inscriptions, see Dasen 2010, 128. Both molds and casts are in the Vatican, inv. no. 229 and 232. 32 Mielsch/Hesberg 1995, 186–190, 198, figs. 230, 231. 252 6 Modern plaster cast of a Roman facial mold, found in the tomb of Valerius Herma, Vatican, circa 160 AD (after Mielsch and van Hesberg, 1995, p. 253) in 1878, probably from the third century AD, together with remains of a glass feeding bottle.33 Although it is very difficult to take a facial plaster cast of a small baby, it appears that this mold was in fact taken al vivo; there is a round hole in the middle of the mouth, perhaps produced by the insertion of a straw, which would have allowed the child to breathe during 33 First published together with Drerups’s molds of children in Dasen 2010, 131–133, fig. 5.8(a) and 5.89(b). Plaster mold and modern cast are preserved in the Musée Carnavalet, Paris (AP 75). K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 253 the procedure.34 The same might have been the case for the mold of the smaller child in Valerius Herma’s tomb (fig. 6): It shows an asymmetry of the upper lip, with its right part lifted slightly higher, again perhaps result of the use of a straw to make breathing possible while taking the mold al vivo –35 a techné also underlying the production of imagines maiorum, an image type firmly established in Roman culture since republican times. The imagines maiorum, documented in sources by Polybius, Pliny the Elder, and others, are usually described as cerae vultus – faces cast in wax. They were produced from indexical plaster molds and then kept in armaria to be found in the atriums of the patricians’ homes in republican Rome.36 They were images of utmost likeness with the individual face whose traces they preserved, while also documenting family likeness.37 The imagines were not mortuary images, nor were they masks in the sense of antique theatre masks.38 They would not be worn on the face but carried as objects, sometimes framed, in processions on occasions like public funerals, from the republican period to the end of the second century AD.39 The expressi cera vultus Pliny the Elder refers to in his Natu­ ral History were freestanding wax portraits, most likely produced from a plaster mold; a large number of them were probably incorporated into busts for display in the armarium.40 Portraits made with the help of death masks are not mentioned in any of the antique Roman sources; instead, imagines majorum were, it seems, produced during the lifetime of eminent individuals – they were portraits al vivo, generated on the faces of living 34 The procedure of taking plaster molds of faces in order to cast portraits is described in great detail in Cennino Cennini’s famous treatise on painting, Il libro dell’Arte, of the late Trecento, chapters CLXXXI–CLXXXV. 35 Dasen 2010, 130 and fig. 5.6(b). 36 See Flower 1996; Blome 2001, 305–322; Dasen 2010, 109–110; Drerup 1980, 81–129. 37 Molds like these were probably used for the production of busts in wax or plaster, perhaps also as the basis of marble busts produces post mortem. We do not know to what extent they also bore conventional features associated with ethic qualities such as fides, gravitas, severitas. 38 For a discussion of the different and sometimes contradictory definitions of the imagines maiorum see Flower 1996, 36, n. 26. See also Boethius 1942, 226– 235; Brommer 1953–54, 163–71; Lahusen 1985, 261–289; Dasen 2010, 109–115. 39 Rawson 2003, 335; Flower 1996, 263–269. 40 Pliny the Elder, Naturalis Historia, 35.153, credits Lysistratos of Sicyon with the invention of similitude reddere instituit, creating images of proper likeness. 254 individuals.41 They probably resembled, at least by the first century BC, the bust portraits so abundantly produced and on display in the homes and public spaces of the Roman World, many of which, in turn, might have been made with the help of casts.42 By the end of the Roman Republic, individual images of children evolved as a new genre closely related to funerary representation.43 Children had conquered a prominent place in Roman society and its pronounced dis­ play of social standing, lineage, and moral values. Ambitious parents began to commission laudatory epitaphs on their prematurely deceased children. As the formal laudatio funebris at the forum was not permitted for children, parental and family pride found its expression in inscriptions praising the children’s intellectual accomplishments, professional achievements in the case of slave boys, and mourning the lost potential of promising offspring.44 The ideal of the puer senex, a child wise beyond his or her age, became a prominent laudatory trope on many a tomb, in particular on those of freed­ men, for whom a prolific progeny and the visual representation of young descendants compensated for a lack of noble ancestry.45 Pliny the Younger reports an interesting case in which a wealthy father, the Roman delator M. Aquilius Regulus, apparently used his young son’s death to promote his own career. Regulus, whom the sources paint as just the opposite of a loving and caring father (he put his son up for adoption before the boy died unexpectedly), sets in motion an unprecedented machinery of image production to publicity underscore the mourning of his son’s death.46 Pliny writes: He took it into his head that he would have statues (statuas) and busts (imagines) of him by the dozen; immediately, all the artisans in Rome are set to work. In colours, wax, bronze, silver, gold, ivory, marble, the 41 See Flower 1996, 58, 330–331 for the case of Cn. Calpurnius Piso. 42 Pliny, our major authoritative source on artistic production in the first century AD, describes the imagines with the term vultus, for face, not persona, for mask. See Dasen 2010, 113–115. Drerup 1980, 112, interprets the descriptions of the display of imagines maiorum during solemn processions as a parade of life­like, dressed mannequins. 43 See here in particular Rawson 2003; Rawson 1997; Evans 1991, 166–170. 44 Examples given in Dasen 2010, 122–124; Rawson 1997, 223, fig. 9.9; Rawson 2003, 47; 206: fig. 1.10; 59: fig. 5.10. 45 Carp 1980, 736–739. 46 Rawson 2003, 332–333. K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 255 young Regulus is depicted again and again (illum coloribus, illum cera, illum aere, illum argento, illum auro, ebore, marmore effingit).47 The images, together with eulogies written by the father and meant for public reading, were distributed widely – a rather obvious overcompensa­ tion for the lack of a proper family ancestry, let alone a guilty conscience. The portraits produced in the wake of young Regulus’s death were not mere funerary objects; their sheer number suggests that they were, most likely, to be displayed in domestic spaces.48 We do not know for sure if the bust of Martial was part of a tomb structure or meant for display in a Roman household. Yet its execution in fine marble suggests some sort of public display. An object similar to the portrait of Martial was found in the aforementioned tomb of Valerius Herma and his household: an originally (at least in part) gilded portrait bust of a boy, sporting the ‘horus lock’ (fig. 7).49 While the object differs from the bust of Martial in that it is a plaster bust, perhaps made after the facial cast of the older child found in the same tomb, the similarities in the overall image concept are rather striking.50 Be that as it may, the bust of Martial with its pleasant and individual features seems to have been made after an image al vivo, which would in all likelihood have been a cast. Dasen’s conclusion for the group of images found in the tomb of the Valerii – that “the molds in the Vatican’s necropolis may thus witness the appropriation of elite habits in non-elite families who ordered inexpensive plaster or wax portraits of children” – may likewise apply for the bust of Martial and its more precious and enduring material.51 Freedmen, like the tremendously rich Valerius Herma, had a special taste and a strong motivation for self­ representation, trying to surpass the ancient families with a particular emphasis on making up for the deficit of a family history. With a lack of 47 Pliny the Younger, Epistulae, 4.7. “The excessive mourning of the child reflects the political ambition of his father who used the obsequies for his personal promotion.” Dasen 2010, 124. 48 Ibid. The first extant sculpted funerary portraits of children go back to the Julio­Claudian period. 49 Drerup 1980, 87, pl. 37,2; also in Mielsch/Hesberg 1995, 196, n. 6, figs. 240–242. 50 Dasen 2010, 138, fig. 5.11(a) and 5.11(b). She argues, however, that both might not date from the same time period, with the gilding and the hairstyle of the plaster bust indicative of a later period, perhaps the beginning of the third century AD. 51 Dasen 2010, 136. 256 7 Gilded Roman plaster bust of a boy with ‘horus lock,’ found in the tomb of Valerius Herma, Vatican (after Dasen, 2010, fig. 5.11 (a)) K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 257 lineage and ancestral imagery, portraits of children became increasingly important in promoting future promise; they were a key capital of social climbers. By way of substituting the veristic imagines maiorum exclusively dedicated to male ancestors with images based on casts of women and children, a diversification of ‘realistic’ Roman image culture took place, alongside a diversification of types of funerary images. Valerius Herma’s mausoleum boasts a mix of different types of family and household portraiture: free standing plaster busts of children and adults, reliefs in marble, and full­body sculptural portraits in stucco positioned in niches. Hence, the presence of masks, plaster and (lost) wax casts in such tombs does not come as a surprise. Perhaps changes in beliefs and concepts of the afterlife provide another explanation for the coexistence of indexical death masks and casts and funerary portraiture of children in Roman Imperial mausoleums of the first centuries AD.52 Most likely, portraits bearing inscriptions like Martial’s were also part of mourning processes and coping strategies after a child’s death. While not everyone went as far as M. Aquilius Regulus, the desire to keep alive the memoria of a dear child, male or female, by means of an image close to life is palpable in an array of antique written sources. The consolatory potential of images – a human constant – is addressed exemplary in Seneca as he discusses the diverging reactions of Livia and Octavia to the deaths of their respective sons: While Livia “did not cease to make frequent mention of the name of her Drusus, to set up his portrait in all places, both public and private, and to speak of him and listen while others spoke of him with the greatest pleasure: she lived with his memory,” Octavia refused consola­ tion and renounced worldly life: “Not a single portrait (imago) would she have of her darling son, not one mention of his name in her hearing.” 53 Martial’s image, like the two captivating busts of children in the Cleveland Museum of Art (fig. 8) and the Davis Museum at Wellesley College (fig. 9), I suggest, reflect new forms of both “Trauerarbeit” (Freud) and public memoria in Roman antiquity.54 In particular the Cleveland 52 Drerup 1980, 91–92 gives examples of such mortuary casts and the resulting funerary portraits. 53 Seneca, To Marcia on Consolation, 3.3 (for Livia), 3.42 (for Octavia). 54 The bust in the Davis Museum, Wellesley College, is dated to the third century AD; height 45 cm, marble, gift of Mrs. William H. Hill, object no. 1924.22. The Cleveland bust (J.II. Wade Fund, CMA 51.288) measures 52 cm in height, includ­ ing base and pedestal. See also Wood 1981, 286–302; Fittschen 1992, 301–305; catalogue entries no. 147, 148, in: I, Claudia: Women in Ancient Rome 1996. 258 8 Portrait Bust of a Child (girl?), circa 250–275 AD, marble, Cleveland Museum of Art K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 259 9 Roman bust of a child, 200–300 AD, marble, Davis Museum at Wellesley College 260 10 Portrait Bust of a Child (girl?), profile view, circa 250–275 AD, marble, Cleveland Museum of Art bust is a highly finished, artful marble object, a meticulously crafted, individualized portrait of a child of maybe two or three years. Both the Cleveland and Wellesley busts have been compared several times as they share the same, somewhat contradictory combination of girdled dress and K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 261 11 Desiderio da Settignano: Bust of a boy (Christ child?), circa 1460, National Gallery of Art, Washington short haircut. While the chiton and high belt tied just below the chest are typical of antique portraits of girls, the objects’ very short hair and overall looks are typical of portraits of boys. They depict, perhaps, boys in a state of apotheosis as Cupid or Apollo, or they may be girls apotheosized as Diana.55 The object in Cleveland (fig. 10) gives us a good idea of the level of care and skill invested into Roman children’s portraits in the first centuries 55 Wood 1981, identifies them as boys whereas Fittschen 1992, thinks that they are girls, mainly because none of the apotheosizing portraits we know from the second and third centuries show chitons, and the cropped hairstyle is not necessarily an indicator of male sex. 262 AD, objects whose lifelike appearance, sensory qualities, and aesthetic appeal Renaissance artist such as Bernardo Rosselino and Desiderio da Settignano (fig. 11) attempted to rival, equally blurring the lines between the divine and profane, as in many cases it is unclear whether they are images of Christ child or individual portraits of Renaissance children.56 While the antique portraits discussed above aim at a perpetuation of an individual child’s looks and appeal during life – the sweetness, loveli­ ness, and promise addressed in commemorative inscriptions combined with an accuracy (perhaps with an emphasis on family likeness) gained by the use of life masks – other objects, much fewer in number and lesser known, point in a different direction. The two images – one from Roman antiquity, one from the Renaissance – that I will discuss in my concluding paragraphs show very young children of around one year, babies still. The contrast to stub­nosed Martial with his big open eyes and erect posture could not be more pronounced: These babies are dead. The first object is in the British Museum (fig. 12 and 13), an unusual marble relief en buste, almost fully in the round, dated to the first or second century AD.57 It shows a toddler with soft, short baby hair, chubby cheeks yet closed and sunken eyes, its arms tapered in a 45­degree angle just below the armpits, not unlike the bust portraits with angled lower ends in the style of Martial. The portrait’s somewhat ghoulish look results in part from the horizontal slit in the eyes, almost as if the dead child’s eyes had not been closed completely. To my knowledge, the object is singular in that it depicts a life­size dead baby boy in the medium of an almost fully three­dimensional marble bust relief.58 Our little dead boy is wearing a cord across his chest to which crepundia are attached, apotropaic amulets 56 For the Renaissance busts see in particular Coonin 1995, 61–71 and Kohl 2011, 89–101. Wilhelm von Bode was the first to utter the idea that many of the objects might be crypto­portraits of young sons of the Florentine elite in the disguise of Christ Child and San Giovannino, see Bode 1928, 154–161. 57 British Museum, reg. no. 1805,0703.110. The object is not on display and was acquired in 1805 from Peregrin Edward Towneley; see http://www.britishmuseum. org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=3990 17&partId=1&searchText=1805,0703.110&page=1 (last access: January 4, 2016). 58 The lack of comparable objects might have led the Museum to label the object as “marble bust of a sleeping child,” which seems rather unlikely. For early sources see: http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/ collection_object_details.aspx?objectId=399017&partId=1 (last access January 6, 2016); Smith 1904, 171, no. 1930; Walker 1985, 50 (description, comment on amulets); Goette 1989 (2), 465–466, figs. 15–16. K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 263 and charms, which probably also served the purpose of identification of lost children. Perhaps the boy was already sick or had a serious condition, and the parents might have equipped their son with charms to prevent evil and shield him from harm. With its height of 26 centimeters it could have been part of a child’s tomb, yet without an inscription it is impos­ sible to identify the child or reconstruct its context.59 Contrary to the vast majority of other sculpted portraits of children in Roman antiquity, the relief of a toddler in the British museum depicts a dead child, in all likelihood based on a death mask. It reveals a practice quite different from both the lifemasks used for imagines maiorum and those related to images of sweet and lively children on and in Roman tombs. Here, the face of death was not avoided – on the contrary, it was translated into a marble object by an able sculptor. The ideal of the cheerful, promising, sweet child propagated in so many of the children’s portraits from Roman antiquity had a profound impact on Renaissance sculpted portraiture of children. Yet there is one extant sculpted portrait of a baby boy, probably of the early to mid 16th century, which shares an astounding similarity with the boy wearing crepundia from roughly 1500 years earlier.60 The bust portrait is fully in the round and shows an infant of no more than nine months or a year (figs. 14 and 15).61 The well­fed and handsome boy’s face bears the stamp of death. The sunken eyes, the relaxed musculature, the somewhat pointed nose and the folds of fat around the neck pushed down from the dimpled chin indicate the use of a death mask as model for the marble portrait.62 The 59 For a comparison see the funerary portrait of Iunia Procula, who died at the age of eight – a relief portrait (al vivo, though) integrated into a funerary altar from the Flavian Period, in: Rawson 2003, 47–48, fig. I.II, or the relief portrait bust of Julia Victorina wearing a lunar symbol on the front of her marble funer­ ary altar from the late 1st century AD in the Louvre, Paris (CIL 6.20727). 60 The object, which is in the depot of the Museo Nazionale del Bargello in Florence, has been published rarely, with a brief discussion only in Langedijk 1974, 379–383. She attributes the work to Domenico Poggini and identifies it tentatively as Filippo de’Medici. See also Langedijk 1981, 849, no. 7. 61 I would like to thank Joerg-Elard Otten, pediatric maxillofacial surgeon from the University Clinic of Freiburg/Germany, for sharing his thoughts on the boy’s age and his overall appearance with me. He agrees that the portrait depicts a dead child. 62 The dark spots on the rear right shoulder and head are dirt. The object shows an old inventory number with a date from the 1770. The Bargello inv. no. is 1897, no. 66. It is mentioned in an inventory of 1825, see Langedijk 1974, 379, n. 4. 264 12 Bust of a dead child wearing crepundia, 1st or 2nd century AD, marble, British Museum, London (not on display) K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 265 13 Relief­Bust of a dead child wearing crepundia, profile view, 1st or 2nd century AD, marble, British Museum, London (not on display) 266 14 Bust of a dead child, possibly Pedricco de’Medici, mid­16th century, marble, Museo Nazionale del Bargello (not on display) 15 Bust of a dead child, possibly Pedricco de’Medici, profile view, mid­16th century, marble, Museo Nazionale del Bargello (not on display) K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 267 bust’s rigid, unmediated horizontal cut at the base is typical of 15th and early 16th century bust portraits in Florence – before the development of more ‘artificially’ rounded or angled lower contours in the style of antique Roman portraiture as they became popular in the later Renaissance and Baroque periods.63 Other than that, the Bargello baby boy seems to be a brother across times of the toddler in the British Museum. Clearly, in both cases the parents, if we assume they commissioned the works, wanted to have an enduring image of their dead child in pre­ cious marble, remembering the lost son in a work of art. A fact that can be explained only with special affection, high aspirations, and the strong wish to preserve the individual boy’s unidealized facial features as an ex­ pression of the full scope of their loss. Both objects, I suggest, epitomize the importance of childhood and its intrinsic values not just in a dynastic but perhaps also in a more private, emotional sense – “Trauerarbeit” through monuments of personal loss.64 Just how much the loss of a child could affect parents is illustrated by an episode from Renaissance Venice: On January 1st in the year 1461, in a noble palace on the Canal Grande, Valerio Marcello died.65 Valerio, scion of one of the wealthiest and most influential families in Venice, had barely reached the age of eight years. Given the high child mortality, his death could have been one tragic incident among others a family was prepared for. In this case, however, things were different. His young son’s death left the father, Jacopo Antonio Marcello, in total agony. Jacopo, a high­ranking Venetian politician and provedditore, fell in a hopeless state of depression about the death of his beloved son. The news of his grief spread quickly, and a series of consoling letters and literary works were sent to him.66 Yet his grief did not lessen and he did not find consolation in the artfully crafted, well­meaning words of solace. Thus, after three years of mourning, he decided to create a literary monument to his son’s death and his own love and grief, comprising 14 of the consolatory letters and his own response.67 In an unprecedented manifestation of fatherly 63 This new formal concept is an adoption from reliquary busts and their usu­ ally horizontal footprint. See Lavin 1970, 207–226; Kohl 2007 (1), 9–30. 64 The term was coined by Sigmund Freud in his study “Trauer und Melan­ cholie” of 1915. 65 Margaret King has dedicated an entire, fascinating book to the episode, King 1994. 66 King 1994, 173–202. 67 King 1994, 24–59. 268 love, Jacopo’s response to his consolers reveals massive tensions between the social expectations demanding stoic acceptance of the fact of death from a man on the one hand and his wish to grieve freely on the other. The special and loving bond between father and child and the father’s emotional incapacity to accept his son’s death both thoroughly under­ mine common notions of Renaissance childhood and upbringing as being coined by rigid patriarchal education of emotionally detached fathers. If we subtract the traits of Renaissance self­fashioning within Jacopo Marcello’s testimony, what remains is a touching literary monument of death experienced as tragedy, and of a Renaissance father trying to deal with his human sensations of love, loss, and grief.68 Caroline P. Murphy vividly describes the family life of the Medici under Duke Cosimo I. in her inspiring book on the Medici princess Isabella.69 The early loss of several of her sons, who died as infants or were taken from her as adolescents, dashed the sprits even of a headstrong and robust woman such as Eleanor of Toledo, wife of Cosimo I. and mother of Isabella, also known as “la fecundissima” – the most fertile one.70 The mother of eleven children died in Pisa on December 17, 1562, only nine days after her fifteen-year old son Garzia and four weeks after her second eldest son, Cardinal Giovanni de’Medici had both fallen victim to ma­ laria – a blow of fate that had dangerously weakened the forty­year old duchess. One particular beloved child of hers, Pedricco, named after her father Don Petro Alvarez de Toledo, had died at the age of ten months in June of 1547.71 The child was praised as strikingly beautiful and healthy in contemporary letters.72 Cosimo I. and Eleonora had a great sense for dynastic representation, as can be seen from the number of portraits by Bronzino and other court artists showing the elegant mother together 68 For a discussion of the role of affective ideals in paternal education of the Renaissance see Armon 2008, 213–227. 69 Murphy 2008. 70 See Edelstein 2004, 71–97. 71 Piero de’Medici, called Pedricco, was born on August 7, 1546 and died on June 9, 1547. He was the second child, and the first son Cosimo I. lost after the death of his beloved daughter Bia. See http://documents.medici.org/ document_search_results.cfm and http://www.palazzo­medici.it/mediateca/en/ Scheda_Cosimo_I_(1519–1574) (last access Nov. 30, 2016). 72 See the letter from Pier Francesco Riccio to Cristiano Pagni of Nov. 30, 1546, when Pedricco was almost four months old. http://documents.medici.org/ document_search_results.cfm. K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 269 16 Agnolo Bronzino: Eleonora di Toledo with her son (Giovanni de’Medici?), circa 1546, oil on panel, Galleria degli Uffizi, Florence 270 with her beautiful little sons, presented as her pride and joy (fig. 16).73 Given the family likeness with several of the Medici children painted by Bronzino, I suggest that the bust of a dead boy in the Bargello collections is likely to be a posthumous portrait of Pedricco de’Medici, produced after his death mask.74 This is all the more plausible as we know that a death mask was taken from Cosimo I.’s favorite daughter Bia, Pedricco’s half-sister, who died on March 1, 1542 at the age of six.75 Her famous posthumous portrait by Bronzino was probably also based on this mask (fig. 17).76 Pedricco was certainly important and loved enough to qualify as the baby we see in the Bargello bust.77 The family likeness with his siblings in the portraits by Bronzino is indeed striking, as a comparison with the famous portrait of Don Garcia de’Medici of 1550 in the Prado (fig. 18) reveals, who would have been three years at the time. Their sons were the Medicis’ aspiring new line of rulers’ most im­ portant capital. Neither did they belong to the family branch of Cosimo il Vecchio’s descendants – Cosimo I., condottiere Giovanni dalle Bande Nere’s son, was from the ‘cadet’ branch of the Medici family – nor could they boast a long noble lineage: Cosimo I. was only the second duke of Florence after the assassination of Alessandro de’ Medici in 1537. Compared to the ancient nobility of Rome and the lords of the courts in central and Northern Italy he was so eager to marry his daughters off to, Cosimo was nouveau riche, an arrivé with no bloodline and few aristo­ cratic credentials. His spouse and children were his capital: His Spanish wife Eleonora had produced dutifully and abundantly, and three of her 73 See in particular Heikamp 1955, 133–138. Several of the images of Eleonora and her male children Francesco, Giovanni, Garzia, and Ferdinando, painted from age 4 onward, were painted and reproduced in two or three versions to be sent to important allies such as the pope, ibid., 134. 74 No other images of Pedricco have survived – not a surprise given that he died at only 10 months. A more comprehensive article on the bust of a dead baby in the Bargello is in production for 2019. I would like to thank Martin Kemp for directing my attention toward the children of Cosimo I and Eleonora of Toledo. 75 The standard sourcebook for the Medici under Cosimo is Pieraccini 1924– 1925. In the last line of his entry on Bia de’Medici, Pieraccini records: “Sul cadaverino fu presa la maschera in gesso,” (“On her body her death mask was taken in plaster”), ibid., vol 2, 80. He cites as his source Conti 1893, 117. 76 An assumption shared by Murphy 2008, 34. 77 Langedijk 1974, 379, attributes the bust in accordance with Ulrich Middeldorf to the Florentine sculptor Domenico Poggini, who would have been 26 at the time of Pedricco’s death and already affiliated with the Medici. K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 271 17 Agnolo Bronzino: Bia de’Medici, circa 1542, oil on wood, Galleria degli Uffizi, Florence 272 18 Agnolo Bronzino: Don Garcia de’Medici, circa 1550, oil on panel, Museo Nacional del Prado, Madrid K O H L: MA R T I A L I V E R N A D U L CI SSI M O 273 sons would survive to become influential men; yet the losses of their other sons were events that were felt strongly in the close­knit Medici family whose line had previously been in danger of extinction. Not unlike the wealthy Roman freedmen, their offspring made up for the obvious lack of noble lineage. Hence, it does not come as a surprise that the marble bust of the little Medici boy in the Bargello is fashioned after the types of bust produced by the most famous artists for the descendants of Cosimo de’Medici a century earlier. Like those Quattrocento bust portraits, Mino da Fiesole’s portrait of Piero de’Medici of 1453 being the most famous of them, the bust of a baby shows the horizontal lower cut which was already about to go out of fashion in the mid-sixteenth century.78 It ties in perfectly with the famous bust portraits of the family’s brightest stars of the Quattrocento, which adorned the rooms in the Palazzo Medici, a reminiscence of family history, a tribute to the promise of Medici children and their role in future Florentine politics, but at the same time a state­ ment of personal loss and the tragedy of premature death. IMAGE C REDI T S 1–3, pl. 7 Digital image, courtesy of the Getty’s Open Content Program. 4, 12–13 © Trustees of the British Museum; 5 http://www.ashmolean.org/ ashwpress/latininscriptions/files/2014/08/3­90­colour­snap.jpg. 6 after Mielsch and van Hesberg, 1995, p. 253. 7 after Dasen, 2010, fig. 5.11 (a). 8, 10 The Cleveland Museum of Art, Purchase from the J.H. Wade Fund 1951.288. 9 Davis Museum at Wellesley College, Wellesley, MA. 11 https://images.nga.gov/en/search/do_quick_search.html?q=settignano 14–15 Museo Nazionale del Bargello, Florence. 16 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f0/Bronzino_­_ Eleonora_di_Toledo_col_figlio_Giovanni_­_Google_Art_Project.jpg. 17 after Langdon, Gabrielle: Medici Women. Portraits of Power, Love and Betrayal from the Court of Duke Cosimo I. University of Toronto Press, 2006, pl. 9. 18 after Eclercy, Bastian: Maniera. Pontormo, Bronzino and Medici Florence. London / New York 2016, pl. 99. 78 For more in­depths analyses of this type of Renaissance bust portraits, their forms, materials and agency see Kohl 2007 (1), 2007 (2), 2008. 274 BIBLIOGRAPHY Acquisitions 1985 Acquisitions/1985, The J. Paul Getty Museum Journal 14 (1986), 182–83, no. 9. Ariès, 1960 Ariès, Philippe: Centuries of Childhood: A Social History of Family Life. 1962 (French original 1960). Armon 2008 Armon, Chara: Fatherhood and the Language of Delight in Fifteenth-Century Italian Texts. In: Daniel S. Peterson, Daniel S. / Bornstein, Daniel E. (eds.): Florence and Beyond. Culture, Society, and Politics in Renaissance Italy. Toronto 2008, 213–227. Backe-Dahmen upcoming Backe­Dahmen, Annika: Initiation of Children into Roman Mystery Religions: The Isis Case (manuscript, in print). Blome 2001 Blome, Peter: Die imagines maiorum: ein Problemfall römischer und neuzeitlicher Ästhetik. In: Belting, Hans / Blome, Peter / Boehm, Gottfried (eds): Homo pictor. Munich 2001, 305–322. 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The third figure in the scene, a woman holding a pair of torches, suggests that we are in a nuptial setting, since Athe­ nian weddings took place at night, and most wedding scenes, whether mythological or generic, include one or more figures holding torches.1 Furthermore, the young woman wears a bridal veil. There are, however, no inscriptions on the vase. The krater is now in a private collection and has been given a full and careful description by Susan Matheson.2 Following a suggestion of Anneliese Kossatz­Deissmann in the LIMC,3 Matheson interprets the centaur and the woman as the bridal couple, Chiron and his wife Chariklo. The woman with torches is identified as Philyra, the mother of Chiron. This apparently straightforward reading nevertheless raises sev­ eral questions. As is well known, Chiron stands apart from all the rest of the race of centaurs, as a wise, dignified, and well-mannered figure (δικαιότατος Κενταύρων: Iliad 11. 832), in contrast to the savage creatures who wreaked havoc at the wedding of the Lapiths Perithoös and Deidameia, or the wily and lascivious Nessos, who tried to rape Herakles’ bride Deianeira and contrived the hero’s death with his dying breath. Chiron’s most important role in Greek myth is as the tutor and mentor of young heroes, most famously Achilles, but also Jason, Asklepios, Aktaion and others.4 But he probably could not have done this as a ‘bachelor’ centaur 1 Oakley/Sinos 1993, 26 and passim. 2 Matheson, in Padgett 2003, 200–202, cat. 38. I am deeply indebted to the krater’s owner for generously providing access to the vase, as well as the pho­ tographs reproduced here. 3 LIMC VII, 387, s.v. Philyra, no. 3. 4 For the ancient sources on Cheiron see LI MC I I I, 237, s.v. Cheiron [M. Ghisler­Huwiler]. 280 1 Attic red-figure bell-krater attributed to the Eupolis Painter. Private collection (cf. pl. 8) living alone in a cave, as the other centaurs seem to do. Rather, he has two important women in his life, his mother and his wife, Chariklo, who must have formed a kind of surrogate family for the young heroes when they were in Chiron’s care. But are these the two women on our krater? It must be said that in the repertoire of Greek art, neither Philyra nor Chariklo plays a particularly significant role. The first and only la­ beled depiction of Philyra came to light only some 25 years ago, with the publication of a remarkable pointed amphora of ca. 470 BCE, now on loan to the Metropolitan Museum in New York (Figs. 3–4).5 In a scene of the Wedding of Peleus and Thetis that wraps all around the body of the vase and comprises a variety of divine guests, Philyra stands in front of the house of her son Chiron, where the wedding will take place. Chiron 5 von Bothmer 1990, 168–71. Cf. LIMC VII, 38, s.v. Philyra, no. 1. S H A PIR O : P O R T R A I T O F A CE N TA U R 281 himself stands at the entrance to the house to receive the groom, Peleus, who solemnly leads his bride by the hand. The Copenhagen Painter has here revived a scene that harks back about a century, to Kleitias’s depiction of the Wedding of Peleus and Thetis on the François Vase as a procession of gods and goddesses in chariots and on foot, and to an even earlier version by Sophilos.6 Though these early scenes do not include a woman who could plausibly be Philyra, it is surely no accident that our only inscribed representations of her daughter­in­law Chariklo appear in these same early representations of the Wedding of 2 Detail of the krater in Fig. 1 6 Dinos signed by Sophilos: London, BM 1971.11–1.1; Williams (1983). François Vase: Florence 4209; ABV 76, 1; Shapiro / Iozzo / Lezzi­Hafter 2013, esp. pll. 23–26. 282 Peleus and Thetis.7 Chiron and his family were always intimately bound up with that of Peleus and Thetis, not least in ‘sharing’ the young Achilles.8 A fragment of a third vase also includes Chariklo, a dinos by Sophilos that must have depicted virtually the same scene as his well­preserved dinos in the British Museum.9 On all three, Chariklo is not alongside her husband Chiron, but instead she is together with three other mature goddesses, Hestia, Demeter, and Leto. Her presence is nevertheless significant, since the scenes are all about marriage, and Chiron’s wife should not be absent. Yet it is not clear how Sophilos and Kleitias knew about Chariklo, since she is not mentioned by name in Hesiod’s Theogony, the one poem where virtually every other figure on these vases can be found, much less in Homer, who makes only a few passing references to Chiron in the Iliad, mostly with reference to his medical knowledge.10 A Scholiast to Pindar and a fragment that may be from the pseudo­Hesiodic Catalogue of Women both say that Chiron was married to a Naiad, but without naming her.11 It seems to me there are several difficulties with seeing Chiron and Chariklo as a bridal couple on the Eupolis Painter’s krater (Figs. 1–2). The centaur places his right hand gently on the bride’s shoulder as he turns back to look at her. As Matheson observes, his mouth is slightly open “as he speaks words of encouragement.” 12 His is a tender gesture that at first seems to speak to us directly of the intimacy and affection of a happy couple on their wedding day. But to think this would be anachronistic, since this is precisely not how Greek artists depict bridal couples in this period.13 The pointed amphora discussed earlier is a better guide to the standard motif (Fig. 3): Peleus leads his bride by the hand, cheir’ epi karpoi, and instead of looking at her, he looks straight ahead, at Chiron.14 There is no trace of interaction or affection between bride and 7 Chariklo on the Sophilos dinos: Williams 1983, 23, Fig. 26; on the François Vase: Shapiro / Iozzo / Lezzi­Hafter 2013, pl. 25. 8 For scenes of Peleus (sometimes accompanied by Thetis) bringing the young Achilles to Chiron, see LIMC I, 45–47, s.v. Achilleus [A. Kossatz­Deissmann]. 9 Athens, Akr. 587; ABV 39, 15; Bakır 1981, 64–65; pl. 3. 10 4. 219, on Chiron giving special pharmaka to Asklepios, father of Machaon; 11. 832, on the medical skills that Chiron taught Achilles; and 16. 143; 19. 390, on the ashen spear given to Peleus by Chiron. 11 Schol. Pindar, Pythian 4. 182; Catalogue of Women Fr. 162 Most. West 1985, 136 argues that the poem was composed in Athens between ca. 580 and 520. 12 Matheson, in Padgett 2003, 200. 13 For the iconography of weddings see Oakley/Sinos 1993, esp. 45. 14 Above n. 4. For a detail see von Bothmer 1990, 170. S H A PIR O : P O R T R A I T O F A CE N TA U R 283 groom. The intimate rapport between woman and centaur on our krater must have a different meaning. A broader problem is that there is no reason to think that the “Wed­ ding of Chiron and Chariklo” was an episode recounted in the epic tradition, or anywhere else. That tradition is filled with elaborate tales of the weddings of heroes to goddesses or heroines: Menelaos and Helen; Kadmos and Harmonia; and of course Peleus and Thetis, the most glit­ tering wedding of them all. Poets and painters were not much interested in exploring the love life or marital status of a centaur. Chiron did, however, play a complex and recurring role in the story of Peleus and Thetis that can be reconstructed from a variety of literary and iconographical sources.15 When the young Peleus had gone to Iolkos in Thessaly, he was ill treated by the local king, Akastos, and his wife Hippolyta. She tried and failed to seduce Peleus, then lied to her husband that it was Peleus who had propositioned her (a motive better know from the story of Phaidra and Hippolytos, or Joseph and Potiphar’s Wife in the Old Testament). As punishment, Akastos lured Peleus to Mt. Pelion and there hid his sword, so that he would be prey to the wild centaurs living there.16 It was Chiron who saved Peleus’ life by returning the sword to him. Later, when the gods had decided to marry Thetis off to the mortal Peleus, much against her will, they chose Chiron as the intermediary to inform Peleus of his good fortune and advise him on how to overcome her shape­shifting attempts to elude his grasp – a favorite motif of the vase­painters.17 And finally, it was at Chiron’s cave on Pelion that the wedding would take place. Chiron was thus involved every step of the way in the early life of Peleus and his courtship of his bride. Thetis was the daughter of the sea god Nereus, who does attend her wedding on the François Vase, together with his wife Doris, though in the back half of the procession.18 Who better than Chiron to play the role of the father of the bride, to counsel her before the wedding, as I believe we see him doing on our bell­krater? Thetis was never thrilled with the choice of a mortal hero for her husband, even though, according to one tradition, the gods chose Peleus for his extraordinary virtue (εὐσεβέστατον: Pindar, Isthmian 8. 40). With a gentle 15 For a thorough treatment see March 1985, 3–26. 16 For scenes of Peleus “treed” by wild beasts see LIMV VII, 253, s.v. Peleus, nos. 9–10. Cf. Pindar, Nemean 4. 59–61 for Chiron’s rescue of Peleus. 17 Krieger (1973). 18 Shapiro / Iozzo / Lezzi­Hafter 2013, pl. 25 284 3 Attic red­figure pointed amphora attributed to the Copenhagen Painter. Collection of Shelby White, on loan to the Metropolitan Museum of Art, New York S H A PIR O : P O R T R A I T O F A CE N TA U R 285 4 Attic red­figure pointed amphora attributed to the Copenhagen Painter. Collection of Shelby White, on loan to the Metropolitan Museum of Art, New York 286 gesture and words of reassurance, Chiron prepares her for the (unseen) groom who is like a son to the wise centaur.19 To quote Matheson once again, “their relationship seems to be one of trust.”20 But it is not the trust of a bride and groom, but rather the trust placed by Thetis in the one individual who has not betrayed her. According to our sources, Thetis had resisted the advances of Zeus out of respect for Hera, who, as Homer tells us, had virtually raised Thetis from a child (Iliad 24.59–60).21 But even Hera could not prevent her husband from marrying Thetis off to a mortal man. Chiron had won the trust of Peleus with his steadfast protec­ tion and counsel, and it is in Chiron alone that Thetis also puts her trust. Although the literary sources do not discuss precisely how the rela­ tionship between Thetis and Chiron evolved, a hint may be offered by a pair of vases of an earlier period. Because of the overwhelming number of depictions of Peleus struggling with Thetis as she changes shape, of­ ten in the presence of Chiron casually observing, we may be inclined to imagine that Peleus literally wrestled his bride to the altar, like an ancient version of Shakespeare’s Taming of the Shrew. But these two vases suggest a longer and more conciliatory sequence of events. On the Berlin Painter’s stamnos in Palermo,22 Peleus leads Thetis by the hand toward Chiron, who, with a sweeping gesture of his right hand, gives her a hearty welcome. Thetis daintily holds out the edge of her garment with one hand and does not offer any resistance. The ‘taming’ is accom­ plished, and Peleus introduces his future wife to the kindly centaur who has been his benefactor and will now take the bride under his … haunches. The second vase, a generation earlier and attributed to the black-figure Acheloos Painter,23 offers a somewhat puzzling antecedent to the scene by the 19 The deliberate omission of a key figure in the story (Peleus) is not an ob­ stacle to this interpretation. One need only think of Sophilos’s dinos in London (supra n. 5), where the bride, Thetis, is nowhere to be seen. To think that Kleitias “corrected” this omission by putting Thetis inside the house on the François Vase would be to misunderstand the varieties of narrative techniques with which Attic vase-painters experimented. For a parallel closer to the date of our krater, one might consider the well­known epinetron that is the name­ vase of the Eretria Painter: Athens NM 1629; ARV 2 1250, 34; Simon­Hirmer 1981, 146–47, pl. 216. There are two ornate scenes of weddings, Harmonia and Kadmos, Alcestis and Admetos, but in both cases the bridegroom is absent. 20 Matheson, in Padgett 2003, 200. 21 March 1985, 8. 22 Palermo V 762; ARV 2 207, 139; LIMC III, 240, s.v. Cheiron no. 40 and pl. 190. 23 Berlin F 1900; ABV 385, 27; LIMV VII, 265, s.v. Peleus, no. 196; pl. 203. S H A PIR O : P O R T R A I T O F A CE N TA U R 287 Berlin Painter. At the right, a rather animated Peleus approaches Chiron with a spring in his step and thrusts a bud under the centaur’s nose. With his left hand Peleus gestures toward his own nose, as if to emphasize the sweet smell he now shares with Chiron. Behind Peleus follows Thetis, likewise moving briskly and with no sign of reluctance. The torches in both of her upraised hands must be a proleptic reference to the impending wedding. None of the figures is labeled (though there are many nonsense inscriptions run­ ning throughout the scene), but one hint at their identities is that Thetis is slightly taller than her future husband, as befits her status as a goddess. The rectangular picture field is abbreviated at both left and right, with Chiron’s horse body, at right, and the back end of a quadriga, at left, beside which stands a bearded male, cut off at the decorative border. This illusionistic device is a favorite among certain black-figure painters in this period.24 We now understand that the torches held by the woman at left on the Eupolis Painter’s krater have a proleptic meaning as well (Fig. 1). That is, this is not a wedding scene per se. The image is complete in itself and does not require us to think that it has been excerpted from a larger scene of the wedding, with Peleus lurking somewhere out of sight. It is a quiet moment shared by Chiron and Thetis as she mentally prepares herself for the wedding that is quickly approaching. The empathy and psychological insight conveyed by the artist are indeed rare in Attic vase­painting, but it is precisely in this period that other examples may be found.25 The torch­bearer on the krater could in fact be Chiron’s wife Chariklo. As Kossatz­Deissmann pointed out, this woman’s hairstyle is not that of a mature woman like Philyra,26 as Matheson would have it, but it would suit the younger Chariklo. The reverse of the krater shows, as often in this period, a less ambitious and less finely drawn grouping of three figures. The white-haired and white-bearded man in the middle (most of the white has flaked off), carrying a staff, could be Thetis’s father Nereus, surrounded by two of her sister Nereids. The figure of Chiron here is remarkable in several ways. As early as Sophilos, Chiron had distinguished himself from the other centaurs, wild and naked creatures of nature, by wearing men’s clothing over the 24 Cf. the hydria belonging to the Leagros Group with the sacrifice of Polyxena, Berlin F 1902; ABV 363, 37; LIMC VII, 433, s.v. Polyxene, no. 22; pl. 347. 25 Cf. for example the scene of Helen’s conflicted emotional state when she first glimpses Paris arriving at the Palace of Menelaos: cup, Berlin F 2536; ARV 2 1287, 1. I have illustrated and discussed this scene in Shapiro 2005, 52–53, Fig. 5.12. 26 LIMC VII, 387, s.v. Philyra, no. 3. 288 human portion of his body that often masks the transition from man to horse.27 Here his only garment is an animal skin draped artfully over the left shoulder. In keeping with a new trend in vase­painting after the middle of the fifth century, his only human part is from the waist up; there are no human legs as had been the norm for Chiron in the Archaic period, starting with the dinos by Sophilos, and continuing well into the Classical.28 Yet at the same time that Chiron’s body belongs more than ever to the animal world, his head is an astonishingly sensitive portrait of a mature man who finds himself in a very delicate situation. Several physiognomic elements of Chiron’s head and face that belong neither to the norms of Greek men nor to those of centaurs make this de­ piction of Chiron unique. One is struck, for example, by the gently hooked nose that is unlike the standard nose of a Greek man (or woman), a straight line running down from the forehead and sometimes curving slightly up­ ward at the tip. There are no aquiline noses on Greek vases, like that of, say, Kleopatra VII of Egypt,29 though we shall shortly see a spectacular example of one in the art of the Classical period. Chiron has a slight indentation at the bridge of the nose, just enough to give him some ‘character.’ It is, of course, not the snub nose of some centaurs that assimilates them to the model of satyrs. The closest, though not exact, comparisons for Chiron’s nose are two examples that are both associated with Thrace. In the decade after the Persian Wars, a new iconography is created by red-figure vase-painters for the Thracian wind god Boreas, in scenes of his abduction of the Athenian princess Oreithyia.30 In addition to the wildly wind­blown hair and beard, the earliest instance of the subject, on a well­known pointed amphora in Munich, gives Boreas a hooked nose.31 A second, even more exaggerated example is the depiction of a Thracian nurse holding the head of the deceased woman on an equally famous funerary loutrophoros in Athens.32 All commentators have called atten­ tion to the indications of her advanced age (sagging flesh), servile status (close­cropped hair), and Thracian origin (tattooed cheek, reddish hair). But not all have observed her decidedly un­Greek nose.33 27 28 29 30 31 32 33 Williams 1983, 24, Fig. 27. See Schiffler 1976, 37. See Smith 1988, 132–34. Kaempf­Dimitriadou 1979, 36–37. Munich 2345; ARV 2 496, 2; CVA (Munich 4) pl. 207, 2 for a detail of the nose. National Museum 1170; ARV 2 512, 12; CVA (Athens 2) pll. 21–26. See especially Pfisterer­Hass 1989, 27, who questions whether the “tattoo” S H A PIR O : P O R T R A I T O F A CE N TA U R 289 I am not suggesting that Chiron is here intended to be characterized as a Thracian, only that he diverges, with respect to his nose, just enough from the Athenian norm to be a highly individualized figure. In a some­ what similar way, the figure of Chiron on a calyx-krater by the Niobid Painter wears high-laced boots with leather flaps that have a Thracian association.34 Yet nothing else in his rather distinguished appearance (including a prominent wreath in his hair) suggests a Thracian, only a touch of exoticism implied by the boots. In fact, both Boreas and the Thracian slave woman have a large and thick nose, not merely crooked, in comparison with the Greek ideal, presumably as traits of their barbarian nature, while Chiron’s nose is delicate and well proportioned, with just a slight departure from the perfectly straight Greek nose. Something similar could be said of his hair and beard. While at first glance the hair looks unkempt and the beard long and straggly in comparison with the Greek citizen or heroic ideal, a closer look suggests that both are quite artfully arranged and carry a particular message. The hair is thick in the back and at the side, completely covering the ear, so that we cannot tell if it was human or equine, ending in a fringe of short locks. From the crown, the hair is combed forward and ends in a neat row of bangs across the forehead. The mustache does not simply merge into the beard, as is almost always the case, but is rendered in dilute glaze and looks as if it has been trimmed just enough to cover the upper lip but no more. The overall impression is that of a dandy who is just past his prime. Our krater falls into a period when Greek sculptors had only recently begun to create individual portrait types for contemporary notables. One thinks especially of Themistokles and Pindar in the generation before our vase and Perikles a few years later.35 In addition, there are retrospec­ tive portraits created in the years before and after the middle of the fifth century, such as those of Homer and Anakreon.36 We will not find a single might be just wrinkles in the face, but notes especially the un­idealized nose. That Athenian painters were not far off in their depiction of hooked­nosed Thracians is now confirmed by a recently excavated bronze portrait head of the Odrysian King Seuthes III, dated to the end of the fourth century: Sofia, Bulgarian Academy of Sciences inv. No. 8594; Daehner/Lapatin 2015, 202–203, cat. 9 [M. Reho]. 34 Boston 1972.850; Prange 1989, 188, N34, pl. 36; LIMC III, 240, s.v. Cheiron, no. 33; pl. 189. 35 Richter­Smith 1984, 210–211 (Themistokles); 177–80 (Pindar); 173–75 (Perikles). 36 Ibid., 140–41 (Homer, Epimenides Type); 83–86 (Anakreon). 290 5 Bronze head from the Porticello Shipwreck. Reggio Calabria, Museo Archeologico Nazionale S H A PIR O : P O R T R A I T O F A CE N TA U R 291 6 Bronze head from the Porticello Shipwreck. Reggio Calabria, Museo Archeologico Nazionale 292 portrait type that matches all the features of Chiron, but it seems to me very likely that such early experiments in individualized, physiognomic portraiture have influenced the Eupolis Painter’s unusual depiction of Chiron.37 Matthias Hofter has suggested that the portrait of Pindar created toward the end of his life, ca. 460–450, is partly indebted to such images of centaurs as those in the Olympia West Pediment.38 Furthermore, for Hofter, there is a deliberate identification between Chiron, whose wisdom and guidance are celebrated in Pindar’s epinician odes as nowhere else in Greek literature, and the poet himself, who is a kind of intermediary between the wise centaur and the young athletic victors whom Pindar seeks to instruct.39 A close contemporary of our Chiron is the well­preserved bronze head from the Porticello shipwreck (Figs. 5–6), which Brunilde Ridgway, in a thorough discussion of its style, technique, and iconography, dates to ca. 440.40 Rejecting the often-expressed idea that, with his unusually long beard, he could represent a specific philosopher of the period, she identifies the subject as a ‘nonhuman’ individual, with Chiron as the most likely candidate.41 All of her closest parallels for the head, especially the shape of the forehead and the pronounced aquiline nose, are centaurs from Olympia and, even closer, from the Parthenon South Metopes.42 The Porticello head shows a man in late middle age. While it is hard to compare the rendering of hair or beard in vase­painting with sculpture in the round, the bronze head has hair that is not as full as 37 This is not to suggest that such individualized portraits are at all common on vases of this period. As a counter-example, one could think of a bell-krater of the 430’s with a scene of sacrifice, in which all five men are identified by inscriptions as historical Athenians of the later fifth century: Boston 95.25; ARV 2 1149, 9; Caskey­Beazley 1963, 76–78. All of these are “portraits” in the sense that the names of real people are attached, yet the painter has made no attempt to characterize them at all differently from one another or from count­ less idealized male figures of this period. 38 Hofter 2005, 223. 39 Ibid., 230–32. Hofter particularly calls attention to Pindar, Pythian 9, in which Chiron gives wise advice not to a mortal, but to the god Apollo, for his pursuit of the nymph Cyrene. 40 Eisman/Ridgway 1987, 100–102. 41 Ibid., 104–105. 42 South Metopes S 26, S 31, S 32: Brommer 1967, pll. 212; 223; 237. For the best overall parallel to the Porticello head, Ridgway suggests S 1, Brommer 1967, pl. 157. S H A PIR O : P O R T R A I T O F A CE N TA U R 293 Chiron’s but also ends in bangs combed carefully across the forehead. The beard has an unusual arrangement of tiered locks descending from the chin43 – again, not quite the same as Chiron’s, but his does have an extra row of less voluminous locks hanging from the main mass of the beard. Whether or not both of them were meant to depict the same individual, namely Chiron, I think we can confidently say that these two contemporary, unusually sensitive renderings of a thoughtful individual with a penetrating gaze represent a particular stage in the evolution of genuine portraiture in Greece.44 It may seem paradoxical that these early experiments in an especially humanistic and long-lived art form are not of humans at all, but a hybrid, mythical creature. But, as we have learned from much of the research conducted at Morphomata since 200945 an image created at one point in time (High Classical Greece) and with one particular meaning (Chiron) could be adapted, re­worked, or re­imagined in many later periods to represent many different figures. The unusually ‘humane’ qualities that the Eupolis Painter’s Chiron expresses – sym­ pathy, understanding, affection – are ones that will have a long and rich history in European art. IMAGE C REDI TS 1 – 2, pl. 8 Photo courtesy of the owner. 3– 4 Photo courtesy of the Museum. 5 –6 Photos DAI Rome. BIBLIOGRAPH Y Bakır 1982 Bakır, Güven: Sophilos. Ein Beitrag zu seinem Stil. Mainz 1982. von Bothmer 1990 Bothmer, Dietrich von: Glories of the Past: Ancient Art from the Shelby White and Leon Levy Collection. Exh. Cat., Metropolitan Museum of Art, New York. 43 See Eisman/Ridgway 1987, 101; 104. 44 For a recent discussion of the origins and definition of portraiture as “physi­ ognomic likeness” in Classical Greece, see Dillon 2006, 8, 176–77, nn. 52–55, with earlier references. 45 E.g. Boschung 2011. 294 Boschung 2011 Boschung, Dietrich: Kairos als Morphom der Zeit. In: Blamberger, Günter / Boschung, Dietrich (eds.): Morphomata. Kulturelle Figurationen: Genese, Dynamik und Medialität, Munich 2011, 47–90. Brommer 1967 Brommer, Frank: Die Metopen des Parthenon. Mainz 1967. 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La documentazione, tuttavia, è decisamente sbilanciata: di fronte a un’eccezionale varietà e ricchezza di attestazioni relative ai ritratti in scultura (statue, busti, erme, bassorilievi, sarcofagi), si ha una altrettanto straordinaria scarsità di ritratti in pittura, se si prescinde dall’importantissimo nucleo di ritratti egiziani da El­ Fayum.1 Una sintesi delle nostre conoscenze sul tema è disponibile grazie all’opera di Maria Nowicka,2 ma ciononostante il tema non ha ricevuto tutta l’attenzione che meriterebbe. Questa asimmetria della documenta­ zione condiziona negativamente la comprensione del fenomeno comples­ sivo ed è necessario uno sforzo per cercare di riequilibrala, nei limiti del possibile. Sono diversi gli aspetti da sottoporre a più approfondito esame: da una parte andrebbero messi meglio a fuoco alcuni concetti fondamen­ tali, quali la definizione stessa di ritratto. Ormai, infatti, le classiche defi­ nizioni di Bianchi Bandinelli3 e Metzler,4 da cui ancora dipende il quadro teorico della Nowicka, sono superate 5 e non possono rendere conto, per esempio, dell’evidenza tarda proveniente dalle catacombe, recentemente riconsiderata in maniera complessiva da Norbert Zimmermann.6 Dall’altra parte proprio in età tarda la documentazione delle fonti scritte è più ricca 1 2 3 4 5 6 Parlasca 1969­2003. Nowicka 1993a, 1­12. Bianchi Bandinelli 1965. Metzler 1971. Cfr. Gazda/Haeckl 1997. Zimmermann 2007; Zimmermann 2012. 296 e ci fa intravedere una fioritura del ritratto dipinto, soprattutto su tavola,7 ma solo una parte dei testi che nella patristica e negli apocrifi cristiani trattano della pittura in genere e del ritratto in particolare sono stati esaminati e si attende ancora una esplorazione più sistematica. Non è questo il luogo per tentare una così vasta impresa, ma si cercherà almeno di fornire un saggio dei dati che si possono ricavare da questa indagine, di focalizzare alcuni dei problemi aperti e di mostrare alcune conseguenze che un riequilibrio della documentazione ha sulla concezione del ritratto, particolarmente per quel che riguarda l’età tardoantica.8 QUES TIONI D I TER MIN O LO G IA In latino il termine usato comunemente per indicare il ritratto è imago, che ha una sua specificità: non può infatti essere utilizzato per le divinità, per le quali si usa piuttosto il termine signum.9 Imago, inoltre, porta con sé un accento particolare – anche se assolutamente non esclusivo – sulla conno­ tazione funeraria.10 Si pensi al ius imaginum in età repubblicana, riservato ai membri della nobiltà romana.11 I termini statua e simulacrum, invece, sono più ambigui, ma tendenzialmente il primo è più adatto a indicare un ritratto umano, il secondo una statua di divinità.12 Nella Roma repub­ blicana l’imago poteva essere quella di cera conservata nell’atrio oppure la imago picta, probabilmente su tavola, che serviva a presentare l’albero genealogico del padron di casa mediante linee colorate che collegavano i ri­ tratti e mostravano i rapporti di discendenza.13 In età tarda abbiamo infine l’imago laureata: il ritratto dell’imperatore (generalmente su tavola, dipinta a tempera o a encausto) coronato e presentato cerimonialmente nelle varie città dell’impero. Ad esso si può alludere anche come sacer vultus.14 7 Come riconosce già Nowicka 1993a, 49, 62. 8 Ho anticipato alcune osservazioni in Liverani 2015a, 102­104; Liverani 2016a. 9 Daut 1975 che osserva come il temine imago sia usato talvolta per indicare opere d’arte, in tal caso può designare anche divinità; cfr. inoltre Pucci 1991; in età tarda potevano avere un signum anche imperatori e santi. 10 Flower 1996; Bettini 2000. 11 Rollin 1979, 5­37; Pucci 2012. 12 Stewart 2003, 19­35; Lahusen 1982, 101­109. 13 Plin., Nat. Hist. 35.6: stemmata vero lineis discurrebant ad imagines pictas. Sugli stemmata Nowicka 1993a, 165­169; Dimatteo 2014, 43­44. 14 Cod. Theod., 13.4. 4 (374 d.C.). LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 297 1 Tondo di con ritratto dei Severi, Musei di Berlino (cfr. tav. 9) In greco la coppia ἄγαλμα – εἰκών è in qualche modo parallela per significato all’opposizione tra signum e imago nella terminologia romana, ma esistono alcune differenze: ἄγαλμα più che la statua della divinità è la statua a cui viene tributato un culto e quindi talvolta può essere usata anche per gli uomini, mentre εἰκών in età cristiana può riferirsi anche a Dio (in contrapposizione a εἴδωλον).15 La terminologia epigrafica – soprattutto ellenistica – conosce il ritratto dipinto (εἰκών γραπτή), talvolta a grandezza naturale (εἰκών τελέια) oppure nella forma che latinamente chiamiamo imago clipeata (εἰκών ἐν ὅπλῳ / ἐν ἀσπιδίῳ) o infine il ritratto dipinto dorato 15 Robert 1960; Saïd 1987; Koonce 1988; Bremmer 2008, 2; Bresson 2012. 298 (εἰκών γραπτὴ ἐπίχρυσος), ossia con il fondo dorato o eventualmente con applicazioni di decorazioni dorate.16 Fonti papiracee (P.Oxy III 473; BGU II 362) trasmettono anche il termine εἰκονίδιον, che deve essere interpretato come una variante dell’εἰκών ἐν ἀσπιδίῳ: probabilmente ne possediamo un esempio nel famoso tondo di Berlino con il ritratto della famiglia di Settimio Severo17 (fig. 1; tav. 9). Nell’esame della terminologia greca si deve considerare χαρακτήρ, un termine utilizzato in età imperiale avanzata e in epoca bizantina con un’accezione particolare: nel senso di volto, ma anche di ritratto o di sembianze.18 Troviamo anche il prestito dal latino laureata19 e l’equivalente di sacer vultus: θείος εἰκών.20 Infine è attestato γραφίς21 nel senso di dipinto, o χρυσεὶη γραφίς,22 per un dipinto a fondo d’oro. IL RITRATTO NEL LA SCULTUR A In età tarda si assiste a un’evoluzione che solo grazie agli studi più recenti ha iniziato a delinearsi più chiaramente, per lo meno nelle sue linee essen­ ziali. I ritratti in scultura – come è noto – diminuiscono progressivamente fino a scomparire completamente all’inizio del VII secolo.23 Le cause sono molteplici, ma la principale dev’essere di carattere sociale: per dirla in breve, il ritratto onorario perde il suo significato e la sua funzione: esso, infatti, non serve più per mostrare il legame tra l’onorato e la sua clientela o il gruppo che lo sostiene, in quanto la carriera e la fortuna politica di un personaggio sono legate essenzialmente al favore dell’imperatore e dell’ambiente di corte e sempre meno alla sua base sociale. Di conseguen­ za, tra IV e VI secolo, le statue e i ritratti onorari non solo si riducono di numero, ma raffigurano solo poche persone: l’imperatore, la sua famiglia 16 Blanck 1968; Nowicka 1993a, 13­15; Bresson 2012. 17 Łukaszewicz 1987; Heinen 1991; Nowicka 1993b; Nowicka 1994. 18 Sophocles 1893, s.v. χαρακτήρ; Lampe 1961, s.v. χαρακτήρ, 2. 19 Nowicka 1993a, 49­50. 20 Robert 1960. 21 Agathias, AP I. 35; I. 36; IV. 4; V. 297; VII. 589; XVI. 36; XVI. 41; XVI. 80; Cometas, AP IX. 592; Leontius, AP XVI. 32; Philippus, AP XVI. 137; Iulianus, AP XVI. 181; Synesius, AP XVI 267; Paul. Silent., AP XVI. 277; Eus., Hist. Eccl. 9.11.2. 22 AP XVI 45. 23 Smith 1985, 215­219; Kiilerich 1993, 85­97; Hannestad 1999; Witschel 2007; Anderson 2008; Machado 2010; Gehn 2012; Liverani 2015a; Kiilerich 2015, 35­ 40; Liverani 2016a; Anderson 2016. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 299 e una ristretta élite di corte, con pochissime eccezioni.24 In particolare la statua­ritratto dell’imperatore acquista un risalto inversamente propor­ zionale alla sua frequenza: essa viene collocata in posizioni dominanti e ha una particolare fortuna il monumento a colonna (Säulenmonumente), in cui la statua viene a coronare una colonna eretta in posizione stra­ tegica25 a marcare un nodo urbanistico come perno e traguardo visivo che organizza lo spazio cittadino,26 anche in connessione con lo sviluppo delle processioni, che in ambito civico – e successivamente ecclesiastico – ordinano e strutturano la vita delle città.27 Va inserita a questo punto la discussione di un importante lavoro di Benjamin Anderson,28 che osserva come in età tardoantica il ritratto dell’imperatore non venga ormai più dedicato che da un ristretto numero di altissimi funzionari: il prefetto urbano e quello del pretorio. A parti­ re dal VI secolo le fonti scritte trasmettono solo un paio di casi in cui personaggi differenti (un chartularius e due capi delle fazioni del circo a Costantinopoli) dedicarono ritratti imperiali, ma con una reazione estre­ mamente negativa da parte dell’imperatore. In questo periodo la dedica di ritratti imperiali sottostà a regole molto stringenti e a un controllo ferreo. Il ritratto scultoreo, infatti, proprio per l’estrema polarizzazione sociale tra l’imperatore e i suoi sudditi e per l’esaltazione delle sue rap­ presentazioni figurate, poteva diventare il bersaglio di rivolte popolari che manifestavano l’opposizione all’imperatore. Tra esse la più nota è la rivolta delle statue di Antiochia nel 387, ma abbiamo altre tracce di avvenimenti simili dalle fonti scritte e forse anche dalle testimonianze archeologiche.29 Non mancano infine casi di epigrammi satirici riferiti a ritratti imperiali, sintomo di una contestazione meno violenta, ma in ogni caso politicamente insidiosa. Secondo Anderson, dunque, questi monumenti cambiarono il loro significato: concepiti inizialmente come attestazioni onorarie per la vittoria e la generosità dell’imperatore, inco­ minciano a essere percepiti come espressione di un crescente dispotismo 24 Di fondamentale importanza per queste indagini è la banca dati on­line dell’università di Oxford Last Statues of Antiquity http://laststatues.classics.ox.ac. uk/. Tra le principali eccezioni sono gli aurighi a Costantinopoli: Cameron 1973. 25 Jordan–Ruwe 1995. 26 Liverani 2015a. 27 Per le processioni civiche cfr. Dey 2015 con argomenti interessanti, ma talvol­ ta un po’ forzati; sulle processioni ecclesiastiche Baldovin 1987; Romano 2014. 28 Anderson 2016, 29 Liverani 2015b. 300 e generano resistenza e reazioni che possono arrivare fino alla violenza. Questo quadro spiegherebbe l’assenza di ritratti imperiali nel secolo che va dall’ultima attestazione di una statua dedicata a Foca (602-610) fino alla ripresa delle dediche, che avviene con Filippico Bardane (711­713). Pochis­ sime eccezioni sono attestate altrove (a Ravenna e forse a Salonicco), ma si tratterebbe di monumenti che hanno un significato locale, non ricolle­ gabile direttamente alla committenza imperiale o alla corte. L’assenza di ritratti imperiali, in conclusione, non sarebbe un fenomeno limitato alla scultura, ma – se escludiamo le emissioni monetali – coinvolgerebbe tutte le altre espressioni figurative: i ritratti su tavola, i mosaici e gli affreschi. Dunque non si tratterebbe di una sostituzione della scultura da parte di altri mezzi di rappresentazione (la pittura e il mosaico), ma di un vero e proprio bando del ritratto imperiale per almeno un secolo. Questa ricostruzione appare di grande interesse e fondata su buoni argomenti, soprattutto per quel che riguarda il ritratto scultoreo. Si può invece nutrire qualche riserva sulla sua estensione ai ritratti che – per semplicità – chiameremo bidimensionali (su tavola, affresco o mosaico). Si deve tenere conto innanzitutto dei limiti della nostra documentazione poiché la scultura – almeno quella a carattere pubblico – ha una mag­ giore rilevanza nella documentazione scritta antica e una maggiore ric­ chezza di attestazioni archeologiche di quanto non avvenga per le tavole lignee – tutte ovviamente perse a causa della deperibilità del materiale. Queste inoltre non erano dotate di iscrizioni su pietra, che invece – nel caso della scultura – possono rimanere a documentare l’esistenza di un ritratto anche dopo la sua scomparsa. Se infine teniamo conto del fatto che le rappresentazioni imperiali ad affresco e a mosaico nelle chiese di Costantinopoli e nell’impero d’oriente possono essere state coinvolte dalle distruzioni iconoclaste, ci accorgiamo che l’assenza di documentazione non necessariamente è documentazione di una assenza. IL RITRATTO IMP ER IAL E SU TAVO LA Limitiamo per il momento il discorso ai dipinti su tavola: anche questi vennero certamente coinvolti nelle distruzioni dovute a damnatio memoriae o a rivolte popolari. Quanto alle prime si può ricordare che Costantino iniziò le ostilità contro Massimiano distruggendone i ritratti30 e lo stesso 30 Lact., De mort. pers. 42, 1. 2: imagines ubicumque pictus esset, detrahebantur. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 301 avvenne con Massimino,31 ma quando si scontrò con Licinio quest’ultimo distrusse a sua volta i ritratti del rivale.32 Quanto alle seconde, invece, le fonti relative alla Rivolta delle statue di Antiochia attestano che la folla si accanì contro i ritratti imperiali dipinti mediante il lancio di pietre prima di assalire le statue.33 Altre fonti sono più generiche, ma fanno comprendere che l’assalto ai ritratti imperiali durante una rivolta non dovette essere un fenomeno così raro: Giovanni Crisostomo, in un frammento di omelia perduta, chiede retoricamente: «Non sai che, se qualcuno percuote un’immagine dell’imperatore costitui­ ta da (una tavola di) legno o da una statua di bronzo, egli non è giudicato per aver osato infierire contro una materia senza vita, ma per aver portato violenza contro l’imperatore?».34 Lo stesso concetto è ripetuto anche in un’omelia pseudo­basiliana,35 nonché da Anastasio di Antiochia36 nella 31 Eus., Hist. Eccl. 9.11.2: Γραφαί τε ὅσαι εἰς τιμὴν αὐτοῦ [scil. Μαξιμίνου] τε καὶ τῶν αὐτοῦ παίδων κατὰ πᾶσαν ἀνέκειντο πόλιν, αἳ μὲν ἐξ ὕψους εἰς ἔδαφος ῥιπτούμεναι συνετρίβοντο, αἳ δὲ τὰς προσόψεις ἠχρειοῦντο σκοτεινῷ χρώματι καταμελανούμεναι. «Di tutti i ritratti dipinti in suo onore o dei suoi figli esposti in ogni città, alcuni furono buttati a terra e fatti a pezzi, altri ebbero i volti cancellati, annerendoli con colore scuro» (trad. G. Lo Castro con correzioni). 32 Exc. Vales. 15: Constantini imagines statuasque deicerat. 33 Lib., Or. 22.7; Ioh. Chrys., In sanctum Flavianum Antiochenum, fr. in Ioh. Damasc., De imag. or. III. 102 (PG 94, 1400 B; ed. Kötter p. 188). 34 Ioh. Chrys., In parabola de sem., fr. in Ioh. Damasc., De imag. orat. II, 61 (PG 94, 1313 C; ed. Kötter p. 163): Οὐκ οἶδας ὅτι, ἐὰν εἰκόνα βασιλέως ὑβρίσῃς, εἰς τὸ πρωτότυπον τῆς ἀξίας φέρεις τὴν ὕβριν; οὐκ οἶδας ὅτι, ἐάν τις εἰκόνα τὴν ἀπὸ ξύλου καὶ ἀνδριάντος χαλκοῦ κατασύρῇ, οὐχ ὡς εἰς ἄψυχον ὕλην τολμήσας κρίνεται, ἀλλ’ ὡς κατὰ βασιλέως κεχρημένος τῇ ὕβρει; Εἰκόνα δὲ ὅλως βασιλέως φέρουσα, τὴν ἐαυτῆς ὕβριν εἰς βασιλέα ἀνάγει. «Non sai che, se fai offesa a un’immagine dell’imperatore, tu trasporti l’offesa della dignità su colui che ne è il prototipo? Non sai che, se qualcuno percuote un’immagine dell’imperatore costituita da (una tavola) di legno o da una statua di bronzo, egli non è giudicato per aver osato infierire contro una materia senza vita, ma per aver portato violenza contro l’imperatore? In breve, poiché reca un’immagine dell’imperatore, essa fa risalire sull’imperatore l’offesa che è portata a lei stessa.» (trad. V. Fazzo, con correzioni). 35 Ps.–Basil., Hom. dicta in Laz., PG 31 1456 C: Ὥσπερ εἴ τις ἄνθρωπος ὀργισθεὶς τὴν εἰκόνα λιθάζοι, ἐπειδὴ τὸν βασιλέα οὐ δύναται, τὸ ξύλον τύπτων, τὸ τὴν μίμησιν ἔχον. «Come se un uomo preso dall’ira colpisse con pietre l’immagine poiché non può colpire il re, percuotendo il legno che ne reca l’imitazione.» 36 Anast. Antioch., Frag. de sabbato PG 89, 1405 A: ῾Ο παροινῶν εἴκόνι βασιλέως, τιμωρίαν δικαίαν ὐφίσταται, ὡς αὐτόχρημα βασιλέα ἀτιμάσας· καίτοι τῆς εἰκόνος 302 seconda metà del VI sec. e, infine, da Leonzio di Neapolis37 (Cipro) nel VII sec., cioè – sia detto per inciso – proprio nel periodo in cui secondo Anderson mancherebbero i ritratti imperiali. Andrebbe fatta, tuttavia, qualche distinzione tra i vari tipi di ritratti su tavola. Esistevano innanzitutto dipinti monumentali o in ogni caso di particolare importanza e visibilità, come quelli di Giuliano l’Apostata descritti da Sozomeno,38 secondo il quale l’imperatore si faceva raffigurare assieme a Zeus, Ares o Hermes, oppure più in generale come quelli in cui l’imperatore appariva circondato da guardie e cavalli con i nemici vinti di fronte a sé, secondo le descrizioni di Apollinare di Laodicea39 e di Giovanni Crisostomo40 o raffigurato assieme a personificazioni di città, οὐδὲν ἔτερον οὔσης, ἢ ξύλον καὶ χρώματα κηρῷ μεμιγμένα καὶ κεκραμένα· «Chi tratta oltraggiosamente un’immagine del re, poi viene punito poiché in realtà ha disonorato il re, benché l’immagine non sia altro che legno e colori mescolati e temperati con la cera.» 37 Leont. Neap., Serm. III: PG 93, 1604 C: Ποσάκις τινὲς εἰκόνας βασιλικὰς ἀφανίσαντες καὶ ἐνυβρίσαντες, ἐσχάτῃ τιμωρίᾳ κατεδικάσθησαν ὡς αὐτὸν τὸν βασιλέα ἐνυβρίσαντες καὶ οὐ τὴν σανίδα· «Quante volte coloro che hanno distrutto o insultato i ritratti imperiali sono condannati alla pena capitale, come se avesse offeso l’imperatore stesso e non una tavola?». 38 Soz., Hist. Eccl. 5.17.3. 39 Apoll. Laodic., Fragm. in Ezech. (Mai 1854, 82b, rr. 2­5): οἱ Ῥωμαῖοι τὰς βασιλικὰς εἰκόνας γράφοντες, τούς τε δορυφόρους περιιστῶσι, καὶ τὰ ἔθνη ὑποτεταγμένα ποιοῦσι, τὸν ὅμοιον τρόπον κἀνταῦθα. «I Romani, quando dipingono le immagini degli imperatori vi pongono intorno le guardie del corpo e rappresentano i popoli sottoposti». 40 Joh. Chrysost., Hom. in apostolicum dictum, Nolo vos ignorare 4 (PG 51, c. 247): Φέρε τὸν λόγον ἐπὶ τὰς εἰκόνας ἀγάγωμεν, ἃς οἱ ζωγράφοι γράφουσι. Εἶδες πολλάκις εἰκόνα βασλικὴν κυανῷ κατακεχρωσμένην χρώματι, εἶτα τὸν ζωγράφον λευκὰς περιάγοντα γραμμὰς, καὶ ποιοῦντα βασιλέα, και θρόνον βασιλικὸν, καὶ ἵππους παρεστῶτας, καὶ δορυφόρους, και πολεμίους δεδεμένους καὶ ὑποκειμένους. «Suvvia, consideriamo le immagini che dipingono i pittori. Hai visto spesso le immagini imperiali preparate con il colore blu, quindi il pittore traccia linee bianche e realizza un imperatore, e un trono imperiale, e cavalli che si trovano accanto, e la guardia del corpo e nemici incatenati e giacenti (ai suoi piedi)». In inscr. altaris 3 (PG 51, c. 71): Οὐχ ὁρᾶτε καὶ ἐπὶ τῶν εἰκόνων τοῦτο τῶν βασιλικῶν, ὅτι ἅνω κεῖται μὲν ἡ εἰκὼν, καὶ τὸν βασιλέα ἔξει ἐγγεγραμμένον· κάτω δὲ ἐν τῇ χοίνικι ἐπιγέγραπται τοῦ βασιλέως τὰ τρόπαια, ἡ νὶκη, τὰ κατορθώματα; «Non avete osservato anche nei ritratti imperiali che l’immagine stessa che rappresenta l’imperatore è posta nella parte superiore, mentre sotto, ai piedi, sono raffigurati trofei, vittorie e conquiste dell’imperatore?» LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 303 dignitari, in scene di caccia o di trionfo sui barbari secondo Gregorio Nazianzeno.41 Abbiamo però anche indicazioni relative a ritratti imperiali meno monumentali, ma con funzioni specifiche. Iniziamo dalla funzione legit­ timante “passiva”, per così dire: il ritratto del nuovo imperatore doveva essere accolto dai coreggenti che ne convalidavano – o rigettavano – l’elezione,42 come avvenne per la laureata imago inviata nel 306 a Galerio da Costantino al momento della sua acclamazione da parte delle truppe.43 Il ritratto veniva inoltre inviato nelle varie regioni dell’impero perché le popolazioni riconoscessero il nuovo imperatore, come aveva fatto ancora una volta Costantino dopo l’acclamazione mandando il suo ritratto a Roma,44 o Massenzio mandando il suo in Africa.45 L’alleanza tra Massenzio e Massimino si manifesta nella esposizione associata dei loro ritratti.46 Nel 41 Greg. Naz., Or. 4.80 Contra Iulianum (PG 35, 606 C – 607 A): Ταύταις ταῖς εἰκόσιν ἄλλοι μὲν ἄλλο τι τῶν βασιλέων προσπαραγράφεσθαι χαίρουσιν· οἱ μὲν τῶν πόλεων τὰς λαμπροτέρας δωροφορούσας, οἱ δὲ νίκας ὑπὲρ κεφαλῆς στεφανούσας· οἱ δὲ τοὺς ἐν τέλει προσκυνοῦντας, καὶ τοῖς τῶν ἀρχῶν τιμωμένους συνθήμασιν· οἱ δὲ θηροφονίας καὶ εὐστοχίας· οἱ δὲ βαρβάρων ἡττημένων, καὶ ὑπὸ τοῖς ποσὶν ἐῤῥιμμένων ἢ κτεινομένων πολυειδῆ σχήματα. «In questi ritratti, alcuni impera­ tori amano farsi rappresentare in un modo, altri in un altro. Alcuni amano far rappresentare le città più splendide che portano loro dei doni, altri delle Vittorie che incoronano il loro capo, altri ancora dei notabili che si inchinano e vengono onorati con le insegne delle cariche che ricoprono. Ci sono quelli che amano far rappresentare scene di caccia e gare di abilità nell’arco e rappresentazioni varie di barbari sottomessi e gettati ai piedi del vincitore o uccisi» (trad. C. Moreschini) 42 Kruse 1934, 24­50; Bruun 1976; Nowicka 1993a, 44­50. 43 Lact., De mort. pers. 25.1­3: laureata imago eius adlata est ad malam bestiam (scil. Galerium) … 3 Suscepit itaque imaginem admodum invitus atque ipsi purpuram misit, ut ultro ascivisse illum in societatem ideretur. «La sua immagine incoronata di alloro fu portata a quella mala bestia (di Galerio) … Pertanto a malincuore accettò l’immagine di Costantino e gli inviò la porpora per dimostrargli che l’accoglieva come collega». Che si trattasse di una tavola dipinta è chiarito dall’iniziale intenzione di Galerio di bruciarla. 44 Zosim. 2.9.2: ἐν δὲ τῇ Ῥώμῃ τῆς εἰκόνος αὐτοῦ δειχθείσες. 45 Zosim. 2.12.1: ὁ Μαξέντιος … ἔχειν τε ἤδη βεβαίως οἰόμενος τὴν αρχὴν ἐν Λιβύῃ καὶ Καρχεδόνι τοὺς τὴν εἰκόνα τὴν αὐτοῦ περιοίσαντας ἔπεμπεν. «Massenzio … credendo ormai di avere in mano saldamento il potere, mandò in Africa e a Cartagine quelli che avevano il compito di portare in giro il suo ritratto» (trad. F. Conca, con modifiche). 46 Lact., De mort. pers. 43.3: utriusque imagines simul locantur. 304 383 Teodosio riconobbe in un primo momento l’usurpatore Massimo concedendogli il diritto di essere rappresentato assieme a lui nei ritratti e a impiegare il titolo di imperatore.47 A seguito di questo riconoscimen­ to, lo stesso Teodosio inviò in Egitto il prefetto Cinegio con l’ordine di mostrare in pubblico il ritratto di Massimo agli Alessandrini.48 Invece Teodosio II nel 421 rischiò di scatenare un conflitto, non accettando il ritratto di Costanzo nominato Augusto da Onorio.49 Il 30 marzo del 452 il ritratto di Marciano fu accolto a Roma da Valentiniano III, che solo allora riconobbe il collega come legittimo imperatore; famosi sono i casi del ritratto di Antemio, accolto nel 467 dall’imperatore Leone, che ne inviò esemplari in tutto l’impero,50 e di quelli di Foca e dell’imperatrice Leonzia, accolti da papa Gregorio Magno51 a Roma nel 603. Più in ge­ nerale l’uso dell’invio alle città del ritratto imperiale è ricordato già da Severiano di Gabala,52 ma assai più tardi, al concilio di Nicea del 787, anche il vescovo Teodosio di Armorion ricorda che «quanto ai ritratti coronati degli imperatori e alle loro immagini inviate alle città e alle regioni tutte, il popolo onora con ceri e incenso non la tavola dipinta 47 Zosim., 4.37.3: Θεοδόσιος δὲ ὁ βασιλεὺς ἐδέχετό τε βασιλέα Μάξιμον εἶναι, καὶ εἰκόνων αὐτῷ κοινονεῖν καὶ βασιλέως προσηγορίας ἠξίου. «Teodosio accettò che Massimo fosse imperatore e ritenne giusto che comparisse assieme a lui nei ritratti nel titolo di imperatore». 48 Ibid., τὴν εἰκόνα Μαξίμου δεῖξαι τοῖς Ἀλεξανδρεῦσιν ἐπέταξεν. «Ordinò di mo­ strare agli abitanti di Alessandria il ritratto di Massimo», 49 Philostorg., Hist.Eccl. 12.12. 50 Prosper Tyrus, Continuatio Reichenaviensis a. 452; MGH, AA IX, 490: Iconica Marciani Imperatoris Romam ingressa III kal. Aprilis. Const. Porphyr., De Caerim. I.87 (ed. Reiske 395­396 B­C): καὶ διελάλησεν ὁ βασιλεὺς, ὥστε πεμφθῆναι τὰ λαυρεάτα εἰς πᾶσαν τὴν πολιτείαν, καὶ τὰς εἰκόνας κοινῇ ἀνατίθησθαι ἀμφοτέροις τοῖς βασιλεῦσιν. «L’imperatore dispose che i suoi ritratti incoronati di alloro venissero inviati a tutto l’impero e che le immagini di entrambi gli imperatori venissero esposte insieme». 51 Greg. M., Epist., App. VI I I: Corpus Christianorum 140A, p. 1101 (= MG H, Epist. II.3, p. 365); ne dipende Jo. Diac., Vita Gr. M. IV.20 (PL 75, c. 185 B). 52 Severianus Gabalensis, In lav. pedum s. feria V, 9 (ed. Wenger 1967, 226): Οὐδὲ γὰρ ὅταν βασιλικοὶ χαρακτῆρες καὶ εἰκόνες εἰς πόλιν εἰσφέρωνται καὶ ὑπαντῶσιν ἄρχοντες καὶ δῆμοι μετ’εὐφημίας καὶ φόβου, οὐ σανίδα τιμῶντες, ἢ τὴν χηρόχυτον γραφὴν τοῦτο ποιοῦσι, ἀλλὰ τὸν χαρακτῆρα τοῦ βασιλέως. «Infatti quando i ritratti e le immagini degli imperatori sono portati in giro in una città, i magistrati e i cittadini vanno loro incontro con acclamazioni e riverenza, onorando non una tavola, né una pittura a cera, ma il ritratto dell’imperatore, così anche la creazione». Cfr. anche Déroche 2015. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 305 all’encausto, ma l’imperatore».53 Anche in questo caso vale la pena di sottolineare la data: ci troviamo infatti ben oltre quel VII secolo in cui le immagini imperiali sarebbero state bandite e c’è da chiedersi dunque se non si debba ipotizzare una continuità dell’uso piuttosto che un recupero antiquario dopo un secolo di desuetudine. Una funzione legittimante “attiva” era invece legata ai ritratti, che dovevano essere presenti quando i magistrati pronunciavano i loro giudizi in rappresentanza dell’imperatore oppure per legittimare l’operato degli alti funzionari imperiali.54 Un riflesso di quest’uso si trova anche nelle miniature del Codex Purpureus Rossanensis (fig. 2) in cui Pilato seduto a giudizio è accompagnato dai ritratti imperiali,55 ma anche nel IV sec. sui sarcofagi paleocristiani con la raffigurazione dei tre fanciulli ebrei di fronte a Nabucodonosor: in alcuni di essi il busto del sovrano – che già costituisce una licenza rispetto al testo biblico – è sostituito da una tavoletta dipinta (fig. 3), anche se la pittura è resa a rilievo, trattandosi di un sarcofago scolpito.56 Un tipo di ritratto legato a questa stessa funzio­ ne doveva essere anche il ritratto clipeato, o meglio – per riprendere la terminologia vista poco sopra – l’εἰκονίδιον, che riconosciamo nei dittici eburnei tardoimperiali associati a personaggi che rivestivano le più alte cariche nell’amministrazione dell’impero57 e che possiamo immaginare simili al tondo di Berlino già citato.58 Vale la pena di ricordare a questo 53 Mansi 1766, c. 1014 D: Εἰ γὰρ βασιλέων λαυράτοις ϰαὶ εἰϰόσιν ἀποστελλομέναις ἐν πόλεσι ϰαὶ χώραις ἀπαντῶσι λαοὶ μετὰ ϰηρῶν ϰαι θυμιαμάτων, οὐ τὴν ϰηρόχυτον σανίδα τιμῶντες, άλλά τὸν βασιλέα. 54 Joh. Lydus, De Magistratibus II.17 (ed. Bandy 1983, 111); Cassiod., Var. VI, 20. Il ritratto imperiale era tra le insegne del prefetto del pretorio, dei magistri milites praesentales, equitum, officiorum, del comes sacrarum largitionum, del comes rerum privatarum, del comes domesticorum equitum et peditum, del comes Orientis, del praefectus Augustalis, del praefectus praetorio per Illyricum: cfr. Seeck 1876. Cfr. Kruse 1934, 79­106; Rollin 1979, 117­143. 55 Bisconti 2000, tav. LIV b. 56 Wilpert 1932, tav. 202.3; Deichmann 1967, 162 n. 324, tav. 62; Dresken Weiland 1998, 3­4, n. 10, tavv. 3.2, 78 n. 222 fig. 3; Koch 2000, 148­149. 57 Delbrueck 1929, nn. 16, 17, 19, 20, 22, 32, 34­35. 58 Si può ricordare a questo proposito il conto per i ritratti imperiali di età costantiniana (317­8 d.C.) P.Oxy LV 3791 (ζωγραφίας θείων χαρακτήρων) o quello di V­VI sec. pure per un ritratto imperiale: Studien zur Palaeographie und Papyruskunde XX, n. 196: τὴν εἰκόνα τοῦ δεσπ(ότου) ἡμῶν; cfr. Plisecka 2011, 231, 238. Si veda anche un papiro del 492 dall’archivio degli Apioni: SB VI 9152 = P.Eirene II 12 vv. 16­17, Gerstinger 1953, 177. 306 2 Codex purpureus Rossanensis punto anche la continuità dell’uso di questi clipei in ambito monumentale, come nell’arcone absidale della chiesa di S. Giovanni Evangelista, costruita da Galla Placidia verso il 430,59 dove le due linee dinastiche che conflu­ ivano nell’imperatrice erano rappresentate dai ritratti musivi in clipei. 59 Ihm 1960, 169­171, fig. 2; Amici 2000. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 307 3 Sarcofago dalla basilica di S. Lorenzo – Firenze In sintesi: per quanto riguarda il ritratto imperiale dipinto, e soprat­ tutto quello su tavola, abbiamo elementi per dire che tra IV e VI secolo esso conobbe una fioritura e una capillare diffusione, sia nelle forme monumentali che in quelle più ridotte e portatili, e che s’integrò profonda­ mente in diverse funzioni vitali della società antica e dell’amministrazione imperiale. Per il VII secolo, invece, la lettura di Anderson – che ipotizza una sparizione completa anche di questo tipo di ritratto imperiale – è probabilmente troppo pessimistica: alcune fonti (Leonzio di Neapolis e Teodosio di Armorion) sembrano attestare una certa continuità in questi usi anche durante e oltre il periodo del presunto bando dell’im­ magine imperiale. Agli argomenti appena esposti si potrebbe aggiungere 308 4 Abside di S. Apollinare in Classe: quattro imperatori accanto all’arcivescovo di Ravenna un’ulteriore osservazione: sembrerebbe strano che l’imperatore abbando­ nasse completamente il campo della rappresentazione figurata pubblica a poteri inferiori di carattere locale, visto che invece questi continuarono certamente a farsi rappresentare: si pensi al mosaico dell’abside di S. Apollinare in Classe, databile probabilmente all’età di Costanzo II (641­ 668), che raffigura quattro imperatori accanto all’arcivescovo di Raven­ na60 e celebra la concessione dell’autocefalia alla sede episcopale (fig. 4), oppure a Roma il ritratto musivo di papa Onorio I (625­38) nell’abside di S. Agnese,61 quello di Giovanni IV (640­642) e Teodoro (642­648) nel mosaico dell’oratorio di S. Venanzio,62 quello di Giovanni VII (705­707) nel suo oratorio in Vaticano63 o sull’icona di Maria S. Maria in Trastevere.64 60 Deichmann 1958, tav. 404; Deichmann 1976, II, 274­279; Anderson 2016, fig. 2. 61 Ihm 1960, 141-142, tav. XXVI.1. 62 Ihm 1960, 144-145, tav. XXIII.2. 63 Ihm 1960, 156­157. 64 Belting 2001, 158 fig. 46. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 309 Senza contare la tradizione dei ritratti clipeati pontifici nelle basiliche di S. Pietro in Vaticano e di S. Paolo fuori le mura.65 S PEC IFICITÀ D EL R ITR ATTO D IP INTO Resta ancora da toccare un aspetto della questione e cioè la caratteriz­ zazione specifica del ritratto dipinto in confronto con quello scultoreo.66 L’uso onorario del ritratto dipinto nella parte orientale dell’impero è testimoniato da una serie di epigrammi dell’Antologia Palatina – non necessariamente relativi a dipinti su tavola – che è stata studiata da Cyril Mango.67 Vi si trovano – come è logico – alti funzionari, ma è interessante notare il suo uso anche per i cittadini che si distinguevano per le loro virtù e il loro meriti civici – ormai in genere esclusi dalle dediche scultoree. Da alcuni di questi epigrammi sembra di dedurre che si trattava del modo normale di onorare personaggi noti per la loro cultura, come è il caso alla metà del VI sec. della dedica di un dipinto (γραφίς) a Heraclammon68 di Pergamo, a ricompensa delle sue doti oratorie, o sulla tomba di Eustorgio, che alla sua morte dovette abbandonare la Musa e gli studi di diritto,69 ma si potrebbe citare già il dipinto (γραφίς εἰκόνος) di un professore della scuola di Berythus nel IV sec.70 Secondo Teodoreto di Cirro ancora nel V sec., gli effeminati erano ricordati da coloro che li amavano mediante dipinti su tavola.71 65 G. Bordi, in Andaloro 2006, 379­395, n. 44b. 66 Liverani 2015 a; Liverani 2016 a. 67 Mango 1986a, 117­119; Mango 1986b. 68 Agathias, AP XVI. 36; Mango 1986b, 24-25. 69 Agathias, AP VII. 589. 70 Heitsch 1963­1964, fr. 30 A18­24; Agosti 2004­2005, 353. 71 Theodoret. Cyr., Hist. Rel. pr. 3: Καὶ ταῦτα τῶν ἐν Ὀλυμπιάσιν ἀγωνιζομένων ἀθλητῶν τε καὶ παγκρατιαστῶν εἰκόσι τιμωμένων καὶ μέντοι κἀν ταῖς ἱπποδρομίαις τῶν νικηφόρων ἀναφαινομένων ἡνιόχων τοῦτο αὐτὸ δεχομένων τὸ γέρας. Οὐ μόνον δὲ τούτους, ἀλλὰ καὶ γυναικώδεις ἄνδρας καὶ θηλυδρίας καὶ ἀμφιβόλους εἴτε ἄνδρες εἶεν εἴτε γυναῖκες, οἱ τῆς τούτων θεωρίας φιλοθεάμονες ταῖς σανίσιν ἐγγράφουσιν, ἐπὶ πλεῖστον αὐτῶν τὴν μνήμην διαρκέσαι φιλονεικοῦντες, καίτοι τῆς μνήμης λώβην ταῖς ψυχαῖς, οὐκ ὄνησιν ἐμποιούσης· ἀλλ’ ὅμως οἱ μὲν τούτων ἐρῶντες τούτους, οἱ δὲ ἐκείνων ἐκείνους, καὶ ταῦτα λυμαίνοντας, τῇ ζωγραφίᾳ γεραίρουσιν. Καὶ ἐπειδὴ θνητὴν οὖσαν ὁ θάνατος τὴν φύσιν ληΐζεται, χρώματα κεραννύντες καὶ τὰ ἐκείνων ταῖς σανίσιν ἐντιθέντες ἰνδάλματα, πολλῷ τῆς ζωῆς μακροτέραν γενέσθαι 310 È però in ambito cristiano che troviamo una particolare fortuna del­ la pittura. Negli edifici ecclesiastici – come è noto – non sono attestate sculture onorarie: la chiesa condivide la tendenza generale tardoantica della sparizione del ritratto scultoreo, ma si aggiungono in questo caso motivazioni specifiche: nell’ambiente dedicato al culto, infatti, non si possono inserire monumenti che distraggano dalla celebrazione liturgi­ ca costituendo un fuoco di attenzione autonomo e alternativo.72 Inoltre esiste tutta una letteratura sui ritratti di santi o comunque di personaggi di particolare virtù cristiana. Già negli apocrifi Atti di Giovanni, la cui redazione risale a un momento tra la metà del II sec. e il III, si narra dell’apostolo che viene accolto a Efeso nella casa di Licomede, uno dei notabili della città, il quale dopo essersi convertito fa dipingere di na­ scosto il ritratto dell’ospite per appenderselo in camera da letto. Quando Giovanni vede il dipinto non vi si riconosce, fino a quando Licomede gli porta uno specchio. Il santo «dopo essersi visto nello specchio, osservò attentamente il ritratto e disse: – Quanto è vero che il Signore Gesù Cristo vive, il ritratto assomiglia a me, però non è come me, figlio, ma come la mia figura corporea.»73 Qui appare sia il tema della somiglianza, che quello della (in)adeguatezza dell’immagine a rendere la verità del suo modello, intesa come complesso delle doti morali e spirituali. È inoltre presente il tema del ritratto preso di nascosto, che compare anche nella vita di Porfirio74 e in numerose altre attestazioni.75 τὴν μνήμην σοφίζονται. «E ciò accade, mentre gli atleti e i pancraziasti che ga­ reggiano nelle olimpiadi sono onorati con ritratti e gli aurighi vittoriosi nelle corse di cavalli ricevono lo stesso premio. E non solo questi, ma anche uomini effeminati, travestiti, dei quali è incerto se sono uomini o donne, sono dipinti su tavole da quanti bramano vederli e cercano di far durare il loro ricordo il più a lungo possibile, sebbene un tale ricordo arrechi all’anima danno e non giova­ mento. Alcuni amano questi, altri amano quelli ricevendone danno, e tuttavia onorano con un dipinto l’oggetto del loro amore. E poiché la morte depreda la natura che è mortale, essi, mescolando i colori e ponendone le fattezze su tavola, adoperano la propria intelligenza perché il loro ricordo diventi molto più duraturo della loro vita» (trad. A. Gallico con correzioni). 72 Liverani 2016 a. 73 Acta Johannis 26­28, ed. Bonnet 1898, 165­166: καὶ ἰδὼν ἑαυτὸν ἐν τῷ κατόπτρῳ καὶ ἀτενίσας τῇ εἰκόνι εἶπε· Ζῇ κύριος Ἰησοῦς Χριστός, ὁμοία μοι ἡ εἰκών· οὐκ ἐμοὶ δὲ τέκνον ἀλλὰ τῷ σαρκικῷ μου εἰδώλῳ. 74 Porphyr., Vita Plot. 1.4. 75 Cfr. infra. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 311 Gregorio di Nyssa sottolinea l’attenzione dei pittori per trasferire la bellezza del modello alla loro imitazione,76 ma altri autori scendono più nel dettaglio: Eunapio di Sardi77 porta l’esempio «come succede a coloro che dipingono i ritratti, essi caratterizzano il modello proposto: mette in risalto la somiglianza del volto qualche piccolezza dei tratti connotanti, o una ruga che solca la fronte, o un pelo che spunta sul mento, o qualche dettaglio simile del volto a cui non si bada, ma che se trascurato non descrive correttamente l’aspetto, se invece reso con cura diventa l’unica causa della somiglianza». In maniera simile Teodoreto di Cyrro ricorda come «i pittori, guardando al modello, ne imitano gli occhi, il naso, la bocca, le guance, le orecchie, la fronte, i capelli del capo e la barba del mento e, oltre a ciò, il modo di stare seduti o di stare in piedi, l’atteggia­ mento degli occhi, siano essi lieti o torvi».78 Diversi testi narrano il riconoscimento miracoloso di un santo avve­ nuto grazie a un ritratto dipinto. Nilo di Ancira, nella lettera a Eliodoro Silenziario, narra la vicenda di un giovane preso prigioniero durante una scorreria di barbari, che invocò S. Platone di Ancira. Al suo apparire «il giovane riconobbe il santo perché aveva visto spesso i suoi lineamenti su ritratti».79 Nella lettera pseudo-ambrosiana della fine del V o degli inizi del VI sec., che narra il rinvenimento a Milano delle reliquie dei Santi Gervasio e Protasio,80 durante una veglia notturna l’autore vede «una 76 Greg. Nyss., De opificio hominis 5 (PG XLIV, 137 A). 77 Eunap. Sard., fr. 57 (ed. Müller, FrHistGr IV, 39; ed. Dindorf, HistGrMin I, 250): ὥσπερ οὖν τοῖς γράφουσι τὰς εἰκόνας τὸ δοθὲν παράδειγμα χαρακτηρίζουσιν ἐπιτείνει τὴν περὶ τὸ πρόσωπον ὁμοιότητα μικρά τινα τῶν ὑποκειμένων συμβόλων, καὶ ἢ ῥυτὶς ἐπὶ τοῦ μετώπου διακεχαραγμένη ἤ τις ἴονθος παρανατέλλων παρὰ τὸ γένειον ἢ τοιοῦτό τι μικρὸν καὶ παρημελημένον τῶν κατὰ τὴν ὄψιν, ὃ παροφθὲν μὲν οὐχ ὑπογράφει τὸ εἶδος, ἀκριβωθὲν δὲ μόνον αἴτιον τῆς ὁμοιότητος γίγνεται. 78 Theodoret. Cyr., Hist. Rel. 30.7: οἱ ζωγράφοι εἰς τὸ ἀρχέτυπον ἀφορῶντες καὶ ὀφθαλμοὺς ἀπομιμοῦνται καὶ ῥῖνα καὶ στόμα καὶ παρειὰς καὶ ὦτα καὶ μέτωπα καὶ αὐτὰς τῆς κεφαλῆς καὶ τοῦ γενείου τὰς. τρίχας καὶ πρὸς τούτοις καὶ καθέδραν καὶ στάσιν καὶ αὐτὰ μέντοι τῶν ὀφθαλμῶν τὰ ἤθη, εἴτε χαροποιὰ εἴτε βλοσυρὰ εἴη. (Trad. A. Gallico). Cfr. su queste fonti Kiilerich 2011, 362. 79 Nilus Ancyr., Ep. IV.62 (PG 79, cc. 580 D–581 A): καὶ γνωρίζοντι τοῦτον ἐκ τοῦ πολλάκις τὸν χαρακτῆρα τοῦ ἀγίου ἐπὶ τῶν εἰκόνων τεθεᾶσθαι. 80 PL 17, 743D; Ps.–Ambros., Epistula in universam Italiam 4 (Aubineau 1972, 8, 11): In tertia vero nocte, defecto jejuniis corpore, non dormienti, sed stupenti, cum quadam mihi tertia apparuere persona, quae similis erat beato Paulo apostolo, cujus me vultum pictura docuerat. 312 persona che rassomigliava al beato apostolo Paolo, così come la pittura mostra chiaramente nelle immagini la figura di lui». Anche negli Actus Silvestri, redatti nel VI secolo a partire da nuclei te­ stuali più antichi,81 troviamo una vicenda simile: l’imperatore Costantino, infatti, riconosce nei ritratti presentati da papa Silvestro i santi Pietro e Paolo che gli sono apparsi in sogno in incognito.82 Ancora nel VII sec. Sant’Artemio, apparso in visione a una giovane di Costantinopoli di nome Eufemia per risanarla, viene riconosciuto in base alla somiglianza con l’icona da lei spesso venerata.83 Esiste anche almeno un precedente dello stesso topos che riguarda un “santo” pagano: secondo la Historia Augusta Apollonio di Tyana sarebbe apparso in sogno all’imperatore Adriano per avvisarlo di risparmiare dalla distruzione la sua città natale, cosa che l’imperatore avrebbe fatto avendo riconosciuto il filosofo in base ai suoi ritratti dipinti nei templi.84 Un altro filone simile riguarda la vivacità delle immagini: come nel caso del carme di Gregorio Nazianzeno che celebra San Polemone, il cui ritratto dipinto posto sulla fronte di una casa dissuase una prostituta dall’entrare presso il suo cliente, in quanto «si vergognò del dipinto come fosse vivo».85 D’altra parte anche fonti più antiche già sottolineavano il tema della somiglianza dei ritratti dipinti o della somiglianza che risulta evidente per loro tramite. Cassio Dione narra che i legionari della III legione Gallica, che avevano proclamato imperatore Elagabalo, furono assediati dai Mauri e dai pretoriani di Macrino: essi allora portarono il giovane imperatore sugli spalti e lo dichiararono figlio di Caracalla. Per provarne la discen­ denza mostrarono la sua somiglianza con dei ritratti – verosimilmente 81 Canella 2006; Liverani 2008. 82 Actus Silvestri, ed. Mombritius p. 512, ll. 13­17: Tunc sanctus Sylvester iussit diacono suo ut imaginem apostolorum exhiberet, quem imperator aspiciens cum ingenti clamore coepit dicere: nihil inferius hac imagine in eorum effigie quorum vultus in visione conspexi. «Allora S. Silvestro ordinò al suo diacono di mostrare i ritratti degli apostoli: guardandoli l’imperatore prese a dire a gran voce: “in nulla è inferiore questo ritratto all’aspetto di coloro che mi sono apparsi nella visione”». Per lo sviluppo del topos Dagron 1991, 30­31. 83 Crisafulli/Nesbitt 1997, 180­181 n. 34. 84 S HA, Aurel. 24.5: norat vultum philosophi venerabilis Aurelianus atque in multis eius imaginem viderat templis. In questo caso imago significa ritratto dipinto in quanto nel passo successivo l’imperatore promise ad Apollonio et imaginem et statuas et templum, distinguendo chiaramente tra il ritratto dipinto (imago) e quelli scolpiti (statuae). 85 Greg. Naz., Carm. 1,10: Ὡς ζῶντ’ἐπαισχυνθεῖσα τὸν γεγραμμένον. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 313 su tavola – di Caracalla giovane.86 Sempre nel III secolo il Romanzo di Alessandro narra che il re macedone si sarebbe presentato alla regina Candace in incognito sotto il falso nome di Antigono, ma questa lo avrebbe smascherato ponendolo a confronto con il suo stesso ritratto, fatto dipingere precedentemente di nascosto da un pittore greco, e chie­ dendogli: «riconosci i tratti del tuo volto (χαρακτήρα)»? 87 Nella versione latina di Giulio Valerio Alessandro Polemio, probabilmente da riconoscere nel Flavio Polemio console del 338, la domanda della regina diventa più maliziosa e interessante: «Riconosci il volto di quell’Alessandro che non puoi dissimulare?».88 In altre parole Candace afferma che si può falsificare il nome, ma non il volto – e di conseguenza il ritratto che ne ripropone fedelmente le fattezze. L’Epitome de Caesaribus, della fine del IV secolo, esalta la somiglianza tra Teodosio e Traiano, che si sarebbe evidenziata grazie ai loro ritratti dipinti,89 ma in fondo già Plinio il vecchio diceva espressamente che la pittura di ritratti era la tecnica con la quale veni­ vano trasmesse le fattezze con il più alto grado di fedeltà,90 anche se poi da buon laudator temporis acti aggiunge una nota – per noi non molto credibile – sull’abbandono di quest’arte ai suoi tempi. Somiglianza e vivezza sono dunque topoi che ricorrono di frequente nelle descrizioni dei ritratti dipinti: dobbiamo ritenere che le loro dimen­ sioni ridotte ne favorissero la diffusione e generassero, nella percezione comune, un senso di vicinanza ben diversa da quella dei ritratti scultorei imperiali su colonne o comunque monumentali. Si pensi già alla nota lettera di Frontone a Marco Aurelio91 degli anni 145­147 in cui il vecchio 86 Cass. Dio 79.32.2: εἰκόνας τινὰς τοῦ Καρακάλλου παιδικὰς. 87 Ps.–Callisth., 3.19; 3.22. 88 Iul. Val., Res gestae Alex. 3.22: “agnoscisne,” ait, “Alexandri illius, quem mentiri non potes, faciem?” 89 Ep. de Caes. 48.8. 90 Plin., Nat. Hist. 35.4: Imaginum quidem pictura, qua maxime similes in aevum propagabantur figurae, in totum exolevit. «Anche la pittura di ritratti, con la quale venivano tramandate nei secoli figure somiglianti al massimo grado, è del tutto scomparsa» (trad. G. Rosati). 91 Fronto, Ep. 4. 12. 6: Scis, ut in omnibus argentariis mensulis perguleis taberneis protecteis vestibulis fenestris usquequaque, ubique imagines vestrae sint volgo propositae, male illae quidem pictae pleraeque et crassa, lutea immo Minerva fictae scalptaeve; cum interim numquam tua imago tam dissimilis ad oculos meos in itinere accidit, ut non ex ore meo excusserit jactum osculei et savium. «Tu sai che su tutti i tavolini dei cambiavalute, in tutte le loggette, le botteghe, le tettoie, gli atri, le finestre, sempre in qualunque luogo i vostri ritratti sono esposti al pubblico, 314 maestro descrive l’onnipresenza dei ritratti dipinti dell’imperatore (non­ ché di quelli fittili e scolpiti) e aggiunge – con una certa piaggeria – che egli non mancava mai di inviare all’immagine un saluto e un bacio, in segno di devozione affettuosa. In età tarda non era più l’immagine imperiale ad attrarre tanta devota attenzione, ma quella di alcuni santi particolarmente popolari, come S. Simeone lo stilita,92 il cui ritratto di piccole dimensioni a Roma «si trovava in tutti gli atri dei laboratori (…) attaccato alle colonne» per la protezione dei devoti. Non tutti i santi uo­ mini, però, accettavano di buon grado questa devozione: S. Daniele – un altro stilita di V sec. – aveva fatto gettar via il suo ritratto che un devoto aveva posto all’ingresso di una cappella.93 Questa proliferazione di ritratti di modeste dimensioni e di ineguale qualità si accompagnava a un’evoluzione stilistica che – come è noto – si allontanava gradualmente dal naturalismo di tradizione classica ed ellenistica. Cionondimeno si trattava ancora di ritratti: di raffigurazioni, cioè, che dovevano in ogni caso permettere un riconoscimento o una identificazione del personaggio rappresentato, o per lo meno che dovevano essere riconosciuti come ritratti. Appare dunque il “ritratto caratteriz­ zato”,94 che poteva essere riconosciuto come tale nel contesto più ampio in cui veniva a trovarsi, invece che per i suoi tratti di stile realistico. mal dipinti s’intende, e la maggior parte anche modellati e scolpiti con arte grossolana e fangosa. Con tutto ciò non mi capita mai, per la strada, sotto gli occhi la tua immagine così poco somigliante a te, senza far sì che, dalla mia bocca, parta un bacio» (trad. Portalupi). 92 Theodoret. Cyr., Hist. Rel. 26.11: Περὶ γὰρ Ἰταλίας περιττὸν καὶ λέγειν. Φασὶ γὰρ οὕτως ἐν Ῥώμῃ τῇ μεγίστῃ πολυθρύ λητον γενέσθαι τὸν ἄνδρα , ὡς ἐν ἅπασι τοῖς τῶν ἐργαστηρίων προπυλαίοις εἰκόνας αὐτῷ βραχείας ἀναστηλῶσαι, φυλακήν τινα σφίσιν αὐτοῖς καὶ ἀσφάλειαν ἐντεῦθεν πορίζοντας. «Parlare dell’Italia è superfluo. Dicono, infatti, che nella grandissima Roma è così famoso che in tutti gli atri dei laboratori, in suo onore, sono attaccati alle colonne piccoli ritratti, quasi che queste offrano una certa custodia e sicurezza» (trad. A. Gallico con correzioni). 93 Vita S. Danielis Stylitae 12, in Delehaye 1923, 13. 94 Propongo la definizione “ritratto caratterizzato” pur conscio dell’esistenza di definizioni alternative: Zimmermann 2007, 159, Koch 2000, 109 e Studer–Karlen 2012, 18 li chiamano Ideal-Porträts; Carra Bonacasa 2000, 317 parla di “ritratti nominativi” tipizzati; cfr. anche Kiilerich 1992. Mi sembra tuttavia che “ritratto ideale” possa generare qualche confusione con il ritratto di ricostruzione (per esempio quello di Omero) mentre “ritratto nominativo” allude al fatto che può essere identificato grazie all’iscrizione con il nome, ma si tratta solo di uno dei possibili elementi impiegati per far riconoscere un ritratto come tale. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 315 Contribuivano al riconoscimento iscrizioni, acconciature particolari, monili, tratti vestimentali e probabilmente la stessa tipologia del ritratto e la sua collocazione. Umberto Eco parlerebbe di selezioni contestuali, nel caso in cui le scelte vengano attivate dalla compresenza di altri elementi del testo iconografico e monumentale, e di selezioni circostanziali, attivate da fattori extratestuali, quali per esempio le funzioni dell’ambiente in cui erano esposti oppure i rituali celebrati in connessione con il ritratto.95 È utile considerare in questo quadro un particolare elemento che caratterizza alcuni ritratti a partire dal VI secolo: il nimbo quadrato, che ritroviamo nei mosaici e negli affreschi a partire dall’età di Giustiniano iniziando dai mosaici della chiesa di Santa Caterina nel Sinai (fig. 5).96 La sua interpretazione usuale è che si tratti di una variante dell’aureola circolare e che venga impiegato per indicare personaggi ancora in vita, in genere i donatori. Si tratta però probabilmente della semplificazione – o della evoluzione – di un significato più sottile e interessante. La forma rettangolare fa pensare infatti alla cornice della tavola dipinta e ci può aiutare un testo di Giovanni Diacono, che – benché della seconda metà del IX secolo – appare assai bene informato: nel descrivere un ritratto di Gregorio Magno nel suo convento di S. Andrea a Roma questo autore spiega che il pontefice «aveva preferito alla sommità del capo una forma simile a una tavola (tabulae similitudo) piuttosto che un’aureola (corona). Dalla qual cosa viene evidentemente dichiarato, poiché Gregorio mentre era ancora in vita aveva voluto che il suo ritratto (similitudo) fosse dipin­ to avendo presente la sua utilità, perché potesse essere spesso osservato attentamente dai suoi monaci, non per la gloria dell’esaltazione, ma per garanzia del noto rigore.»97 Dunque la vivezza dell’immagine e la sua 95 Eco 1979, § 5. A questi andrebbero aggiunti quelli che Rastier 2003, 182­183 definisce come vincoli in absentia: leggi di genere e intertesto. 96 Forsyth/Weitzmann 1965, 13, tavv. C I I I, CXXXVI- CXXXVI I (veduta generale), CXX-CXXI, CLX-CLXI (ritratti di Giovanni e Longino); Nardi 2009­2010. Per altri affreschi di VI sec. con il nimbo quadrato cfr. Ladner 1983, 132­133, n. 27­28. Il nimbo quadrato attorno alla testa dell’apostolo Andrea nella “catacomba Wescher” (de Rossi/Wescher 1865; Pasi 2003; Pasi 2008, 39­45) do­ cumentato solo da un disegno sembra dovuto piuttosto a interpretazione erronea del disegnatore: cfr. già Wilpert275; da ultimo Dresken–Weiland 2010, 210 fig. 98. 97 Io. Diac., Vita Gregorii Magni 4.84, PL 75, c. 231 A: Circa verticem vero tabulae similitudinem, quod viventis insigne est, praeferens, non coronam. Ex quo manifestissime declaratur, quia Gregorius dum adviveret, sua similitudinem depingi salubriter voluit, in qua posset a suis monachis, non pro elationis gloria, sed pro cognitae districtionis cautela, frequentius intueri. Cfr. Müller 2009, 29; Marsengill 2013, 60. 316 5 Ritratti con nimbo dell’Egumeno Longino e del Diacono Giovanni dell’abside di S. Caterina nel Sinai LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 317 perfetta riconoscibilità appare funzionale al mantenimento di una rigorosa disciplina che i monaci avrebbero associato alla persona di Gregorio, quasi a sentirne su di sé lo sguardo anche in sua assenza. Da un punto di vista formale, inoltre, la forma rettangolare del nimbo va interpretata come un elemento metalinguistico, che qualifica il ritratto come “realistico” e ricavato da un modello dipinto dal vero, verosimilmente da un ritratto su tavola,98 in altre parole non un ritratto ideale di ricostruzione. Come è stato osservato, disponiamo anche di evidenze archeologiche in questo senso: il caso più famoso è quello di un affresco di IV secolo nel cubicolo di Oceano della catacomba di S. Callisto a Roma99 (fig. 6). Si tratta di un busto al di sopra del quale resta un’iscrizione dipinta fram­ mentaria [---]iissiim[---]: il volto manca, ma si capisce chiaramente che era realizzato a parte su un pannello rettangolare inserito nell’intonaco e ora perduto. Si possono aggiungere altri casi simili. Nell’arcosolio 12 della Catacomba di Domitilla si riconosce il ritratto di una coppia: la testa della figura femminile è mancante perché era realizzata a parte su una tavola e inserita, inoltre tra i coniugi rimane uno spazio rettangolare bianco in cui doveva essere inserito un ulteriore ritratto dipinto – verosimilmente quello di un figlio – che era stato realizzato su una tela fissata con chiodi di cui resta ancora qualche traccia; infine sul petto della donna rimangono tracce di colla, che dovevano fissare probabilmente un secondo ritratto in­ fantile non previsto originariamente.100 Nella catacomba dei Ss. Marcellino e Pietro l’arcosolio centrale del Cubicolo degli Atleti presenta un incasso che doveva ospitare una tabula lignea dipinta, ora perduta,101 e forse anche la lunetta del cubicolo 41 poteva avere un ritratto: restano numerosi chiodi sul riquadro bianco.102 Nella catacomba di Domitilla esistono immagini dipinte ad affresco di ritratti su tabula, quasi ritratti al quadrato: nel 98 Krücke 1905, 94­95; Matthiae 1967, I, 215­216; Osborne 1979, 63­64; Warland 1986, 35­36; Kessler 2000, 133­135; Jäggi 2002­03, 40, 45 nota 80; Niewöhner 2008, 182; Liverani, 2016 99 Garrucci 1873, tav. 14; Wilpert 1924, I, 108, II, 1089, IV tav. 182.1. Cfr. an­ che Wilpert 1903, tav. 134.1; Wilpert 1907, fig. 3; Kollwitz 1957, 70­71, tav. 8.2; Warland 1986, tav. 22; Nestori 1993, 105, n. 15; Belting 2001, 121, 609 nota 28; Mitchell 1993, 108, fig. 7.45; Kessler 2000, 133­134, fig. 6.19; Zimmermann 2007, 165; Marsengill 2011, 63; Marsengill 2013, 59­60, fig. 19; Corneli 2014, 240­241, fig. 5; Liverani 2016 a. 100 Zimmermann 2007, 165­166, tav. 21a; Zimmermann/Tsamakda 2009, 627­ 628, fig. 10. 101 Corneli 2014. 102 Deckers/Mietke/Seeliger 1987, 260. 318 6 Ritratto femminile dal cubicolo di Oceano della catacomba di S. Callisto a Roma loculo 51 si trova la cd. orante nel trittico,103 in cui il ritratto della defunta è inserito in una cornice dotata di sportelli di protezione (pure dipinti). Nell’arcosolio principale del cubicolo 39 l’affresco rappresenta due eroti 103 Wilpert 1891, 50, 55 n. 1 (copia antica di G.A. Toccafondo, Bibl. Vallicelliana cod. G 6, fol 5v) tav. XXIII, 2, XXIV.1; Wilpert 1903, 459; Zimmermann 2007, tav. 20d. LIV E R A NI: IL R IT R AT TO D IPIN TO I N E TÀ TA R D O A N T I CA 319 che reggono una tabula a fondo blu su cui si riconosce il ritratto di una coppia di defunti.104 Si potrebbe sospettare che anche altri ritratti funerari che spiccano da un riquadro blu – il colore che costituisce lo sfondo usuale per i ritratti più solenni105 – possano essere interpretati in maniera simile, come allusioni a ritratti su tabula: è il caso di una tomba della metà del IV sec. da Viminacium106 o, ancora una volta nella catacomba di Domitilla, quello di un’orante nell’arcosolio dei “Piccoli Apostoli”.107 Cerchiamo di tirare le fila di questo discorso. Gli elementi appena esaminati sembrano convergere in una evoluzione del ritratto dipinto – e soprattutto di quello su tavola – in un senso che rafforzava nella perce­ zione comune i caratteri propri del ritratto e cioè la sua riconoscibilità nell’ambito della vita quotidiana, in contrapposizione all’evoluzione del ritratto scultoreo ufficiale e pubblico, che esaltava la sua connotazione monumentale e in cui l’esigenza della somiglianza si sfocava, schiacciata com’era dalla volontà di rappresentare il ruolo dell’onorato. Quindi, pur nel quadro di una evoluzione stilistica generale che tende ad allontanarsi dal realismo del ritratto romano alto­ e medio­imperiale, il ritratto dipinto – almeno in una parte delle sue manifestazioni – mantiene una relazione sufficientemente forte e sentita con i tratti del personaggio raffigurato, tanto da giungere a sviluppare una particolare codifica – quella del nimbo quadrato – che poteva essere utilizzata anche nei ritratti monumentali musivi e ad affresco per sottolineare la somiglianza e il realismo della fi­ gurazione, sia pure con una declinazione differente rispetto ai secoli prece­ denti. Se una tale ricostruzione è giusta, si dovrebbe riconsiderare qualche idea sulla ritrattistica della prima età bizantina. Si è infatti proposto di 104 Wilpert 1903, 543, tav. 127.3; Zimmermann 2007, 165, tav. 20e; Zimmermann/ Tsamakda 2009, 621-622, fig. 8. Già in età augustea si può ricordare il ritratto di M. Scribonius Menophilus dal colombario di Villa Pamphili a Roma (Fröhlich 2009, fig. 2; Liverani 2016 a, fig. 10), che imita una tabula dipinta dotata di sportelli di protezione. 105 Cfr. Liverani 2014, 14­20. Si ricordi anche la descrizione di Giovanni Crisostomo (cit. supra nota 40) del procedimento pittorico per realizzare un ritratto imperiale con il fondo blu. 106 Tomba G 2624 da Viminacium (Stari Kostolac, Serbia), Museo Nazionale di Pozarevać: Korać 1991, 118-121, figg. 11-15; Valeva 2001, 183; Dunbabin 2003, 453-454, fig. 16; Spasić–Jurić 2005; Korać 2007, 179-185. 107 Nestori 1993, 126, n. 39; Wilpert 1903, tav. 154.1; Zimmermann 2002, 250; Zimmermann 2007, 163, tav. 19a. Si ricordi il già citato caso della tabula retta da eroti nel cubicolo 39. 320 riconoscere nell’età di Giustiniano la nascita di una corrente realistica,108 che avrebbe influenzato anche il successivo sviluppo dell’iconografia dei santi. Senza intervenire nello specifico dell’arte bizantina, va osservato però che a un esame più approfondito la divaricazione tra un’arte idealista e una realista, tra simbolo e rappresentazione – in tedesco tra Sinnbild e Abbild, con un gioco di parole intraducibile in italiano – avviene piuttosto nella differenziazione funzionale dei generi di ritratti (schematizzando: ritratti scultorei tridimensionali vs. ritratti dipinti bidimensionali, ritratti di rappresentanza vs. ritratti privati) e che l’apparente irruzione di reali­ smo nell’arte giustinianea è piuttosto il riemergere di una tendenza che non si era mai interrotta,109 ma che è scarsamente attestata per ragioni contingenti, visto che sono relativamente pochi i mosaici (o gli affre­ schi) monumentali di IV e V secolo conservati – in particolare mosaici con ritratti. Se si volessero invece prendere sul serio alcuni indizi offerti dall’epigrafia monumentale cristiana, potremmo sospettare l’esistenza di importanti ritratti di donatori anche in questi secoli meno documentati.110 CREDITI FOTOGRAFICI 1, tav. 9 http://www.colorado.edu/Classics/clas4091 /Graphics/Tondo.jpg (20.07.2017). 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:RossanoGospelsFolio8vChrist BeforePilate.jpg (20.07.2017). 3 – 4 Foto dell’autore. 5 Foto Araldo De Luca per il CCA­Roma. 6 Foto Pontificia Commissione di Archeologia Sacra. BIBLIOGRAFIA Agosti 2004-2005 Agosti, Gianfranco: Immagini e poesia nella tarda anti­ chità. Per uno studio dell’estetica visuale della poesia greca fra III e IV sec. d.C. In: Incontri triestini di filologia classica 4 (2004­2005), 351­374. 108 Niewöhner 2008. 109 Ancora nel V sec. si contano alcuni ritratti in scultura estremamente reali­ stici: cfr. Kiilerich 2011; Kiilerich 2015 specialmente 31. 110 Cfr. alcune prime annotazioni in Liverani 2016 b. 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Dans ces écrits sollicités par son ami Grimm pour la Correspondance littéraire, les remarques sur les portraits exposés au Louvre entre 1759 et 1781 prennent des formes diverses : parfois ce sont des descriptions succinctes, mais d’autres fois il s’agit de longs développements sur un art qui ouvre accès à la marche « de l’esprit humain dans toutes ses recherches »1. Ces mises au point concernant un art abondamment représenté dans les expositions dont Diderot offre le compte rendu et fort prisé par le public, visent deux questions. D’un coté elles prolongent les mêmes reproches que la critique contemporaine avait formulés à l’égard du portrait, qui serait devenu une simple technique relevant des arts mécaniques plutôt que des beaux-arts et destiné à flatter l’amour-propre des commanditaires dont certains, d’origine obscure ne peuvent intéresser que leur famille ou amis.2 Ainsi dans le Salon de 1759 des portraits de Louis­Michel Van Loo sont à peine mentionnés puisqu’ils « n’intéressent pas »3 de même que ceux de Drouais dont « les visages de plâtre » sont suivis d’un bref commentaire sur leur « fausseté » qui contredit la nature et d’une sanction sans appel : « Ces 1 Diderot 1975–1986, III 62. 2 Le dédain pour le portrait devient un lieu commun à partir de 1747, moment où le nouveau directeur général des Bâtiments, Le Normant de Tournehem veut donner un nouvel essor à la peinture d’histoire à l’exemple de Colbert. Plusieurs textes constatent sur le ton de l’ironie ou de la satire cet engouement du public pour le genre du portrait. Parmi eux La Font de Saint Yenne, Réflexions sur quelques causes de l’état présent de la peinture en France (1747) et Sentiments sur quelques ouvrages de peinture, sculpture et gravure (1754), mais aussi le Conte de Caylus, Le Salon de 1753. Sur la véhémence du débat, voir Locquin 1913, 309–19. 3 Diderot 1975–1986, I 63. 330 gens voyent donc d’une façon et font d’une autre ».4 Et le Salon de 1763 justifie la dissidence de l’homme de lettre, qui à l’encontre des gens du monde admirant dans les peintures la ressemblance avec les originaux, passe rapidement sur les portraits : Tant que les peintres portraitistes ne me font que des ressemblances sans compositions, j’en parlerai peu ; mais lorsqu’ils auront une fois senti que pour m’intéresser il faut une action, alors ils auront tout le talent du peintre d’histoire, et ils me plairont indépendamment du mérite de la ressemblance.5 D’un autre côté pourtant, les réflexions de Diderot sur l’art du portrait s’approfondissent. L’exemple des œuvres de Maurice-Quentin de La Tour, portraitiste qui échappe aux griefs de la critique, aussi bien que des entretiens avec le peintre, que Diderot rapporte dans les salons et essais, nourrissent une réflexion sur la nature entamée déjà dans les Pensées sur l’Interprétation de la nature révisées en 1754. Si la philosophie de la nature, s’appuyant sur les sciences expérimentales propose une liaison d’idées et notions dont le sens n’est jamais absolu, puisqu’elle enchaîne soit des expériences soit des raisonnements soutenus à un bout par l’observation et à l’autre par l’expérience, l’art fournit aussi une représentation objective des rapports au monde, et partant, une interprétation de la nature aux moyens de la composition, du dessin et des couleurs. Comme la philoso­ phie de la nature, la peinture a besoin d’un langage qui peut reprendre la nature dans sa manière de créer. Ayant éprouvé la sévérité de l’enquête et aperçu les risques d’une raison qui se clôt sur elle­même aussi bien que des sens se répandant à l’extérieur (Pensées VI-IX), Diderot convoquait la peinture en tant qu’interprète de la nature dans sa capacité de créer un espace mesurable, dont il donne souvent la hauteur et la largeur, autant qu’un espace mental bien différent des représentations géométriques puisqu’il appelait à tous nos sens et permettait de nous y transposer.6 4 Ibid., I 67. 5 Ibid., I 203. 6 Nombreux sont les passages où Diderot refait les mythes d’Apelle et de Zeuxis sur le pouvoir de la peinture à tromper les yeux en décrivant des objets, person­ nages ou paysages comme étant hors de la toile, moyennant des expériences au même titre que le monde perçu : vase de porcelaine ou raie chez Chardin (Salon de 1763, I, 222–223), jeune fille navrée chez Greuze (Salon de 1765, II, 145–147), promenade dans les paysages de Vernet (Salon de 1767, III, 129–162). B O NT E A : D ID E R OT E T L’ A R T D U P O R T R A I T 331 Cet usage de l’art, tout nouveau à l’époque, contenait l’aveu d’une phi­ losophie qui essayait de repousser les idées transcendantales et l’orgueil d’une parole sur la nature qui se l’approprie, sans lui enlever la diversité. A l’exemple de Montaigne qui ne taisait pas l’insuffisance de l’homme devant les mystères de la nature, le philosophe dresse un inventaire des questions sur la nature non pas toute faite mais encore en devenir (Pensées X). Une fois supposé que la nature est en train de se faire et accepté que son sens ultime échappe à l’entendement, il s’agit de rendre compte de son état provisoire et de la variété des formes.7 C’est le but des sciences expérimentales, telles la biologie, la physique, la chimie et des instruments qu’elles se créent. L’art y participe aussi dans la mesure où il s’attache à donner une vue sur la nature dans la diversité de ses états présents : êtres humains, fleurs, animaux mais aussi natures mortes, minéraux, pierres précieuses. Si parmi les centaines de tableaux exposés aux sa­ lons, seulement quelques tableaux de Chardin, Greuze, Vernet, La Tour intéressent Diderot c’est qu’ils permettent d’appréhender la nature. Les règles de l’art académique passent derrière l’aptitude du tableau à offrir un contact avec le monde perçu et à initier à la création des formes dont chacune se réclame de sa fonction. L’intérêt particulier que Diderot porte à l’art du portrait est intimement lié à l’éclaircissement du rapport entre modèle, fragment de la nature vivante, et l’instant figé du tableau qui en garde les traces. Des pensées sur l’interprétation de la nature qui, cette fois­ci, prennent le détour de la critique d’art. En 1767 Louis-Michel van Loo exposait plusieurs portraits. Peux valent la peine d’être mentionnés : celui du Cardinal de Choiseul et celui de l’Abbé de Breteuil retiennent brièvement l’attention de Diderot puisqu’ils sont ressemblants.8 Conformément à l’usage du temps enre­ gistré, entre autres9, par L’Encyclopédie, le mérite principal du genre « est l’exacte ressemblance qui consiste principalement à exprimer le caractère et l’air de physionomie des personnes qu’on représente ».10 Inégaux en ce 7 Sur l’analyse de la pensée de Diderot et l’hypothèse d’une science en devenir qui ne rejoint plus les thèmes du scepticisme, voir Duflo 2003, 116. 8 Diderot 1975–1986, III, 66. 9 Bachaumont 1767, 14 ; voir encore la notice du Mercure de France, octobre 1763, sur un autre tableau de Van Loo, Portrait de l’artiste avec sa sœur devant le portrait de leur père : « La vérité de ressemblance dans les têtes est d’une fidélité la plus exacte & ne laisse rien à desirer ni à chercher ; … » (182–184). 10 Dideort et d’Alembert 1751–1772, article Portrait, rédigé par Le Chevalier de Jaucourt. 332 qui concerne l’exécution, les deux tableaux sont retenus par Diderot pour avoir donné aux personnages des attitudes renseignant sur la nature : sagesse pour l’un, air facile et dégagé pour l’autre. Le contraste entre deux manières de représenter l’état ecclésiastique, une sérieuse et posée, toute imprégnée de la dignité de la fonction, l’autre moins sage, qualifiée par l’adjectif « paillard », a pu suggérer à Diderot cette courte exégèse sur le rapport entre la physionomie, qui vise la nature, et l’habit, qui dénote l’appartenance à l’ordre religieux. Mais surtout cette opposition sortie du pinceau du peintre, sert, dans le contexte du salon, d’introduction à la section suivante, qui est une présentation et réponse au tableau de Van Loo Portrait de M. Diderot (Ill. 1 ; Pl. 10). Les réserves devant cette image de lui­même sont annoncées dès le début.11 Portrait « assez ressemblant » en ce qui concerne la douceur et vivacité, traits que Diderot, confirme par le style de sa prose enjouée, ironique, mêlant plusieurs voix, il fait défaut puisqu’il présente un per­ sonnage de comédie plutôt qu’un philosophe. L’inadvertance des registres fait l’objet principal de la critique. D’abord c’est la physionomie qui est manquée : « … trop jeune, tête trop petite. Joli comme une femme, lorgnant, souriant, mignard, faisant le petit bec, la bouche en cœur. »12 Ces traits masquent la nature du personnage par un enjolivement qui aboutit sur la toile à un effet tout contraire à celui que l’on avait recherché. En essayant de « faire joli » plutôt que de confronter les difficultés d’une nature ingrate, la peinture présente un déguisement de l’homme sous les traits d’une femme. Pratique courante de la comédie et de la caricature, le déguisement par l’art se substitue à la ressemblance avec les productions de la nature dont les procédés sont précisément ceux que le peintre doit s’approprier. 11 Les remarques de Diderot sur son portrait ont été interprétées souvent et selon des optiques bien variées. Marc Buffat prend en considération l’ensemble des commentaires de Diderot sur les portraits de lui­même à travers une analyse stylistique qui aboutit à l’identification du point de vue adopté par Diderot avec celui du peintre, pour mettre en évidence la situation d’un sujet en position d’objet, Buffat 1995, 55–70 ; Kate E. Tunstall s’attache à la multiplicité des points de vue que Diderot adopte sur la représentation de lui­même et révèle la cri­ tique aussi bien que la défense du portrait de Van Loo en soulignant le rapport étroit avec l’écriture de Montaigne, Tunstall 2007, 197–210 ; Bernard Vouilloux considère le texte du Salon dans le contexte élargi des écrits de Diderot pour dénoncer l’insuffisance des portraits à constituer une image fiable pour la pos­ térité, à part le portrait fait par Garand, et situe le lieu du portait dans le travail du philosophe et dans ses écrits, Vouilloux 2007, 111–164. 12 Diderot 1975–1986, III 66. B O NT E A : D ID E R OT E T L’ A R T D U P O R T R A I T 333 1 Louis Michel Van Loo : Denis Diderot, écrivain, 1767, huile sur toile, 81 × 65 cm, Paris, Musée du Louvre (cf. pl. 10) 334 Dans les Essais sur la peinture (1765), Diderot est sans équivoque sur les leçons que la nature donne à l’artiste : « La nature ne fait rien d’incor­ rect. Toute forme belle ou laide a sa cause, et de tous les êtres qui existent, il n’y en a pas un qui ne soit comme il doit l’être. »13 La forme des êtres est une conséquence de leur organisation : disposition des organes soumise à l’âge et aux passions dominantes aussi bien qu’aux fonctions quoti­ diennes. La physionomie n’est plus uniquement un répertoire de traits donnés par la nature, signe des humeurs qui marquent sur les visages les quatre tempéraments et les passions qui leurs correspondent, comme chez les anciens et chez Le Brun encore.14 Elle s’enrichie chez Diderot de traits imprimés par les occupations ordinaires de chacun que le visage et les membres révèlent dans les habitudes du corps. Tout un chapitre des essais dédié aux questions de l’expression a pour but l’élargissement de la notion de physionomie. Sous ce titre, à côté des humeurs et traits distribués par la nature, s’inscrivent maintenant les sentiments, l’âge, les activités et les accidents de la vie.15 Ainsi l’étude de la physionomie reste, comme chez Le Brun, une partie essentielle de l’apprentissage du peintre. Mais différemment de son prédécesseur, elle n’est plus réduite aux expressions particulières mesurant les degrés d’éloignement ou de rapprochement de parties du visage de la figure-type de la sérénité que lui et ses collègues de l’Académie admirait dans Saint Michel terrassant le démon (1518) peint par Raphael et que les apprentis devaient étudier dans les cours de dessin.16 L’étude de la physionomie, dans son sens élargi, acquiert dans les écrits de Diderot le statut d’une discipline essentielle, dont tout le métier du peintre dépend, y compris l’art du dessin et de la couleur. Cette étude devient synonyme de l’étude de la nature, nature à laquelle la figure humaine appartient non en tant qu’objet ou modèle pour la peinture d’atelier, mais plutôt comme échantillons du divers sur lesquels la nature se donne à voir sous une forme déterminée. La nature, ainsi que le précise les Pensées sur l’interprétation de la nature en suivant Buffon, ne produit jamais deux êtres identiques. Ce 13 Diderot 1986, 11. 14 Conférence de Monsieur Le Brun sur l’expression générale et particulière, recueillie par Picart en 1698, dans Le Brun 1994, 47–109. 15 Baudelaire s’en souviendra lors de la rédaction du Peintre de la vie moderne (1863) et en tira profit pour ébaucher une première esthétique du moderne à partir de illustrations de Constantin Guys. 16 Conférence de Charles Le Brun sur Saint Michel terrassant le demon par Raphaël (1667), rapportée par Félibien, dans Le Brun 1994, 140–157. B O NT E A : D ID E R OT E T L’ A R T D U P O R T R A I T 335 qui intéresse Diderot dans L’Histoire naturelle dont les premiers volumes paraissent en 1749 suivis de trois autres en 1753, n’est pas uniquement le procès d’abstraction qui mène aux principes de la connaissance, mais encore la diversité des phénomènes et surtout l’aptitude de la nature à « varier le même mécanisme d’une infinité de manières différentes. »17 Or ces variations remontent en pensée à un premier moule, le prototype, conçu comme cadre de l’organisation de la matière plutôt que modèle. Par des métamorphoses diverses à l’intérieur de ce cadre, compris en tant que fonctions constantes de l’être vivant accomplies par des dispositions différentes de la matière, telle la main chez l’homme et le pied chez le cheval, la nature invente une multitude de formes qui permettent le passage d’un règne à l’autre sans qu’il y ait division réelle entre eux. Sur l’exemple des quadrupèdes, dont les fonctions et parties sont à peu près les mêmes, Diderot reprend une hypothèse de Maupertius18 dans des termes qui lui sont propres : « qui ne se sentirait porté à croire qu’il n’y a jamais eu qu’un premier animal, prototype de tous les animaux, dont la nature n’a fait qu’allonger, raccourcir, transformer, multiplier, oblitérer certains organes ? » 19 S’il s’agit ici d’une hypothèse essentielle à la fois pour la physique expérimentale et la philosophie, c’est qu’elle rend compte des ressemblances des organes du point de vue de leurs fonctions, tout en respectant la différence dans les formes. Ainsi la diversité n’est pas sacrifiée au principe de l’unité tout en rendant possible cette philosophie expéri­ mentale, qui procède par hypothèses et conjectures. La nature une, dont l’équivalent en pensée est le prototype, est une ouvrière infatigable qui se plaît parfois à montrer cette organisation et d’autres fois à la dérober dans les formes qu’elle produit, ce qui est encore un indice de son inventivité. Si la nature agit de la sorte dans la création des ses formes variées et que la forme et disposition des organes de l’être humain révèlent les fonctions auxquelles les organes se prêtent, les tâches répétées imposées par un métier ou un état déterminés sont susceptibles elles aussi d’intro­ duire des modifications supplémentaires dans les formes corporelles des individus. Partant du principe que la peinture a pour tâche de montrer l’extérieur de l’objet, l’étude des formes ne peut aucunement se limiter à l’étude de l’écorché, pratique courante de l’enseignement de l’Académie 20. 17 Diderot 1754, Pensée XII, 32. 18 Diderot cite la thèse inaugurale parue en latin en 1753. L’année suivante elle est publiée en français sous le titre Essai sur la fonction des corps organisés. 19 Diderot 1754, Pensée XII, 35–36. 20 Sur l’intérêt de Diderot pour l’anatomie et les modèles réduits, voir Joly 2008, 57–70. 336 Ce savoir perfide fait oublier à l’œil de voir les superficies et au lieu de peindre la peau et la chair, « il n’entrevoit toujours le muscle, son origine, son attache et son insertion. »21 L’apprentissage de la physionomie vient précisément corriger les leçons d’anatomie, qui enseignent ce qu’il y a de constant dans la formation et l’aspect des organes, par une étude des formes susceptibles de variations infinies. Des traits relevant des habi­ tudes contractées dans la société où « chaque individu de citoyens a son caractère et son expression ; l’artisan, le noble, le roturier, l’homme de lettres, l’ecclésiastique, le magistrat, le militaire »,22 mais aussi l’aveugle ou le bossu, viennent en compléter et diversifier l’inventaire. Ce qui jus­ tifie chez Diderot leur inclusion parmi les physionomies dont le peintre doit avoir connaissance, c’est le besoin de l’art de prendre à son compte cette invention prodigieuse dont la nature fait preuve dans ses propres créations. Les études de physionomie des prédécesseurs tels Le Brun et Della Porta n’offraient des marches de la nature que des vues abstraites, rendues par des diagrammes et bonnes pour l’étude dans les ateliers de l’Académie. (Ill. 2) Diderot demande au peintre et à la peinture de se situer au même point de vue que la nature au moment où elle engendre la profusion de ses formes, c’est­à­dire là où les formes gardent la trace d’une action dans une posture imposée par une des activités ou états de la société, sans que cette action elle­même soit représentée. La prémisse de cette vue élargie de la physionomie est énoncée au début du salon de 1769, où Diderot cite les paroles du peintre Maurice­Quentin de La Tour : « il n’y a dans la nature, ni par conséquent dans l’art, aucun être oisif. Mais tout être a dû plus ou moins souffrir de la fatigue de son état : il en porte une empreinte plus ou moins marquée. »23 Ces modifications des formes que l’étude de l’écorché ignore, font partie de la physionomie de l’être actif, dont le portrait offre une vue synthétique dans la disposition du tableau. Le portrait de Diderot exécuté par Van Loo pèche justement par un défaut de construction. Bien que la section du salon dédiée à son exégèse ne contienne que des jugements sommaires, ils suivent de près les déve­ loppements du chapitre quatrième des Essais sur la peinture sur l’expres­ sion. L’effet « trop jeune » que Diderot remarquait dans le salon s’ensuit d’une malfaçon du contour du visage, aspect de physionomie longuement analysé dans l’essai : un ovale arrondi, symétrique en haut et en bas de la figure, caractérise la jeunesse et la grâce et convient plutôt aux portraits 21 Diderot 1986, 14. 22 Ibid, 42. 23 Diderot 1975–1986, IV 49. B O NT E A : D ID E R OT E T L’ A R T D U P O R T R A I T 337 2 Charles Le Brun : L’Attention et L’Estime : deux têtes de face et une de profil, 17e siècle, papier blanc, dessin à la plume, pierre noire, encre noire, encre brune, 207 × 259 cm, Paris, Musée du Louvre de femmes et d’enfants. D’où l’impression de « faire joli ». Pourtant cette forme jure avec le « toupet gris » signe d’un âge tout différent de celui du visage. Entre le contour du visage et la couleur des cheveux le désaccord est tel qu’il aboutit au déguisement du philosophe en « vieille coquette » qui veut toujours plaire. La référence à un opéra­comique de Sedaine, où le jardinier sot et vaniteux pense ne pas être reconnu par son seigneur puisqu’il ne porte pas sa perruque,24 suggérait que le portrait était ridicule puisque outré. En choisissant de présenter l’homme de lettre dans son milieu familier, sans perruque, en robe de chambre, devant sa table de travail, la plume à la main, le peintre n’était pas arrivé à créer l’intimité de l’écrivain absorbé dans ses pensées et son travail.25 24 Le Jardinier et son seigneur, opéra­comique représenté sur le Théâtre de la Foire Saint­Germain, Paris, 1761, Sc. VII. 25 Michael Fried attache la critique que Diderot fait de son portrait à une critique plus générale visant la théâtralité en peinture. Son but est d’effacer le 338 Y contribue encore une deuxième méprise de construction : le ra­ petissement de la tête, erreur de proportion qui laisse peu d’espace au délinéament des traits. Ce qui est sacrifié à une symétrie académique tenue pour la loi d’une belle proportion en peinture, est justement l’espace permettant de varier les lignes et les volumes aptes à recueillir les traits de l’homme travaillé par ses pensées et son devoir. Omettant d’œuvrer de la même façon que la nature lorsqu’elle différencie entre les formes d’un même organe, le peintre aboutit à une figure insuffisamment déve­ loppée du côté du caractère, puisqu’il manque la précision rigoureuse du trait qui, trop petit, surtout du côté de la bouche, aplatit le relief. D’où une expression de convention, empruntée à la représentation théâtrale : œil tourné vers un interlocuteur situé en dehors de la toile, bouche en cœur dessinant un sourire aimable et méprisant. L’effet de cette tête sur l’ensemble de la composition est de tourner la scène privée que le tableau veut être, en scène comique, digne du théâtre de la foire. Le commentaire satirique de Diderot porte l’empreinte du rire du spectateur en tant que juge et partie : « sa mignardise lui donne l’air d’une vieille coquette qui fait encore l’aimable. » L’effet d’enjolivement touche au ridicule, ce que le salonnier, bon ami du peintre, ne saurait taire. « Moi. J’aime Michel. Mais j’aime encore mieux la vérité. »26 Le ton sobre de la critique d’art s’abolit sous les traits de la satire sous­jacente et circonscrit ainsi le genre auquel la toile appartient en dépit de l’intention du peintre. Le style persiflant du salon donne l’équivalent discursif de cette figure de pacotille dont Diderot, le modèle vivant, prend ses distances en la renvoyant au registre qui lui appartient, plus proche de la caricature que de l’art du portrait.27 rôle du spectateur et de construire la fiction d’une autonomie de la peinture qui ne s’adresse à personne. En choisissant de présenter les personnages dans des attitudes et gestes qui montrent une intense concentration, le tableau nie la présence du spectateur et c’est justement par cela qu’il arrête son regard et le fixe sur la toile. Absorbtion and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot, Chicago 1988 108–115. 26 Diderot 1975–1986, III 67. 27 Bien que la caricature ne devient un genre d’art reconnu avant le dix-neu­ vième siècle et ne devient objet d’exposition avant 1838 avec l’ouverture du Salon caricatural à Paris, le terme est en usage. Dès 1752, L’Encyclopédie l’enre­ gistre dans le vocabulaire du dessein : « Ce mot est francisé de l’italien caricatu­ ra, et c’est ce qu’on appelle autrement charge. Il s’applique principalement aux figures grotesques et extrêmement disproportionnées soit dans le tout, soit dans les parties qu’un peintre, un sculpteur ou un graveur fait exprès pour s’amuser et pour faire rire. Calot a excellé dans ce genre. Mais il en est du burlesque en B O NT E A : D ID E R OT E T L’ A R T D U P O R T R A I T 339 A part l’expression efféminée du visage, ce qui altère encore la vérité de l’expression est la posture « d’un secrétaire d’État et non d’un philo­ sophe. » Diderot fait ici allusion à un autre tableau de Van Loo, lui­aussi exposé en 1767, qu’il ne commente pas mais auquel il fait allusion : « Michel Van Loo est vraiment un artiste : il entend la grande machine ; témoins quelque tableaux de famille où les figures sont grandes comme nature et louables par toutes les parties de la peinture. »28 Il s’agit du Portrait du Comte Devin et de sa famille, dont la pose et à peu près similaire à celle du philosophe (Ill. 3). La critique porte ici sur l’art de poser le modèle. Ce « grand art » vise la justesse des mouvements dans les actions de la vie, comme le précise encore les Essais sur la peinture. Or le Comte Devin, ancien secrétaire d’état, récemment nommé directeur de la Caisse d’escomptes, est représenté dans une double fonction de grand magistrat 3 Louis Michel Van Loo : The Devin Family, 1767, huile sur toile, 110 × 150 cm, private collection, Wikimedia Commons, the free media repository Peinture comme en Poésie ; c’est une espèce de libertinage d’imagination qu’il ne faut se permettre tout au plus que par délassement. » Diderot s’était déjà essayé au genre en prose dans plusieurs passages des Bijoux indiscrets (1748). Cf. Vissière 1995, 249–250 28 Diderot 1975–1986, III 69. 340 et de père de famille. La posture adoptée correspond précisément au mo­ ment d’une interruption des devoirs officiels, auxquels renvoient le bureau somptueux, la serviette en cuir, les papiers, l’encrier et la plume, par la lecture privée qu’il fait à son jeune enfant et à sa femme. L’association de deux rôles simultanément remplis dans l’instant du tableau suggère que le portrait de famille participe à la fois du tableau d’apparat et du tableau intime. Si dans ce cas le choix de la posture du haut fonctionnaire, assis derrière son bureau et accoudé sur les papiers rangés qu’il ne regarde pas, est approprié, il en va autrement pour le portrait du philosophe. La même posture n’est plus justifiée quand il s’agit de représenter l’homme de lettres occupé à sa tâche. Ici l’interruption du travail est anecdotique et Diderot veut bien en rendre compte : La fausseté du premier moment a influé sur tout le reste. C’est cette folle de Mme Van Loo qui venait jaser avec lui, tandis qu’on le peignait, qui lui a donné cet air­là et qui a tout gâté. Si elle s’était mise à son clavecin et qu’elle eût préludé ou chanté Non ha ragione, ingrato, Un core abbandonato, ou quelque autre morceau du même genre, le philosophe sensible eût pris un tout autre caractère, et le portrait s’en serait ressenti. Ou mieux encore, il fallait le laisser seul et l’abandonner à sa rêverie. Alors sa bouche se serait entrouverte, ses regards distraits se seraient portés au loin, le travail de sa tête fortement occupée se serait peint sur son visage, et Michel eût fait une belle chose.29 Il y a interruption et interruption. Le portrait de Diderot aspire à donner l’image d’un écrivain adonné à son travail, mais la scène réelle, celle d’une visite et d’une conversation, fût-elle anecdotique, laisse son empreinte sur l’image du philosophe au visage lisse et sourire superflu. Ainsi le tableau fixe sur les traits du philosophe un moment éphémère de la vie et l’associe à une pose qui devait consacrer pour la postérité la représentation d’un homme occupée à ses pensées et concentré sur son travail. N’étant pas puisée dans la logique d’une action suivie et de conséquence, répandue sur toutes les parties du tableau, la posture est postiche. D’un côté le visage tourné vers l’extérieur, souriant, inattentif et indifférent à l’action de la main en train d’écrire, de l’autre la position du corps et des mains, signifiant précisément le travail, relève plutôt d’une image composite dont 29 Diderot 1975–1986, III 67. B O NT E A : D ID E R OT E T L’ A R T D U P O R T R A I T 341 les parties restent discordantes. De ce désaccord enregistré entre la tête et le reste du corps découle la fausseté de la représentation. La pose n’étant pas dictée par le reste de la figure, elle apparaît comme empruntée à un autre état : celui d’un haut fonctionnaire interrompu dans son métier qui reste affable et poli. A ce défaut d’air concoure aussi un accessoire mal choisi, trop somp­ tueux et riche pour celui qui le porte. L’ironie de Diderot est mordante à cet égard : « Et puis un luxe de vêtement à ruiner le pauvre littérateur, si le receveur de la capitation vient à l’imposer sur sa robe de chambre ».30 Ce détail, un signe de plus du mélange et de la confusion des registres du tableau dont le salon fait l’inventaire, connaîtra son propre dévelop­ pement. Composé un an après le salon, les Regrets sur ma vieille robe de chambre, est une satire contre le luxe et une réflexion sur la convenance des accessoires au mode de vie qu’ils servent et dévoilent. Dans le tableau de Van Loo, la robe de chambre bleu­vert moiré de rose témoigne sans doute du savoir du peintre à rendre les étoffes et leurs jeux de lumières. Néanmoins elle reste un accoutrement de théâtre, hors de la portée de celui qu’elle revêt, et par conséquence aussi factice que l’expression du visage. Tous les éléments du portrait, tel qu’ils sont commentés par Diderot portent l’empreinte de d’affectation, de l’air guindé, qui est pré­ cisément un faire qui s’oppose aux procédés de la nature. Sans jamais le dire directement, l’auteur du salon accuse dans chacun des éléments constitutifs du portrait les côtés par lesquels l’art s’éloigne des façons dont agit la nature. Les descriptions de la jeune fille aveugle et de l’homme bossu sur lesquelles s’ouvrent les Essais sur la peinture font partie de ces enseignements privilégiés que la nature met à la disposition du peintre. En suivant de près, tel que Diderot le fait, les transformations que ces états impriment au corps dans son ensemble, le peintre apprendra comment modifier les rapports entre les parties du corps de sorte que la nature de ce qui est peint se retrouve dans chaque fragment. Le même souci se retrouve dans la fin de l’analyse du portrait de Van Loo qui se clôt par une remarque sur un autre portrait, qui, différemment de celui juste commenté, pourrait bien être digne de la postérité : « Je n’ai jamais été bien fait que par un pauvre diable appelé Garand qui m’attrapa, comme il arrive à un sot qui dit un bon mot. Celui qui voit mon portrait par Garand me voit. Ecco il vero Polichinello. » 31 (Ill. 4) Dans une lettre à 30 Ibid., 66. 31 Ibid., III, 67. 342 Sophie Volland Diderot donne une description de ce portrait. Comme dans le tableau de Van Loo, il est représenté tête nue et en robe de chambre, mais point d’autre similarité à part les indices d’un être chez soi. Le seul accessoire est un fauteuil qui permet une pose recueillie, « le bras droit soutenant le gauche, et celui­ci servant d’appui à la tête. » Cette économie de moyens oblige le spectateur à concentrer son regard sur le regard du personnage, jeté au loin, en dehors de la toile « comme quelqu’un qui médite. Je médite en effet sur cette toile ; j’y vis, j’y respire, j’y suis animé ; la pensée paroît à travers le front. »32 Dans son analyse du portrait de Van Loo, Diderot suggérait que les occupations philosophiques auraient dû se répandre sur la totalité de la toile, depuis la forme et la grandeur du visage et l’expression des traits, jusqu’à la posture, aux gestes et aux accessoires. Mais c’est le contraire que l’on y voit, et cela à cause d’une juxtaposition d’éléments disparates qui n’aboutissent pas à rendre, comme chez Garand, l’état d’un être dont la forme à été travaillé par ses tâches et ses pensées. De cette méprise relève la manière. « Il n’y aurait point de manière, ni dans le dessin, ni dans la couleur, si l’on imitait scrupuleusement la nature. La manière vient du maître, de l’académie, de l’école, et même de l’antique. »33 Ce savoir-faire est un artifice qui s’insinue dans l’art des plus grands auxquels Van Loo appartient sans doute, selon Diderot. Dans plusieurs de ses tableaux, y comprit dans celui de son ami, il a réussi une des épreuves les plus difficiles du métier qui consiste à rendre la chair et les superficies, bien qu’inégalement. Il a mieux réussi dans les portraits d’hommes que de femmes, chez qui les tentes de la peau sont beaucoup plus variées qu’on le voit dans ses œuvres. Pourtant, comme le montre le portrait de Diderot, il n’a pas été toujours conséquent à suivre les voies que la nature poursuit dans ses créations. Or c’est justement ce qui intéresse le philosophe dans les ouvrages de peinture, à savoir sa capacité modélante.34 À cet endroit précis l’art rencontre la nature, et le 32 Diderot 1876, Lettre du 17 septembre 1760, 457–458. Sur les difficultés de donner un bon portrait de lui­même, étant donné le changement rapide enre­ gistré par sa physionomie au cours d’une même journée, voir le Salon de 1676, I 67. Une première présentation du portrait fait par Garand est due à Herbert Dieckmann, dans Dieckmann 1952, 6–8. 33 Diderot 1986, 18. 34 Sur le rapport entre l’esthétique de Diderot et le programme de L’Encyclopé­ die destiné à lier les connaissances au savoir­faire des arts et des métiers voir Modica, 2002, 73–95 ; sur l’‹ esthétique de l’opération › voir surtout 74–76 ainsi que page 80 sur la constructivité de l’action humaine. B O NT E A : D ID E R OT E T L’ A R T D U P O R T R A I T 343 4 Jean­Baptiste Garand : Portrait de Diderot, 1760, Graveur Pierre Chenu, gravure sur cuivre, Collection des Musées de Langres 344 métier du peintre croise le travail du philosophe. Par des voies différentes mais qui empiètent l’une sur l’autre, ils donnent une interprétation de la nature dans sa perpétuelle transformation qui s’opère aussi bien dans l’instant que dans le temps.35 Diderot en fit l’épreuve lui-même lorsqu’il invoquait Vertumne, le dieu du changement de temps et des saisons, dans l’épigraphe du Neveu de Rameau et dans la lettre à Grimm en tête du Salon de 1763.36 Le renvoi, pratique courante de l’Encyclopédie ouvrant les termes depuis leurs définitions vers leurs usages multiples, vérifiait encore une fois, sur l’exemple des genres discursifs, la manière dont les savoirs se recoupent et se complètent. La peinture, selon Diderot, est un phénomène qui dépend de l’organi­ sation. Qu’elle s’appelle disposition ou invention, l’art du portrait doit avoir sur le spectateur le même effet qu’un visage aperçu dans la rue. Il faut qu’il soit « une lettre de recommandation écrite dans une langue commune à tous les hommes. »37 C’est en cela que les portraits sont ressemblant où ne le sont pas. Il s’agit moins d’une imitation de la nature dans le sens ancien de mimesis, que d’une organisation de la surface de la toile conforme à la perception de l’œil habitué à regarder le monde autour de lui. C’est pour cette raison que les tableaux de Vernet, discutés dans le même Salon de 1767, donne envie à Diderot de prendre la route de ses paysages, s’y pro­ mener, s’y attarder et s’adonner à une rêverie sur les charmes de la nature. Leur pouvoir est d’obliger l’homme de lettres de changer encore un fois de genre, de quitter la critique et rédiger une ‹ promenade ›. Le préambule qui ouvre ce même salon contient un long développe­ ment sur l’art du portrait. C’est un essai sur le rapport de la nature comme modèle pour le peintre et la nature comme principe d’organisation de la matière. En s’attachant au premier, on peut à la rigueur devenir bon portraitiste. Mais, en prenant la nature pour modèle et tout ce que dans la nature est individuel, l’apprenti restera borné dans la reproduction des accidents, sans pouvoir rendre compte de leurs raisons d’être. Le specta­ teur, l’homme de goût, les regardera mais il s’en lassera vite, puisque le portrait ainsi conçu n’est que la copie d’un modèle qu’il n’a pas crée et qui ne rivalise pas avec ce que la nature produit. Par contre, le peintre qui cherche la vérité de la nature, s’attache à travailler comme elle travaille, 35 Les pantomimes du Neveu de Rameau font office de déployer l’emprise des sentiments à la fois sur le registre du discours comme récit ou dialogue, et dans l’instant de leurs productions. 36 Diderot 1975–1986, I 195. 37 Diderot 1986, 41. B O NT E A : D ID E R OT E T L’ A R T D U P O R T R A I T 345 sans modèle préétabli, en générant des formes par l’organisation de lignes, surfaces et reliefs. Car la peinture rencontre la nature dans cette générati­ vité des formes qui recouvre un principe d’action sur la matière amorphe. Pour cette raison, l’art du portrait selon Diderot n’est pas la reproduction fidèle d’un modèle, art du troisième ordre après la peinture allégorique et la peinture d’histoire, mais art de premier ordre, capable de capter les actions et les passions qui ont engendré une telle figure non pas à travers une histoire, mais dans des gestes et postures, contours et proportions qui instruisent sur sa marche. En cela, l’art du portrait s’assimile chez Diderot au tableau d’histoire, mais il s’agit de l’histoire de l’être humain telle que la nature la façonnerait et qui aurait présidé a sa configuration présente sur la toile. D’où le défit que l’art du portrait lance à l’interprétation de la nature : « Une figure humaine est un système trop composé pour que les suites d’une inconséquence insensible dans son principe ne jettent pas la production de l’art la plus parfaite à mille lieues de l’œuvre de la nature. »38 Et d’où encore que son portrait, tout en étant ressemblant, est méconnaissable aux yeux de celui qui lui a servi de modèle. DROITS IC ONO G R AP H IQ UES 1, pl. 10 © RMN­Grand Palais (musée du Louvre) / Stéphane Maréchalle. 2 © Musée du Louvre, Dist. RMN­Grand Palais. 3 Wikimedia Commons, the free media repository. 4 Collection des Musées de Langres, Sylvain Riandet. BIBLIOGRAPH IE Bachaumont 1767 Bachaumont, Louis Petit de : Lettres sur le Salon. Dans Mémoires secrets pour servir à l’histoire de la République des Lettres en France depuis 1762 jusqu’à nos jours, t. XIII, Londres 1784, 5–31. Buffat 1995 Buffat, Marc, Ecco il vero pulcinella. 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Nicht allein ist dieses Bildmedium ganz und gar eine Innovation der Moderne; gemeinsam mit der Dampfmaschine und dem Telegrafen, der Eisenbahn und dem Telefon gehört es zu jenem Ensemble von Technologien, das die Idee des Neuen, die sich mit der Mo­ derne verbindet, nachdrücklich konturieren hilft.1 Umso überraschender mag es sein, dass in einschlägigen Kompendien zur Fotografie-Geschichte immer wieder bereits auf den ersten Seiten von der Antike die Rede ist.2 Josef Maria Eder etwa eröffnet den historischen Teil seines »Ausführlichen Handbuchs der Photographie« mit zwei Kapiteln zur antiken Naturkunde und interessiert sich hierbei vor allem für Licht­ und Sehtheorien des Al­ tertums sowie für die in dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse zur Chemie der Farben.3 Ein drittes Kapitel schließlich verfolgt den Weg des alchimis­ tischen Denkens von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit.4 Nur am Rande sei bemerkt, dass Georges Didi­Huberman wiederum die nominellen Wurzeln des Fotografierens im Mittelalter suchte, als er dem »Erfinder des Wortes ›photographieren‹« einen luziden Essay widmete.5 Ob sich solche historischen Sondierungen nun ins klassische Altertum zurück wagen oder, gewissermaßen nur, ins Mittelalter – sie alle scheinen doch eher dazu angetan, medienhistorische Verwirrung zu stiften. 1 2 3 4 5 Gitelman, Pingree 2003. Siehe zum Beispiel Moholy 1939, 11–14. Ihrke 1982, 9. Busch 1989, 13–29. Eder 1932, 1–18. Ebd., 19–44. Didi­Huberman 1990. 348 Solche Irritationen liegen in der Natur der Sache. Fragt man nicht nach der Fotografie in der Antike, sondern vielmehr nach der Antike der Fotogra­ fie, interessiert man sich also für die Ursprünge einer modernen Bildtech­ nologie, handelt man sich weit mehr als eine Antwort ein.6 Insbesondere aber muss man mit Rückfragen rechnen. Was genau kann überhaupt als ein Ursprung des Fotografischen angesehen werden kann? Anders gefasst: Von welchen Kriterien soll ausgegangen werden, wenn von einer ›Antike der Fotografie‹ die Rede ist? Wenn Aristoteles tatsächlich, wie immer wieder behauptet, bereits die optischen Grundlagen der Funktionsweise einer Camera obscura beschrieben hat,7 sollte er dann in die Genealogie des Fotografischen aufgenommen werden? Oder ist es plausibler, erst die im frühen 18. Jahrhundert von Johann Heinrich Schulze unternommenen Ver­ suche zur Lichtempfindlichkeit von Silbernitrat als einen solchen Ursprung anzunehmen, also den Hallenser Gelehrten als einen ersten Ahnherrn anzuerkennen? 8 Oder sollte hierfür erst der Brite Thomas Wedgwood in Frage kommen? Dessen Experimente mit »Silver Pictures« aus den 1790er Jahren können als der vermutlich früheste systematische Versuch gelten, auf einer physikochemischen Basis tatsächlich Bilder zu produzieren. Wir können hiervon nur indirekt wissen,9 da es Wedgwood nicht gelang, seine Ergebnisse zu fixieren, das heißt dauerhaft zu stabilisieren. Solche Fragen nach einer möglichen ›Antike der Fotografie‹ sind in­ des aufschlussreicher als jede mögliche Antwort hierauf. Denn so wenig sich in einem strengen Sinn von »der Fotografie« (im Singular) sprechen lässt, sondern einzig von einem breit gespannten Spektrum sehr verschie­ dener fotografischer Verfahren, so wenig wird es zuletzt möglich sein, eine einzige Herkunftsgeschichte des Fotografischen zu erzählen. Herkunft aber, dies wird mit der Publikation der ersten fotografischen Verfahren umgehend deutlich, spielt eine entscheidende Rolle für die Bestimmung dessen, was rasch den summierenden Namen ›Fotografie‹ tragen wird.10 Den Erfindern der verschiedenen fotografischen Verfahren war es daher nicht allein aufgegeben, die von ihnen entwickelten Bildtechnologien zu 6 Bonhomme 1989. Sheehan/Zervigón 2015. 7 Eder 1934, 52. Schaaf 2002, 48–49. 8 Zimmermann 2007. 9 Davy 1802. 10 Batchen 1993. Siegel 2013. Im vorliegenden Zusammenhang verdient es Beachtung, dass schließlich auch die Herkunft des Namens ›Fotografie‹ zum Gegenstand einer nationalistisch aufgeladenen fotohistorischen Debatte wurde. Siehe Stenger 1932. SIE GE L: D IE A N T I K E D E R F OTO GR A F I E 349 publizieren, das heißt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gefordert war von ihnen überdies die Veröffentlichung von Berichten, in denen sie den Ursprung des jeweiligen Verfahrens erläuterten und narrativ einklei­ deten, kurz: mit einer Genealogie ausstatteten. In Frage stand bei solchermaßen doppelt gefassten Publikations­ strategien jene Idee, die mit dem Namen der Fotografie verbunden werden sollte.11 Die Rede über Ursprünge zielte auf die Definition eines Rahmens, mit dessen Hilfe der Zweck und der Nutzen eines neuen Bild­ verfahrens abgesteckt werden konnten. Doch lässt sich dieser zweifachen Ausrichtung der Veröffentlichung fotografischer Verfahren eine dritte Ausrichtung an die Seite stellen. Sie betrifft die Dimension der hierbei entstehenden fotografischen Bilder. Als soeben erst produzierte Objekte kündeten sie fraglos auf eindrucksvolle Weise von der Kraft einer ganz neuartigen Form visuellen Zeigens. Die Reaktionen der Zeitgenossen – etwa das vielfach erhobene Lob für Darstellungspräzision und Detailtreue – sind sprechend genug.12 Doch mochte sich mit diesen neuen Bildern auch eine Überraschung ganz anderer Art verbunden haben, die selbst heute noch erstaunt: wie prominent die Antike als ein Bildgegenstand der frühesten fotografischen Moderne ist. JUPITER Wie ein Bild einzurichten sei, wusste von allen frühen Fotografen wohl niemand besser als Louis Jacques Mandé Daguerre. Bereits seit dem ers­ ten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts war er in Paris in wechselnden Rollen tätig, hierbei aber stets mit einem engen Bezug zur visuellen Gestaltung.13 Fand er sein Auskommen zunächst als Kulissenmaler an verschiedenen Pariser Theatern, so eröffnete Daguerre schließlich im Jahr 1822, gemein­ sam mit seinem Geschäftspartner Charles Bouton, eine eigene Bühne, die einem besonderen Zweck diente: der Aufführung von Bildern. Dieses Diorama am Boulevard du Temple griff die ältere Idee des Panoramas auf und entwickelte sie auf effektvolle Weise weiter. Die von Daguerre bemalten Leinwände waren transparent genug, um in wechselnder, von vorne wie von hinten gesetzter Beleuchtung ein bestimmtes Bildmotiv in verschiedenen Versionen zur Anschauung zu bringen, etwa als Tag­ und 11 Brunet 2000. 12 Siegel 2014. 13 Gernsheim/Gernsheim 1968. Pinson 2012. 350 Nachtversion. Die sich vor den Augen der Betrachterinnen und Betrachter verwandelnden Bilder verfehlten ihre Wirkung nicht. Vor allem in den 1820er und frühen 1830er Jahren war Daguerres Diorama eine bekannte und viel besuchte Attraktion der Pariser Theaterszene.14 Als sich in den späten 1830er Jahren allmählich Gerüchte zu ver­ breiten begannen, dass Daguerre mit weiteren neuartigen Bildeffekten experimentiere, war dies, ohne Näheres wissen zu können, den Pariser Feuilletons eine ausführliche Diskussion wert.15 Erst recht aber nahm man auch außerhalb von Paris mehr als nur flüchtige Kenntnis von Daguerres Experimenten, als in den ersten Tagen des Jahres 1839 in den Zeitungen Meldungen publiziert wurden, die von jenem Bildverfahren berichteten, das der Erfinder kurzerhand nach sich selbst benannt hatte.16 Mit der »Daguerreotypie« wurde einer größeren Öffentlichkeit erstmals ein foto­ grafisches Verfahren vorgestellt. Es ist angebracht, hierbei vorsichtig zu formulieren. Denn jene ›Vorstellung‹ der Daguerreotypie umfasst zunächst nicht sehr viel mehr als allgemein gefasste Hinweise, die kaum mehr als äußere Umrisse preisgaben. Vor allem aber wurde der Öffentlichkeit ein ei­ gener Blick auf diese Bilder, vorläufig jedenfalls, vorenthalten. Selbst einem so namhaften Zeitgenossen wie dem österreichischen Kanzler Klemens von Metternich erging es hier nicht besser. Seine bereits im Januar 1839 nach Paris gerichteten Bitten, neben einer genauen Beschreibung des Verfahrens auch Bildproben zu erhalten, wurden von Daguerre ebenso freundlich wie bestimmt zurückgewiesen.17 Er folgte hierbei einer vorge­ fassten Publikationsstrategie, die für den Franzosen vor allem bedeutete, möglichst großen ökonomischen Nutzen aus seiner Erfindung zu ziehen.18 Erreicht war dies mit einem Beschluss der französischen Parlaments­ kammern im Hochsommer des Jahres 1839. Es spricht für das Raffinement des Theaterunternehmers und Erfinders, dass er beinahe im selben Au­ genblick, da König Louis Philippe die Urkunde mit dem Beschluss einer Daguerre auf Lebenszeit zu gewährenden Leibrente unterzeichnete,19 auch seinerseits zur Feder griff. Daguerre hatte jene dringenden Bitten, die ihn mehrfach aus der Wiener Staatskanzlei erreicht hatten, nicht vergessen 14 Für einen anschaulichen Bericht siehe Carus 1836. 15 Siehe Siegel 2014, 23–25, 28–29. 16 Ebd., 49–55. 17 Der entsprechende Schriftwechsel findet sich heute im Bestand des Wiener Haus­, Hof­ und Staatsarchivs in den Akten der Staatskanzlei. 18 McCauley 1991. Siegel 2017. 19 Siegel 2014, 230. SIE GE L: D IE A N T I K E D E R F OTO GR A F I E 351 1 Louis Jacques Mandé Daguerre: Stillleben mit einer Büste des Jupiter Verospi, Daguerreotypie (ganze Platte), ca. 1839. Budapest, Országos Müszaki Múzeum (Nationalmuseum für Wissenschaft und Technologie). Das Bildfeld ist heute nicht mehr sichtbar und auch nicht sein Versprechen, hierauf zu späterer Zeit zurückzukom­ men. In prachtvolle Rahmen gefasst und auf dem Passepartout jeweils persönlich gewidmet, übergab Daguerre noch im August 1839 drei Pro­ ben seiner Erfindung an den in Paris tätigen österreichisch-ungarischen Botschafter Antal Graf Apponyi. Eines dieser Bilder war dem österrei­ chischen Kaiser Ferdinand zugedacht, ein zweites Metternich, das dritte aber dem Botschafter Apponyi.20 Die von Daguerre auf dem Passepartout angebrachte Notiz weist ganz auf die Gegenwart eines neuen Bildmediums hin: »Epreuve ayant servi à constater la découverte du daguerréotype of­ ferte à Monsieur le Comte d’Apponyi par son très humble, très obéissant serviteur Daguerre.« Das Bildfeld selbst aber (Abb. 1) beruft sich auf eine bildnerische Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. 20 Für den Fortgang dieses durch Daguerres Schenkungen befeuerten Inter­ esses an der Daguerreotypie speziell in Wien und bei Metternich siehe Faber, Starl 2002. Faber 2003. 352 Ob Daguerre die hohe Bedeutung des Gipsabgusses antiker Bildwer­ ke für die Selbstrepräsentation des europäischen Adels im Sinn hatte,21 als er die fotografischen Bildproben für Kaiser, Kanzler und Botschafter auswählte? 22 Was Apponyi hier auf einem Bildfeld von kaum mehr als 12 mal 15 Zentimetern zusammengerückt fand, war jedenfalls anspielungs­ reich genug, um einem Kenner alter wie neuerer Kunst eine detektivische Freude zu machen.23 In der rechten Mitte findet sich die Reproduktion eines Bas­Relief der Justitia vom Portal der Kathedrale von Saint­Étienne, links daneben eine Darstellung des dornengekrönten Christus, darüber ein bruchstückhafter Abguss eines Konzerts zweier Engel von der Chiesa dei Santi Apostoli in Neapel, links außen aber, das gesamte Bildfeld unverkennbar dominierend, ein Teilabguss als Büste des sogenannten Jupiter Verospi, der sich einst im römischen Palast der Familie Verospi am Corso befand (und noch immer nach ihr benannt wird) und heute in den Vatikanischen Museen besichtigt werden kann. Unverkennbar ist Daguerres Zugriff auf tradierte Kunstdenkmäler von einem eklektischen Gestus getragen. Dies aber verhindert nicht, dass ein Jupiter zum promi­ nentesten Gesicht eines Bildmediums werden konnte, das in solchen Pro­ ben zum allerersten Mal überhaupt neugierigen Betrachtern gegenübertrat. PATROKLOS Gerade zu jener Zeit, da Daguerre die ersten Schritte zur Publikation seines fotografischen Verfahrens unternahm, war ein Gelehrter auf der anderen Seite des Ärmelkanals intensiv damit beschäftigt, auch den zweiten Teil seiner gesammelten Studien zur antiken Kultur herauszubringen. Was der 21 Kockel 2000. Zur hieran anschließenden Geschichte der öffentlichen Insti­ tutionalisierung von Gipsabguss­Sammlungen siehe Trautwein 1997, 218–235. 22 Die dem Kaiser zugedachte Daguerreotypie gilt bereits seit dem späten 19. Jahrhundert als verschollen und wurde nie reproduziert. Aussagen über ihren Bildinhalt lassen sich daher nicht mehr treffen. Metternichs Bildprobe befindet sich heute in Prag im Národní technické muzeum (Nationales Technikmuse­ um). Sie zeigt ein zum Stillleben arrangiertes Ensemble von Gipsabgüssen, das von einem Jupiter Tonans dominiert wird. Für eine Reproduktion siehe Gröning/Faber 2006, 9. Apponyis Bildprobe wiederum wird in Budapest im Országos Müszaki Múzeum (Nationalmuseum für Wissenschaft und Technolo­ gie) aufbewahrt. Der Bildinhalt lässt sich jedoch (wie auch in einigen anderen Fälle von Daguerres Bildern) nur noch durch Reproduktionen erschließen. 23 Pinson 2012, 205. SIE GE L: D IE A N T I K E D E R F OTO GR A F I E 353 Brite William Henry Fox Talbot unter dem Titel »Hermes, or Classical and Antiquarian Researches« in zwei Bänden zusammenfasste, bewies eine jahrelange profunde Auseinandersetzung mit der Antike.24 Ganz scheint es jedoch, als habe er hierüber versäumt, der eigenen Gegenwart und hierbei insbesondere der Medienmoderne die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Oder besser doch: die nötige Hartnäckigkeit. Denn tatsächlich lagen zu jener Zeit, da die beiden Bände des »Hermes« erschienen, in Talbots Schub­ laden bereits seit einigen Jahren alles andere als gewöhnliche Bilder. Der auf erstaunlichen vielen Feldern profund gelehrte Brite 25 hatte zur Mitte der 1830er Jahre an einem fotografischen Verfahren gearbeitet, das es ihm ermöglichte, auf einfachem Schreibpapier mit und ohne Kamera Lichtbil­ der herzustellen.26 Zwar hatte Talbot zur Unterhaltung von Verwandten und Freunden hin und wieder Proben solcher Bilder versandt,27 einem darüber hinausreichenden Kreis jedoch blieben sie vollkommen unbekannt. Groß genug dürfte daher Talbots Erstaunen und vielleicht auch sei­ ne Verärgerung gewesen sein, als er im Januar 1839 in der Zeitung von Meldungen zu Daguerre und dessen Erfindung las. So sehr sich Talbot, hiervon angestachelt, im Lauf der kommenden Wochen endlich beeilte, gegenüber verschiedenen britischen Institutionen seine von ihm als »Pho­ togenic Drawings« bezeichneten Fotografien als eine eigenständige Erfin­ dung vorzustellen,28 in Fragen des Erfinderruhms musste er sich, zurecht oder nicht, benachteiligt sehen. Auf die kurzfristigen Ereignisse des Jahres 1839 bezogen, hatte Alexander von Humboldt gewiss recht, wenn er einen »unangenehme[n] Prioritäts­Streit«29 um den Erfinderruhm vorhersagte. In langfristiger Perspektive betrachtet, stellten sich die Dinge ohnehin etwas anders dar. Talbot hatte das beträchtlich folgenreichere Verfahren entwickelt, war es auf dessen Basis doch möglich, nicht allein (wie bei der Daguerreotypie) ein fotografisches Unikat herzustellen, sondern viel­ mehr, durch den Einsatz eines Negativs, eine große Zahl von positiven Abzügen. Erst dieser Umstand multipler Reproduktionsfähigkeit aber nahm die Idee des Fotografischen im vollen Umfang ernst und wurde für die Geschichte des Mediums insgesamt zukunftsweisend. Um diese 24 Talbot 1838–1839. 25 Eine erste umfassende, die wissenschaftlichen Interessen als Ganzes erfas­ sende biografische Darstellung unternahm Arnold 1977. 26 Amelunxen 1988. Schaaf 1992. 27 Siehe Siegel 2014, 23. 28 Ebd., 109–134, 140–142, 147–149. 29 Ebd., 79. 354 Idee genauer zu entfalten und ihr hierbei nicht zuletzt eine theoretische Kontur zu verleihen, bediente sich der Gelehrte Talbot nicht allein der Kamera, sondern bald auch der Druckerpresse. Erstmals im Jahr 1844 und sodann in mehreren weiteren Lieferungen noch bis 1846 erschien in London ein schmales Mappenwerk, das be­ reits mit der auffälligen Titelmetapher eine erste These ausstellte: »The Pencil of Nature«.30 Das von Talbot im Fortgang dieses Tafelwerks aus insgesamt sechs Faszikeln entwickelte Zusammenspiel aus originalen fotografischen Abzügen und einem sich anschließenden Kommentar gehört der Frühphase von Fotobuch wie Fototheorie gleichermaßen an.31 Was Talbot auf den einzelnen Tafeln hierbei zeigte und in deren Folge jeweils thematisierte, war in überwiegender Zahl aus der unmittelbaren Lebenswirklichkeit des Erfinders gezogen. Gezeigt werden unter ande­ rem Ansichten seines Anwesen in Lacock Abbey im Ganzen wie auch in näheren Details oder auch inszenierte Darstellungen von Gegenstän­ den – Bücher, Porzellan, Gläser –, die sich im Familienbesitz befanden. Bereits auf Tafel V aber wurde eine solche fotografische Annäherung an Talbots eigenen Sammlungsbesitz um ein besonders augenfälliges Bild bereichert: In annähernd quadratischem Bildfeld zu sehen ist hier eine »Bust of Patroclus« (Abb. 2).32 Der Gipsabguss dieser hellenistischen Marmor-Büste, deren Original sich im British Museum befindet, war ein prominenter Teil von Talbots Haushalt und rückte nun in erstaunlich kunstvoller fotografischer Reproduktion in »The Pencil of Nature« ein. Reproduktion ist hierbei das für den Fotografen und Kommentator entscheidende Stichwort. Wie bereits auf früheren Tafeln in »The Pen­ cil of Nature« (siehe dort die Tafeln III und IV) wird auch im Fall der Patroklos­Büste auf die Möglichkeit zur visuellen Katalogisierung von Sammlungsgegenständen hingewiesen. Der Kunstkenner Talbot war sich hierbei bewusst, dass seine fotografische Aneignung eines Gipsabgusses direkt an ältere Modelle der Kunstreproduktion anschließt 33 und dass 30 Talbot 1844–1846. 31 Es liegt auf der Hand, dass Talbots »Pencil of Nature« ein besonders intensives Forschungsinteresse auf sich gezogen hat. Für eine erste Orientierung sind beson­ ders geeignet Schaaf 1989. Armstrong 1998, besonders 107–178. Signorini 2007. 32 Dieser Bestimmung einer Darstellung des Patroklos wurde bereits zu Talbots widersprochen. Gleichwohl übernehme ich hier die von Talbot gewählte Be­ zeichnung, da es mir auf dessen persönliche Aneignung der Büste ankommt. Siehe Taylor 1989. Saltzman 2015, 107–115. 33 Palmer/Frangenberg 2003. Krause/Niehr 2007. SIE GE L: D IE A N T I K E D E R F OTO GR A F I E 355 2 William Henry Fox Talbot: Büste des Patroklos (Tafel V in »The Pencil of Nature«), Kalotypie (Salzpapierabzug nach einem Papiernegativ), wohl 1842–1843 er für diese mit Hilfe seines eigenen Bildverfahrens ein neues Kapitel eröffnen würde.34 Tatsächlich scheint Talbot diese Frage einer fotografi­ schen Erfassung skulpturaler Denkmäler besonders wichtig gewesen zu sein. Denn nicht allein Tafel V, sondern auch die innerhalb des »Pencil of Nature« späte Tafel XVII zeigt die Patroklos-Büste (Abb. 3), nun je­ doch nicht mehr »en face«, sondern ins Profil gedreht. Insbesondere der Kommentar zur Tafel V entfaltet erste Hinweise zu einer präzisen und effektvollen fotografischen Reproduktion von Skulpturen. Eine hellenis­ tische Büste wird hierbei, vertreten durch einen Gipsabguss, zum Mus­ terfall einer dezidiert modernen visuellen Aneignung von Kunstwerken. 34 Hamber 1996. Marien 1997, 114–125. 356 3 William Henry Fox Talbot: Büste des Patroklos (Tafel XVII in »The Pencil of Nature«), Kalotypie (Salzpapierabzug nach einem Papiernegativ), wohl 1843 VENUS Wohl niemand jedoch hat sich in der Frühgeschichte der Fotografie so ernsthaft mit der Antike auseinandergesetzt wie Hippolyte Bayard. Es mag erstaunlich genug sein, dass ein Justiziar im Französischen Finanzministerium, unabhängig von anderen Pionieren der FotografieGeschichte, darauf verfiel, sich an der Entwicklung eines fotografischen Verfahrens zu versuchen.35 Noch erstaunlicher jedoch ist, wie umfassend er hierbei bei der Erprobung seiner Technologie auf Gipsabgüsse antiker Bildwerke zurückgriff. Die Öffentlichkeit nahm von solchen Versuchen 35 Gautrand 1986. Ferner Jammes 1975. Poivert 2001. SIE GE L: D IE A N T I K E D E R F OTO GR A F I E 357 erst mit großer Verspätung Kenntnis. Denn während Talbot zu Beginn des Jahres 1839 den von der Pariser Académie des Sciences lancierten Nachrichten von Daguerres Erfindung immerhin ein weit entwickeltes Verfahren entgegenhalten konnte, also über hinreichend gute Argumente verfügte, als eigenständiger Erfinder im Feld des Fotografischen Aner­ kennung zu beanspruchen, sah sich Bayard zu diesem Zeitpunkt noch in einem viel früheren Stadium seiner Forschungen.36 Vor allem aber sah er sich mit Daguerres »Tutor und Paten«,37 dem einflussreichen Wis­ senschaftler, Politiker und Wissenschaftspolitiker Dominique François Arago, konfrontiert. Dieser versuchte die Erfolgsaussichten Daguerres gerade dadurch zu vergrößern, indem er Ansprüche weiterer möglicher Erfinder, Bayard hierbei eingeschlossen, ebenso entschieden wie eigen­ mächtig zurückdrängte.38 Die von Bayard auf solche Erfahrungen hin seinerseits angesto­ ßenen Initiativen liefen zwar ins Leere, stellen aber dennoch mehr als eine bloße Fußnote zur Fotografie­Geschichte dar. Denn sie belegen die Hartnäckigkeit, mit der Bayard für seine Sache eintrat – bis hin zum, mediengeschichtlich berühmt gewordenen, fingierten Selbstmord vor der eigenen Kamera im Oktober des folgenden Jahres.39 Doch bevor es so weit war, nahm der verkannte Erfinder, mit großer Sicherheit als erster Fotograf überhaupt, im Juni 1839 in der Pariser Salle des Commissaires­prisseurs mit eigenen Bildern an einer öffentlichen Gruppenausstellung teil. Es handelte sich um eine Benefizveranstaltung zugunsten von Erdbebenopfern auf der karibischen Insel Martinique.40 Im Oktober desselben Jahres schließlich erreichte er einen ausführli­ chen förmlichen Bericht, den die Académie des Beaux-Arts in ihren Akten veröffentlichte und in dem sie Bayards Erfindung Originalität bescheinigte und der weiteren öffentlichen Unterstützung empfahl.41 Doch auch diese Erklärung änderte nichts an der Tatsache, dass sich 36 Bayard hatte sich seit Februar 1839 mehrfach an die Académie des Science gewandt. Bei keinem der von ihm adressierten Wissenschaftler – im Einzelnen waren dies César Desprets, Jean­Baptiste Biot und Dominique François Arago – fand er ein offenes Ohr. 37 In diesem pointierten Sinne äußerte sich im August 1839 der Pariser Feuille­ tonist Jules Janin. Siehe Siegel 2014, 237. 38 Siehe McCauley 1991. Gunthert 2010, 441–451. 39 Sapir 1994. Lerner 2014. 40 Janin 1839. Bayards Beitrag bleibt in Janins Besprechung indes unerwähnt. 41 Siegel 2014, 170–177. 358 die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit längst schon anderen Akteuren im Feld des Fotografischen zugewandt hatte.42 Von allen Fotopionieren wählte Bayard das wohl ungewöhnlichste Studio für seine Experimente mit dem Lichtbild. Nicht wenige seiner frühen Versuche tragen, noch immer deutlich sichtbar, Spuren seiner originellen Idee. Aufgrund der geringen Lichtempfindlichkeit seiner Chemikalien war er auf einen besonders intensiven Lichteinfall ange­ wiesen und begab sich kurzerhand auf das Dach seines Arbeitgebers, des Finanzministeriums.43 Wie blass und verwaschen die aus dieser spe­ ziellen Perspektive entstandenen Veduten auch immer sein mögen, noch fast ein Jahrhundert später zogen sie die ungeteilte Bewunderung Kurt Tucholskys auf sich, der sie anlässlich einer kleinen Sonderausstellung des »Salon international d’art photographique« von 1927 sah.44 Mögen diese Stadtansichten bereits für sich genommen interessant genug sein, erst recht erstaunen müssen jedoch jene Aufnahmen antiker Skulpturen, die an eben jener luftigen Stelle entstanden sind. Weder wissen wir, woher Bayard die von ihm fotografierten Gipsabgüsse nahm, noch können wir mehr als spekulieren, wie es ihm gelang, diese auf das Dach des Minis­ teriums zu bringen. So tritt uns ein Abguss der Venus de’ Medici (Abb. 4) – in spiegelver­ kehrter Aufnahme – in denkbar ungewöhnlicher Umgebung vor Augen. Gewiss ist es das erste Bild, dass diese Skulptur, gemeinsam mit einer zweiten, in unmittelbarer Nachbarschaft eines Schornsteins zeigt. Deut­ lich zeichnen sich im Hintergrund das Dach und weitere Schornsteine ab. Wie wenig es Bayard hierbei – etwa im Unterschied zu Talbots Kalotypien des Patroklos – auf eine ästhetisch ausgereifte fotografische Formulie­ rung ankam, wird deutlich, wenn man einen Blick in jenes Musterbuch wirft, das Bayard während seiner Experimente im Jahr 1839 anlegte. Da er, hier wiederum ganz wie Talbot, Papier als Bildträger verwendete, war es ihm ohne Umstände möglich, die von ihm erzielten Ergebnisse in ein solches Album einzukleben.45 Nach und nach entstand auf diese Weise 42 Gerade in diesem frühen Misserfolg aber, als eigenständiger Erfinder und Fotograf anerkannt zu werden, sieht Michel Poivert eine wesentliche Ursache für die spätere Anerkennung Bayards als künstlerischer Fotograf. Siehe Poivert 2003. 43 Kemp 2014. 44 Tucholsky 1927. 45 Siehe zu diesem »Cahier d’essais« den Beginn des unpaginierten Tafelteils in Gautrand 1986. S IE GE L: D IE A N T I K E D E R F OTO GR A F I E 359 4 Hippolyte Bayard: Abguss der Venus de’ Medici auf dem Dach des Französischen Finanzministeriums, Direktpositiv auf Papier, 1839. Paris, Société française de photographie (SFP) eine Sammlung kleiner Bilder, die einer doppelt verfassten Testreihe gleich auf den insgesamt 67 Seiten des Albums arrangiert wurde (Abb. 5). Ganz hat es den Anschein, als habe Bayard auf zweifache Weise sein fotografischen Versuche variieren wollen: zum einen hinsichtlich der technischen und chemischen Voraussetzungen seiner Direktpositive, zum anderen aber hinsichtlich der Ikonografie seiner fotografischen Erfassung von Gipsabgüssen. 360 5 Hippolyte Bayard: Eine Seite aus dem »Cahier d’essais«, Direktpositiv auf Papier, 1839. Paris, Société française de photographie (SFP) S ELBS TPORT R ÄT Jupiter, Patroklos und Venus: Drei sehr unterschiedliche Pioniere im Feld des Fotografischen bedienen sich drei sehr unterschiedlicher Bildwerke, um ihrerseits über eine neue Form der Bildlichkeit erste Auskunft zu geben. Mit Blick auf die klassische Antike taten sie dies überdies unter sehr verschiedenen Voraussetzungen. Denn während der Brite Talbot über eine profunde, nicht zuletzt in Cambridge erworbene Ausbildung verfügte, die es ihm erlaubte, seinerseits zu »Classical and Antiquarian Researches« beizutragen,46 dürften der Theatermaler Daguerre und der Jurist Bayard über kaum mehr als allgemeine Kenntnisse zur antiken Kunstgeschichte verfügt haben. Ihr fotografischer Zugriff auf solche Bildwerke war daher gewiss eher pauschaler Art. Doch könnte gerade eine 46 Für einen Zusammenhang zwischen Talbots Antiken­Studien und dessen fotografischer Ikonografie argumentiert Weaver 1992. SIE GE L: D IE A N T I K E D E R F OTO GR A F I E 361 solche allgemeine Annäherung an »die Antike« für die Frühphase des Fotografischen sprechend genug sein. Denn weit vor jeder differenzierten Funktionsbestimmung dieses neuen Bildmediums, die Talbot in seinem »The Pencil of Nature« durchaus bereits im Blick hatte, stand eine Frage von noch größerer Reichweite im Raum: Was überhaupt lässt sich unter dem Neologismus ›Fotografie‹ fassen? Die Idee ist hierbei älter als die Sache selbst. Spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehren sich dokumentierte Überlegungen, die das Prinzip des Fotografischen in äußeren Umrissen gedanklich vor­ wegnehmen. Mit einigem Recht lässt sich diese Zeit daher tatsächlich als eine »Antike der Fotografie« ansprechen. Georg Christoph Lichtenberg etwa spekulierte um 1765 in Heft A seiner »Sudelbücher« (A220) darüber, »ob man nicht vielleicht dereinst würde ein Mittel erfind[en,] die Bilder in der Camera obscura auf dem Papier stehen bleiben zu machen«.47 In Texten48 wie Bildern,49 so scheint es, wird bereits im 18. Jahrhundert for­ muliert und gezeigt, was sich mithilfe von Physik und Chemie erst einige Jahrzehnte darauf als ein fotografisches Bild einholen lässt. Wirksam ist in diesen medienhistorisch prominenten Erzählungen ein teleologisches Geschichtsmodell, das auf die Entfaltung eines Bedürfnisses dringt und hierbei Wissenschaft wie Technologie der frühen Moderne gewisserma­ ßen in der Pflicht sieht, solche Wünsche oder Träume nach fotografischer Bildlichkeit ›endlich‹ zu erfüllen.50 Mit guten Gründen lassen sich solche Beschreibungen ihrerseits als von eigenen Interessen geleitete Zuspitzun­ gen einer historischen Entwicklung kritisieren, die nicht ›folgerichtig‹ – gewissermaßen in der Addition von Optik und Fotochemie – auf einen Augenblick der Einlösung eines latenten, längst gewünschten Potenzials hin perspektiviert werden kann.51 Für eine solche Kritik spricht der einfache Umstand, dass die mit dem Jahr 1839 einsetzende Veröffentlichungsgeschichte des Fotografi­ schen insbesondere von einem getragen ist: einer ebenso umfassenden wie differenzierten Bestimmung der ästhetischen und epistemischen Voraussetzungen und Möglichkeiten solcher neuartigen Bilder. Das Fotografische tritt hierbei gerade nicht als ein selbstverständlicher Teil 47 48 49 50 51 Lichtenberg 1971, 25. Siehe zu dieser Notiz auch Pfannkuchen 2009. Zannier 2006. Jay o. J. Galassi 1981. Geiger 2004. Morand 1989. Jay 1991. Batchen 1997. Marien 1991. Snyder 2002. Wolf 2006. 362 der Medienmoderne auf, sondern wird zum Gegenstand einer intensi­ ven Debatte.52 Zu ihren frühesten Beiträgen gehören hierbei gerade jene Bilder, die die Erfinder der verschiedenen fotografischen Verfahren auf experimentellem Weg anlegten und später als Muster gelungener Produk­ tion vorwiesen. Der Blick fällt hierbei nicht allein auf einen Gipsabguss des Jupiter Verospi oder die Reproduktion einer Patroklos­Büste und der Venus de’ Medici. In der fotografischen Bildwerdung solcher Figuren zeichnet sich zugleich ein Selbstporträt des neuen Mediums ab. So un­ terschiedlich die technologischen Bedingungen der von Daguerre, Talbot und Bayard entwickelten Prozesse sein mögen und so verschieden, hier­ mit einhergehend, insbesondere auch die erzielte Ästhetik ist, in einem findet sich ihr Interesse geeint: Das von ihnen verfolgte und fraglos hohe innovatorische Moment des Fotografischen wurzelt in einer weit älteren Mediengeschichte. Diese Bildtechnologie der Moderne streift ihre Antike nicht ab, sondern nimmt sie – ganz im Gegenteil – ostentativ in sich auf. Die materielle Besonderheit dieser Antike ist ihr hierbei weitreichend entgegengekommen. Gerade die frühe Phase fotografischer Produktion wird durch das Problem zu langer Belichtungszeiten beherrscht. Zu lang jedenfalls immer dann, wenn von der wohl am dringlichsten gewünschten Funktion dieser neuen Bilder die Rede war: der Herstellung von Porträts.53 So zeigte sich etwa ein mit »Sr.« zeichnender Korrespondent der von August Lewald herausgegeben Zeitschrift »Europa« skeptisch bei der Beantwor­ tung einer selbst gestellten Frage: »Wird das Daguerreotyp zur Darstellung von Porträts sich anwenden lassen? – Wir zweifeln, obgleich Versuche in dieser Richtung nicht durchaus negativ ausgefallen sind. Aber selbst als man in Paris Gesicht und Haar des zu Porträtirenden einpuderte, blieb das Resultat unvollkommen. Und denken Sie, meine Damen, eingepudert, weiß, wie der steinerne Saft, fünf bis zehn Minuten lang unbeweglich bis auf die Zunge sitzen zu müssen, um ein Porträt – dessen größter Vorzug die absoluteste Wahrheit, nicht modificirt durch die subjective Auffassung des Künstlers, ist – lohnt das wohl die schreckliche Aufgabe?!«54 En passant angespielt wird hierbei auf eine Technik, die bei frühen Versuchen mit dem fotografischen Porträt tatsächlich eine Rolle gespielt hat: Zur Erhöhung der Lichtreflexion wurden die Modelle weiß eingepudert und ähnelten auf diese Weise unfreiwillig einer Statue oder aber einem Gipsabguss. 52 Siegel 2014, 467–499. 53 Siehe Siegel 2014, zum Beispiel 25–27, 34–35, 36–37, 60–62, 62–64, 96–98, 126, 371–374, 396–401, 423. 54 Ebd., 454. SIE GE L: D IE A N T I K E D E R F OTO GR A F I E 363 Wenig wird es daher überraschen, dass die Pioniere des Fotografi­ schen beim Anfertigen medialer Selbstporträts auf die ungeschminkten Originale zurückgriffen. Die Verwendung von Gipsabgüssen gewinnt hierbei einen sprechenden Sinn: Vorgestellt wird das neue Reproduktions­ medium in der bildnerischen Aneignung eines anderen, ihm historisch vorausgehenden Reproduktionsmediums. Sichtbar wird die ins Bild tre­ tende Wirklichkeit auf diese Weise in einer Folge von Übersetzungen. Das Alte tritt, nun um einen weiteren medialen Schritt verlängert, im Neuen in Erscheinung. Das Neue wiederum wird durch die Präsenz des Alten in seinem Darstellungsanspruch legitimiert. Zur Anschauung gelangt eine Verschränkung von Tradition und Innovation, von Kontinuität und Wandel. Unter der Hand wird hierbei eine Idee von Mediengeschichte formuliert, die in ›Antike‹ und ›Moderne‹ nicht länger einen unüberwind­ lichen Gegensatz sieht. BILDREC HTE 1 Aus: Gröning, Maren / Faber, Monika: Inkunabeln einer neuen Zeit. Pioniere der Daguerreotypie in Österreich 1839–1850. 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Parrhasios hat den Wettstreit damit gewonnen, weil er nicht nur ein Tier, sondern einen in der Kunst der Täuschung selbst Erfahrenen hat täuschen können.1 Diese Anekdote gehört zu den Ursprungsmythen jeder Geschichte des Mimesis­Begriffs, sie entdeckt das Vergnügen an simulierter Realität als Vergnügen an der Täuschbarkeit und bestimmt dieses als eine lustvolle Mischung aus einerseits der Erkenntnis der Differenz von Abbild und Ab­ gebildetem und andererseits der Erkenntnis der erfolgreichen Camouflage dieser Differenz. Die Erkenntnis der Ähnlichkeit, auf der die Wirkung 1 Cf. Plinius Secundus der Ältere: Naturkunde. XXXV (= Plinius 1978), 55 f: »Dieser [Zeuxis] habe so erfolgreich gemalte Trauben ausgestellt, dass die Vögel zum Schauplatz herbeiflogen; Parrhasios aber habe einen so naturgetreu gemalten leinenen Vorhang aufgestellt, dass der auf das Urteil der Vögel stolze Zeuxis verlangte, man solle doch endlich den Vorhang wegnehmen und das Bild zeigen; als er seinen Irrtum einsah, habe er ihm in aufrichtiger Beschämung den Preis zuerkannt, weil er selbst zwar die Vögel, Parrhasios aber ihn als Künstler habe täuschen können.« 370 des Artefakts beruht, hat demnach die Erkenntnis der Unähnlichkeit zur Voraussetzung und umgekehrt. Was Ähnlichkeit hier heißt, bleibt freilich eine Leerstelle. Das Beunruhigende und Paradoxe an dieser Anekdote ist, dass sie eine »Mikrotheorie der Ähnlichkeit«2 – im Sinne einer Funkti­ onstheorie von der Wirkmacht der Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit auf den Rezipienten – entwickelt, ohne den Begriff der Ähnlichkeit zwischen Abbild und Abgebildetem qualitativ zu bestimmen. Dieser Widerspruch fällt nur deshalb nicht auf, weil die Referenz der medialen Repräsenta­ tionen so trivial ist. Von Weintrauben und von einem Vorhang hat jeder Leser der Plinius­Anekdote ein Vergleichsbild aus eigener Anschauung. Von daher nimmt es nicht Wunder, dass die Plinius­Anekdote eine morphomatische Figuration3 von erstaunlicher Dynamik in der abend­ ländischen Kulturgeschichte ist. Sie wird in diversen Künstlerbiographien variiert, wenn es um die Entdeckung eines Mal­Genies geht. So soll z. B. der junge Dürer ein Michelangelo­Bild kopiert und darauf eine Spinne gezeichnet haben, die man für echt hielt. Von Tizian wird gesagt, dass er ein Lamm so täuschend echt zu malen wusste, dass ein Mutterschaf vor dem Bild freudig geblökt habe.4 Die Persistenz der Legende von der Tiere wie Menschen täuschenden Simulationskunst genialer Maler könnte nun auch so verstanden werden: als eine sinnfällige und dessen Aktualität stets wieder neu bezeugende Demonstration des griechischen Mythos, welcher der Malerei keine Muse zuspricht, weil sie es anders als andere Künste nur mit dem Sichtbaren zu tun habe und deshalb eine bloß menschliche Übung sei, ein Handwerk erlernbar beim Kopieren – von der Natur oder von Vor­Bildern. Demnach wäre das Problem der Ähnlichkeit auch nur eines der Machart, nicht eines der Epistemologie wie in den musischen Künsten, in denen es neben ars und doctrina, also der Beherrschung von Kompositionstechniken und der Kenntnis von stofflichen Vorlagen, immer auch eines ingenium als einer divinatorischen Gabe braucht, um das nur Sichtbare zu transzendieren. Die Plinius­Anekdote problematisiert die Relation von Abbild und Abgebildetem und verdeckt das Problem zugleich in der Schlichtheit der Referenz ihrer medialen Repräsentationen. Fiele die Camouflage 2 Andree 2005, 36. 3 Zum Begriff der morphomatischen Figuration cf. die einführenden Artikel in Blamberger/Boschung 2011. 4 Solche Talentproben finden sich zuhauf in Giorgio Vasaris 1550 in Florenz veröffentlichten Vite de piú eccelenti pittori, scultori, ed architetti. Entzaubert wurden sie auf brillante Weise in Kris/Kurz 1995. B LA MB E RGE R : I CH B I L D O H N E I CH 371 auf, wenn es sich nicht um die Wiedergabe von Weintrauben und einem Vorhang handelte, sondern um die eines menschlichen Gesichts? Von der Antike bis in die Renaissance hinein wohl kaum, insofern Standardisie­ rung selbst die Porträtierung von ›Prominenten‹, etwa von Herrschern, prägte, deren Erkennbarkeit also weder an die Ähnlichkeit des Äußeren (in der Physiognomie von Gesicht und Körper) noch der des Inneren (im Sinne eines Charakterporträts) gebunden war, sondern an standes­ gemäße Insignien bzw. Attributierungen. Schwieriger wird es mit der Relation von Abbild und Abgebildetem seit den Individualbildnissen der niederländischen und italienischen Maler des 15. Jahrhunderts, bei Jan van Eyck oder Antonello da Massina z. B., die als Zeugnis der Au­ tonomie und Singularität des modernen Menschen gelten können und gelten wollen.5 Selbst Meta-Porträts, also Techniken der Selbstreflexion, die z. B. den Porträtmaler mit ins Bild rücken, ändern in der Folgezeit ja nichts daran, dass das Problem der Ähnlichkeit auch in der Moderne aporetisch bleibt, insofern das Individuum als ineffabile erscheint. Vom a priori Unvergleichbaren in seiner lebendigen Entwicklung ein Abbild zu fixieren, ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Popularität des Genres Porträtmalerei – wie im übrigen auch des Genres Biographie – könnte jedoch gerade darin begründet sein, dass aus der Sicht des Publikums die Lust an der Kunst der Simulation wie zugleich ihrer Entlarvung, die Pli­ nius zentral war, ersetzt wird durch die Lust an der scheinbar magischen Aufhebung der Differenz von Abbild und Abgebildetem im lebendigen Bild. Dergestalt hätte die Porträtmalerei teil an der Re­Mythisierung des Schöpferischen seit der Geniezeit, profitierte in ihrer Wirkmacht also z. B. von den faszinierenden Legenden vom Künstler als »second Maker: a just PROMETHEUS, under JOVE«6 oder Pygmalion.7 Dank Nietzsches Aus der Seele der Künstler und Wissenschaftler, dank seiner kritischen Analyse ihrer Schaffenszeugnisse in Menschliches, Allzumenschliches, weiß man, dass die Differenzlogik von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit unbestimmt bleibt und ihren Beunruhigungswert auch 5 Cf. Boehm 1985. 6 Cf. Shaftesbury 1978, S. 207. Hier heißt es – und die auratische Qualität würde in meinem Argumentationszusammenhang vom Poeten auch auf die amusische Kunst der Malerei übertragen: »Such a Poet is indeed a second Maker: a just PROMETHEUS, under JOVE. Like that Sovereign Artist or universal Plastick Nature, he forms a whole, coherent and proportion’d in it­self, with due Subjec­ tion and Subordinacy of constituent Parts.« 7 Cf. zur Virulenz des Mythos Meyer/Neumann 1997. 372 dann nicht verliert, wenn interner und externer Beobachter, Abbildender und Abgebildeter zusammenfallen wie im Medium des Selbstporträts. Die Anziehungskraft von Selbstporträts scheint gleichfalls darauf zu beruhen, dass sie diesen blinden Fleck zu verbergen wissen, wie Parrhasios ein Bild hinter einem Vorhang, der selbst nur Chimäre ist.8 Eine radikale und zugleich konsequente Thematisierung wie Eskamotierung dieses Widerspruchs stellt Kurt Schwitters’ Merzbild 9b (Abb. 1; siehe Taf. 11) dar, das im Jahr 1919 entstanden ist, sich heute im Museum Ludwig in Köln befindet und von Schwitters Das Grosse Ichbild genannt wurde, obwohl es kein Selbstporträt des Künstlers ist, eher dem Genre des Still­Lebens anzugehören scheint, komponiert aus Überresten, aus zufällig Gesam­ meltem. Der Titel ist ein Rätsel, dessen Lösung im Folgenden versucht werden soll.A1 Kurt Schwitters (1887–1948) gilt dank seiner Vortragskunst als der Paganini der Lautdichtung, der experimentellen phonetischen Poesie, lange vor Ernst Jandl, Oskar Pastior oder Thomas Kling, um nur einige zeitgenössische Autoren zu nennen, die allesamt Schwitters­Nachfolger sind. Mit der zwischen 1923 und 1932 in mehreren Versionen komponier­ ten Ursonate, die mit Vokalen und Konsonanten spielt, ohne das damit Bezeichnete erkennbar werden zu lassen, hat er teil an der alle Künste übergreifenden artistischen Tradition der Avantgarde, die die vorgebliche Schwerkraft der Bedeutungen aufhebt – in der Verschiebung des Inter­ esses vom Bezeichneten auf die Zeichenträger. Was für den Lautpoeten Schwitters gilt, gilt auch für den bildenden Künstler, also auch für das Merzbild 9b: Farben, Formen und das Material des Bildes lassen sich beschreiben. Der Zusammenhang von Zeichenträger und Bezeichnetem jedoch wird durch den Titel Das Grosse Ichbild zum Rätsel, denn darge­ stellt ist weder Schwitters’ Antlitz noch sein Körper. Es handelt sich um kein figuratives Abbild seiner Person, wie bei einem Selbstporträt erwart­ bar, stattdessen lässt sich heterogenes Material identifizieren, das dem nicht­organischen Bereich angehört. Der Titel behauptet eine Ähnlichkeit zwischen Abbildendem und Abgebildetem, die Bildgestaltung dagegen führt diese Behauptung ad absurdum. Merzbild 9b – diese Bezeichnung beschreibt zunächst die Mach­Art des Bildes. Schwitters, der nach dem Abitur Kunstakademien in Hannover, Dresden und Berlin besuchte, malte zunächst konventionelle Ölbilder. 8 Cf. Nietzsche 1980 und zum Problem der Verlässlichkeit interner Beobach­ terperspektiven cf. Blamberger 1991, 33–38. B LA MB E RGE R : I CH B I L D O H N E I CH 373 1 Kurt Schwitters: Merzbild 9b. Das Grosse Ichbild, 1919. Bild, Tafelmalerei, verschiedene Materialien, Höhe: 96,8 cm, Breite: 70 cm. Köln, Museum Ludwig, Inv.­Nr. ML 01437, Leihgabe seit 1985 (siehe Taf. 11) 374 Nach dem Ersten Weltkrieg klebte und nagelte er aus zufällig gefundenem Material seine Bilder zusammen und nannte das ›Merz­Kunst‹. Merz, die Mittelsilbe aus Com­Merz­Bank, referiert auf einen aus einer Wer­ beschrift ausgeschnittenen Papierschnipsel. Sie evoziert Assoziationen wie Kommerz, ausmerzen, Scherz, Nerz, März usw. Die Nummerierung 9b bezieht sich auf die chronologische Reihenfolge der innerhalb einer Werkgruppe erstellten Bilder. Das Grosse Ichbild ist das 9. Merzbild. Mit dem Buchstaben B nun hat Schwitters vor allem Still­Leben bezeichnet. Zu dieser Bildgattung scheint das Merzbild 9b, das zugleich Porträt sein will, auch zu gehören, insofern es wie ein Still­Leben tote Gegenstände versammelt – freilich sind es nicht die seit der barocken Vanitas­Kunst üblichen wie Blumen, Früchte, Gläser, tote Tiere etc. Sichtbar sind ganz unterschiedliche Materialien. So erkennt man Textuelles, also Wortfrag­ mente aus Zeitungs­ und Plakatausrissen, außerdem Geldscheine und eine Fahrkarte (cf. die Zahl 87) oder Fundstücke wie Pappscheiben und Pappleisten. Der Bildgrund besteht aus Papieren unterschiedlicher Form und Dicke, die ohne Rücksicht auf die Papierform selbst übermalt sind. Vorherrschend durch Blaugrün und Braun­Nuancen. Die Formen selbst sind geometrischer Provenienz, entweder kreis­ oder trapezförmig und spitz, wobei die letzteren ineinander stürzen und zugleich wie Keile auf die Bildmitte zielen, in der die Kreise dominieren, vor allem zwei: ein gro­ ßer, gelbbrauner, der zum Teil verdeckt wird durch einen grauschwarzen. Sonne und Mond stehen hier nebeneinander, wobei totale Mondfinsternis herrscht, der Mond durch den Schatten der Erde verdunkelt wird. Ein dunkles, ein apokalyptisches Zeit­Zeichen, insofern in die graue Scheibe die Zeiger einer Uhr eingezeichnet sind. Fünf vor Zwölf ist es demnach. Man darf das ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ent­ standene Grosse Ichbild folglich als ein Zeit­Bild deuten, als Porträt einer Umbruchs­, einer Krisen­Zeit, die jede Anstrengung auf eine organische, kontinuierliche, selbstbestimmte Ausbildung und Bewahrung von Indi­ vidualität zunichte gemacht hat und jedes figurative Selbstporträt, das die Einheit des Ich noch gestaltete, als ein Trugbild erscheinen ließe. Im Fragmentarischen der Text- und Fundstücke, in der Disparatheit der Materialien, Farben und Formen bildet sich das Chaos einer Zeit ab, die auch jeden Lebensplan zerrüttet hat. Darin besteht die Ähnlichkeit von Zeit­ und Lebensgeschichte. Das Selbstporträt ist im Zeitporträt insofern aufgehoben und verschwindet in ihm wie der Anspruch des Einzelnen auf Eigentümlichkeit ­ und damit auch die problematische Frage nach der Ähnlichkeit von Bild und Person, nach der Abbildbarkeit einer vordem als unverwechselbar gedachten Individualität. B LA MB E RGE R : I CH B I L D O H N E I CH 375 Die Nichtigkeit und Banalität des im Bild versammelten Materials – Geld, Fahrscheine, der Werbeschriftzug der Braufirma Störtebeker für ihre Bier­Schatzkiste – bezeugt den Niedergang der moralischen Werte am Ende des wilhelminischen Zeitalters. Durch den Vorgang des Merzens, des Collagierens, brechen diese Nichtigkeiten aus dem Wirklichkeits­ in den Kunstzusammenhang ein. Das hat Konsequenzen. Vorbei ist es mit der Vorstellung von der Autonomie der Kunst und ihrer Eignung zur ästhetischen Erziehung. Die Merzkunst bietet keinen Schutzraum mehr vor der schlechten Wirklichkeit, in dem sich die freie und selbstbestimmte Entfaltung von Individualität und Moralität demonstrieren ließe, wie noch zu den Hochzeiten des bürgerlichen Idealismus in der Kunst der Klassik und deren Fortschreibung im 19. Jahrhundert. Die Wirklichkeit dringt ins Kunstwerk ein, wobei, so Schwitters’ Vorgabe, das Zufallsprin­ zip regieren soll. Der Merzkünstler wählt das Alltagsmaterial nicht nach eigener Willkür aus, sondern nimmt das zufällig Vorgefundene: objéts trouvés, also das ihm gerade Nicht­Eigentümliche, Über­Individuelle. Normalerweise bildet das Selbstporträt eines Malers dessen eigentümliche Physiognomie wie die seiner Kunst eigentümliche Manier zugleich ab. Im Merzbild 9b haben wir es mit einem Ichbildnis zu tun, das scheinbar beides verweigert. Scheinbar nur, denn die Merzkunst hat nicht nur eine destruktive, sondern ebenso eine konstruktive Seite. Der Einbruch der Wirklichkeit in die Kunst hebt die Autonomie des Kunstwerks auf; zugleich werden die aus dem Wirklichkeitszusammenhang herausgerissenen Fundstücke im Kunstwerk jedoch qualitativ neu bewertet bzw. in Kunstmaterial um­ gewertet. Im Prozess des Merzens lassen sich demnach drei verschiedene Stadien unterscheiden. Das Einsammeln zufälliger Materialien ist nur das erste Stadium, folgt man Schwitters Selbstkommentaren: Kaputt war sowieso alles. Es galt aus den Scherben Neues zu bauen [nach dem Ersten Weltkrieg]. Das aber ist Merz. Ich nagelte, klebte, dichtete. […] So habe ich zunächst Bilder aus einem Material kon­ struiert, das ich gerade bequem zur Hand hatte, wie Straßenbahn­ fahrscheine, Garderobemarken, Holzstückchen, Draht, Bindfaden, verbogene Räder, Seidenpapier, Blechdosen, Glassplitter usw. Diese Gegenstände werden, wie sie sind, oder auch verändert, in das Bild eingefügt, je nachdem es das Bild verlangt. Sie verlieren durch Wer­ tung gegeneinander ihren individuellen Charakter, ihr Eigengift, werden entmaterialisiert und sind Material für das Bild. 376 Das heißt also, dass nach dem Einsammeln des zufällig vorfindbaren Materials dessen Umwertung erfolgt. Herausgelöst aus seinen Realitäts­ bezügen wird das Material in einem zweiten Stadium ›entformelt‹, wie Schwitters das nennt: Das Entformeln der Materialien kann schon erfolgen durch ihre Ver­ teilung auf der Bildfläche. Es wird noch unterstützt durch Zerteilen, Verbiegen, Überdecken und Übermalen. Bei der Merzmalerei wird der Kistendeckel, die Spielkarte, der Zeitungsausschnitt zur Fläche, Bindfaden, Pinselstrich oder Bleistiftstrich zur Linie, Drahtnetz, Übermalung oder aufgeklebtes Butterbrotpapier zur Lasur, Watte zur Weichheit.9 De­Referentialisierung ist also das Ziel, der Rezipient soll nicht mehr nach Wirklichkeitsbezügen suchen, sondern das Merzbild als konkrete Kunst betrachten. Das erfordert, die Signifikanten von den Signifikaten losgelöst zu betrachten. Nicht mehr einen Dosen­ oder Pappdeckel in der Mitte eines Merzbildes zu identifizieren, sondern den Kreis, den er beschreibt, die Farbe, die er trägt. Die Aufmerksamkeit gilt dann auch der Anordnung der Teile, z. B. der Spannung zwischen den keil­ bzw. trapezförmigen Teil­Stücken zu den runden, kreisförmigen. Appliziert man die Methodik einer traditionell ikonologischen Kunst­ betrachtung im Sinne Erwin Panofskys,10 so hätte man es im ersten Merz­ Stadium als Rezipient mit der Erkenntnis der Wirklichkeitsbezüge des im Bild versammelten Materials zu tun, also mit einer einfachen, voriko­ nographischen Beschreibung. Im zweiten Merz­Stadium dann mit einer ikonographischen Analyse, insofern, qua De­Referentialisierung nun, die Kompositionstechniken als solche der konkreten Kunst der Moderne zu bestimmen wären. Der Übergang zum dritten Merz­Stadium ist nun ein fließender: Schon die Betrachtung der Linien, Farben und Formen des Merzbildes 9b, die Aufmerksamkeit auf die Spannung zwischen den keil­ oder trapezförmigen und den runden Teilen erfordert neben der ikonographische Analyse die ikonologische Kontextuierung in die zeit­ genössische Philosophie­ und Geistesgeschichte. Evoziert wird dergestalt die Grundspannung in der Kunst der Jahrhundertwende zwischen Sach­ und Gemütslinien, Apollinischem und Dionysischem. Den Raum der 9 Schwitters 1981, 37. 10 Cf. Panofsky 1980 sowie Panofsky 1979. B LA MB E RGE R : I CH B I L D O H N E I CH 377 konkreten Kunst und ihrer nur ikonographischen Analyse verlässt man endgültig, wenn man die ästhetische Umwertung der Fundstücke noch weiter treibt. Das »Werten«, die Einfügung in den ästhetischen Zusam­ menhang, ist ja der dritte Schritt im Produktionsprozess des Merzens. Dem entspräche nicht nur eine ikonologische Rezeption im Sinne der Lebensphilosophie der Jahrhundertwende in ihrer apollinisch­dionysi­ schen Grundspannung, sondern eine spezifisch vitalistische Sichtweise des Materials. Das Gelbrunde in der Mitte des Merzbild 9b erschiene so weder als banaler Alltagsgegenstand noch als bloßer Kreis, sondern als Sonne, und das grauschwarze Runde, das das Gelbrunde überlagert, als Mond. In einer dergestalt nicht mehr konkreten, sondern symbolischen Betrachtungsweise würde aus dem Merzbild 9b ein abstraktes Kunstwerk, ein Verweis auf den von Schwitters verehrten Zeitgenossen Johannes Molzahn (1892–1965), der kosmische Bilder gemalt hatte: Sonnen­, Mond­ , Sternbilder, um den Rhythmus und die Energie des Weltalls einzufan­ gen, wie er es in seinem Manifest des absoluten Expressionismus im Heft 10 der Zeitschrift Sturm gefordert hatte. Schwitters widmete Molzahn sein Gedicht Kreisen Welten Du. Sein Merzbild 25 A. Das Sternenbild (Abb. 2) aus dem Jahr 1920 spricht gleichfalls für den Einfluß Molzahns.11A2 Das Ich ist unrettbar, es ist nicht mehr Herr im eigenen Haus, es verschwindet in der Menge: Das sind seit Ernst Mach, Sigmund Freud oder Georg Simmel bekanntlich Gemeinplätze in der Philosophie, Lite­ ratur und Malerei um 1900, die auch zu einem Bruch in der Kunst des Porträts bzw. Selbstporträts führen. In der Bildniskunst der Avantgarden des 20. Jahrhunderts werden seitdem Varianten des ›nicht­ähnlichen Porträts‹ entwickelt, wie Max Imdahl dies genannt hat.12 Schwitters’ Grosses Ichbild ist nicht-figurativ, nicht-mimetisch, es bildet weder das Antlitz noch die Physiognomie von Schwitters’ riesenhafter Gestalt ab, es ist selbstverständlich auch kein Charakterbild, und dennoch ein starker Nachweis von Schwitters’ Identität als Merzkünstler. Die Unvergleich­ lichkeit des Individuums mag nicht mehr darstellbar sein, wohl aber die 11 Cf. zur Kontextuierung von Schwitters vor allem den inspirierenden und inspirierten Aufsatz von Manfred Engel (Engel 2006) sowie Cardinal/Webster 2011. 12 Cf. Imdahl 2000. Imdahl entwickelt die Theorie des ›nicht­ähnlichen Porträts‹ am Beispiel einer Zeichnung bzw. einer Skulptur Giacomettis. Zur Variatonsbreite des ›nicht­ähnlichen Porträts‹ in den Avantgarden des 20. Jahr­ hunderts cf. Gördüren 2013. Schwitters’ Merzkunst ist leider weder bei Imdahl noch bei Gördüren Gegenstand der Betrachtung. 378 2 Kurt Schwitters: Merzbild 25A. Das Sternenbild, 1920. Montage, Collage und verschiedene Medien auf Karton, 104,5 × 79 cm. Kunstsammlung Nordrhein­Westfalen, Düsseldorf, Inv.­Nr 0141 B LA MB E RGE R : I CH B I L D O H N E I CH 379 seiner Arbeitsweise als Künstler, dem Sensationenchaos der Wirklich­ keit konstruktiv und gestaltend zu begegnen. »Ich merze, also bin ich«, könnte man über Schwitters sagen, und dafür spricht auch seine Bastelei an einem sogenannten Merzbau in seiner Privatwohnung in Hannover. Dabei handelte es sich um ein baumartig verzweigtes, in alle Richtungen und Räume wucherndes Gebilde mit Gipshöhlen zur Aufbewahrung von Erinnerungsstücken an Freunde und Verwandte. Eine von Peter Bisegger besorgte Rekonstruktion der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Assemblage findet sich im Sprengel-Museum in Hannover.13 Die Merzbauten, die Schwitters geschaffen hat, sind parabolische Nachbildungen einer labyrinthischen zeitgenössischen Wirklichkeit und zugleich Repräsentationen einer wiederum nicht­ähnlichen Porträtkunst. Man könnte sie, in Anlehnung an die Titelgebung des Merzbildes 9b, das ein Ichbildnis ohne Ich ist, gleichfalls rätselhaft Gruppenbild mit Künstler nennen. Schwitters ist als Bauherr unsichtbar wie seine Freunde, die in den Gipshöhlen des Merzbaus durch vergessene, verlegte oder entwendete Gegenstände repräsentiert sind. Man könnte den Merzbau als Sinnbild einer Sehnsucht des Künstlers deuten, dass jemand in diesem Sammelsu­ rium der Objét trouves nicht nur nach den Spuren der Freunde, sondern mit dem gleichen Eifer nach ihm selbst suchen könnte.14 Denkbar wäre es Schwitters’ Merzbau auch als Statue eines moder­ nen Pygmalion zu betrachten. Eine solche Vermutung liegt zumindest bei einer verbalen Merzplastik nahe, einem textuellen Porträt, einem Liebesgedicht, das Schwitters im selben Jahr wie Das Merzbild 9b 1919 geschaffen hat: An Anna Blume O du, Geliebte meiner siebenundzwanzig Sinne, ich liebe dir! – Du deiner dich dir, ich dir, du mir. – Wir? Das gehört (beiläufig) nicht hierher. Wer bist du, ungezähltes Frauenzimmer? Du bist – – bist du? – Die Leute sagen, du wärest, – laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht. Du trägst den Hut auf deinen Füßen und wanderst auf die Hände, auf den Händen wanderst du. 13 Bildnachweis siehe www.merzbaurekonstruktion.com (1.1.2016). 14 Diese Spekulation verdankt sich Lars Gustafssons wunderbarem Gedicht Elegie auf verlegte und vergessene Gegenstände. In Gustafsson 2009, S. 61–62 [im schwedischen Original in Ders. 1990]. 380 Hallo, deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt. Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich dir! ­ Du deiner dich dir, ich dir, du mir. – Wir? Das gehört [beiläufig] in die kalte Glut. Rote Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute? Preisfrage: 1. Anna Blume hat ein Vogel. 2. Anna Blume ist rot. 3. Welche Farbe hat der Vogel Blau ist die Farbe deines gelben Haares. Rot ist das Girren deines grünen Vogels. Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid, du liebes grünes Tier, ich liebe dir! – Du deiner dich dir, ich dir, du mir, ­ Wir? Das gehört [beiläufig] in die Glutenkiste. Anna Blume! Anna, a-n-n-a, ich träufle deinen Namen. Dein Name tropft wie weiches Rindertalg. Weißt du es Anna, weißt du es schon? Man kann dich auch von hinten lesen, und du, du Herrlichste von allen, du bist von hinten wie von vorne: »a ­ n ­ n ­ a«. Rindertalg träufelt streicheln über meinen Rücken. Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir! 15 Schwitters’ Gedicht An Anna Blume wurde schnell populär, weil sein Hannoveraner Verleger Paul Steegemann es auf den Litfaßsäulen der Stadt groß plakatieren ließ. Schwitters selbst hat zahlreiche Variationen davon entworfen. Ebenso zahlreich sind die Fortdichtungen seiner Anna Blume.16 Vom Wortmaterial lässt sich dieses Gedicht als Liebesgedicht klassifizieren, wobei mit der Grammatik der Liebe anarchisch gespielt und, wie schon bei der Merzmalerei beobachtet, ein Ganzes aus Bruch­ stücken heterogener Provenienz zusammengefügt wird. Eingemerzt und sich gegenseitig nivellierend finden sich z. B. pathetische Anrufungen (»O, du Geliebte«), banale Adressierungen (»Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid«), gewöhnliche Liebesschwüre im Berliner Dialekt (»ich liebe dir«) oder expressionistische Kraftausdrücke (»du tropfes Tier«). Die Bruchstücke sind jedoch in eine klare Komposition eingebunden, 15 Schwitters 1919/20, 72. 16 Cf. Schwitters 1996 sowie Schwitters 2000. B LA MB E RGE R : I CH B I L D O H N E I CH 381 wie schon das Farbenspiel des Rätsels in der Mitte verrät. Der Vogel hat die Farbe grün, welche sonst? Grün ist die Komplementärfarbe zu rot, zusammengesetzt aus den beiden anderen Primärfarben gelb und blau. Beim Malen wie beim Dichten kommt es Schwitters eben auf eine klar konstruierte Ästhetik an. Dafür sprechen auch die zahlreichen Wiederholungen und Korrespondenzen des Namens Anna oder der Deklinationsübung (»Du deiner dich dir«), sowie ein Refrain (»Das gehört [beiläufig] nicht hierher«), der dreimal variiert wird, so dass sich das Gedicht in vier Teile oder besser zwei Hälften gliedern lässt. »In die kalte Glut« scheint zu gehören, was »die Leute« in der ersten Gedichthälfte über Anna Blume sagen, denn das reale Mädchen Anna, so demonstriert es die zweite Gedichthälfte überdeutlich, gibt es nicht. Sein Porträtbild entspricht keiner Person in der Wirklichkeit, denn es ist nichts anderes als ein Wortgebilde, aus Buchstaben­Material geformt (»a-n-n-a ich träufle deinen Namen«), konkrete Kunst also, Merzkunst, ein Schwitters­Geschöpf, eine verbale Statue vom Künstler als Pygmalion angebetet und durch seine Kunst verlebendigt. Zugleich ist dieses Gedicht ein Meta­Porträt, es deckt die Genealogie der Porträt­Komposition selbst mit auf und reflektiert sie spielerisch. Zum ›nicht-ähnlichen Porträt‹ in den Bildenden Künsten finden sich in den literarischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts zahlreiche Varianten, nicht nur in der konkreten, phonetischen Dichtung eines Kurt Schwitters. So verrät sich die Moder­ nität von Porträttechniken der fiktionalen Erzählliteratur im Bruch mit monoperspektivisch hierarchisierenden und psychologisierenden Gestal­ tungsweisen. Die Porträts sind nicht mehr auf eine zentrale, das Äußere mit dem Inneren kohärent in allen Eigenschaften verbindende Perspektive festgelegt. Ein noch konventionelles Beispiel wäre z. B. die akzentuierte Darstellung Tonis in Thomas Manns Roman Die Buddenbrooks durch ihre hervorstehende Oberlippe, ein pars pro toto ihrer Unbekümmertheit und ihres Eigensinns, ihres in allen Lebensphasen und Zeitläuften stets widerständigen und unverbiegbaren Charakters. Den Paradigmenwan­ del zur Moderne kennzeichnen dagegen Porträts, die enigmatisch sind, Leerstellen offerieren, durch Perspektivenkollisionen den Leser irritieren, ihre Genealogie offenlegen, um so die Nichtabbildbarkeit des Menschen zu demonstrieren.17 In der ästhetischen Komposition das Humanum, die 17 Dafür finden sich zahlreiche Varianten. Als einer der ersten hat Peter von Matt auf den Paradigmenwechsel von der konventionellen zur modernen Por­ trättechnik in der Literatur der Moderne am Beispiel von Figurenporträts von Franz Kafka oder Robert Musil hingewiesen. Cf. Matt 1983. 382 Eigentümlichkeit, und sei es ex negativo, noch zu retten, als unverfügbar zu zeigen, erscheint heute – in Zeiten grenzenloser Verfügbarkeit durch digitale Steckbriefe – als ferne Utopie. BILDREC HTE 1, Taf. 11 Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_205859. 2 Foto: © bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Kunst­ sammlung Nordrhein­Westfalen, Düsseldorf / Walter Klein. LITERATUR VERZEICH NIS Andree 2005 Andree, Martin: Archäologie der Medienwirkung. Faszinations­ typen von der Antike bis heute. München 2005. Blamberger 1991 Blamberger, Günter: Das Geheimnis des Schöpferischen oder: Ingenium est ineffabile? Studien zur Literaturgeschichte der Kreati­ vität zwischen Goethezeit und Moderne. Stuttgart 1991. Blamberger/Boschung 2011 Blamberger, Günter / Boschung, Dietrich (Hrsg.): Morphomata. Kulturelle Figurationen: Genese, Dynamik und Medialität. München 2011. Boehm 1985 Boehm, Gottfried: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance. München 1985. Cardinal/Webster 2011 Cardinal, Roger / Webster, Gwendolen: Kurt Schwitters. Stuttgart 2011. Shaftesbury 1978 Cooper, Anthony Ashley, Third Earl of Shaftesbury: Soliloquy, or Advice to an Author. In: ders.: Characteristicks of Men, Man­ ners, Opinions, Times (1711). Reprint: Hildesheim / New York 1978, Bd. 1. Engel 2006 Engel, Manfred: Collage als Karnevalisierung. Schwitters Merz­ kunst. In: May, Markus / Radtke, Tanja: Bachtin im Dialog. Festschrift für Jürgen Lehmann. Heidelberg 2006, 271–296. Gördüren 2013 Gördüren, Petra: Das Porträt nach dem Porträt. Positionen der Bildniskunst im späten 20. Jahrhundert. Berlin 2013. Gustafsson 2009 Lars Gustafssons Jahrhunderte und Minuten. Gedichte. 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Kri­ tische Studienausgabe in 15 Bänden hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München / Berlin / New York. Bd. 2. Panofsky 1979 Panofsky, Erwin: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst. Köln 1979 (Meaning in the Visual Arts, 1957). Panofsky 1980 Panofsky, Erwin: Studien zur Ikonologie. Humanistische Themen in der Kunst der Renaissance. Köln 1980 (Studies in Iconology, 1939). Plinius 1978 Plinius Secundus der Ältere: Naturkunde. Lateinisch­deutsch. Hrsg. und übersetzt von Roderich König. Darmstadt 1978. Schwitters 1919/20 Schwitters, Kurt: An Anna Blume. In: Der Sturm 10/5 (1919/20), 72. Schwitters 1981 Schwitters, Kurt: Das literarische Werk. Hrsg. von Friedhelm Lach. Bd. 5: Manifeste und kritische Prosa. Köln 1981. Schwitters 1996 Schwitters, Kurt: Anna Blume und ich. – Die gesammelten Anna Blume-Texte. Hrsg. von Ernst Schwitters. Zürich 1996. Schwitters 2000 Schwitters, Kurt: Anna Blume und zurück. Poetische Ant­ worten auf ›Anna Blume‹. Hrsg. von Gerd Weiberg, Klaus Stadtmüller und Dietrich zur Nedden. Göttingen 2000. TH IERRY GREUB SELBSTENTZUG ALS SELBSTVOLLZUG: CY TWOMBLYS SELBSTBILDNISSE TW OMBLYS SEL B STB IL D NISSE? Ein berühmt gewordenes, Leonardo da Vinci zugeschriebenes Diktum besagt, dass sich jeder Künstler in seinem Werk selbst ›male‹: »Ogni pittore dipinge sé«.1 Folgt man dieser Spur, spiegelt jedes Kunstwerk im Rezeptionsprozess Momente der künstlerischen Eigenart seines Autors. Eine wichtige und interessante Ergänzung zu dieser Widerspiegelung des Künstlers in seinem Werk bildet sein Selbstbildnis, denn es verrät, wie der Künstler sich selbst sieht beziehungsweise wie er gesehen werden will. Die Frage nach Twomblys Selbstbildnissen wurde bis vor Kurzem als gegenstandslos betrachtet, da kein einziges gezeichnetes oder gemaltes Selbstportrait des US­amerikanischen Künstlers vorlag.2 Nur in der von Twombly erst spät, seit Mitte der 1980er Jahren, mit Vorliebe benutzten Technik des Photographiedrucks3 existieren ein paar wenige Beispiele. Doch handelt es sich dabei auch um nur vier Polaroidaufnahmen, die bisher im Umkehrschluss die Richtigkeit der Behauptung nur noch 1 Vgl. Zöllner 1992. 2 Vgl. zum Künstler etwa Varnedoe 1994, Greub 2014, Del Roscio 2014, Greub 2017. 3 Vgl. Greub 2017, 329–374, sowie die vier Bände mit Photographien von Twombly, NDR Ph I­IV; die beste Übersicht bieten NDR Ph II, Ph 2012 sowie jetzt Ph 2016. – Was photographische Bildnisse betrifft, so liegen von 1965 und 1966 mehrere im Profil aufgenommene Photos von Künstlerkollegen und Freundinnen von Twombly vor. – Zu den gemalten Portraits hat Reiner Speck jüngst interessante Details zu seinem eigenen Familienportrait ausgeführt, vgl. Speck 2014. 386 weiter bestätigten, das Selbstportrait habe innerhalb des umfangreichen künstlerischen Œuvres Cy Twomblys keine wesentliche Rolle gespielt. Cy Twombly (1928–2011), der eigentlich Edwind Parker Twombly hieß und von seinem Vater, einem Baseballspieler, ›Cy‹ gerufen wurde,4 machte selbst nie viel Aufhebens von seiner eigenen Person. In Interviews betonte er, dass nicht er selbst, sondern seine Kunst das Wichtige und Bleibende sein würde und dass er einfach nicht an seiner Person interes­ siert sei. In einem Gespräch mit Nicholas Serota 2007 begründet er seine diesbezügliche Verschwiegenheit mit einem Erlebnis aus seiner Kindheit: CT: I don’t follow too much what people say. I live in Gaeta or Lexington, and I just have all the time to myself. I don’t have to worry, I had years and years during which no one could care less, so I was very well protected. I had my own freedom and that was nice. I didn’t have to bother with myself ever except as a vehicle to look for subject matter … NS: Why have you always been so reticent to talk about your work? CT: Because … I’d rather talk about other things. It’s like talking about yourself really – it’s indulgent. I don’t like to feel indulgent. I guess. And I never did. NS: True. Probably because for a long time there wasn’t so much interest. CT: Probably, but I head away from it now. Because you know, my parents were from New England. One from near Boston, the other from Mount Desert Island. It’s very funny, but when I grew up you always had to say, ›Yes, ma’am‹ and ›Yes, sir‹. And you were never to talk about yourself. Once I said to my mother: ›You would be happy if I just kept well­dressed and [had] good manners‹, and she said: ›What else is there?‹.5 Gespräche über sich selbst lehnte Twombly ab, wie er überhaupt als ein demonstrativ zurückgezogen lebender Künstler galt, der sogar bei Vernis­ sagen seine Ausstellungen lieber über die Hintertreppe betrat und ebenso unbemerkt wieder verließ. Er erlaubte lediglich zwei Selbstaus sagen enthaltende Reportagen über seine aktuelle künstlerische Produktion und seine villenähnlichen Wohnorte in Rom, Bassano in Teverina und 4 Nach dem berühmten US­amerikanischen Baseballspieler Denten True »Cy(clone)« Young (1867–1955), vgl. Varnedoe 1994, 9. 5 London 2008, 53. GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 387 Gaeta6 – und es sind insgesamt nur drei Interviews mit ihm bekannt. Die Bildreportagen stammen mehrheitlich aus der Zeit nach 1993/94, als der Künstler aufgrund einer in den USA geplanten Retrospektive 7 und der im Bau befindlichen Cy Twombly Gallery in Houston8 in die amerikanischen Schlagzeilen gekommen war. Er war buchstäblich – so der Titel einer spä­ teren Spurensuche – »[v]erschwunden in Italien«9. Es dauerte nochmals sieben weitere Jahre, bis sich der nun schon über siebzigjährige Twombly prominenten Interviewern erstmals zum Gespräch stellte: Im Juni 2000 in London David Sylvester (dem berühmt gewordenen Interviewpartner von Francis Bacon10), im September und Dezember 2007 in Rom Nicholas Serota (dem damaligen Direktor der Londoner Tate Gallery) und im Frühjahr 2010 in Paris Marie­Laure Bernadac11 anlässlich der Enthüllung der von Twombly entworfenen Decke in der Salle des Bronzes im Louvre. Letzteres eine künstlerische Ehre, die im 20. Jahrhundert bisher nur 1953 Georges Braque zuteil geworden war, der im vormaligen Antichambre du Roi – dem Raum neben der Salle des Bronzes – Deckenmalereien ausführte.12 Es überrascht deshalb wenig, dass eine vorrangig auf Selbsterkun­ dung und Selbstinszenierung zielende Gattung, die sich der Beobachtung des eigenen Ichs bzw. seiner verschiedenen Rollenspielen und Masken verschrieben hat, und die bekanntermaßen bei Künstlern wie Rembrandt oder Lovis Corinth zu einer großen Anzahl von sich selbst ›bespiegeln­ den‹, (scheinbar) introspektiven Bildnissen führte, bei Cy Twombly kein größeres Echo fand.13 Mit seiner Zurückhaltung versuchte der Lexingtoner 6 Herrera 1994 und White 1994. – Frühere Photoreportagen sind hier nicht aufgenommen, vgl. etwa Vogue 1966. 7 Berlin 1994; die Ausstellung wurde zunächst in New York im Museum of Modern Art vom 25. September 1994 bis 10. Januar 1995 unter dem Titel Cy Twombly: A Retrospective gezeigt. 8 Houston 2013. 9 Maak 2005. 10 Varnedoe 1994, 41. 11 Ehemalige Konservatorin am Musée Picasso, seit 2003 »conservatrice géné­ rale chargée de l’art contemporain au Louvre«. 12 Vgl. Sylvester 2001, Serota 2008, The Ceiling 2010. – Bei Mancusi­Ungaro 2011 handelt es sich nicht um ein Interview im eigentlichen Sinn, sondern ein Gespräch über den technischen Zustand von Twomblys Werken in der Cy Twombly Gallery vom 17. September 2000 in Houston. – Vgl. zum Künstler­ interview Lichtin 2004 sowie Diers/Blunck/Obrist 2013. 13 Vgl. Pfisterer / von Rosen 2005 und Boehm 1986. – Wichtig für die kunst­ historische Beurteilung der Gattung des Selbstbildnisses weniger als Ausdruck 388 sich selbst der medialen Aufmerksamkeit zu entziehen, um diese auf seine Kunst zu lenken. Allerdings ist zu vermuten, dass er sich der Wirkung seines Verhaltens, welches der Mythisierung seiner Person Vorschub leistete, durchaus bewusst sein musste. PHOTOGRAP H ISCH E SELF-PORTRAITS Vielleicht geben die vier im photographischen Werk Cy Twomblys wie Irrlichter aufscheinenden Selbstbildnisse doch einen Hinweis darauf, dass ihm die eigene Person nicht so unwichtig gewesen sein kann, wie dies seine zurückhaltende Haltung zu suggerieren scheint. Denn auf Photostrecken, die in den sechziger und siebziger Jahren in seinen Pa­ lazzi in Rom oder Bassano entstanden, präsentiert sich der Künstler in ostentativer Selbstinszenierung als sich selbst zelebrierender Dandy in einem feudalen Ambiente (Abb. 1), teils in Gesellschaft seiner adeligen Ehefrau, der Portrait­Malerin Tatiana Franchetti. Die Bedeutung der Selbstportraits darf man insofern nicht so sehr an ihrer quantitativen Anzahl neben den insgesamt über 480 Photodrucken ablesen, als vielmehr an ihrer Positionierung innerhalb der zu Lebzeiten des Künstlers publizierten Photographiebände. Während der Band Cy Twombly Photographs 1951–1999 von 2002 mit einem frühen Selbst(?)­ Bildnis14 von 1944 in der Art eines impressionistischen plein­air­Malers einsetzt (Cy Twombly with painting box + umbrella of Charles Woodburry, Oqunquit, MN; Abb. 2)15 und dieses programmatisch noch vor den be­ schreibenden Essay stellt (der Band endet mit zehn Portraitaufnahmen von Künstlerkollegen, Freunden und Twomblys Sohn Alessandro), wird der 2008 erschienene Band Cy Twombly Photographs 1951–2007 von einem Selbstbildnis von 2003 eröffnet (vgl. Abb. 7) und von einer Innenaufnah­ me des Palazzo in Gaeta abgeschlossen, der drei Selbstportraits von 2003 vorangehen (vgl. Abb. 6–8).16 Da die Auswahl der Photobände keinem der Selbstbespiegelung als der Einstudierung eines Rollenspiels war der Rembrandt­Katalog London 1999. 14 Es ist unklar, ob die Aufnahme von Twombly selbst mit Selbstauslöser oder von einer anderen Person gemacht wurde; vgl. zu dieser Photographie jetzt Siegel 2014. 15 NDR Ph I, 5; das frühe Selbstbildnis findet sich auch im Band Cy Twombly Photographs III 1951–2010 an erster Stelle (NDR Ph III, Taf. 1). 16 NDR Ph II, S. 2, S. 248, Taf. 179–181. GR E UB : CY T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 389 1 Cy Twombly, Rom, 1966, Photo: Horst P. Horst 2 Cy Twombly: Cy Twombly with painting box + umbrella of Charles Woodburry, Oqunquit, MN, 1944, Dryprint auf Karton, 43,1 × 27,9 cm 390 3 Cy Twombly besucht die archäologische Ausgrabungsstätte von Selinunt auf Sizilien, 1963, Photo: Philip Reidford Zufall unterlag und von Twombly selbst vorgenommen wurde,17 handelt es sich bei dieser exponierten Anordnung der Selbstbildnisse gleichsam um ein das photographische Werk umklammerndes Statement des Künstlers, der mit dieser Geste explizit aufzeigt, wie wichtig ihm auch hier weniger die eigene Person als die selbstbestimmte Inszenierung der Photographien war, beginnend bei der Auswahl des Motivs, der Kadrierung des Bildaus­ schnitts bis zur Auswahl der als Polaroids mit einer Sofortbildkamera aufgenommenen Photos. Als Beleg dafür kann auch der letzte Band mit Photographien Cy Twomblys gelten. In Cy Twombly Vol. IV: Unpublished Photographs 1951–2011 von 2012, der mit drei Photos des Tempels F von Selinunt beginnt und mit auf der Karibikinsel Saint­Barthélemy geschossenen Last Pictures vom Frühjahr 2011 endet, halten photographische Aufnah­ men erneut wie in einer Klammer die Anfänge und den Abgesang von Twomblys künstlerischem Schaffen zusammen: Die erste Abbildung der 17 Ebd., 24 bzw. 261. GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 391 4 Cy Twombly: Clouds, Saint­Barthélemy, 2011, Dryprint auf Karton, 43,1 × 27,9 cm Selinunt­Miniserie zeigt den Künstler auf Säulenresten sitzend, in nach­ denklicher Pose (Abb. 3), während die beiden nachfolgenden Bilder bewei­ sen, dass Twombly genauso sehr an den rund um diesen Tempel verstreut liegenden, unbehauenen Steintrümmern interessiert war wie am Tempel selbst. Die letzten acht Photos des Bandes, die zu Beginn des Jahres 2011 auf Saint­Barthélemy entstanden, können demgegenüber als Wiedergabe der ›Letzten Worte‹ des am 5. Juli 2011 verstorbenen Künstlers gedeutet werden: es handelt sich zunächst um eine Abbildung von (sprechenden) Angel’s Trumpets gefolgt von vier Photos des Blumenschmucks auf Grä­ bern des Friedhofs in Lorient und danach zwei Aufblicke zum Himmel über der Insel mit dem schlichten Titel Clouds (Abb. 4) – das buchstäblich 392 5 Cy Twombly: Cemetery, Lorient – Saint­Barthélemy, 2011, Dryprint auf Karton, 43,1 × 27,9 cm letzte Wort behält jedoch das Bild Cemetery (Abb. 5), dessen wie himmel­ wärts schwebende, photographische ›Fehlstelle‹ über dem Grabschmuck Cy Twomblys künstlerisches Vermächtnis darzustellen scheint. War die früheste bekannte photographische Abbildung Cy Twomblys möglicherweise mit Selbstauslöser entstanden, wogegen jedoch ihr absolut durchkomponierter Aufbau zu sprechen scheint, so wurde die Photographie Twomblys vor dem Tempel in Selinunt, die als eine der wenigen Ausnahmen den Künstler (inszeniert) ins Bild einschließt, von Philip Reidford aufgenommen. Ähnlich kann auch das erste der drei den Band von 2008 beschließenden Self-Portraits (Abb. 6) wohl nicht von Twombly selbst aufgenommen worden sein, da die Aufnahme gleichsam GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 393 6 Cy Twombly: Self-Portrait, Gaeta, 2003, Dryprint auf Karton, 43,1 × 27,9 cm hinterrücks erfolgte: auf dem mit der Schnappschuss­Ästhetik spielenden Bild sind von Twombly selbst nur Rücken und Hinterkopf zu sehen, ohne dass zu erkennen wäre, wohin er blicken würde – möglicherweise liest er gerade in einem Buch. Rechts vom Portraitierten, leicht vor ihm positio­ niert, ist eine seiner Skulpturen zu erahnen, die nahezu die gesamte rechte Seite des Polaroids einnimmt. Ähnlich prominent ragt hinter Twombly eine Fensterfront auf, die das eintretende Licht – und die eine Kreuzform annehmende Fensterrahmung – zum eigentlichen Protagonisten der Photographie werden lässt: die Gestalt des in einem wärmenden Pullover eingehüllten Künstlers löst sich beinahe im gleißenden Gegenlicht auf. Twombly gibt auch hier nichts von sich selber preis: seine Arbeitsweise 394 7 Cy Twombly: Self-Portrait, Gaeta, 2003, Dryprint auf Karton, 43,1 × 27,9 cm – längeres Abwarten, Lesen, Nachdenken, Geschehenlassen in einem alles Übrige auflösenden Licht bilden sein eigentliches Self-Portait.18 Auf den beiden den Band abschließenden Photoaufnahmen sehen wir den Künstler nun endlich en face: er ist gerade dabei, sich mit seiner Polaroidkamera selbst zu photographieren, doch weder das aus größerer Distanz (Abb. 7) noch das aus nächster Nähe (Abb. 8) aufgenommene Ergebnis lassen vom Künstler mehr erkennen als ein im Licht aufgelöstes, 18 Das lange Abwarten, die Phasen des Nichtstuns und Lesens, bevor ihn in Schüben der Werkprozess ›überfällt‹, beschreibt Twombly ausführlich in seinen Interviews, bes. in Serota 2008. GR E UB : CY T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 395 8 Cy Twombly: Self-Portrait, Gaeta, 2003, Dryprint auf Karton, 43,1 × 27,9 cm schemenhaftes Brustbild, bei dem sinnigerweise beide Male, abgesehen von der das Gesicht verdeckenden Kamera, wie als Grundmotiv ein zwischen Portraitiertem und Betrachter ›eingezogener‹ horizontaler Holz­ balken – der an den Querbalken einer altmodischen Staffelei erinnert – die absichtsvolle Verweigerung von Einsicht in die eigene Person, Alter, Aussehen, sozialen Stand oder irgendeine Form der Selbsteinschätzung respektive Selbstinszenierung (und was dergleichen mehr bei den her­ kömmlichen Selbstbildnissen Thema gewesen war) markiert. Mit dem ostentativen Blick in den Spiegel kehrt der Künstler in thematischer und zeitlicher Hinsicht zu den eigentlichen Wurzeln der Kunst des Selbstbild­ nisses zurück, da zu dessen Verfertigung und zur Erkundung des eigenen 396 Selbst von Beginn an neben dem Schattenriss ein Spiegel als technisches Hilfsgerät zum Einsatz kam. Twombly selbst gibt sich dem Betrachter in seinen Self-Portraits jedoch gerade nicht zu erkennen, viel eher liegt in der Geste der ›Ausweichung‹ ein bewusstes Kalkül Twomblys vor, der sogar dann, wenn er einen Blick über seine Schulter erlaubt (vgl. Abb. 6) und sogar wenn er mit der Kamera ganz nahe an das eigene Spiegelbild rückt (vgl. Abb. 8), nichts Weiteres wiedergibt als Schemen und ein Übermaß an Licht, welches das Bildsubjekt wie ausblendet.19 Was bleibt, ist eine Person, die sich durch ihr scheinbar solipsistisches Tun – das Photogra­ phieren der eigenen Person im Spiegel – definiert. Da sich im Bild aber der Moment dieser Aktion selbst mitteilt, stellt Twombly darin nicht mehr und nicht weniger dar, als seine eigene künstlerische Produktion und die ›malerischen‹ Mittel. Diese, darauf wies Vincent Katz hin,20 stehen in der Tradition der Piktorialisten, einer kunstphotographischen Bewegung vom Ausgang des 19. Jahrhunderts, deren photographischen Ästhetik hinsichtlich der zufällig anmutenden Wahl des Ausschnitts, der mit der Nähe zum Motiv verbundenen Unschärfe der Konturen, insbesondere aber der Bedeutung des Lichts sich Twombly bedient. So bleibt Twombly, wie Laszlo Glozer schreibt, in seinen Photographien »unsichtbar­sichtbar […], in gebändigtem Sfumato, das Antlitz versteckt hinter der schwarzen Maske der Kamera.«21 BERÜHMTE R EFER ENZ Insofern überraschte es vermutlich auch eingefleischte Twombly-Fans, als im Oktober 2013 im dritten Band der in einem jährlichen Rhythmus erscheinenden Gesamtedition der Zeichnungen22 des Lexingtoners plötz­ lich gezeichnete Selbstbildnisse vom November 1963 auftauchten.23 Kurz vor Entstehung dieser vierteiligen Serie hatte Twombly in Paris, wo er als Teilnehmer einer Car Rallye von Rom nach London Zwischenhalt machte, sieben Zeichnungen mit dem Thema The Death of Giuliano de 19 Vgl. Greub 2017, 355–374. 20 NDR Ph I, 7–8. 21 NDR Ph II, 261. 22 Vgl. Greub 2017, 89–115. 23 NDR Z III, Nr. 232–235 (die nachfolgend in den Anmerkungen aufgeführten Katalognummern stammen aus diesem Band). GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 397 Medici verfertigt.24 Sie besitzen alle einen ähnlichen Aufbau: Mit Bleistift ist in der unteren Bildhälfte ein sockelähnliches Quadrat zu erkennen, in das in extrem rasch und beinahe unleserlich geschriebenen Schrift­ zügen »The Death of / Giuliano de Medici« eingefügt wurde. Darunter folgen Signatur, Ortsangabe und das Entstehungsjahr: »Cy Twombly / Paris 1963« (Abb. 9).25 Im Verlauf der Blattfolge werden diese Angaben immer unleserlicher und geraten durcheinander: so steht in der fünften Zeichnung26 vermutlich »Giuliano de Medici / Death [?] / Cy Twombly / Paris [?] 1963 / Paris«. Teilweise, wie auch im eben erwähnten Beispiel, steht die Schrift anstelle des Quadrats, über dem sich etwa in der Mitte der Blätter eine zugespitzte oder perspektivische Form anschließt, die von einem ›fenster‹­artigen Rechteck abgeschlossen wird, das jeweils mit wilden Bleistiftschraffuren betont und wie angefüllt ist. Teils in dieser ›Fensterzone‹, aber auch in der ›Verkürzung‹ wie auch darunter finden sich rote Wachskreideschlieren, ­verdichtungen und ­›spritzer‹. Sie weisen zusammen mit dem ›altar‹­ähnlichen Aufbau der gesamten Komposition auf die grausame Ermordung Giuliano I. de’ Medicis hin, der am 26. April 1478 während der Ostermesse im Florentiner Dom im Moment der Hostienelevation von den Anführern der Pazzi­Verschwörung Bernardo Bandini Baroncelli und Francesco Pazzi mit einem »tiefen Dolch­ stich« und danach »auf brutale Weise […] mit zahlreichen Dolchstößen niedergemacht«27 worden war. In der Abfolge der sieben Zeichnungen, die Twombly auf lediglich 12,4 × 8,8 cm messende Notizzettel verfertigte, ist wie bei einem Dau­ menkino die Ermordung Giulianos ›cineastisch‹ mitzuverfolgen: in jeder der Zeichnungen wird der Bleistiftstrich rasender, ›stechender‹ und abgehackter, so dass die im ersten Blatt noch klare Struktur der Kom­ position immer mehr zu einer ›Todesfuge‹ gerät, in der jeder Strich und jede Übermalung die Dolchstiche im Fleisch des Opfers zu markieren scheinen. Die Tötung des Medici wird so von Blatt zu Blatt gleichsam physisch nachvollziehbar. Zugleich referiert Twombly formal eindeutig auf ein berühmtes Kunstwerk: wie insbesondere der Blick auf das erste Zeichnungsblatt (vgl. Abb. 9) zeigt, stand Twombly beim Entwerfen der Zeichnungen ein prominentes architektonisches Vorbild Pate: das von Michelangelo 1531 vollendete Wandgrab des Giuliano de Medici in der 24 25 26 27 Kat.­Nr. 225–231. Angegeben in den Notes zu NDR Z III 225–228, danach fehlen sie teilweise. Kat.­Nr. 229. Walter 2003, 157 (beide Zitate). 398 9 Cy Twombly: The Death of Giuliano de Medici, Paris, 1963, Bleistift, Wachskreide, 12,4 × 8,8 cm, Privatsammlung GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 399 10 Michelangelo: Grabmal des Giuliano de Medici, 1526–1531, Marmor, Florenz, San Lorenzo, Sagrestia Nuova 400 Neuen Sakristei von San Lorenzo (Abb. 10).28 Die zunächst als ›altar‹­ ähnlich gelesene Grundstruktur der Zeichnungen folgt dabei sowohl dem architektonischen Gesamtaufbau des Grabmals mit der prominen­ ten Nischenfigur des Ermordeten als auch der Betonung der beiden (in ›Verkürzung‹) skizzierten Liegefiguren. DIE GEZEIC H N ETEN SEL B STP O R TR AIT S Auf diese Blätter folgen im Werkverzeichnis der Gemälde Cy Twomblys die bereits erwähnten vier Selbstbildnisse 29, deren erste zwei den Titel Autoritratto, das nächstfolgende Untitled (Ritratto d’Artista) und das letzte Untitled trägt. Entstanden sind sie alle am 24. November 196330 auf Blättern, die die Maße von rund 70 × 50 cm aufweisen. Danach folgen auf meist gleich großen Blättern Zeichnungen ohne Titel oder Einschrei­ bungen. Nur eines davon31 ist Untitled (Issus) betitelt und trägt die heute nicht mehr lesbare Kugelschreiber­Einschreibung »(Before the Battle)«32 sowie, in einer Art von quadratischer ›Kartusche‹, den (ursprünglichen Titel) »HYPERION«. Der Schlachtort Alexander des Großen, »Issus«, ist zwei Mal in der Bildmitte zusammen mit den Namenskürzeln »A.« und »D.« (die für ›Alexander‹ und ›Dareios‹ stehen) festgehalten. Auf den nachfolgenden Blättern hat sich Twombly mit »The Lives & Deeds of The Gods«33 auseinandergesetzt, worauf auf einer der Zeichnungen die Einschreibung »(…) Apoll [?]«34 verweist. Somit stehen die Selbstbildnisse zeitlich zwischen der Serie The Death of Giuliano de Medici und histori­ schen Schlachtskizzen (Issus) und Götterstudien. 28 Beim ›fenster‹­artigen oberen Teil der Zeichnung fühlt man sich zudem an Botticellis berühmte postume Portraits des Giuliano de Medici erinnert, von denen es Versionen in Washington (National Gallery of Art) und Bergamo (Accademia Carrara) gibt, die um 1475–82 entstanden sind. 29 Kat.­Nr. 232–235 (vgl. die Farbabbildungen Taf. 12a–d). 30 Nur Kat.­Nr. 233 ist im Bild lediglich mit der Datierung »Nov 1963« bezeichnet. 31 Kat.­Nr. 239. 32 Vgl. NDR Z III, 171, Kat.­Nr. 239. 33 So die Einschreibung in der in Paris entstandenen Zeichnung Untitled von 1963 (Kat.­Nr. 285). 34 Kat.­Nr. 241. – Die im selben Blatt zu findenden Kürzel »M.« und »V.« verweisen auf Mars und Venus. – Vgl. dazu die Studien zu Leda (Untitled (Study for Leda), Kat.­Nr. 274), Birth of Venus (Kat.­Nr. 279–283) oder Dionysos (Kat.­Nr. 298–302). GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 401 Die vier Autoritratti vom 24. November 1963 müssen ebenfalls als Serie betrachtet werden. Alle besitzen ähnliche Merkmale, auch wenn sie sich einem traditionellen Selbstbildnis mit der Bestrebung nach Ähnlichkeit und Wiedererkennbarkeit des Modells fast vollständig verweigern. Erkennbar ist auf hellem Blattgrund erneut die Aufteilung in einen oberen und unteren Bereich. Im oberen ist eine zuerst ovale (Abb. 11), dann als rote Wolke beschreibbare Ballung von Wachskreiden­ konstellation zu sehen (Abb. 12), die in den letzten beiden Zeichnungen zusätzlich mit schwarzen Stiftwolken verbreitert (Abb. 13), übermalt oder wie durchgestrichen erscheint (Abb. 14). Aus dieser Wolke ragt eine nach links gerichtete ›Knolle‹, die wahlweise als Nase oder eine sonstige Art von Ausstülpung zu lesen ist. In einem Fall ist »V. 1«, also wohl ›Version 1‹ beigeschrieben.35 Darüber ist eine Abfolge zu erkennen, die jeweils von »1« bis »5«36 bzw. von »1« bis »6«37 durchnummeriert ist und die über vier, sechs bzw. sieben blattförmigen Figurationen steht, was die Tendenz, innerhalb der Zeichnungen eine Abfolge zu erkennen, bestätigt. Im letzten Blatt sind statt der für Bewegung oder ein Vorbeigehen stehenden ›O‹­ oder ›D‹­ förmigen Kringel­Formen zwei ›wolken‹­ähnliche Verdichtungen zu sehen. Außer bei einer Zeichnung38 sind alle anderen mit einem vertikalen Strich am Rand versehen, der einmal mit einem und zwei Mal mit zwei »0« am oberen und unteren Ende markiert ist.39 Er erinnert an eine Maßangabe und den Usus, bei heranwachsenden Kindern die Erfolge ihres Körperwachs­ tums zu markieren. Bei der vorletzten Zeichnung umfasst diese jeweils am Blattrand angebrachte Markierung nur die eben beschriebene obere Partie des Blattes, in zwei Fällen40 auch den unteren Bereich. Dieser wird durch ein mit Bleistift gezeichnetes Hochrechteck gebildet, welches mit grauer Wachskreide in Twombly’scher Manier ›ausgefüllt‹ worden ist. Bei zwei Zeichnungen41 hat der Künstler »Lago« annotiert, zusammen mit einem (teils in Klammer gesetzten) »M.«42, das auch im letzten Blatt auftaucht, 35 Kat.­Nr. 234. 36 Kat.­Nr. 232 bzw. 233. 37 Kat.­Nr. 234. 38 Kat.­Nr. 233. 39 Kat.­Nr. 232 bzw. 234–235. 40 Kat.­Nr. 232 und 235. 41 Kat.­Nr. 233 sowie 234. 42 Ohne Klammer (Kat.­Nr. 233) könnte dabei ein See, der mit ›M‹ beginnt, gemeint sein, etwa – um nur ein Beispiel zu geben – der Lago Maggiore; mit Klammer (Kat.­Nr. 234) eine Person oder Gottheit an dessen Ufer. 402 11 Cy Twombly: Autoritratto, Rom, 24. November 1963, Wachskreide, Acryl, Bleistift, 69,2 × 50,2 cm, Verbleib unbekannt (Kat.­Nr. 232; siehe Taf. 12a) GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 403 12 Cy Twombly: Autoritratto, Rom, November 1963, Wachskreide, Acryl, Bleistift, 70 × 50 cm, Privatsammlung, Deutschland (Kat.­Nr. 233; siehe Taf. 12b) 404 13 Cy Twombly: Untitled (Ritratto d’Artista), Rom, 24. November 1963, Wachskreide, Bleistift, Acryl, 68,5 × 48,2 cm, Von der Heydt­Museum, Wuppertal (Kat.­Nr. 234; siehe Taf. 12c) GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 405 14 Cy Twombly: Untitled, Rom, 24. November 1963, Farbstift, Ölfarbe, 70 × 50 cm, Verbleib unbekannt (Kat.­Nr. 235; siehe Taf. 12d) 406 wenn es sich dort nicht um ein »W.« handelt. Das Set an Konfigurationen vervollständigen in drei Zeichnungen zusätzlich mit »II view«43 bzw. »view II«44 gekennzeichnete Figurationen, denen jeweils ein ›w‹­förmiges Gebil­ de beigesellt ist. Es ist mit rosa Wachskreide übermalt und durch einen schwarzen Punkt sowie eine (einmal bis zur Unkenntlichkeit übermalte) Form, die an die Kringel an den oberen Blatträndern erinnert, akzentu­ iert. In einer skatologischen Lesart wäre damit ein Hinterteil gemeint, die längliche Form wäre dann als Aussonderung dieses Körperbereichs zu deuten. Vervollständigt wird das Blatt in allen vier Fällen durch unter die Einschreibung »Lago« eingetragene Titel­Beischriften: Dem ersten Autoritratto hat Twombly »Autotrato / Roma / Nov 24 1963 / (Cy Twom­ bly)« eingeschrieben,45 der zweiten Zeichnung »Autotrato di Artista / Cy Twombly / Roma Nov 1963«, der dritten – nun zwischen der oberen ›wol­ kigen‹ und unteren »See«­Zone – »Ritratato di Artista / Nov 24 1963«46 und der vierten »Autoritrato (Cy Twombly) / Roma 24 Nov 1963«.47 Die vier Selbstbildnis­Variationen gleichen einander demnach in den Grundelementen, die sie alle in leichten Abweichungen benutzen: Ein ›wolkiges‹ Gebilde mit einer Ausstülpung wird in einem zeitlichen Vorbei­ gehen gezeigt.48 Darunter ein See, an dem zwei Mal rechterhand eine ›Po‹­ ähnliche Konstellation ›ruht‹. Eine ›Maßangabe‹ zeigt die größenmäßige oder zeitliche Erstreckung des Vorgangs an. Dabei handelt es sich gemäß der Beischrift um eine »Ansicht« oder »Aussicht«. Ob das Fehlen dieses Bildteiles in einem der Blätter seine nebensächliche Bedeutung anzeigt, bleibt unklar, vielleicht war es nur die (vermeintlich) eindeutige Lesart des Zeichens, das Twombly davon abhielt, es erneut einzuzeichnen. Hat der Künstler nun sich selbst an einem See gemalt und seinen Körper in die Elemente einer ›w‹­förmigen Figuration und eine ›Wolke‹ mit Nase bzw. Phallus aufgespaltet – oder handelt es sich um zwei Personen, die an einem 43 Kat.­Nr. 232. 44 Kat.­Nr. 233 und 234. 45 Nicola Del Roscio entziffert in den Notes »Autoritratto« (vgl. NDR Z III 166, Kat.­Nr. 232). 46 Hier liest Del Roscio »Ritratto di Artista«, betitelt das Blatt jedoch mit Untitled (Ritratto d’Artista) (vgl. NDR Z III 168, Kat.­Nr. 234). 47 Im zweiten und vierten Blatt (Kat.­Nr. 233 und 235) transkribiert Nicola Del Roscio nur Twomblys Signatur, die Orts­ und Datumsangabe. 48 Twomblys Formel dafür ist: »passes«. Vgl. die Gemälde und Zeichnungen mit dem Kürzel »Diana passes«, welche von denselben kringelartigen ›o‹­ oder ›d‹­förmigen Figurationen begleitet werden (HB IV 70). GR E UB : C Y T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 407 Wasser lagern? Die Einschreibungen »Autotrato«, »Autotrato di Artista« bzw. »Autoritrato« mit dem zwei Mal angehängten Künstlernamen lassen an die erste Möglichkeit denken, auch wenn der ein Mal in Klammern ge­ setzte Künstlername 49 Zweifel an der Identität aufkommen lässt: es handelt sich gleichsam um eine Person ›in Klammern‹, was exakt dem bildlichen Bestand der vier Selbstbildnisse entspricht. Dies betrifft nicht nur die nicht gegebene Wiedererkennbarkeit des Portraitierten (es fehlen jegliche physiognomische Angaben), sondern vielmehr auch den Twombly’schen Rückzug in seine eigenen malerischen ›Ausdrucksmittel‹ wie dem scheinbar fäkalischen Malen (daher der Hinterteil in Aktion) und seinen ureigensten Ausdrucksformen: Kringel, Schlieren, Geschmier, Gekritzel, Übermalungen und Durchstreichungen – so ist jeweils die Bezeichnung »Auto(ri)trato di Artista« rot durchgestrichen oder durch ein Kreuz ›ausgelöscht‹. Die Pointe der Selbstbildnisse Cy Twomblys liegt darin, dass uns der Künstler darin viel mehr von sich selbst preisgibt, als es auf Basis der Bild­ oberfläche zunächst den Anschein hat. Er arbeitet auch im Medium des Selbstportraits mit seinen charakteristischen Wachskreidelinien, Acryl­ farbfeldern, Bleistiftstrichen, Farbstiftschlieren und Formfigurationen. Letztendlich handelt es dabei aber nicht nur um Elemente aus Twomblys Motivreservoir, denn all diese Linien, Felder, Striche und Schlieren stammen unzweifelbar von Twombly und sind konstitutive Elemente seiner Bildsprache. Als solche aber machen sie seine unverwechselbare künstlerische Handschrift aus. Die vier Selbstbildnis­Zeichnungen zeigen uns Twombly, im Gegensatz zu den Photoarbeiten, nicht in Künstlerpose oder als (anonyme) Person, sondern in seiner Handschrift – als Spur des Künstlers selbst.50 In raschem Tempo hinskizziert ›portraitieren‹ all diese ›Kritzeleien‹ und ›Schmierereien‹ Twombly in vollster Aktion, im Augenblick höchster Präsenz: im Moment des Malens, dem Moment seiner exponiertesten Selbst(ent)äußerung. Dies verdichtet sich sinnhaft im Schriftzug »Autotrato (di Artista)«: tatsächlich haben wir es mit »Selbst­Spuren« des Künstlers zu tun, die – so die Bedeutungen des ita­ lienischen ›tratto‹, das Twombly beharrlich falsch schreibt – im Singular den ›Strich‹, aber auch einen ›kurzen Moment‹, im Plural (›tratti‹) aber auch die ›(Gesichts)züge‹ oder einfach ›Merkmale‹ und ›Wesenszüge‹ meint. Twomblys Merkmale sind so gesehen die eigenen, von ihm hin­ gekritzelten Motive, sein eigentlicher Wesenszug der spontan­rasche, 49 Kat.­Nr. 235. 50 Vgl. zum Thema der ›Spur‹ bei Cy Twombly Dobbe 2014, bes. 412–415 und Braungart 2014. 408 wie skizzenhaft hingeworfene Schriftzug. Dieser macht momentan und insgesamt die Spur des Künstler nachvollziehbar, die ein traditionelles (mit Aspekten wie Ähnlichkeit und Wiedererkennbarkeit arbeitendes) Selbstbildnis nur in äußerst seltenen Fällen (wie etwa der berühmten Malfaktur Rembrandts) und lediglich in Spuren preis gibt. Zum selbstde­ finierenden Moment des Malers in actu erhoben ist das, was Cy Twombly verbürgt, seine Handschrift – nicht die ›Züge‹ seines Antlitzes, sondern die gestischen Spuren seiner künstlerischen Arbeit, die Essenz seines Schaffens. Verglichen mit traditionellen Selbstportraits entzieht sich Twombly physiognomisch, um dafür im schöpferischen Akt des Malens sein Innerstes zu ›entblößen‹. Twomblys Autoritratti sind – und das eint sowohl die Photographien als auch die Zeichnungen – im verbalen, aus­ führenden Sinn ›Ritratti‹. BILDREC HTE Alle Werke von Cy Twombly: © Cy Twombly Foundation, New York / Rom; alle Photographien: © Fondazione Nicola Del Roscio. Courtesy Archives Fondazione Nicola Del Roscio, die Maßangaben aller Photographien be­ inhalten den Dryprint­Druck mitsamt Karton. 1 © Fondazione Nicola Del Roscio. Courtesy Archives Fondazione Nicola Del Roscio. Photo Horst P. Horst. 2, 4–8 © Fondazione Nicola Del Roscio. Courtesy Archives Fondazione Nicola Del Roscio. 3 © Fondazione Nicola Del Roscio. Courtesy Archives Fondazione Nicola Del Roscio. Photo Philip Reidford. 9, 11–14, Taf. 12a–12d © Cy Twombly Foundation. Courtesy Cy Twombly Foundation, 14/12d aus: NDR Z III 235. 10 Public Domain. LITERATUR VERZEICH NIS ŒUVREKATALOG E CY TW O MB LY S HB IV Cy Twombly. Catalogue Raisonné of the Paintings, Vol. IV, 1972–1995, hg. von Heiner Bastian. München 1995. NDR Ph I Cy Twombly. Photographs 1951–1999, hg. von Nicola Del Roscio, mit einem Essay von Vincent Katz, München 2002. GR E UB : CY T W O M B LYS SE L B ST B I L D N I SSE 409 NDR Ph II Cy Twombly. Photographs 1951–2007, mit einem Essay von Laszlo Glozer. München 2008. NDR Ph III Cy Twombly. Photographs III 1951–2010 (Ausst.­Kat. Museum Brandhorst München / Museum für Gegenwartskunst Siegen / Palais des Beaux-Arts, Brüssel 2011/2012), mit einem Essay von Hubertus von Amelunxen. München 2011. NDR Ph IV Cy Twombly. 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In: Matthias Winner (Hg.): Der Künstler über sich in seinem Werk (Internationales Symposium der Bibliotheca Hertziana, Rom 1989). Weinheim 1992, 137–160. III. TEXTE J AN N. BREMMER THE PORTRAIT OF THE APOSTLE PAUL IN THE APOCRYPHAL ACTS OF PAUL It is somewhat hazardous to offer Dietrich Boschung an article on portraits when one is not an archaeologist. For a historian of religion it would be preposterous even to venture into the field of sculpted portraits, where Boschung is the undisputed master. Instead, I will offer a discussion of a portrait on paper. Twenty years ago I made a few observations about a description of the apostle Paul in the apoc­ ryphal Acts of Paul and Thecla,1 which have been largely neglected in subsequent discussions of that passage. Since the last decade has seen a renewed interest in ancient physiognomics, both Jewish and Graeco­Roman,2 new commentaries on the Acts of Paul,3 and several new studies of the passage in question,4 it may be useful to take a fresh look at it now. The Acts of Paul belong to a series of second­ and early third­century works that supplemented the canonical Acts of the Apostles by relating further adventures of apostles beyond what is said in the canonical Acts. The chronology of these apocryphal Acts is debated, but we are fortu­ nate that in his De baptismo, written between AD 198 and 206, Tertullian relates that the Acts of Paul was a forgery by a presbyter in Asia Minor. This notice firmly places these particular Acts before AD 200 and is a highly important fixed point for dating and locating the composition of 1 Bremmer 1996, 38–39. 2 Jewish: Popović 2007; Linicum 2013. Greco-Roman: Barton 1994; Vogt 1999; Henkelman 1999; Swain 2007, to which book I refer for the new and/or cor­ rected editions of the later versions of Polemon. 3 Mangogna 2004–05; Barrier 2009; unsatisfactory, Pervo 2014, 88–99. 4 Malina/Neyrey 1996, 100–52; Ebner 2005; Betz 2007; Omerzu 2008; Callon 2014; Nicklas 2015. 416 other apocryphal Acts.5 Given that the author of the Acts of Paul knew the apocryphal Acts of Peter, as recent studies have now persuasively argued,6 we may assume that the time of their composition was the last decade of the second century. Perhaps we could even speculate about a date shortly after AD 198. It is rather striking that in c. III (below) Paul is said to come walking down the ‘Royal Road,’ that is, the via Sebaste. This road had been renovated precisely in AD 198, as we can see from surviving milestones.7 Could it be that this recent renovation work on the road induced the author to mention it in his text? In any case, a dating around AD 200 fits well with the assumption that Paul seems to have had little influence in Asia Minor prior to this time.8 Unfortunately, the Acts have not been handed down in their original textual form, but have to be reconstructed from a series of Greek and Coptic fragments. Enough has survived to give us a good impression of their contents and the order of events, however.9 Our transmitted text suggests that the Acts probably started with Paul’s conversion and stay in Damascus, where he finds the congrega­ tion fasting (I), although we do not know why.10 Next he goes to Syrian Antioch, where he stays with a certain Panchares,11 probably a ‘first of the city;’ 12 the name Panchares and its cognates, it should be noted, is fairly rare and suggests southern and south­western Asia Minor, especially Caria and Pamphylia.13 Having resurrected Panchares’ son and perhaps also his wife, Phila (a very common name), Paul is expelled from the city (II) and goes to Iconium, where he is met by a certain Onesiphorus with 5 For the passage, De baptismo 7, see Hilhorst 1996, 150–58; Poupon 1997. 6 Spittler 2008, overlooked by Zwierlein 2013, who improves upon Stoops 2012, 23. 7 Christol/Drew­Bear 1992; Peter Thonemann on MAMA XI.9. For its modern situation, see Arslan 2013. 8 Simonetti 1990, but see also Lindemann 1999, 294–322. 9 Until the new edition in the Corpus Christianorum, series apocryphorum comes out, the best overview of the story is provided by Bovon/Geoltrain 1997–2005, 1.1127–77 (by W. Rordorf et al.). For the Greek, see Lipsius/Bonnet 1891, 235–72. 10 The literature on Paul’s conversion is immense, but see Hurtado 1993; Bremmer 2008, 224–33. 11 Bovon/Geoltrain 1997–2005, 1.1128 write Anchares, whereas Schneemelcher 1992, 2. 213–70 at 236 n. 13 rightly notes that the Coptic translator understood the P at the beginning as an article. 12 See Vogt 1931, 5–97 (Paul: 58 ff ). 13 Balzat et al. 2013 s.v. B R E MME R : T H E A PO S T LE PA UL IN T H E A PO CR YP H A L ACTS OF PAUL 417 his wife Lectra, a very uncommon name,14 and their sons Simmias and Zeno, whose philosophical names suggest that our author had intellectual pretensions, as does the name Cleanthes that appears later on (VIII.7); one can compare these with the literary names Alcmanes, Gratinus and Antiphanes that appear in the Acts of Andrew.15 The text then rather abruptly mentions that Titus, the well-known co­worker of Paul, had described Paul’s appearance to Onesiphorus, ‘for he (Onesiphorus) knew him not by flesh, but only in spirit’ (III.2). In other words, Onesiphorus knows Paul from his writings but has not yet seen him in person. Understandably, Onesiphorus awaits Paul on the side of Iconium that looks in the direction of Lystra. In their commentaries, Barrier and Pervo still accept Ramsay’s late nineteenth­century study of the Road and dispute the value of the text,16 but recent epigraphical studies (note 7) have shown that the author was well informed. Indeed, this was exactly the side of Iconium where travellers from Syrian Antioch (II) would have been expected to arrive. It is not difficult to imagine Onesiphorus eagerly walking some distance down the Road in order to meet Paul and his companions. At this point, there follows the passage that is the focus of our contribution: Καὶ ἐπορεύετο κατὰ τὴν βασιλικὴν ὁδὸν τὴν ἐπὶ Λύστραν, καὶ εἱστήκει ἀπεκδεχόμενος αὐτόν, καὶ τοὺς ἐρχομένους ἐθεώρει κατὰ τὴν μήνυσιν Τίτου. εἶδεν δὲ τὸν Παῦλον ἐρχόμενον, ἄνδρα μικρὸν τῷ μεγέθει, ψιλὸν τῇ κεφαλῇ, ἀγκύλον ταῖς κνήμαις, εὐεκτικόν, σύνοφρυν, μικρῶς ἐπίρρινον, χάριτος πλήρη· ποτὲ μὲν γὰρ ἐφαίνετο ὡς ἄνθρωπος, ποτὲ δὲ ἀγγέλου πρόσωπον εἶχεν. And he travelled down the Royal Road, the one to Lystra, and he stood eagerly awaiting him, and he scrutinised the arriving persons according to Titus’ description. And he saw Paul coming, a man small of stature, bald­headed, bow­legged, in a good state of body, single­ browed, a bit long­nosed, full of graciousness. Sometimes he looked like a mortal, and sometimes he had the face of an angel. 14 The late Olivier Masson (1922–1997: per epist.) has suggested that it may be an abbreviation of Electra. Onesiphorus is mentioned in 2 Tim 1.16 and 4.19, and the name is clearly chosen because of Paul’s appreciation for his help, although it was not uncommon in the region. Cf. Balzat et al. 2013 s.v. 15 Cf. Bremmer 2000, 16. On names in the Acts of Paul, see Bremmer 2017. 16 Ramsay 1893, 30–35. 418 Unlike scholars who wrote around 1900, there is general agreement today that Christians in the late second century had no idea what Paul really looked like. That is hardly surprising. All those who had known him during his missionary travels had long since died. Those who had known him in Rome were dead, too, and Roman memories of the apostles Peter and Paul must have mostly vanished as a result of the Neronian perse­ cution.17 In fact, the earliest iconographical pictures of the apostle appear only in the fourth century,18 and the lack of real knowledge about his ap­ pearance is evident in the fact that Peter is regularly confused with Paul in iconography, just as these two apostles are often confused in texts.19 So what do we make of the description in the Acts of Paul? Let us begin by observing that it is unique in apocryphal literature. That means that the author must have had a certain purpose in providing this descrip­ tion. Our second observation is that the time of writing of the Acts of Paul coincides with the so­called Second Sophistic and the age of the Greek novel. Any convincing explanation must take this literary Umwelt into account. Finally, a convincing explanation has to account for all charac­ teristics of the description and not just concentrate on a few of them. With these observations in mind, I will now turn to previous explanations. The first serious analysis of our passage was by the meritorious church historian Robert M. Grant (1917–2014).20 In a brief article he ad­ duces a small poem by Archilochus (114 West2): οὐ φιλέω μέγαν στρατηγὸν οὐδὲ διαπεπλιγμένον οὐδὲ βοστρύχοισι γαῦρον οὐδ’ ὑπεξυρημένον, ἀλλά μοι σμικρός τις εἴη καὶ περὶ κνήμας ἰδεῖν ῥοικός, ἀσφαλέως βεβηκὼς ποσσί, καρδίης πλέως. I have no liking for a general who is tall, walks with a swaggering gait, takes pride in his curls, and is partly shaven. Let mine be one who is short, has a bent look about the shins, stands firmly on his feet, and is full of courage (tr. West). 17 Cf. Ameling 2011. 18 Bradner 1967; Wild 1985; Bisconti 2009. 19 Cartlidge/Elliott 2001, 134–48; Eastman 2015. 20 Grant 1982, who is followed by Lindemann 1999, 319 and Bovon/Geoltrain 1997–2005, 1.1129. B R E MME R : T H E A PO ST LE PA UL IN T H E A PO CR YP H A L ACTS OF PAUL 419 Clearly, Archilochus does not mention the same features that are attrib­ uted to Paul in this poem about the ideal general, except for his being short and bow­legged. Grant suggests that the author of the Acts of Paul wanted to portray Paul as a good general, but such a conclusion seems unwarranted. There is nothing in the Acts that suggests a military role for Paul, and the expression ‘soldiers of Christ’ in the Martyrium Pauli (4) is too general. Paul also says about himself in an episode that takes place in Myra, ‘I am a servant of God, and I am alone, a stranger, small and of no significance among the heathen’ (V.4) – not exactly the words one would expect of a general! More importantly, such a conclusion would leave several other details of the description in our Acts unexplained. On the other hand, I will grant Grant that our author might have known the poem, as it was very popular in the second century, as witnessed by quotations and allusions in Dio, Galen and Pollux.21 Such an allusion would have enhanced the cultural capital of our author. The next study to be published on the passage was by the equally meritorious New Testament scholar Abraham Malherbe (1930–2012).22 He rightly observes that Grant is too selective in comparing the Acts of Paul and Archilochus, and suggests that descriptions of Heracles served as a model for the author of the Acts of Paul instead. Admittedly, Heracles was quite popular with early Christian authors, but Malherbe himself concedes that baldness and shortness were not the qualities people ad­ duced in contemporary description of Heracles, although the latter was described as a Dactyl by Pausanias and others.23 Once again, there is otherwise nothing in the Acts of Paul to connect the apostle with Heracles, and we conclude that this identification is not a persuasive one. The next generation looked for a solution into a different direction. The Hungarian Hellenist János Bollók (1944–2001) begins his 1996 study of the description of Paul by observing that we find detailed physical descriptions in the papyri, for example in warrants for the arrest of escaped slaves.24 One of his examples, a papyrus from 156 BC, describes a certain Hermon: ‘of medium height, without beard, with muscular legs, knotty chin, a birthmark beside his nose on the left, a scar at the left corner of his mouth and two barbaric letters tattooed 21 22 23 24 For the passages, see West 1989–92, 1.45. Malherbe 1986, repr. in Malherbe 1989, 165–70. Cf. Fowler 2000–13, 2.43–44. Bollók 1996, 1–15. 420 on his right wrist.’ 25 Bollók argues that these descriptions all focus on external appearance, whereas the Acts of Paul ‘try to indicate how the apostle’s disposition is reflected even in his external appearance.’ He adduces here the last sentence: ‘Sometimes he looked like a mortal, and sometimes he had the face of an angel.’ More important, I think, is to observe that such detailed descriptions seem to have been characteristic of Egypt and do not seem to be known from outside that area.26 Bollók interprets the last sentence of the description as expressing Valentinian Gnostic thought, but that is completely arbitrary, since Gnostic ideas play no role in these Acts.27 Bollók is more inspired when looking at physiognomy as a key to the description of Paul. Whereas in Jewish literature we usually speak of a physiognomic consciousness, the Greeks had proper handbooks for reading character from people’s physical appearance. Such handbooks were available to the author of the Acts of Paul, who may well have known the most famous one, by Polemon, a sophist from the time of Hadrian. Unfortunately, his handbook has been lost, but we have a fourth­century excerpt by Adamantius as well as a late antique Latin and even several Arabic versions, which enable us to reconstruct with some confidence the material that would have been available to the author of our Acts.28 Bollók adduces a number of physiognomic interpretations in order to explain the description of Paul, but although this is a good start, his evidence is incomplete, sometimes wrong and neglects non­physiognomic mate­ rial. He also suggests that the author of the Acts of Paul has translated observations made by Paul himself about his physical condition in his Second Letter to the Corinthians, but this approach is hardly persuasive. For example, Bollók suggests that Paul’s calling himself ‘powerless’ (2. Cor 10.10, 11.29–30, 12.5, 9–10) corresponds to ‘short, bald’ in our description, but this seems too quick and unconvincing.29 Similarly unpersuasive is his idea that Paul’s ‘stupid’ (2 Cor 12.11) corresponds with the ‘in good condition’ of our text. In other words, apart from the use of physiognomy, Bollók’s interpretations are not persuasive. 25 For tattoos in antiquity, see Jones 1987, reprinted, somewhat revised, in Caplan 2000, 1–16; Bremmer 2015. 26 Cf. Hübsch 1968; Clarysse 1991, 49–55; Depauw 2011. 27 Similarly, Betz 2007, 136 n. 36. 28 See Swain 2007, 1–5. 29 See also the critique of Nicklas 2015, 334. B R E M ME R : T H E A PO S T LE PA UL IN T H E A PO CR YP H A L ACTS OF PAUL 421 Curiously, in that very same year, 1996, Malina and Neyrey also dedi­ cated a long chapter to a physiognomic explanation of the description of Paul. Their analysis falls short of finesse, however.30 When talking about the meeting of Paul’s eyebrows, for example, they argue that this signi­ fies a warrior and quote Suetonius on Augustus (Aug. 79.2), who indeed mentions that the emperor had supercilia coniuncta. Yet they fail to note that Suetonius was not aiming for a purely physiognomic description, but trying to present a detailed picture of the appearance of the emperor; he also notes the emperor’s small and dirty teeth, his small stature, the spots on his body and his limping. Their example from Philostratus also will not do. In his biography of Herodes Atticus (VS 552–53), the sophist mentions a youth who is as tall as a Celt – not a Celtic warrior, as suggested by Malina and Neyrey – and who has bushy eyebrows that meet as though they were one. However, this youth wears a garment of wolf­skins and nourishes himself primarily on milk. In other words, he is not a very civilised person. Unfortunately, their discussion of other characteristics in the description of Paul is similarly deficient and their conclusion that Paul is ‘the ideal male figure’ in the Acts of Paul is simply not substantiated. Bollók’s analysis has been taken up by Monika Betz, who accepts his physiognomic analysis, but does not interrogate his results. However, she does seem to accept his conclusion that Paul’s depiction is not overly positive. She progresses beyond Bollók by paying detailed attention not only to the apostle but also to the second protagonist in the Acts of Paul, the young maiden Thecla. As I had done before her,31 Betz notices that the portrayal of Thecla includes signs of lovesickness, a motif well known from the ancient Greek novel, and that she is depicted as being mesmerised by Paul. Betz analyses descriptions of the first gaze exchanged between lov­ ers in ancient novels and convincingly concludes that ‘love at first sight’ is an important element in these novels. Unlike the male protagonists of the novel, furthermore, Paul is not portrayed as young or handsome. Because of his unattractive appearance, Paul is not an erotic competitor for Thecla’s fiancé Thamyris. His physical form contrasts that of hand­ some youths in the novels. He represents the message of Christ, and that message is about spiritual love, not carnal knowledge or procreation. 30 See especially Malina/Neyrey 1996, 134–45. 31 It is somewhat odd that Betz does not refer to my article, considering that she knows the book in which it appears. 422 Betz does not connect this conclusion with a detailed analysis of the de­ piction of Paul, but her conclusion is sound in general. We have to look to the relationship between Paul and Thecla to understand the purpose of the depiction of Paul. The next study from a New Testament perspective is by Heike Omerzu.32 She argues that we see Paul through the eyes of Onesiphorus. As she suggests, this focalisation implies that the depiction must be fa­ vourable, as is also suggested by the last sentence. She does not provide a detailed analysis of the description, however, and her conclusion thus remains unproven. Moreover, her suggestion that Paul must somehow have seemed to embody the ‘ideal male’ for Thecla’s mother and fiancé is not supported by the text. They realise that Thecla is captivated by Paul but ascribe this to some kind of erotic magic rather than to Paul’s being the perfect hunk.33 As the text makes clear, Thecla is attracted to Paul’s message about virginity,34 and she has not yet seen Paul in person, as Omerzu herself observes. In the end, Omerzu’s study remains unsatisfac­ tory because she does not analyse the description in detail. The latest contribution to the discussion, by Callie Callon, takes a dif­ ferent direction and argues that the description suggests an ancient phi­ losopher. Her point of departure is the description of Paul as σύνοφρυς, which she suggests translating as ‘knitted brow’ rather than ‘unibrow.’ Unfortunately, her discussion not only mixes up authors, but it is based on antiquated editions and she has missed some important passages.35 Moreover, her main piece of evidence is translated tendentiously. To make her interpretation of σύνοφρυς as ‘knitted brow’ plausible, she adduces the late second-century AD grammarian Pollux (2.49): καὶ τὰς ὀφρῦς συνάγων ὁ φροντιστής, τὰς ὀφρῦς συνέλκων. She translates this as ‘and the brows that join [indicate] the deep thinker [the brows being drawn together],’ but it should be rendered ‘and he who contracts the brows is the deep thinker, who draws together the brows.’ Furthermore, there is no suggestion in Pollux that ‘drawing together the brows’ always has the same connotations as the English expression ‘knitted brows.’ It is true that Zeno was known for always having his brows contracted (Diog. 32 Omerzu 2008. 33 Cf. Bremmer 1996, 44–45. 34 Cf. Schöllgen 2000. 35 Cf. Callon 2014, 105–06 where she quotes Bergk’s antiquated edition of Archilochus and Schmidt’s 1862 antiquated edition of Hesychius as dating from 1965 (an Amsterdam reprint!) as well as confusing Pollux with Hesychius. B R E MME R : T H E A PO ST LE PA UL IN T H E A PO CR YP H A L ACTS OF PAUL 423 Laert. 7.16),36 but, contra Callon, in Hesychius (σ 2688 Latte/Hansen) σύνοφρυς is glossed as μεγαλόφρων, μεγάλαυχος, ‘arrogant, boastful.’ The second gloss makes clear that Callon’s preference for interpreting the expression to mean ‘high minded, high moral or intellectual value’ is misplaced: μεγαλόφρων is a vox media and can be either positive or negative; the second gloss elucidates the first one. Since Callon’s main argument for interpreting the description of Paul as that of a philosopher does not hold, we will now try once again to look at the various terms anew. My point of departure is the conviction that the description must have had meaning for contemporaneous readers. We should therefore look at the sorts of values that were typically attached to the elements of the description. Callon rightly observes that physiog­ nomists were very interested in eyes, which are not mentioned here. Yet this does not mean that we should ignore physiognomic handbooks, as she concludes.37 After all, the interpretations offered in handbooks often derived from everyday values and norms; moreover, the lost handbook of Polemon, which served as the main source for all surviving physiog­ nomic handbooks except for that of Pseudo-Aristotle, dates to the same century as the Acts of Paul and is thus a valuable place to look for paral­ lels, even if early Christian writings in general do not display profound knowledge of physiognomy.38 Handbooks can therefore help us achieve a better understanding of the passage. We will now explore the following characteristics: (1) a man small of stature, (2) bald­headed, (3) bow­legged, (4) in a good state of body, (5) single­browed, (6) a bit long­nosed and (7) full of graciousness. (1) Paul is small. Pointing out someone’s ‘smallness’ was not a com­ pliment in ancient Greece, as we can already see in Homer. Tydeus ‘was small in stature but a real warrior’ (Il. V.801), Polyphemus calls Odysseus ‘small, worthless and a weakling’ (Od. 9.515) and in the Homeric Hymn to Hermes (456) Apollo says to Hermes that he ‘is so clever, small as you are.’ In Xenophon’s Memorabilia (2.12.1), when talking about incantations, Critobulus says: ‘You mean, I take it, that the spell must be fitted to the listener, so that he may not take the praise for mockery.’ ‘Yes; for to praise one for his beauty, his stature and his strength who is conscious that he is short, ugly and puny, is the way to repel him and make him dislike you more’ (tr. Marchant, Loeb). Thanks to good advice from Pythagoras, the 36 For the reflection of this frowning in his statues, see Zanker 1995, 93–97. 37 Callon 2014, 104. 38 Cf. Boys­Stones 2007, 111. 424 Samian athlete Eurymenes was victorious in the Olympics ‘in spite of his small stature’ (Porph. VP. 15), and Agesilaus was a great general despite being small and lame (Plut. Ag. 2). This negative valuation of smallness is not that surprising given that the ideal for Greek males and females was ‘tall and beautiful.’ 39 The physiognomic handbooks also saw small­ ness as a handicap, as the pure Greek is neither small nor tall (Polemon, Leiden version, 35), and small bodies are too fast.40 (2) Paul was bald. Baldness was considered ugly in antiquity,41 and sometimes as being caused by lust (Ps. Aristotle, Probl. 18). Aristophanes even praised his own comedy the Clouds (540) on the grounds that it did not mock bald men – hardly surprisingly, as he himself went bald early.42 Some people, like the emperor Otho,43 wore wigs to conceal their baldness, and emperors were afraid of being mocked for their lack of hair.44 It was therefore with tongue in cheek that Synesius wrote his famous Eulogy of Baldness. (3) Paul was bow­legged. Archilochus’ poem shows that straight legs were the ideal. And indeed, comedy mocks Athenians with misshapen calves, as we see especially in the case of the general Laispodias.45 The physiognomist Adamantius (B 32), who relies heavily on Polemon, also notes that those who ‘have guarded the Hellenic and Ionic race and kept it pure are sufficiently large men, rather broad, upright, strong, with a rather white colour, pale, having a moderate and rather firm mixture of flesh, straight legs, etc. (tr. Repath).’ Given this preference for straight legs,46 we can understand that its opposite was seen in negative terms. (Pseudo­)Aristotle, as quoted by Anonymus Latinus (86), states that bow­ legged people were dim­witted, and the physiognomy promulgated under the name of Aristotle (813a) says that ‘to walk with feet and legs bent out means femininity, as being a characteristic of women’ (tr. Swain). It is 39 Verdenius 1949; Gomme/Sandbach 1973, 508 on Menander, Per. 521. 40 Ps.­Aristoteles, Physiognomonica 813b (various characteristics of men who are too small); Anonymus Latinus 88. 41 Persius 1.56; Petronius, Sat. 108.1; Plutarch, M. 607a; Suetonius, Dom. 18.2; Apuleius, Apol. 59.6 with Hunink ad loc., Met. 5.9; Philogelos 56. 42 Eupolis F 89 Kassel/Austin; Arist. Eq. 550, Pax 767–73. 43 Suetonius, Otho 12. For other examples, see Martial 1.72, 12.45; Anth. Pal. 11.68. 44 Cf. Caesar (Suetonius, Divus Julius 45), Tiberius (Tacitus, Ann. 4.57), Caligula (Suetonius, Gaius 50); Domitian (Juvenalis, Sat. 4.38 calvus Nero; Suetonius, Domitianus 18; Ausonius, Monost. de ord. XII imper. 11–12). 45 Eupolis F 107 and Kassel/Austin ad loc.; Dunbar and Sommerstein on Aristophanes, Av. 1569; Pfeiffer on Callimachus F 486. 46 See also Horstmanshoff 2013. B R E MME R : T H E A PO S T LE PA UL IN T H E A PO CR YP H A L ACTS OF PAUL 425 thus not surprising that the personal name Kyllos, ‘Bow­legged, Bandy­ legged,’ was rare in the Greek world.47 (4) Paul was also εὐεκτικόν, ‘in a good state of body.’ The term is normally used in a positive sense and often combined with ‘healthy.’ 48 Bollók can adduce only one explanation of the term by a physiognomist. Pseudo-Aristotle (806b) states: ‘When the flesh is hard and constitution­ ally firm (εὐεκτικὴ), it indicates insensibility’ (tr. Swain). This passage hardly counterbalances the many passages where the word has a positive meaning, however. Bollók also does not sufficiently consider the fact that this qualification goes directly against a description of Paul by his op­ ponents that is quoted by the apostle himself: ‘For they say, “His letters are weighty and strong, but his bodily presence is weak, and his speech contemptible”’ (2 Cor 10.10, tr. NRSV).49 Whatever his outer appearance, the apostle is certainly not weak in the Acts of Paul, and the characteriza­ tion seems to contest Paul’s own words in his letters. (5) Paul is single-browed. The expression σύνοφρυς has been fiercely debated, as we have seen. Yet the available evidence has been insufficiently discussed. Let us start by noticing that there are gender differences. For ancient women, ‘unibrows’ were seen as attractive, in contrast to our own time or the Middle Ages, when Chaucer’s Cressida was described as highly attractive ‘save hire browes joynedon yfeere’ (Troilus and Cressida V 813–14). The attractiveness of a unibrow for women in ancient contexts is evident in Malalas’ description of Briseis, Achilles’ concubine, as ‘tall, fair-skinned, with beautiful breasts, a good figure, eyebrows that met (σύνοφρυς), a good nose, large eyes with painted eye­lids and curly hair which was combed back’ (5.11, tr. E. Jeffreys et al.). Other references to unibrows are less detailed, but they all suggest that such eyebrows were seen as attractive for women.50 In fact, Ovid (AA 3.201) tells us that women sometimes even used makeup to fill in the gap between their eyebrows. 47 Sekunda 1997. 48 Plato, Leg. 684C; Aristotle, EN 1138a, Top. 106a; Plutarch, M. 562EF; Galen, Thras. 5.830K, 5.884K. 49 Contra Bollók 1996, 8. 50 Theocritus 8.72; Petronius, Sat. 126.15; Juv. 2.93–94; Anacreontea 16.15–17 West; Claud. Epithal. Nupt. Hon. Aug. 267–68; Dares 13: Briseidam formosam, non alta statura, candidam, capillo flavo et molli, supercililiis iunctis, oculis venustis, corpore aequali, blandam, affabilem, verecundam, animo simmplici, piam. Dares probably goes back to a third­century Greek original, a date suited to its physi­ ognomic interest, cf. Beschorner 1992, 250–54. 426 It was different for men. The (probably) first-century AD astrologer Teucer of (Egyptian) Babylon notes in connection with the zodiacal sign Gemini: ‘And it denotes swarthy persons, with heavy beards,51 meeting eyebrows, with bald foreheads, swift in their walk, versed in business, wealthy.’ 52 There can be no doubt that the physical characteristics enumer­ ated here are all negative. This also seems clear in a description by Dio Chrysostom of a man who was brought before an expert on physiognomy: ‘The people brought before him a person of rugged frame and unibrow (σύνοφρυν), squalid and in sorry state and with callouses on his hands, wrapped in a sort of coarse, gray mantle, his body shaggy as far as the ankles and his locks wretchedly shingled.’ 53 There can be no doubt that in this enumeration the ‘unibrow’ has negative connotations. This is also the case in an oration of the second century: ‘A man who knits his brows is clumsy.’ 54 Interestingly and significantly, the unibrow is also one of the negative features attributed to the Anti­Christ in the Latin Vision of Ezra, the Greek Vorlage of which probably dates to the second century AD.55 Given these examples,56 it is unsurprising that the physiognomists explain the ‘unibrow’ negatively. Pseudo­Aristotle notes: ‘Eyebrows that meet signify moroseness, by congruity’ (812b, tr. Swain). In other texts, people with unibrows are dim­witted (Anonymus Latinus 18) and troublesome (Adamantius B 37). Now we do not know exactly what the first readers of the Acts of Paul will have thought, but in light of this evidence, they can hardly have seen eyebrows that meet as something positive. (6) Paul is a bit long­nosed.57 The term used, ἐπίρρινον, is primarily found in astrological literature, where it is sometimes combined with 51 For its negative connotations, see Zanker 1995, 112. 52 Teucer, CCAG 7.199 Boll, tr. J. Holden. 53 Dio Chr. 33.54, tr. H. Lamar Crosby, Loeb. 54 Nicostratus apud Stobaeus iv. 22d. 102: ὁ δέ γε συνάγων τὰς ὀφρῦς σκαιός ἐστι. 55 Visio beati Esdrae 76: super cilia pilos habebit in unum, ed. Bogaert 1984. For the date of the Latin Vision of Ezra, see Bremmer 2018. 56 Note also Ammianus Marc. 23.6.75; Gregory of Nazianzus, C. 1036.10 (PG 37.1336): Ὦ σεμνὲ, καὶ σύνοφρυ καὶ συνηγμένε: Τί οὖν κακίζεις τὴν ἐμὴν εὐμετρίαν?; Aristaenetus 1.1 p. 1, 11–12 Mazal. A possible exception is Philostratus, VS 2.1.7. Grossardt 2006, 2.600 on Philostratus, Heroikos 33.39 insufficiently distin­ guishes between men and women. 57 Later Latin versions of the Acts of Paul translate μικρῶς ἐπίρρινον as aquilino nasone. This is a more positive trait in contemporary physiognomy (‘magnani­ mous’); these versions also translate the baldness away. Schneemelcher 1992 translates it as ‘a nose somewhat hooked.’ B R E MME R : T H E A PO ST LE PA UL IN T H E A PO CR YP H A L ACTS OF PAUL 427 other good or bad features – these texts do not help us any further.58 Interesting, however, is a brief description of Paul in the Byzantine pseudo­Lucianic Philopatris (12): ‘I experienced the same as you when a Galilean encountered me, who had a bald forehead, a long nose and who had walked on air into the third heaven.’ 59 The combination of a long nose and a bald forehead suggests a somewhat negative meaning. Polemon (Leiden version, 10a) mentions that he had met a man, (probably) from Lydia, whom he describes as follows: ‘He had an effeminate mouth, was boastful in his speech, with a long nose, and chin and cheeks far from his eyes’ (tr. Hoyland). All in all, the characterization of Paul as having a somewhat long nose is probably not really that flattering, since the model nose at the time was a square one,60 but it is also not unduly negative. (7) Paul is full of graciousness and sometimes looks like a mortal, and sometimes has the face of an angel. Let us start with a formal observa­ tion. As Robert Grant notes, the phrase χάριτος πλήρη at the end of the description in the Acts resembles the words καρδίης πλέως at the end of Archilochus’ poem.61 The similarity seems to me to support his idea that our author knew Archilochus, but the similarity is only formal. Starting with Malina and Neyrey, several authors have noted that χάριτος πλήρη in our text is clearly an allusion to the description of the preaching and death of Stephen, the protomartyr, in the canonical Acts of the Apostles (6.8), a passage that also includes the expression ἀγγέλου πρόσωπον (6.15).62 In other words, an informed reader who knows the canonical Acts may begin to suspect that the Acts of Paul will end with Paul’s martyrdom.63 At the same time, this final section of the description of Paul also shows that Paul should not be judged merely on the basis of bodily characteristics. He might not be an attractive and handsome man, but there is more to him 58 Good: Dorotheus Sidonius, p. 412 Pingree. Bad and good: Teucer, CCAG 7.196 Boll; Hippolytos, Ref. 4.15. 59 For the passage, see especially Hilhorst 1993, 41–42, although he unpersua­ sively denies the unflattering nature of the description. 60 Philostratus, VA 7.42.3, Heroikos 10.3, 33.39. 61 Grant 1982, 4 n. 22, who did not comment on the fact that the expressions both come at the end of the descriptions. 62 Malina/Neyrey 1996, 144; Barrier 2009, 74–75; Nicklas 2015, 336–337. 63 Cf. Nicklas 2015. However, it is still debated whether the author of the Acts of Paul knew the canonical Acts. This is accepted by Bauckham 1997 and Marguerat 1997, respectively, and Büllesbach 2001; but denied by Gounelle 2004, 425–31 and Dunn 2014, 168–71. Very nuanced and leaving the question open: Snyder 2018 (forthcoming). 428 than his physical traits.64 This conclusion fits my earlier observation, which has been further confirmed by Betz (above), that the less-than-flattering description of Paul makes sense in light of the following chapters, where Thecla is pictured as being mesmerised by Paul’s message. If Paul had been described as physically attractive, her fascination could well have been understood as physical attraction. This less-than-flattering descrip­ tion of Paul, in contrast, warns the reader to look in a different direction. It is Paul’s message that should concern the reader. We may also wonder whether Socrates is in the background of the description of Paul. Socrates was very well known among early Christians, and his death was seen as a kind of martyrdom.65 Although he was gener­ ally considered to have been a very wise man, even the wisest according to the oracle of Delphi, his appearance was ugly and the target of much mockery by his contemporaries. Whatever the historical truth of descrip­ tions of him, the idea that he was ugly was expressed very soon after his death in a portrait that was not very flattering, since it assimilated him to a Silenus.66 In our context it is most interesting that Jerome reports an anecdote from Socrates himself about his appearance. Unfortunately, he does not report his source, which was probably a Hellenistic treatise, but that does not diminish its value for us. He relates that once when Socrates’ two wives were bickering over him, he started to laugh, since he was ‘the ugliest man, with ape’s nostrils, a bald forehead,67 hairy shoulders and bandy legs.’ 68 Now, Jerome knew the Acts of Paul.69 Did he see a con­ nection between Paul and Socrates? Unfortunately, we do not know, but one thing is certain: baldness and bandy legs were not the characteristics of a handsome man in antiquity! With this anecdote we have reached the end of our contribution. Analysing a sculpted or painted portrait is always hazardous, as it is 64 As is stressed by Ebner 2005, 60–62. 65 Harnack 1906, 17–49, criticised by Geffcken 1908; Pfattisch 1908; Benz 1950–51; Döring 1979, 143–61; Dassmann 1993, 39; Baumeister 2009, 22–28. 66 Scheibler 1989, 7–33; Zanker 1995, 38–45; Giuliani 1996, 19–42 (several times republished in revised versions); Cambi 2011, 209–26. 67 According to Artemidorus 1.21, dreaming of a bald forehead means mockery and stalling of business. This chapter and 1.22 also illustrate the negative con­ notations of baldness. 68 Hieronymus, Adv. Iovinianum 1.48 (PL 23,291B): foedissimum hominem, simis naribus, recalua fronte, pilosis humeris, et repandis cruribus. 69 Hieronymus, De viris illustribus 7. B R E MME R : T H E A PO ST LE PA UL IN T H E A PO CR YP H A L ACTS OF PAUL 429 virtually impossible to do so in a detached manner without any personal engagement. The various interpretations of Paul’s portrait suggest that it is not that different with paper portraits. Yet I do hope that this explora­ tion in an area that does not belong to Dietrich Boschung’s specialties is not without interest for him.70 BIBLIOGRAPH Y Ameling 2011 Ameling, W.: Petrus in Rom: zur Genese frühchristlicher Erin­ nerung. In: Heid, S. (ed.): Petrus und Paulus in Rom: eine interdisziplinäre Debatte. Freiburg 2011, 468–91. Arslan 2013 Arslan, M.: Ancient Routes, New Destinations: Roman Road Via Sebaste as a Thematic Cultural Route. 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On the one hand, it is based on preliminary conversations conducted during the tenure of my pampered Fellowship at the Internationales Kolleg Morphomata in 2014–2015. On the other hand, the chapter was written to mark the sixtieth birthday of Dietrich Boschung – one of the two Rektors of the Kolleg, and from whose broad and specialist knowledge I greatly benefitted during my stay in Cologne. When it comes to the workings of ancient portraiture, few living scholars have proved more insightful than Dietrich Boschung. Whether one thinks of the seminal volumes cataloguing portraits of Caligula and Augustus (both within Das römische Herrscherbild series),1 or else of a 2002 book on Statuengruppen des julisch-claudischen Kaiserhauses,2 Boschung has shown how Roman portraits actively constructed their visual sub­ jects. A defining feature of such publications is the author’s formalist analysis – concerned with the choice of medium, for example, stylistic allusion, and not least the arrangement of locks.3 But such concern with ‘Bildsprache’ – that is, with the figurative ‘vocabulary’, ‘grammar’ and 1 Boschung 1989a; Boschung 1993. Boschung’s re­classification of Augustan portraits was the subject of an important review in Smith 1996. My own engage­ ments with Boschung’s work during my time at Cologne were oriented around a different project, now published as Squire 2016. 2 Boschung 2002. 3 For some brief comments on the ‘Zweck und Sinn des Lockenzählens’ (in the context of the typology of Augustus’ portraits), see Boschung 1993, 8–10. 436 ‘syntax’ of Roman portraiture 4 – has gone hand in hand with broader cultural historical questions: consider, for example, a 2007 book dedi­ cated to the Kosmos der Zeichen: Schriftbild und Bildformel in Antike und Mittelalter (co­edited with Hansgerd Hellenkemper, and in cooperation with Cologne’s Römisch­Germanisches Museum),5 or most recently the digital database dedicated to Imagines Principum (an ongoing research venture with Reinhard Förtsch).6 What is perhaps most characteristic in all this – and particularly important for understanding the connection with the Morphomata­ Kolleg – is the combined attention to both material and literary sources. Throughout his career, Boschung has always championed the importance of putting archaeological evidence into dialogue with textual sources, as indeed vice versa. The Morphomata­Kolleg stands as an institutional in­ stantiation of this multimedial, cultural historical methodology: of work­ ing not only through but also between different media, cross­fertilising disciplinary approaches so as to address larger transhistorical questions. With that agenda in mind, the present chapter is intended as a con­ tribution that is part archaeological, part philological and part cultural historical in scope. In line with the ‘Figurationen des Porträts’ theme, my subject will be portraiture – in particular, ancient Greek and Roman images of individuals. But while so much of Boschung’s work has centred around portraits of the most powerful figures within the Roman empire, I wish to explore a rather humbler subset of materials: images by an­ cient sculptors and painters that place their makers themselves into the representational frame. 4 For the most developed attempt to articulate this ‘semantic’ system, see Hölscher 1987 (translated into English – with an important critical introduc­ tion by Jaś Elsner – as Hölscher 2004); particularly influential on Boschung’s thinking was the work of Paul Zanker (not least Zanker 1987, translated into English as Zanker 1988). 5 Boschung/Hellenkemper 2007. One might also cite – among numerous other examples – a co-edited volume on different medial presentations of the Tetrarchy (Boschung/Eck 2006). 6 For a description, see http://archaeologie.uni­koeln.de/node/109#imagines: ‘Während Ehreninschriften, Lobreden und Rechenschaftsberichte seine Er­ folge genau benennen, historisch verorten und überprüfbar vorlegen können, argumentiert das Porträt als Bildmedium nonverbal mit positiv empfundenen Zeichen und Zuordnungen, mit ästhetischen Werten und mit der lebensnahen körperhaften Präsenz der Rundplastik.’ SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 437 Simply put, my concern will be whether – and in what ways – one can talk about ‘self­portraiture’ as a phenomenon of Graeco­Roman visual culture.7 The question is in one sense small and self­contained. But, in keeping with the Morphomata remit, it likewise feeds into larger concerns: ultimately, I wish not only to think about ancient materials, but also to adopt a comparative approach, asking how we might situate and explain the rise of self-portraiture, above all in fourteenth- and especially fifteenth-century Renaissance art.8 Other themes ensue – about shifting ideas of the ‘artist’,9 for example, no less than about the ideology of ‘art’ in antiquity and more modern times.10 I return at the end of the chapter to those bigger questions. I begin, though, by laying out the available evidence, turning first to archaeological materials, and second to literary testimonia. 7 Because of the limitations of space, I resist any temptation to delve into still earlier precedents, not least in the context of Egyptian art: for some discussions, see e.g. Drenkahn 1995, esp. 338–340; Davis 1989, 110–113; Hall 2014, 13–14; Hurwit 2015, 13–16. 8 For the proliferation of self­portraits, especially in the mid­fifteenth cen­ tury, see e.g. Brown 2000, esp. 19–22. For treatments of ancient materials within longer studies of western self­portraiture, see e.g. Goldscheider 1937, 12–15; Bonafoux 1985, 8; Brown 2000, 19–20; Cheney/Faxon/Russo 2000, 1–13; Calméjane 2006; 41–48; Hall 2014, 14–15 (slightly oversimplifying things in claiming that ‘our only evidence is references to self-portraits in texts’, 14). My thinking about self­portraiture is indebted to a number of other stud­ ies besides, foremost among them Koortbojian 1992, Koerner 1993, Griener/ Schneeman 1998, Arnold/Schmolinsky/Zahnd 1999, Horký 2003, esp. 182–193, and Cumming 2009 (a stimulating thematic guide). 9 On the status of the Greek and Roman artist – and the historiography of shifting attitudes – see DNO 1.xi–liv, along with my comments in Squire 2013, esp. 359–69, 2015a and 2016b. Fundamental are Schweitzer 1925, Bianchi­ Bandinelli 1957 and Guarducci 1958; cf. Toynbee 1951; Guarducci 1962; Burford 1972; Calabi Limentani 1958; Coarelli 1980; Pekáry 1995; Jockey 2001; Tanner 2006, esp. 141–204, 279–283; Thomas 2007; Stewart 2008, 10–38; Osborne 2010 (with response in Tanner 2010, 283–288); Muller­Dufeu 2011, esp. 265–284; Harris 2015, esp. 395–396; Hölscher 2015, esp. 112–117, 168–174; Hurwit 2015, 3–30, 147–156 (with my own response in Squire 2017); Hedreen 2016. 10 On the whole question of the ‘art’ of antiquity, see the introductory com­ ments in Squire 2010b (along with the other essays in the same edited collec­ tion) and Platt/Squire 2017: the most important contribution remains Tanner 2006. 438 1a Attic red­figure stamnos signed by Smikros, c. 510 BC. Brussels, Musées royaux d’art et d’histoire, inv. A717 (= ARV 2 20, no. 1 / BAPD 200102) (cf. pl. 13a) SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 439 1b Drawing of an Attic red-figure stamnos signed by Smikros, c. 510 BC. Brussels, Musées royaux d’art et d’histoire, inv. A717 (= ARV 2 20, no. 1 / BAPD 200102). Drawing by E. Leroux in the early twentieth century (cf. pl. 13b) 440 I. IMAGES The archaeological evidence for self­portraiture in classical art can be surveyed relatively briefly. Of course, it is perfectly possible that numerous Greek and Roman works integrated the physiognomic features of those who painted them (whether in such a way as to be noticed, or not). But only in a very small number of examples can we be confident that artists played upon such self-reflectivity. The most important case studies here come in the context of Attic vase­painting, above all those vases painted by the ‘Pioneers’ towards the end of the sixth century BC. In a small handful of cases, we find the writ­ ten names of known vase­painters featuring amid the painted scenes.11 But in one sole example – a red-figure stamnos in Brussels dating to around 520 BC – the name of the person who signed the vase is also repeated as an identifying label (Fig. 1a–b; pl. 13).12 11 For a catalogue of pots featuring known vase­painters as inscribed figures, see Neer 2002, 133–134 (with discussion at pp. 87–132). Neer lists eight inscribed portraits, and nine inscribed references to Pioneer painters. The most famous are: Munich, Staatliche Antikensammlung, inv. 8935 (a red-figure calyx-krater attributed to Euphronios that again features Smikros as a symposiast: ARV 2 1619, no. 3 bis / BAPD 275007: cf. Neer 2002, 111–117; Hedreen 2016, 22–26); and Los Angeles, Getty Villa, inv. 82.AE.53 (a red­figure psykter attributed to Smikros that labels a figure courting a boy by the name of ‘beautiful Leagros’ as Euphronios: BAPD 30685; cf. Neer 2002, 100–101; Hedreen 2016, 42–46 – although Hedreen’s hypothesis that this might be a work of Euphronios himself seems stretched). For the claim that such ‘complex pictorial strategies… for the incorporation of the artist into the work of art were understandable and ap­ preciated’ (54), see now Hedreen 2016, with earlier comments in Hedreen 2014. 12 Brussels, Musées royaux d’art et d’histoire, inv. A717 (= ARV 2 20, no. 1 / BAPD 200102; for the inscriptions, see Immerwahr 1990, 68, no. 400). Cf. Beazley 1989, 47 (‘the only certain self­portrait of a vase­painter shows him not at work but off duty’); Frel 1983, esp. 150–151; Keuls 1997, 289 (‘this painting constitutes the only incontrovertible self­portrait in Greek vase painting, since all other instances are debatable’); Neer 2002, esp. 87–93 (‘the only self­portrait that we possess’, 91); Hurwit 2015, 93–96 (adding that ‘Smikros’ self­portrait on the Brussels stamnos is the earliest surviving self­portrait in Western art’: 182, n. 74); Hedreen 2016, esp. 1–9 (‘the first “selfie” in European culture’, 1). Although some have claimed to see other self­portraits in Attic vase­painting (for some examples, see Keuls 1997, 287–288, n. 16), this is the only secure SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 441 In this particular case, there seems to be no doubting the playful artistry. Above the central scene (and just below the floral border) is an inscription that declares the name of the painter: Σμῖκρος ἔγραφσεν – ‘Smikros painted [the pot]’. Directly below the letters of the verb, we see a muscled youth, who is himself once again labelled ‘Smikros’ (Σμῖκρος): he is shown relaxing on a couch at the symposium, with his right arm stretched behind his head, and with a kylix in his left hand. In stark contrast to all the other letters inscribed within the scene, those nam­ ing Smikros curve around the figure’s head; indeed, they seem to frame the very hand of the figure – perhaps emphasising its pivotal role in the pot’s combined acts of ‘writing’ and ‘painting’ (ἔγραφσεν). Within the representational frame of the picture, the backward tilt of Smikros’ head suggests his absorption in the aulos­music (provided by a woman who is here named as ‘Helike’).13 For the external viewer of the pot, however, the motif also points the gaze upwards, drawing attention to the letters of the naming inscription above: we see Smikros not only looking beyond the representational frame of the picture, but also inspecting the very declaration of his own authorship. Smikros’ signed image is exceptional within the history of Attic vase­painting. Occasionally, vases render images of other vase­painters at work: 14 one particularly nice example comes in the interior of a red-figure kylix in Boston (Fig. 2), adorned with an image of a youth painting a pot of the same shape (and thereby inviting audiences to see the image inside the vase in connection with the painted object that frames our view).15 In case. Of course, one might think that the name (‘Mr Tiny’) might serve as a generic nickname within the scene – something especially important given the sympotic context (cf. below, n. 13); in this case, however, the juxtaposition of signature and identificatory label underscore the self­reference, as perhaps does the proliferation of different vases on both sides of the stamnos. 13 For those minded to see it, the name Helike – literally a ‘winding’ or ‘revo­ lution’ (and hence used of the Great Bear constellation) – perhaps lent an ad­ ditional significance to the curvature of Smikros’ written label. 14 For scenes of potters and painters on Attic vases, the key analysis re­ mains Ziomecki 1975, esp. 23–27 (with catalogue at 147–157): Ziomecki notes 6 black­figure and 12 red­figure scenes. Cf. Richter 1924, 64–86; Noble 1969, esp. 138–140; Beazley 1989, 39–59; Zimmer 1982b, 26–32; Himmelmann 1994, 23–48; Williams 2009. 15 On the cup (Boston, Museum of Fine Arts, inv. 01.8073; ARV 2 342, no. 19 / BAPD 203543): cf. Richter 1924, 71–72; Ziomecki 1975, 150, no. 13; Hedreen 2016, 228–231. Compare also the inside of a red-figure kylix attributed to Douris in 442 2 Fragment of the interior tondo of an Attic red-figure kylix in the manner of the Antiphon Painter, early fifth century BC. Boston, Museum of Fine Arts, inv. 01.8073 (= ARV 2 342, no. 19 / BAPD 203543) some cases we even find painters heroising their labours: consider a krater in Caltagirone depicting two naked artisans at work, for example, with the goddess Athena presiding (Fig. 3); 16 alternatively, one might think of a hydria in Vicenza (Fig. 4), this time showing Athena and her winged Victories descending on a workshop in order to present its craftsmen Berlin, which shows a possible potter or painter holding a skyphos (Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung, inv. F2542; ARV 2 803, no. 60 / BAPD 209941; cf. Richter 1924, 69, no. 7; Ziomecki 1975, 149, no. 10). 16 For discussion of the vase (Caltagirone, Mueo Civico, inv. 961: BAPD 4355), see Ziomecki 1975, 151, no. 19; Beazley 1988, 41, 45; Himmelmann 1994, 37; Williams 2009, 307. SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 443 3 Attic red-figure calyx-krater, second half of the fifth century BC. Caltagirone, Museo Civico, inv. 961 (= BAPD 4355) 4 Attic red­figure kalpis­hydria attributed to the Leningrad Painter, early fifth century BC. Vicenza, Collezione Banca Intesa, inv. 2 (= ARV 2 571, no. 73 / BAPD 206564) 444 (and, to the right, a single craftswoman) with crowns.17 Yet what is most striking in all these examples is the anonymity of those depicted. Just as these vases go unsigned, so too are their portrayed figures unidentified: there is little individualising detail here, and nothing to suggest that we are dealing with images of the specific people who made them.18 As others have argued at much greater length, images like these nonetheless complicate the idea of Greek craftsmen working as mere menial labourers, or banausoi.19 At the very least, they suggest an inter­ est in rendering the act of manufacture as visual subject. By the same token, it is worth noting a number of Attic pots that show metal­smiths and sculptors at work.20 Similiarly, we sometimes find potters featuring on monumental sculpted dedications – as on a late sixth-century marble votive-relief showing a male figure defined by his ceramic attributes (Fig. 5). Now, this image is not a self­portrait: it is signed by a sculptor named Endoios, whereas the fragmentary inscription seems to name the dedicant as ‘Pamphaios’.21 Once again, though, the relief suggests that the same people who made Greek images and objects could also feature as their subjects. What about Classical sculpture: are there any extant examples of Greek sculptors depicting themselves at work? The only (contested) instance that I know comes from Vari in southern Attica – a late fifthcentury relief carved from the limestone rock of the grotto of Pan at Vari (Fig. 6a–b). We see a man, dressed in chiton, holding a hammer and angle­iron, and shown to the left of an altar and steps (which were 17 Vicenza, Collezione Banca Intesa, inv. 2 (= ARV 2 571, no. 73 / BAPD 206564); cf. Richter 1924, 70–71; Ziomecki 1975, 154, no. 32; Williams 2009, 306. One might also compare a red-figure kylix in Athens with apparently similar motif (National Museum, Acropolis Collection, inv 2.166: ARV 2 92, no. 64 / BAPD 200761; cf. Richter 1924, 72–73; Ziomecki 147, no. 1; Beazley 1988, 41). 18 Cf. Neer 2002, 92: ‘Such workers are never named in inscriptions, they are not individualized.’ 19 For the classic articulation of the banausoi viewpoint, see Bianchi­Bandinelli 1957; for the whole question of the status of the artist in antiquity, see the bibliography cited above, n. 9. 20 The best catalogue remains Ziomecki 1975, 28–33; cf. Zimmer 1982b; Himmelmann 1994, 23–48. 21 Athens, Acropolis Museum, inv. 1322: for discussion, see Richter 1924, 80, no. 3; Beazley 1989, 48; Keesling 2003, 56–59; Hurwit 2015, 94–95. More gener­ ally on Archaic Athenian votives dedicated by craftsmen, see Scheibler 1979, along with Keesling 2003, 69–75 and Tanner 2006, 155 (with further references). SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 445 5 ‘Potter relief ’ from the Athenian Acropolis, c. 510 BC. Athens, Acropolis Museum, inv. 1322 carved into the rock at the same time). In this case, the repetition of the inscribed name (‘Archedemos’) might possibly be understood to indicate both the subject represented on the relief and the person responsible for the dedication.22 Yet there are also good reasons for doubting the claim: 22 On the relief – heralded as ‘das früheste gesicherte großplastische Selbst­ porträt’, see DNO 2.662–664, no. 1458. For full discussion, see Schörner/Goette 2004, 21–22, with Taf. 10.3–11.2 (and more detailed bibliography at p. 21, n. 118); for the inscription, see ibid. 46–47, no. 4 (note that the name Ἀρχέδημος ὁ Θηραῖος recurs in three other instances: ibid. 42–59, nos. 1, 7, 9). 446 6a ‘Archedemos reflief ’ carved inside the grotto of Pan at Vari, late fifth century BC 6b Drawing of the same relief by Ernst Curtius and Johann A. Kaupert in the late nineteenth century SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 447 the name and image may just as equally have looked back to an earlier imagined cultic founder.23 Numerous Roman case studies might be introduced here too. Con­ sider the imagery adorning the inside of the so­called ‘Kerch sarcopha­ gus’ (Fig. 7),24 for instance, or else the relief image of a funerary altar that seems to show a sculptor carving a bust-portrait of the juxtaposed female subject (e.g. Fig. 8).25 Although rare, there certainly are Roman images that depict the act of production – including a much­discussed sarcophagus relief from Ephesus that shows scenes from inside a sculp­ tor’s workshop (Fig. 9).26 But can we call these images ‘self­portraits’? In the case of the Smikros stamnos (cf. Fig. 1a­b), the repetition of the name between the signature­inscription and the painted scene underlines a knowing degree of self-reference: however fictitious or fantastic, the fabricated game lies 23 Although Schörner/Goette 2004, 22 conclude that ‘das Relief … dürfte so­ mit aller Wahrscheinlicheit nach ein Selbstporträt des Archedemos sein’, they cannot rule out the possibility that it ‘erst in späterer Zeit zur Erinnerung an Archedemos als den Ktistes des Kultes angelegt wurde’ (22, with further bibli­ ography at nn. 125, 128). 24 For discussion, see e.g. Goldman 1999; Fejfer 2008, 156–157. I have not been able to find details about another case mentioned by Muller­Dufeu 2011, 68, 115 – of a certain ‘Kozemases’ signing his name and supposed ‘portrait’ within a fourth-century Thracian tomb-complex near Aleksandrovo in Bulgaria (dis­ covered in 2000). 25 For such Roman ‘Berufsdarstellungen’, the most important catalogue is Zimmer 1982a, esp. 35–41 (cataloguing depictions of ‘Arbeit in Stein’ at pp. 153– 61, nos. 75–83, and ‘Metallarbeit’ at pp. 179–196, nos. 112–140; cf. also Jockey 1998). These and other images of ‘Roman artists’ are discussed in Squire 2015 (with more detailed bibliography): particularly important are the inscribed fu­ nerary images of Eutychides and Zenon (DNO 3.205, no. 2027; DNO 5.610–611, no. 4214). For Fig. 8 specifically, see Zimmer 1982a, 157–158, no. 80; d’Ambra 1998, 94–95; Varner 2006, 290–292 – along with the catalogue entry in Boschung 1987, 114, no. 958. 26 To the left of the relief, we see five male figures, each apparently assigned a specific labor: one is engaged in a sketch; a second figure chisels away at a togate statue; a third seems to be polishing a fragment on a table; a fourth is shown at work on the drapery of a bust; finally, in the middle of the relief, a young boy looks on, holding additional tools in his arms. For discussions, see Mendel 1912, 78–80, no. 13; Conlin 1997, 31–32; Jockey 1998, 637–638; Russell 2013, 345–347; for parallels, cf. Van Voorhis 1998, 175, n. 6, along with the 38 examples catalogued in Jockey 1998. 448 7 Scene of a painter’s workshop painted inside a limestone sarcophagus from Kerch, first/second century AD. Saint Petersburg, State Hermitage Museum, inv. P­1899.81 8 Marble funerary altar from Rome, early second century AD. Vatican Museums, Galleria dei Candalabri, inv. 2671 SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 449 9 Drawing of a sarcophagus relief from Ephesus depicting a Roman sculptural workshop, second century AD 450 in recognising the painter of the vase as a well­to­do participant at the symposium.27 With most other examples things seem rather trickier. In the majority of instances, we do not know who made the objects (a reveal­ ing fact in its own right); when it comes to Roman funerary monuments, moreover, we might reasonably think that it was not the deceased subjects who made these images. There can be no doubt that Graeco­Roman artists visualised the act of artistic manufacture. Generally speaking, though, such images seem to function less as self-referential reflections of the people who made them than as generic scenes of craftsmen at work. ALL IMAGES HAVE BEEN INCORPORATED BEFORE BEGIN­ NING OF NEXT SECTION II. TEXTS There is another type of evidence that needs to be considered here: the evidence of literary texts.28 Textual sources are important for two over­ arching reasons: first, they alert us to celebrated images that are today lost; second, and perhaps more significantly, they provide examples of ancient viewers – which is to say ancient authors – explicitly discussing those images as likenesses of the people who made them. The publication in 2014 of Der Neue Overbeck (DNO) – a monumental, 5­volume anthology of 4280 literary and epigraphic sources ‘zu den bil­ denden Künsten der Griechen’ – can greatly aid us in collecting the most pertinent passages. Although DNO does not contain a thematic index, there seem to me seven relevant textual case studies.29 The limitations of space prevent me from citing all seven texts in full. Let me begin, though, by providing a brief analysis of the passages, following the chronology of the artists that are mentioned.30 27 For discussion (and bibliographic review) of Smikros’ image and other ‘Pot­ ter Portraits’, see Topper 2012, 147–155, championing the ‘fantastical’ elements of the ‘implausible scenarios’ (149); still fundamental is Keuls 1997, 283–292. 28 For an initial discussion, see the comments on ‘autoportraits’ in Nowicka 1993, 175–176. 29 Cf. Squire 2015b, 532. 30 My selection omits Pausanias’ description of a throne of Apollo Karneios made by the Archaic sculptor Bathykles and displayed at Amyklai (DNO 1.218–222, no. 311 = Pausanias, Description of Greece 3.18.9–3.19.5). Förtsch 2001, 81–82 postulates that Pausanias (3.18.14) mentions a self­portrait of Bathykles amid the scenes, comparing the evidence of Theodorus (‘Hier seien Bathykles und seine Werkstatt dargestellt gewesen … Durch derart prominente Votive banden sich Künstler in zentrale Erlebnisbereiche der Öffentlichkeit ein …’, SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 451 II.1 THEO D O R O S ( DNO 1 .1 9 0– 1 92 , N O S. 275–276 = PL I N Y, NATURAL HISTORY 3 4 .8 3 AN D P O SID IP PUS 67 A-B): The earliest artist associated with a self­portrait is the Archaic architect, metal­smith and sculptor Theodorus (cf. DNO 1.183–202, nos. 267–293). The Elder Pliny (writing in the 70s AD) mentions Theodorus by name on four occasions in his encyclopaedic Natural History (7.198 = DNO 1.200, no. 291; 34.83 = DNO 1.190–191, no. 275; 35.152 = DNO 1.199–200, no. 290; 36.193 = DNO 1.193, no. 277). But in one passage (34.83), Pliny recounts how Theodorus – famous for his ‘labyrinth’ at Samos – ‘cast himself in bronze’ (ipse se ex aere fudit). Besides the ‘marvellous reputation of its likeness’ (similitudinis mirabilem famam), this statue is celebrated for its ‘great subtlety’ (magna subtilitate celebratur), above all on the grounds of a miniaturist creation that it held. While the statue grasped a file (limam) in its right hand, the left-hand three fingers contained ‘a little four-horse chariot’ (quadrigulam) – a ‘marvel of miniaturisation’ (parvitatis … miraculum) that was subsequently removed to Praeneste. So small was this sculpture, Pliny adds, that a fly could cover it with its wings – chariot and charioteer alike.31 Pliny’s story evidently harks back to an older tradition, as confirmed by the publication in 2001 of the ‘New Posidippus’ (dating from the late third or early second century BC, and preserving poems by the third­ century BC epigrammatist).32 Within a section on Andriantopoiika (‘poems on statues’) is an epigram that draws on a closely related feat of sculptural miniaturisation (Posidippus 67A­B = DNO 1.190–192, no. 276). The sculp­ ture is expressly heralded as something ‘Theodorean’ (Θεοδωρείης), and draws upon the same scaled comparison with the wings of a fly. Reveal­ ingly, however, there is no explicit suggestion that this is a self-portait: 82). But the claim is fanciful: Pausanias simply mentions a ‘band of dancers’ – one comprised of ‘the Magnesians who worked with Bathykles on the throne’ (Μάγνητες οἱ συνειργασμένοι Βαθυκλεῖ τὸν θρόνον). 31 For discussion, see Metzler 1971, 175–179. There are some textual critical problems here: cf. Squire 2011a, 285–286. For other closely related stories of sculptural miniaturisation (in relation to Callicrates and Myrmecides), see Squire 2011a, esp. 1–11, 260–261, 287–288. 32 For text and commentary, see now Seidensticker/Stähli/Wessels 2015 (with discussion of 67A­B at pp. 272–276). The poems have spurred a large bibliogra­ phy, but for an excellent introduction to Posidippus’ Andriantopoiika see Prioux 2008: 200–252. 452 Posidippus does not anticipate Pliny’s later testimony that Theodorus’ chariot belonged to a portrait of the sculptor himself.33 II.2 C HEIRIS O P H O S ( DNO 1 .1 70– 1 72, NO. 251 = PAUS AN I AS , DECRIPTION OF GREECE 8 .5 3 .7 – 8 ) : Cheirisophos (‘Clever­Handed’) was a common name for artists. But Pausanias – writing in the second century AD – associates one Cretan sculptor by this name with a gilded statue of Apollo, displayed in the Temple of Apollo at Tegea. Nothing is known of the sculptor, Pausanias declares. But his subsequent comments associate the statue with Archaic wooden xoana (in a Cretan tradition connected with the legendary works of ‘Daedalus’). The passage is relevant to us because of one additional detail: for next to Cheirisophos’ image of Apollo was placed ‘a statue of Cheirisophos in stone’ (παρὰ τῷ Ἀπόλλωνι ὁ Χειρίσοφος ἕστηκε λίθου πεποημένος). DNO notes the possibility that this marble statue might be a self­portrait of the sculptor. It nonetheless adds that ‘man darf daran zweifeln, dass der im Umgang mit Holz (und Gold) erfahrene Bildhauer sich selbst in Marmor verewigt hat’, concluding that the information ‘vielleicht eher [als] ein Irrtum des Pausanias in Betracht gezogen werden [muss]’ (171). II.3 PHEIDIA S ( ESP. DNO 2 .1 3 2– 1 3 3 , N O. 855 = PL UTARC H , LIFE OF PERICLES 3 1 .4 ) : Antiquity’s most famous self-portrait comes in the context of anecdotes about the Athena Parthenos – that is, the large chryselephantine statue crafted by Pheidias during the third quarter of the fifth century BC, and erected in the Parthenon at Athens. Pheidias, or so the anecdote goes, incorporated his own likeness into the Amazonomachy scenes that adorned the statue’s shield, and could be recognised among those fight­ ing on the Greek side. The story became apocryphal, and was subject to further elaborations. As others have explored at greater length, the anecdote seems to have originated long after Pheidias’ life­time, probably during the Hel­ lenistic period.34 The most detailed rendition comes in Plutarch’s early 33 The first person to note the connection with the ‘New Posidippus’ was Angio 2001; cf. Squire 2011a, 287–290. 34 On the possible Hellenistic derivation of the stories and their evolution, see above all Preisshofen 1974 and most recently Davison 2009, esp. 1.97–98, 110–112. Dillon 2006, 180, n. 23 may be right to conclude that ‘the story was SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 453 second­century AD Life of Pericles. Explaining why Pheidias was brought to trial in Athens, Plutarch mentions the jealousy of the Athenians, ‘es­ pecially the fact that when he wrought the battle of the Amazons on the shield of the goddess, he carved out a figure that suggested himself as a bald old man lifting on high a stone with both hands, and also inserted a very fine likeness of Pericles fighting with an Amazon’ (καὶ μάλισθ᾽ ὅτι τὴν πρὸς Ἀμαζόνας μάχην ἐν τῇ ἀσπίδι ποιῶν αὑτοῦ τινα μορφὴν ἐνετύπωσε πρεσβύτου φαλακροῦ πέτρον ἐπῃρμένου δι᾽ ἀμφοτέρων τῶν χειρῶν, καὶ τοῦ Περικλέους εἰκόνα παγκάλην ἐνέθηκε μαχομένου πρὸς Ἀμαζόνα).35 Plutarch’s reference to two portraits – one of the sculp­ tor, and one of Pericles – is paralleled in only one other passage: in an early second­century AD oration (DNO 2.19, no. 910 = Oration 12.6), Dio Chrysostom tells how Pheidias was said to have ‘hidden Pericles and himself on the shield’ (Περικλέα δὲ καὶ αὐτὸν λαθὼν ἐποιήσεν, ὥς φασιν, ἐπὶ τῆς ἀσπίδος).36 Plutarch and Dio Chrysostom were writing in the early second century. But elements of the story were foreshadowed in the mid-first surely pure invention.’ In my view, however, the invention makes the anecdotes more rather than less interesting. For a visual reconstruction of Pheidias’ ‘autportrait’ – albeit against the background of the Parthenon frieze! – see the image on Calméjane 2006, 43. There seems to me little reason to think that the anecdote is already reflected in Aristophanic comedy (cf. Hedreen 2016, 4–6, discussing Knights 604–606; cf. Harrison 1966, 132). 35 Plutarch adds that ‘the attitude of the hand, which holds out a spear in front of the face of Pericles is cunningly contrived as if with a desire to conceal the resemblance – which is, however, plain to see from either side’ (τὸ δὲ σχῆμα τῆς χειρός, ἀνατεινούσης δόρυ πρὸ τῆς ὄψεως τοῦ Περικλέους, πεποιημένον εὐμηχάνως οἷον ἐπικρύπτειν βούλεται τὴν ὁμοιότητα παραφαινομένην ἑκατέρωθεν). Nowicka 1993, 176–177 compares the anecdotes with those of other ‘portraits cryptiques’ – including the story of Polygnotus incorporating the sister of Cimon into a paint­ ing of Trojan Women (Plutarch, Life of Cimon 4.6 = DNO 2.678–679, no. 1472), and that of Arellius depicting the traits of his mistresses within a painting of goddesses (Pliny, Natural History 35.119–120); among other anecdotes, one might also think of stories about Praxiteles modelling his Knidian Aphrodite on the celebrated prostitute Phryne: cf. Havelock 1995, 42–49; Squire 2011b, 69–114, esp. 100–102; Morales 2011). ‘C’est donc dans l’Antiquité que prend son origine un procédé développé généreusement plus tard dans l’art européen’, Nowicka 1993, 177 concludes: ‘peintres et sculpteurs accordent aux effigies sacrées et profanes les traits de leurs amis, patrons, épouses et maîtresses.’ 36 On the relevance of the story for approaching Classical Greek ideas of por­ traiture, see e.g. Calméjane 2006, 43–45 and Squire 2011b, 125–126. 454 century BC works of Cicero (DNO 2.186–187, no. 900 = Cicero, Tusculan Disputations 1.34): Cicero could evidently draw upon a related tradition, telling how the sculptor inserted an image of himself within the shield of Minerva (sui similem speciem inclusit in clipeo), since he was not allowed to inscribe his name (cum inscribere <nomen> not liceret). The story was subject to further embellishments too, not least in anecdotes (already familiar to Cicero) that this integrated portrait of Pheidias was specially engineered so that any attempt to remove it would lead to the disintegra­ tion of the whole work.37 II.4 PARRHA SIUS ( DNO 2.8 24 – 8 2 5 , NO. 1648= T H EMI S T I US , ORATIONS 2.2 9 C– D ) : In a speech delivered in Constantinople in AD 355, the Greek orator Themistius alludes to a story about Parrhasius, a painter from Ephesus active in the late fifth and fourth centuries. When Parrhasius painted an 37 The gradual elaborations of this story are the subject of a masterful dis­ cussion by Preisshofen 1974, esp. 66–69. The earliest references come in two passages of Cicero (DNO 2.186–187, no. 898 = On the Orator 2.73; DNO 2.187, no. 899 = Orator 234). For the subsequent variants, see: a) DNO 2.189, no. 904 (= Valerius Maximus, Memorable Deeds and Sayings 8.14.6), on the ‘example of Pheidias, who included his own image within the shield of Minerva in such a way that with its removal the whole structure of the work would fall apart’ (Phidiae… exemplum, qui clipeo Minervae effigiem suam inclusit, qua convolsa tota operis conligtio solveretur); first half of the first century AD. b) DNO 192–193, no. 911 (= Pseudo­Aristotle, On the World 6 (399b–400a)), recounting how people say that Pheidias cast his own face in the middle of the shield (φασὶ… ἐν μέσῃ τῇ ταύτης ἀσπίδι τὸ ἑαυτοῦ πρόσωπον ἐντυπώσασθαι), and adding that it was so integrated that any attempt to remove would necessarily lead to the dissolution and destruction of the whole statue (τὸ σύμπαν ἄγαλμα λύειν τε καὶ συγχεῖν); (?) first or second century AD. c) DNO 2.193–194, no. 912 (= Apuleius, On the World 32.361), mentioning how Pheidias ‘inserted a portrait of his own face’ (oris sui similitudinem conliligasse) in such a way that the whole statue would be destroyed ‘if someone should at one time have wished to remove the portrait of the artist’ (si quis olim artificis voluisset exinde imaginem separare); mid­second century AD. d) DNO 2.196–197, no. 919 (= Ampelius, Memorial 8.10), albeit substituting the image of Pheidias with a ‘portrait of Daedalus’ (Daedali… imago), and adding that ‘if someone were to wish to remove the image from the shield, the whole work would be destroyed’ (si quis imaginem <e> clipeo velit tollere, perit totum opus); (?) fourth century AD. SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 455 image of Hermes (a picture which otherwise goes unattested), the art­ ist endowed the god with his own form (τὴν ἑαυτοῦ μορφήν), thereby deceiving people with the image’s inscription. The discussion comes in the context of rhetorical self-promotion (associated with tastelessness and narcissism: ἀπειροκαλίαν τε καὶ φιλαυτία); 38 it was perhaps modelled on earlier anecdotes about Pheidias. II.5 APEL LES ( DNO 4 .1 7 7 , NO. 2927 = PALATINE ANTHOLOGY 9.595): A single hexameter of an eponymous epigram in the Palatine Anthology contains an apparent reference to a self­portrait of Apelles: the epigram, ‘on an image of Apelles’ (εἰς εἰκόνα Ἀπελλοῦ), tells how ‘that excellent Apelles has painted himself in the picture’ (αὐτὸς ἑαυτὸν ἐν εἰκόνι γράψεν ἄριστος Ἀπελλῆς). Only the first line of the epigram is preserved, and even that has caused controversy (since the word ἄριστος – which is metricaly required to bring the number of feet from five to six – is not preserved in the oldest manuscripts). DNO declares that the image ‘wäre das früheste Selbstporträt eines Malers’. However, we have no indication as to the date of this poem, and ancient writers provide no other refer­ ence to the purported picture. It is nonetheless worth noting the playful phrasing of the line: the juxtaposition of αὐτός and ἑαυτόν emphasises the self-reflection involved – no doubt within a poem that once delivered a highly self-reflective poetic response to an imagined visual stimulus.39 II.6 XENO P H IL O S AND STR ATO N ( DNO 5. 182–183, N O. 3778 = PAUS ANIA S, DESCRIPTION OF GREECE 2. 23. 4): The names of Xenophilos and Straton are attested in a number of in­ scribed statue-bases from the second and first centuries BC, which most often mention the two sculptors together (DNO 5.183–189, nos. 3779– 3788). The only extant literary reference, though, comes in a passage of Pausanias. In the context of a description of the temple of Asclepius at Argus, Pausanias mentions a cult­statue of the god, who was shown sitting beside a standing Hygeia. Seated alongside that statue, Pausanias adds, were those who made it, namely Xenophilos and Straton (κάθηνται δὲ καὶ οἱ ποιήσαντες τὰ άγάλματα Ξενόφιλος καὶ Στράτων). Pausanias 38 For a German translation of the full speech, see Leppin/Portmann 1998 (the relevant passage appears on p. 54). 39 For an introduction to the self-reflexive games of epigram – with more detailed bibliographic survey – see Squire 2010a. 456 supplies no further information about who sculpted these statues of Xenophilos and Straton, or indeed when they were installed; in fact, there is no evidence to suppose that the images were made by the sculptors themselves.40 II.7 IAIA ( DNO 5 .4 4 5 – 4 4 6, NO S. 4 05 4 – 4 055 = PL I N Y, NATURAL HISTORY 3 5 .1 4 7 – 1 4 8 ) : The female painter ‘Iaia’ is known only from a single reference from Pliny – and in a passage that is corrupt (some manuscripts record the name as Lala).41 Pliny recounts that the painter hailed from Cyzicus (in Mysia in Asia Minor), and that she was active in Rome during the early first century BC (‘when M. Varro was young’). In addition to a large painting of an old woman in Naples, Iaia is attributed with painting ‘her own image before a mirror’ (suam … imaginem ad speculum).42 Pliny seems to refer here to the first known self-portrait of a female artist in western visual culture.43 In his De mulieribus claris, first published in 1374, Boccaccio included the life of Iaia (there named ‘Marcia’) among his 106 biographies of famous women, explicitly mentioning her self-portrait (66.6); a French illuminated translation of 1403 contains a miniature of this mise­en­scène – rendering Iaia a mediaeval nun, and furnishing us 40 Cf. Damaskos 1999, 322 (‘Das Zitat ist etwas unklar formuliert, so daß es nicht möglich ist, mit Sicherheit zu sagen, was für Statuen es waren und wann sie gestiftet wurden’). 41 For ancient traditions of female painters, see Kampen 1975 and Muller­Dufeu 2011, 173–175. The DNO entries (all derived from brief mentions in Pliny’s Natural History) concern the following painters: Aristarete, Eirene, Calypso, Olympias and Timarete (4.767–768, no. 3571); Timarete (4.765, no. 3568); Helena of Egypt (4.245, no. 3052); and Anaxandra (4.727–728, no. 3518). 42 The phrasing is unclear: should we imagine that Iaia is depicted in the paint­ ing before her own mirror­reflection (a fairly common trope in the Hellenistic period: cf. e.g. Balensiefen 1990)? Or did the painter use a mirror to execute the image of herself? For discussion, see Nowicka 1993, 176. 43 On the female self­portrait in western art, see especially Edholm 1988; cf. e.g. Borzello 1998; Brown 2000, 98–102, Rideal 2002. Cheney/Faxon/Russo 2000, 1–13 also discuss female ‘self­portraits in antiquity’, mentioning Iaia on p. 9; their history, however, is rather confused (there is no evidence, for example, that ‘most’ of the female painters mentioned by Pliny ‘were said to have painted self­portraits’). On the importance of mirrors to Renaissance concepts of self­ portraiture, see especially Brown 2000, 45–55 (with insightful analysis of the parallels with Narcissus) and Hall 2014, 31–49. SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 457 10 Miniature of ‘Marcia’ painting her self­portrait – within an anon­ ymous French translation of Boccaccio’s De mulieribus claris (‘Livre des femmes nobles et renommées’), painted on parchment, 1403 with one of our earliest illustrations of a convex mirror being used to paint a self­portrait (Fig. 10).44 ***** Perhaps the first thing to note about these seven literary passages is their reference to both sculpture and painting: alongside the statues of Cheirisophos, Theodorus, Phedias and Xenophanes and Straton, we find references to paintings by Apelles, Parrhasius and Iaia. In some examples, 44 Paris, Bibliothèque nationale, 598 fol. 100v (cf. http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ btv1b84521932/f210.item.zoom); compare also Paris, Bibliothèque nationale, MS fr. 12420, fol. 101v (a slightly earlier version of 1402: cf. http://gallica.bnf.fr/ ark:/12148/btv1b10509080f/f210.item). Both images are discussed in Perkinson 2009, 180–183; cf. Hall 2014, 32–33. For the Latin text and an English translation of this chapter of Boccaccio’s Famous Women, see Brown 2001, 274–277. 458 there are good reasons for thinking that we are dealing not with self­ portraits strictu sensu, but with posthumous images in honour of earlier practitioners: this seems to be the case with both passages of Pausanias (mentioning statues of Cheirisophos, Xenophilos and Straton).45 Whether or not we include the Pausanian texts, we nonetheless find a wide-ranging chronological spread – from purported Archaic images (Theodorus, [Chei­ risophos]), through Classical examples (Pheidias, Apelles, Parrhasius), and on to Hellenistic and Roman materials (Iaia, [Xenophanes and Straton]). But the chronology is rather more complicated than it first appears. In the case of the poem on the supposed Apelles painting, we have no information about the epigram’s date. In all other examples, however, the literary references belong exclusively to the Roman period: we are dealing either with Latin authors (the earliest being Cicero), or else with Greek authors of the Second Sophistic or later antiquity. Needless to say, the sources known to us are dictated by the happenstance of survival. Still, it strikes me as significant that such references to self-portraiture are not only limited in number, but also restricted to a later period of artistic criticism and response.46 There is another point to emphasise about these literary sources. After all, the references prove fleeting in the extreme: Greek and Roman authors never discuss images of artists as a topos or subject in their own right (and they certainly have no term like our language of ‘self­portrai­ ture’); rather, the remarks usually come in the context of some other point or analogy. The stories about Pheidias’ image on the Athena Parthenos shield provide a case in point: already in the hands of Cicero, the apoc­ ryphal story is turned into a topos for thinking about the mutual depen­ dency of a composition on its parts. Anecdotes about Pheidias evidently 45 Evidence for such artist­portraits (as fashioned by subsequent artists) is rare, but not unprecedented: see DNO 3.249, no. 2078 (Pliny, Natural History 34.81–82) on Silanion’s statue of Apollodorus, ‘who was himself also a sculptor’ (fictorem et ipsum), and who was portrayed by Silanion as an allegorical represen­ tation of anger. The case of DNO 2.318–319, no. 1075 (Vatican, Sala delle Muse, inv. 16248; probably fourth century AD, and inscribed with the name Φθιδίας) is much trickier. Some scholars (e.g. Richter 1965, 1.150–151) have considered this the base of a portrait­herm of Pheidias. But the hypothesis seems most unlikely: the claim – not least given the nominative form – is much more likely about the purported artist than about the subject (for parallels, see Fuchs 1999, 44–52 and Squire 2013). 46 The Roman reception of Greek art has attracted a large bibliography in recent years: for a brief overview and scholarly review, see Squire 2012. SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 459 took on a life of their own.47 And in other examples, we are dealing with isolated references: Pliny’s detail about the the miniaturist quadriga of Theodorus belonging to a portrait of the sculptor is not anticipated by Posidippus, for instance; likewise, Pliny’s brief mention of Iaia’s image perhaps served to explain the presence of a mirror in the painting. III. PORTR AIT S O F TH E AN CIENT AR TIST At this point, allow me to bring together the two parts of my survey in order to offer some broader reflections. On the basis of the materials dis­ cussed in this chapter, can we talk about self­portraiture as a meaningful phenomenon in ancient art? There certainly are some images – whether extant in the material record, or else attested by literary texts – that might be discussed under the rubric of self­portraiture. But what strikes me as significant is the small number of case studies that we have been able to introduce. Given the paucity of materials, scholars can almost spin the evidence as they choose. Of course, one could proceed to tell a ‘modernising’ story of ancient image­making, thinking that, if only more material was available to us, we would know of further examples of self­portraiture, anticipating the forms and practices of more recent western artistic practice. At the same time, there can be no denying the differences: although we have discussed some isolated examples, there is nothing like a rationalised ‘genre’ of self­portraiture in antiquity. Here, as elsewhere, we seem to be dealing with a set of what Jeremy Tanner has nicely labelled ‘family resemblances’ between ancient and modern materials. Graeco­Roman materials bring into focus both similarities and differences in cultural, social and intellectual perspective.48 One key divergence, it seems to me, lies in underlying concepts of the ‘artist’. In the modern western world, above all from the fifteenth century onwards, the proliferation of self­portraits is both symptom and cause of 47 More generally on the ‘anecdotal’ importance of such anecdotes about Greek artists, see Platt fthc. 48 For the idea of ‘family resemblances’ that ‘render the ancient and modern practices [of art] mutually intelligible’, see Tanner 2010 (quotation from 268), developing and defending the key contribution of Tanner 2006. ‘Although characterized by significant parallels’, Tanner 2010, concludes ‘the scope of artistic rationalization and the character of the rationalized institutions of art in antiquity and the modern world were significantly different.’ 460 a particular attitude: an attitude not only towards individual subjectivity,49 but also towards the agency of the artist – as a self­consciously fashioned and fashioning subject. As Ernst Kris and Otto Kurz long ago argued in their groundbreaking 1934 book, Die Legende vom Künstler: Ein geschichtlicher Versuch, modern western notions of the autonomous artist are ul­ timately bound up with religious ideas: in the wake of the Renaissance, the creativity of the artist was modelled after that of the Judaeo­Christian divine Creator.50 The introspective turn of (post­)Renaissance self­por­ traiture gives figurative form to this discourse. Perhaps the most iconic example is an image painted by Albrecht Dürer in 1500, and today housed in Munich’s Alte Pinakothek (Fig. 11).51 Dürer here portrays himself in frontal pose against a dark background: not only does the composition allude to the conventions of Byzantine and Netherlandish depictions of Christ (playing on the iconography of Veronica’s veil in particular), it also shows the artist raising his hands to his chest – almost as if to offer the onlooker a blessing. Just as Dürer renders himself in divine guise, so too he heralds the pseudo­divinity of his own painterly artistry. Indeed, so much does Dürer fashion himself in Christ’s image that he adds an inscription to the composition: a verbal prompt (placed opposite Dürer’s distinctive monogram on the left) informs onlookers that they are look­ ing not at a Christian icon, but at a portrait of the 28­year­old painter.52 Whatever else we make of the Greek and Roman materials exam­ ined in this chapter, they are a far cry from this defining ‘moment of self­portraiture’. Inevitably, scholars of classical antiquity look back to 49 Here I am of course thinking of Burckhardt’s classic 1860 analysis of ‘the development of the individual’ in the Renaissance – translated as Burckhardt 2010, 81–103: ‘Man became a spiritual individual, and recognized himself as such’ (81); cf. Brown 2000, 27–32. 50 For an English translation, see Kris/Kurz 1989; cf. Tanner 2005, esp. 187–191, 2010, esp. 270, 272–273, 283–288 and Muller­Dufeu 2011, esp. 265–279. On the rise of the artist in the fourteenth and first half of the fifteenth century, see also Martindale 1972; on subsequent romantic developments of the ‘genius’ artist, see especially Kemp 1989 (on the sixteenth century) and Mason 1993, esp. 225–233 (on the eighteenth). 51 Koerner 1993, esp. xv–xix, 63–246 offers the most stimulating discussion of the painting and its historical context – labelling it the defining ‘moment of self­portraiture’; cf. Hall 2014, 83–86. 52 The inscription reads: Albertus Durerus Noricus ipsum me propriis sic effingebam coloribus aetatis anno xxviii (‘I, Albrecht Dürer of Nuremberg was portraying myself thus, with my own colours, at the age of 28’). SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 461 11 Albrecht Dürer: Self-Portrait, oil on limewood, 1500, 67.1 × 48.9 cm, Alte Pinakothek, Munich 462 12 Giambattista Tiepolo: Apelles Painting Campaspe, c. 1725–1727, oil on canvas. Montréal, Museum of Fine Arts, Adeline van Horne Bequest, inv. 945.929 ancient materials through the lens of subsequent ideas, practices and forms.53 Wherever we turn, moreover, we find those modern discourses and modes taking their lead from ancient materials: in the case of self­ portraiture specifically, we might think of images where modern artists portray themselves in the guise of ancient artists – Rembrandt portray­ ing himself as the laughing Zeuxis,54 for example, or Tiepolo portraying himself as Apelles (Fig. 12).55 To talk about ‘self­portraiture’ in classical 53 For one systematic attempt to chart that legacy, see Koch 2013, esp. 201–404. 54 On Rembrandt portraying himself as the laughing Zeuxis, cf. Bonafoux 1985, 47, Blankert 2004, 31–44, Cummings 2009, 90–91 and Hall 2014, 158 (on a painting in the Wallraf­Richartz­Museum, Cologne; cf. also Mai 2002 [non vidi]). For the story of Zeuxis’ death by laughter (attested by a single secondcentury reference by Festus), see DNO 2.890, no. 1747. 55 For Tiepolo portraying himself as Apelles painting Pancaspe (the beloved of Alexander the Great – here shown in the guise of Tiepolo’s wife, Cecilia Guardi) SQ UIR E : A PO R T R A IT O F T H E A N CI E N T A R T I ST ? 463 art is already to frame our view of antiquity in modern terms. But we must be careful not to let our search for formal parallels and continuities blind us to cultural divergences. Within a book on ‘Figurationen des Porträts’, that sentiment offers a fitting conclusion: for self-portraiture does not just figure an image of the maker, it also configures a cultural ideology of the artist.56 IMAGE C REDI T S 1a, pl. 13a © Musee royaux d’art et d’histoire. 1b, pl. 13b After Gaspar 1902, Plate 2. 2 After Hedreen 2016, Plate 18. 3 After Himmelmann 1994, 36, Abb. 16. 4 After Williams 2009, Plate 26A. 5 After Beazley 1989, Plate 28. 6a After Schörner/Goette 2004, Taf. 11.1. 6b After Schörner/Goette 2004, Taf. 28.1. 7 © The State Hermitage Museum (photograph by Vladimir Terebenin, Leonard Kheifets and Yuri Molodko). 8, 12 Reproduced by kind permission of the Archiv, Institut für Klassische Archäologie und Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke, Ludwig­ Maximilians-Universität, Munich. 9 After Mendel 1912, 79. 10 © Paris, Bibliothèque nationale de France (MSS Français 598, fol. 100v). 11 Photograph by the author. see e.g. Levey 1960, 102–104 and Levey 1986, 18–26; note also the Lysippan ‘Weary Heracles’ in the background. Tiepolo returned to the theme in a later painting of c. 1740 (now in Los Angeles: Getty Museum, inv. 2000.6); for the ancient sources, see DNO 4.176–177, nos. 2924–2926. 56 For related sentiments, see Soussloff 1997, 21–22 (with a nod to the classic analysis of portraiture in Berger 1994): ‘in self­portraiture the importance of the discursive context of artistic identity cannot be completely avoided, for the way that any individual artist views himself must rely in some way(s) on the concept that culture holds of the category “artist” … We could say … that if Renaissance authors self­fashioned, so too did Renaissance artists, particularly in the area of the self­portrait – invented as a genre in this period – leading to the conclusion that such self­fashioning adheres to the genre of self­portraiture up to the present’ (21). 464 BIBLIOGRAPHY Angiò 2001 Angiò, Francesca: Posidippo di Pella, P.Mil. Vogl. VI I I 309, col. X, I. 38 – col. XI, II. 1–5 e Plinio il vecchio (Nat. Hist. 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GEORGI KAPRIEV EIN LITERARISCHES SELBSTPORTRÄT AUS DEM BYZANTINISCHEN 13. JAHRHUNDERT Georgios von Zypern / Gregorios II. und seine »Autobiographie« Es ist nicht üblich, das Thema des ›biographischen Porträts‹, ein Kern­ Interessensgebiet unseres Jubilars Dietrich Boschung, und das For­ schungsfeld ›byzantinische Philosophie‹ zusammenzubringen. In den Werken der byzantinischen Philosophen sind freilich etliche porträthafte Skizzen festzustellen. Darüber hinaus gibt es nicht wenige selbstbildnis­ hafte Beschreibungen1, die auch in von Philosophen verfassten Schriften vertreten sind. In diesem Kontext sind die Namen mehrerer Autoren in der Zeit zwischen Photios von Konstantinopel und Georgios Scholarios, unter ihnen fast alle Philosophen, die Geschichtswerke verfasst haben, zu nennen. Keine dieser Schriften sind jedoch ›Autobiographien‹ in einem engeren Sinn des Wortes; nur eine begrenzte Zahl unter ihnen steht diesem modernen Begriff nahe. So erwähnt Herbert Hunger neben der aus dem 4. Jahrhundert stammenden autobiographischen Schilde­ rung des Heiden Libanios und den autobiographischen Gedichten des Gregorios von Nazianz lediglich vier weitere Schriften, die ausnahmslos aus der späteren byzantinischen Zeit stammen. Es handelt sich dabei um Schriften von Nikephoros Blemmydes, Kaiser Michael VIII., Georgios von Zypern und Demetrios Kydones, zu denen eine Selbstbeschreibung des Theodoros Metochites mitgezählt werden kann.2 Unser Held wird Georgios von Zypern sein. 1 Vgl. Hinterberger 1999. 2 Hunger 1978, 165–170. 472 I. WER W AR G EO R G IO S VO N ZY P ER N ? Georgios von Zypern wurde 1241 in Lapithos auf Zypern geboren, das seit 1191 bis 1267 von der Lusignan­Familie beherrscht wurde. Nach einem komplexen Bildungsweg beendete er seine Schulung bei Georgios Akropolites in Konstantinopel. Später war er als Lehrer für klassische Sprache und Rhetorik tätig. Zu seinen Schülern zählten Nikephoros Chumnos, Maximos Planudes sowie Theodoros Muzalon. Vermutlich nach Anfang der 70er Jahre stand er parallel dazu als Protoapostolarios im Dienst Michaels VIII. Ursprünglich war er ein mäßiger Anhänger der Union von Lyon, setzte sich ihr aber in der Regierungszeit des Andronikos II. scharf entgegen. 1283 stieg er eilig einige hierarchische Stufen empor, so dass er am 11. April zum Patriarchen unter dem Namen Gregorios II. ernannt wurde. Unter seinem aktiven Einfluss und insbe­ sondere Kraft seines Tomos von 1285 wurde die Lehre vom ›Hervorgang‹ des Heiligen Geistes und der Relation zwischen dem Sohn und dem Heiligen Geist entwickelt, die die Theologiekonzepte des 14. Jahrhun­ derts in Byzanz beeinflusste und in der Lehre der orthodoxen Kirche Platz fand. Gregorios wurde mehrfach von prominenten Vertretern der nachfolgenden Generationen wegen seines literarischen und rhetorischen (Nikephoros Gregoras) und seines philosophischen und theologischen Werks (Joseph Kalothetos, Philotheos Kokkinos, Georgios Scholarios) gerühmt.3 Seine Lehre wurde jedoch von den Zeitgenossen weitaus nicht unwidersprochen entgegengenommen. Massive Einwände wurden so­ wohl seitens des filioque-freundlichen Ex-Patriarchen Johannes Bekkos und seiner Anhänger als auch seitens radikal konservativer orthodoxer Kreise erhoben. Die kirchenpolitische Situation verschärfte sich derma­ ßen, dass Gregorios sich entschloss, das patriarchale Amt im Namen des Kirchenfriedens niederzulegen. Das geschah im Juni 1289. Seine Priesterwürde, seine Lehre und seine theologische Autorität wurden jedoch auch weiterhin anerkannt. Inzwischen schwer erkrankt, starb Gregorios 1290 im Aristine­Herrenhaus am Kloster des hl. Andreas en Krisei innerhalb Konstantinopels4. Neben seinen theologischen Werken ist er Autor mehrerer hagiographischer, panegyrischer, literarischer, 3 Siehe Pelendrides 1993, 16; Sopko 1979, 176–178. 4 Über das Leben und Werk des Georgios siehe Sopko 1979; Papadakis 1983; Martín 1996; Kotzabassi 1998, 1–27; Kapriev 2000; Riebe 2005, 248–269. K A P R IE V : GE O R GIO S V O N Z Y PE R N UND SE I N E » A U TO B I O GR A P H I E « 473 rhetorischer und pädagogischer Schriften, Predigten, Briefen und einer autobiographischen Abhandlung5. II. DIE AU TO B IO G R AP H ISCH E AB H AN D LUN G D ES GEO RGI O S Diese Schrift (Διηγήσεως μερικῆς λόγος καθ᾽ ἑαυτὸν περιέχων, bzw. Περὶ τοῦ καθ᾽ ἑαυτὸν βίου ὡς ἀπ᾽ ἄλλου προσώπου)6 wurde zunächst 1753 gedruckt.7 Die Publikation in der Patrologia Graeca reproduzierte die Ausgabe von De Rubeis8. 1817 erlebte die Schrift anhand eines ande­ ren Manuskripts eine neue Veröffentlichung; sie wurde dabei von einer deutschen Übersetzung begleitet.9 1937 erschien die kritische Edition mit einer französischen Übersetzung.10 Aus Anlass des 700. Todestages von Gregorios wurde ein Band mit einer englischen Übersetzung veröffent­ licht, dem der Text von Lameere (von 1937) beigegeben wurde.11 Es liegt auch eine russische Übersetzung vor.12 Das Werk wurde in allgemeineren Studien,13 wie auch einige Male als selbständiger Gegenstand von For­ schungsbeiträgen analysiert 14, darunter ist meines Erachtens der Beitrag von Georg Misch hervorzuheben. Die Lebensbeschreibung ist als Einleitung zu einer von Gregorios II. selbst angefertigten Sammlung seiner Schriften gedacht. Als terminus post quem wird mit 1282 und als terminus ante quem 1289 angegeben, wo­ bei das Datum der Abfassung eher auf die Zeit nach 1285 gesetzt wird.15 5 Zu den Schriften des Georgios samt entsprechender Sekundärliteratur siehe: Sopko 1979, 236–246 und 249–270; Kotzabassi 1998, 29–331; Conticello 2012. 6 Über den Titel siehe Σ. Κοτζάμπαση, Περὶ τοῦ καθ᾽ ἑαυτὸν βίου ὡς ἀπ᾽ ἄλλου προσώπου. Παρατηρήσεις στην αυτοβιογραφία του πατριάρχη Γρηγόριου Β΄ Κύπριου, in: Ελληνικά, 58.2 (2008), 281–285. 7 B. M. De Rubeis, Georgii seu Gregorii Cypri patriarchae constantinopolitani vita, quae ex codice Lugduno-Batavensi nunc primum graece in lucem prodit, cum latina interpretatione, et notis, Venise 1753. 8 Migne Patrologia Graeca, t. 142, Paris 1863, 20A­29D. 9 Matthiae 1817, 5–14. Siehe auch die Übersetzung in Beck 1982, 147–152. 10 Lameere 1937, 177–191. 11 Pelendrides 1993. Nachfolgend benutze ich diese Ausgabe. 12 Троицкий, 1870. 13 Kotzabassi 1998; Hunger 1978, 168–169; Hinterberger 1999, 354–358 u. a. 14 Misch 1931; Garzya 1974; Κοτζάμπαση 2008. 15 Über die Datierung und den vermutlichen Inhalt der Sammlung siehe Κοτζάμπαση 2008, 285–290. 474 Das autobiographische Schreiben war also für die Zeitgenossen des Pa­ triarchen bestimmt. Er erzielte dadurch eine Art Rechtfertigung seines Lebensweges, wie das auch für die anderen byzantinischen Autoren lite­ rarischer Selbstbilder galt – eine Selbstdarstellung um ihrer selbst willen war verpönt.16 Das Besondere in Gregorios’ Fall ist, dass er sich durchaus auf seinen Bildungsgang und sein Schriftgut konzentriert, wodurch er »ein bemerkenswertes Zeugnis für das Ringen eines gebildeten Menschen der frühen Palaiologenzeit um ein gültiges Selbstverständnis und um die Bestimmung seines geistigen Standortes« ausstellt 17. Seine μερικὴ διήγησις ist als »Sondergeschichte«18 lediglich in dem Sinn zu deuten, dass sie eine persönlich einmalige Lebensgeschichte darstellen will und nicht etwa, dass sie danach strebt, die politischen und sozialen Umstände ›mechanisch‹ zu streichen. Der Begriff ist vielmehr als eingehende Er­ zählung über einen komplexen Handlungsverlauf zu verstehen,19 durch die Gregorios versucht, seine existenziellen Prioritäten darzulegen und zu begründen. Er arbeitet letztendlich einen persönlich modulierten Ty­ pus aus. Auch bei ihm ist dem erinnerten Leben ein Muster untergelegt, aus dem eine kohärente Geschichte konstruiert wird.20 Insgesamt strebt Gregorios danach, ein für seine Epoche relevantes Bild des ›würdigen‹ Verstandesmenschen und dessen Wertesystems zu zeichnen. Diesem Ziel dienen nicht zuletzt die absichtsvolle Distanzierung von sich selbst und die entsprechende Objektivierung des Selbst. Wie bereits in einem der Titel der Schrift vermerkt, schreibt Gregorios in dritter Person. Wie es einem gewissenhaften Herausgeber geziemt, stellt er (als Herausgeber in erster Person sprechend) seinen Autor durch eine bio­ graphische Skizze dar. Dass es um die Anfertigung eines Kulturmusters am Beispiel von Positiva in Anhebung zu den Negativa seines eigenen Lebenslaufs geht, lässt Gregorios außer Zweifel. Mit den letzten Sätzen verlässt er demonstrativ die antiken Vorbilder und sagt ausdrücklich, dass »der ›Er‹, von dem er redet, er selber ist: Ich will nichts mehr sagen, um nicht […] den Anschein zu erwecken, als ob ich für den Mann, es heißt: für mich selbst, Partei ergriffe … Wenn also einer in Sachen jenes Mannes ein günstiges oder ungünstiges Zeugnis ablegt, so trifft, erkläre 16 17 18 19 20 Siehe Hunger 1978, 166 u. 168; Hinterberger 1999, 383. Hunger 1978, 169. Misch 1931, 2. Hinterberger 1999, 110–116. Ders., 58 u. 83. K A P R I E V : GE O R GIO S V O N Z Y PE R N UND SE I N E » A U TO B I O GR A P H I E « 475 ich, mich der Tadel, mich das Lob.«21 Trotz dieser Gebärde ist die Behaup­ tung allerdings prinzipiell nachvollziehbar, dass das autobiographische Schreiben des Gregorios »nicht bloß in der äußeren Haltung, sondern in den maßgebenden Kategorien antikisch geformt, so dass fast ein jedes in ihr herausgegebene Stück Lebensinhalt einem der Motive entspricht, die in den um tausend und mehr Jahre zurückliegenden Selbstbiographien heidnischer oder christlicher Oratoren hervortraten«22. III. BYZANT INISCH ER H UMAN ISMUS O D ER HELLENISCH ER K ULT UR PATR IOTISMUS? Nicht nur das literarische Profil, sondern der ganze Lebensstil des Georgios/ Gregorios eröffnet die Möglichkeit, dem von Paul Lemerle etablierten Begriff des ›byzantinischen Humanismus‹23 (öfters auch als ›byzantini­ sche Humanisten‹ bezeichnet) nachzugehen, indem diese Einstellung »in keinerlei fühlbarem Gegensatz zu den kirchlichen Funktionen und der Teilnahme an den Kämpfen um die Orthodoxie steht«24. In diesem Fall wird also nicht die spätere, extreme Bestimmung des byzantinischen Humanismus verwendet. Sie ist bei Gerhard Podskalsky schon in seinem Meisterwerk25 zu finden und in dessen späteren Publikationen (insbe­ sondere in seinem »programmatischen Aufsatz«26) weiterentwickelt, um in sein letztes Buch27 zu kulminieren. Er konstruiert die Konfrontation zweier sich bekämpfender Methoden: die monastisch­hesychastische (die er mit einer »bildungsfeindlichen Orthodoxie« identifiziert) und die humanistisch­wissenschaftszugewandte, die gerade von den »Hu­ manisten« vertreten würde. Dazu tritt eine Gruppe, alles in allem von Markos Eugenikos und Manuel Gabalas vertreten, der eine gewisse ›Schizophrenie‹ der Personalidentität zwischen Humanismus und pala­ mitischem Hesychasmus zugewiesen wurde. Die akzentuierten Kriterien 21 Ed. Pelendrides/Lameere, 42,303–44,312; vgl. Misch 1931, 5–6. 22 Misch 1931, 6. Über das antike und spätantike autobiographische Schrift­ tum als Vorläufer der byzantinischen selbstdarstellenden Abhandlungen vgl. Hinterberger 1999, 63–70. 23 Lemerle 1971. 24 Hunger 1978, 168. 25 Podskalsky 1977. 26 Podskalsky 1998. 27 Podskalsky 2003. 476 für den Humanismus (klassische Ausbildung, dialogfähige intellektuelle Haltung, Engagement in sozialer Theorie und Praxis, Konflikte mit der kirchenamtlichen Autorität etc.) reichen jedoch nicht aus, die konkre­ ten Vertreter dieses »Humanismus« ideologiefrei zu identifizieren. Es entsteht die Gefahr, unter diesem Begriff alle schriftstellerisch aktiven philosophischen Autoren in Byzanz – abgesehen von ihrer intellektuellen und geistlichen Selbstbestimmung – zusammenzufassen, falls sie dem Forscher persönlich sympathisch sind. Die Versuche, einen solchen »byzantinischen Humanismus« zu ›de­ stillieren‹, muten heutzutage grotesk an. Nicht mehr die Vorliebe für die hellenische Literatur ist nun für den ›Humanismus‹ bestimmend. Er soll viel eher ein intensives Befassen und Experimentieren mit der ›menschli­ chen‹ oder ›fleischlichen‹ Weisheit, d. h. mit der antiken Philosophie und dem rationalen Diskurs, darstellen, die zu einer direkten oder indirekten Opposition mit der Weltanschauung und der Politik des byzantinischen orthodoxen Establishments führen müsse.28 Als Hauptmerkmale des ›Humanismus‹ müssen dessen Paganismus, eine auf die offizielle Kultur und die Kirchenlehren gerichtete dissidente Haltung, und der Utopismus gelten. Letztendlich muss die ›wirkliche‹ Philosophie in Byzanz ihrem Charakter und ihrer »Essenz« nach eine anti­byzantinische gewesen sein.29 Diese kuriose anachronistische Fiktion schafft es zuvorderst, die Inadäquatheit des Humanismus­Begriffs in Hinsicht auf die philosophi­ sche und kulturelle Situation in Byzanz nachzuweisen. So weit geht Hunger zwar nicht. Er spricht von einem »christlichen Humanismus«, der sich auf ein Potential antiker Güter stützt, das man einer seit den Tagen der Spätantike ununterbrochenen Bildungstradition verdankt. Deren Grundpfeiler sollen die Verflechtung antiken philoso­ phischen Gedankenguts mit der orthodoxen Dogmatik erweisen. Als wesentlichste Merkmale seien festzuhalten: aktives Studium der antiken Literatur und deren Nutzung für die eigenen literarischen Produkte samt einer ›ehrlichen‹ Anerkennung der Orthodoxie und dem Verständnis heidnischer Gedanken als einer veredelungsfähigen Vorstufe des Chris­ tentums. Hunger fügt hinzu, dass diese Erscheinung auch im Westen, und zwar vor allem für das 15. und 16. Jahrhundert, bekannt sei.30 Die Selbstbestimmung des versierten Renaissance­Humanismus ist jedoch 28 So Siniossoglou 2011, 26. 29 Siniossoglou 2011a. 30 Hunger 1978, 49–50. K A P R I E V : GE O R GIO S V O N Z Y PE R N UND SE I N E » A U TO B I O GR A P H I E « 477 mit der derart vorgestellten Kultureinstellung schwer zu vereinbaren. Die Renaissance-Humanisten definierten ihre Denkweise durch die Ablehnung der aristotelisch fundierten Philosophie, an erster Stelle der Dialektik, der Epistemologie und der Metaphysik. Ihr antimetaphysisches Programm entfaltete sich hauptsächlich auf die fünf Fächer der studia humanitatis (Grammatik, Poetik, Rhetorik, Geschichte, Moralphilosophie), ohne ein systematisches Philosophieparadigma zu prägen. Die Eigenart dieser studia war das spezifische Verhältnis zu einem selektierten, antiken literarischen Fundus, der seit knapp 700 Jahren, so die Renaissance­ Humanisten, vernachlässigt worden war. Aus diesem Grund scheint es angemessener zu sein, anstatt den pauschalen Begriff ›Humanismus‹ in Bezug auf Byzanz zu verwenden, über eine theozentrische und eine anthropozentrische Denklinie mit allen ihren Konfrontations­ und Be­ rührungspunkten zu reden, die beide spätestens seit dem 11. Jahrhundert kontinuierlich zu verfolgen sind. Gregorios zählt mit seiner Haltung zur zweiten Denklinie, indem er sich aber in eine neuentstandene Kulturform einbezieht. Georg Misch erklärt, dass die Zeit nach der Wiederaufrichtung des oströmischen Reichs im Jahre 1261 eine Zeit der Wiederherstellung der alten Traditio­ nen auch im Schrifttum und Bildungswesen gewesen sei. Er bezeichnet diese »Wiederherstellung« als »Renaissance«, ἀναβίωσις, und setzt sie mit einem »Frühhumanismus« in Beziehung, indem er auch die fast ununterbrochene, durch Schule und Studien gepflegte, tausendjährige literarische Kontinuität der Erbmasse hervorhebt.31 Die klassische Bil­ dung war, dies ist anzumerken, für den belesenen Byzantiner zu jeder Zeit eine Norm gewesen. Die Katastrophe von 1204 führte aber aufgrund einer neuartigen Deutung der hellenischen Erbschaft zur Ausbildung eines hellenischen Kulturpatriotismus’.32 Nun begannen mehrere Intel­ lektuelle, den Hellenismus und seine Zivilisation als eigenen Kulturwert und kulturelle Grundlage wahrzunehmen. Nach der authentischen Gestalt der antiken Kultur wurde aus dieser Sicht eigentlich nicht gefragt. Diese Kultur wurde vielmehr ideologisch stilisiert und instrumentalisiert. Die hellenophilen Kulturpatrioten blieben sowohl der imperialen politischen Norm als auch dem christlichen Glauben loyal. Nichtsdestotrotz bahnte sich eine neue Auffassung über den Kern der byzantinischen Zivilisation und der Ordnung ihrer Prioritäten ihren Weg. 31 Misch 1931, 1. 32 Siehe Runciman 1970, 14–22; Meyendorff 1981. 478 Das Wort »hellenisch« begann schnell seine pejorative Konnotati­ on zu verlieren; es bedeutete nicht mehr schlechthin »heidnisch«. Die Entwicklung des Wortgebrauchs von »Hellas«, »Hellene«, »hellenisch« war eine merkwürdige. Für Niketas Choniates in seiner am Anfang des 13. Jahrhunderts verfassten Χρονικὴ διήγησις (Historia byzantina) sind z. B. die Byzantiner die Ῥωμαῖοι, die er den Ἰταλοί gegenüberstellt, nicht selten noch als Φραγγοί und sogar βάρβαροι bezeichnet. »Hellas« ist ihm immer noch nur ein Toponym, durch das eine bestimmte Region des Reiches benannt wird. Die »Hellenen« sind definitiv die alten Griechen, wobei das Wort (wie auch das Wort »hellenisch«) für ihn lediglich ein geschichtlicher Begriff ist, der das Heidentum impliziert. Diese Position wurde in der Folgezeit von breiten intellektuellen Schichten als ana­ chronistisch bewertet. Der Begriff »Hellene« setzte sich nicht so sehr als ethnische, sondern als würdige kulturelle Bezeichnung durch, und das Wort »hellenisch« wurde in einer positiven, den kulturellen Zusammen­ hang bezeichnenden Bedeutung benutzt, ohne dabei eine Gleichsetzung der Hellenen mit den Heiden zu suggerieren. »Hellas« war als Name des Reiches auch offiziell in Gebrauch. Nikaia, aber auch Thessaloniki und selbst Konstantinopel pflegte man nun wegen des Bildungsstandes als »neues Athen« zu preisen.33 Diese Haltung nimmt unverkennbar auch Georgios/Gregorios ein. Das zeigt deutlich seine Wiedergabe des bekannten Bonmots: »wer nach Nikaia kommt, der kann das alte Athen sehen, so groß ist dort die Fülle gelehrter Männer«34. Spontan nennt er ebenda die Lateiner Ῥωμαῖοι35, indem er sie schlicht als ἑτερογλώσσοι, »Anderssprachige«, identifiziert – und zwar gerade dort, wo er erklärt, dass sie ihre Hand auf Zypern gelegt hätten.36 In einem ähnlichen Zusammenhang spricht er doch über die βάρβαροι ἰταλοί, die gerade τὸ ἑλληνικόν, »das Hellenentum«, auf der Insel unterjocht hätten.37 Das Betonen des Hellenischen als Identifi­ kationsbeleg ist in seinem Zeugnis herauszuhören, dass er dem Gerücht folge, Blemmydes sei nicht nur der weiseste unter den Hellenen, sondern unter allen Menschen überhaupt.38 Seine Selbstidentität ist nicht mehr rhomäisch (da sie auf der Zugehörigkeit zum Reich und orthodoxem 33 34 35 36 37 38 Siehe Kapriev 2012, 13–14. Ed. Pelendrides/Lameere, 24,70–73. Ed. Pelendrides/Lameere, 22,35. Ed. Pelendrides/Lameere, 22,26–28. Ed. Pelendrides/Lameere, 20,8–9. Ed. Pelendrides/Lameere, 26,95–98. K A P R I E V : GE O R GIO S V O N Z Y PE R N UND SE I N E » A U TO B I O GR A P H I E « 479 Christentum basiert), sondern »hellenisch«. Sie ist also vor allem eine literarisch­kulturelle Prägung, obschon das ›Ethnische‹ bereits im Hin­ tergrund ertönt. Das »hellenische« Bildungsideal, kulturpatriotisch als Lebensmuster gedeutet, ist der Schlüssel zur Verwandlung der Lebens­ geschichte des Georgios in eine Bildungsgeschichte.39 IV. DER BILD UN G SG AN G IV.1 DIE H ER K UNF T Der Text beginnt dennoch mit einer kurzen Beschreibung des Ursprungs: »Die Heimat des Verfassers dieses Buches ist die Insel Zypern«40. Denn Georgios’ Herkunft wurde im Laufe der kirchlichen Querelen als Vorwurf gegen ihn genutzt, auch von Bekkos, der gesagt haben soll: »Diese Pest, die erst das Meer unsicher machte, ist schließlich auf uns losgefahren«41. Als Rechtfertigungszweck wird, neben dem Hellenischen, auch das Profil seiner Familie umrissen. Aufgrund seiner Beschreibung Georgios als »Aristokrat nach Herkunft«42 zu bezeichnen, trifft nicht zu. Es gab in Byzanz keine Aristokratie im westeuropäischen Begriff. Es wurde der Person eine bürokratische oder administrative Nobilität zuerkannt, die durch ihre hohe öffentliche Position bestimmt wurde. Es waren in der Tat Familien, deren Vertreter Generationen lang Obrigkeitsposten bekleideten und entsprechend eine höheren Autorität genossen – was kein Gewähr dafür war, dass dieser Zustand nicht eines Tages ein Ende kennen würde. Genau diese Haltung ist der Erzählung des Georgios zu entnehmen. Er erklärt, dass seine Väter und Urväter und das ganze Geschlecht vor ihm zu den Reichsten und den Angesehensten seiner Heimat zählten, bevor die »Barbaren«, »Italiener«, die »Hellenen« nicht versklavten. Da­ nach nahm die Familie das gemeinsame Geschick ihrer Landsleute hin, indem sie nunmehr zur Mittelschicht gehörte.43 Durch dieses Zeugnis, wie auch durch den Topos des stillschweigenden Verlassens der liebenden Familie aufgrund seiner Wissbegierde, bestätigt Gregorios die authentisch byzantinische Sicht, dass der Träger der sozialen Relevanz die einzelne Person ist. Georgios suggeriert allerdings, dass »weder der Geburtsadel 39 40 41 42 43 Siehe Misch 1931, 7. Ed. Pelendrides/Lameere, 20,5–6. Misch 1931, 3–4. Ders., 2. Ed. Pelendrides/Lameere, 20,5–14. 480 noch die geistliche Hierarchie, sondern die Aristokratie des Geistes, die auf der klassischen Bildung beruht«,44 das eigentliche Existenz- und Wertezentrum bildet. Schon durch die Beschreibung der Herkunftsumstände beginnt er auch seine Stellung den Lateinern und dem Westen gegenüber zu ver­ deutlichen. Seit dem 9. Jahrhundert wurden die Lateiner von den Byzan­ tinern sowohl in einem ›Wir­sie‹­Bezug als auch als Mitglieder derselben Kulturgemeinschaft betrachtet. Nach dem Beginn des 13. Jahrhunderts wurde die Bezugnahme auf den Westen eine (im Unterschied zum la­ teinischen Selbstbewusstsein) erforderliche und zugleich traumatische Angelegenheit für die Byzantiner. Die ›Bewältigung‹ des Westens war ein Existenzbestandteil des gebildeten Rhomäers, die man auf verschiedene Weisen zu vollziehen suchte.45 Die Position des Gregorios ist eine ambivalente. Die Erwähnung der Unterjochung der Hellenen seitens der Barbaren, bzw. Anderssprachigen, dient ihm ausschließlich zur Erklärung des Mangels an griechischer Bil­ dung auf der Insel. Gerade in seiner Heimatstadt und in Nikosia sollte Georgios seine elementaren grammatischen und logischen Kenntnisse erwerben, woran er aber viel eher scheiterte. Er habe sich nicht die Gram­ matik, sondern ihren Schatten, wie auch eine dunkle Einleitung in die aristotelische Logik angeeignet. Die Erklärung dafür versucht er sowohl durch die kurze Dauer als auch – und vor allem – durch die lateinische Unterrichtssprache zu erklären, die er nicht versäumt, als fremd und »bastardisch« (νόθος) zu erklären.46 Die Lateiner werden noch ein Mal in der Abhandlung erwähnt, und zwar in der Aussage, dass Gott die große Stadt Byzanz den Lateinern genommen und sie den Römern wiedergege­ ben habe.47 Die Tatsache, dass in dieser Schrift, in der ohnehin fast nichts über christliche Fragen gesagt wird, gerade hier der Name Gott ein einziges Mal erwähnt wird, darf nicht irritieren. Die Pointe liegt hier nicht etwa darin, dass Gott sich etwa gegen die gotteswidrigen Lateiner zugunsten der frommen Rhomäern entschieden habe, sondern auf die inhaltliche Wende, die Georgios die Gelegenheit gibt, seinen Bildungsweg in Konstantinopel fortzusetzen. Seine Bezugnahme auf die Lateiner ist also nicht unbedingt eine versöhnliche Einstellung, aber sie ist keinesfalls eine aggressiv ent­ fremdende. Diese Position prägt auch seine theologische Haltung. 44 45 46 47 Misch 1931, 2. Siehe Kapriev 2012, 3–31. Ed. Pelendrides/Lameere, 22,33–54. Ed. Pelendrides/Lameere, 32,170–171. K A P R I E V : GE O R GIO S V O N Z Y PE R N UND SE I N E » A U TO B I O GR A P H I E « 481 Die trinitarische Formel des Gregorios, dass der Heilige Geist nur aus dem Vater Sein erhält, indem er aber eine sowohl innertrinitarische als auch ökonomische ἔκφανσις ἀΐδιος, »ewige Erscheinung« bzw. »Offenba­ rung«, durch den Sohn erfährt, wodurch sich seine Existenz verwirklicht, wird heute als der einzige besonders wichtige Konzilsbeschluss des 13. Jahrhunderts in Byzanz eingeschätzt,48 als »the key doctrinal statement of the century«49. Dieser Beschluss wird als derjenige Akt betrachtet, der die Tür für eine theologische Einigung des Westens und des Ostens und eine Union der östlichen und der westlichen Kirche zustieß.50 Man muss zugeben, dass durch die Formel des Gregorios und ihre Akzeptanz die Möglichkeit tatsächlich eliminiert war, die Filioque­Formel und die dadurch geäußerte Trinitätstheologie in ihrer lateinischen Prägung in die Dogmatik der östlichen Kirche einzuführen. Der Standpunkt des Gregorios ist aber nicht als durchwegs unflexibel-antilateinisch zu bezeichnen. Durch das elegante Abwenden der streng­photianischen Überlieferung macht Gregorios, dies ist anzumerken, Raum frei für eine Verarbeitung des lateinischen Triniätskonzepts innerhalb der Normen der östlichen patristischen Tradition. Seine Formel sucht nicht zuletzt einen aus östlicher Sicht theologisch korrekten Konzeptionsrahmen zu schaffen, in dem die beiden Seiten die kontroversen Fragen gleichstimmig hätten diskutieren können.51 Mit seiner Lehre vom ›Hervorgang‹ des Heiligen Geistes reiht er sich in eine Denklinie ein, die schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts von westlichen Theologen entwickelt worden war,52 und in den theologischen Werken des Niketas von Maroneia († 1145) und des Nikephoros Blemmydes (1197–1272) ihren Niederschlag fand, wobei der Einfluss des Blemmydes auf Gregorios gesichert ist. IV.2 DER AUSB ILD UN G SW EG Nachdem er seine Ausbildung auch in Nikosia enttäuscht abbrach, kam der fünfzehnjährige Georgios nach Hause zurück, ohne aber seinen Willen nach weiterer Bildung verloren zu haben. Aus diesem Grund begab er sich auf eigene Faust auf die Suche nach einem weisen Mann, einem richti­ gen Lehrer. In seinem Bericht arbeitet er besonders die abenteuerlichen 48 49 50 51 52 Papadakis 1983, 153. Papadakis 2011, 37. Vgl. Papadakis 1983, passim; Kolbaba 2011, 62–68. So Papadakis 2011, 35–40. Siehe Anselmus Havelbergensis, Dialogi, lib. II, in: MPL 188, 1163A­1210B. 482 Elemente seines Bildungsweges heraus.53 Weil Konstantinopel zu der Zeit von den Kreuzfahrern besetzt war, gelangte er über Meereswege durch Palästina nach Ephesos zur Schule von Nikephoros Blemmydes, dem angeblich weisesten unter allen Hellenen und allen lebenden Menschen. Die Absicht, sein Schüler zu werden, scheiterte jedoch. Männer aus Ephesos haben ihm gesagt, dass der Philosoph ihn nicht sehen wolle, weil Georgios zu jung und dazu noch ein Fremder und Armer sei. Darüber hinaus würden die Leute aus dem Kreis um Nikephoros ihn in dessen Kloster nicht zulassen.54 Damit sind schon einige Grundzüge des höheren Schulwesens in Byzanz entworfen. Die Ausbildung auf einem höheren Niveau war eine private Angelegenheit und wurde in privaten Schulen gelehrt. Die Aus­ wahl der Schule und des Lehrers war eine Sache des Wissbegierigen. Seine Aufnahme war der Willkür des Lehrers ausgeliefert, indem Kriterien wie Alter, Fremdheit und Armut eine Rolle spielen könnten. Der Unterricht war kostenpflichtig. Fremdheit dürfte auch ein negatives Kriterium dar­ gestellt haben. Der Verlauf des Unterrichts, der von den Interessen der Lehrenden bestimmt wurde, bildete aus der Schule ein Freundeskreis, der nicht immer bereit war, Fremdlinge zu assoziieren. Nach einigen Monaten, die er in der Armee des Michael Palaiologos verbrachte, wo er umsonst versuchte, Mittel für sein weiteres Studium zu erlangen, erreichte er die ersehnte »Quelle der Gelehrsamkeit« (τῶν λόγων πηγή), die provisorische Hauptstadt Nikaia. Er sollte aber fest­ stellen, dass auch dort »die Gelehrten nur wieder Grammatik und Poetik lehrten, auch das oberflächlich genug …; von Rhetorik und Philosophie und den anderen Wissenschaften, die man vor allem andern als das, was des Menschen würdig ist, treiben und verstehen muss, begriffen sie nichts, wussten nicht, was das ist, ja kaum dass es das gibt«. Sie zwangen die Schüler Deklinationen, Konjugationen und Verbalformen einzuüben und Mythen und Fabeln zu pauken. Um die Wahrheit aber kümmerten sie sich, bemerkt Gregorios bissig, zu wenig.55 Nach der Befreiung von Konstantinopel hatte Georgios endlich das Glück, sich der würdigsten Wissenschaft, der Philosophie, zu widmen. Er wurde zum Schüler von Georgios Akropolites, der zu dieser Zeit als der Weiseste »im Wissen« (τὰ ἐς λόγους) galt. Entscheidend dabei war, dass der außer seinen Kenntnissen eine mitleidsvolle Seele besaß und jedem, 53 Hinterberger 1999, 358. 54 Ed. Pelendrides/Lameere, 28,100–104. 55 Ed. Pelendrides/Lameere, 26,86–32,156. K A P R I E V : GE O R GIO S V O N Z Y PE R N UND SE I N E » A U TO B I O GR A P H I E « 483 der zu lernen strebte, helfen wollte. Der Kaiser habe ihn unterstützt, in­ dem er ihn von seinen öffentlichen Diensten befreien ließ.56 Wie schon unter Theodor Laskaris seit 1255, hatte Akropolites auch unter Michael Palaiologos das Amt des Großlogotheten, d. h. des Außenministers inne und wurde vom Kaiser auch nach seiner »Befreiung« mit politischen Missionen betraut (etwa am Konzil von Lyon 1274). Akropolites gilt als Reorganisator des Bildungswesens in Konstantinopel, indem er diese Neuorganisation auf dem privaten Wege persönlicher pädagogischer Betätigung (und nicht etwa in der Form der staatlichen oder kirchlichen Hochschule) unternahm.57 In Bezug auf sein Verhalten zu diesem Lehrer erweist Gregorios eine weitere Besonderheit der byzantinischen Philo­ sophiebildung. Seiner Erzählung nach stellte das »Labyrinth des Aristoteles« die Stri­ cke und Gewebe des Akropolites dar, wodurch er seine Lehren plausibel machte. Dazu unterrichtete er noch Euklides und Nikomachos, d. h. Geo­ metrie und Arithmetik.58 Georgios, der jüngste im Schülerkreis, bekennt, dass er in die peripatetische Philosophie verliebt und ihr ergeben war. Er schätzte, bekennt er, Aristoteles höher als alle anderen Philosophen.59 Er schildert, dies sei hervorgehoben, seinen Lehrer mit großer Liebe, aber er erklärt sich zum Nachfolger nicht seiner, sondern der Lehre des Aristoteles. Der Lehrer­Schüler­Bezug vollzog sich vielmehr in der Form eines gleich­ berechtigten Dialogs. Dieses Verhältnis forderte keine Unterwerfung des Schülers. Im positiven Fall bildeten die Lehrer mit ihren Schülern einen Freundeskreis, der auch nach dem Schulabschluss bewahrt blieb. Der Schüler fühlte sich nicht verpflichtet, der Lehre seines Lehrers zu folgen. Im Prinzip entwickelte er seine eigene. Das ist der Grund dafür, dass die meisten byzantinischen Philosophen zu behaupten pflegten, sie hätten keine Lehrer gehabt. Der Philosoph war von jeglicher Abhängigkeit frei.60 Gregorios, der zu den rhetorisch begabtesten rhomäischen Denkern zählt, gibt des Weiteren zu, dass er letztendlich in der Rhetorik ein Auto­ didakt geblieben sei.61 Die autodidaktische Bildung war in Byzanz keine ausgesprochene Rarität. In seiner eifrigen Vorliebe für die aristotelische Philosophie habe bei Georgios während seines Studiums die Eleganz 56 57 58 59 60 61 Ed. Pelendrides/Lameere, 32,168–177. Misch 1931, 13–14; Sopko 1979, 49. Ed. Pelendrides/Lameere, 34,179–185. Ed. Pelendrides/Lameere, 34,200–202. Siehe Kapriev 2016. Ed. Pelendrides/Lameere, 36,208–224. 484 seiner Rede nachgelassen, weswegen er von seinen Kommilitonen ver­ lacht worden sei. Weil er extrem ambitioniert und ehrgeizig war, berichtet Gregorios, warf er sich auf diese Übungen. Er nahm sich aber zum Vorbild nicht solche Lehrer, »die alles Schöne in der Rhetorik und gerade das Anmutige, Attische, Würdige, wahrhaft Hellenische des Ausdrucks ver­ dorben haben, sondern die ausgezeichnetsten unter den alten Rhetoren, sozusagen die Erfinder und Väter dieser Kunst«. Da ist er schnell »ein anderer geworden, als er es gewesen war« (ἕτερος γέγονεν ἐξ ἑτέρου)62. Die letzte Aussage, samt der Betonung der Ambition und des Ehrgeizes, spiegelt das byzantinische Haltungsmuster wieder, demnach die wirklich würdige Person sich selbst weiterbildet, ›ausbaut‹, und ausschließlich aus eigener Kraft ihren Werdegang ›errichtet‹. Selbstgefällig hebt Gregorios hervor, dass seine Leistungen ein Paradigma geworden seien, das viele vorgezogen hätten nachzuahmen.63 Bei seinem Verlangen nach »Wahrheit« ist Georgios hohes Ziel die Philosophie. Gregorios nennt sich Philosoph. Er macht jedoch eine Karriere als Lehrer der Rhetorik. Es ist nicht notwendig, einen Wider­ spruch in diesem Umstand zu erkennen.64 Zu einem Konflikt zwischen dem ›Philosophen‹ und dem ›Rhetoren‹ konnte es nicht kommen, weil in Byzanz beide Fächer grundlegend zum philosophischen Curriculum zählten. Nicht von ungefähr setzt etwa Psellos die Philosophen und die Rhetoren gleich.65 Es ist keineswegs so, dass Gregorios in der Philosophie nachliess, wenn er sich beruflich der Rhetorik widmete. Der Unterschied liegt darin, dass die Philosophie grundsätzlich privat und von wenigen Lehrern unterrichtet wurde. Ganz selten gab es eine öffentliche, berufs­ philosophische Karriere. Demgegenüber war die rhetorische Schulung für alle Zweige der Öffentlichkeit erforderlich und die Nachfrage unver­ gleichbar höher. Der wirkliche Gegensatz im Leben des Gregorios und des hochstre­ benden Verstandesmenschen in Byzanz war dabei nicht der für den Wes­ ten geläufige Gegensatz ›weltlich-geistlich‹, aber auch nicht »der antike Gegensatz zwischen dem theoretischen und praktischen Bios«66, der selbst für die Hesychastenlehrer nicht galt. Die beiden Lebensweisen waren 62 Ed. Pelendrides/Lameere, 34,200–36,220. 63 Ed. Pelendrides/Lameere, 36,222–224. 64 So Misch 1931, 13–15. 65 Michael Psellus, The History of Psellus, hg. von C. Sathas, London 1899, 15,10–15. 66 So Misch 1931, 3 u. 8; siehe auch Hunger 1978, 168–169. K A P R I E V : GE O R GIO S V O N Z Y PE R N UND SE I N E » A U TO B I O GR A P H I E « 485 sehr wohl auch im Dasein des byzantinischen Geistlichen vereinbar. Der eigentliche Gegensatz ist zu suchen zwischen dem Öffentlichem und dem Privatem. Das hohe Philosophieren und überhaupt die hohe Geistigkeit demonstrierten sich in richtigem Maße in der privaten Lebenswelt. Die Verwirklichung im persönlichen privaten Gelehrtenkreis war das Ideal und die authentische Lebenssituation des byzantinischen Philosophen. V. DIE MENSCH L ICH E VO L LSTÄN D IG K EIT UN D I H RE VERL ET ZUN GEN Gregorios fand in den Studien und insbesondere im Studium der aristo­ telischen Philosophie den vollständigen Lebensgehalt, die höchste Befriedigung seines Strebens. Ganz im Gegenteil dazu betrachtete er seine öffentliche Karriere, inklusive seine Erhebung zum Patriarchen von Konstantinopel, als Unglück und Versklavung.67 Als glücklichste Zeit be­ stimmt er die Spanne zwischen seinem 26 und 33 Jahr, d. h. die Periode be­ vor er durch öffentliche Dienste engagiert wurde,68 also den Zeitabschnitt, den er bei Akropolites und nur als Lehrer verbrachte. Es ist die Zeit, als er seine Entscheidung erfüllte, das Leben des Philosophen, d. h. des »freien Menschen« (ἐλεύθερος) zu führen. Für einen Philosophen, ja für den freien Mann überhaupt, ziemt sich, räsonniert er, in »Ungeschäftigkeit« zu leben.69 Der Philosoph und der freie Mensch, die Philosophie und das freie Leben abseits der Öffentlichkeit, waren ihm zufolge gleichbedeutend. Dazu zählt zunächst die Verfassung der eigenen Schriften, deren durch die Berufung zum öffentlichen Dienst verursachte geringe Quan­ tität er beklagt, aber zugleich ihre Qualität, ihren Stil, ihre Klarheit und Erhabenheit hoch lobt.70 Das vollständige Leben des Verstandesmenschen setzt aber auch das Sammeln und Abschreiben von Handschriften der »alten weiser Männer«, also antiker und frühchristlicher Autoren, voraus. Dies gehört zu einer langen Tradition, die mit Photios und Arethas von Kaisaria ihren Anfang nimmt. Gregorios schreibt sich darin gerne ein, indem er irgendwie flüchtig, in Bezug auf seine Armut, erwähnt, dass er sich »mit seinem eigenen Schweiß«, also in mehreren Fällen selbst ab­ schreibend, die Bücher, die er so sehr liebte, verschafft habe.71 Auf diese 67 68 69 70 71 Misch 1931, 8. Ed. Pelendrides/Lameere, Ed. Pelendrides/Lameere, Ed. Pelendrides/Lameere, Ed. Pelendrides/Lameere, 38,235–236. 38,243–245. 40,273–274 u. 289–303. 40,279–42,284. 486 Weise errichtete er seine Bibliothek, die Codices mit Werken von Platon, Aristoteles, Demostenes und Elias Aristides sowie Florilegien mit Texten von Homer, Theokrit, Sophokles, Aristophanes, Euripides, Synesios von Kyrena, Philon, Plutarch, Prokopius von Kaesaria, Thukydides, Lukian, Gregorios von Nazianz und Strabon beinhaltet habe.72 Selbst das Hervor­ heben der Armut und der gesundheitlichen Probleme, die teilweise durch die Abschreibungsarbeit verursacht worden seien,73 gehört zum Idealbild des Gebildeten, der kraft seines Willens und Geistes die unseligen Um­ stände des Alltagslebens überwindet. Über den öffentlichen Lebensweg des Gregorios erfährt man durch seine autobiographische Beschreibung so gut wie nichts. Seine Erhebung zum Patriarchen ist zwar erwähnt, »aber nur als etwas bloß Negatives: nicht als Krönung seines Lebens, sondern als Abweg vom Ziel, persönlich angesehen ein Unglück«74. Er ist »auf den höchsten Patriarchenthron in Wahrheit eher hinaufgezogen worden als aufgestiegen; denn dies alles geschah mit ihm ohne Absicht und Zutun seinerseits« 75. Es ist gegen seinen Willen vollzogen, da er sich dadurch in die Streitereien über die dogmatischen Neuigkeiten, den kirchlichen Ansturm und die Seelsorge verwickeln musste. Dadurch wurde er in die Mitte der Verwirrung der Ereignisse mithinein gezogen und aus dem glücklichen, ja seligen Leben verstoßen. Seine Seele war betrübt und er konnte nicht mehr schriftstel­ lerisch tätig sein. Er hörte gegen seinen Willen mit dem Schreiben auf.76 Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Gregorios in der Philosophie­ und Theologiegeschichte ausschließlich mit seinen Werken bekannt geblieben ist, die er im Laufe seines Patriarchats verfasst hat. Er schätzte sie aber offensichtlich nicht so hoch ein, weil sie unter dem Druck der äußeren Umstände und nicht kraft seiner eigenen intellektuellen Entwicklung entstanden sind. Abschließend sollte man anmerken, dass Gregorios durch sein litera­ risches Rechtfertigungs­Selbstporträt ein Idealbild des Verstandesmen­ schen seiner Zeit umreißen will. Die menschliche Vollkommenheit wird grundsätzlich durch die Freiheit definiert, die Kraft der Ausbildung, des Philosophiestudiums, des Lehrens und des Verfassens verwirklicht wird. 72 73 74 75 76 Martín 1996, 19–317. Ed. Pelendrides/Lameere, 40,274–42,282. Misch 1931, 8. Ed. Pelendrides/Lameere, 38,246–249. Ed. Pelendrides/Lameere, 38,246–249 u. 40,264–272. K A P R I E V : GE O R GIO S V O N Z Y PE R N UND SE I N E » A U TO B I O GR A P H I E « 487 Die Verpflichtung zu öffentlichen Ämtern wird als »böse Notwendigkeit«77, Beraubung der Freiheit und Verletzung der Vollständigkeit bestimmt – dazu zählt selbst das Besteigen des »höchsten unter den patriarchalen Thronen«78. LITERATUR VER ZEICH N IS Beck 1982 Beck, Hans­Georg: Byzantinisches Lesebuch. München 1982. 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S KIZZE Porträtskizze nennt Robert Walser einen im Buchdruck weniger als zwei Seiten umfassenden Text, der im September 1907 in der Theaterzeitschrift Die Schaubühne erschien. Warum verwendet Walser für seine feuille­ tonistisch­literarische Beschreibung des »Prinzen von Homburg«1 aus Heinrich von Kleists Drama den Begriff Porträt? Biographische Texte als Porträt zu bezeichnen, ist zunächst eine durchaus übliche metaphorische Strategie der Übertragung aus dem Bild­ in den Schriftbereich.2 Ausge­ hend von der Porträtskizze lassen sich eine Reihe von Beobachtungen anstellen, die in figurativer Hinsicht 3 im Konventionellen des literarischen Porträts und in der Differenz von visueller und literarischer Rahmung Fragen ästhetischer Formgebung sichtbar werden lassen: – erstens, und naheliegend, dass die Entgegensetzung von Porträt und Biographie eine von Bild und Text ist, wobei gegenseitige metaphorische 1 Walser 2003, Bd. 3, 47–49, hier 47. 2 Vgl. zur zugrundeliegenden Horaz’schen Formel ut pictura poesis Kircheisen 1904 (hier besonders die Einleitung). 3 Figuration verstanden als Ausformung, das heißt als eine Form im Hin­ blick auf ihre sinnlich gestaltgebenden Implikationen. 492 Überblendungen möglich sind, indem ein Bild, wie es etwa auf der Bühne dargestellt wird, erzählt werden kann oder indem ein Text, wie ein Bild, vor Augen führen kann; – zweitens, als Frage formuliert: Was aber wäre ein, im Sinne der Metapher, ›bildhafter Text‹, mithin eine Porträtskizze? (Im Falle Walsers handelt es sich offensichtlich um den Bildtypus eines Schauspielers, der auf der Bühne Kleists Prinz Friedrich von Homburg dargestellt hatte – also um ein aus einer bildhaft vergegenwärtigten dramatischen Aufführung entwickelte Lebensbeschreibung, verkürzt auf signifikante Bühnenmomente.) – Drittens scheint also die metaphorische Codierung eines eigentlich biographischen Textes als porträthaft in besonderer Wei se eine Logik des Ausschnitts oder der Szene zu unterstützen, die im Falle einer über­ greifenden Darstellung von Szenen im Sinne einer ›Lebensgeschichte‹ oder einer Erzählung ›von Geburt bis zum Tod‹ nicht anwendbar wäre. Zugrunde läge demnach eine Spannung von Szene und Szenenfolge, Aus­ schnitt und Gesamtdarstellung, Punkt und Verlauf, synoptischer Schau und zeitlichem Verlauf.4 Sowohl Porträt als auch Biographie rekurrieren demnach (gemäß dem Gesetz ihrer Gattung) auf eine Ganzheit: die eines räumlichen Ensembles (das sich in den Charakterzügen oder den Zügen eines Gesichtes manifestiert) beim Porträt; die einer zeitlichen Folge (die durch den Begriff individuellen Lebens begrenzt wird) im biographischen Text. (Walser wendet diese Ganzheit durch die Bezeichnung ›Skizze‹, die sowohl bildlich wie textuell zu verstehen ist: Das Porträt des Prinzen von Homburg gerät in seiner Gänze zur Maske, hinter der sich die Geschichte dieser Maskierung auftut: »Es ist mir, als sähe ich ihn vor mir, den Prin­ zen von Homburg. Er ist in das Kostüm seiner Zeit gesteckt worden«, beginnt Walsers Text und endet: »Du liebe Zeit, er geht eben ganz in der Rolle auf. Talent hat der Schuster gehabt, der ihm die Kanonenstiefel angemessen hat, nicht er, das heißt, ja, Talent schon, aber alles das geht 4 Sabine Eickenrodt stellt fest, dass es sich um »meistens kleine[ ] Formen der literarischen Porträt­Kunst« handle (Eickenrodt 2004, hier 125). An Walsers Kleist in Thun diskutiert sie historische Bezugnahmen der Stilistik auf die histo­ rische Porträtmalerei, wie etwa die Psychologisierung des Porträts im 18. Jahr­ hundert. Im Übrigen geht Eickenrodt von einem »bei Walser zu verzeichnenden radikalen Bruch[ ] mit einem klassisch­ästheti schen Porträtverständnis« aus, dass nämlich – etwa bei Simmel – zunehmend die Darstellung des Gesichtes im Sinne physiognomischer Organi sation in den Vordergrund rücke (139). R O USSE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 493 den einfach geborenen Bürger nichts an.«5 Der Konjunktiv im Eingang macht aus Homburg eine imaginäre Person, von der, greifbar, nur »das Kostüm seiner Zeit« bzw. das »Talent« des Schusters der »Kanonenstiefel« übrig bleibt. Die Erzählung der Porträtskizze demaskiert das Porträt also in der Skizze einer zeitgeistigen Kostümierung.)6 – Viertens scheint das Porträt die Funktion eines Rahmens ein­ zunehmen, der die skizzenhafte Erzählung in einem (sei es auch ›un­ wahren‹) Bild zusammenfügt; als Bild eines Textes durchstreicht dieser bühnenreife Rahmen gleichsam sich selber in der Buchstäblichkeit des Wortes ›Porträt‹, das (es geht ja um Kleists Drama Prinz Friedrich von Homburg) ironischerweise auf die Deklamation berühmter Verse hinaus­ läuft, von denen Walser drei bzw. vier zitiert: »Nun denn auf deiner Kugel, Ungeheures –« und: »Pah, eines Schuftes Fassung, keines Prinzen. / Ich denk’ mir eine andre Wendung aus.«, schließlich: »Da will ich bauen, will ich niederreißen.« »Das sind keine so einfachen Menschen, die [solche Verse; MR] sagen können«, kommentiert Walser, und auch der Homburg­ Darsteller spreche »die Verse schlecht«.7 Das durch des Schusters talent­ voll hergestellte Kanonenstiefel eindrückliche Homburg­Bild auf der Bühne wird also nicht nur demaskiert, sondern zudem durchkreuzt von einer Schrift, die dem Leben (der Biographie) entrückt ist und die – als in der Unmöglichkeit adäquater Deklamation gegebene Schrift – zum Bild der Bühne und ihrer Sprache wird.8 Was also ist, nimmt man diese vier Beobachtungen zusammen, der Zweck der Bildmetapher des literarischen Porträts? Diese Zweckfrage bildet den Rahmen der folgenden Überlegungen, das heißt die Frage, wie das Bild als Zweck des Textes fungieren kann. Sind es einerseits in der Regel kürzere Texte, die als Porträt bezeichnet werden, während der Genrebegriff Biographie zumeist für größere Gesamtdarstellungen eines Lebens verwendet wird, bringt andererseits die Distinktion eines Textes 5 Ebd., 47 und 49. 6 Dass Walser dabei mehr als nur einen formalen Anschluss an ein etwaiges Genre ›literarisches Porträt‹ sucht, verdeutlicht seine Titelwahl ›Porträtskizze‹ mit ihrem Changieren zwischen malerischem und textuellem Entwurf, aber auch die Betonung – imaginärer – Bildlichkeit im Eingang des Textes: »Es ist mir als sähe ich ihn vor mir […].« (Hervorhebung: MR) 7 Ebd., 48. 8 Die Unaussprechlichkeit Kleist’scher Verse ist Thema in Was braucht es zu einem Kleist-Darsteller? (März 1907 in der Schaubühne erschienen. In: Walser 2003, Bd. 15, 23–26) 494 als Porträt, mithin als Bild, eine Vagheit der Vorstellung für die Frage nach der Form eines Textes mit sich. Über das Porträt als Form eines Textes zu sprechen, impliziert – in tendenziell paradoxer Gegenführung – gerade den Verzicht auf Form (der des Bildes und seines Rahmens, des Textes und seines Gesetzes: der Gattung, des Titels, der Bauform usw.). Wenn das Bild als Porträt zur Form eines Textes herangezogen wird, dann nur in der Vagheit/Bestimmtheit einer Bildidee.9 Diesen vier Linien – einer vermeintlichen Entgegensetzung von Bild und Text, der Vorstellung eines bildhaften Textes (also gleichsam einer wörtlich genommenen Ut-pictura-poesis­Formel), dem Verhältnis von Raum und Zeit sowie der Funktion des Rahmens – soll im Folgenden in allgemeiner Hinsicht auf konzeptionelle Merkmale des Porträts (II.) nachgegangen werden, bevor eine Lektüre von Edgar Allan Poes Das ovale Porträt die verschiedenen Aspekte einer erzählerischen Figuration des Por­ träts im Wahrnehmungsparadigma der Zerstreuung zusammenführt (III.). II. PORTRÄT ALS FIG UR ATIO N Porträt, Figuration und Mimesis bezeichnen drei sich ergänzende Facet­ ten von Darstellung: Während portrait oder altfranzösisch portret zunächst die Hervorhebung oder Verstärkung (por/pour) eines Charakterzuges (trait) oder einer gezogenen Form (tracé) meint, zielt die Figuration auf eine Feststellung (figure), die Bild­Werdung einer zeitlichen Gestaltung (figuration), und zielt die Mimesis auf ein Zur­Erscheinung­Bringen, das nicht pure Wiederholung sein kann: »aus sich selbst, nicht von den ande­ ren her soll […] das Bild [figure] sich darstellen. Aus sich als Anderem.«10 Die »im Porträt verdichtete Logik der Mimesis« oszilliert entsprechend »zwischen den Extremen der reinen Präsenz (von der die Mimesis auf­ gehoben würde) und der Ähnlichkeit (in der sie die Abwesenheit des Modells oder sogar sein Verschwinden betont).«11 9 Kant hat in der Kritik der Urteilskraft von ästhetischen Ideen gesprochen, um solcherart paradoxe Formaspekte zu thematisieren. Vgl. die aktualisieren­ den Überlegungen von Günter Blamberger (2011). Zur kantischen Problematik eines ›Zweckes ohne Zweck‹, wie er für die Bildfiguration des literarischen Porträts entscheidend ist, vgl. Derrida 1992, 111. 10 Nancy 2015, 33. Eckige Klammern des Übersetzers nennen zur terminolo­ gischen Verdeutlichung das französische Original. 11 Ebd., 11. R O USSE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 495 So kann die Geschichte des Porträts die Geschichte seiner Figu­ rationen zunehmend auf die hervorstechenden Züge einer Figur und das heißt auf das Gesicht zulaufen (»Figure wird in bestimmten Kontexten praktisch synonym mit ›Gesicht‹«12). Das Gesicht ist jedoch nicht nur der Ort, an dem die markantesten Gesichtszüge darstellbar werden, sondern zudem Ort, wo sich die Beseelung des Körpers, die Mimik (visage) oder die erstarrten Züge eines Totenkopfes, das Lächeln (des Lebens) oder die Grimasse (der Maske) ausdrücken lässt. In seinem Wörterbuch der Gemeinplätze schreibt Flaubert bündig: »Porträt. Das Schwierige ist, das Lächeln wiederzugeben.«13 Man kann daraus nicht direkt folgern, inwiefern das Porträt sich zwischen den Polen des Lebens und des Todes abspielt oder gar eine Erzählung des Lebens zum Tod oder des Lebens aus dem Tod bietet. Die Möglichkeit des Porträts ist vielmehr zunächst eine des Blicks, der Sichtbarmachung für einen Betrachter, und aufgrund der doppelten Notwendigkeit von Präsenz und Ähnlichkeit, von Präsentation und Repräsentation handelt es sich in aller Allgemeinheit um »unsere Möglichkeit, präsent sein zu sein«, die sich im Porträt »entwirft, entzieht und entscheidet«.14 Während sich im Entwerfen ein Zusammenhang von Planung und Ruine andeutet,15 impliziert der Entzug (retrait) ein Spiel des trait, das darauf hinweist, dass im Portrait nicht nur der Vollzug, der Ausdruck oder der Eindruck waltet, sondern die Figur des Porträts anwesend oder ähnlich nur sein kann, weil sich die Möglichkeit der Prä­ senz im Blick des Betrachters verschiebt.16 Das Urteilen schließlich liegt 12 Ebd. 13 Flaubert 2000, 100. 14 Nancy 2015, 7 (im Original kursiv). Die Möglichkeit, das ›etwas‹ kraft eines zeichnenden Zuges (frz. trait) ›anwesend‹ ist, verortet Derrida in einer vierfa­ chen Matrix: »Präsentation der Repräsentation, Präsentation der Präsentation, Repräsentation der Repräsentation, Repräsentation der Präsentation.« (Derrida 1992, 20 f.) 15 Vgl. hierzu weiter unten, insbesondere Anm. 41. 16 Sigrid Weigels Vermutung, dass Derrida in seiner Meditation über den trait lediglich den »Entzug des Auges aus einer bekannten Konstellation« vollziehe (gemeint ist die Trias Hand, Auge und Linie; Weigel 2015, 50), greift zu kurz und übersieht, dass die ›Blindheit‹, von der Derrida spricht, auf der thematischen Ebene durchaus augenfällig sein kann. So lässt das Spiel mit der Blindheit das Auge nicht einfach wegfallen, sondern spielt das Sichtbare in den Bereich des Kognitiven: trait meint auch den ›Einfall‹, das ›erkannte Merkmal‹, mithin die Voraussetzung für Zeichenhaftigkeit, Zitier barkeit und Übersetzbarkeit im Un­ terschied zur Singularität sensorischer Eindrücke. Die ›Blindheit‹ liegt also »am 496 damit nicht nur im Blick: Es gründet sich auf die zwei Seiten des Zuges, der teilt und verbindet, seiner Präsentation oder seiner Repräsentation. Dabei hängt beides zusammen: Ein Porträt präsentiert vor allem die Spannung einer Beziehung. Keine Beziehung zu »jemandem« – die Beziehung zweier Personen schafft nicht unbedingt ein »Doppelporträt«, es kann genauso gut eine Szene darstellen, also eine Erzählung, während das Porträt nicht erzählt, sondern sich jeder Art von Rede, Narration oder Deklaration enthält, indem es eine ausschließliche Beziehung zu sich selbst un­ terhält. In diesem Selbstbezug liegt gleichzeitig das ganze Wesen des Bezugs zum Betrachter, dem sich jemand als ein »Selbst« präsentiert.17 Überhaupt hängen Porträt und Erzählung gerade dadurch, dass sie – in figurativer Hinsicht – einander exkludieren, zusammen: Indem es die Züge eines Charakters in den Vordergrund rückt, verbirgt das Porträt die Striche, des Zeichners oder Malers, die sukzessive Folge an für sich bedeutungsloser Markierungen, die erst in der abgeschlossenen Summe ihrer Präsenz die Repräsentation zu sehen geben. Dieser Hintergründig­ keit einer erzählbaren Zeitlichkeit verdankt das Porträt die Verdichtung von Präsentation und Repräsentation in einem: Die Zeit der Entstehung bedingt die eigenständige Formierung eines Ensembles von Strichen und Zügen, aus der heraus das Porträt – in seiner Abgeschlossenheit – die Spannung zu dem Objekt (Subjekt) aufbaut, dem es ähnelt. Ursprung der Zeichnung […]: die trans zendentale und die sakrifizielle Blindheit. Die erste ist gewissermaßen die unsichtbare Bedingung der Möglichkeit der Zeichnung, das Zeichnen selber […]. Sie kann nicht als darstellbarer Gegenstand einer Zeichnung gesetzt oder genommen werden. Die zweite dann – also das Opferereignis, das, was den Augen zustößt, die Erzählung, das Schauspiel oder die Darstellung von Blinden – reflektiert sozusagen diese Unmöglichkeit, in dem sie zum Thema der ersten wird. […] Zwischen den beiden […] kann das Ereignis das Wort der Erzählung hervorrufen, den Mythos, die Prophezeiung, den Messianismus, den Familienroman oder die Szene aus dem Alltagsleben und liefert so der Zeichnung ihre thematischen Gegenstände oder Schauspiele, ihre Figuren, ihre Helden, ihre Blinden­Tableaus« (Derrida 1997, 46) – Zur ›Blindheit‹ als Metapher einer dreifachen Zwischenstellung, Fügung oder Fal­ tung vgl. das Kaptitel »Schrift, Zeichnen und Schreiben: Ästhetik des Strichs (Derrida)« in: Roussel: 2009, 71–93, hier 90 f. 17 Nancy 2015, S. 29. R O US SE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 497 1 Hillel Braverman: Porträt des Mose (Ausschnitt), spätes 19. Jahrhundert, 17 ½ – 14 inches, Library of Congress, Washington, DC18 18 Abbildung nach Karp 1991, 118. 498 Zunutze gemacht hat man sich dieses Verschwinden der Zeit im Bild schon im Mittelalter, wo Mönche aus mikrographischen Buchstaben Zier­ rate, Ornamente und Bilder erschlossen. Insbesondere jüdische Künstler haben diese Tradition bis ins 19. Jahrhundert und in die Gegenwart hinein bewahrt, wie ein Porträt zeigt (das allerdings im verkleinerten Bildzitat seinen Text gerade nicht zu lesen, sondern nur zu sehen gibt), das um die Jahrhundertwende 1900 entstanden ist (Abb. 1). A1 Mikrographische Schrift­/Bildkunstwerke stellen als Bild einen Einlass in die Erzählung dar, aus der sie sich zusammensetzen: Die Zeichnung wird aus miniaturisierten Buchstaben gebildet, die in der Verkettung zu Wörtern und Sätzen Linien zu bilden scheinen. So kann Moses im Porträt Hillel Bravermans die allegorische Maske der Zehn Gebote darstellen: Das ganze Buch Deuteronomium findet sich in dieses Porträt eingezeichnet, bzw. erzählt das Buch Deuteronomium das Bildnis Mose, dem die Gebote sich, göttliche Urheberschaft eingerechnet, wiede­ rum der Erzählung nach verdanken. Paradox an den mikrographischen Bildern ist vor allem, dass die Schrift, Buchstabe für Buchstabe, das Distinkte des Bildes unterläuft, das heißt: den Abstand, den das Bild als Sichtbares fordert, einzieht, in das Bild hineinführt und es Stück für Stück aufrollt. Der besondere Zug oder Strich (trait), in dem sich die Mikrographie als Bild gibt, besteht also in seiner Doppelnatur als Trennend­Verbindendes. Das Bild wird hier doppelt ungreifbar: weil einerseits das Bild als Distinktes das ist, »was man mit einem Zuge entzieht, im Abstand hält und es [– nur so –] auch mit diesem Entzug markiert«; 19 und weil andererseits das Bild in die Elemente von Schrift zerfällt, die zusammengelesen einen Text und kein Bild ergeben, so dass man sagen kann, dass die Spuren des Bild­ lichen, Zug um Zug, das Bildliche entfernen. Der Strich der Mikrogra­ phie, dies ist die Spezifik seiner Figuration, lädt also zu einer Oszillation zwischen Text und Bild ein, zwischen Lektüre als Modus des ›Zu-sichselbst­Sprechens­in­anderem­Namen‹,20 mithin der Verinnerlichung des Äußerlichen, und dem Bild­Blick als Wahrnehmung einer Distinktion, mithin als Beobachtung, wie das Bild in sich abgeschlossen ist und erst als solches überhaupt als Bild Bild werden kann. Hierin liegt ein me­ ditativer Grundzug der Mikrographie, dem sie wohl ihre Prominenz in jüdisch­hebräischen Traditionen verdankt. 19 Nancy 2006, 10. 20 So kann man mit Weimar 1999 die hermeneutische Diskussion bündeln. R O US SE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 499 Im Grunde veranschaulicht das mikrographische Bild damit eine Ökonomie des Sehens, von der her jedes Bild seine Bildhaftigkeit gewinnt: Denn auch wenn ein Bild das ist, »was man mit einem Zug entzieht, im Abstand hält«, so ist dieser Entzug doch erst das, was das Bild als Ungreifbares erst dem Greifen entzieht: »Dieses Ungreifbare gibt sich im Zuge und durch den Entzug seines Abstandes, durch diese distractio, die es entfernt.«21 Wenn Walter Benjamin in seinem Aufsatz über ›Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit‹ dem au­ ratischen Kunstwerk am Beispiel des Museumsbildes (als ästhetisches Modell des 19. Jahrhunderts) die zerstreuende Kraft des Kinos (gemäß dem Funktionswandel der Medien im 20. Jahrhundert) entgegensetzt, so handelt es sich hier nicht einfach um den Gegensatz von Aufmerk­ samkeit (der Betrachter des Bildes im Museum) und Zerstreuung (der Kinogänger). Denn auch die Kontemplation einer Traube von Menschen vor einem Bild im Museum ist nur denkbar im Entzug des Blicks, in der Versenkung ins Bild, die die Zerstreuung als Abwesenheit des Betrach­ ters erscheinen lässt.22 Benjamin rekurriert hier auf eine Unterscheidung, die Immanuel Kant in seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht getroffen hatte: Zerstreuung (distractio) ist der Zustand einer Abkehrung der Auf­ merksamkeit (abstractio) von gewissen herrschenden Vorstellungen durch Vertheilung derselben auf andere, ungleichartige. Ist sie vor­ setzlich, so heißt sie Dissipation; die unwillkürliche aber ist Abwe­ senheit (absentia) von sich selbst.23 Die Umstellung von Zerstreuung als absentia auf Zerstreuung als Dis­ sipation beruht also zunächst auf »tiefgreifenden Veränderungen der Apperzeption«,24 genauer einer Bewusstwerdung der Funktion von Wahr­ nehmung. Eine solche »Rezeption in der Zerstreuung« lässt sich im Sinne 21 Nancy 2006, S. 10. 22 Vgl. Kants Reflexionen zur Anthropologie, wo »contem pla tion« ausdrück­ lich mit »dissipation« oder »Zerstreut seyn – sich zer streuen« gleichgesetzt wird (Kant 1900, XV, 228). – Medientechnologisch akzentuiert, macht erst die Fotografie (die mehr als jedes andere Medium der Ähnlichkeit und nicht der Präsenz verpflichtet ist) den Betrachter vor dem Bild wieder sichtbar – so in Thomas Struths bekannten Museum Photographs (Struth/Belting 2003). 23 Kant 1900, VII, 206 (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, § 47). 24 Benjamin 1977, 136–169, hier 166 (im Original kursiv). 500 der Dissipation genau dann besser einüben, wenn die Aufmerksamkeit auf möglichst »ungleichartige« Vorstellungen (Kant) verteilt wird, mit­ hin wenn das Objekt der Wahrnehmung sich beständig ändert. Bewegte Bilder sind deshalb das paradigmatische Medium einer Einübung in die Dissipation, bzw. hat die »Rezeption in der Zerstreuung am Film ihr eigentliches Übungsinstrument«.25 Das eigentlich Interessante an der Figur der Zerstreuung ist, dass es sich hierbei um die Faszination für etwas handelt, das nicht eintritt. Zwischen Präsentation und Repräsentation des Bildes oder zwischen der distractio als Kontemplation/Dissipation (willentlich) und der distractio als absentia (unwillentlich) entzieht sich das Distinkte und entzieht sich mit dem Distinkten die Distinktion: Als Distinktes ist das Bild von der Distinktion, die es hervorbringt, unterschieden. Kontemplativ wird diese Grenze überschritten, dergestalt, dass ein solcher Zustand, »habituell« geworden, »in Wahnsinn ausschlagen« kann (Extremfall der absentia), im Fall jedoch, dass sich die »unwillkürlich reproductive Einbildungskraft eine Diversion« macht (»z. B. durch Lesung der Zeitungen«), ein »Wie­ dersammeln (collectio animi)« nicht nur möglich ist, »um zu jeder neuen Beschäftigung bereit zu sein«, sondern sogar als eine »die Gesundheit des Gemüths befördernde Herstellung des Gleichgewichts seiner Seelen­ kräfte« wirken kann.26 Entweder also befindet sich das Gemüt in absentia, oder aber es sammelt sich und entzieht den Wahrnehmungen in distractio ihre zerstreute, gleitende oder unbewusste Beziehung (die diese Art der Wahrnehmung als Kontemplation ausmacht) zugunsten einer konzen­ trierten Besinnung (Kant spricht von abstractio). III. PORTRÄT ALS ER ZÄH L UNG Im Diskurs über die Wahrnehmung und das Ästhetische kommt dem Begriff der Zerstreuung also die Funktion zu, zwischen Bild und Schrift zu vermitteln, das heißt in der Figuration das Bild als Zielpunkt eines Gestaltungsprozesses einzusetzen und in der Schrift als dem Momen­ tum, mithin als Reflexionsort einer visionären Macht das Bildliche zu entziehen. Die Macht des Bildes ruht in seiner Unsichtbarkeit; seine Ohnmacht ergibt sich aus seiner Distanz zur Schrift, die die Nähe zum 25 Ebd. 26 Kant 1900, VII, 207. R O US SE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 501 Objekt bringt, das es darstellt. Virulent sind solche Überblendungen und ›paragonischen‹ Konstellationen bereits seit der Antike, insbesondere seit Platons Überlegungen zur Schrift. Die Besonderheiten der (Laut­) Schrift lassen sich demzufolge – im Rahmen einer Grammatologie – in einer Matrix verorten, derzufolge Schrift peinture du vivant sei: bezogen einerseits auf die Stimme, den reinen Ton und von jeglicher Abbildhaftig­ keit befreiten, ungebundenen ›universellen‹ Ausdruck des Lebens (von la voix de la nature spricht Rousseau); bezogen andererseits auf die Malerei, der »eine irgendwie geartete natürliche Universalität« zukomme (weil sie »so wenig wie das Alphabet an eine bestimmte Sprache gebunden ist«), während sie zugleich »der imitativen Nähe«, »die sie gegenüber ihrem Modell hat«, unterliegt: Unter einem universellen Gesichtspunkt wäre die Malerei vollkom­ men empirisch, multipel und austauschbar wie die sinnlich wahr­ nehmbaren Einzelwesen, die sie außerhalb jeden Codes repräsentiert. Die ideale Universalität der phonetischen Schrift verdankt sich hingegen der unendlichen Distanz gegenüber dem Luat […] und dem Sinn, der durch die Rede bezeichnet wird.27 Bekanntlich ist dieser Aspekt der Abbildhaftigkeit und des Empirischen in der platonischen Philosophie durchgängig als suspekt erschienen. Indem die Schrift buchstäblich visuell erscheint, ähnelt sie selbst der Malerei und »verrät«, wie diese, »das Sein und die Rede, die Worte und die Dinge [les mots et les choses] selbst, weil sie sie erstarren läßt [parce qu’elle les figes].« Als Figur, expression figée und insofern sie eigenwer­ tiger Figuration unterliegen, haben/machen die Schriftzeichen wie die Züge eines Bildes »Bilder von Lebewesen [figure de vivants]«. Eigentlich beunruhigend an der »Ähnlichkeit mit der Malerei« ist also, dass die Schrift »den Tod überbracht [hat].«28 Die Schrift in ihrer Empirizität ruft also immer schon das Bild herbei, das sie dem Sinn der Rede nach 27 Derrida 1974, 517. 28 Derrida 1974, 501 (Übersetzung teilweise modifiziert). In der abendländischen Geschichte der Schrift hat sich diese Idee der Figuration der Schrift durchaus verschoben: von der pädagogischen Verurteilung durch Platon bis hin zu einer ambivalenten Geschichts philosophie bei Rousseau, für den die Schrift zum »l’origine de l’inégalité« unter den Menschen wird, das heißt mit der Schrift die natürliche Lebensgrundlage des homme naturel/sauvage – die Jagd, »capture du vivant« (501) – unter dem Vorzeichen einer Konkurrenz wiederholt wird. 502 leugnet – sie ruft es also als Idee herbei (weil sie an dieser Idee teilhat), um es zu ›töten‹. Es ist dieser Tod, der bei Edgar Allan Poe – der diesen Diskurs aufgreift und, in einer doppelten Figur, verdichtet und ausein­ anderschreibt – in einer Erzählung formbildend ist. Die kleine Erzählung Poes – eine seiner kürzesten – verdichtet diese Aspekte der Schriftgeschichte und Grammatologie um den Begriff des Porträts. Das ovale Porträt (The Oval Portrait) erschien erstmals 1842 in Graham’s Magazine unter dem durchaus sprechenden Titel Der Tod im Leben (Life in Death). Die wirkmächtigere Fassung unter dem heute bekannten Titel wurde aber 1845 im Broadway Journal publiziert; sie un­ terscheidet sich vor allem in den Eingangssätzen, wo Poe ursprüngliche Erläuterungen der Handlungssituation im Eingang des Textes wegließ, so dass Das ovale Porträt gleichermaßen erratisch wie komplex verschachtelt anfängt: Das château, in welches mein Diener gewaltsam eingedrungen – denn lieber hatte er dies gewagt, als mich in meinem desperat verwundeten zustande im Freien nächtigen zu lassen –, war eines jener Bauwerke von vermischter Düsternis und Hoheit, wie sei seit langen Zeiten in den Appenninen dräuen, in Wirklichkeit nicht minder denn in der Phantasie von Mrs. Radcliffe. (684)29 Der doppelte Einschub (zunächst der Nebensatz »in welches mein Diener …«, in den dann noch einmal eine lange Parenthese eingebaut wird) ersetzt also die in der ersten Fassung des Textes gegebene längere Einleitung mit einer Erklärung, wie es zur Verwundung des Herrn und Erzählers gekommen ist. Umso kryptischer bleibt die Motivkonstellati­ on in der späteren Fassung. Der Effekt jedoch ist einer der Pointierung: Verwundung (gleich, woher sie stammt, mit der Gefahr, der Herr könne vom Leben ins Tod gerissen werden) und schutzgebendes Bauwerk (das in der Kursivierung des französischen Wortes château gleich als fremd ausgewiesen wird 30) bauen ein Spannungsfeld zwischen Leben und Tod auf, das in den metaphorischen Konnotationen eines zweiten Spannungs­ gefüge aufgegriffen wird: nämlich in der Düsternis, für die nicht nur die Bauwerke des Apennin bekannt sein mögen, sondern auch die Gothic Novels von Ann Radcliffe, deren Phantasiegebilde in Korrespondenz 29 Zitate aus dem Ovalen Porträt werden im Folgenden mit Seitenangabe im Fließtext nach Poe 1979 angegeben. 30 Später ist die Rede »von der bizarren Architektur des château« (684). R O US SE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 503 zur als drohend geschilderten Wirklichkeit treten. Das düstere château, das dem »desperat« gefährdeten Leben Schutz vor dem Tod verspricht, steht also in einer sowohl mimetischen Beziehung zur Wirklichkeit als auch in einer assoziativ­atmosphärischen Verknüpfung mit einem literarischen Genre. Poes Erzählung verortet das château zwischen einer proximité imitative – als wäre sie nach der Wirklichkeit ›gemalt‹ – und einem eindringlichen Stimmungsgefüge, wie es Gothic Novels genuin als Lektürephantasma zu lesen geben. Diese beiden Matrizen – Leben/Tod und Bild/Schrift – prägen den Fortgang der Erzählung ungleich mehr als die implizierte Handlung, die von der Verwundung ihren Ausgang nehmen könnte. Denn das château ist bis in seine letzten Winkel hinein mit Gemälden behängt, deren »Be­ trachtung« (684) sich der Erzähler vor dem Einschlafen widmen will – ergänzt um die »Lektüre eines schmalen Bändchens, das […] eine Kritik und Beschreibung der Bilder zum Inhalt hatte.« (685) Als Zwischenfazit des Inhalts resümiert deshalb der Erzähler: »Lang, lange las ich – und mit Andacht schaut’ ich.« (685) – Durch einen Zufall, als er nämlich die Beleuchtung seines Zimmers umstellt, stößt sein Blick auf »das Porträt eines eben zum Weibe reifenden jungen Mädchens.« (685) Von der Le­ bendigkeit dieses Porträts ist er in der Folge in den Bann gezogen und fürchtet – vorübergehend – gar, dass seine »Vision« ihn »getäuscht« haben könnte (685). Wie der Leser, dessen mögliche Visionen des Gemäldes durch einen Hinweis auf die Art, wie (Thomas) Sully Vignetten gemalt habe, unterstützt werden (vgl. 686), vom Titel her weiß, handelt es sich um ein ovales Porträt, dessen »Lebensähnlichkeit« den Erzähler »schließ­ lich überwältigte, verstörte und entsetzte« (686), so dass er – schon zuvor hatte er die Augen schließen müssen – den Zustand völliger Blindheit herstellen muss und den leuchtenden Kandelaber wieder zurückstellt, Dunkelheit herstellt, um wissend zu werden: »Nachdem die Ursache meiner heftigen Erregung so dem Blick entzogen war, sucht’ ich begierig in dem Bändchen nach, das die Gemälde und die Geschichte behandelte.« (687)A2 Bei dem Rest von Poes Erzählung – immerhin etwa ein Drittel des gesamten Textes – handelt es sich um ein Zitat aus diesem Buch. Begreift man Das ovale Porträt insgesamt als eine Konkretisierung und Ausgestal­ tung, als eine Figuration der in den Verschachtelungen der Eingangssätze beschriebenen Spannungen, dann vollzieht sich in diesem Zitat die Ausgestaltung schriftlicher Referenz, wie sie in der vagen Reminiszenz an Ann Radcliffe als formales Muster vorgegeben war. Im ovalen Porträt und im Zitat aus dem Erläuterungsbändchen erfüllt sich demzufolge das 504 2 Thomas Sully: Porträt von Frances Keeling Valentine Allan, ca. 1810, The Valentine, Richmond, VA31 (siehe Taf. 14) 31 Bei Frances Keeling Valentine Allan handelt es sich um Poes Ziehmutter, zu der er sehr »devoted« war. »In 1829, tubercolosis claimed Frances just as it had Poe’s mother years earlier.« (Case/Semtner 2009, 18.) R O US SE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 505 Versprechen, das mit der mimetischen Wirklichkeitskonstruktion (›dräu­ endes‹ château) und der Macht der Phantasie (›dräuende‹ Gothic Novel) doppelt vorgezeichnet war.32 Die Mimesis vollendet sich in »einer absolu­ ten Lebensähnlichkeit des Ausdrucks« (686), den das Porträt anzunehmen imstande ist; die Schrift aber liefert eine Erklärung, die gegenüber dem ›mimetischen‹ Sieg des Lebens über das Bild (an die Stelle des Bildes tritt die Blindheit des Beobachters), den tatsächlichen Sieg des Bildes über das Leben beschreibt. In diesem Chiasmus erfüllt sich Poes Erzählung, deren Titel Das ovale Porträt jetzt selbst als Paradoxe markiert erscheint: Bild für den Text, als Titel eines Bildes, das Erzählung ist – Erzählung vom Porträt, das eine Geschichte enthüllt, die un­sehbar, schließlich unsichtbar überwältigt und erklärt wird in der Schrift, die Zitat ist. Die Erklärung greift dabei sowohl auf die von Poe rationalisierte roman­ tische Vorstellung zurück, dass der Tod einer schönen Frau das poetischste aller Motive sei als auch auf den Pygmalion­Mythos, dessen bekannteste antike Schilderung in Ovids Metamorphosen zu finden ist: Bei Poe jedoch ist es kein Bildhauer wie Pygmalion, der eine Frau künstlerisch darstellt, sondern ein Maler, der seine Frau porträtiert, die, obgleich sie die »die Kunst, die ihr Rivalin war«, hasste, einwilligt, sich »viele Wochen lang im dunkel­hohen Turmgemach« (687) malen zu lassen. In einem malerischen Rausch kam es, »daß er nicht sehen wollte, wie das Licht […] die Lebens­ geister seiner jungen Frau verwelken ließ« (687), und »er wollte nicht sehen, wie die Tönungen, die er darauf [der Leinwand] verteilte, den Wangen des Wesens entzogen wurden, das neben ihm saß«, so dass sich mit dem letzten Pinselstrich die Erkenntnis einstellt: »›Wahrlich, das ist das Leben selbst!‹«, und indem er »sich jählich herum[warf], die Geliebte zu schaun: – Sie war tot!« (688) Poes Variante des Kunst-und-Leben-Komplexes betreibt gegen­ über dem antiken Mythos eine Art mimetischer Inversion: Der Frauenfeind Pygmalion gestaltet sich eine Skulptur, die nach Fertigstellung unter seinen Küssen zum Leben erwacht; Poes Maler porträtiert nach dem Leben, und der Erfolg seiner Kunst ist der Tod des Lebens.33 Man kann das für zwei 32 Dass Poes Erzählung in einerseits der Referenz auf das ja im Text unbildlich oder sinnbildlich bleibende Porträt und andererseits dem Zitat aus dem Buch einen doppelten Ausschluss (und zugleich Einschluss) erzeugt, betont auch Elisabeth Bronfen: »Zwei Momente des Unheimlichen beenden also diese Erzählung und verschmelzen Modell und Abbild, Lebendes und Totes: eine buchstäbliche Deanimation der Frau und eine sinnbildliche Ani mation des Porträts.« (Bronfen 2004, 170) 33 Bronfen verweist noch auf eine andere Referenzlinie im Doppelthema 506 Perspektiven auf das Selbe halten: auf die ›Lebendigkeit‹ der Kunst bzw. auf die ›Lebensähnlichkeit‹ der Kunst als Tod des Lebens.34 Poes Maler­Modell­Porträt­Triade findet sich im Ovalen Porträt als wörtliches Zitat wiedergegeben. Derart ist die Geschichte des ova­ len Porträts dem unmittelbaren Erlebnisraum des Erzählers entrückt. Nichtsdestotrotz, oder gerade in dieser Zitatstruktur, kann die Binnen­ erzählung zum Spiegel für die Obsessionen des Erzählers (der »begierig in dem Bändchen« nachliest, was es mit dem ovalen Porträt auf sich hat) herhalten. Von der Faszination für die Lebensähnlichkeit nimmt ja die Suche des Erzählers nach einer Erklärung für die ›überwältigende‹ Wirkmacht des Porträts ihren Ausgang. Nur mit großer Mühe und mit Leben/Tod und Mann/Frau: »Die Schlußszene in The Oval Portrait – ein per­ fektes Porträt, das neben/für sein totes Modell steht – zeigt eine bedeutsame Umkehrung von Darstellungsweisen wie etwa Claude Monets Camille sur son lit de Mort (1879). […] Poes Künstler […] versuchen nicht das Bild einer für immer hingeschiedenen Frau festzuhalten; seine fieberhafte Obsession, sie darzustel­ len, ist vielmehr die Voraussetzung ihres Todes.« (Bronfen 2004, 165) 34 Bereits Rousseau hat in seiner Adaption des antiken Pygmalion­Stoffes den Fragehorizont erweitert, indem er die Selbsterkenntnis der verlebendigten Sta­ tue – Galathée – in den Mittelpunkt rückt. Ihr »C’est moi« in der wiederholten Berührung (»se touchant encore« heißt es in der Regieanweisung von Rousseaus scène lyrique) kehrt kontrapunktisch wieder in einem »Ce n’est plus moi«, als sie »touche un marbre«, also das Material, aus dem sie entstanden ist (Rousseau 1961, Bd. 2, 1230). Der Kunstmythos Rousseaus beschreibt also, wie in der Reflexion, in der Wiederholung, der Raum eines Lebens gegen den Tod (Marmor) entsteht. Damit gibt Rousseau dem Mythos eine illusionäre Wendung, die Pygmalion selbst als Sorge erkennt: »Ravissante illusion qui passes jusqu’à mes oreilles, ah! n’abondonne jamais mes sens.« (Ebd.) – Bei Poe weicht diese Illusion im Moment ihres Wahrwerdens der Erkenntnis des Todes – was bei Rousseau im Traum (der Illusion) möglich scheint, wird in der Reflexion von Unmöglichkeit zur Paradoxe. – Lance Taits Theaterstück The Oval Portrait (2005), das auf Poes Erzählung basiert, dreht den Kunst/Leben-Komplex wieder in Richtung von Rousseaus Lösung, indem bei Tait das Modell und das Porträt einen Dialog führen und es unklar bleibt, ob die Frau tatsächlich stirbt. Vgl. Patillo 2006. – Eine Parallelversion zum Oval Portrait hat Nathaniel Hawthorne mit The Birth-Mark geschrieben, das quasi zeitgleich zu Poes Erzählung im März 1943 in The Pio neer erschien; Thema hier ist anstelle des Vermögens der Malerei, ›Lebensähnliches‹ im Zeichen absoluter Schönheit zu erschaffen, die wissen schaft lich-experimentelle Vervollkommnung der Schönheit einer Frau, Georgiana, (durch Eliminierung eines birthmarks) – um den Preis, dass Georgiana schließlich stirbt. R O USSE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 507 »tiefem und mit ehrfurchtsvollem Grauen« (686 f.) kann sich der Erzähler vom Porträt abwenden und in die Blindheit (weil nur mit abgewandtem Auge erfahrbar) der Erkenntnis eintauchen. Sein Grauen kehrt als Reflex in der Binnenerzählung wieder, wenn den Maler nach Vollendung seines Werkes »ein Zittern […] und große Blässe [befiel], Entsetzen packt’ ihn« (688). Ihm jedoch ist die Abkehr vom Bild, das ja in seinem Fall tatsächlich das ›Leben‹ (seiner Frau) verkörpert, nicht möglich, da die Frau tot ist. Es ergibt sich somit eine doppelte Struktur mit einer doppelten Verschiebung: (1) der Maler blickt auf (a) seine Frau und (b) sein Bild; (2) der Erzähler wendet sich (a) dem Bild zu und (b) dem Text über das Bild. (a) und (b) in Struktur (1) sind durch ein Nicht-Wollen (das der Text zweimal kursiviert anzeigt) korreliert: Der Maler »wollte« nicht seine Frau anschauen, und er »wollte nicht sehen«, wie sein Malen mit jedem Pinselstrich, der das Bild lebendiger erschienen lies, eben dieses Leben dem Modell entzog. (a) und (b) in Struktur (2) sind durch ein doppeltes Nicht­Können aufeinander bezogen: Der Erzähler kann zunächst nicht den Blick vom Porträt wenden, so dass er »wohl eine Stunde lang halb sitzend, halb zurückgelehnt vor dem Porträt [blieb], mein Sehen fest darauf gerichtet« (686); als sich ihm des »Bildes Zauber […] entdeckt: in einer absoluten Lebensähnlichkeit des Ausdrucks« (686), kann er seiner »Erregung« und seinem Entsetzen nur Herr werden, wenn das Porträt »dem Blick entzogen« (687) wird (indem kein Licht mehr auf das Bild fällt und es ins Dunkle zurückfällt). Die Erstarrung, der Bann, in dem der Blick aufs Bild gefangen wird, kann nur gelöst werden, in dem der Eindruck, im Porträt das Leben selbst zu sehen, im Gedanken einer bloßen »Lebensähnlichkeit« gebrochen wird, die freilich derart ›lebendig‹ zu wirken scheint, dass der eigentlich rettende Gedanke doch von »ehrfurchtsvollem Grauen« begleitet bleibt, das sich erst durch »die vagen und wunderlichen Sätze« (687) zu lindern scheint, die der Erzähler zur Geschichte des Porträts nachliest. Bringt man nun die beiden Strukturen/Geschichten in ihre chrono­ logische Reihenfolge (mit dem Verknüpfungspunkt des ovalen Porträts), dann ist es das doppelte Nicht­Wollen des Malers, aus dem das Bild in seiner täuschenden Lebensähnlichkeit entsteht. Dem Eindruck dieser Täuschung (so das Wort Täuschung denn angemessen ist) wiederum kann sich der Erzähler anfangs nicht entziehen, um dann in einer Auf­ deckung (oder besser: befriedigenden, weil rettenden Erkenntnis)35 der 35 »Schließlich doch sank ich – befriedigt, das wahre Geheimnis seiner Wir­ kung erschaut zu haben – im Bett zurück.« (686) 508 letztlich am Werk befindlichen Ähnlichkeit 36 die Ursache einer erst hierin ermöglichten Abwendung vom Bild und Hinwendung zum Text zu finden. Das Porträt steht damit inmitten der Kreuzung zweier Strukturen, eines Nicht­Wollens und eines Nicht­Könnens, aber auch zwischen dem Maler und seiner nicht gewollten Hinwendung zum Leben (seiner Frau) und der Abwendung des Erzählers von der Lebendigkeit des Porträts zur (ihn) rettenden Lebensähnlichkeit des Porträts, die ihn – in der Dunkelheit des Bildlichen bzw. seiner Blindheit – zur Lektüre führt. Grundfigur dieser Übersetzungsprozesse zwischen Lebendigkeit und Erstarrung, zwischen Bild und Text ist (auch) in Poes Erzählung die Zerstreuung. Nachdem der Erzähler beim ersten Blick auf das ovale Porträt unwillkürlich die Augen geschlossen hatte und geschlossenen Auges die Möglichkeiten einer Vision des Lebendigen prüft, öffnet er ein zweites, kalkuliertes Mal die Augen, um das, was er sieht, auch zu erkennen: Daß ich nun richtig sähe, konnt’ und wollt’ ich nicht bezweifeln; denn schon das erste Blitzen des Kerzenscheines auf dem Ölgemälde hatte, so war’s mir, die träumische Betäubung zerstreut, die über meine Sinne gesunken, und mich alsbald in waches Leben aufschrecken las­ sen. (685 f.) (That I now saw aright I could not and would not doubt; for the first flashing of the candles upon that canvas had seemed to dissipate the dreamy stupor which was stealing over my senses, and to startle me at once into waking life.)37 Die Sicherheit, die der Erzähler gewinnt, hängt an dem, was er später als »Lebensähnlichkeit des Ausdrucks« (»an absolute life-likeliness of expres­ sion«) resümiert. Dabei erläutert die hier zitierte Beobachtung/Reflexion eine paradoxe Anlage dieser »Lebensähnlichkeit«. Denn einerseits partizi­ piert das ovale Porträt (wie jedes Porträt) qua Bildlichkeit an Strukturen der Repräsentation oder der Wiedergabe von Gesichtszügen (Lebensähnlichkeit), während andererseits eben das ovale Porträt diese Ähnlichkeit ins Absolute der Präsenz des Lebens zu steigern scheint (jedenfalls im blitzartigen Aufleuchten, das diese Erkenntnis vom re prä sentativen 36 Von hierher erklärt sich auch die ausführlichen Gedankengänge des Erzählers, die sich mit der Vignettentechnik und dem ornamentalen Rahmen beschäftigen: Sie stützen die Erkenntnis des Bildhaften durch ihren parergo­ nalen Diskurs. 37 Englische Fassung zitiert nach Poe 1850, 367. R O US SE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 509 Modus in einen jähen Augenblick tranferiert).38 Jener »stupor«, der die Sinne des Erzählers wie in einem Traum (»dreamy stupor«) gefangenzu­ halten scheint, weicht durch das Aufblitzen des lebendigen Ausdrucks. Das Bild ruft aus dem Traum ins Leben. Indem es aber evoziert, hebt es selbst die Grenzen seiner Bildlichkeit (Ähnlichkeit) auf, als wäre es das Leben selbst. Stupor ist hier also wörtlich als Benommenheit zu verstehen, als Eingenommensein von sich selbst, wenn die Sinne das Wahrgenom­ mene auf Distanz zu halten vermögen. Diesen Abgrund, der das Bild von seiner Betrachtung trennt (und den Traum der Repräsentation begrün­ det), hebt der Erzähler – oder hebt das Bild – auf, um im selben Moment (nur ein Aufblitzen später) wieder hinter diesem Abgrund, gleichsam ›Au fond des images‹39 zu verschwinden. Hier, wo es Bild ist oder wird, bleibt es zugleich unsichtbar.40 38 »Wie das englische ›likeness‹ [oder ›likeliness‹] ist Ähnlichkeit ein konjunk­ tionaler Begriff und für die Porträtforschung so zentral, da er dort die Referenz von realer Person und Abbild bezeichnet« (Becker 2016, hier Anm. 4, 96; mit Bezug auf Gottfried Boehms Bildnis und Individuum, 1985); gleichermaßen bietet sich jedoch auch ein Zugriff auf das Porträt vom »Begriff der ›Nicht­ Ähnlichkeit‹« an, wie etwa bei Max Imdahl, der »die Vergegenwärtigung des Porträts als konstitutiv für die Gattung erachtet« (Becker 2016, Anm. 5, 96), die mithin als Abwesenheit/Repräsentation der Person zu deuten ist. Zur Span­ nung zwischen Präsentation und Repräsentation, die das Porträt kraft des trait (Zug, Linie), der als Entzug (retrait) Spur (trace) wird, mobilisiert vgl. Anm. 14 und – mit Blick auf die evokative Macht dieser Spannung – Anm. 40. 39 Vgl. zu den bildphilosophischen Hintergründen Nancy 2006 (Originaltitel: Auf fond des images). 40 Die Evokation des Bildlichen sehe ich demnach als Teil der erzählerischen Semiose an, die zwischen Evokation (des Bildlichen) und Zitation (des Buch­ stäblichen) oszilliert. Anders als Bronfen – für die die »Paradoxie der Geschich­ te […] darin [liegt], daß sowohl der Maler (hinsichtlich des Porträts) als auch der Erzähler (hinsichtlich des Porträts und der es ergänzenden Erzählung) das Double benutzen, um die Tatsache zu verbergen, daß das Leben immer bereits vom Tode gezeichnet ist« – sehe ich das Paradoxe in einer Logik der Evidenz begründet: in einem Umschlag des Sichtbaren in Erkenntnis, die verbunden ist mit einer Abwendung von dem, was dieses Erkennen bedingt. Kernbegriff die­ ser Paradoxie ist die »Lebens ähn lich keit«, die gleichermaßen als Indiz des Todes (mit dem Fluchtpunkt der zitierten Erläuterung zum Tod der Frau) wie als Indiz einer lebenseinräumenden Distanz (mit dem Fluchtpunkt des ›aufwachenden‹ Erzählers) lesbar ist. Vgl. zur evokativen Macht des Bildlichen als Logik von Vor­Bildern, die ins Leben rufen, Macho 2011. 510 Organisiert wird dieses metaphorisch eingekleidete ›Aufwachen‹ aus ›traumgleicher Benommenheit‹ durch die Figur der Zerstreuung (»dis­ sipate«). Zerstreut löst sich die Benommenheit angesichts der Distanz des Bildes und seiner bloßen likeliness auf; wach, aber zerstreut ist das ›Bild‹, eigentlich aber das ›Leben‹, im Aufblitzen ganz (»absolute«) da. Vielleicht muss es deshalb (um Bild zu bleiben) sofort wieder verschwinden. An seine Stelle und als ein Appendix tritt das erläuternde Zitat aus dem aufgefundenen Buch. Es ist dies ein letzter und unmissverständlicher Hinweis: Der zerstreute Betrachter des Bildes ist ein Leser, der (viel­ leicht) auch deshalb das Bild wie eine Vision sieht, ohne sie sich als Bild aneignen zu können. Im Kontext einer »Literatur mörderischer Werke« besticht das Ovale Porträt dadurch, dass es »ein zugleich gesehenes und gelesenes Porträt [ist], die Geschichte eines Künstlers, der sein erschöpftes Modell – seine Frau – tötet, nachdem er ihren Körper dem Untergang [ruine] geweiht hat.«41 Die »darstellerische Treue« des Malers verwandelt sich im Zeichen des »Untergang[s] [ruine]« in reine Schuld am Tod. Doch wissen wir, dass diese doppelte Einzeichnung von ›darstellerischer Treue‹ und ›Schuld‹, von Leben oder Lebensähnlichkeit und Tod, die unteilbaren Zeichen des Ruinösen trägt, einer Zerstreuung, die die Einheit des Por­ träts evoziert und entzieht: »[D]er Dank des Zugs oder Strichs [la grâce du trait] bedeutet, daß am Ursprung des graphein eher die Schuld oder die Gabe steht als die darstellerische Treue.«42 41 Derrida 1997, 40. Gegenüber dieser Poe’schen zerstreuten Spannung zwischen Lesen und Sehen beschreibt beispielsweise Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray eine Art lesend vor Augen geführten Gerichtsprozess, die »Geschichte ei­ nes Mordes oder Selbstmordes, einer Zerstörung [ruine] und eines Geständnisses [confession]«, »zugleich die Erzählung einer Darstellung, die den Tod in sich birgt: Ein todbringendes Portrait reflektiert zunächst die Fortschritte der Zerstörung [ruine] auf dem Gesicht seines Modells, das zugleich sein Betrachter ist, so daß das Subjekt [sujet] hier von seinem Bild betrachtet, dann verurteilt wird« (ebd.). Zur Ruine als Figur, »[p]our ne rien vous montrer du tout«, vgl. ebd., 72. 42 Ebd., 35. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des trait bleiben also ebenso teilbar wie unteilbar: »Etwas Gezogenes, eine Umrißlinie [tracé], wird nicht gesehen. Man dürfte sie wohl deshalb nicht sehen […], weil das, was ihr an farbiger Dichte bleibt, dazu tendiert, immer schwächer zu werden, um den bloßen Rand einer Kontur zu markeiren: zwischen dem Innen und Außen einer Figur. Ist diese Grenze einmal erreicht, gibt es nichts mehr zu sehen […], und dies ist der trait […]. Diese Teilbarkeit des trait unterbricht hier jede reine Identifizierung […]. Diese Grenze wird nie in einer Gegenwart erreicht […]. Nichts gehört dem Strich oder Zug (an) […]. Er verbindet nur, fügt nur zusammen, indem er trennt.« (Ebd. 57) R O US SE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 511 Wenn das Ovale Porträt also eine Figuration des Lebens beschreibt, so gibt sich das Leben hier nur als Zerstreuung, das heißt als etwas, das eintritt, indem es sich als Distinktes entzieht. Dabei lebt die Erzählung auch davon, dass der Begriff des Lebens beständig auf verschiedenen Ebenen verhandelt wird: im Leben des Erzählers, das sich als vom Tod bedroht zeigt und der im Schloss Zuflucht sucht; im Leben des Bildes, das als Vision ins Bewusstsein dringt, um, bewusst werdend, hinter den Zeilen der Schrift zu verschwinden; im Augenschlag, der das, was der Erzähler sieht (offenen Auges), und das, was er imaginiert (geschlossenen Auges), trennt wie zwei unterschiedliche Leben – als eine Transformation des Lebens als das, was überwältigt, in das, was erzählbar wird; als Leben der Erzählung, die doch nur dem Tod (der gemalten Frau), der an ihrem Ende steht, das Leben des Bildes entgegenstellen kann. Als literarisches Porträt erzählt Das ovale Porträt somit auch vom Ver­ such der Schrift, das Leben des Bildes zu bändigen: Das Leben des Bildes aber, so die Pointe der Erzählung, ist der Tod des Lebens. Und anders noch: Indem sich die Erzählung als Erzählung einer wohl lebensbedroh­ lichen Verwundung des Erzählers darstellt, kann sich Schutz, Genesung nur in einer Serie an Substituten des Lebens einstellen: vom Schloss zum Porträt, und vom Porträt in genealogischer Perspektive zur Frau, die es darstellt, und hiermit, in der Zerstreuung des Bildes (geschlossenen Auges), das Leben der Erzählung. So kommt dem erhellenden Zitat und der Erläuterung des ovalen Porträts zunächst eine deiktische Funktion zu, insofern das Zitat mit seiner Rahmung als Buch auf den Nucleus der Poe’schen Erzählung verweist und insofern das Zitat zum ovalen Porträt in den Fokus des Ovalen Porträts (mit dem Titel der Erzählung als Rah­ men) rückt; die Erzählung wird dabei im Zeichen einer mehrfachen, sich überlagernden Zitation (des Zitats aus einem Buch und in Poes Erzäh­ lung; des Titels von Poes Erzählung aus dem Buchzitat) kontextualisiert und schließlich im Titel Das ovale Porträt fixiert. Die Fixation auf das Porträt aber inkarniert das Leben in die Erzählung, die ja auch eine Er­ zählung vom Entzug des Bildes ist, das in den Zerstreuungen der Schrift und im Gang der Erzählung als Faszinationsmoment eingerückt und wieder aus dem Blickfeld geschoben wird. Wenn Poes Erzählung die »Wendung ins Sinnbildliche« des ovalen Porträts als »ein Mittel der Sprache, ihre ›Unschuld‹ zu bewahren«,43 zu behaupten scheint, so spielt sie damit mitnichten das Bild (in seiner 43 Bronfen 2004, 171. 512 Empirizität) gegen die Schrift (und ihren Sinn) aus. Denn die Empirizität des Bildes zeichnet auch die Schrift der Erzählung, die im ovalen Porträt ihr Sinnbild nur vordergründig auf Distanz halten kann. Das ovale Porträt benutzt vielmehr Bild (ovales Porträt) und Schrift (zitiertes Buch) als unteilbare Momente einer Figuration des Lebens in der Zerstreuung des Bildes. Paradoxerweise rettet die Erzählung in dieser Unbildlichkeit des Lebens genau das, was auch das Bild der Einbildungskraft einbildet: Le­ bendigkeit, die in der Erzählung sogar den Tod des Lebens einschließen kann.44 Unschuldig am ›Mord‹ bleiben also beide: die Sprache oder Rede (parole) der Erzählung (ohne das Bild) wie das der Erzählung entzogene Bild. Nur in der Zerstreuung kann Poes Erzählung – in der Empirizität seiner Schrift und kraft des Sinns der Idee – das ovale Porträt zugleich zur Erscheinung bringen, wie sie es auch im Spiel der Buchstaben fallen lässt, es aufgibt und nur in der Doppelfigur von Leben und Tod sinnhaft konturieren kann. In dem Moment, wo die Erzählung – insistent im Ti­ tel – das ovale Porträt als sein eigentliches Phantasma insinuiert,45 muss 44 Eine ähnliche Spannung der Erzählung zur Figuration des Lebens am Bei spiel eines Porträts kennzeichnet auch Gogols Erzählung Das Por trät (1835/1842), wo es um das Bildnis eines Wucherers geht, das zwar nach der Na­ tur gearbeitet ist, die Seele aber nicht erfasst, weshalb es jeden Betrachter ver­ folgt und ihm gleichsam seine Seele (sein Leben) raubt. Der Maler Tschartkow, Besitzer des Porträts, beginnt aus Neid in maßlosem Exzess und bis zur eigenen Vernichtung gelungene, talentvolle, lebendige Bilder aufzukaufen und wahllos zu zerfetzen – als wären diese zerstreuten Fetzen, nach seinem Tod bei ihm aufgefunden, das Material der Erzählung. – Vgl. auch Jean­Luc Godards Film Vivre sa vie, in dem das Ovale Por trät vorgelesen wird und mit Titelschrift auf einem Buchdeckel selbst zum Bild und Rahmen wird. »Die Rahmen in The Oval Portrait vermehren sich, wie Mary Ann Caws [Caws 1983] einsichtig angemerkt hat […]. Und für die Zuschauer von Vivre sa vie gibt es den jungen Mann, der Baudelaires Übersetzung von Poe liest, aber mit der Stimme von Godard spricht, der wiederum einen Film über seine Frau dreht und sie nach dem Lesen dementsprechend umbringt. [Fußnote:] […] Was The Oval Portrait suggeriert, ist, dass der Akt, Anna Karina [Godards Frau und Hauptdarstellerin] zu filmen, schon die Tötung ist, die in den letzten Momenten von Godards Film vorgespielt wird.« (Jacobs 2012, 225, und 212 zum »erschütternde[n] Labyrinth von Hypermedialität«, das Godards Film eröffnet und – so Jacobs’ Pointe – in Atom Egoyans Kurzfilm Artaud Double Bill, in dem Godards Film im Kino angeschaut wird, noch einmal potenziert wird.) 45 Das ovale Porträt nimmt diese Insinuation des Titels sogar so ernst, dass seine ganze Erzählung in beinahe kriminalistischer Manier – man denke an den Autor des Doppelmordes in der Rue Morgue und der vielen anderen R O US SE L: E D GA R A LLA N P O E S THE OVAL PORTRAIT 513 Das ovale Porträt beständig zwischen dem empirischen Bild und der Idee oszillieren – beides uneinholbar, eines abgelenkt vom anderen, in einer ungewissen meditativ geteilten Mitte. BILDREC HTE 2, Taf. 14 The Valentine, Nr. V.30.36.129. LITERATUR VER ZEICH N IS Becker 2016 Becker, Daniel: What you see is what you get. Das Porträt im Angesicht des Digitalen. In: Fleckner, Uwe / Hensel, Titia (Hrsg.): Her­ meneutik des Gesichts. Das Bildnis im Blick aktueller Forschung. Berlin 2016, 81–100. Benjamin 1977 Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techni­ schen Reproduzierbarkeit. In: ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schrif­ ten. Hrsg. von Siegfried Unseld. Frankfurt a. M. 1977, 136–169. Blamberger 2011 Blamberger, Günter: Gestaltgebung und ästhetische Idee. Morphomatische Skizzen zu Figurationen des Todes und des Schöpfe­ rischen. In: Ders. / Boschung, Dietrich (Hrsg.): Morphomata. Kulturelle Figurationen: Genese, Dynamik und Medialität. München 2011, 11–46. Bronfen 2004 Bronfen, Elisabeth: Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik. Deutsch von Thomas Lindquist. Neuauflage. Würz burg 2004 (zuerst 1994). 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Diesem »ideologischen Mißbrauch auf die Spur zu kommen« (11), hinter der ›dekorativen Darstellung des Selbstverständlichen‹ ›falsche Evidenzen‹ (vgl. 9) freizulegen, d. h. »en détail die Mystifikation deutlich zu machen, die die kleinbürgerliche Kultur in universelle Natur verwandelt« (9),2 ist 1 Reine Seitenverweise aus Barthes 32015 werden im Folgenden nur mit Seiten­ zahl in Klammern im Fließtext nachgewiesen. 2 Der Topos vom Geschichtsentzug durch den Mythos ist zentral für Barthes Mythostheorie: »[…] der eigentliche Zweck der Mythen ist es, die Welt unver­ änderlich zu machen« (311); sie haben das Ziel »jede geschichtliche Situierung zu leugnen« (214); sie generieren »eine Ordnung von Behauptungen, denen alle Geschichte entwichen ist« (227), oder wie es auch heißt: »Der Mythos entzieht dem Gegenstand, von dem er spricht, jede Geschichte. (306; ebenso 268). 518 die zentrale Intention Barthes’. Dabei ist er sich durchaus darüber im Klaren, dass sowohl das Modell der »›Entmystifizierung‹ […] allmählich Verschleißerscheinungen zeigt« (12),3 als auch darüber, dass – wie es im Vorwort der Ausgabe von 1970 heißt – die ›Ideologiekritik‹ »im selben Moment, in dem sie plötzlich wieder dringend geworden war (im Mai 1968), feiner geworden [ist], oder jedenfalls der Verfeinerung [bedarf]« (9). In der Tat folgt das ›ideologiekritische‹ Verfahren Barthes – und darin liegt die analytische Pointe der ›Mythen des Alltags‹ – denn auch weniger der »Brechtschen Methode der Entmystifizierung« (87), d. h. einer Ideologiekritik, die es auf eine Identifizierung und Therapie von Formen ›entfremdeten Bewußtseins‹, auf die Sichtbarmachung seiner ›Verblen­ dungen‹ (vgl. 236, 237) abgesehen hat, als vielmehr einer Analyseoption, die einen semiologisch entfalteten Begriff des Mythos (251–316) verwendet, um mit seiner Hilfe ›Aufschluss‹ über die ideologische Verfasstheit der ›bürgerlichen Welt‹, insbesondere über ihre Tendenz zur ›Naturalisierung‹ des Historischen zu erlangen: »Von Anfang an schien mir der Begriff des Mythos geeignet, über diese falschen Evidenzen Aufschluß zu geben« (11). Der Mythos­Begriff erfüllt dabei die strategische Funktion, das was tra­ ditionell Ideologiekritik heißt, in einem sprach­ und zeichentheoretischen Horizont zu reformulieren. Durch die gewählte ›Mythos‹­Option lässt sich das ideologiekritischen Verfahren als ein ›Entzifferungsprogramm‹ (vgl. etwa 258, 275 ff.)4 rekonzeptualisieren, in dem Ideologiekritik in Sprachkritik überführt wird. Die mythologische Entzifferungsarbeit ist – in der erweiterten Bedeutung, die Barthes dem Begriff der »mythischen Sprache«5 gibt – eine sprachkritische Arbeit. Sie behandelt den Mythos 3 Gleichwohl spielt dieses Analysemodell durchaus eine terminologische Rolle: vgl. etwa Barthes 2015, 9 (»Mystifikation«); 12 (»Entmystifizierung«); 39 (»Ent­ mystifizierung«); 87 (»Entmystifizierung«); 175 (»Mystifikationstechnik«); 213 (»mystifizierende Macht«), 219 (»entmystifizieren«) etc. 4 Der Mythologe »entziffert den Mythos, er erkennt ihn als Deformation« (276). Während dem Mythenleser der ideologische Mechanismus verborgen bleibt, weil seiner Lektüre alles so erscheint, »als riefe das Bild ganz natürlich den Begriff hervor, als fundierte der Signifikant das Signifikat«, ›zertrümmert‹ der Mytho­ loge die scheinbare quasi natürliche Evidenz des Mythos (278). 5 Vgl. 252 und 253, wo Barthes von einer »generalisierten Auffassung der Spra­ che« spricht. Neben dem medial erweiterten Sprachbegriff verwendet Barthes »Sprache« auch in einem engen, modalen Sinn, auf den »mythische Rede« nicht eingeschränkt werden müsse (253); vgl auch 282, wo Barthes den Mythos im Gegensatz zu ›geschlossenen Sprachen‹ wie der mathematischen als »eine Sprache« bezeichnet, »die nicht sterben will«. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 519 als eine Sprache (»Der Mythos ist eine Sprache«, 11), bzw. als eine Rede (»Der Mythos ist eine Rede«, 251 ff.),6 d. h., sie fokussiert ihn und seine ›Botschaften‹ als »ein System der Kommunikation« als »eine Weise des Bedeutens« (251). Und weil sie den Mythos, insofern sie ihn als ›Sprache‹ und als ›Rede‹ adressiert, zugleich als ein »semiologisches System« (253 ff., 284), ein »semiologisches Schema« (257) begreift, darf die ideologiekri­ tische Untersuchung als »semiologische Analyse« (9), die mythologische Entzifferung als »semiologische Demontage« (9) durchgeführt werden.7 Kurz gesagt: Der Mythos ist ein Zeichensystem, dessen ›konstitu­ tiver Mechanismus‹ (vgl. 276), d. h. dessen semantische Arbeitsweise, in den einzelnen Mythologien aufgedeckt und sichtbar gemacht werden soll. Es ist ›die Art, wie der Mythos seine Botschaften äußert‹ (vgl. 251), die in den Fokus analytischer Aufmerksamkeit gerät. Dabei richtet sich Barthes insbesondere auf die – wie man sie nennen könnte – ›doppelte Semantik‹ der einzelnen kulturellen Figurationen, auf die »Oszillation« (269) zwischen den in einem ersten semiologischen System verfügbaren Sinnressourcen und der ›mythischen Bedeutung‹, die er auch ›Ultra­ Bedeutung‹ nennt (283), mit der der Mythos als ›sekundäres System‹ den primären Sinn überschreibt: Die mythische Rede operiert als »eine zweite Sprache […], in der man von der ersten spricht« (259), sie »wird aus einer Materie geformt, die im Hinblick auf die entsprechenden Botschaft schon bearbeitet ist« (253).8 Eben diesen semiologischen Mechanismus – von ihm wird noch näher die Rede sein – versucht der Mythologe zu entziffern: Er führt an einem reichen Register unterschiedlicher medialer Gestal­ tungen9 vor, wie sich eine ›parasitäre‹, nämlich mythische Bedeutung als sekundäre in einen primären Sinn ›einschleichen‹ (vgl. 281 f.) und ihn ›deformieren‹ (vgl. 269 ff.) kann. 6 Vgl. auch 270, 273, 278, 295 f; dass Barthes »Rede« (parole) synonym mit »Sprache« verwendet (vgl. etwa auch 117, 251), lässt sich freilich nicht auf Saussure zurückführen, dessen Theorie er als Bezugstheorie angibt. Vgl. Barthes Hinweis auf seine Saussure­Lektüre im Vorwort der Ausgabe von 1970 (9) sowie seine Bezugnahmen auf Saussures Semiologie­Idee (253 ff, 257 ff ). 7 Das mythologische Analyseverfahren ist als Entzifferungsverfahren der Operationsmodus der Mythologie, die ihrerseits als Wissenschaft ein Teil der Semiologie und damit, »nur ein Bruchstück jener umfassenden Wissenschaft der Zeichen ist« (253 ff.). 8 Vgl. auch 258, 280, 299 f.; vgl. hierzu auch unten Abschnitt III. 9 Vgl. 252: »Der schriftliche Diskurs, aber auch die Photographie, der Film, die Reportage, der Sport, Schauspiele, Werbung, all das kann als Träger der mythischen Rede dienen.« 520 II. EINE ›PO R T R AIT G AL ER IE‹ D ER AL LTAG SMYT H EN Freilich bilden die von Barthes aus dem Horizont der Alltagskultur zum Zwecke seiner semiologischen Analyse herausgegriffenen ›mythischen Objekte‹ kein beliebiges Ensemble. Sie sind zwar dem gleichsam ›uner­ schöpflichen Vorrat an mythischen Signifikanten‹ entnommen (vgl. 275), einem letztlich unabschließbaren ›Katalog kollektiver Bilder‹, in dem ›die Bourgeoisie ihre Vorstellungen zum kleinbürgerlichen Gebrauch verbreitet‹ (vgl. 293). Aber bei den ausgewählten kulturellen Figurationen, an denen die einzelnen Mythologien den Prozess der ›semiologischen Demontage‹ durchführen, handelt es sich nicht um kontingent austausch­ bare Fälle, sondern um je spezifische, charakteristische Beispiele für den ›konstitutiven Mechanismus‹ des Mythos, um ›Physiognomien‹, in denen die kleinbürgerliche Kultur jeweils exemplarisch ihr ideologisch entzif­ ferbares ›Gesicht‹ zeigt. Immer geht es um singuläre Figurationen, »um dieses Bild, das für diese Bedeutung gegeben wird« (253), um mythische Fallbeispiele, an denen der Mythos in medial individualisierter Form identifiziert werden kann. In den Mythologien versucht Barthes, sich in einem gleichsam porträtierenden Gestus dem allgemeinen, makrokultu­ rellen Verfahren der ›mythischen Rede‹ anzunähern, indem er es jeweils in mikrokulturellen, individualisierten medialen Gestalten aufspürt. Die Mythologien bilden gleichsam eine Portraitgalerie, in deren Einzelbildern »das Antlitz der Zeit«,10 die ideologische Vorstellungs­ und Bilderwelt der ›Bourgeoisie‹, in individualisierten, unverwechselbare Ausdrucks­ formen, zum Vorschein gebracht wird. Das Ensemble dieser Portraits reicht von mythischen Objekten wie etwa »Einsteins Gehirn« (118 ff.) oder 10 Die Metapher »Antlitz der Zeit« nimmt Bezug auf den Titel einer Sammlung von Portraitfotografien des Fotografen August Sander aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts (Sander 1929). Barthes bezieht sich in Die helle Kammer auf Sander (Barthes 1989). Vor dem Hintergrund des Verbots des Sander­Buches 1934 durch die Nationalsozialisten stellt Barthes mit Blick auf Sanders Portrait­ fotografien fest: »Ist nicht die Fähigkeit, den sei’s politischen, sei’s moralischen Sinn eines Gesichts wahrzunehmen, selbst schon eine soziale Abweichung.« (Barthes 1989, 44/47). Insoweit kann man auch Barthes Mythologien als den Versuch verstehen, das bourgeoise ›Antlitz seiner Zeit‹ zu portraitieren und in den Einzel­Portraits ›den politischen und moralischen Sinn‹ des Portraitierten wahrzunehmen. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 521 dem auf dem Pariser Autosalon 1955 präsentierten ›neuen Citroën‹, DS 19 (196 ff.), der Göttin (DS = déesse), die Barthes Anlass gibt, Automobil und Kathedrale gleichermaßen als »epochale Schöpfung« zu deuten, »die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern entworfen wurde und von deren Bild, wenn nicht von deren Gebrauch ein ganzes Volk zehrt, das sie sich als ein magisches Objekt aneignet« (196), über Reportagen wie etwa der von Paris-Match über den »Jet­Man« als »Mythos des Fliegers« (121 ff.) oder einer Reportage des Figaro, die den Leser ›vertraulich‹ am Alltag des ›Schriftstellers in Ferien‹ (André Gide) partizipieren lässt (vgl. 37 ff.), wobei die ›Enthüllung‹, »daß er den Weißwein trocken und das Beefsteak ›englisch liebt‹ […] die Erzeugnisse seiner Kunst nur noch phantastischer, ihre Wesen nach göttlicher« werden lässt, bis hin zu Ereignissen wie dem der »Tour de France« (143 ff.), deren ›epische Ordnung‹ sich etwa in den Verkleinerungsformen der Radfahrernamen zeigt (»aus Lauredi wird Nello«, und Raphaël Geminiani […] wird bald Ralph […]«), in denen »sich Servilität, Bewunderung und ein Anspruch auf Voyeu­ rismus [vermischen], den das Volk gegenüber seinen Göttern hat« (144). Dass sich Barthes’ essayistische Miniaturen als Portraits lesen lassen, wird nicht zuletzt auch daran sichtbar, dass es sich bei den mythischen Objekten, an denen er seine mythologischen Demontagen vollzieht, sehr häufig um Fotografien bzw. fotografierte und gefilmte Köpfe und Gesichter handelt.11 Das ›Antlitz‹ der Bourgeoisie zeigt sich offenbar besonders präg­ nant in den Fotografien und Filmen, in denen es gleichsam physiognomisch inszeniert wird: So verfügt der »Mythos des Abbé Pierre […] über einen wertvollen Trumpf«: den Kopf des Abbé, der alle »Zeichen des Apostolats« (›gütiger Blick‹, ›franziskanischer Haarschnitt‹, ›der Bart des Missionars‹) aufweist, wobei insbesondere der Haarschnitt »den Abbé in den heiligen Franziskus [verkleidet]« und so den »wachsende[n] ikonographische[n] Erfolg dieses Haarschnitts in den Illustrierten und im Film« (68 ff.)12 erklärt. Es ist »das Gesicht der Garbo« (89 ff.), das etwa im Film Reine Christine als ›bewundernswertes Objekt‹, als ›vergöttlichtes Gesicht‹, »jenen flüchtigen Augenblick dar[stellt], in dem die Klarheit der Essenzen des Fleisches einer Lyrik der Frau weicht« (90). Weiter sind es die Portraits, mit denen einige ›photogene‹ Kandidaten für die Wahlen zur Nationalversammlung ihre ›Wahlprospekte schmücken (vgl. 209 ff.), in denen die ›Wahlphotographie ‹ 11 Ich gebe im Folgenden hierfür nur einige Belege. Es ließen sich aus dem Ensemble der Mythologien eine ganze Reihe weiterer Beispiel anführen. Zur ›Lektüre‹ von Gesichtern vgl. auch von Matt 1983. 12 Die Kursivierung hier und in den folgenden Zitaten stammt von mir, L. J. 522 ihre (analysebedürftige) ›Überzeugungskraft entfaltet: »Das Photo ist Spie­ gel, es zeigt Vertrautes, Bekanntes, es bietet dem Wähler sein eigenes Abbild dar, geläutert, vergrößert […]. Der Wähler findet sich darin ausgedrückt und zugleich heroisiert, er ist eingeladen, sich selbst zu wählen […].« (210). Und schließlich ist es auch ein Portrait-Foto auf der Titelseite des Paris-Match, das Barthes im zweiten Teil 13 der Mythen des Alltags als Bei­ spiel 14 heranzieht, um an ihm den ›konstitutiven Mechanismus‹ (276) der ›mythischen Rede‹ in einer Theorie des Mythos zu entfalten: das Foto ›eines jungen Negers15 in französischer Uniform‹, der ›den militärischen Gruß erweist‹, »die Augen erhoben und vermutlich auf eine Falte der Trikolore gerichtet« (260). An diesem Beispiel 16 erläutert Barthes seinen zentralen semiologischen Gedanken, dass es sich bei dem Mythos um ein »erweitertes« (260 f.), ein »sekundäres semiologisches System« handelt, das auf einer primären »semiologischen Kette aufbaut« (258), genauerhin, dass die ›mythische Rede‹ sich eine primäre Semantik, den ›salutierenden Neger‹, aneignet, um eine sekundäre, mythische Semantik zu etablieren, den ›Begriff‹ der ›französischen Imperialität‹, wobei die Mächtigkeit der se­ mantischen Evidenz17 des mythischen Begriffs darin besteht, dass das Bild 13 Den zweiten Teil seines Buches Der Mythos heute verfasste Barthes nach­ träglich anlässlich des Erscheinens der Mythologien 1957 in Buchform. Sie waren zuvor fast alle zwischen 1954 und 1956 als essayistische Artikel in der Zeitschrift Les lettres nouvelles erschienen. 14 Das zweite Beispiel, das er heranzieht, ist ein in einer lateinischen Grammatik enthaltener Beispielsatz »aus einer Fabel von Äsop oder Phädrus« (259 ff.; quia ego nominor leo), an dessen ›doppelter Bedeutung‹ (1) »ich werde Löwe genannt«, (2) »ich bin ein grammatisches Beispiel« er den Mechanismus der mythischen Rede erläutert. 15 Dass Barthes das Wort ›Neger‹ (nègre) ohne jede Distanzierungsmarkie­ rung verwendet, zeigt dass sein Gebrauch am Ende der neunzehnhundertfünf­ ziger Jahre noch nicht gegen die Regeln der politischen Korrektheit verstieß. ›Liest‹ man im Übrigen das Paris­Match­Titelbild mit den Augen des spectators aus Barthes Heller Kammer (vgl. Barthes 1989), so sticht weniger die dunkle Haut des französischen Soldaten hervor, als vielmehr seine Kindlichkeit. Das Punctum des Bildes, »das mir mitten aus der Seite ins Auge springt« (52), ist, dass der ›salutierende Neger‹ wie ein Kindersoldat wirkt. 16 Die Analyse des ›kleinbürgerlichen Mythos des Negers‹ (82 ff.) durchzieht den theoretischen, zweiten Teil der Mythen des Alltags wie ein roter Faden. Vgl. 228, 260 f; 263, 264, 269, 271, 272, 276 f, 280, 296, 307 17 Vgl. zu Barthes’ Verwendung des Evidenzbegriffes etwa 278, 286; hierzu auch Jäger 2015. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 523 des salutierenden, dunkelhäutigen Soldaten für den ›naiven Mythenleser‹ (vgl. 277; freilich nicht für den ›Mythologen‹!) »ganz natürlich18 den Begriff [der französischen Imperialität] hervorruft« (278): »Der Mythos existiert genau von dem Moment an, in dem die französische Imperialität in den Naturzustand übergeht« (278). In der ›Zertrümmerung‹ (vgl. 278) dieser Natürlichkeit, in der ›Störung‹19 der semantischen Evidenz, d. h. in der ›Zerstörung der Bedeutung des Mythos‹ (vgl. 276) besteht dann die ge­ nuine semiologische Arbeit des Mythologen: ihr geht es im Wesentlichen darum, in den ›Physiognomien‹ der bürgerlichen Ideologie die Gewalt zu Vorschein zu bringen, mit der die semantischen Operationen des My­ thos im Interesse der Artikulation eigener Bedeutungsintentionen‹ (253) vorfindliche Alltagssemantiken ›deformieren‹ und ›Geschichte in Natur verwandeln‹ (294).20 Die mythologischen ›Portraits‹ enthüllen die mythi­ sche Semantik in ihrem Zentrum, im Kern ihres Verfahrens, da wo sie ›im Übergang der Geschichte zur Natur‹ eine ›Welt ohne Widersprüche‹ organisiert und den Grund für eine ›glückliche Klarheit‹ ihrer Bilder legt. Hier ermöglichen die Portraits, die gleichsam das Wesen der bürgerlichen Ideologie offenlegen, jenen »Rückgang hinter das unmittelbar Sichtbare«, den der Mythos zu ›unterdrücken‹ versucht (296). Es ist vor allem der Prozess dieser ›Naturalisierung von Begriffen‹, den Barthes als konstitutives Moment seiner semiologischen Theorie des Mythos herausarbeitet und dessen ›Demontage‹ (9) den zentralen Gegenstand des mythologischen Verfahrens darstellt. Der portraitierende Gestus ist also eine demontierender Gestus, ein Gestus, der das semio­ logische Verfahren des Mythos offenbar werden läßt, das im Folgenden näher zu fokussierende Verfahren, vorgefundene Semantiken mythisch zu überschreiben und sie als solche mit Evidenz auszustatten. III. ANEIGN UNG UN D D EFO R MATIO N: VERF AH REN D ES MYT H O S Barthes begreift den Mythos, wie sich bereits oben gezeigt hat, als eine »Weise des Bedeutens«. Er ist nicht bestimmt »durch den Gegenstand seiner Botschaft, sondern durch die Art, wie er sie äußert« (251). Er muss als ein semantisches Verfahren verstanden werden, das durch das zugrunde liegende »semiologisches Schema« (257) bestimmt und organisiert wird. 18 Kursivierung von mir, L. J. 19 Vgl. hierzu Jäger 2004. 20 Vgl. weitere Belegstellen zu diesem Topos oben in Anm. 2 524 In einem gewissen Sinne ist er dabei eine Aneignungsmaschine – oder besser: eine Wiederverarbeitungsmaschine, die das, was sie sich (gleichsam widerrechtlich) semantisch aneignet, nämlich den ›Sinn‹ des primären sprachlichen Systems, auf das sie zugreift, gleichsam zweckentfremdet, ihren eigenen Intentionen unterwirft. III.1 DIE UTO P IE D ER ›T R ANSIT IVEN SP R AC H E‹ Der Mythos begeht – wie Barthes formuliert »Diebstahl an einer Sprache« (280). Er ›stiehlt die Sprache‹ (286), von der aus er sich ›besitzergreifend‹ (vgl. 272) entwickelt und verwendet sie für seine Zwecke. Er ist eine »ent­ wendete und zurückerstattete Rede«, wobei freilich »die zurückgegebene Rede nicht mehr ganz die gestohlene [ist]« (273). Die Bedeutung des sa­ lutierenden, dunkelhäutigen Soldaten ist nicht mehr einfach das, was das Titelbild an seiner ikonographischen Oberfläche zum Ausdruck bringt, ›salutierender, dunkelhäutiger Soldat‹, sondern eine ›Überschreibung‹ (Entwendung) der primären Bedeutung, durch eine zweite (zurückgege­ bene) mythische Bedeutung, ›französische Imperialität‹, die durch diese Überschreibung mit semantischer Evidenz ausgestattet wird. Die Metaphern, mit denen Barthes den Mythos und seine Verfahren charakterisiert, sind fast ausschließlich negativ konnotierte, moralische Metaphern: Der Mythos hat etwas ›Empörendes‹ (vgl. 273); er ›schleicht sich als ›parasitäre Bedeutung‹ in den Sinn ein‹, den er sich aneignet, und ›bläht ihn auf‹; er kolonisiert und korrumpiert ihn. »Er entreißt dem Sinn, von dem er sich nährt, ein hinterhältiges, erbärmliches Weiterleben« und »macht den Sinn zur sprechenden Leiche« (282).21 Kurz: der Mythos operiert semiologisch zugleich mächtig und deformativ: Das Verhältnis der mythischen Semantik zu dem von ihr ›erbeuteten‹ (vgl. 252) Sinn »ist wesentlich ein Deformationsverhältnis« (268 f.; vgl. 281, 297). Dass der Mythos in seinen Operationen Sinn deformiert, liegt vor allem daran, dass das primäre sprachliche/mediale System, auf das er trifft und das er sich zueigen macht, von Entstellung unberührt ist. Die entwendete Sprache ist eine unentstellte Sprache. In diesem Modell der primären Sprache als unentstellter Sprache zeigt sich als regulative Idee eine kommunikations­ theoretische Utopie Barthes, die Utopie einer Sprache nämlich, die im Gegensatz zur ›entpolitisierten Rede‹ des Mythos (vgl. 294 ff.) »eine politische Sprache« ist (299), eine »Sprache des produktiven Menschen« 21 Formulierungen und Zitate dieser Art finden sich in dem Abschnitt »Der Mythos als entwendete Sprache« (280 ff.). Die Kursivierungen in den Zitaten sind von mir, L. J. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 525 (300): »Überall wo der Mensch spricht, um das Reale zu verändern und nicht, um es als Bild zu bewahren, überall, wo er seine Sprache mit der Herstellung der Dinge verbindet, wird […] der Mythos […] unmöglich« (300). Bei der nicht­mythischen Sprache, der Objektsprache (vgl. 299 ff.), handelt es sich – so Barthes – um eine transitive Sprache, eine Sprache die nicht von den und über die Dinge spricht, sondern, die »die Dinge spricht« (297): »Wenn ich Holzfäller bin und auf den Baum zu sprechen komme, den ich fälle, dann spreche ich den Baum – in welcher grammatischen Form auch immer – ich spreche nicht über den Baum« (299).22 Unabhängig davon, wie man nun Barthes’ negative Konnotierungen des mythischen Verfahrens und seine Utopie der transitiven Sprache ein­ schätzt, bleibt in jedem Fall festzuhalten, dass der Mythos einen Sinn wiederverarbeitet, den er vorfindet: Er ist nicht referentiell auf die Welt selbst gerichtet – »aus der ›Natur‹ der Dinge kann er nicht hervorgehen« (252) –, sondern auf semiologisches Material, das in unterschiedlichen me­ dialen Gestalten auftreten kann: »Der schriftlich Diskurs, aber auch die Photographie, der Film, die Reportage, der Sport, Schauspiele, Werbung, all das kann Träger der mythischen Rede dienen« (252). Der Mythos fin­ det also immer schon eine medial vielgestaltige erste ›Sprache‹ vor (und nicht ›die Dinge selbst‹), die er verarbeitet. Diese greift er in einer ›zweite Sprache‹ auf, in der »nicht die Dingen, sondern ihre Namen« verhandelt werden (299), »denn der Mythos kann nur auf Objekte einwirken, die bereits die Vermittlung einer ersten Sprache erfahren haben« (299 f.). »Der Mythos [ist] immer Metasprache« (297). Dass die »mythische Rede […] aus einer Materie geformt [wird], die im Hinblick auf eine entsprechende Botschaft schon bearbeitet ist« (253), dass sie sich nicht einer gleichsam direkten Bezugnahme auf die Welt verdankt, unterstellt ein semantisches Normalverfahren, das den Bezug von Zeichen auf Zeichen, von ›Sprache‹ auf ›Sprache‹ als ein abgeleitetes, gewissermaßen nicht originäres Verfahren ansieht, weil der Standardfall des Bedeutens, wie ihn die ›Objektsprache‹ bereitstellt, in der grund­ legenderen Bezugnahmeform von Zeichen auf die Wirklichkeit besteht, also in einer Weise des Bedeutens, in der die »Sprache operativ ist, mit ihrem Objekt transitiv verbunden« (299). Hierbei ist die Sprache im Umgang mit den Dingen frei: die Bedeutungen, die sie hervorbringt, sind 22 Das politische Moment dieser Utopie will ich hier nicht kommentieren, auf das epistemologische – oder, wenn man so will, das semiologische – werde ich unten zurückkommen. 526 »arbiträr« (283)23 – im Gegensatz zur ›mythischen Bedeutung‹, die »nie vollständig arbiträr« sein kann (273), weil sie kein unvermitteltes Nah­ verhältnis zu den ›Dingen‹ hat, sondern immer bei schon bestehendem Sinn ansetzen muss. III.2 DIE TRAN SK R IP TIVITÄT D ER ›P R IMÄR E S PRAC H E‹ Das ist die Grundannahme, von der Barthes ausgeht. Freilich ist eine solche Position weder epistemologisch noch zeichentheoretisch über­ zeugend. Man kann nämlich mit guten Gründen die These vertreten, dass es keine Weise des Bedeutens gibt, in der nicht bereits in der ›ersten Sprache‹ – die referentielle Bezugnahme auf die Welt der Gegenstände und Sachverhalte – verwoben ist mit und ermöglicht wird durch inferentielle Bezugnahmen von Zeichen auf Zeichen.24 Zeichen sind nicht dadurch arbiträr, dass sie bei der Bezugnahme auf Gegenstände und Sachverhal­ te der Realwelt von anderen Zeichen unabhängig wären (was sie nicht sind), sondern dadurch, dass sie ihre semantische Aufladung unabhängig von präsprachlichen Dingen oder kognitiv­mentalen Entitäten (Begriffe etc.) bewerkstelligen. Der »Sinn der Dinge« liegt nicht der Sprache »als präsemiologischer Zustand« voraus.25 Wenn die Arbitrarität der Zeichen in einer Freiheit besteht, dann ist es die Freiheit von nicht-semiologischen Bestimmungsgründen ihrer Bedeutungen (Dinge, Begriffe etc.), nicht aber die Freiheit von anderen Zeichen (was immer das sein könnte).26 Dass Zeichen (oder allgemeiner Skripturen27 unterschiedlicher medialer Pro­ venienz) auf Zeichen (bzw. Skripturen) Bezug nehmen, (und hierdurch vermittelt auf die ›Wirklichkeit‹), ist durchaus unter den ›Weisen der Bedeutung‹ der Standardfall. Ja – man muss wohl davon ausgehen, dass hierin ein grundlegender Operationsmodus der kulturellen Semantik 23 »In der Sprache ist das Zeichen bekanntlich willkürlich: nichts verpflichtet das akustische Bild Baum, auf »natürliche« Weise den Begriff Baum zu bedeu­ ten« (Barthes 1964, 108). 24 Vgl. hierzu etwa Jäger 2010a. 25 Barthes hält es für eine Eigenschaft der Poesie, dass sie danach strebt, »einen präsemiologischen Zustand der Sprache« wiederzufinden, um »nicht zum Sinn der Wörter, sondern zum Sinn der Dinge selbst zu gelangen.« (283) 26 Eben hierin scheint Barthes aber fälschlicherweise das Wesen der Arbi­ trarität zu verorten: »In einem einfachen System wie dem der Sprache [langue] kann das Signifikat nichts deformieren, weil das leere, arbiträre Signifikant ihm keinerlei Widerstand bietet« (268). 27 Zum Begriff Skriptur vgl. Jäger 2012b. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 527 besteht, die in einem viel umfassenderen Maße ›bereits bearbeitete (se­ miologische) Materie‹ wiederverarbeitet, als das Barthes anzunehmen scheint. Die kulturelle Semantik ist nicht nur in ihrer mythischen Vari­ ante, sondern in ihrer Grundverfassung durch Verfahren der Bezugnahme von Zeichen auf Zeichen, d. h. durch transkriptive 28 Verfahren geprägt. Kultureller Sinn (Semantik) kann prinzipiell nur da entstehen, wo Medien bzw. Symbolsysteme entweder auf sich selbst oder auf andere Bezug neh­ men und transkribierend auf das multimediale Universum vergangener oder gegenwärtiger Kommunikate zurückgreifen. Alle Stillstellungs­ Artefakte – Redeausschnitte, Bilder, Texte, Partituren und Skulpturen, Speicherungen jedweder Art – dürfen verstanden werden als Adressen möglicher Bezugnahmen in den Diskurswelten rezenter Kulturen oder den Archiven des kulturellen Gedächtnisses. Sie fungieren – mit Burke zu reden – als das ›Baumaterial der kulturellen Konstruktion‹29, auf das die Transkription zugreift, ein Material, das immer bereits medialen Status hat, also eine ›bereits bearbeitete Materie‹ (vgl. 253) darstellt. Transkriptive Bezugnahme von Skripturen auf Skripturen stellt also grundsätzlich – und nicht nur im Falle des mythischen Verfahrens – eine der wesentlichen Quellen kultureller Semantik dar, ein Verfahren, in dem, in der remediatisierenden Rückwendung eines symbolischen Systems auf sich selbst oder auf andere mediale Systeme, Skripturen aus ihren vorgängigen diskursiven Zirkulations­ und Gebrauchsbedingungen ge­ löst und zur Bearbeitung bzw. Wiedereinfädelung in den semantischen Haushalt unter neuen Rahmenbedingungen vorübergehend stillgestellt und als stillgestellte de- und rekontextualisiert werden. In die Konstitu­ tion von Sinn ist also immer eine mediale Bewegung30 eingeschrieben, in deren Vollzug sich Medien in einer rekursiven Geste auf sich selbst oder auf andere Medien, d. h. auf die Spuren vergangener Mediationen beziehen. Nur wenn man – wie Barthes das tut – ›Weisen des Bedeu­ tens‹ privilegiert und für allein authentisch hält, in denen ›Objekte‹ nicht ›schon die Vermittlung einer ersten Sprache‹ erfahren haben, lässt sich das mythische Verfahren hinsichtlich seiner transkriptiven Natur als eine ›Deformierung‹ interpretieren. Nur dann kann man auch in dem Umstand, dass der Mythos »nur auf Objekte einwirken [kann], die bereits die Vermittlung durch eine Sprache erfahren haben« (300), eine 28 Vgl. hierzu etwa Jäger 2012b. 29 Vgl. Burke 2005, 145. 30 Vgl. hierzu etwa Jäger 2012a. 528 seiner wesentlichen Eigentümlichkeit sehen, obgleich diese Bestimmung tatsächlich nicht erst für die ›Metasprache‹ des Mythos, sondern bereits für die ›Objektsprachen‹ gilt, die sich der Mythos aneignet. IV. DAS ›S EM IO L O G ISCH E SCH EMA‹ D ES M YT H O S Barthes’ Versuch, bei der Entfaltung seines Mythos­Begriffes auf Saussures Semiologie 31 zurückzugreifen, ist grundlegend und fruchtbar, freilich in verschiedener Hinsicht auch problematisch. Zunächst legt Barthes mit Recht einen Zeichenbegriff zugrunde, der hinsichtlich der Konstituenten des Zeichens nicht binär, sondern ternär konzipiert ist.32 Das Zeichen ist eine Beziehung zwischen drei und nicht zwischen ›zwei Termen‹: »Es gibt also den Signifikanten, das Signifikat und das Zeichen, das die assoziative Gesamtheit der ersten beiden Terme« darstellt und als eigenständiges Moment beachtet werden muss (256). Die ›engen funktionalen Implika­ tionen‹ zwischen diesen drei Zeichen­Konstituenten sind auch ›für die Untersuchung des Mythos als semiologisches Schema unerlässlich‹ (vgl. 256 f.), und zwar deshalb, weil sich das dreidimensionale Schema im Mythos wiederfindet. Es tritt hier freilich in einer erweiterten Form auf: Der Mythos ist nämlich insofern ein besonderes semiologisches System, als er – wie sich bereits oben gezeigt hat – »auf einer semiologischen Kette aufbaut, die schon vor ihm existiert«. Er ist »ein sekundäres semiologisches System« (258), das auf ein erstes System, auf die Sprache (im medial erwei­ terten Sinne des Begriffs) zugreift, wobei für Barthes dieser Zugriff mit einer Reduktion des ersten Systems verbunden ist: Die Zeichen-Ganzheiten aus Signifikant und Signifikat der ›ersten Sprache‹ werden in der zweiten, der ›mythischen Rede‹ zu einfachen Signifikanten, oder anders – der My­ thos transformiert die (ganzen) Zeichen des ersten Systems in bloße Sig­ nifikanten, die er für seine eigenen Semantisierungsintentionen nutzen kann (vgl. 258). Im Signifikanten des mythischen Zeichens überlappen sich also für Barthes das (ganze) Zeichen des ersten und die Ausdrucksseite des zweiten Systems: Der mythische Signifikant enthält das ›Gesamtzeichen‹ (258) der ersten ›semiologischen Kette‹, das zugleich als »abschließenden Term« des (primären) sprachlichen Systems und als »Ausgangsterm des 31 Vgl. hierzu etwa Jäger 2010b, 134–163. 32 Vgl. zur ternären Struktur des Saussureschen Zeichenbegriffs vgl. auch Jäger 1978, hier 25 ff.; ebenso Jäger 2008, hier 54 ff. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 529 mythischen Systems« fungiert (159). Beide Überlappungsmomente nennt Barthes einmal – mit Blick auf das erste System – Sinn (abschließender Term) und bezüglich des zweiten Systems Form (Ausgangsterm). Das semiologische Schema des Mythos greift auf den Sinn des sprachlichen Zeichens zu und verwandelt ihn in »eine leere parasitäre Form« (262), die neu semantisiert werden muß, weil sie als ›leere‹, ›verarmte‹ Form »nach einer Bedeutung [verlangt], die sie ausfüllt« (263). In gewissem Sinne lässt sich das mythische Verfahren im theoretischen und terminologi­ schen Rahmen der Bartheschen Überlegungen als ein Sinn-Form-Transfer beschreiben, als eine Entleerung des Sinns, der aus der Semantik des ers­ ten, des sprachlichen Systems in das semiologische System des Mythos herüberreicht, aber nur als eine leere Form überlebt, die neu mit einer mythischen Semantik aufgefüllt werden kann und muß. Beim »Übergang vom Sinn zur Form« (264) verdrängt der Signifikant des mythischen Zeichens zunächst das Wissen, den »Vorrat von Geschichte« (263), den die alte Semantik des ersten Systems als Sinn bereitgestellt hatte und der nun nur noch ein ›zurückgedrängter Reichtum‹ ist (vgl. 263), um das neue Wissen des mythischen Begriffs/Signifikats aufzunehmen (vgl. 264). Der alte Sinn des ersten Systems ›verarmt‹ und wird ›entfernt‹ (vgl. 262 f.), indem er durch den ›mythischen Begriff‹ (vgl. 265) überschrieben wird. Wir haben es hier also mit einer »anomalen Regression von Sinn zur Form, vom sprachlichen33 Zeichen zum mythischen Signifikaten zu tun« (262). Gleichwohl bleibt unter dem neuen mythischen Wissen das alte sprachliche Wissen gleichsam palimpsestartig erhalten: Die entleerte Form des mythischen Zeichens löscht den überschriebenen Sinn nicht wirklich vollständig aus: »sie läßt ihn verarmen, drängt ihn zurück, hält ihn sich zur Verfügung. Man glaubt, der Sinn werde sterben, aber es ist ein aufgeschobener Tod; der Sinn verliert seinen Wert, bleibt jedoch am Leben, und die Form des Mythos wird von ihm zehren.« (263; vgl auch 282). Aus diesem Grund ist er auch der ›semiologischen Demontage‹ des Mythologen prinzipiell zugänglich. Deshalb kann er ›ideologiekritisch‹ freigelegt, ›entziffert‹ (vgl. 265, 266) werden. Es ist dieses »Versteckspiel von Sinn und Form«, das für Barthes »den Mythos ausmacht« (263), und der Mythologe ist es, der es aufdeckt. 33 Der Übersetzer den neuen Ausgabe der Mythen des Alltags übersetzt linguistique durchgängig mit ›linguistisch‹, also auch signe linguistique als ›linguisti­ sches Zeichen‹; gemeint ist aber offensichtlich ›sprachliches Zeichen‹. Ich habe die Übersetzung deshalb hier entsprechend korrigiert. 530 V. TRANS KRIP T IVITÄT ALS PAR AD IG MA D ES S EMI O L O GI S C H EN Der Kerngedanken der Mythos­Theorie Barthes’ besteht also, wie sich bislang gezeigt hat, in der Annahme, dass der Mythos als semiologisches Schema bei der Entfaltung seiner semantischen Macht als ein Meta­ Zeichensystem operiert, das sich eines ›objektsprachlichen‹ ersten Zei­ chensystems bedient und dessen Zeichen als Signifikanten seiner eigenen Bedeutungsproduktion heranzieht. Es ist – so Barthes – »die wichtigste Eigentümlichkeit« des Mythos, dass seine Signifikanten ›bereits aus Zeichen der Sprache bestehen‹ (261). Aber gerade hier entsteht auch, wie sich bereits in Abschnitt III.1 angekündigt hat, ein grundsätzliches Problem der Bartheschen Bestimmung des Mythos. Denn der Umstand, dass es die mythischen Semantisierungsprozesse nicht direkt mit prä­ semiologischen Dingen und Sachverhalten, sondern immer schon mit Zeichen zu tun haben, ist keine Eigentümlichkeit des Mythos, sondern eine der kulturellen Semantik überhaupt – eine Eigentümlichkeit, durch die bereits das ›erste‹ semiologische System, das der Sprache, bestimmt ist, das sich auch nur dadurch auf Gegenstände und Sachverhalte einer trans­semiologischen Welt beziehen kann, dass es sich systemintern auf andere Zeichen zu beziehen vermag. Es gibt in der kulturellen Semantik keine ›Objekt­Meta­Differenz‹ zwischen Zeichensystemen derart, dass die Bezugnahme von Zeichen auf Zeichen sich notwendigerweise als die eines Metasystem auf die Zeichen eines primären Systems vollzöge. Diese Zeichen­Zeichen­Bezugnahme hat ihren Ort nicht erst zwischen verschiedenen Zeichensystemen, sondern bereits innerhalb desselben Zei­ chensystems. Wie auch immer man den Mythos theoretisch bestimmt, seine Differentia specifica wird nicht darin bestehen können, dass er als »eine zweite Sprache [operiert], in der man von der ersten spricht« (259), weil es – wie sich bereits gezeigt hat – eine grundlegenden Eigenschaft von semiologischen Systemen allgemein ist, dass sie sich, mit oder ohne Inanspruchnahme einer Meta­Instanz, auf sich selber zurückwenden und ›von sich selber sprechen‹ können. Das Vermögen, sich rekursiv auf sich selbst (oder auf andere Systeme) zu beziehen, ist eine (transkriptive) Grundeigenschaft sprachlicher und anderer semiologischer Systeme. Die Fragilität von Zeichenbedeutungen macht es unabdingbar notwendig, dass es jederzeit möglich ist, im Zuge der Verwendung von Zeichen diese aus dem Zeichenfluss herauszugreifen, sie gleichsam stillzustellen und sie im Hinblick auf ihre Semantik verhandelbar zu machen. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 531 Der von Barthes am Mythos beschriebene Prozess der ›Leerung‹ und ›Wiederauffüllung‹ von Bedeutung kennzeichnet latent jede Prozessie­ rung von Zeichen. Jede Verwendung eines (sprachlichen) Zeichens ist in gewissem Sinne eine Operation der Resemantisierung dieses Zeichens. Freilich wird das Moment der Resemantisierung – oder, wie man auch sagen könnte, der Transkription – nicht notwendigerweise sichtbar, weil es angesiedelt ist auf einer Skala, die von der Iteration im Modus der Vertrautheit bis zur Fokussierung und Stillstellung des Zeichens im Modus der Störung 34 und der transkriptiven Nachbearbeitung reicht.35 Solange die Semantik der Zeichen für die Diskursbeteiligten evident (ungestört) bleibt, wird ihre Fragilität nicht sichtbar und es besteht kein Anlass für offene transkriptive Bearbeitungen.36 Gleichwohl ist jeder Zeichengebrauch eine virtuelle semantische Verschiebung. Saussure spricht insofern zu Recht davon, dass jede Zeichenverwendung eine Reeditierung darstelle.37 Zeichenverwendungen sind deshalb grundsätzlich bis zu einem gewissen Grade ›sinnentleerende‹ Passagen von ›Sinn zur Form‹ (vgl. 262 ff.) sowie Resemantisierungen der Form. Dies ist nicht zwingenderweise ein Prozess zwischen zwei semiologischen Systemen, von denen eines die Objekt­ und das zweite die Metasprache darstellt (wenn es natürlich auch diese intermediale Variante gibt). Vielmehr haben wir hier das transkriptive ›Kerngeschäft‹ semiologischer Opera­ tivität vor uns, das bereits auf der Stufe der Zeichenverwendung in der ›ersten Sprache‹ die Passage von ›Sinn‹ zu ›Form‹ und wieder zu ›Sinn‹ innerhalb desselben Systems organisiert. Diese Passage lässt sich als ein Type-Token-Type-Prozess beschreiben, in dem jede Verwendung eines Zeichen­Tokens den Zeichen­Type, den es realisiert, durch die Realisierung virtuell verändert. Jede Verwendung eines Zeichenvorkommnisses (Token) läßt sich prinzipiell verstehen als die Aufhebung und Wieder­Initialisierung der Identität eines Zeichen­ typs, als eine ›Wiederschreibung‹ (Transkription) von Type1 als Type2 im Zuge seines Gebrauchs als Token, wobei in der Regel Type1 und Type2 nur unmerklich gegeneinander verschoben sind. Die Transkription wird als Identitätsverschiebung, also etwa als Veränderung der Bedeutung, nur 34 Vgl. Jäger 2004. 35 Vgl. Jäger 2012b. 36 Vgl. Jäger 2015. 37 Für Saussure ist der »Gegenstand, der als Zeichen dient, (…) nie zweimal ›der gleiche‹«; selbst im Zeitraum von 24 Stunden wird »jedes Element […] Tausende von Malen neu editiert [réédité]« (vgl. Saussure 1997, 303). 532 dann bemerkbar, wenn im Prozeß der Kommunikation eine ›Störung‹ auftritt, die nach transkriptiven Bearbeitungen verlangt. Saussure hat diesen semiologischen Prozess in seinen zeichentheo­ retischen Notes so beschrieben, dass jede Verwendung eines Zeichenvor­ kommnisses, eines Aposèmes, als die Überführung eines Parasèmes, dessen Realisierung es ist, in eine zweite Version dieses Parasèmes verstanden werden muß. Unter Parasème versteht Saussure dabei das Zeichen (sème), sofern es »zu einem selben psychologischen Zeichensystem« gehört,38 also das Zeichen in seiner psychischen Netzwerkeigenschaft im Gedächtnis eines Sprechers. Das Aposème ist die materiell im Diskurs erscheinende »Hülle des Zeichens«,39 die vom Verstehenden wieder in eigenen Para­ sèmien verortet werden muß. Parasème sind also immer Types, während Aposème immer Tokens sind. Das von Barthes als das Spezifische der ›mythischen Rede‹ heraus­ gearbeitet Verfahren der semantischen Entleerung eines ersten Systems durch ein zweites, resemantisierendes System, läßt sich also als ein für Semiologien generell paradigmatischer Prozess verstehen. Jede Zeichen­ verwendung ist durch eine Mikropassage bestimmt, in deren Verlauf ein Parasème1 als Aposème geäußert und als Parasème2 ›reeditiert‹ wird, wobei das Aposème dem (zeitlos­unausgedehnten psychischen Zeichen, also dem Sème/Parasème) vor seinem Wiedereintritt in diesen Zustand durch temporäre Stillstellung40 jenes Moment der Dauer, des materiellen (akustischen, graphematischen oder sonstigen) Erscheinens verleiht, die für hermeneutische und autohermeneutische Operationen unabdingbar ist; zugleich stellen die in diesen Verlauf involvierten Parasème1 und 2 Replikas desselben Parasèmes dar. Jeder Prozess des Verstehens durch­ läuft eine solche Mikropassage. Das aposèmische Moment der Dauer, das in semiologischen Systemen verschiedene (mediale) Formen annehmen kann (Erwähnung, Zitat, Paraphrase, anaphorische Kette, Schrift, etc.), das sich aber auch in nicht­semiologischen kulturellen Artefakten (z. B. Morphomen)41 zeigt, ist eine Bedingung sine qua non für die Prozessierung und Konstitution kultureller Semantiken. Semantik operiert prinzipiell 38 Saussure 1997, 361. 39 Saussure 1997, 359. 40 Man könnte auch sagen, der Aposemisierung: Saussure definiert nämlich das Aposème als ein »von einem Zeichen abgeleitetes und abstrahiertes Ding oder Ding, das seiner Bedeutung oder von Bedeutung entledigt ist« (Saussure 1997, 359). 41 Vgl. zum Morphombegriff Blamberger/Boschung 2011. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 533 rekursiv, durch Rückwendung und Wiederverarbeitung und sie ist inso­ fern auf stillgestellte Zeichenfiguren und kulturelle Artefakte angewiesen, an denen der Wiederverarbeitungsprozess ansetzen kann. Morphome etwa sind insofern geradezu klassische Stillstellungen dieses Typs, wobei die für semiologische Systeme charakteristische Mikropassage von Parasemie1 zu Parasemie2 zu einer Makropassage werden kann, die entweder zeitlich sehr weit auseinandertritt 42 oder so verläuft, das das Morphom/Aposème für lange Zeit nicht – oder überhaupt nicht – in eine zweite (wiederanei­ gende) Parasemie mündet, also etwa in Archiven, Museen oder in Bibliotheken etc. endet und unsichtbar wird (aber prinzipiell jederzeit wieder herausgegriffen und resemantisiert werden kann). Nicht nur der Mythos ist also »eine entwendete und zurückgegebene Rede« (273, vgl. 280 ff.), sondern jede Passage (Äußerung) eines Aposèmes ist in gewissem Sinne der ›Diebstahl‹ eines Parasèmes1 und seine ›Zurückgabe‹ als Parasème2. Dass »die zurückgegebene Rede nicht mehr ganz die gestohlene [ist]« (273), heißt dann nur, dass im Zuge der Zeichenperformanz, der Äußerung eines Aposèmes, die Passage von Parasème 1 zu Parasème2 stattgefunden hat als eine Transkription von Parasème1 als Parasème2. Im Zeichengebrauch wird ein geäußerter Zeichen­Type 1 als verstandener Zeichen­Type 2 wie­ dergeschrieben, wobei beide Types Replikas voneinander sind. Die Tran­ skription kann dabei nahezu unmerklich sein, weil die Identität der beiden Zeichen­Types erhalten bleibt – in diesem Falle sind Zeichen transparent – oder sie kann eine Störung durchlaufen und so zu einer semantischen Verschiebung von des zweiten Types in seinem Verhältnis zum ersten führen: In Fällen wie diesem haben wir es dann mit einer Readressierungen oder einem Reframing, kurz mit einer Transkription zu tun. VI. DAS MY T H ISCH E T EL O S: SEMAN TISC H E EVI D EN Z VERDAUERN Im Zuge unserer bisherigen Überlegungen hat sich gezeigt, dass für Barthes’ Versuch, die Spezifik der ›mythischen Rede‹ aus dem Umstand abzuleiten, dass der Mythos »ein sekundäres semiologisches System [ist]«, dass »er auf einer semiologischen Kette aufbaut, die schon vor ihm existiert« (258), nicht überzeugend argumentiert werden kann: Dass Zeichen auf Zeichen Bezug nehmen, dass sie immer wieder auf semiologische Ketten aufbauen, die schon existieren, muß als ein allgemeines Bestimmungsmoment von 42 Vgl. hierzu etwa Boschung/Jäger 2014. 534 semiologischen Systemen angesehen werden. Es kann nicht den Mythos als besonderes System auszeichnen. Die für Barthes zentrale Unterscheidung von (transkriptionsfreier) ›transitiver Objektsprache‹ und (transkriptiver) mythischer ›Metasprache‹ ist – wie sich gezeigt hat – sowohl in epistemo­ logischer, als auch in zeichentheoretischer Hinsicht nicht durchführbar. Freilich führt Barthes ein zweites, zeichentheoretisch reformulierbares, theoretisches Moment zur Bestimmung der ›mythischen Rede‹ ins Feld, das als ein besserer Kandidat ihrer ›Auszeichnung‹ als besonderes semio­ logisches System geeignet sein könnte: Der Mythos ist nämlich für Barthes nicht nur eine Wiederverarbeitungsmaschine, sondern zugleich auch eine ›Naturalisierungsmaschine‹. Es ist für ihn eine zentrale Leistung des Mythos, dass er Begriffe ›naturalisiert‹ (vgl. 278). Mit diesem Bestimmungsmoment sind wir, wie Barthes formuliert, »beim eigentlichen Prinzip des Mythos« angelangt: »Er verwandelt Geschichte in Natur« (278; vgl. ebenso 9, 11, 214, 227, 306), und zwar dadurch, dass er in »der dekorativen Darstellungen des Selbstverständlichen« »falsche Evidenzen« (11) erzeugt: »Deshalb wird der Mythos als unschuldige Rede erlebt: nicht weil seine Absichten verborgen wären […], sondern weil sie zur Natur geworden sind« (280). Wie oben bereits erörtert wurde, verwandelt sich – folgt man Barthes – das Foto des in französischer Uniform ›salutierenden Negers‹ für den Mythos­Leser in »die Präsenz der französischen Imperialität« (276): »alles geschieht so, als riefe das Bild ganz natürlich den Begriff hervor, als fundierte der Signifikant das Signifikat« (278). Die zweite wesentliche Funktion des Mythos besteht also in seiner »beeindruckenden Kraft« (278), darin, dass er bei dem Leser ›einen sofortigen Effekt‹ auslöst (vgl. 279). Er transformiert ›die Beziehung von Signifikant und Signifikat in ein natürliches Verhältnis‹ (vgl. 280) und inszeniert so eine »Naturalisierung des Begriffs« (279). In der Tat scheint es nun so, als ließe sich mit dieser Bartheschen Bestimmung ein – wie sich noch zeigen wird – semiologisch rekon­ struierbares, für den Mythos konstitutives Moment freilegen. Es ist die Naturalisierung seine Begriffe, durch die der Mythos Geschichte in Natur, Arbitrarität in Motiviertheit, Transitivität in Präsenz verwandelt und so eine ›Mystifikation‹ erzeugt, »die die kleinbürgerliche Kultur in universelle Natur verwandelt« (9). Sie bewirkt durch die Generierung ›falscher Evidenzen‹ (vgl. 11) das, was man mit einem Terminus Jürgen Links eine kulturelle ›Normalisierung‹43 der mythischen Verfasstheit des französischen Alltagslebens nennen könnte: »Ganz Frankreich ist in 43 Vgl. zum Begriff der Normalisierung Link 52013. J Ä GE R : MYT H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 535 diese anonyme Ideologie eingetaucht: Unsere Presse, unser Film, unser Theater, unsere Gebrauchsliteratur, unsere Zeremonien, unsere Justiz, unsere Diplomatie […] die Hochzeit, die uns bewegt, die Küche, von der wir träumen, die Kleidung, die wir tragen, alles in unserem Alltagsleben ist davon abhängig, wie die Bourgeoisie die Beziehung zwischen dem Menschen und der Welt sich vorstellt und uns darstellt« (292). Versucht man die Idee der ›Naturalisierung von Begriffen‹ zeichen­ und medientheoretisch zu reformulieren, so ließe sie sich verstehen als Ausdruck eines Telos, das dem Mythos Barthesscher Provenienz inhärent zu sein scheint, des Telos nämlich, die ständige, für die Medien und Se­ miologien der kulturellen Kommunikation charakteristische Oszillation zwischen ›stillem‹ und ›explizitem Wissen‹, zwischen ›Vertrautheit‹ und ›Relevanz‹, zwischen ›Transparenz‹ und ›Störung‹, stillzustellen und den Zustand von Implizitheit, habitueller Vertrautheit und Zeichentransparenz zu verdauern.44 Wenn man die Transparenz (habituelle Vertrautheit) von Zeichen/Medien als einen Aggregatzustand der Kommunikation versteht, den das Zeichen/Medium annimmt, wenn die mediatisierte Semantik als stilles Wissen kommunikativ nicht irritiert ist, wenn sie in ihrer seman­ tischen Evidenz problemlose Geltung hat und unter Störung (Relevanz) einen kommunikativen Aggregatzustand, in dem das Zeichen/Medium als solches sichtbar und damit resemantisierbar zu werden vermag, so bestün­ de der Prozess der Naturalisierung der Begriffe darin, die Semantisierungen des Mythos kommunikativen Störungen und Resemantisierungen zu entziehen und Phasen semantischer Evidenz und kultureller Vertrautheit auf Dauer zu stellen, sie zu arretieren (vgl. 272). Der »Entzug der Ge­ schichte« (306) bestünde dann in einem Entzug semantischer Offenheit, im Verbergen der für kulturelle Semantiken konstitutiven Fragilität. Der ›aufgeschobene Tod‹ des Sinns (vgl. 263) würde eintreten. Wie bereits oben deutlich geworden ist, bestimmt sich dann auch von hier die Aufgabe des Mythologen: Sie besteht in der Sichtbarmachung semantischer Fragilität, in der Irritation der vom mythischen Telos auf Dauer gestellten Ansprüche semantischer Evidenz und Transparenz, in der semiologische Demontage und Entzifferung des Mythos. Als ein solcher Demontageversuch lassen sich Barthes Mythologien lesen. Seine ›Portraits‹ der kleinbürgerlichen Alltagswelt lassen an der Oberfläche der portraitierten ›Antlitze der Zeit‹ sichtbar werden, was sich hinter ihrer Natürlichkeit verbergen will. 44 Vgl. hierzu Jäger 2004. 536 LITERATUR VERZEICH NIS Barthes 1989 Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photo­ graphie. Aus dem Französischen von Dietrich Leube. Frankfurt a. M. 1989. Barthes 3 2015 Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Aus dem Französischen von Horst Brühmann. Frankfurt a. M. 32015. Blamberger/Boschung 2011 Blamberger, Günter / Boschung, Dietrich (Hrsg.): Morphomata. Kulturelle Figurationen: Genese, Dynamik und Medialität. München 2011. Burke 2005 Burke, Peter: Was ist Kulturgeschichte. Frankfurt a. M. 2005. Boschung/Jäger 2014 Boschung, Dietrich / Jäger, Ludwig (Hrsg.): Formkon­ stanz und Bedeutungswandel. München 2014. Jäger 1978 Jäger, Ludwig: F. de Saussures semiologische Begründung der Sprachtheorie. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 6/1 (1978), 18–30. Jäger 2004 Jäger, Ludwig: Störung und Transparenz. Skizze zur performa­ tiven Logik des Medialen. In: Sybille Krämer (Hrsg.): Performativität und Medialität. München 2004, 35–74. Jäger 2008 Ludwig, Jäger (2008): Aposème und Parasème – Das Spiel der Zeichen. Saussures semiologische Skizzen in den ›Notes‹. In: Zeitschrift für Semiotik 30/1–2 (2008). Themenheft: Medialität und Sozialität sprachlicher Zeichen. Hrsg. von Jan Georg Schneider, 49–71. Jäger 2010a Jäger, Ludwig: Intermedialität – Intramedialität – Transkrip­ tivität. Überlegungen zu einigen Prinzipien der kulturellen Semiosis. In: Arnulf Deppermann, Angelika Linke (Hrsg.): Sprache intermedial: Stimme und Schrift – Bild und Ton. Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2009. Berlin, New York 2010, 301–324. Jäger 2010b Jäger, Ludwig: Ferdinand de Saussure. Zur Einführung. Hamburg 2010b. Jäger 2012a Jäger, Ludwig: Bezugnahmepraktiken. Skizze zur operativen Logik der Mediensemantik. In: Ludwig Jäger, Gisela Fehrmann, Meike Adam (Hrsg.): Medienbewegungen. Praktiken der Bezugnahme. München 2012, 13–41. Jäger 2012b Jäger, Ludwig: Transkription. In: Christina Bartz u. a. (Hrsg.): Handbuch der Mediologie. Signaturen des Medialen. München 2012, 306–315. Jäger 2015 Jäger, Ludwig: Semantische Evidenz, Evidenzverfahren in der kulturellen Semantik. In: Helmut Lethen, Ludwig Jäger, Albrecht Koschorke (Hrsg.): Auf die Wirklichkeit zeigen. Zum Problem der Evidenz in den Kulturwissenschaften. Ein Reader. Frankfurt a. M. 2015, 39–62. Link 5 2013 Link, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Göttingen 52013. von Matt 1983 von Matt, Peter: »… fertig ist das Angesicht«. Zur Literatur­ geschichte des menschlichen Gesichts. München 1983. J Ä GE R : MY T H O L O GI SCH E ›P O R T R A I T S‹ 537 Sander 1929 Sander, August: Antlitz der Zeit. Sechzig Aufnahmen deutscher Menschen des 20. Jahrhunderts. Mit einer Einleitung von Alfred Döblin. München 1929. Saussure 1997 de Saussure, Ferdinand: Linguistik und Semiologie. Notizen aus dem Nachlaß. Texte, Briefe und Dokumente. Gesammelt, übersetzt und eingeleitet von Johannes Fehr. Frankfurt a. M. 1997. IV. ANTHROPOLOGIE UND KULTUR ALAIN S C HNAPP DIE DARSTELLUNG DER RUINEN IN DER VORISLAMISCHEN WELT BEI ADĪ IBN ZAYD: EINE LANDSCHAFT MIT BEKANNTEN GESICHTERN Das Nachdenken über die Vergeblichkeit menschlichen Handelns und die Zerbrechlichkeit seiner Spuren wird in allen Kulturen häufig thema­ tisiert. Es ergreift den Dichter, der vor der gähnenden Leere der Ruinen steht. Dieses dichterische Motiv findet zum ersten Mal in der Überliefe­ rung des alten Ägypten zur Ramessidenzeit seinen Ausdruck,1 aber das Thema ist auch in anderer Form in den sumerischen Klagen über die Zerstörung von Ur gegenwärtig, und natürlich auch in den Psalmen.2 Das Thema des ubi sunt qui ante nos fuere ist in der griechisch­römischen Welt präsent, und Carl Heinrich Becker hat seine besondere Bedeutung in der Überlieferung der griechischen Patristik herausgestellt,3 etwa bei Cyrillus Alexandrinus und im Syrischen bei Ephraem Syrus.4 Das Wirken der Menschen ist der Zerstörung und dem Vergessen anheim gegeben und allein der Dichter ist befähigt, die Erinnerung an die Ver­ gangenheit zu bewahren. Er ist die herausragende Figur im Nachdenken über die Leere: 1 Assmann 1991, 173 ff.; bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Aus­ schnitt eines Buchs über die Geschichte der Ruinen, das 2018 erscheinen wird. 2 Psalm 74, die Klage nach der Zerstörung des Tempels; zur literarischen Ge­ schichte des Themas s. Morreale 1975. 3 Becker 1924–1932, Bd. 1, 501–519; s. auch Sperl 1989, 73, der den Begriff der Zuhdiyya, der Poesie des Verzichts, kommentiert. 4 Becker 1924–1932, Bd. 1, 506–507. 542 Wo Wo Wo Wo ist die Welt, wo sind die Güter, wo der Edelmut? sind die Dynastien und die Tyrannen? ist denn nur der König, wo der Archont, wo der Führer? ist die Weisheit der Weisen? 5 Ephraem Syrus geht zweifellos noch weiter, wenn er dichtet: Gehe und betrachte die Städte oder den Weisen, was befallen hat die schöne Pracht ihrer Ordnungen. Wo sind die Könige, welche die ganze Welt besassen und sammelten und ihre Schatzhäuser mit allen Schätzen füllten? […] Sprich zur Erde und sie wird dir zeigen, wo sie sind, und frage die Unterwelt, und sie wird dir offenbarenen, wo sie gesetzt sind. Siehe, sie sind alle zusammen in die Erde geworfen, und sie sind Staub, und der Staub der Reichen ist nicht getrennt vom Staub der Armen.6 DAS VORIS L AMISCH E UBI SUNT Ein Widerhall dieser Überlieferung ist in zwei in archaischem Arabisch verfassten Gedichten auf uns gekommen. Im Vorderen Orient des 6. Jh.s n. Chr., an der Schwelle des Übergangs vom byzantinischen zum sassanidischen Reich, ist das kleine Königreich der Lahmiden im Süden des heutigen Irak mit ihrer Hauptstadt al-Hīra dem sassanidischen Hof von Ktesiphon unterworfen, doch ein guter Teil seiner Bevölkerung ist christlich. Seine geographische Lage macht aus diesem Königreich einen Knotenpunkt der kulturellen und religiösen Verbindugen, die zur Entstehung einer vorislamischen arabischen Kultur geführt haben. Das Werk eines der wichtigsten Dichter dieser Schule, des ῾Adī Ibn Zayd, ist uns nur in sehr fragmentarischer Form überliefert. Sein Inhalt und sein Stil haben jedoch ein so gerechtfertigtes Interesse erweckt, dass Mario Praz, einer der besten Kenner der vergleichenden Ruinen­Wissenschaft, in ihm einen Vorläufer der modernen Ruinenliteratur sah.7 ῾Adī war ein Gelehrter, aber in dem kleinen Königreich bekleidete er auch hohe politi­ sche Ämter und machte die Erfahrung von Degradierung und Gefängnis. 5 Cyrillus Alexandrinus PG 77, Sp. 1077. 6 Ephraem Syrus, Opera omnia III, 309 (Übers. Becker). 7 Praz 1983, Bd. 2, 178–182. SCH NA PP: E INE LA ND SCH A FT MIT BE K A N N T E N GE SI CH T E R N 543 Eine seiner qasā῾id (das ist der Plural von quasiīda, die Ode) ist ein fast wörtliches Zitat der Verse der Kirchenväter: das ungestüme Schicksal erhebt sich, biete ihm die Stirn: betrachte es nicht als unausweichlich, frage die Menschen, wo die Gefolgsleute des Qubays (ein lahmidischer Fürst) geblieben sind; schon vor ihnen hat das Schicksal Sāpūr (der berühmte sassanidische Kaiser des 3. Jh.s v. Chr.) vernichtet. Er hatte als König und Führer des Heeres gelebt; die Löwen hatten Furcht vor ihm, wenn er brüllte. Und der Tod überwältigte ihn, und es starb der, der lange in seinem Königreich zu leben gehofft hatte. Manchmal schläft ein Mann gesund ein und stirbt, obwohl er doch entspannt und freudvoll schlief. Ich sehe niemanden, der sich dem Lauf des Todes widersetzen kann, des Todes, der Reich und Arm vernichtet.8 ῾Adī greift hier also eine den christlichen Autoren wohlbekannte Thema­ tik auf, aber er gibt ihr einen historischen Rahmen, um den Sassaniden und den Lahmiden einen besonderen Platz einzuräumen. Das Motiv der Hinfälligkeit des Menschen und der sich daraus ergebenden Rolle des Dichters bei der Bewahrung der dauerhaften Spur der Fürsten und Heroen, der Erinnerung, steht im Mittelpunkt dieses poetischen Versuchs der Be­ wältigung der Vergangenheit. Das Thema der entglittenen Vergangenheit ist zwar in der vorislamischen arabischen Dichtung durchaus vorhanden, doch keiner der Zeitgenossen ῾Adīs hat sich mit derselben Leidenschaft der Beschreibung der Vergänglichkeit des Lebens der Menschen sowie dem Verfall ihrer Vohaben und ihrer Bauten gewidmet. Wie Gabrieli zutreffend erkannt hat, liegt der Vorteil des Dichters in seiner genauen Kenntnis der Geschichte und der Legenden der arabisch­iranischen Welt des Irak und der syrisch­mesopotamischen Ebene.9 Seine Helden sind Männer, die bisher ein wenig am Rande der grossen Geschichte gestanden hatten, wie der berühmte Chosroës oder die Herrscher der Stadt al-Hīra oder gar der Stadt al­Hadr (Hatra), die im Jahre 241 n. Chr. von dem sassanidischen König Sāpūr vollständig zerstört worden war. Das folgende Gedicht ist Al­N῾umān I. (390–418 n. Chr.), dem König von al-Hīra, gewidmet: 8 Ich folge hier der italienischen Übersetzung von Franco Gabrieli, »Adi ibn Zaid, il poeta di al Hirah«, Rendiconti Accademia dei Lincei, S VIII, fasc. 3–4 III, 1948, S. 90. 9 Ebd., 91. 544 Der du voll Schadenfreude (deinem Nächsten) sein Schicksal vor­ wirfst – bist du (vom Schicksal) frei und unerreicht? Hast du einen festen Vertrag über die Dauer deiner Tage, oder bist du (nur) ein Unwissender, ein Getäuschter? Wen kennst du, der ewig gelebt hätte, und wer wäre sicher, dass nicht sein Beschützer zur Schande würde? Wo ist Kosra, der Kosra der Könige, Abu Sasan (meist Anuschirwān) oder wo vor ihm Schaper? (Und wo sind) die Banū῾l­Asfar, die Freigebigen, die Fürsten des Romäerlandes? Keine Erinnerung ist an sie geblieben. Und wo ist jetzt der Mann von Hadr, der es doch einst erbaute und das Land am Tigris und am Chaboras besteuerte? Er baute ein Marmorschloss, mit Gips überzogen, in dessen Gipfeln die Vögel nisteten. Nicht fürchtete er das Unglücksgeschick, und doch ging ihm die Herrschaft verloren und vereinsamte seine Pforte. Denke nach über den Herrn des Chawarnaq, wie er einst hinabschau­ te – die (göttliche) Leitung öffnet ja den Blick (des Geistes). Ihn erfreute sein Zustand, die Grösse seiner Herrschaft, das Meer, welches sich dahinzog und Sadīr (ein Schloss). Da aber erschrak plötzlich sein Herz, und er sprach: ›Was für eine Lust hat denn ein Lebender, der doch dem Tode zugeht?‹ Denn nach dem Glück, der Herrschaft und dem Wohlsein haben die Gräber sie dort verhüllt. Und sie werden wie trockene Blätter, die im Wind des Ostens und des Westens verwehen.10 Der Dichter folgt dem klassischen Vorbild der Abfolge des ubi sunt, aber er siedelt sie in einem historischen und geopolitischen Umfeld an der Grenze zwischen zwei grossen Reichen an, von denen das der Sassaniden durch den grossen Herrscher Sāpūr verkörpert wird, der den in dem Relief von Naqsh­i Rustam11 verewigten Sieg über den römischen Kaiser Valerian davongetragn hat, und durch Chosroës, den König der Blütezeit der sassanidischen Herrschaft. Er stellt diese Erinnerungen an das Sas­ sanidenreich den byzantinischen Kaisern gegenüber, an die es keinerlei greifbare Erinnerung zu geben scheint (das erscheint paradox, wenn man 10 Übers. Becker 1924–1932, Bd. 1, 507–508, dazu der Kommentar von Ribiera 1988, S. 37. Die italienische Übersetzung bei Gabrieli 1948, 91–92. 11 Zu diesem Ort s. Ribiera 1988, 36–37. SCH NA PP: E INE LA ND SCH A FT MIT BE K A N N T E N GE SI CH T E R N 545 bedenkt, dass ῾Àdī Botschafter der Lahmiden in Byzanz gewesen ist)12. Es handelt sich dabei indes um eine entfernte Erinnerung, wobei die Namen der Herrscher oder die Erwähnung ihrer dynastischen Abfolge genügen. Sobald ῾Adī näher an al-Hīra kommt, wird die Beschreibung monumen­ taler. Das ist etwa bei dem »Schloss« von al­Hadr der Fall, das 110 km nordwestlich von Mossul liegt. Es handelt sich um eine Stadt der Parther, die von den Sassaniden zerstört wurde und deren Ruinen beachtlich sind. Und schliesslich ist al­Hawarnaq, das »Schloss« der Lahmiden nahe bei al-Hīra, das zusammen mit dem nahegelegenen Schloss von al-Sadīr als eines der »Weltwunder« angesehen wird,13 Gegenstand größerer Auf­ merksamkeit. Dieser grossartige Palast, der der Legende nach von dem Architekten Senemmar auf Befehl des Königs al­Nu῾mān errichtet worden war, ist eines jener wunderbaren Gebäude, die die Phantasie der Dichter und Historiker anregten. In verschiedenen Versionen der Geschichte hat der König den Architekten ermorden lassen, um zu verhindern, dass ein so herausragendes Bauwerk je durch ein anderes Werk desselben Schöp­ fers übertroffen werden könne. Al­Hawarnaq ist also Kennzeichen einer Grossartigkeit, mit der nichts konkurrieren kann – es ist ein Monument, das sein Besitzer bis zur Ausübung eines Verbrechens gegen jede Nach­ ahmung verteidigen sollte. Das literarische Motiv des ubi sunt ist nicht eine ›Ruinendichtung‹ im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern eine Dichtung der Erinnerung. Die Monumente sind ganz wie die Namen der Könige oder Helden Zeichen, die sich selbst genügen. Diesem Gedicht haftet ein Anflug der Konti­ nuität an, eine Art, den Lesern die Spuren der Macht und der Männer nahezubringen, die nicht zu weit entfernt und deren Abenteuer ihnen wohlbekannt sind. Ein zweites Gedicht ῾Adīs zum selben Thema erkundet kompliziertere Zeiten und Horizonte: Was kann man nach dem von Sanaa erlittenen Schicksal erwarten, das von Königen bewohnt wurde, die reiche Geschenke brachten? Der es erbaute, errichtete es bis auf die Höhe der wandernden Wolken mit seinen Hallen, die nach Moschus dufteten, Umgeben von Bergen, vor jedem überraschenden Angriff geschützt, auf unerreichbaren Gipfeln, 12 Hainthaler 2005, 160; s. auch Shahid 1995, 478–482. 13 Würsch 2013, 143–145 sowie ein Kommentar zum Ansehen des Ortes in der späteren Überlieferung in Stetkevych 1993, 71. 546 Der Schrei der Eule hallte dort wider, während man zugleich die Melodie der Flöte vernahm. Und die Umstände brachten das Heer der Söhne der Edlen dorthin (die Perser, die im Jahre 570 den Jemen eroberten), deren Ritter in geordneter Reihe marschierten. Es wurde von Maultieren erobert, die die Last des Todes trugen, neben denen ihre Diener liefen, sodass die Bewohner sie von der Seite des Berghangs in schwarzen Kohorten sahen am Tag, an dem sie den Leuten der Berberie und von Aksoum ver­ kündeten, ›wer zu fliehen versucht, wird nicht gerettet werden‹. Und das war ein denkwürdiger Tag und ein Volk von edler Abstam­ mung ging unter. Nach den hochmütigen Banū Tubba (den jemenitischen Königen) kamen die Marzban (die Repräsentanten des sassanidischen Königs) (Nach dem Fall Sanaas berichtet das Gedicht von der Eroberung von al-Hadr durch Sāpūr) Und über al­Hadr brach ein unerhörtes Unglück herein. Aus Liebe kümmerte sich ein junges Mädchen nicht um ihren Vater, als ihr Wächter sie aus den Augen verlor, Sie gab ihm einen hellen Wein zu trinken, wer den trinkt, verliert den Kopf. Und in der Nacht verriet sie ihr Volk, in der Hoffnung, dass der Herr sie heiraten würde, In einer Nacht, in der jemand, der sie hätte verraten können, nichts sehen konnte außer den Sternen. Aber als der Morgen nahte, waren blutige Fetzen das Schicksal der Braut, Und al­Hadr wurde zerstört und geplündert, und die Germächer der Frauen gingen zugrunde.14 Ganz zu Beginn der arabischen Kultur entwirft der Dichter von al-Hīra eine Erinnerungslandschaft, deren Einzelheiten das universale Thema des Nachsinnens über die Vergangenheit aufgreifen. Es handelt sich um einen rückwärts wie vorwärts gerichteten Blick, der zugleich die Kürze des menschlichen Lebens wie die Unzulänglichkeit der Erinnerung her­ vorhebt. ῾Adī sucht seine Beispiele nicht in der Überlieferung des alten 14 ῾Adī Ibn Zayd bei Gabrieli 1948, S. 92–93. S CH NA PP: E INE LA ND SCH A FT MIT BE K A N N T E N GE SI CH T E R N 547 Ägypten, Israels oder Persiens mit seinen denkwürdigen Erinnerungen, sondern er konstruiert eine Erzählung zum Ruhm der Fürsten, denen er gedient hat, sowie der Gelehrten, die im Königreich der Lahmiden seine Tischgenossen waren. Der Dichter, der sich lange Zeit am persischen Hof aufgehalten hatte, und der den Hof von Konstantinopel kannte, lässt sich nicht von den Ereignissen und Taten der grossen Reiche beeindrucken, sondern er hebt ganz im Gegenteil ihre Flüchtigkeit hervor. Seine Absicht ist es, die Monumente in eine regionale Erinnerung einzubringen, die dennoch für äussere Einflüsse offen bleibt: die Beschreibung des Falls von al­Hadr ist ein vertrautes Thema der persischen und arabischen Literatur. Die gewaltige und uneinnehmbare Festung wird dem König Sāpūr von der Tochter des Königs Sātirūn von al-Hadr ausgeliefert, die dem Charme des sassanidischen Herrschers erlegen ist. Das tragische Schicksal der Verräterin, die später zur Geschichte der Prinzessin auf der Erbse geworden ist, wird zu einem häufigen Thema der Märchen in Orient und Okzident.15 In der griechisch­römischen Überlieferung ist die grossartige Festung Gegenstand zahlreicher Erwähnungen.16 Die Gedichte des ῾Adī Ibn Zayd nehmen also in der Tradition des Ubi sunt zwischen Orient und Okzident eine Anfangsstellung ein, indem sie der auf Arabisch verfassten Dichtung eine Art begründender Dimension im komplexen Verhältnis zwischen Gegenwart und Vergangenheit ver­ leihen, die den Mittelpunkt jeder kulturellen Tradition bildet. Michele Vallaro hat der transkulturellen Bedeutung des ubi sunt einen originellen Aufsatz gewidmet. Er entdeckt in den Versen des Dichters von al­Hira eine universelle Anregung, die man bei Dichtern der Renaissance wie Jorge Manrique wiederfindet oder bei modernen Autoren wie Jorge Luis Borges.17 Doch die beiden Gedichte des ῾Adī Ibn Zayd sind nicht nur eine metaphysische Überlegung zur Kürze des menschlichen Lebens, sondern sie sind auch ein Zeugnis einer Empfänglichkeit für die Einzigartigkeit der Monumente und ihre Existenz in der dichterischen Landschaft. Im ersten Gedicht sind die Festungen von al­Hadr und al­Hawarnaq aus­ drücklich erwähnt, auch wenn sie nicht wirklich beschrieben werden. Ihr Schatten drängt sich jedoch dem Gründer und König al­Nu῾mān auf, der sich einem vielleicht noch schlimmeren Schicksal unterwirft, weil dieses nicht mit einer militärischen Niederlage endet, sondern mit der 15 Christensen 1936, 241–250. 16 Hauser 1998, 493–503. 17 Vallaro 2010, 65–74. 548 Annahme seines Geschicks und seiner Selbstaufgabe. Das zweite Gedicht räumt dem Ort Sanaa und der Erschütterung des Kampfes breiteren Raum ein: die Reiche sind einem grausamen Schicksal unterworfen und selbst die grossartigste aller Festungen wie al­Hadr kann dem Verrat nicht standhalten. Wenn man die Gedichte des ῾Adī Ibn Zayd jedoch mit der Ruine in Thüringen des fast zeitgenössischen Venantius Fortunatus (um 540– 600/610) vergleicht,18 erkennt man, wie bescheiden die Beschreibung der Monumente in der Komposition des arabischen Dichters bleibt. Venantius richtet sich an ein Publikum, das konkrete Erfahrungen mit Ruinen und der Struktur zerstörter Monumente gemacht hat. Im Westen besteht zur selben Zeit eine Vertrautheit mit den Spuren der Römer und der lateinischen Überlieferung, die den Diskurs über die Kontinuität und die Zurückweisung einer Position des Entferntseins erleichtern, wie Salvatore Settis unterstrichen hat.19 Selbst die Dichtung der Verzweiflung, die sich in der angelsächsische Tradition findet und bei der es um die Ruine und den Umherirrenden Wanderer geht,20 räumt den Spuren der Mo­ numente und ihrer Materialität breiteren Raum ein als der Dichter von al-Hīra. Die Stärke des ῾Adī Ibn Zayd liegt darin, dass er eine Tradition begründet hat und die Vergangenheit Arabiens und Persiens in einer gemeinsamen Erinnerungslandschaft verankert hat. Alle Königreiche sind zerbrechlich, alle Grossreiche können zusammenbrechen, aber die Kraft des Dichters richtet sich darauf, eine nahe Vergangenheit an bestimmte Orte und Personen zu binden. Er verankert sein Gedicht in einem identifizierbaren Raum. Der Horizont beschränkt sich natürlich auf die Parther und die Sassaniden, denn der Dichter verfügt nicht über die Mittel, bis auf die mesopotamischen Reiche und die Ägypter zu­ rückzugehen, und er kümmert sich auch kaum um die Römer, die über den Gegner Byzanz ins Blickfeld rückten. Das Thema des ubi sunt behält seine universelle Dimension, auch wenn es in den Augen der Leser eine Landschaft mit bekannten Gesichtern ist. Die Ruinen des ῾Adī stehen im Zeichen einer wohlgeordneten Distanz: diese Festungen, Schlösser und Städte weisen nicht auf sehr weit zurückliegende Zeiten und Kul­ turen zurück, der letzte Zerstörungshorizont ist noch gegenwärtig und manchmal steigt noch Brandgeruch auf. Das erübrigt es, noch weiter in der Zeit zurückzugehen. 18 Venantius Fortunatus, De excidio Thuringae, MG H, Auct.ant 4,1, 271. 19 Settis 1986. 20 S. den umherirrenden Wanderer in Vers 74–87 bei Liuzza 2003, 11–13. S CH NA PP: E INE LA ND SCH A FT MIT BE K A N N T E N GE SI CH T E R N 549 Sāpūr und Chosroës sind Figuren, die alle kennen und die sich nicht auf eine unendlich kontinuierliche Vergangenheit berufen. Am anderen Ende der Welt bezeugt die Von Gras überwucherte Stadt Bao Zhaos21 im China des 5. Jh.s n. Chr. eine ganz andere Vision der Vergangenheit. Die sehr lange Beschreibung des chinesischen Dichters belegt eine absolute Kontinuität zwischen Gegenwart und Vergangenheit, und er beschreibt mit einer fast anatomischen Genauigkeit den Prozess der Zerstörung und Auflösung der Stadt. Sie kehrt zu ihrer ursprünglichen und natürlichen Gestalt zurück, wird zum Wohnort der wilden Tiere und der wuchernden Gräser. Paradox ist dabei, dass die so sorgfältig beschriebene Stadt nicht mit Namen genannt wird: sie ist eine Art von Idealtyp der Erinnerung an einen magischen Ort. Das Gedicht ist infolge eines Zusammentreffens entstanden, eines Dialogs zwischen den Ruinen und dem Dichter, der das Wort ergreift, um die Trauerarbeit zu vollenden. Nichts von alledem existiert in den vorislamischen qasā῾id, die Ruinen bleiben stumm. Sie zeugen von einer anderen Art der Poetik vor dem Hintergrund des ubi sunt und der Verlassenheit, in einer distanzierteren und mehr allegorischen Weise, wie der Schrei der Eule über den Trümmern von Sanaa, der statt der Flötenmelodie erklingt … Zwischen Orient und Okzident trägt das kleine Königreich der Lahmiden dennoch dazu bei, die ersten Beispiele einer arabischen Poesie der Ruinen und der Vergangenheit zu begründen. Als Mittler zwischen der arabischen und der persischen Welt ist ῾Adī Ibn Zayd auch Mittler zwischen Stadt und Wüste. Der Gelehrte und erfahrene Politiker ist ein Mann der Städte, der sowohl das Arabische wie das Persische beherrscht, was zu dieser Zeit noch ziemlich selten vorkommt; seine Biographen erinnern uns daran, dass er auch ein Wüstensohn und fähiger Jäger und Wanderer war.22 Das Wenige, was von seinem Werk erhalten ist, belegt seine Solidarität mit den Traditionen und Gewohnheiten der Dichter der Wüste, die seine Zeigenossen oder Nachfolger sind. Sein Werk leitet eine Sicht der Ruinen und der Vergangenheit ein, die sich deutlich von der Tradition des Alten Orient und der Klassischen Welt unterscheidet. Er begründet eine Metaphysik der Ruinen von bisher nicht gekannter Art. Wir besitzen kein Porträt von ῾Adī Ibn Zayd, und doch ist er uns durch seine Dichtung vertraut. Indem er die Triebfeder der fortdauernden Er­ innerung an die Vergangenheit bei den Menschen verortet, überantwortet 21 Owen 1986, 60–61. 22 Hainthaler 1995, 161. 550 er, wie vor ihm Lukan, dem Dichter die Rolle des Wächters über diese Erinnerung. Die Worte sind beständiger als die massivsten Steine, und sie sind das getreueste Abbild, um die Spuren großer Männer auf ewig zu bewahren. (Übersetzung aus dem Französischen von Andreas Wittenburg) LITERATUR VERZEICH N IS Assmann 1991 Assmann, Jan: Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten. München 1991. Becker 1924–1932 Becker, Carl Heinrich: »Ubi sunt qui ante nos fuere«. In: ders.: Vom Werden und Wesen der Islamischen Welt, 2 Bde., Leipzig 1924–1932. Christensen 1936 Christensen, Arthur: L’Iran sous les Sassanides, Kopen­ hagen 1936. Gabrieli 1948 Gabrieli, Franco: ῾Adī ibn Zaid, il poeta di al-Ḥirah. In: Atti della Accademia Nazionale dei Lincei 345, Serie ottava, Rendiconti Cl. Sc. morali, storiche e filologiche, Bd. 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MARIAN H. FELDM AN BY THE WATERS OF COLOGNE: CITIES AND IDENTITY, PAST AND PRESENT Human landscapes provide the broad physical framework that shaped communal experience; disturbance or dispossession would strike at memories invested in the places to which people became attached, in the places where they dwelled, worked, and worshipped. (Alcock 2002, 31) People’s bodies occupy spaces.1 Yet they do more than simply displace empty space with the mass of their corporality. They experience, perceive, absorb, react to, and incorporate spatialities. It is for this reason that so much scholarship on identity and memory, especially collective or social memory, has turned to studying landscape, places, sites and monuments.2 Cities in particular hold a special place in this scholarly imagination.3 Dwelling in an urban landscape completely infuses the human body, becoming an integral component in one’s individual and, as one moves through shared spaces, group identities. Through a multi­sensorial 1 My sincere thanks to Dietrich Boschung for his generous invitation to be a fellow at Morphomata in summer 2013, and to Thierry Greub and Martin Roussel for all their assistance while I was in Cologne and for their invitation to contribute to this volume. I am not an historian of twentieth­century Germany, nor an architectural historian of Cologne; I apologize in advance for any errors I might make in these spheres of knowledge. My thanks to Thierry for suggest­ ing the title of this article, which links Cologne to Babylon, and captures the sense of the integral role that the physical destruction of a place has in shaping identity, so eloquently expressed in Psalm 137. 2 For the ancient Mediterranean and Near Eastern world, two examples suffice, though many more could be cited: Alcock 2002 and Harmanşah 2013. 3 Lumsden 2004; Harmanşah 2013. 554 engagement with the urban matrix, the body both consciously and, more often, unconsciously processes its surroundings. What happens, then, when this spatial matrix is disturbed, disrupted, inherently changed? As scholars working within a longue durée of archaeological time, we tend to focus on moments of destruction, as these are what survive best in the archaeological record. But we rarely consider the impact such disruptions must have had on ancient identities, beyond fairly emotionless statements about the arrival of static and inorganic new populations, invaders, or conquerors. However, there are moments in our own lived experiences that open our eyes (and intellectual curiosity) to more personal states of being in the past. For me, such a “moment” (it spanned several months and took many more beyond for me to process it as such) occurred in the context of my fellowship residency at the University of Cologne that I held during summer term of 2013, when Dietrich Boschung graciously hosted me at Morphomata. Although I have lived and spent time in many different cities in the United States, Europe, and the Middle East, Cologne presented me with something entirely new and viscerally different. This may seem like an odd statement to make for a well­seasoned traveller; Cologne would appear to be a bustling, but benign, modern, European city. C OLOGNE With the exception of the great cathedral (Kölner Dom, begun in 1248), albeit an extremely impressive exception, most of Cologne’s downtown area dates to a few short decades following the Second World War. This situation is the result of urban destruction of an almost total extent as the target of Allied bombing during the war. The city was one of the most heavily bombed in Germany and included “Operation Millennium” on May 30/31, 1942, when over one thousand British Royal Air Force bombers attacked the city for around 75 minutes.4 By the time the war was over, around 95% of the city center (Altstadt) was destroyed, including twelve Romanesque churches.5 The Kölnische Zeitung, upon resuming publication 4 Fuchs 1991, 243–244; the so­called Thousand Bomber raid alone killed 469, injured 5027, and made more than 45,000 residents homeless; 12,840 of the city’s 68,582 houses were damaged and 3300 completely destroyed. 5 During WWII, Cologne experienced 269 bombing raids (Fuchs 1991, 250). The cathedral suffered 14 direct hits, and though badly damaged, remained mostly standing. FE LD MA N: CIT IE S A ND ID E N T I T Y, PA ST A N D P R E SE N T 555 1 The Kölner Dom (Cologne Cathedral) stands seemingly undamaged (although having been directly hit several times and damaged severely) while the entire area surrounding it is completely devastated. The Hauptbahnhof (Cologne Central Station) and Hohenzollern Bridge lie damaged to the north and east of the cathedral. Germany, 24 April 1945 three days after the Thousand Bomber raid wrote, “Those who survived were fully aware that they had bade farewell to their Cologne, because the damage is enormous and because the integral part of the character, and even the traditions, of the city is gone for ever.” 6 The loss of the Altstadt was the loss of nearly 2000 years of building and rebuilding, of imbricated structures and memories, that had shaped Cologne and its inhabitants (Fig. 1). Immediately following the war, a master plan for reconstructing the city was developed under the guidance of the architect Rudolf Schwarz who served as city planner from 1946 to 1952.7 While the twelve Roman­ esque churches were restored according to their original appearance, the last one – St. Kunibert – not finished until the 1990s, much of the city 6 Cited in Barker 1965: 232. 7 Pehnt 2011, 38–63; Fuchs 1991, 277. 556 center was rebuilt in a mid­twentieth­century modernist manner.8 This is an architectural style that embraces function over form, trumpets the pragmatic use of materials such as concrete, and eschews all but the most simplified decorations in its explicit rejection of tradition and history. In the urgent haste to rebuild, the prescriptions of Modernism that had been suppressed by the Nazi and Fascist regimes began to seem reasonable. Bombs had done in more than people and buildings; an entire social order had been shattered. In Europe especially, redemp­ tion and reconstruction were in the air, along with a new hope to build the cities right this time around. The belief reigned that a brave new world must be designed without sentiment, without a single look backward … Modernism – history denying, fanatically against memory, and intolerant of traditional institutions and monumental­ ity – was the perfect vehicle for the post­bellum design of Europe.9 Thus, today, little remains of the two thousand years of continuous habi­ tation and building that created the city of Cologne as it existed prior to World War II.10 Moreover, the newly built city appears even more starkly “new” in relation to the few recreated “old” buildings, which nonethe­ less also reveal the newness of their construction. The amazing (many say miraculous) survival of the Kölner Dom only serves to heighten the disjuncture with the surrounding space – the modernist Hauptbahnhof (Köln Central Station) and Römisch-Germanisches Museum, and the con­ crete pedestrian terraces cossetting the Dom (Fig. 2).11 Walking around the pedestrian shopping area downtown, I was not so much consciously struck by but rather unconsciously responsive to the heaviness and coldness occasioned by the sameness of the modernist architecture. It was on a short side trip to Florence and Lucca, Italy, that I was able to articulate to myself what exactly I found unnerving about 8 Part of the City Hall (Rathaus) with its fifteenth-century tower was reconstructed to its original appearance, as were some of the houses in the Old City along the Rhine. Ruined parts of some other important older buildings were incorporated into their new forms when possible, such as the Gürzenich (Diefendorf 2008, 55–58). 9 Kostof 1995, 721. 10 However, paradoxically, the bombing and destruction of the Old City revealed ancient ruins that would otherwise have remained invisible below the ground. 11 The Hauptbahnhof opened in 1957, the Römisch-Germanisches Museum in 1962, and the terraces in 1970 (Fuchs 1991, 295, 327, 306). FE LD MA N: C IT IE S A ND ID E N T I T Y, PA ST A N D P R E SE N T 557 2 Römisch-Germanisches Museum, Domplatte/Roncalliplatz, Cologne, 1967–74. Architect: Heinz Röcke. © Raimond Spekking / CC BY­SA 4.0 (via Wikimedia Commons) these streets of Cologne. Walking through the millennia of urban accre­ tion that these Italian cities had accumulated gave me a profound sense of connection and sensory comfort (despite having no greater familiarity with them than I did with Cologne). I began to take cognizance of how I responded in stimulated and engaged ways to the many different textures, shapes, colors, and spatial irregularities that are the physical memory of each city’s history. And it made me reflect on how traumatized the return­ ing citizens of Cologne must have been upon their resumed inhabitation of their city at the end of the Second World War.12 THE ANC IEN T N EAR EAST It is these seemingly rather gloomy thoughts that have since made me think about the urban matrix of ancient cities as dense constructions of sensory affect and memory. When disrupted by massive conflagrations or other ex­ tensive destructions, how (if at all) did rebuilding take place, and with what 12 The city was mostly evacuated during the bombings. With a population of 770,000 before the war, reportedly only 40,000 remained in the city by the end, while around 400,000 returned to rebuild (Diefendorf 2008, 49). For photo­ graphs of Kölner residents at the end of the war, see Fuchs 1991, 250–251. 558 effect (whether intentional or not)? And how were communities impacted when entirely new cities were created? In the following brief musings, I con­ sider these questions in light of two ancient cities of the ancient Near East. Tell sites characterize the landscape of the ancient Near East. These are mounds, sometimes enormous in breadth and height, created over millennia by building and rebuilding on the foundations of earlier build­ ings. They are usually conceptualized as “layer cakes” of stratified levels of occupation, each level representing a distinct period in the tell’s history. But more often these tells have been formed by complex, overlapping histories of construction in which some buildings are replaced, while others renovated, or new ones constructed in empty spaces – what Ruth Tringham has characterized as “partial vertical superimposition.” 13 Over the normal course of a tell’s existence, most stratification derives from irregular building activity in spotty locations across the site. Tringham provocatively notes that the builders of later structures at the Neolithic site of Opovo in the former Yugoslavia “were probably well aware of the remains of earlier buildings” and cites evidence for “direct observation, partial knowledge, and hazy memory of old houses on the place where a new house was built.” 14 Such experiences make up the very fabric of social and collective memory. It is only the exceptional event that destroys a site across its entire extent or occasions an extensive rebuilding program – an event similar to the bombing of Cologne in World War II. Such devasta­ tions have been proposed frequently for Near Eastern cities, although it should be noted that almost no major ancient Near Eastern city has been excavated in its entirety, nor have large residential areas tended to be the focus of excavation, and thus we can rarely demonstrate city-wide destructions. Nonetheless, the archaeology of the Near East is punctu­ ated by major destructions and rebuildings. Yet rarely do we consider the effect of such destructions and rebuildings on the urban inhabitants. BABYLON In 689 BCE, the Assyrian king Sennacherib (704–681 BCE) claims to have besieged the ancient and venerable city of Babylon. In his celebra­ tory inscriptions, Sennacherib boasts that he destroyed, devastated and 13 Tringham 2000, 123. 14 Ibid. FE LD MA N: CIT IE S A ND ID E N T I T Y, PA ST A N D P R E SE N T 559 burned the city, razed the major temples and buildings, and flooded the entirety in order to make “its destruction surpass that of the Deluge. So that in the future, the site of that city and (its) temples will be unrecog­ nizable, I dissolved it (Babylon) in water and annihilated (it), (making it) like a meadow.” 15 While there is surely exaggeration and hyperbole in Sennacherib’s boasting, archaeologists identified a “flood level” 16 that has been seen as confirmation of the event, and Babylon witnessed extensive rebuilding over the course of the next 100 years, in particular under the reign of King Nebuchadnezzar II, who ruled in Babylon from 604 to 562 BCE. It is from this period that archaeology has recovered the most evidence from the ancient site, supported by a large textual corpus. As part of the reconstruction, the major temples were rebuilt, several palaces including a massive primary one were constructed, and at least one – the principal one – of the city’s famed gates with its double walls were erected anew.17 The most spectacular of these, recovered by the German archaeologist Robert Koldewey in his excavations at Babylon from 1899 to 1917, were the stepped ziggurat temple tower (generally considered the inspiration for the biblical account of the tower of Babel in Genesis), the Southern Palace, and the Ishtar Gate and Processional Way. Very few residential areas were excavated, although one quarter known by its mod­ ern name Merkes contained residential buildings and was excavated in select loci down to Old Babylonian levels nearly 1000 years older (c. 1800 BCE). However, it is worth remembering that less than two percent of the 800-hectare city of the sixth century BCE has been excavated.18 With respect to Babylon, in contrast to the modernist rethinking of Cologne, after Sennacherib’s siege the city rebuilt mainly along traditional lines.19 That is, not only were the major buildings rebuilt in their previous location, they followed architectural traditions established over hundreds of years in southern Mesopotamia. This is best evident in the residential Merkes quarter where courtyard-style houses of approximately the same 15 Grayson/Novotny 2014, 316–317. 16 André­Salvini 2008, 133. 17 The literature on the archaeological site of Babylon is enormous. For recent overviews with bibliography, see André­Salvini 2008; Finkel/Seymour 2008; Staatliche Museen zu Berlin 2008; Cancik­Kirschbaum et al. 2011. 18 Pedersén 2011, 11. 19 The written rhetoric regarding construction in the city from this period, of which there is an enormous amount surviving, emphasizes the long history of the city even amid boasting about new buildings (Van de Mieroop 2003, 260). 560 size, orientation and layout follow the same streets as in earlier times.20 Nonetheless, the rebuilding of the major buildings assumed greater monumentality in scale, which certainly would have affected structures in their immediate surrounds, as well as the general feel of the urbanscape as a whole. This phenomenon can be seen even over the course of the reign of Nebuchednezzar II.21 Most notably, the area of the Ishtar Gate and the main palace areas (the Southern and Northern Palaces) were enlarged, elaborated, and literally raised higher (Figs. 3 and 4). From the beginning to the end of Nebuchadnezzar’s 43­year reign, the Processional Way that led out of the Ishtar Gate became enclosed by high walls on either side, extending 180 meters to the north.22 These walls were then decorated with a line of striding lions constructed out of glazed relief bricks. The Ishtar Gate itself was raised 15 to 20 meters above its level at the begin­ ning of Nebuchadnezzar’s reign and also decorated with glazed relief bricks that created images of striding bulls and snake­dragon creatures (the mushhushu dragon of the god Marduk). Such drastic changes to the urban landscape must have made a sizeable impact on the inhabitants of the city. The aspect of monumentality especially would have reshaped the way residents experienced the spaces of their city as they readjusted to taller walls, higher vantage points, and more looming structures. DUR S HARRUK IN ( K H O R SAB AD ) But what of an entirely new city such as the founding of Dur Sharrukin (“Fortress of Sargon”) at Khorsabad in northern Iraq, built de novo by the Assyrian king Sargon II after he usurped power in 721 BCE. While a previous Assyrian ruler, Ashurnasirpal II, had also moved the capital from its traditional location at Ashur to a new one at Nimrud, Nimrud had previously been a long occupied settlement. Sargon, in contrast, con­ structed his city in a location that had almost no prior settled history,23 on a rolling plain in the foothills of the Zagros Mountains. Construction 20 Reuther 1926, pls. 2, 8, 11, 13, 15. 21 Pedersén 2011. 22 For the different phases of rebuilding during Nebuchadnezzar’s reign, see Pedersén 2011. 23 A preexisting settlement known as Maganuba is thought to have been nearby, or even under, Dur Sharrukin, although no archaeological evidence for it has been discovered (McMahon 2013, 164). FE LD MA N: CIT IE S A ND ID E N T I T Y, PA ST A N D P R E SE N T 561 3 Babylon, center. View from the north, first step of constructions of Nebuchadnezzar II; Palace and Ishtar Gate still of mud brick 4 Babylon, center. View from the north, last step of constructions of Nebuchadnezzar II; Expansion of palace area 562 5 Plan of Dur Sharrukin (Khorsabad) after the Oriental Institute excavations on the new city began in 717 BCE, and it was inaugurated in 706 BCE, only one year before Sargon was killed in battle and his son and succes­ sor Sennacherib abandoned Dur Sharrukin. Thus, Dur Sharrukin offers an interesting perspective for our purposes since it was both a newly built cityscape, and due to its quick abandonment, this newly built phase remains archaeologically well preserved.24 24 It may have continued in use as a minor administrative center through the seventh century (McMahon 2013, 166). FE LD MA N: CIT IE S A ND ID E N T I T Y, PA ST A N D P R E SE N T 563 6 Dur Sharrukin (Khorsabad), reconstruction of Nabu Temple with view of lower city Augusta McMahon has recently considered this ancient city from the perspective of “ground­level phenomenological analysis of movement,” 25 taking into consideration different fields of view, the interplay of light and shadow, and the effect of sound. While McMahon focuses on the ideological implications of the building program at Dur Sharrukin, she notes at one point: “The paradox of vast, enclosed, yet unbuilt space could potentially have been an unsettling reminder of the unique nature of the city” 26 (Figs. 5 and 6). It is not clear whether the short­lived city ever had a large population of permanent residents dwelling within its walls, apart from the large numbers of workers who would have been needed to actually build the city, although there is slight evidence for occupation in the elite structures.27 Nonetheless, that the intention was for the city to be inhabited and to serve as the new capital is clear. Nineteenth­century excavation of a small mound in the center of the city revealed five rooms that the later Oriental Institute excavators compared to “residences” found on the citadel (G on the city plan, here, fig. 5).28 The Oriental Institute 25 26 27 28 Ibid., 163. Ibid., 165. Ibid., 165, 167. Loud/Altman 1938, 75. 564 itself partially excavated one such building about 150 meters outside of citadel gate B and notes in its report that soundings made throughout the city indicate that it was densely built up (Loud/Altman 1938: 75). However, they also claim that because practically no portable materials were found, they decided not to concentrate excavations in areas in the lower town. In addition to the archaeological evidence, Sargon’s texts also mention his resettlement of deportees to Dur Shurrukin.29 We might then push further on McMahon’s work to consider the ways memory, tradition, and community might have been disrupted for the new inhabitants. If some part of them were deportees from conquered areas of the Assyrian Empire, the newness, sameness, and lack of material history may have operated in conjunction with the geographical disloca­ tion effected by their deportation. Yet even for Assyrians moving from Nimrud, a rupture would have been acutely felt. While there are certain planning elements of Dur Sharrukin that echo those of Nimrud (a major raised citadel, a minor raised citadel, both set within the perimeter of the city wall enclosing a vast lower town), the newly regularized straight lines seen at Dur Sharrukin suggest a kind of “modernist” approach to the architectural matrix, all of which had to be conceived and designed within a single moment.30 One could therefore speculate about the effect that vast, regulated, newly built spaces might have had on the newly transplanted residents of Dur Sharrukin. If the residents were moving from the prior capital Nimrud (either in reality or in unfulfilled plans terminated by the abandonment of the city), they would have been used to, comfortable in, a more varied and textured urban topography.31 An abrupt dislocation from 29 Parpola 1995, 54–55; McMahon 2013, 164–165, n. 13. 30 The ongoing debate between “organic” vs. “planned” cities in the ancient Near East (for brief review of the literature see, McMahon 2013, 167) seems to me to miss the point. The two are usually set in opposition to one another, with “planned” cities being accorded a higher “cultural value” than “organic” cities. However, as McMahon (ibid.) notes, most cities in fact include both planned and organic growth, which contributes directly to the generation of sensory elements underlying social memories and communal identity. 31 Although also at Nimrud we know little about the architectural space of the vast, 360 hectare lower town where most people would have lived and spent the majority of their time (see, Oates/Oates 2001). Certainly on the citadel where the royal palaces and official temples were located, which was built on top of the old settlement tell at a height of 15 meters above the plain, steep grades and blocked or partial views of monumental buildings packed into the irregular edges would have defined the human experience. FE LD MA N: C IT IE S A ND ID E N T I T Y, PA ST A N D P R E SE N T 565 Nimrud to Dur Sharrukin would have been accompanied by a potentially similar sensation of sameness that I encountered in the modernist spaces of Cologne. While the architectural structures of Dur Sharrukin would most likely have been built along traditional lines, as were the palaces and temples excavated there, probably they were sparsely situated and perhaps arranged orthogonally as suggested by the rectilinear outline of the city walls. At the very least, the very act of moving to an entirely new and unfinished city would have produced sensations of unfamiliarity and disorientation that may have been extremely unsettling to any sense of community and identity. C ONC LUS IO N The situation at Dur Sharrukin is particularly dramatic since the city was abandoned less than fifteen years after its de novo founding and only a couple years after the official inauguration in 706 BCE when the royal court resettled there from Nimrud. Had it continued to be a major urban settlement,32 it would over time have acquired that texturing and layering of experiences that constitute history. Of course, these textures require the accretions of lived and shared lives, that is, of people. People are, ultimately, the life of the city, filling new spaces with their activities, generating new memories. Such is already visible in Cologne, now nearly seventy years after its almost complete destruction by bombing. Busy, active spaces dotted with outdoor tables fill the main shopping street; newer buildings in a variety of “post­modern” (that is, postmodern and post-postmodern) architectural styles intermix with modern rebuilding; even the restored “older” architecture is acquiring its own “patina of age.” The modern accretions, moreover, coexist with exposed Roman and late Antique ruins (for example, the Roman Praetorium and the Jewish Mikveh), whose remains now lie exposed in various places throughout the Old City. These cyclical processes of rebuilding and renewal, along with rediscovery and remembrance of earlier building, all of which nonetheless move always onward through time, create the textures and matrices that give a physical sense of history and memory, and that endow the city with a special role in the constitution of community identity. 32 Secondary occupation is evident at the site (Loud and Altman 1938, 75), but it never achieves prominence as a major urban settlement after its abandonment. 566 IMAGE C REDITS 1 Source: http://www.archives.gov/research/arc/ ARC Identifier: 531287; U.S. Defense Visual Information Center photo HD­SN­99­02996; U.S. Department of Defense. Department of the Army. Office of the Chief Signal Officer. Downloaded Oct. 20, 2015: https://commons.wikimedia.org/wiki/ File%3AKoeln_1945.jpg. 2 Downloaded Oct. 20, 2015: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:R% C3%B6misch­Germanisches_Museum_K%C3%B6ln_%282514­16%29.jpg. 3 From Pedersén 2011: fig. 3; reproduced in accordance with the Code of Best Practices in Fair Use for the Visual Arts (http://www.collegeart.org/ fair­use/best­practices). 4 From Pedersén 2011: fig. 6; reproduced in accordance with the Code of Best Practices in Fair Use for the Visual Arts (http://www.collegeart.org/ fair­use/best­practices). 5 Loud and Altman 1938: pl. 69. Courtesy of the Oriental Institute of the University of Chicago. 6 Loud and Altman 1938: pl. 2. Courtesy of the Oriental Institute of the University of Chicago. BIBLIOGRAPHY Alcock 2002 Alcock, Susan E.: Archaeologies of the Greek Past: Landscape, Monuments, and Memories. Cambridge 2002. André-Salvini 2008 André­Salvini, Béatrice (ed.): Babylon: À Babylone, d’hier et d’aujourd’hui. 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In: American Journal of Archaeology 107 (2003), 257–275. 1 Vitaly Komar / Aleksandr Melamid: I Saw Stalin Once When I Was a Child (1981/82), Gemälde, 183 × 138 cm, The Museum of Modern Art, New York1 1 Zit. nach Fiedl/Rauchenbacher/Wolf 2011, 295. WOLFGANG BEILE NH O F F STALINS HERRSCHERBILDNIS I. POLITIS CH E IK O NO G R AP H IEA1 Es ist Nacht. Wir sehen das erleuchtete Rückfenster eines großräumi­ gen Dienstwagens. Das Fenster öffnet die Sicht auf eine Person, einen freundlichen älteren Herrn. Die Gardine zur Seite schiebend, richtet er den Blick auf uns (Abb. 1). »Es ist das Bild eines Mannes, der die Hoff­ nungen unseres Jahrhunderts prägte […].« Es ist, so Christoph Hein 1989, »ein Bild meiner Zeit, meines Jahrhunderts«. Ungeachtet der warmen Farben ist es jedoch, wie Hein gleichzeitig betont, kein Genrebild, kein Porträt: »Etwas verwirrt uns an diesem Bild. […] Die Freundlichkeit des Bildes kollidiert mit dem Schrecken, der in uns gespeichert ist«. Indem das Gemälde eine derartige »Kollision von Bild und […] geschichtlichem Wissen« in Szene setzt, evoziert es zugleich die »sehr verschiedenen Stalinbilder in unseren so sehr verschiedenen Köpfen. […] Und langsam begreifen [wir], dass wir alle einst Stalin so gesehen haben. […] stets sahen wir nur dieses freundliche Gesicht«.2 Das Gemälde stammt aus dem Jahre 1981. Seine Schöpfer, Vitalij Komar und Alexander Melamid, waren Exponenten der Soz-Art, einer postsowjetischen Kunstformation, deren Ziel es war, Bildsymbole und Icons des sozialistischen Realismus als Vor­Bilder aufzugreifen, um sie ihrer kanonischen Darstellung zu entreißen und als Ideologeme des Sozrealismus zu exponieren.3 Sujet dieses Gemäldes ist daher auch nicht der Mensch Stalin, sondern eine der zahlreichen Herrscher­Imagines, hier: die von Hein angesprochene Imago »großväterlicher Güte«. 2 Hein 1990, 139 und passim. 3 Zum Status von Bildern als Vor­Bilder vgl. Macho 2011. 570 Das Gemälde ist somit, wie sich jetzt erweist, ein Metabild. Ein Bild, das »benutzt wird, um über das Wesen von Bildern zu reflektieren«.4 Im vorliegenden Fall eine Reflexion über jene medialen Herrscherbildnisse, die die historische Person Stalin im Laufe der Zeit erfahren hatte. Es ist, um dies noch einmal zu unterstreichen, ein Gemälde, das nicht nur ein »Grundmuster der öffentlichen Repräsentation Stalins«, sondern gleichzeitig, wie Sartorti betont, auch das »Geheimnis seiner Sichtbarkeit und gleichzeitigen Unsichtbarkeit [verdichtet]«.5 Unsichtbar war Stalin, sieht man von seinen seltenen öffentlichen Auftritten ab, weitgehend als reale Person; sichtbar und hörbar hingegen war und wurde er über eine Vielzahl medialer Herrscherbildnisse. Über Denkmäler, Plakate, Biogra­ phien, Panegyrika, Gemälde, Briefmarken oder Fotographien und Filme. Besonderes Gewicht kam dabei Letzterem zu. Medium der Projektion, ermöglichte der Film, stalinsche Doppelgänger auftreten zu lassen in Gestalt von Schauspielern, die Stalin selbst als idealisierte Verkörperung seiner Person empfand und definierte.6 Damit ist das Gemälde von Komar und Melamid zugleich auch ein Bild, das, wie Hein abschließend betont, den Betrachter zu eigener Bild­ arbeit auffordert: »Wir werden von den Malern genötigt, an diesem Bild weiterzuarbeiten, an dem Bild Stalins, an dem Bild des uns aus einer beeindruckenden Staatskarosse freundlich zulächelnden Staatsführers, an dem Bild von unserem Jahrhundert«. Ein Weiterarbeiten, das darin bestehen könnte, den Herrscherbildnissen Stalins, die das Gemälde in der Vorstellung und Erinnerung des Betrachters evoziert, nachzugehen. So in exemplarischer Weise anhand von Padenie Berlina (Der Fall von Berlin), einer filmischen Epopöe, die zentrale Topoi des stalinschen Herrscher­ bildnisses inszeniert und performiert. II. DOKUME NT UN D FIK T IO N Der Fall von Berlin, 1949 unter der Regie des Georgiers Michail Tschiaureli gedreht, musikalisch unterlegt von Schostakowitsch unter Verwendung von Motiven seiner 7. Symphonie, besteht aus zwei Teilen, die jeweils 80 Minuten umfassen. Es ist ein Parcours durch die sowjetische Ge­ schichte der 1930er/1940er Jahre mit Fokussierung auf den, wie der Titel 4 Mitchell 2009, 325. 5 Sartorti 2007, 172. 6 Vgl. hierzu die systematische Untersuchung von Hüllbusch 2001. B E ILE NH O FF: STA L I N S H E R R SCH E R B I L D N I S 571 signalisiert, Zweiten Weltkrieg. Als Epizentrum figuriert dabei Stalin, der, gespielt von dem georgischen Schauspieler Micheil Gelowani, ein Rol­ lenspektrum performiert, das ihn gleichermaßen als Lenker und Lehrer, Gärtner und Stratege, Person und Medium exponiert. Als Subplot fungiert eine Liebesgeschichte zwischen Rollenfiguren der damaligen sowjetischen Gesellschaft, zwischen Alexej, einem Stahl­ kocher, Exponent des industriellen Sektors, und Natascha, einer Lehrerin, Exponentin des kulturellen Sektors. Es ist der Subplot zweier Figuren, die durch den, wie der Zweite Weltkrieg im russischen Kontext genannt wird, Großen vaterländischen Krieg getrennt werden und sich am Ende des Films auf einem imaginären Flugfeld wiederfinden. Eigentlicher Plot, do­ minantes Narrativ, ist die historische Fakten mit historisierenden Fiktio­ nen mischende und in der Eroberung Berlins kulminierende Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Es ist ein Narrativ, das sich als exemplarische Realisierung des für das sowjetische Kino kennzeichnenden Genres eines »artistic documentary« (Kenez) erweist, ein Diskurshybrid, das mittels einer Mischung von Dokument und Fiktion die zeitgenössische sowje­ tische Geschichte entwirft und den Zuschauer als medialen Zeitzeugen positioniert: »The viewer was supposed to see history unfolding in front of his eyes.« 7 II.1 S TAL IN AL S AD R ESSAT Der Arbeiter Alexej Iwanow hat vor kurzem einen Weltrekord im Stahl­ kochen aufgestellt. Als Repräsentantin der Intelligenz hält Natascha im Rahmen eines Festakts die obligatorische Laudatio. Hinter ihr, an der Wand, sehen wir ein großformatiges Porträt Stalins (Abb. 2a und 2b). Die Rede selbst, einige Male unterbrochen durch Einstellungen auf das Pu­ blikum, besteht aus Topoi des etablierten Stalindiskurses. Sie fragt nicht nur: »Wer hat uns geführt? Wer hat für uns all diese Möglichkeiten ent­ deckt?«, sondern souffliert zugleich eine Leerstelle, die frei bleiben muss, damit der Zuschauer sie füllen kann: »Ihr wisst, an wen ich dabei denke«. Nach einer kurzen Pause, emotional aufgeladen, fährt Natascha fort: »Was ich noch sagen wollte« – sie drückt das Redemanuskript an ihre Brust – »für mich wäre es das größte Glück« – Pause – »ihn zu sehen und ihm zu sagen« – mit einer plötzlichen Körperdrehung wendet sie sich dem Gemälde zu, adressiert es mit dem Satzfragment »dass ich … .«, nimmt sogleich die ursprüngliche, an das Publikum gerichtete Position wieder 7 Kenez 2001, 207. 572 ein, verharrt, nachdenklich, für einen Augenblick und fährt dann fort mit dem Geständnis – »doch da dies nicht möglich ist, sage ich einfach« – nun wieder hochgradig emotionalisiert, geradezu rufend – »Es lebe Stalin« – mit dem Rücken zur Kamera, ans Publikum gewendet – »der uns geboren hat in dieses große und glückliche Leben«. Es folgt der für solche panegyrischen Katarakte obligatorische, ins nahezu Hysterische überspringende anhaltende Applaus. Abb.2a/2b 2a/b Der Fall von Berlin: Stalin als Adressat Die Szene, der erste visuelle ›Auftritt‹ Stalins, zeigt eine über Stimme und Blick aufgeladene Inszenierung des Herrscherbildnisses Stalin. Es ist ein klassisches Herrscherbildnis, das zudem aufgrund seiner Dimensionierung die zentrale Funktion solcher Bildnisse, ihre Funk­ tion als ›Stellvertreter‹, geradezu exponiert.8 Schweigend, ein wenig im Hintergrund, figuriert das Gemälde zunächst als stumme Referenz der Rede Nataschas, die, einsetzend mit der phonetisch und semantisch ope­ rierenden Synonymisierung von »Stalin« und »stal« (Stahl), desgleichen durch die Titulierung Stalins als »Führer« und »Gebärer«, sukzessive das Porträt anreichert. Sind dies jedoch eher kanonische Sätze und Begriffe des stalinistischen Diskurses, so signalisiert die plötzliche Drehbewegung hin zu dem Bildnis eine unerwartete Wende. Vorausgegangen ist dieser Drehbewegung ja der Wunschtraum, Stalin einmal in persona zu sehen. Ein Wunsch, der unerfüllbar erscheint und daher durch den Blick auf das Gemälde als ›Stellvertreter‹ sublimiert werden muss. Damit signalisiert diese Drehbewegung zugleich ein politisches Votum. Wunscherfüllung 8 Warnke 2011, 482. B E ILE NH O FF: STA L I N S H E R R SCH E R B I L D N I S 573 gibt es allein über die Betrachtung der Bilder. Es sind Bilder, die uns adressieren und die, Symptom der Macht, uns dazu zwingen, sie zu betrachten. II.2 S TAL IN AL S G ÄR TN ER Eine Baumkrone in vollem Grün. Dazu im Soundtrack schwebende weibliche Gesangsstimmen und Vogelgezwitscher. Die Kamera setzt an zu einer kontinuierlichen Abwärtsbewegung. Ein junger Baumstamm erscheint senkrecht im Bild. Die Kamera schwenkt weiter, als verfolge sie ein Ziel. Nach einem Schnitt sehen wir Stalin. Sein Blick ist nach oben, ins Off, auf die weit gespannten, reichen Baumkronen gerichtet (Abb. 3a und 3b). Gekleidet in Militärstiefel, Militärhose und eine blütenweiße Jacke befindet er sich, wie die folgende Einstellung demonstriert, inmit­ ten aufgereihter junger Bäume, offensichtlich an einem semantisch hoch aufgeladenen Ort. Einem Paradiesgarten. Oder einer Baumschule. A3a/b 3a/b Der Fall von Berlin: Stalin als Gärtner Ausgerüstet mit einer Harke, prüft Stalin eine Baumscheibe. Er bückt sich, hebt etwas auf, offensichtlich Unkraut, und wirft es zur Seite. Es ist der erste Auftritt des hier von dem Schauspieler Gelowani gespielten filmischen Stalin. Ein Wächter, auch er paramilitärisch gekleidet, meldet Stalin, der zu einer ›Audienz‹ geladene Rekord-Stahlarbeiter Alexej sei da. Als er Stalin begrüßt, adressiert er ihn, Symptom emotionaler Erregung, mit dem Namen von Stalins Vater als »Wisarion Iwanowitsch«. Worauf Stalin, Exponent eines paternitären Diskurses, entgegnet: »Wisarion Iwanowitsch hieß mein Vater. Mein Name ist Josef Wisarionowitsch«. Das folgende kurze Gespräch dreht sich um Arbeit und Familiäres. Alexej kommt auf seine Beziehung zu Natascha zu sprechen. Stalin 574 prognostiziert: »Sie wird dich lieben, und wenn nicht, dann gib mir Be­ scheid«. Eingelöst wird diese Prognose am Ende des Films. Es ist Stalin, der, als Fluchtpunkt des Blicks die Liebenden miteinander verschaltet und zum Auslöser und Autor eines Happy End wird. Das Herrscherbildnis, das sukzessive in dieser Sequenz entworfen wird, operiert gleichermaßen ikonographisch, diskursiv und medial. Unter einem ikonographischen Gesichtspunkt konstruiert der Film ein Bildnis Stalins, das sich nicht nur durch dessen kommunikativen Gestus, die jedes einzelne Wort betonende, ruhige Stimme auszeichnet, sondern gleichermaßen durch die Kleidung, die in ihrer dualen Struktur einer elementaren Semiotik gehorcht. Stiefel und Hose figurieren dabei als Zeichen des Militärischen, die weiße Jacke hingegen als Zeichen des Zivilen – und als optischer Marker. Ikonographisch ausgewiesen als hybride Figur eines paramilitäri­ schen Gärtners, ist Stalin zugleich auch Inkarnation einer Idee. Inkar­ nation jener Funktion des Lenkers, Lehrers und Vaters, die Hobsbawm als eine für die totalitären Systeme der 1930er/1940er Jahre zentrale Funktion der Kunst bestimmt.9 Besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang dem Set zu, dem Garten, in dem die Szene spielt. Gärten sind keineswegs ein neutrales Territorium. In Gärten zeigen sich vielmehr »gesellschaftliche Verhältnisse und Sehnsüchte«.10 Unter diesem Gesichts­ punkt erweist sich der über den Schwenk und den nach oben gerichteten Blick Stalins gewonnene Zusammenhang von ausgewachsenen und jun­ gen Bäumen als Inszenierung jenes Diskurses des »Neuen Menschen«, der, einsetzend in den 1920er Jahren, ein zentrales Mythem der sowjeti­ schen Gesellschaft bildete.11 Die in diese Einstellung implantierten, noch im Wachstum begriffenen jungen Bäume bedürfen allerdings der Pflege, der, wie das folgende zeitgenössische Zitat propagandistisch unterstreicht, Supervision Stalins: »J. W. Stalin […] häufelt liebevoll ein frisch gesetztes Bäumchen ein. Und unwillkürlich drängt sich ein Vergleich auf. So lie­ bevoll sich der Führer um das Bäumchen kümmert, so liebevoll zieht er auch Menschen heran.« 12 9 Hobsbawm 1996, 12. 10 Hoiman 2011, 388. 11 Vgl. Baberowski 2012. 12 Vischnevskij, 1950. Zitat nach Hüllbusch 2001, 669. B E ILE NH O FF: STA L I N S H E R R SCH E R B I L D N I S 575 II.3 S TAL IN ALS STAR Es ist das Ende des Films. Die Rote Armee feiert den Fall von Berlin: mit Kasatschok und einem Defilee kapitulierender deutscher Generale. Ohne jede narrative Überleitung erscheint plötzlich am Himmel ein von Kampfjägern flankiertes größeres Flugzeug. Geradezu telepathisch indu­ ziert, richtet die feiernde Menge den Blick ins Off. Unter anhaltendem Jubel macht sie sich auf den Weg und befindet sich – gegen jede Raum­ logik – schon in der nächsten Einstellung auf einem leeren Flugfeld, auf dem, Fluchtpunkt des kollektiven Blicks, das Flugzeug landet. Gekleidet in die mit einer militärischen Auszeichnung besetzte weiße Uniform eines Generalissimus erscheint Stalin, die Hand zum Gruß er­ hoben, auf der mit einem roten Teppich ausgelegten Gangway. Er dankt den Generälen für die »bemerkenswert durchgeführte Operation« und adressiert die jubelnde Menge, in der neben der sowjetischen nun auch die amerikanische, britische und französische Flagge zu sehen sind. Immer wieder erstarrend ins Posenhafte, buchstabiert er die vertrauten Parolen und entwirft eine von »Frieden und Glück« getragene Welt. A4a/b 4a/b Der Fall von Berlin: Stalin als Star Auf der Ebene des Subplots kommt es zu einem Happy End. Natascha und Alexej erkennen und finden einander in der Menge. Der folgende Kuss erscheint aufgrund der Blickdramaturgie wie sanktioniert durch Sta­ lin. In unmittelbarem Anschluss an diese private Liebesgeschichte wendet sich Natascha Stalin zu. Sie dankt ihm »für alles, was Sie für unser Volk getan haben«, eilt mit ausgebreiteten Armen zu ihm hin und küsst seine ordenverzierte linke Brustseite. Über die Schulter hinweg sehen wir, wie sie sich, geradezu hypnotisiert, nicht losreißen kann von dem Gesicht, das 576 sie vor sich hat. Der eingangs als unmöglich geäußerte Wunsch, Stalin persönlich zu begegnen, ist auf hypertrophe Weise eingelöst. Inszenierte die Gartensequenz ein Herrscherbildnis, das Stalin als Erzieher und Pfleger entwarf, so erweist er sich in dieser Schlusssequenz offenkundig als Star. Und als Star gehorcht auch er nun den Gesetzen des Startums. Stardom ist, wie Richard Dyer verdeutlicht hat, keineswegs eine Gegebenheit, sondern ein Konstrukt, ein Image, das in einer konstitutiven Differenz zur jeweiligen vorfilmischen Person steht. Erst diese Differenz gibt die Bühne frei für die Generierung jener übermenschlichen Qualität, die den Star auszeichnet. Die vorfilmische Person Stalin ist ein Name. Die filmische Figur ›Stalin‹ hingegen ist ein Bild, eine Folge von Bildern, Tönen und Diskursen. Betrachtet man die Schlusssequenz unter diesem Gesichtspunkt, so erweisen sich vor allem zwei Operationen als konsti­ tutiv: die Herstellung von Sichtbarkeit und der Einsatz der Bildmagie. Signifikant ist zunächst Stalins Auftritt. Anders, als dies der Film behauptet, kam er nicht in einem Flugzeug, sondern in seinem persönli­ chen Eisenbahnwaggon zur Potsdamer Konferenz. Durch diese histori­ sche Falsifikation und die mit ihr verbundene Montage als eine geradezu himmlische Erscheinung exponiert, betritt er die mit einem roten Teppich ausgekleidete Bühne und dominiert in seiner blendend weißen Uniform von Beginn an die Szene, indem er eine optische Schranke zwischen sich und die in dunklen Farben gehaltene Menge setzt. Weiß ist bekanntlich jene Farbe, die sich, im Unterschied zu den übrigen Farben, dadurch auszeichnet, dass das Auge »mit starker Tätigkeit reagiert«.Eine Reaktion, die im vorliegenden Fall dazu führt, dass die Menge reflexartig, geradezu hypnotisiert, auf Stalins Erscheinen reagiert und unter anhaltendem Jubel aus der Tiefe des Raumes auf ihn zu eilt.13 Unter diesem Gesichtspunkt wäre Sichtbarkeit, jenseits aller narrativen Aufladung, die der Film bis zu diesem Zeitpunkt angehäuft hat, jene Macht, die Handeln, Geschehen auslöst, ohne dass man selbst handeln müsste. Eine Sichtbarkeit, die im vorliegenden Fall sich als Theater der Macht erweist. Als ein öffentliches Schauspiel mit zahllosen Zuschauern – und einem durch die Farbe Weiß markierten Star namens ›Stalin‹. Die Relevanz, die Stalins Startum als Medium der Bildmagie zu­ kommt, zeigt sich geradezu paradigmatisch an der paradoxen Kussszene, mit der der Film endet. Nataschas Wunsch, Stalin als Zeichen des Dankes 13 Zum Status des Jubels als »Imaginärem der Zeit des Terrors« vgl. Ryklin 2003, 52. B E ILE NH O FF: STA L I N S H E R R SCH E R B I L D N I S 577 küssen zu dürfen, erfährt ja eine signifikant andere Einlösung. Der Kuss gilt nicht, wie der Zuschauer erwarten könnte, Stalins Lippen und gleicht somit auch nicht dem gerade gesehenen profanen Kuss zwischen Alexej und Natascha. Es handelt sich vielmehr um einen ausgelagerten Kuss, der, wie Nataschas anfängliches, noch Stalins Gesicht avisierendes Zögern signalisiert, nicht mehr dem Körper des Anderen gilt, sondern einem Äußeren, einer Uniform. Nicht zufällig bleibt Stalin daher auch ohne jede Regung und Bewe­ gung. Er ähnelt eher einem Fetisch, einem zur Verehrung freigegebenen Bild seiner selbst. Und indem so nicht mehr die Person, sondern ihr Bild geküsst wird, entpuppt sich diese Kussszene als Appropriation jenes Küssens der Ikonen, das alltägliche Praxis der Orthodoxie war und wie­ der ist: mit dem massenmedialen Effekt, dass Stalin, »no longer a man but a god […] had to be venerated in the form of innumerable busts and pictures, that is icons.« 14 III. PROPAG ANDA Das Stichwort »Ikone« ist nicht zufällig Fluchtpunkt dieses Zitats. Legt es doch, was hier nur in groben Zügen angesprochen werden kann, eine Spur, die den spezifischen medialen Status dieser Herrscherbildnisse verdeutlicht. Wenn jede Ikone eine Modifikation, eine je andere Ver­ bildlichung eines abwesenden, nie erreichbaren Urbilds ist, so zeigt sich hier, dass dieses Urbild in seiner massenmedialen Artikulation je andere Transformationen erfährt. Herrscherbildnisse Stalins finden sich, wie ein­ leitend angesprochen, nicht nur im Medium Film, sondern gleichermaßen in den anderen Bildmedien. So, um ein Beispiel zu nennen, in der Collage Klucis (Abb. 5), einem Plakat, das in hoher Auflage verbreitet wurde und das, ausgelagert aus jedem narrativen Prozess, in forcierter Form, gleich­ sam überdeterminiert jene propagandistische Zielsetzung exponiert, die, wie die vorgenommenen Schritte verdeutlichen konnten, auch den hier zugrunde gelegten Film auszeichnet: »Der Propagandist beschränkt sich nicht darauf, bereits vorhandene Symbole und Embleme zu benutzen, sondern er betreibt ihre Überdetermination, um ein eindeutiges Regime der Interpretation durchzusetzen«.15A5 14 Kenez 2001, 209. 15 Mondzain 2006, 54. 578 5 Gustav Klucis: Der Sieg des Sozialismus in unserem Lande ist gesichert, 1932, Offsetdruck, Russische Staatsbibliothek, Moskau (siehe Taf. 15) B E ILE NH O FF: STA L I N S H E R R SCH E R B I L D N I S 579 BILDREC HTE 1 Helena Rubinstein Fund. 2a, 2b, 3, 4a, 4b Filmstills aus: Fall of Berlin (Padenie Berlina): The Res­ tored Soviet Two­Part WW 2 Epic. Regie: Mikhail Chiaureli (Michail Tschiaureli). UdSSR 1949. Chicago: International Historical Films 2006. 5, Taf. 15 © Fine Art Images. LITERATUR VER ZEICH N IS Arnheim 1978 Arnheim, Rudolf: Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges. Neufassung. Ins Deutsche übertragen von Hans Hermann. Berlin 1978. Baberowski 2012 Baberowski, Jörg: ›Neue Menschen‹. In: ders. Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt. München 2012, 132–154. Dyer 1979 Dyer, Richard: Stars. London 1979. Fiedl/Rauchenbacher/Wolf 2011 Fiedl, Konstanze / Rauchenbacher, Marina / Wolf, Joanna (Hrsg.): Handbuch der Kunstzitate: Malerei, Skulptur, Foto­ grafie in der deutschsprachigen Literatur der Moderne. Berlin/Boston 2011. Hein 1990 Hein, Christoph: Als Kind habe ich Stalin gesehen. In: Ders. Als Kind habe ich Stalin gesehen. Essais und Reden. Berlin 1990, 137–141 [EV Die Zeit Nr. 33, 11. August 1989]. Hobsbawm 1996 Hobsbawm, Eric: Einführung. In: Dawn Ades / Tim Benton / David Elliot u. a. 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Richard Weihe 1 betrachtet sie aufgrund dieser Eigenschaft als Form der Einheit des Unterschiedenen: Masken trennen ein Innen vom Außen, und indem sie dieses Innen verbergen, verweisen sie auch auf es – und präsentieren es auf eine besondere Weise. Doch ist ein solches Spiel des Zeigens und Ver­ bergens nicht alles. Masken sind nicht nur zum Ansehen, sondern auch zum Aufsetzen da. Sie wollen nicht nur angesehen werden wollen: Sie wollen auch, dass man von innen durch sie hindurchsieht. Und wer dies tut, ist von dem kommunikativen Zwang entbunden, das eigene Gesicht auf den Blick anderer auszurichten. Wer eine Maske trägt, kann daher Dinge tun, die er ohne sie niemals täte. Masken zeigen und verbergen also nicht nur, sie ermöglichen auch. Dieser Aufsatz besteht aus zwei Fallstudien zu zwei sehr unterschied­ lichen Masken – und damit auch zwei sehr unterschiedlichen Ermögli­ chungen. Die erste Maske stammt aus der Commedia dell’Arte. Es ist die Maske des Arlecchino, des Harlekin. Die zweite ist eine Guy­Fawkes­ Maske. Sie stammt aus dem Film V for Vendetta nach dem gleichnamigen Comic. Meine Studie zu diesem Masken ist insofern ›morphomatisch‹,2 als ich auf spezielle Figurationen abheben möchte, auf Maskenpraktiken nämlich, die zwar aus verschiedenen kulturellen Kontexten entstammen 1 Vgl. Weihe 2013 2 Vgl. Boschung 2013; Blamberger 2013. 582 und auch für verschiedene Anliegen haben, aber in zumindest einer wichtigen Hinsicht vergleichbar sind – nämlich der Ermöglichung einer besonderen Form des Handelns. Zielpunkt ist zu zeigen, dass beides ein Potential für die kulturelle Arbeit am Möglichen birgt,3 das heißt einer­ seits für das Nachdenken über das, was sein könnte, und andererseits für die faktische Eröffnung von Möglichkeiten. I. ARLEC C HINO 1 Maske des Arlecchino, Rekonstruktion A1 Die erste Maske ist diejenige des Arlecchino. Es handelt sich um ein recht einfaches Stück Leder, das über eine geschnitzte Positiv­Form gezogen 3 Vgl. Blamberger/Roussel/Voßkamp 2013. S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 583 wurde und dann ausgehärtet ist. Das ist ein recht einfaches Verfahren – einst erlaubte es den Schauspielgruppen, verschlissene Masken schnell zu ersetzen. Man benutzte ausnahmslos Halblarven, Masken also, die nur die obere Gesichtspartie verdeckten. Aus ikonographischer Sicht gibt die Maske nicht viel her. Eine Physiognomie lässt sich kaum erkennen. Da sind zwar die eingefallenen Wangen, die Arlecchinos unbändigen Hunger vergegenwärtigen sollen – doch der war dem Publikum bereits bekannt und ließ sich auch aus der Bühnenhandlung leicht ersehen – sonderlich sprechend ist er also nicht. Etwas mehr gibt der Gesichtsausdruck her. Markant sind die weit aufgerissenen Augen und die Stirnfalten. Über­ raschung und Unverständnis scheinen in dieser eingefrorenen Mimik zu liegen. Ein solcher Ausdruck sagt allerdings weniger über eine Figur und ihren Charakter aus als über die Situation, in der sie sich befindet. Mehr noch: Dass ausgerechnet diese Mimik eingefroren ist, scheint para­ dox: Überraschung ist etwas Flüchtiges. Umso wichtiger wird damit das dynamische Moment dieser Maske – und zwar im Zusammenspiel mit der jeweiligen Bühnensituation – ja mehr noch: im Zusammenspiel mit dem restlichen Gesicht, denn schließlich entscheidet bei einer Halblarve diese untere Gesichtspartie darüber, was das Gesicht ausdrückt; umge­ kehrt aber legt die Maske fest, welche Mimik die untere Gesichtspartie überhaupt annehmen kann, und welche nicht – denn schließlich ergeben nur wenige mimische Regungen im Zusammenspiel mit der fixierten Grimasse Sinn. Betrachtet man die Gesichtszüge des Arlecchino also als ein Porträt, dann geht dieses Porträt nicht in der Logik der Dar­ stellung auf – es ist ein Porträt­in­Aktion, ein mit der belebten Mimik interagierendes Porträt. Dieses Zusammenspiel lässt eine an Horst Bredekamps Theorie des Bildakts4 angelehnte Betrachtungsweise zu: Eine Betrachtungsweise also, die nicht fragt, was ein Bild besagt oder ausdrückt, sondern die fragt, was ein Bild tut. So gefragt tut die Maske zunächst einmal etwas mit dem Schauspieler. Sie orientiert sein Gesicht. Auch eine andere Gestik wird erfordert – so machte Giorgio Strehler bei den Problem zu seiner berühmten (und bis auf den heutigen Tag nicht abgesetzten) Inszenierung von Carlo Goldonis Servitore di due padroni am Mailänder Piccolo Teatro eine besondere Entdeckung: Jede Geste, die das Gesicht berührt hätte, wirkte falsch und gestellt. Mehr noch: Die Maske gibt ihrem Träger sogar eine Körperhaltung vor. Ein beeindruckender Schauspieler der Commedia 4 Bredekamp 2010. 584 dell’Arte – Mace Perlman – beschreibt diese Haltung als Doppelbewegung nach unten und nach oben.5 Der Gesichtsausdruck führt in eine gebückte Haltung – die Haltung eines Dieners und Lastenträgers, wie Arlecchino einer ist. Zugleich richtet sich der Blick auf etwas zu herausfordernde Weise nach oben. Im Zusammenspiel von Bewegungserfordernissen und Bewegungsanregungen eine Art Hilfestellung für die verkörperte Interaktion. Schließlich die Maske sogar noch mehr – und zwar mit den anderen Schauspielern, die mit dem Maskenträger zusammenspielen. Wer mit einer Maske spricht, dem nimmt sie schließlich einen Teil seines Gesichtsausdrucks ab. Und so spricht ein Gegenüber nicht nur mit einem selbst, sondern immer auch mit der Maske – und wird dies auch auf eine andere Weise tun, als würde es auf die Mimik hinter der Maske reagieren. Eine Maske verändert damit die Gesamtdynamik auf der Bühne, ist ein eigener, von den agierenden Körpern beseelter Akteur. Michele Bottini, eine weitere Größe unter den lebenden commedianti dell’Arte beschreibt in diesem Zusammenhang ein merkwürdiges Erlebnis mit einer Arlecchino­Maske, das ihn im Zustand völliger Erschöpfung auf der Bühne ereilte. Er schreibt: Ich spielte nur noch auf Autopilot. […] Die Ledermaske war so schweißdurchtränkt, dass sie sich weich anfühlte; und durch die kleinen Löcher sah ich die anderen Schauspieler wie Fische in einem brackigen Aquarium. […] Ich war kurz davor, die Maske abzuneh­ men, mich bei dem Publikum zu entschuldigen und die Bühne zu verlassen. Doch in diesem Moment passierte etwas Merkwürdiges. Es fühlte sich an, als ob die Maske lebendig würde. Sie schien mein Gesicht zu ergreifen, und in einer leisen Stimme sagte sie: ›Also gut, mein Freund, nun folge mir.‹ Plötzlich waren meine Anspannung und meine Erschöpfung wie verflogen. Ich wurde wieder klar und wartete. Arlecchino machte nun einen stillen Pakt mit mir, und ich folgte ihm. Ich tat alles, was er mir sagte. Meine Energie kehrte zu­ rück. Ich hörte auf, auf der Bühne interessant und unterhaltsam sein zu wollen. […] Ich war nicht mehr der Star des Abends. Eine große Verantwortung viel von meinen Schultern. Der Erfolg war nicht mehr meine Sache, die des Schauspielers. Ich wurde zum ›Servitore‹ und begann wörtlich zu nehmen, was die anderen Schauspieler sagten. 5 Perlman 2015. S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 585 […] durch die kleinen Löcher der Maske begann ich, die Welt mit den Augen Arlecchinos zu sehen.6 Offenbar hatte er eine andere Maske als diejenige, die ich für die Abbil­ dung 1 ausgewählt habe. Eine mit kleinen Augen. Aber das ändert nicht viel. Es ist klar, dass Bottini hier mit der Teufelstradition der Arlecchino­ Maske spielt und sie zu einer Art fröhlichen Form des Satanspakts aus­ baut. Was weniger klar ist, ist, an welcher Stelle der Masken­Pakt meta­ phorisch zu verstehen ist und an welcher Stelle wörtlich. Dass der Geist Arlecchinos zu eigenständigem Leben erwacht und zu sprechen beginnt, halte ich einmal für eine Metapher. Dass die Maske eine Art Eigenleben haben kann, indessen nicht. Wir haben ja gesehen, dass sie handeln, dass sie etwas tun, genauer: Etwas verändern kann. Dass die Maske Bottinis Gesicht »ergreift«, ist somit auch ohne allzu viel Schauerromantik zu er­ klären. Doch der Punkt, der mir an dieser Stelle am wichtigsten ist, und noch näherer Betrachtung bedarf, ist folgender: Die Maske half ihm ja vor allem dabei, nicht mehr für den Blick des Publikums zu handeln, sondern im Handeln aufzugehen. Und wie die Maske den Weg in einen solchen Zustand der Präsenz ebnet, scheint ein etwas größeres Rätsel zu sein. Will man es lösen und diese Funktion der Arlecchino­Maske be­ stimmen, so hilft ein Blick auf die gängigen Maskentheorien aus Perfor­ manzforschung, Ethnologie und Kulturwissenschaften. Im Großen und Ganzen unterstellt man Masken dort eine Art apollinisch­dionysische Dichotomie: Einerseits ist da ein Spiel der Verkleidung des Gesichts 6 I recited with my autopilot engaged. […] The leather mask was so drenched in sweat that it felt soft on the face and through the little holes for the eyes I saw my fellows on stage like fish in an aquarium of murky water. […] I was tempted to raise the mask, to apologize to the audience and to leave the show. It was that moment that something strange happened. I felt as if the mask was becoming animated with life of its own. It seemed to grasp my face and in a quiet voice, the mask said to me: ›OK, my friend, now follow me …‹ Suddenly my tension and my exhaustion seemed to vanish. I regained lucidity and I waited. Arlecchino made a silent pact with me at that moment and I followed. I did exactly what he told me. At that moment, my energy returned. I ceased trying to be interesting and entertaining on stage. […] I was no longer the star of the show. It was the extraordinary experience that a weight had been lifted; the responsibility for the success was no longer mine as the actor. I was becoming the servant. I began to take literally what the other characters were saying. […] Through those little holes of the leather mask I began to see the world with the eyes of Arlecchino. (Bottini 2015, 60 f.) 586 – ein Spiel also mit Rollen und Identitäten. Komplement dieses Spiels ist ein Gesehen­Werden, denn ohne den Blick der anderen könnte es nicht statthaben. Daher spricht der Dramaturg, Romancier und Kulturwissen­ schaftler Richard Weihe in seinem lesenswerten Buch von einer Paradoxie der Maske 7 – einem gleichzeitigen Sich­Zeigen und Sich­Verbergen. Alternativ zu diesem kommunikativen Spiel mit dem Blick der Anderen konstatieren diverse Maskentheorien aber auch eine komplette Ausblen­ dung dieses Blicks im Rahmen einer Art ekstatischen Entfesselung, die u. a. mit dämonisch­geisterhaftem Handeln in Verbindung gebracht wird – so zum Beispiel von der Performanzforscherin Erika Fischer­Lichte,8 die den ekstatischen Effekt beschreibt, wenn das Handeln nicht mehr dem Maskenträger, sondern der Maske zugeschrieben wird. Die Dichotomie zwischen apollinischer Selbstinszenierung und dionysischer Trance ist auf verschiedene Weise beschrieben worden. Der Archäologe John Picton9 stellt etwa umsichtig der Gewinnung einer reflexiven ›dramatic distance‹ des Zeigens und Verbergens eine distanz­ lose Verkörperung von Geistern mit fremder Handlungsmacht entgegen; und der ethnologische Anthropologe John Emigh10 unterscheidet para­ digmatisch zwei Maskenfunktionen – nämlich einerseits das zeigende und verbergende »concealment« und andererseits die Heimsuchung oder »visitation«, bestimmt von einem »Verlust des Ich­Erlebens« und einem »Rückgang der bewussten Kontrolle«.11 Zur Beschreibung von Bottinis Maskenpakt hilft natürlich der Begriff der Heimsuchung – zumal er auch der Metapher eines als Geist auftau­ chenden Arlecchino gerecht wird. Doch tritt bei näherer Betrachtung hervor, dass die beschriebene Dichotomie nicht recht zur Beschreibung seines Masken­Pakts taugt, da sowohl Trance als auch Ekstase unpassen­ de Begriffe wären. Bottinis Pakt ist etwas anderes als eine Besessenheit – er »folgt« zwar, aber das tut das auf aktive, kontrollierte Weise. Der Pakt geht mit keinem Selbstverlust einher; die fremde Handlungsmacht äußert sich als bewusst erlebte Orientierung des nach wie vor als eigenes Tun erlebten Handelns. Tatsächlich scheint mir die besagte Dichotomie auf einer aus phä­ nomenologischer Sicht sehr problematischen Gleichsetzung zu beruhen, 7 Weihe 2013. 8 Fischer­Lichte 1982, 102–11. 9 Picton 1990. 10 Emigh 1996. 11 Ebd. 29 (meine Übersetzung). S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 587 nämlich derjenigen von Handlungsaufmerksamkeit und Ichaufmerksam­ keit, von einer Konzentration auf das eigene Tun und einer Konzentra­ tion auf die eigene Identität oder Rolle. Nur wer Handlungsbewusstsein und Ichbewusstsein gleichsetzt, kann schließlich der Ansicht sein, dass jedweder Mangel an einem Bewusstsein für das Sich­Zeigen und Sich­ Inszenieren notgedrungen in eine Art Ekstase münde. Dass Handlungs­ aufmerksamkeit und Ichaufmerksamkeit aber zwei Paar Schuhe sind, liegt indes auf der Hand: Ein zu großer Fokus darauf, wie man rüberkommt (eine zu große Ichaufmerksamkeit), lässt oft die Flüssigkeit der eigenen Rede ins Stocken geraten. Vergisst man sich im Reden, bedeutet das umgekehrt nicht, dass man nicht mehr wüsste, was man sagt. Auch gibt es einige einschlägige Studien zu einer oft extremen Handlungsaufmerk­ samkeit unter Ausblendung des reflexiven Ich-Bewusstseins (meist firmiert sie unter dem Namen ›optimal flow‹, während ihr Gegenteil: das Stocken des Handlungsfluss qua reflexiver Aufmerksamkeit als ›choking‹ benannt wird).12 Vor allem aber scheint eine Unzahl von Maskenpraktiken auf ge­ nau diesen Zustand gerichtet zu sein. Ich denke zum Beispiel an Masken in Aggression und fleischlier Leibe: Kriegsbemalungen, Helme, Gesichts­ schutz oder erotische Masken. Solche Masken helfen, in eine mehrere Körper umfassende Dynamik einzugehen, und sie leisten dabei oft auch eine körperliche Orientierung und befreien von Scham. Sie ersetzen den oft nur mäßig kontrollierbaren emotionalen Ausdruck durch eine starre Form, die für eine spezifische, enthemmtere Form der affektiven Dynamik förderlicher sein kann als spontane Mimik es wäre. Das Ichbewusstsein wird insofern reduziert, als dem Ich teilweise die Arbeit abgenommen wird, sich selbst inszenieren zu müssen. Der Maskenträger wird – zu­ mindest partiell – dem kommunikativen Zwang enthoben, sich dem Blick des Anderen zeigen und verbergen zu müssen. Die Funktion ist diejenige einer Art Tarnkappe: Man kann handeln, ohne sich preiszugeben. Genau diese Funktion scheint es mir zu sein, die Bottini hervorkehrt: Er fühlt sich nicht mehr für den Erfolg des Stücks verantwortlich, sein Bewusstsein dafür, sich den Zuschauern zu präsentieren schwindet, er handelt unmittelbar und direkt – so sehr, dass Rolle und Selbst ver­ schmelzen und er wörtlich nimmt, was die anderen Schauspieler sagen. Zugleich lässt er seinen handelnden Körper von der Maske orientiert werden. Die Maske hilft Bottini bei einer Form des Schauspiels, das seine Bühnenpräsenz dort zu finden sucht, wo er sich gerade nicht in jenem 12 Vgl. Hutto 2014. 588 Alltags­Zwiespalt zwischen Rolle und Identität aufhält, wo er stattdessen einer interaktiven Bühnendynamik folgt und im Handeln aufgeht.13 13 Diese Form der Bühnenpräsenz ist natürlich nicht ›die‹ Bühnenpräsenz per se, sondern eine spezielle Form davon, auf die es vor allem gegenwärtige Schauspielschulen – vom Method Acting bis zum akrobatisch­choreographi­ schen oder »biomechanischen« Avantgardetheater – anlegen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein (und in Deutschland teilweise sogar noch bis auf den Tag) – folgte das Schauspiel einem ganz anderen Paradigma, nämlich der ein­ studierten Deklamation, einer bewussten und eingeübten Körperkontrolle und einer kontrolliert reflektierten Nutzung des umfassend einstudierten Gesten­ Repertoires. Diese Tradition ist recht alt. Bereits Denis Diderots Paradoxe sur le comédien (zwischen 1777 und 1773) behauptet das exakte Gegenteil zu dem, was Bottini hier zelebriert: Dort findet sich die Ansicht ausformuliert, dass ein Schauspieler Affekte besser darstellen und evozieren kann, wenn er sie gera­ de nicht verspürt und in keinerlei übergreifender Dynamik aufgeht, sondern seinen Ausdruck bewusstem Kalkül folgen lässt. Auch zur Entstehungszeit der Commedia dell’Arte dominiert eine Deklamationstheorie des Schauspiels: Es handelt sich um die Anwendung der antiken Rhetoriklehren auf die – von Humanisten geschriebenen und ebenfalls humanistisch gebildeten und d. h. rhetorisch geschulten Laienschauspielern aufgeführten Dramen der Commedia erudita und der Renaissancetragödie. – Dennoch ist Bottinis Form der Bühnen­ präsenz für die Commedia dell’Arte in gewisser Weise adäquat. Das zeigt das Beispiel des ersten Arlecchino­Darstellers Tristano Martinelli – genauerhin das Beispiel von dessen dem französischen Königspaar Henry IV und Maria de’ Medici zugeeignete Rhetoriktraktat: einem Buch mit leeren Seiten nämlich, was sich kaum anders verstehen lässt denn als ein Hinweis darauf, dass Martinellis Kunst gerade ohne die Rhetoriklehren und damit auch ohne Deklamations­ theorie auskam. Dass in ästhetischer Hinsicht deutliche Parallelen zwischen der Kunst der historischen Commedia dell’Arte und derjenigen Schauspielkunst bestehen, auf die Bottini es anlegt, legt ein Nachruf auf Vincenza Armani nahe, die (maskenlose) Innamorati­Rollen gespielt hatte. Sie war, wie man dort lesen kann, berühmt dafür, auf der Bühne passgenau erröten und erbleichen zu können – also (in Bottinis Worten) »wörtlich zu nehmen«, was die anderen commedianti sagten und taten. Mehr noch: Erröten und Erbleichen doch un­ willkürliche Körperregungen, die sich nicht einstudieren lassen. Nicht zuletzt aufgrund gerade dieser Fähigkeit, wurde im späten 19. Jahrhundert Eleonora Duse zur Ikone späterer Method­Actors. Zeitgenössische Traktate bestätigen auch recht klar, dass die Kunst der Commedia dell’Arte gerade keine humanis­ tische Deklamationskunst war: So legen Pier Maria Cecchini’s Discorso sopra l’arte comica, Flaminio Scala’s Prologo zu Il finto marito, und Luigi Ricoboni’s Dell’arte rappresentativa sowie sein Discorso sulla commedia all’improvisa mehr als nahe, dass das Schauspiel der Commedia dell’Arte stattdessen – in Kongruenz S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 589 Damit soll nun nicht gesagt sein, dass die Arlecchino­Maske auf eine moderne Form des Schauspiels hin angelegt gewesen sei. Das war sie ganz und gar nicht. Ja, man kann sogar sagen, dass sie primär nicht einmal auf das Schauspiel angelegt war. Das zeigt die Vorgeschichte der in der Commedia dell’Arte verwendeten Masken. Diese Vorgeschichte hat die Forschung lange vor größere Probleme gestellt – insofern es sie nämlich gar nicht recht zu geben schien: Masken waren zwar durchaus im antiken Theater verwendet worden – nicht aber in der zeitgenössischen commedia erudita, bei der die Commedia dell’Arte sich ansonsten reich bediente. Pas­ sionsspiele und Mysterienspiele kannten zwar Masken. Diese verdeckten aber das ganze Gesicht des Trägers und waren ikonisch ausgeformt (etwa um gräuliche Teufelsfratzen zu veranschaulichen) – ganz im Gegenteil zu den ikonisch dürftigen Masken der Commedia dell’Arte. Die neuere For­ schung richtet ihren Blick daher auf eine andere Tradition. Halbmasken fanden nämlich durchaus im Karneval Verwendung. Hier dienten sie der Freistellung von dem kommunikativen Zwang sich als ein Selbst darstellen zu müssen und eröffneten die Möglichkeit eines Handelns ohne Scham. Wichtiger ist noch der Umstand, dass die ersten commedianti, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Gattung der Commedia dell’Arte in Vene­ dig entstehen ließen, gar keine Schauspieler, sondern Schausteller waren: Akrobaten, Bänkelsänger und saltimbanchi. Letztere – eine spezielle Art von Clowns, die bei Festen auf die Tische sprangen um Chaos zu stiften – trugen Halbmasken, die anzeigten, dass die Maskenträger Dinge taten und tun durften, die man im normalen Leben nie getan hätte. Dies ging mit höchster Konzentration einher, mussten saltimbanchi ja nicht allein Chaos stiften, sondern mit diesem Chaos auch noch adäquat umgehen können: Sie hatten kein festgelegtes Skript, ihre Performance stellte viel­ mehr parasitär die rituelle Ordnung des jeweiligen Events auf den Kopf und produzierte Unüberschaubarkeit, in der es dann spontan und impro­ visierend zu handeln galt. Im kollektiven Bewusstsein des 16. Jahrhunderts in Venedig verwiesen Halbmasken also nicht aufs Schauspiel, wohl aber auf clowneske Improvisation und Karneval. Sie waren dafür da, das Spiel in die Welt hineinzutragen, anstatt die Welt auf die Bühne zu bringen.14 zur oben umrissenen Maskenfunktion – auf Spontaneität, Situativität und Bühnendynamik setzte. Das liegt auch bereits insofern auf der Hand, als De­ klamation auf niedergeschriebene Texte angewiesen ist, während die Commedia dell’Arte ein Improvisationstheater war. (Vgl. hierzu Claudio Vicentini 2012.) 14 Das bedeutet aber nicht, dass die commedianti keine literarische Bildung gehabt hätten. Tatsächlich eigneten sie sich als Autodidakten eine recht 590 So spricht allein schon die Maskentradition dafür, dass die Commedia dell’Arte keine genuin dramatische Gattung war: Zumindest in ihren An­ gängen ließ sie sich nicht als Theater mit Jahrmarktseinlagen beschreiben, sondern war vielmehr ein Jahrmarktsspektakel, das sich um einen (meist dieser Theatertradition entlehnten) Plot herum neu organisierte. Histo­ risch ist dieses Faktum unbestritten. Doch die ästhetischen Konsequenzen sind selten genau beschrieben worden. Dabei – und damit komme ich zu der konkreten Maske des Arlecchino zurück, liegen sie auf der Hand. Als Figur erfüllt Arlecchino bühnenintern schließlich genau die Funktion der saltimbanchi: Er drängt sich in den (der literarischen Tradition entlehnten) Plot hinein, lässt ihn aus dem Ruder laufen, verwandelt stabile soziale Ordnung in situatives und ephemeres Chaos, stellt alle anderen Figuren (und auch sich selbst) unter permanenten Handlungsdruck – oder ge­ nauer gesagt: Er führt in jenen Improvisationsdruck hinein, der eine gute Commedia dell’Arte performance ausmacht. Es kommt daher nicht von un­ gefähr, dass – um Mace Perlmans Beobachtung wieder aufzugreifen – seine Maske den Körper nach unten hin beugt und nach oben hin ausrichtet – und zwar in einem Doppelsinn, der sowohl wörtlich (gebeugt unter der Traglast und den Schlägen, aufgerichtet insofern er beidem nicht folgt) als auch metaphorisch für einen transitiven sozialen Status zu verstehen ist. wildwüchsige literarische Tradition an, aus der sie sich in Sachen Dramenhand­ lung, Figurenrepertoire und Sprachstil reichlich bedienten. In vielen Fällen kam ihre Belesenheit (wie sich zumindest u. a. für die berühmte Gruppe der Gelosi und auch für die Confidenti belegen lässt) derjenigen der Humanisten gleich. Doch sprechen viele Zeugnisse dafür, dass sie zugleich ihren schaustellerischen Stolz beibehielten und ihn auch gegenüber der literarischen – humanistischen – Bildung geltend machten. Als Beispiel lässt sich etwa der anonyme lacrimoso lamento che fè Zan Salcizza e Zan Capella invitando tutti i Filosofi, Poeti, e tutti i Fachì delle valade, a pianzer la morte di Zan Panza de Pegora, alias Simon Comico Geloso nennen – ein Nachruf, in dem ein Dienerdarsteller auf eine Ebene mit einer Universalität humanistischer Autoritäten aus Antike und Gegenwart ge­ stellt wird. Das allein wäre nichts besonderes – vielmehr bedient dieser Umstand auch humanistische Formen der Karnevalisierung. Allein: Wenn im geschickten Wechsel aus komischer Absurdität und echtem Stolz die Autoritäten dazu auf­ gefordert werden, Zan Panza de Pegora zu besingen, dann ist die Spitze dabei diejenige, dass er mit viel mehr Sprachen viel Großartigeres anstellen konnte als sie selbst. Sprachliche Virtuosität wird in Dienst der Improvisation und nicht in Dienst der Abfassung von Texten gestellt – und dabei wird ausgespielt, dass Literaten in ihrer Form der Virtuosität weder die Geschwindigkeit noch die Bühnenpräsenz an den Tag legen, die für die commedianti selbstverständlich war. S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 591 Das Zusammenspiel mit den anderen – ebenfalls auf Körperhaltung hin angelegten – Masken ist ebenso sprechend. Neben den Dienern und den Liebenden – die der literarischen Tradition entlehnte und entspre­ chend maskenlos verkörperte Figuren sind – stehen mindestens zwei Alte auf der Bühne der Commedia dell’Arte. Meist ist dies einerseits der Kaufmann Pantalone dei Bisognosi mit seinem in den Nacken gereckten Kopf, ausgeprägtem Riecher, der zudem von einem Spitzbart und einer Art Dildo an den Lenden phallisch verdoppelt wird – ein begehrender Mensch also, ein Bisognoso (wörtlich: Bedürftiger) eben, dessen aufwärts gereckte Gesichtspartie allerdings einen gewissen Buckel als Haltung einfordert, sodass seine ›natürliche‹ Inklination, über die anderen Figuren hinwegzublicken, in seiner Gebrechlichkeit ein Gegengewicht findet. Ein anderes Beispiel ist der Dottore, mit seinem herausgestreckten Bauch und Doppelkinn – sowie einer breiten, aber stark nach unten weisenden Nase – was seine Haltung zwischen sanguinisch­jovialem Hang zum leiblichen Wohl und melancholischer Neigung zu entfesselt­sinnlosem Diskursgebrauch einpendelt. Auch diese beiden Masken stehen also im dynamischen Spiel von Aufwärts­ und Abwärtsorientierung, doch tun sie dies auf ganz andere Weise als die Arlecchino­Maske. Statt Subjekte oder auch nur Subjekttypen in Szene zu setzen, darzustellen und auszuformen, lassen die Masken Haltungs- und Handlungstypen (oder anders gesagt: den kollektiven emotionalen und körperlichen Habitus gesellschaftlicher Gruppierungen) zutage treten, indem sie den Habitus spezifischer Sozial­ charaktere sich an einer (unterschwellig choreographierten und dennoch auf spontane Unberechenbarkeit hin angelegten) Umwelt brechen lassen. Dabei steht nicht die Sichtbarmachung des Unsichtbaren und die Zur­ schaustellung des Charakters im Vordergrund, sondern die interaktive Bühnendynamik. Auch wird der spezifische Moment nicht – wie im Porträt – fixiert, sondern als dynamisch-ephemeres Ereignis erzeugt. Eingespielter Habitus und Unvorhersehbarkeit sind dabei die zwei Pole einer paradoxen Spannung. Der Habitus leistet eine routinierte Hand­ lungsorientierung, während die Unvorhersehbarkeit jedwede Routine immer wieder aufbrechen muss. Bloße Habitualität verlöre schließlich an Spannung, Spontaneität und Bühnenpräsenz und ließe das virtuose Handeln der commedianti in ein bloßes Schauspielern übergehen, das an Bottini »reciting with my autopilot engaged« erinnern kann. Bloße Brechung indes würde ins Chaos führen, und das böte den Schauspielern kaum Gelegenheit, ihre Virtuosität in Szene zu setzen. Die canovacci, also die Skripte in denen der Plot szenenweise zusam­ mengefasst notiert ist, und die am Bühneneingang aufgehängt wurden, 592 damit die commedianti selbst sich in der Handlung orientieren konnten, weisen daher auf, wie umfassend die Commedia dell’Arte eine Kunst des Hereinplatzens und der Störung pflegte. Es ist recht einfach zu erkennen, dass nicht auf die Präsentation eines Plots der entscheidende Wert gelegt wurde. Offenbares Ziel war stattdessen, Situationen zu schaffen, in denen die commedianti sich gegenseitig stören konnten, ja sollten.15 Ich denke, es ist nun klar geworden, von welchen Anforderungen die Arlechhino­Maske geformt wurde, in welcher Tradition sie steht, warum ihre ikonische (sich­zeigende) Dimension so zurückgenommen, dafür aber ihre körperorientierende Funktion so sehr ausgearbeitet ist. Was es allerdings noch zu verstehen gilt, ist die Frage, warum die von ihr beförderte Ästhetik des virtuosen Umgangs mit der Unvorhersehbarkeit gerade in der Renaissance einen so großen Erfolg hatte. 15 Meist finden sich mindestens vier improvisierende Schauspieler auf der Bühne, die in mindestens zwei gleichzeitig auf der Bühne auszuführende Hand­ lungen befangen sind – wobei beide das Potential haben, auf die jeweils andere Handlung überzugreifen. Der Plot – das also, woraufhin ein literarisches Drama primär angelegt wäre – bot somit lediglich den Rahmen für die Produktion von Unberechenbarkeit. Es entstand offenbar ein instabiles Gleichgewicht zwischen einer kooperativen und einer agonistischen Form wechselseitiger Störung: Meistens wurden die Mitstreiter vermutlich so behutsam aus der Routine ge­ rissen, wie im Free­Jazz ein überraschender Akkord die anderen Bandmitglieder aus der Reserve lockt – oder es kam zu einer latent oder offen ausgetragene Gegnerschaft, wie man sie aus dem Mannschaftssport kennt, wo die Gegner radikal aus dem Gleichgewicht zu bringen sind. Überliefert sind entsprechend nicht nur die Kameradschaft der commedianti, sondern auch Intimfeindschaf­ ten, die wohl insofern ausgetragen wurden, dass man sich gegenseitig in nicht mehr handhabbare Situationen führte und vor dem Publikum scheitern lassen wollte – was offenbar nicht schädlich, sondern als produktiv erachtet wurde. Auch überlieferte Dialoge (dieses Mal mit nur zwei commedianti auf der Bühne) legen Zeugnis von einer agonalen, fast sportlichen Spannung ab. Sie offenbaren eine weitere, dieses Mal die Intellektualität umfassende Dimension der Impro­ visationskunst. Oft handelt es sich um gelehrte contrasti, d. h. in Gegensätzen geführte Argumentationen. In der literarischen Kultur der Renaissance folgen solche Dialoge einer inneren Logik der Argumente, die allmählich auf einander aufbauen. Nicht so in der Commedia dell’Arte. Hier werden dieselben konträren Argumente in abgewandelter Form wieder und wieder vorgetragen, bis plötzlich eine unerwartete gedankliche Wendung kommt. Niedergeschrieben ergibt das keinen großen Sinn, doch die Ästhetik wird klar, wenn man an die Improvisa­ tion denkt. Wie in einer Blitzschachpartie macht man zunächst testende Züge, bis sich eine Lücke ergibt, die das ganze Spiel verkehrt. S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 593 Einen ersten Hinweis verdanke ich einer ganz anderen Disziplin und auch einem ganz anderen Kontext – nämlich Thomas Alkemeyers umsichtigen Beschreibungen des heutigen Mannschaftssports,16 was übrigens schon insofern hellhörig machen kann, als der erste moderne Mannschaftssport – der calcio fiorentino (eine Art früher Fußball) – genau zur selben Zeit in Florenz entsteht, der Erfolg einer solchen Ästhetik also durchaus historische Parallelen hat. Auch im Mannschaftssport zielt der Rahmen – es sind natürlich Regeln und keine Theaterskripte – auf die Produktion von Kontingenz durch wechselseitige Störung. Die Ästhetik ist diejenige des unwahrscheinlichen Gelingens einer Form des vollen­ deten Handelns unter der Bedingung der Unvorhersehbarkeit und des heraufbeschworenen Chaos. Angelegt ist der Mannschaftssport damit nicht allein auf Agonalität, sondern auch auf die Zurschaustellung von Virtuosität, mit der das schier Unmögliche in Wirklichkeit verwandelt wird (wovon auch der Sprachgebrauch des ›Verwandelns‹ einer Chance zeugt). In einer solchen Ästhetik, schließt Alkemeyer, reflektiert sich eine Gesellschaft, die (mit Ulrich Beck gesprochen) aufgrund ihrer Komple­ xität und ihres Innovationszwangs notorisch Kontingenz produziert: Eine Gesellschaft, die daher ihren eigenen überbordenden Möglichkeiten mit rationalen Mitteln nicht mehr beikommt, sich aber zugleich unter Handlungsdruck weiß. Indem man Sportler unter konstanten Entschei­ dungsnotstand setzt, feiert man – so Alkemeyers Schlussfolgerung – in ihren Siegen die Fähigkeit, sich dort zu bewähren, wo eine Vernunftent­ scheidung nicht hinreicht. Hinzu kommt eine andere Dimension des Sports, die wiederum mehr an Hans Ulrich Gumbrecht 17 erinnert als an Alkemeyer. Denn diese Be­ währung der Virtuosität gelingt nur insofern, als sie nicht bloß aufgeführt ist, sondern ausagiert wird: Ein Mittelfeldspieler führt einen guten Pass ja nicht auf sondern aus. Seine Aufmerksamkeit liegt im Handlungsbe­ wusstsein und das heißt: gerade nicht im kontemplativen Umgang mit der Unvorhersehbarkeit. Auch den Zuschauern verlangt die Ästhetik des Sports keinen Blick auf die Inszenierung ab, sondern einen Blick auf das Handlungsgeschehen – und wird dieser Blick etwa durch theatralische Gesten oder selbstinszenierende Frisuren der Sportler gestört, stößt das den Zuschauern meist übel auf. Handlung, nicht Aufführung, Präsenz, nicht Darstellung ist das Paradigma. Es geht in der Virtuosität des Sports 16 Alkemeyer 2012. 17 Gumbrecht 2006. 594 um etwas ganz anderes als es in theatralen Inszenierungen geht. Dort wird die Unüberschaubarkeit der Welt aufgeführt, indem man sie modellhaft auf die Bühne holt (oder umgekehrt die Bühne zum Modell der Welt macht und etwa von einem theatrum mundi spricht). Auf diese Weise wird Kontingenz hermeneutisch gebändigt: Die Aufführung von Kontingenz ist selbst nicht mehr kontingent, und so ermöglicht sie einen Abstand vom Handlungsdruck und einen Freiraum der Kontemplation: Kontingenz kann in der strukturierten Form des Bühnengeschehens beobachtet und kontempliert werden. Im Sport hingegen wird die Unüberschaubarkeit erzeugt statt aufgeführt – und so liegt die Antwort auf das Problem auch nicht in der Kontemplation, sondern im Tun (bzw. nicht in der ästheti­ schen Distanz, sondern in der Präsenz). Die Ausgangssituation der Renaissance zeigt nun in beiden Hin­ sichten Parallelen zu Alkemeyers und Gumbrechts Befunden. Es war eine Zeit der politischen Instabilität gepaart mit einer epistemologischen Begründungslosigkeit des politischen Handels. Der Verdacht setzte sich durch, die Welt könnte entweder von nicht verstehbaren Prinzipien regiert werden, oder gar dem unbeschränkten Wüten des Zufalls – der Fortuna – ausgesetzt sein. Novellistik, Roman und Philosophie stellten sich die­ sem Problem qua Darstellung hermeneutisch, indem sie das Wüten der Fortuna immer wieder neu als Handlung strukturierten. Sie verschärften es aber auch gemäß der These einer sich selbst verkomplizierenden Wis­ sensordnung einer Risikogesellschaft: Schließlich produzierten sie eine diskrepante Pluralität der Wissensordnungen und das ließen Spiel der Perspektiven, der Fiktionen und der Sprachen ausufern.18 Damit trifft die Commedia dell’Arte tatsächlich auf ähnliche Voraus­ setzungen wie Alkemeyers Mannschaftssport. Allerdings ist die Commedia dell’Arte trotz aller Improvisation und Kontingenzproduktion eine Büh­ nenform, und muss daher auch vor dem Hintergrund der dramatischen Tradition beschrieben werden, in die sie sich qua dramatischer Neu­ organisierung der saltimbanchi-Kunst einschrieb, und in die sie letztlich ja auch einging. Diese Tradition ist gerade in der benannten Hinsicht extrem sprechend, denn die Commedia dell’Arte entstand kurz nach Lorenzo Vallas Übersetzung der aristotelischen Poetik, deren damaliger Einfluss kaum überschätzt werden kann. Als Kerngedanke dieses Tex­ tes galt in der Renaissance eine besondere Legitimierung dichterischer Erfindungskraft. Dichter, so lehrte Aristoteles, erfinden nicht einfach 18 Hempfer 1992. S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 595 irgendwelche Geschichten – sie setzen vielmehr Prinzipien ans Werk, die auch in der Welt anzutreffen sind. Damit geben sie den Dramen ihre Wahrscheinlichkeit: Solange sie im Rahmen dieses Wahrscheinlichen bleibt, kann Dichtung ausloten, was nicht ist oder war, aber sein könnte. Theater ist damit eine auf die Bühne verlängerte Form des Denkens des Zufalls im Aggregatzustand seiner Bändigung durch Prinzipien des Wahrscheinlichen. Modellbildende Darstellung überträgt Kontingenz in den Zustand des Denkens in Möglichkeiten. Diese Theorie widerspricht natürlich den zuvor beschriebenen Voraussetzungen der Renaissance als einer Epoche, die sich der Kon­ tingenz ausgeliefert sah. Denn wo der unberechenbare Zufall regiert, da wird Wahrscheinlichkeit nur allzu leicht zur Makulatur. Sie steht dann unter einer Beweislast, der sie gemessen an der Unüberschaubarkeit der Wissensordnungen und der durch sie generierten Weltsichten kaum gerecht werden kann. Frühneuzeitliche Novellistik und Roman – die der aristotelischen Poetik weniger ausgesetzt waren – sind maßgeblich dem Thema der Kontingenz verschrieben. Im Theater der commedia erudita scheint man es mit dem Postulat der Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht ganz so genau zu nehmen und achtet eher auf die Einheit der Handlung. Selbst die der aristotelischen Poetik verschriebene Tragödie des französi­ schen théâtre classique bindet das Prinzip der Wahrscheinlichkeit an die höfische Etikette und nicht so sehr an den Lauf der Welt. Und vieleicht lässt sich das Renaissancetheater unter anderem entlang des Konstituti­ onsproblems beschreiben, dass es seine Poetik an einer Theorie bemaß, die in ihre eigene Krise hinein übersetzt worden war. Die Commedia dell’Arte stellt sich diesem Problem auf die beschrie­ bene wahrscheinlichkeitsindifferente Weise. Ob sie dies in jedem Fall auch bewusst tat, ist vielleicht nicht die entscheidende Frage – schließlich gründet auch die Plausibilität von Alkemeyers Befunden nicht auf dem Umstand, dass jedem Fußballspieler oder ­fan Becks Risikogesellschaft ein Begriff wäre. Ebenso deutlich wie im heutigen Mannschaftssport erkennt man in der Commedia dell’Arte das Problem einer sich als einer Kontingenz unterworfen verstehenden Kultur. Sie zielte nicht auf die Erfindung und Aufführung von Möglichkeitsmodellen, sondern lotete – ganz im Rahmen ihrer artistisch­schaustellerischen Herkunft – die Gren­ zen des Menschenmöglichen aus. Sie setzte nicht auf ein dichterisches Möglichkeitsdenken, sondern auf ein schauspielerisches Möglichkeitshandeln. Gerade in diesem Sinne wird der Plot (also der Austragungsort des aristotelischen Möglichkeitsdenkens) zum bloßen Ermöglichungsrahmen zur Produktion des Unerwarteten und kaum Handhabbaren degradiert, an 596 dem die commedianti sich immer neu zu bewähren hatten. Die Ästhetik des Unwahrscheinlichen und des Überbordens von Unvorhersehbarem und potentiell Unverbundenem rahmt das Wunder des Menschenmögli­ chen, das sich im Auftauchen einer Form des Handelns aus dem Chaos der Situation ereignet. So dient die besprochene Maske dem Möglichkeitshandeln gerade, indem sie die sowohl das Möglichkeitsdenken als auch die faktischen Möglichkeiten der Selbstinszenierung weitgehend unterbindet. Und gerade insofern ist auch ihre ikonische Funktion so wenig akzentuiert, eine Charakterdarstellung kaum an ihr abzulesen – während sie ande­ rerseits auf körperliche Handlungsorientierung angelegt ist. Die Masken der Commedia dell’arte halten damit vor der Bildwerdung inne, bleiben im Handeln und also vor der Kontemplation stehen; doch gerade auf diese Weise können sie als Schatten jener Porträt­Tradition gelten, die – vertraut man Hans Belting19 – seit der Renaissance das Gesicht in Form des Porträts und der Verbildlichung zu einem Hauptaustragungsort der visuellen Kultur zu machen begann. II. GUY FAW K ES A2 Die zweite Maske steht am Ende der von Belting beschriebenen Ent­ wicklung. Sie ist keine Halblarve, sondern verdeckt das ganze Gesicht. Sie ist aus Plastik. Ein Massenprodukt, das keine 5 Euro kostet. Lizen­ siert ist sie bei Time Warner; ca. 100.000 dieser Masken werden allein bei Amazon pro Jahr vertrieben. Zunächst war sie nur als Gadget für Kinopremieren gedacht. Doch angefangen mit einer kleinen Gruppe von Libertarians, die gegen eine Zensur des Films demonstrierten, wurde das Guy­Fakes­Konterfei von »hacking as leaking«­Hacktivists, von der Anti­ACTA­Bewegung, von der Occupy­Bewegung von Friedens­ demonstranten und Umweltaktivisten verwendet, sie spielte eine Rolle im Arabischen Frühling und dem mexikanischen Drogenkrieg und wurde, wie Lewis Call 20 argumentiert, zu einer Art frei flottierendem Signifikanten. Am engsten verwoben ist sie mit der Anonymous­ oder Anon­Bewegung, wo sie erstmals bei einer Demonstration gegen die Internetpolitik der Scientology Church eingesetzt wurde. Fortan stand 19 Belting 2013. 20 Cal 2007. S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 597 2 Guy­Fawkes­Maske 598 sie einem Internet­Meme Pate, das von jedem User anonym benutzt werden kann. Die Maske ist fast weiß, womit sie an eine Porzellan­ oder auch eine Totenmaske erinnert – an das Bild einer Maske sozusagen, oder an die Maske als bildliches Porträt. Auch das Rot der Wangen und der Bart wirken wie gemalt. Die ikonische Dimension ist hier geradezu überbe­ tont. Das gilt sowohl für die karikaturenhaft überspitzten Gesichtszüge als auch für den ebenso überspannten Gesichtsausdruck. Damit scheint die Funktion der Guy­Fawkes­Maske tatsächlich eine Art Gegenstück zu derjenigen des Arlecchino zu sein. Wo dort die Maske um ihre ikonische Funktion verkürzt wurde, ist hier das Verhältnis von Maske und Porträt Austragungsort der Maskenpraxis: Wo dort eine körperlich-performative Kehrseite der Porträttradition zu beobachten war, geht es hier durchaus um die Maske als Porträt und das Porträt als Maske. In einem einfachen Sinne stellt diese Maske den Gunpowder­Atten­ täter Guy Fawkes dar, der 1605 beinahe die Houses of Parliament in die Luft gesprengt hätte. Genauer gesagt schreibt sich diese Maske in das Wuchern seine Porträts ein. Fawkes Gesichtszüge lassen sich zwar kaum aus zeitgenössischen Stichen rekonstruieren – doch richtet man ihn jedes Jahr am 5. November, dem Tag des geplanten Anschlags, erneut in effigie hin, verbrennt ihn als Puppe. Das Gesicht steht damit unter Reproduk­ tionszwang. Im 19. Jahrhundert verselbständigte sich dieses Ritual zur fröhlichen Bonfire Night, immer größer und grotesker werdende Puppen wurden verbrannt, Kinder mit grotesken Guy­Fawkes­Masken gingen von Haus zu Haus. Das Guy­Fawkes­Konterfei wurde zum Kollektivgesicht. Das englische Wort »guy« leitet sich aus dieser Tradition her. Im 1981 erschienenen Comic V for Vendetta (geschrieben von Alan Moore und gezeichnet von David Lloyd; erstmals 1981 im Warrior ver­ öffentlicht) entstanden die heute maßgeblichen Gesichtszüge. Der post­ moderne Anarchist V trägt dort eine Guy­Fawkes­Maske. V ist selbst gesichtslos. Halb verbrannt und entstellt hat er die Flucht aus einer Art KZ überlebt. Als er stirbt, tritt seine Nachfolgerin Eve das Erbe an, ohne jemals sein verborgenes Gesicht gesehen zu haben. Sie schickt seinen maskierten Leichnam mit Plastiksprengstoff und Lilien in einem U­Bahnwagon unter die Downing Street. Damit erfüllt sie sein Werk und bringt den dystopisch gezeichneten faschistischen Staat eines post­ nuklearen England zu Fall. Die Verfilmung des Comics (Warner Brothers, 2006) geht hier noch stärker auf die kollektivierende Funktion der »Guy«­Maske ein. Sehr bewusst scheint die Maske hier einen umgekehrten Weg zu gehen zu S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 599 demjenigen, den Hans Belting in seinem kürzlich erschienenen Buch Faces beschrieben hat: Für Belting wird die vom lebendigen Träger be­ seelte Ritualmaske über das erstarrte persönliche Gesicht der Totenmaske zum individuellen Gesichtsausdruck im Porträt, das gerade in seiner Individualität Spiegelbild der Gesellschaft sei. Hier hingegen wird dem individuellen Konterfei von Guy Fawkes jede Individualität genommen, indem es zur Totenmaske des V wird. Gerade deshalb kann die Maske auf ein sich in ihr anonymisierendes Ritualkollektiv von Allerweltsmen­ schen – ›guys‹ eben – übergehe, das gleichzeitig auf der Straße den Staat in einem revolutionären Sturm auf die Houses of Parliament überrennt, unter denen nunmehr Vs U-Bahn.Waggon explodiert. Auf die Frage, wer V gewesen sei, antwortet Eve nun: »Er war mein Vater und meine Mutter, mein Bruder, meine Freunde. Er war Du und ich. Er war wir alle.« Zusammenfasst scheint die Guy­Fawkes­Maske damit fast schon das Gegenteil zur Arlecchino­Maske zu sein. Ging es bei Arlecchino um das Eingehen der Maske in die Körperlichkeit, spielt die Guy­Fawkes­Maske mit einem Porträt, das den Ausdruck des Gesichts vom Körper löst und ihn auf eine symbolische Fläche überträgt.21 Die endlose Reproduktion Gesichts hat die Maske sogar weitestgehend vom historischen Guy Fawkes getrennt. Mehr als dessen Gesicht stellt diese Maske ihrerseits eine weitere Maske dar – nämlich diejenige des fiktiven Anarchisten V. Und ermöglichte die Arlecchino­Maske ein vom Inszenierungsbe­ wusstsein losgesagtes Handeln, so steht hier die Dichotomie von Sich­ Zeigen und Sich­Verbergen im Zentrum – und zwar im Rahmen einer Massenproduktion der Porträts. Die überbordende Reproduktion eines Gesichts macht es zur, wie Belting es nennt, »totalen Maske«, die nichts mehr repräsentiert und hinter der auch kein Porträtierter mehr steckt.22 Für diese Bewegung ist das Verschwinden des historischen Guy Fawkes hinter den Masken der »guys« geradezu paradigmatisch. Allerdings legen schon die Eingangsszenen des Films nahe, dass die oben beschriebene Maskenfunktion – die Maske als Handlungsermög­ lichung und Tarnkappe der Identität im entfesselten Tun – nicht völlig aus dem Blickfeld geraten ist: Im Wechsel zwischen zwei Schauplätzen sieht man Eve und V dabei, sich zu maskieren: Er legt sein Guy­Fawkes­ Gesicht an, um auf einen nächtlichen Rachefeldzug zu gehen, sie schminkt sich, um sich als Prostituierte zu verdingen. In beiden Fällen ermöglicht 21 Belting 2013, 120. 22 Moore und Lloyd 1988, 298. 600 die Maske ein Handeln, für das es nötig ist, sein Ich zu verbergen. Einmal mehr kommt es auf das Handlungsbewusstsein an. Tatsächlich ist die Tradition der Guy­Fawkes­Maske nicht nur die­ jenige des Porträts. Sie ist auch diejenige eines Rituals – und diejenige eines Comics. Die von Belting – man fürchtet schon fast: absichtlich – übersehene Proliferation von Superheldenmasken (von Fantomas bis zu Zorro, von Spiderman bis zu Darth Vader) widerspricht manifest seiner These, dass die westliche Kultur keine Maskenpraktiken mehr kenne, und dass die Exuberanz der Porträt-Tradition an die Stelle der Masken getreten sei. In solchen Comics ermöglichen Masken in aller Regel den Übergang von einer Alltagsidentität ins Superheldendasein. Sie sind mar­ kante Beispiele für die oben beschriebene Maskenfunktion und führen dabei in eine Form des Handelns, die einen Action­Film erst zu einem solchen werden lässt. ›Action‹ ist gewissermaßen das genrespezifische Wort für ein Handeln, das nicht in der Logik des Plots, sondern der Spezialeffekte seinen Austragungsort hat. Die charakterliche Dimension tritt zurück und das Handeln selbst wird zum Akteur. Die Guy­Fawkes­Maske, die ihren Weg vom Superheldencomic in die Rituale politischer Öffentlichkeit gefunden hat, ist hier sprechend. Der fiktive Anarchist V ist ja selbst ein Superheld mit sechs Wurf- und Fechtschwertern. Allerdings ist V auch ein Sonderfall, ein Hybrid, da seine Maske – eben – auch als Porträt funktioniert. Das verleiht ihm einen Gesichtsausdruck, der zu seiner Action quer steht und ihr eine fast unheimliche Ironie abgewinnt. Zudem wird der Übergang vom Alltag in die Action nun auch dem Kollektiv der ›guys‹ zugetraut. Die Superheldenfunktion überträgt sich auf die maskierte Menschenmasse, die in einem gemeinsamen Handeln verschmilzt und das faschistische Regime überrennt. Die Maske bewirkt die Vereinigung eines Kollektivs zu einem gemeinsamen Körper. Es entsteht, um es etwas hochtrabender zu sagen, eine Art anarchistisches corpus mysticum. Damit scheint auch der Guy­Fawkes­Maske ein ins­Handeln­hineinführendes, ein Hand­ lungsmöglichkeiten freisetzendes Moment zu eignen. Doch bleibt noch zu beschreiben, wie sich diese Funktion – anders als bei Arlecchino – mit dem Porträthaften vereinigen kann. Zumindest der politische Gebrauch der Maske kann die Superhelden­ action allerhöchstens metaphorisch ernst nehmen. Wenn dieser Maske ein spezifisches Möglichkeitshandeln eignet, dann liegt sein Austragungs­ ort schon an einer ganz anderen, wesentlich symbolischeren Stelle als dies bei der Arlecchino­Maske der Fall war. Zunächst ist hierzu festzuhalten, dass in einem grundsätzlich gewandelten Kontext steht. In einer – wie S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 601 Thomas Macho23 es nennt – »facialen« Gesellschaft ist das Gesicht zum maßgeblichen Schauplatz der Kultur geworden. Sowohl die Porträttradi­ tion als auch Comic und Film machen deutlich, dass die Guy­Fawkes­ Maske an dieser Stelle ansetzt. Entsprechend ist sie auch im politischen Handeln keine bloße Vermummung, sondern sie benutzt ihrerseits ein Gesicht, um ein Gesicht zum Verschwinden zu bringen (bzw. von der biometrischen Identifizierung zu entbinden).24 Ganz offenkundig steht bei der Guy­Fawkes­Maske also jene Frage nach subjektiver Identität und Rolle im Vordergrund, die von der Arlecchino­Maske eher ausgeblendet war. Allerdings geht das Porträt, wie gesehen, paradoxer Weise mit einer Ent­Gesichtung, einer Kollektivierung und Anonymisierung einher. Das Sich­Zeigen und Sich­Verbergen wird nur auf eine sehr primitive und auch sehr standardisierte, kaum an postmoderne Identitätsspiele oder phantasievolle Maskeraden erinnernde Weise durchexerziert. Ausgefeilt und als Kulturtechnik ausgearbeitet ist die Funktion der Guy­Fawkes­ Maske nur in Hinblick auf das Handeln, das sie ermöglicht. Anders als die Masken der Commedia dell’Arte zielt die Anonymus­ Maske aber nur im Comic – nicht in den Aktionen der Hacking­as­ Leaking­Activists auf eine virtuose Körperlichkeit; vielmehr setzt sie ein ikonisches Abzeichen, ein Meme an die Stelle des Leiblichen. Bereits im Film wird diese Entkörperlichung thematisch, als – während die Kamera die Maske zeigt – Eves entkörperlichte (aus dem Off sprechende) Stimme eingangs formuliert: »[…] you cannot kiss an idea. You cannot touch it, or hold it.« Als sie V am Ende dennoch küsst, küsst sie nur seine Maske: Ein Bild das nicht einmal sein Porträt ist. Während die die Guy­Fawkes­ Maske die individuelle Identität also zum Verschwinden bringt und ein anderes Handeln ermöglicht, wird dabei keine Körperlichkeit freigesetzt, sondern der kollektiven Haltung ein »guy«­Gesicht verliehen, in der an­ dere Spielarten der Identität aufgehen können. Die Möglichkeiten, die die Maske freisetzt, sind damit ganz andere. Handeln ist hier ausdrücklich auf ein kommunizierendes Sich­Zeigen und Sich­Verbergen hin angelegt. Diese Ausrichtung der Guy­Fawkes­Maske ist gerade insofern sprechend, als – im Vergleich zum Kontext der Arlecchino-Maske – im Hintergrund der Maskenpraxis auch ein gänzlich anderes Verhältnis von Möglichkeit und Kontingenz anzutreffen ist. Grundlage hierfür scheint 23 Macho 1996. 24 Die hier maßgebliche Anon­Regel #17 besagt ZITAT »Cover your face. This will prevent your identification from videos taken by hostiles, other protesters, or security.« 602 mir ein gewandeltes Verhältnis zum Zufall und zum Möglichkeitshan­ deln zu sein. In einer digital mediatisierten Welt tritt die Simulation von Kontingenz in vielen Lebensbereichen an die Stelle der Fiktionalität und der Entwürfe. Zufall wird nicht mehr so sehr durch fiktionale Wahr­ scheinlichkeit gebändigt, sondern vornehmlich im Rahmen virtueller Berechnungen. Von der Effizienz dieser neuen Form der Modelle zeugt die Präzision von Big Data­Erhebungen für ansonsten so ungreifbare Phänomene wie Kollektivstimmungen oder Zukunftsszenarien – und dies gilt umso mehr, als diese Modelle sich zunehmend unabhängig vom menschlichen Verstand produzieren und somit das menschliche Möglichkeitsdenken über das Maß hinaus steigern und zugleich hinter sich lassen. Virtuelle Modelle sind so komplex und so vielfältig, dass sie ihrerseits von Menschen kaum noch zu kontrollieren sind. Wichtiger ist noch der Umstand, dass im Rahmen dieses technischen Umgangs mit dem Möglichen Realität nicht nur entworfen, sondern auch produziert wird: Anders als die Modell und sinnliche Welt noch trennende, auf Imagination und Aufführung angewiesene Fiktionalität binden diese den handelnden Menschen in das sich selbst durchspielende Weltmodell mit ein. Ein einfacher Gedanke aus Frank Schirrmachers letztem Buch Ego25 hilft zu veranschaulichen, wo der Unterschied zur diskursiven Modell­ bildung liegt (sei diese nun fiktional oder theoretisch). Schirrmacher bespricht das Modell des rational und egoistisch handelnden Homo Oeconomicus. Dieser ökonomische Mensch ist Schirrmacher zufolge nicht qua theoretischer und literarischer Diskursmacht im 18. Und 19. Jahrhundert verwirklicht worden (wie etwa Josef Vogl vermutet): 26 Damals entstanden zwar die Modelle und entfalteten auch durchaus ihre Macht aufs politisch­ökonomische Leben, doch wurde der Homo Oeconomics damit noch nicht zum ökonomischen Faktum. Verwirklicht wurde er stattdessen erst mit virtuellen Mitteln: Dadurch dass die ökonomischen Transaktionen zunehmend mit einer Software durchgeführt werden, die (paradigmatisch zu beobachten etwa bei ebay­Auktionen) dem öko­ nomischen Modell des rational und egoistisch handelnden Menschen folgt, wurde den Modellen Wirklichkeit verliehen. War die ökonomische Theorie zuvor dem Problem ausgesetzt, dass – mit Rodney Brooks ge­ sprochen – »die Welt selbst ihr bestes Modell« war (d. h. dass alle Modelle 25 Schirrmacher 2013. 26 Vogl 2010. S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 603 letztlich an der Welt scheiterten), so macht die Virtualität der Gegenwart das Modell zu seiner eigenen besten Welt. Tatsächlich beschreibt schon der Comic V for Vendetta das Weltwerden der Modelle.27 Was nun in der fiktionalen Kultur die Masken waren, sind in der virtuellen Kultur die Avatare. Zum einen ermöglichen sie das Spiel mit den Identitäten und Rollen, wie das z. B. im altbackenen Second Life geschieht. Zum anderen gibt es die Möglichkeit der – teilweise sehr immersiven – Interaktion unter Ausschluss der Blicke anderer auf das physische Dasein. Avatare übertreffen Masken in der Hinsicht, dass sie in der Interaktion mit anderen Usern die Sichtbarkeit des eigenen Körpers viel besser zurücknehmen. Man kann sich viel freier neu erfinden und kostümieren, und man kann in viel mehr Modellwelten eintauchen. Vor allem aber ermöglichen Avatare im immersiven Computerspiel eine Äs­ thetik des Ausagierens. Denn im Gegensatz zu fiktionalen Welten eröffnet die Virtualität einen direkten und unmittelbaren Kurschluss zwischen Modell und sinnlicher Gegenwart, zwischen der Welt, die man entwirft und der Welt, in der man handelt. Während Fiktionalität das imaginäre oder aufgeführte Erstehenlassen einer möglichen Welt in einem Raum der (bloßen) Vorstellung und Darstellung eröffnet, ermöglicht Virtualität eine Verwirklichung der möglichen Welt bis an den Punkt, an dem man im Raum des vermeintlich bloß Möglichen die Optionen sinnlich aus­ agieren und teilweise auch ›faktisch‹ (mit Rückkopplungseffekten und Konsequenzen auf die Außenwelt) handeln kann: Die Grenzen zwischen Entwerfen und Ausagieren, zwischen Möglichkeitsdenken und Möglich­ keitshandeln verschwimmen. Die oben umrissene Ästhetik der Fiktionalität zielte auf Vorstellungs­ kraft und theatrale Aufführung und so konnte die Commedia dell’Arte dieser Ordnung das improvisierende Ausagieren als ein nicht bloß dargestelltes Handeln noch entgegenstellen. Die produktive Spannung dieser Bühnenform ergab sich entlang der Brechung von rahmender Dramenhandlung am improvisierten Handeln. Hier lag auch ihr anti­ aristotelisches Moment, denn definiert Aristoteles das Drama als Mi­ mesis (d. h. Aufführung) von Handlungen, so erfordert die Ästhetik des 27 Dort sagt der Protagonist V z. B. (Moore und Lloyd 1988, 218): »In a bureau­ cracy, the file cards are reality. Punching new holes we recreate the world.« Der Fokus auf die Bürokratie wirkt hier inzwischen genauso steinzeitlich wie die Lochkarten: Es ist sehr klar, dass die Modelle inzwischen viel umfassender zu ihrer eigenen Wirklichkeit geworden sind, als diese noch recht unschuldigen Sätze vermuten lassen. 604 unglaublichen Gelingens improvisierter Form nicht aufgeführte, sondern ausgeführte Handlungen. Gerade insofern konnte die Commedia dell’Arte ihr (in der Bühnendynamik statthabendes) Möglichkeitshandeln gegen das (einen entwerfenden Dichter und einen hermeneutischen Zuschauer voraussetzenden) Möglichkeitsdenken ausspielen. Die Fiktionalität des Vi­ deospiels ist indes auf der Produktionsseite auf kein dichterisches Erfinden beschränkt, sondern schließt den maschinell eröffneten Möglichkeitsraum mit der Erfindungskraft professioneller ›creatives‹ kurz: Möglichkeiten werden nicht als Fiktion entworfen, sondern ergeben sich im Kurzschluss von menschlicher und maschineller kognitiver Prozesse. Auf der Rezepti­ onsseite wird das improvisierende Ausagieren somit zum Teil der Modell­ Welt; es wird Teil der zu ihrer eigenen Welt werdenden Simulation und verliert darüber seine dem fiktionalen Modell widerstrebende Weltlichkeit. Die Rahmung des Handels durch eine von virtuellen Modellen produzierte Umwelt ist natürlich nicht nur auf Avatare in Videospielen beschränkt. Die Macht des Virtuellen schlägt sich auch in der avatarähn­ lichen digitalen Existenz unserer Zeit nieder: Paradigmatisch am Beispiel des Navigationssystems zu beobachten verschmelzen immer mehr die (im Rahmen eines Denkens der Fiktionalität noch voneinander getrennten) Ebenen von Modell und Wirklichkeit – und folglich auch diejenigen des Entwerfens und des Handelns. Bloß ist – und hier liegt die Kehrseite dieser Entwicklung – Handeln im Raum des Virtuellen nur insofern möglich, als es im Modell potentiell schon vorgesehen ist. Somit ergibt sich auch ein – wesentlich verändertes – Problem mit der Kontingenz, das darin besteht, dass Unvorhersehbares weiterhin möglich ist, ja, dass die Inkompatibilität der weltgewordenen Modelle untereinander folglich auch in bis dato unbekanntem Maß Parallel­ und Partialwelten ausbilden, deren kontingentes Zusammentreffen neue Unberechenbarkeit schafft. Der Umgang mit diesen Welten kann die Kontingenz des dieser fraktalen Welt ausgesetzten Menschen teilweise durchaus befördern – jedenfalls ist menschliche Unberechenbarkeit nicht aus der Welt. Aus dem (jeweiligen) Modell indes ist sie schon. Um mit Donald Rumsfeld zu sprechen, produ­ zieren weltgewordene Modelle damit strukturell »unknown unknowns«, Dinge, von denen das jeweilige Modell nicht wissen kann, dass es sie nicht weiß. Hier setzt die Anonymous­Bewegung an. Sprechend für diesen Um­ stand ist, dass die Guy­Fawkes­Maske gerade nicht als Avatar eingesetzt wird, also kein Teil der virtuellen Hyperästhetik ist: Sogar ›stand alone versions‹ für die Gesichter selbst zusammengestellter Avatare sind an­ gesichts der Popularität der Maske, extrem selten (einzige Ausnahme ist S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 605 das Videospiel Call of Duty, wo man sie für die zu erschießenden Gegner benutzen kann). Die Faszinationskraft der Guy­Fawkes­Maske speist sich offenbar gerade aus der archaischen Verwendung einer physischen Maske bzw. aus der ebenso steinzeitlich wirkenden Verwendung eines memes in der Zeit der Gesichterflut auf Facebook und Instagram. Umso deutlicher schlägt sich dieser Umstand im Bereich der durch die Maske ermöglichten Handlungen nieder. Die blinden Flecke der virtuellen Modelle sind das ei­ gentliche Element dieser Maske. Das gilt für die Versuche der Hacktivists, das Funktionieren der Virtualisierung der Menschen blockieren; es gilt für die Anons, die dem virtuellen Self­Fashioning eine Entgesichtung entge­ genstellen; und es gilt für die Blockupy­Bewegung, die dem virtualisierten Finanzmarkt mit der archaischen Macht physischer Körper begegnet. Die merkwürdige Einheit von Handlungs­ und Porträtfunktion der Guy­Fawkes­Maske erklärt sich vor diesem Hintergrund. Denn jeweils bekommt das Handeln aus dem unvorhergesehenen Nirgendwo ein Gesicht verliehen, das die persönliche Physiognomie anonymisiert und kollektiviert. Die Guy­Fawkes­Maske setzt das Handeln auf Distanz zum Sich­Zeigen. Und diesen Umstand stellt sie sogar ikonisch dar: Das eingefrorene Grinsen gewinnt in der Anonymous­Bewegung eine Mo­ tivation im expliziten »I did it for the lulz« (also für die Chat-Variante des Lachens). Man stellt also den Modellen des Möglichen das entgegen, was ihre Ordnung unterläuft. Im Lachen und in der Logik des Hinein­ platzens sowie der Transformation sozialer Wirklichkeitskonstruktion in ein überforderndes Chaos kommen die Masken des Arlecchino und des Guy Fawkes also durchaus zusammen – bloß die Art, wie sie das tun ist grundverschieden. Nicht mehr auf spontane Improvisation richtet sich die Maske der Anons, sondern auf den geplanten Anschlag, nicht auf die Handlungsvirtuosität des vom Plot, von der Dramenhandlung überforderten Arlecchino, sondern auf die Absurdität eines scheinbar sinnlosen Plots, einer absurden Verschwörung, die geplant und gezielt auf das Einbrechen des Blinden Flecks in die Ordnung der Systeme gerichtet ist und die menschliche Erfindungskraft als Motor der Kontingenz feiert. III. FAZIT Mein Vorschlag zur Bestimmung von Masken war es – neben die heu­ ristischen Konzeptionen einer dionysisch­ekstatischen Kultmaske und einer apollinischen, auf die Frage nach dem inszenierten Selbst bezogenen Rollenspielmaske – einen dritten, ebenso heuristischen Typ zu setzen, 606 der sich weder im Sich­Zeigen und Sich­Verbergen erschöpft, noch in eine ekstatische Zwischen­ oder Nebenwelt führt, sondern vor allem die Ausblendung des Blicks der Anderen betreibt. Die Verbindung von Maske und Möglichkeit, um die es mir ging, ist dabei nicht neu. In Hinblick auf die apollinische Maskenfunktion hat die Maskentheorie schon oft darauf hingewiesen, dass Masken ihrer Träger auf Distanz zu ihrer Identität setzen. Dass der gewonnene Abstand vom eigenen Ich das spielerische Selbsterfinderisch-Werden und die Fiktion anderer Identitäten befördern kann, liegt auf der Hand. Das Ausblenden des eigenen Gesichts und sein Ersatz durch eine bildliche Maske kann eine Suspension des Zwangs führen, man selbst sein zu müssen. Die Selbstdarstellung wird entfesselt und einem Denken in Möglichkeiten überantwortet. Mögliche Formen des Handelns werden im Konjunktiv des durchgespielten Modells erschlossen. Auch die dionysische Maske geht mit einer Ermöglichung einher – der Ermöglichung trancehaften, von keinem Selbstbewusstsein behinderten (Kult­)Handeln. Die in diesem Aufsatz hervorgehobene weitere Funktion der Maske – die gewissermaßen im Dreieck sowohl zwischen den beiden bekannten Funktionen als auch in einer zweiten Dimension oberhalb von ihnen anzusiedeln ist – ist indes nicht auf Fragen des mit sich identischen (oder unidentischen) Selbst, sondern auf Fragen des handelnden Selbst ausgerichtet. Und in dieser Hinsicht befreit die Maske nicht die Selbst­ Inszenierung von den Zwängen, denen sie unterliegt, sondern eröffnet eine Suspension vom Zwang, sich überhaupt darstellen zu müssen. Handeln wird damit vom kommunikativen Imperativ freigesprochen, für den Blick Anderer unternommen zu werden, man kann (teilweise sogar physisch präsent) handeln, ohne dabei als identifizierbares Selbst präsent zu werden. Aus dem damit verbundenen größeren Abstand zur eigenen Identität ergibt sich ein Verlust des Abstands vom eigenen Tun. Mögliches erschließt sich hier im indikativischen Modus seiner soforti­ gen und oft überraschenden Verwirklichung. Dies kann (wie im Fall der ersten Maske) einer besonderen Virtuosität dienen – oder auch (wie im Fall der zweiten Maske) der Verwirklichung politischer Aktionen. Statt auf Fragen der Selbst­Inszenierung oder des Selbst­Verlusts zielt diese Maskenfunktion auf eine Art ›reines‹, vor der Frage nach der Identität und der Rolle geschütztes transpersonales Handeln, das, wie gesehen, in einer zwischenleiblich geteilten Bühnendynamik, aber auch im digitalen Nirgendwo einer Kollektividentität liegen kann. Statt auf dionysische Entfesselung oder rituelle Besessenheit zielt diese Maskenfunktion ande­ rerseits auf eine konzentrierte Virtuosität des Handelns. Im Rahmen der S Ö FFNE R : M A SK E U N D M Ö GL I CH K E I T 607 Commedia dell’Arte setzte die Maske eine geradezu athletische Arbeit an den Grenzen des für möglich Gehaltenen in Kraft und zielt auf die Eröff­ nung des Möglichen im Raum scheinbarer Unmöglichkeit. Im Rahmen politischen Handelns unter den Vorzeichen einer virtuell bestimmten Welt eröffnete diese Maskenfunktion stattdessen einen reflexiv genutzten Spielraum für die Verwirklichung des Unvorhergesehenen und Unvor­ hersehbaren – eine Art Enklave der Fiktion innerhalb einer virtuellen Welt und den damit einhergehenden Bruch mit einem ›spieltheoretisch‹ erschlossenen digitalen Dasein. Entsprechend verschieden können sich die Praktiken ausgestalten, die auf diese Maskenfunktion setzen. Sie können den Blick der Anderen vergessen machen, wie im Fall Arlecchinos. Sie können kann aber auch mit einem extremen Bewusstsein für diesen Blick einhergehen – ja ihn sogar zum Austragungsort des Handelns machen, wie im Fall von Guy Fawkes. Sie können ihre Ermöglichungsfunktion bei einem bildlosen Körper aber auch bei einem entkörperlichen Bild (sogar einem Meme) entfalten. Masken können damit – phänomenologisch gesprochen – körperlich­immersiv sein, können aber auch ironische Distanz schaffen. Mehr Fallstudien würden vermutlich auch mehr Ausformungen zutage treten lassen – doch sind die beiden besprochenen Ausformungen – gera­ de in ihrem Kontrast – bereits insofern sprechend genug, als die Ermög­ lichungsfunktion von Masken offenbar in engem Bezug zur kulturellen Arbeit am jeweiligen Möglichen steht – und zwar nicht, indem dieses Mögliche modellhaft­kontemplativ entworfen und durchdacht würde, sondern indem Masken hier eingesetzt werden, um an die Grenzen des kulturell Möglichen zu gehen und Handlungsformen auszuagieren die ansonsten unmöglich wären. Gerade insofern diese Maskenfunktion auf Handlungsermöglichung und nicht auf Handlungsdarstellung gerichtet ist, schafft sie Möglichkeiten jenseits der durchspielenden Modellbildung. Möglichkeiten, die nicht im das Handeln betrachtenden Denken, son­ dern im Handeln selbst ihren Austragungsort haben. Masken scheinen mir damit auf zwei wesentliche Formen der kulturellen Produktion von Möglichkeit angelegt zu sein – eine fiktions- und spielaffine konjunkti­ vische, und eine auf faktische Handlungsmöglichkeiten angelegte indi­ kativische. Erst in der produktiven Spannung beider Seiten – so scheint mir – erschließt sich das ganze Potential der Masken für das Mögliche einer Kultur. 608 BILDREC HTE 1 Privatbesitz Jan Söffner. 2 © Time Warner 2006. Foto: Jan Söffner. LITERATUR VERZEICH NIS Alkeme yer 2012 Alkemeyer, Thomas: Denken in Bewegung. Über die Gegenwart des Geistes in den Praktiken des Körpers: das Ergreifen von Situationspotentialen und die Bewältigung von Unsicherheit. In: Kröner, Swen / Frei, Peter (Hrsg.): Die Möglichkeiten des Sports. Kontingenzen im Brennpunkt sportwissenschaftlicher Analysen. Bielefeld 2012, 99–127. Belting 2013 Belting, Hans: Faces – Eine Geschichte des Gesichts. München 2013. 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Weihe 2013 Weihe, Richard: Die Paradoxie der Maske. München 2013. MARTIN S C HULZ BILD UND MASKE Zur Anthropologie der Bildgesichter I. EINLEITUN G Im Folgenden werden einige Phänomene einer historisch, kulturell wie medial übergreifenden Bildgeschichte miteinander verknüpft, welche das enge Verhältnis von Bild, Gesicht und Maske veranschaulichen. Ein Anliegen ist es dabei, ein solches Unterfangen vom gängigen Zäsuren­ denken der Diskurs­ und Technikanalysen zu distanzieren, um zumindest zu verdeutlichen, dass es in den historischen Brüchen auch eine nach­ haltige und transkulturelle Bildgeschichte gibt, mit der jede Gegenwart in Berührung steht, bei allen grundsätzlichen technischen, politischen und sozialen Veränderungen, die hierfür ohne Frage maßgeblich sind. Diesen Entwicklungsgeschichten soll eine komplementäre Geschichte an die Seite gestellt werden, die eben nicht allein in den Geschichten der Technik, Macht, des Stils, oder der Diskurse aufgeht, sondern einen bleibenden Anachronismus in sich trägt. Dies ist zugleich eine begriffli­ che Anlehnung an einer der zentralen Thesen des Kunsthistorikers Aby Warburg (1866–1929), der sich eher als ein Bildhistoriker verstand und früh schon maßgeblich daran beteiligt war, die Kunstgeschichte zu einer Kulturwissenschaft der Bilder zu erweitern.1 Insbesondere sein unvoll­ endet gebliebenes Projekt des Mnemosyne­Atlas aus den 1920er Jahren 1 Siehe hierzu vor allem Aby Warburgs Mnemosyne­Atlas aus den 1920er Jahren: Warburg 2003. Weiterführend Huistede 1995; Didi­Huberman 2002; Zumbusch 2004; Weigel 2004. 612 zeigt sein grundlegendes Interesse für die kulturellen Wanderungen, Übersetzungen und Vermischungen der Bilder – und zwar über die Grenzen verschiedener Zeiten, verschiedener Kulturen wie auch über die Grenzen verschiedener Bildmedien hinweg. Hier ist nicht zuletzt der Begriff der Ge­Schichte wörtlich aufgefasst, eben als Ansammlung und Überlagerung von Schichten, wobei, im Sinne Warburgs, gerade auch die älteren und achronen Schichten immer aktiv bleiben. Ein solcher Blick soll in freier Weise auf die folgenden Bild­Gesichter geworfen werden: ein Blick, der bestimmte historisch­anthropologische und mediale Schich­ tungen in den Fokus rückt. Sie zeigen an, dass zumindest in bestimmten, stark ritualisierten Bildern der neuen Massenmedien Voraussetzungen und Darstellungsmodi bestehen, die eben ältere, aber dennoch aktive Schichten der Geschichte in sich tragen und den engen Zusammenhang zwischen Gesicht, Maske, Bild und Medium zeigen. II. VIS UELLE K ULTUR Die Selbstverständlichkeit, mit welcher die Bilderströme auf allen TV­Ka­ nälen täglich eingeschaltet und wahrgenommen werden, lässt ihre Kon­ sumenten leicht vergessen, dass sie es im Spektakel der ferngesteuerten, Raum und Zeit mühelos durchdringenden Bilder eben ›nur‹ mit Bildern zu tun haben. Um auf die Beispiele hinzusteuern, die stellvertretend für viele andere stehen: Es ist so leicht und ritualisiert, sich mit Druck auf einer Taste das vertraute Gesicht einer Nachrichtensprecherin auf den häuslichen Bildschirm zu holen, es in intimer Nähe, aber aus sicherer Distanz anzublicken, sprechen zu hören und von ihm angeblickt und angesprochen, ohne dabei selbst gesehen und gehört zu werden (Abb. 1). Obgleich man sich gerne täuschen lässt, weiß jeder es doch ganz genau: Das telepräsente Gesicht ist stets ein inszeniertes, zeichenhaftes, von Me­ dien nur animiertes und übertragenes Bild­Gesicht, das lebendig scheint, aber nicht lebendig ist. Mehr noch: Es zeigt sich insofern als Bild in einem Bild, als das übertragene Bild­Gesicht bereits von einem geschminkten und frisierten Gesicht vorgegeben ist, dessen Mimik wiederum kulturellen Konventionen unterliegt und im Blick der Betrachter ohnehin schon als Oberfläche eines möglichen Bildes erfahren wird. Jedes TV-Gesicht ist daher in eine lange Verkettung von Vorbildern und Nachbildern, Vorstel­ lungsbildern und Wahrnehmungsbildern eingebunden.A1 Viele Phänomene der so genannten ›Visuellen Kultur‹ können im weitesten Sinn als bildhaft aufgefasst werden, so etwa die mit Schminke SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 613 1 Marietta Slomka im ZDF, heute journal am 3. Juli 2014 und Frisuren, Kleidern und Schmuck sich zeigenden Körper, das Design eines Autos, eine schöne Landschaft oder die ausgedehnten Architek­ turräume, in denen sich bestimmte Blickordnungen manifestieren und vieles mehr.2 Hieran knüpfen die im angloamerikanischen Sprachraum längst etablierten Visual Studies in ihrer ganzen heterogenen Breite an. Nach wie vor wird heftig darüber diskutiert, was unter dem Visuellen und der Visualität genau zu verstehen ist; darüber, was, wenn alles Vi­ suelle gemeint ist, überhaupt Bilder und was der Gegenstand sowie die verbindliche Methodik sind; und darüber schließlich, ob in dieser aus­ ufernden Gesamtschau nicht alle historischen, kulturellen, medialen und qualitativen Unterschiede der Bilder miteinander vermengt und nivelliert werden.3 In der schier endlosen Vielfalt der möglichen Themen kann man dennoch einen ungefähren Nenner ausmachen, welcher vor allem in der ikonoklastischen Kritik an den machtpolitisch kalkulierten Strategien der Bilder, ihrer Medien und skopischen Regime besteht.4 Billiarden an Bildern stehen hierfür heute zur Verfügung, und an jedem für sich lässt sich, mit allen Unterscheidungen, etwas genuin Bildhaftes zeigen. Entgegenkommend sind stets solche Bilder, die an sich selbst und daher 2 Der bereits gebräuchliche Begriff der ›visuellen Kultur‹ ist die wörtliche Übersetzung von ›visual culture‹ und ist unmittelbar an die Idee der ›visual studies‹ angelehnt; vgl. hierzu etwa Holert 2000. 3 Vgl. hierzu insbesondere die Kritik in der Ausgabe der Zeitschrift October 77 (1999); ferner Mitchell 2005; zuletzt: von Falkenhausen 2015. 4 Vgl. hierzu Schulz 22005, 85 ff. 614 in metabildlicher Weise ihre historischen, medialen oder politischen Bedingungen als Bilder deutlich machen. Das können, wie gewohnt, Bil­ der der selbstreflexiven und autonomen Kunst sein; das können jedoch auch, bei aller qualitativen Differenz, die trivialsten, aber eigentlichen machtvollsten Bilder der Massenmedien sein: die televisionären Bilder, die täglich von größter Ferne in die intimsten Räume strahlen. Diese gehören ohne Zweifel zu den einflussreichsten Bildern und sind mit größtem Sendungspotential ausgestattet; mit einem Potential, das kaum eine andere Institution früher und besser erkannte als die katholische Kirche, die bis heute ihre Bildmacht und Bildkompetenz eindrucksvoll unter Beweis stellt. Marshall McLuhan, der Ahnvater für die Theorie der neuen elektronischen Medien und selbst konvertierter und tiefgläubiger Katholik mit sicherem Sendungsbewusstsein, besaß nicht von ungefähr eine hohe Sensibilität hierfür; und nicht zufällig ernannte ihn der Vatikan 1973 zu seinem offiziellen Medienberater. Noch einflussreicher bedient sich längst die politische Macht der ›magischen Kanäle‹ (McLuhan). Ihre offiziellen TV-Bilder sind nicht weniger kalkuliert und inszeniert, doch, wie es scheint, durchlässiger und ergiebiger für demaskierende Aktionen, die zu erkennen geben, was es, eben nicht nur im politischen, sondern auch in einem anthropologi­ schen Sinn, mit den Bildern auf sich hat. Als Fallbeispiel sei hierfür eine Montage aus einem populärem Film ausgewählt, die in größtem Umlauf war: der Vorspann aus dem Film Fahrenheit 9/11, den der amerikanische Regisseur Michael Moore 2004 in offenkundig polemischer wie tenden­ ziöser Absicht zusammengestellt hat. Im Folgenden werden allein und abstrahiert die im Vorspann montierten Bild­Gesichter im Vordergrund stehen, um zum eigentlichen Thema dieser Untersuchung zu kommen: zur Maskenhaftigkeit der Bild­Gesichter. III. DIE MACH T IN D ER MASK E: FAHRENHEIT 9/11 A2/3nebenein. Werden die bewegten Bilder aus ihren filmischen Abfolge still gestellt, ausgeschnitten und nebeneinander gereiht, wirken sie wie Bilder einer etwas eigentümlichen Porträtgalerie (Abb. 2–6; 12; 14; 16; 17). Zeigen sie aber nun individuelle Gesichter oder eher die normierten und daher aus­ tauschbaren Masken und Amtskörper der heutigen politischen Macht? Zu sehen sind jedenfalls die weltweit bekannten und längst nicht mehr aktuellen TV­Gesichter von Politikern der immer noch mächtigsten Na­ tion dieser Erde: die Bild­Gesichter von George W. Bush, Condoleezza SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 615 2 George W. Bush, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, USA 2004 3 George W. Bush, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, USA 2004 Rice, Donald Rumsfeld, Colin Powell, John Ashcroft, Tom Ridge und nicht zuletzt von Paul Wolfowitz, dem ehemaligen Chef der Weltbank; Bild-Gesichter, die, unfreiwillig komisch und unfiltriert, ihre Maskerade und Doppelgesichtigkeit just in den Medien offenbaren, die ihre Gesich­ ter erst produzieren, einsetzen und verbreiten; Gesichter, die mit vielen anderen Fernsehgesichtern das Privileg, die Kompetenz, aber auch das Risiko teilen, im grellen Licht der Öffentlichkeit eine Allpräsenz als 616 Bilder zu haben, an die Erfolg und Niederlage gebunden sind; Bilder der Vorbereitung von Bild­Gesichtern und ihrer Vor­Bilder im wörtlichen Sinn, welche die Mächtigen puppenhaft, passiv und entmachtet zeigen; Vorgänge, die in der Regel später nicht mehr sichtbar sein werden und nicht mehr sichtbar sein sollen, wenn sie als perfekt inszenierte Bilder mit allen Insignien der Macht öffentlich und live zu sehen sind; Bilder daher nicht zuletzt, die sich bereits als Bilder zeigen, bevor sie eigentlich Bilder werden, und damit die Paradoxie jeglicher Maskierung offen legen, nämlich etwas hervorzuheben und zu zeigen und zugleich etwas anderes damit zu ersetzen und zu verbergen. In der rhetorischen Absicht dieses Films, die hier nicht das Thema ist, bieten sich solche in den Archiven der Fernsehanstalten vorgefundenen, dort herausgenommenen und neu montierten filmischen ready-mades freilich sehr gut als Sinnbilder an für die Janusköpfigkeit dieser sprechenden, geschminkten und frisierten Gesichter; dieser talking heads, hinter deren Gesichter immer andere Gesichter stecken, hinter deren Reden, so die provozierte Aussage, sich immer andere Absichten einer eigennützigen und längst katastrophalen Kriegspolitik verbergen. Das auch in diesem Film simpel funktionierende Verfahren der ikonoklastischen Demontage, das viele Vorbilder der Vorführung, Entlar­ vung und Zerstörung politischer Idole oder Feindbilder hat, blieb nicht unumstritten. Die hohe Auszeichnung mit dem Filmpreis von Cannes 2004 sowie die anfängliche Schaulust gerade an solchen Bildern ist in viel Kritik an den suggestiven Absichten dieses Films umgeschlagen, mit denen – erfolglos und längst überflüssig – vor allem die Wiederwahl von Bush verhindert werden sollte; in Kritik ferner an dieser polemischen und in vielem fragwürdigen Dokumentation wie insbesondere an der Manipu­ lation dieser vorgefundenen Fertigbilder, die aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen ausgeschnitten, neu montiert, gezoomt, verlangsamt wurden und die teils aus undeutlichen, auch im Nachspann undeutlich bleibenden Quellen stammen.5 Eindeutig identifizierbar und zuzuord­ nen sind allein die Aufnahmen des amerikanischen Präsidenten George W. Bush (Abb. 2; 3; 17). Sie sind den Minuten und Sekunden vor seiner Fernsehrede an die Nation entnommen, in der er am 20. März 2003 den Beginn des kriegerischen Angriffs auf den Irak verkündete.A4/5nebenein. 5 Zur Kritik siehe, mit vielen Verknüpfungen, folgende Internetseite: www. moviemaze.de/filme/988/fahrenheit­9–11 (14. Sept. 2015). SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 617 4 Paul Wolfowitz, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, USA 2004 5 Colin Powell, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, USA 2004 Dieser Vorspann ist jedoch, von Michael Moore wohl eher ungewollt, auch für allgemeinere bildtheoretische, bildhistorische und nicht zuletzt bildanthropologische Fragen ergiebig; für Fragen, welche die besonde­ ren Beziehungen zwischen Gesicht, Maske, Bild und seinen jeweiligen Medien in den Blickpunkt rücken. So banal, selbstverständlich und vertraut alles scheint, so aufschlussreich ist das zu sehende Procedere der bildwerdenden und bildgewordenen Gesichter, die, nicht nur in der Gegenwart der Fernsehkultur, einen großen, wenn nicht den größten Teil 618 aller Bilder ausmachen. Deutlich wird der Prozess einer Bildwerdung mit ihren verschiedenen Schichten: von natürlichen Gesichtern, die bereits als dynamische Masken eines sichtbar­unsichtbaren Inneren aufgefasst werden können, über ihre künstliche Maskierung hin zu kalkulierten TV-Gesichtern, die von Apparaten konfiguriert, fokussiert, eingerahmt, aufgenommen, gespeichert, übertragen, vervielfältigt und vom Rest des Körpers isoliert werden.A6 6 Tom Ridge, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, 2004 In der neueren Medienkunst wurde dieses Verhältnis von Körper, Mas­ kierung, Übertragung und medialer Re-Präsenz etwa in der filmischen Installation Art Make Up von Bruce Nauman aus dem Jahr 1968 reflektiert (Abb. 7). A7 Man stelle sich diese Bilder farbig vor, einzeln projiziert als jeweils 10­minütiger 16­mm­Film auf die vier Wände eines quadratischen Raumes. Zu sehen ist der Künstler selbst, seinen nackten Oberkörper vor einem ockerfarbenen Hintergrund frontal den Betrachtern zugewandt und seinen Blick auf einen unsichtbaren Spiegel gerichtet, wie er sich zunächst mit weißer, dann darüber mit roter, darüber wieder mit grüner und schließlich darüber mit schwarzer Schminke bemalt, so dass am Ende der mit vier einander vermischenden Farbschichten überdeckte schwärzliche Körper eine eigentümliche Flächigkeit erhält. Der ›natürliche‹ Körper verschwindet jeweils zunehmend hinter einer Farbschicht und wird in dieser Transforma­ tion zugleich in einer neuen und anderen Weise präsent. Was ursprünglich sukzessive und zeitlich linear stattfand, erscheint in der Installation auf SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 619 7 Bruce Nauman: Art Make Up (1967/68), Filminstallation, Art Institute Chicago (© Bruce Nauman) synchroner Weise, in der Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges in einer Endlosschleife kollabieren. Der ›natürliche‹ Körper verschwindet dabei zunehmend hinter einer Farbschicht und wird zugleich in einer neuen Weise präsent. Präsent ist ein Körper als ein sich selbst bemalendes Subjekt, das sich zugleich in ein Objekt, in ein Bild­Objekt verwandelt, so dass sich hier mehrere Bildschichten überlagern: des ›natürlichen‹ Körpers, des geschminkten Körpers, des technisch aufgenommenen, verwandelten und wieder übertragenden Körpers und schließlich der als Sequenz von Filmbildern wahrgenommene Körper. Die Bildwerdung des Körpers durch Übermalung findet hier seine Entsprechung in der Bildwerdung des Kör­ pers durch Übertragung in filmische Bilder, die wiederum einen Körper verschwinden lassen, indem sie ihn in neuer Weise präsent machen. IV. VORGESCH ICH TEN Deutlich wird bei diesen konventionellen Fernsehbildern insbesondere auch, dass hier die alte Geschichte, Tradition und die geradewegs trans­ kulturelle Konvention des halbfigurigen Bildnisses so scheinbar selbstver­ ständlich in den neuen Formaten der aktuellen Medien zu sehen ist. Fast jedes Porträt, das man in einem Museum, fast jede Ikone, die man in einer Kirche, fast jedes Werbeplakat, das man an der Straße sieht, macht uns 620 8 Geformter Totenschädel, Jericho (um 7000 v. Chr.), Damaskus, Archäologisches Museum diese überlieferte Konvention deutlich. Die Millionen von Bildgesichtern, die uns täglich von Plakatwänden, in Zeitschriften, auf allen TV­Kanälen umgeben, uns anblicken, anziehen oder abstoßen, überreden oder tyran­ nisieren, haben, mit allen signifikanten Unterschieden, eine lange Vor­ geschichte; daher ebenso die Tatsache, dass die Karriere eines Politikers wenig Aussichten hat, wenn er nicht über medientaugliche Maskierungen verfügt, und wir in einer Politik der televisionären Bild­Gesichter leben, mit denen Wahlen entschieden werden. Thomas Macho hat die histo­ rischen Tiefendimensionen der dominierenden »facialen Botschaften« und ihres »spätindustriellen Animismus« wie schließlich »die Geburt des Gesichtes aus dem Geiste der Maskierung« bis zum Neolithikum zurückverfolgt.6 Und noch weiter kann man die Geschichte denken, wenn 6 Macho 1996, 87–108. SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 621 man, mit Peter Sloterdijk, die Menschwerdung als eine Gesichtwerdung im interfazialen Raum begreift, als »Protraktion« des Gesichtes, das eben nicht mehr allein zum Fressen und Fauchen da ist, sondern dessen Sinne frei, kultiviert und offen werden.7 Anzuführen ist hier insbesondere auch das Buch Faces. Eine Geschichte des Gesichts von Hans Belting (2013). Es spannt in vielen Schlaglichtern ebenfalls einen großen Bogen von der Frühzeit bis zur Gegenwart, in dem die Maskenthematik prominent ist. Eine kurze wie vorsichtige Rückblende in die Frühgeschichte der Bilder, in den Totenkult im vorderen Orient vor gut 9000 Jahren, macht deutlich, wie sehr von Anfang an Gesicht, Maske und Bild auf einander bezogen sind. Eindrücklich veranschaulichen dies neolithischen Schä­ del, die Jericho gefunden wurde (Abb. 8)8: vom Rest des Körpers gelöste Totenschädel, deren verlorene Gesichter durch Lehm, Kalk und Farben wiederhergestellt, deren verlorene Augen durch Muscheln ersetzt wurden, um ihnen den Anschein von vertrautem Leben wiederzugeben; mithin der Abwesenheit den Schein von Anwesenheit. Man gibt dabei, in die­ ser Verbindung von Index und Icon, dem gesichtslosen Schädel wieder die Maske eines Gesichtes zurück. Dies macht zum einen den engen Zusammenhang von Bild und Gesicht deutlich; zum anderen auch das kulturelle Bedürfnis, das Gesicht als pars pro toto eines Menschen wieder künstlich herzustellen und erinnerbar zu machen, das als intimer Teil einer Gemeinschaft verschwunden ist. A8 V. GES IC H T UN D MASK E Nicht unerwähnt dürfen in diesem Zusammenhang die prominenten und vielfach aufgegriffenen Thesen von Gilles Deleuze und Felix Guattari bleiben.9 In ihren Mille Plateaux interpretieren sie das moderne Gesicht – und dies ist für sie das europäische weiße, männliche Gesicht, das vom Körper amputiert und als ›starke Organisation‹ und ›politisches Gesicht‹ zur optischen Projektionsfläche gemacht wurde: paradigmatisch im Christusporträt präfiguriert – dieses Gesicht interpretieren sie als ma­ schinisierte Maske des despotisch von Pastoralmacht und Kapitalismus kontrollierten Subjekts. Doch soll es im Weiteren nicht um machtpoli­ tisch genutzte Konstruktionen und Verbreitungen von Gesichtern gehen, 7 Peter Sloterdijk: Sphären I. Blasen. Frankfurt a. M. 1998, S. 141 ff. 8 Siehe hierzu: Salje 2004, insbesondere 31 ff. 9 Deleuze/Guattari 1997. 622 nicht um fremdbestimmte Einschreibungen und Maskeraden; nicht um die Möglichkeiten fiktiver Rollenspiele, um Schauspiel, Ausdruck eines Subjektes oder um Seele und Physiognomie; nicht daher auch um das Ge­ sicht als Leinwand von inneren und äußeren Einschreibungen, wie es, als Großaufnahme, gerade in der Filmtheorie ein entscheidendes Thema ist.10 Die diktierte Semantisierung, Chiffrierung und damit die Lesbarkeit des Gesichts als »starke Organisation« sind in ihren vielfach interpretierten medien­ und diskursgeschichtlichen Zäsuren hier nicht das eigentliche Thema – obgleich die angeführten Bild­Gesichter selbstredend damit auf das Engste verknüpft sind.11 Stattdessen werden diese Bilder in der anthropologischen Perspektive einer Kontinuität von Darstellungsmodi und ihren Bedingungen gesehen. Sie erhellen Vorgaben, die, mit allen historischen Unterschieden, nur in einem größeren bildgeschichtlichen Zusammenhang einen Sinn ergeben. Hinzukommt entscheidend: Die meist negative Bewertung und Unterscheidung von Gesicht und Maske als ein Verhältnis von wahrem und falschem, natürlichem und künstlichem, von freiem und unfreiem Gesicht – diese Unterscheidung ist eine moderne! Ein kurzer Exkurs zur europäischen Begriffsgeschichte der Maske ist daher angebracht.12 Das ursprünglich griechische Wort hierfür ist prósopon, das zunächst, seit den homerischen Epen, Gesicht und zugleich aber auch, spätestens seit dem 4. vorchristlichen Jahrhundert Maske heißen kann und damit gerade keinen Widerspruch meint. Übersetzt heißt prósopon: Das, was gegenüber den Augen sich befindet; etwas mithin, das sich nicht von innen, sondern von außen, vom Gesehenen ableitet und das im Deutschen mit dem ›Gesicht‹ oder mehr noch mit dem ›Angesicht‹ korrespondiert. In diesem Sinne ist das ›natürliche‹ Gesicht bereits eine Maske, die wesentlich von einem anderen gesehen wird. Und man darf jetzt nicht sagen, dass die Griechen, die heute die Sündenböcke Europas sind, auch dafür unfähig waren, dies zu unterscheiden, sondern sie waren eher noch in der Lage, dies zusammenzudenken. 10 Vgl. Aumont 1992; Koch 1995, 272–291; vgl. aber auch Gombrich 1977. 11 Das Gesicht als Bild und die ›faciale Gesellschaft‹ hat in vielen Diskussi­ onen, gerade mit Blick auf die medialen Umbrüche und Krisen, eine besondere Konjunktur erfahren. Siehe insbesondere die Beiträge in Löffler/Scholz 2004; ferner: Treusch­Dieter / Macho 1996; Gläser u. a. 2001; Blümlinger/Sierek 2002; Scheel 2004. 12 Zum Folgenden siehe: Rheinfelder 1928; Fuhrmann 1979; Weihe 2004, 41 ff.; 97 ff.; 179 ff.; Brasser 2008; Konersmann 199. SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 623 Die lateinische Übersetzung von prósopon ist persona, die eigentlich nur mehr die Maske meint, die Theatermaske insbesondere wie aber auch, spätestens seit Ciceros normativer Rollentheorie und im übertragenen Sinn, die soziale, öffentliche, juristische Rolle und Aufgabe bis hin zum Charakter und Wesen eines Menschen; in manchen Fällen auch die Heuchelei und Falschheit und nicht zuletzt: einen grammatikalischen terminus technicus – wohingegen der moderne, abstrakte wie idealistische Begriff des Menschen als Person, d. h. als selbstbewusstes und freies We­ sen, wie sie u. a. Kant definiert, geradezu in einer Bedeutungsverkehrung nichts mehr mit dem antiken Rollenbegriff zu tun hat, sondern von außen ganz ins Innere, ja ins Unsichtbare und Transzendente gekehrt wurde. Daran war insbesondere die christliche Umdeutung der persona beteiligt. Eine Art, wenn auch schon inhaltsleere Schnittstelle zeigt sich bereits in der christlichen Spätantike: Der rätselhafte und paradoxe Körper Jesu Christi wurde, nach vielem griechisch­lateinischem Wortstreit über seine Doppelnatur innerhalb des komplizierten Konzepts der Trinität, von den Lateinern als persona bezeichnet; allerdings in deutlicher Abgrenzung zum ›Teufelswerk‹ des römischen Maskentheaters: Sein Gesicht ist gerade nicht die verdeckend bloße Oberfläche und teilende Differenz zu dem, was sich eigentlich dahinter befindet; es zeigt vielmehr die unteilbare Einheit zweier Naturen in einer Person: sowohl die menschliche, sicht­ bare wie sterbliche, die Christus auch hatte, und zugleich seine göttliche, unsichtbare wie unsterbliche Natur. Gemeinsam indessen bleibt, dass persona im antiken wie im christlichen Verständnis in der Regel nicht negativ besetzt ist. Immer wieder wurde übrigens, schon seit der Antike, die These vertreten, dass das Wort persona vom Verb personare abstammen wür­ de, also vom ›Durchklingen‹, mit der Annahme, dass dies sich von der trichterförmigen Schallöffnung der Theatermaske herleite, durch die eine persona durchtöne. Diese Etymologie hat sich längst als falsch erwiesen. Wahrscheinlich ist eher, dass hinter persona ein etruskischer Unterweltsgott oder ­dämon namens Phersu steckt, der bei Leichenspie­ len für gewöhnlich als bärtiger Mann mit einem karierten Flickenhemd und eben einer Maske auftritt, wie dies ein Wandgemälde aus der Tomba degli Auguri in Tarquinia aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert zeigt. Persona wäre dann das, was dem Phersu zugehörig ist, also seine komplette individuelle Verkleidung innerhalb eines Kollektivs – daran sollte man sich wenigstens erinnern, wenn man in seinen Personalausweis schaut. Das heute gebräuchliche Wort Maske ist indessen wahrscheinlich dem arabischen Wort maschara, dem Spaßmacher und Maskierten, entlehnt, 624 das wohl im 13. Jahrhundert über Sizilien in die italienische Sprache ge­ langte und sich seit dem 17. Jahrhundert im Deutschen nachweisen lässt, während die antike Bedeutung von persona eigentlich schon vergessen war. Entscheidend ist jedenfalls, dass ›Maske‹ von Beginn an eher negativ besetzt ist, in dem Sinn, dass sie immer ein falsches Gesicht zeige und ein wahres Gesicht dahinter verberge. 9 Gesichtsbemalung einer Caduveo­Indianerin, aufgenommen von Lévi­Strauss 1930 SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 625 10 Vorlage für eine Gesichtsbemalung eines Maori­Häuptlings, Neuseeland, 19. Jahrhundert VI. DAS G ESICH T ALS B ILD T R ÄG ER Entscheidender Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist daher das enge Verhältnis von Körper und Bild, das sich nirgends deutlicher als in der Kultur der Masken zeigt; insbesondere das Verhältnis von Bild und Gesicht, das Claude Lévi­Strauss als den ersten und ursprünglichen Bildträger erkennt: als Bildträger par excellence (Abb. 9; 10).13 Das Gesicht war Träger von Bildern, von Bemalungen und Tätowierungen, bevor sich das künstliche Gesicht von ihm löste, auf externe Medien übertragen wurde und es sich nicht mehr allein als soziales, religiöses, magisches und überhaupt als kulturelles Gesicht bestätigte und auszeichnete, son­ dern es dar­stellte. Die Beispiele, die der »Strukturalen Anthropologie« von Lévi­Strauss entnommen sind, zeigen zum einen eine Frau mit Gesichtsbemalungen des brasilianischen Indianerstamms der Caduveo, aufgenommen 1935; zum anderen die in der Struktur zumindest ähnlichen 13 Lévi­Strauss 1977; ders. 202012. 626 Gesichtszeichnungen für einen Maori­Häuptling Neuseelands aus dem 19. Jahrhundert. Die zu vergleichenden Abbildungen bezeichnen für Lévi­Strauss gerade kein genealogisches Indiz, das auch unmöglich wäre, sondern ein rein strukturelles, das in beiden Fällen die formale Ähnlich­ keit der Bemalung allein durch das Gesicht als Bildträger bestätigt.A9/10 Von der Anthropologik der Maske lässt sich wiederum großzügig ein Bogen zum spezifischen Phänomen des europäischen Porträts aufzeigen: zur ungemein verfestigten Form des halbfigurigen Bildnisses, das stark auf das Gesicht fokussiert ist und das man sich, wie es entsprechende Beispiele nahe legen, als eine vom Gesicht abgezogene Maske vorstellen kann; als eine Maske, die bleibt, wenn ihr Träger bereits verstorben ist und nichts mehr als einen nackten und hohlen Schädel zurückgelassen hat.A11 Als ein prägnantes Beispiel sei auf das Bild eines Schiebedeckels verwiesen, das um 1520 in Florenz von einem anonymen Künstler gemalt wurde. Dieser verdeckte und umschloss einmal ein Porträt, das selbst heute – wahrscheinlich – verschollen ist (Abb. 11).14 Solche Bildtypen, welche auf die Performanz von Enthüllen und Verbergen angelegt waren, gab es vor allem im privaten Kontext. So besonders die humanistische Begrifflichkeit dieses Beispiels auch sein mag, gibt es dennoch Aufschluss über eine prinzipielle Dialektik der bildgewordenen Gesichter, die im antiken Begriff der persona angelegt ist. Im Zentrum des Deckels, um­ geben von grotesken Delphinen und Chimären, ist eine fleischfarbene, symmetrisch wohlgeformte und geschlechtlich unbestimmbare Maske zu sehen, mit großen Augenhöhlen, schöner Nase und einem mimisch indifferenten Mund. Darüber ist, auf einer fingierten Mamortafel in rö­ mischer Capitalis geschrieben, die Inschrift zu lesen: Sua cuique Persona. In dieser eliptischen Form kann das heißen: »Jedem seine Maske« oder auch: »Jeder besitzt eine Maske«. Auf den mehrschichtigen Begriff der persona, der, wie angedeutet, im klassischen gerade auch die soziale und moralische Rolle innerhalb eines streng gegliederten Ständesystems meint, kann hier nicht näher einge­ gangen werden. Nur so viel: Man würde diese Inschrift zusammen mit der anonymen Maske missverstehen, würde man sie allein als Antithese zum gemalten individuellen Porträt begreifen, das dahinter verborgen war, und damit letztlich zum natürlichen Gesicht derjenigen Person, von der einmal dieses Bild gemalt worden ist. Vielmehr wird auf den engen Bezug zum natürlichen Gesicht als Träger einer persona angespielt 14 Hierzu: Baader 1999; Weihe 2004, 179 ff.; Belting 2013, 121 ff. SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 627 11 Sua cuique persona, Schiebedeckel zu einem verschollenen Porträt, Ridolfo del Ghirlandaio zugewiesen, um 1500, Uffizien, Florenz (© Scala Group Florenz) und damit auf eine Einheit von möglichen Differenzen (und eben nicht auf ihren Widerspruch): zwischen natürlich und künstlich, privat und öffentlich, eigen und anders, bewegt und nicht bewegt; konkreter dann auch: zwischen dem natürlichen Gesicht, als Träger einer Maske, dem gemalten Gesicht, das als medialer Übersetzung jenem gegenüber bereits eine Maske darstellt, und der künstlichen Maske selbst, mit der man je­ weils, im wörtlichen wie metaphorischen Sinn, eine bestimmte (gute wie angemessene) Rolle in der Gesellschaft einnehmen muss. 628 VII. TV-MAS K EN UND TO D Der Anachronismus, der hier nur als stills vorgestellten TV­Bilder, die zudem abstrahiert von ihrem filmischen wie politischen Zusammenhang betrachtet werden, soll allerdings nicht die technisch fundamental andere und neue Weise ihrer medialen Herstellung und Verbreitung überblenden. Sie zeigen im Zeitalter der elektronischen Massenmedien eine extrem multiplizierte Zerschichtung, Fragmentierung, Vervielfachung, Beliebig­ keit und Entkörperlichung dieses Verhältnisses von Gesicht und Bild, während im Unterschied zur starren Maske die mimische Aktivität der animierten TV­Bilder den lebendigen Gesichtern entspricht. Die Über­ tragung von natürlichen Gesichtern in künstliche Bild­Gesichter lassen sich dennoch als Prozesse der Maskierung und als solche der zunehmend vom Körper sich loslösenden Maskierungen erkennen.A12 12 Richard Cheney, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, USA 2004 Abschließend sei daher noch auf eine weitere historisch­anthropologische Dimension der TV­Masken verwiesen, die bereits implizit angespro­ chen war: Die Maskierung erfordert zunächst eine passive, schlaf­ und totenähnliche Haltung, aus der man, wie es insbesondere die Bilder von Cheyne suggerieren, noch etwas benommen und befremdet mit einem neuen Maskengesicht erwacht; mit einem neuen Gesicht, mit dem man ins Ritual der eigentlichen Bildwerdung eintritt (Abb. 12). Dazu gehören SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 629 auch die Pose und Mimik, die man in Erwartung der bildlichen Auf­ nahme und im Angesicht der Regisseure einzunehmen hat; sodann die Lockerung der Gesichtsmuskel, welche der Vorbereitung des mimischen Auftritts dienen; ferner die Arbeit der Visagisten, Hairstylisten und Bild- und Tontechniker. Diese filmischen Voraufnahmen zeigen jedoch nur die Momente der Präparation und gleichsam das Vorspiel der medi­ alen Verwandlung in ein weiteres wörtliches Interface, das sich zwischen die lebendigen Gesichter und ihre Betrachter schiebt; Momente der Übertragung von Gesichtern, die im Vorstadium als natürliche Körper noch berührt und angesprochen werden können, bevor sie gänzlich eine mediale, entkörperlichte und entrückte Distanz einnehmen, nur bewegte Oberfläche und ganz und gar visuell werden: bevor sie von der realen Präsenz an einem festen Ort in die beliebige Re­Präsenz zahlloser Orte überführt werden. Diese zweite Verwandlung in ein dauerhaftes Bild oder, genauer, in die Sequenz von bewegten dauerhaften und doch nur temporär erschei­ nenden Bildern wird an ein externes Medium delegiert, das wiederum in seinen technischen, aber auch symbolisch genutzten Eigenschaften die Masken vom Körper löst, sie neu formt, speichert und überträgt. In diesen Fällen nicht in das gemalte Porträt eines Tafelbildes, sondern in elektronische Fernsehbilder, die an zahllose Orte und in zahllosen Re­ produktionen verstreut werden; in Reproduktionen, die über Millionen von Monitoren wandern, beliebig formatierbar und zu bearbeiten sind, die längst digitalisiert, ausgeschnitten, auf DVD übertragen wurden und nun von allen aufgenommen und gekauft werden können.13a/b In beiden Richtungen der Transformierung von einem natürlichen Gesicht in ein mediales Maskengesicht lauert indessen weiterhin der Tod: hinter dem lebendigen Gesicht, das mit Haut und Muskeln die hardware des Knochen überspannt, der gesichtslose und daher anony­ me tote Schädel, das Sinnbild von Vergänglichkeit und Tod sowie das Bild der Bildlosigkeit schlechthin, wie es auf den Rückseiten mancher neuzeitlichen Porträts an den eigentlichen Zustand dessen gemahnt, der auf der Vorderseite als scheinbar Lebender zu sehen ist (Abb. 13a u. b).15 Auf der Rückseite eines Gemäldes von Giovanni Antonio Boltraffio um 1510 ist ein nackter Totenschädel in einer dunklen Wandnische zu sehen, der sich bereits selbst im Zustand fortgeschrittener Verwitterung mit fehlenden Zähnen und ohne Unterkiefer zeigt. Eine Inschrift ist zu 15 Vgl. Belting 2002. 630 13a Giovanni Antonio Boltraffio: Porträt des Hieronymus Casius (um 1510), Rückseite, Sammlung Chatsworth 13b Giovanni Antonio Boltraffio: Porträt des Hieronymus Casius (um 1510), Vorderseite, Sammlung Chatsworth lesen, mit welcher der hohle Schädel den Betrachter in der ersten Person anspricht, die eigentlich keine singuläre Person mehr sein kann. Der alle Individuen gleich machende Tod scheint daher selbst zu sprechen: Insigne sum Hieronimi Casii – »Ich bin das eigentliche Wappen des Hieronymus Casius«. Der tote Schädel, so die makaber wie nüchtern pointierte Aus­ sage, ist der wahre Träger, der Fluchtpunkt und die Matrix jedes indivi­ duellen, lebendigen und also vergänglichen Gesichts, ganz unabhängig von Stand, Rang und dem Besitz seiner Person. Er ist die Kehrseite dessen, was auf der Vorderseite des Gemäldes als lebendes Gesicht des jugendlich schönen Poeten Hieronymus Casius erscheint, der in Florenz ein Hans Dampf in allen Gassen war. Doch ist das, was wir hier sehen, nicht das lebendige Gesicht des Dichters, der längst gestorben ist, son­ dern nur mehr sein mit toter Materie gemaltes Gesicht, das im Sinne der Mimesis lebendig scheinen soll. Doch vor dem lebendigen Gesicht wartet wiederum der vorzeitige Tod (Abb. 14): die mediale Enthauptung einer ein­ und ausgrenzenden Rahmung, welche den Kopf vom Rest des Körpers isoliert; die Mumifizierung in ein künstliches Gesicht und eine fortan zu animierende Totenmaske; eine Übertragung, welche der alten SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 631 platonischen Kritik an allen artifiziellen Medien zufolge vom Lebendigen trennt und daher nur mehr verstümmelt, amputiert, verfälscht, leblos und vor allem nicht mehr dialogfähig ist.A14 14 Condoleezza Rice, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, USA 2004 VIII. GES ICH T. MASK E. B ILD. MED IUM. KULT UR Daraus leitet sich eine Kardinalfrage für die historisch anthropologisch orientierte Bildwissenschaft ab: Markieren diese Technik­Fernsehbilder eine ganz andere und neue Etappe der Bild­Geschichte als die Geschichte der analogen, mit Farbe, Pinsel, Leinwand, Holz, mit Auge und Hand hergestellten Bilder? Verbindet das eine nichts mit dem anderen und wenn, dann nur etwas Äußerliches? Im rein technischen Sinne und mit Blick auf die enormen Veränderungen der raumzeitlichen Organisation sowie der grenzenlosen Multiplizierung, Manipulierbarkeit, Zirkulation und Verfügbarkeit der Bilder muss man diese Frage mit einem unein­ geschränkten Ja beantworten. Zugleich sind jedoch bei den angeführten Beispielen Rahmenbedingungen und Übertragungsriten erfüllt, die nur innerhalb einer bestimmten Kultur einen selbstverständlichen Sinn erge­ ben; und die in einer anderen Bildkultur oder in einer zumindest teilwei­ sen Nicht­Bild­Kultur, wie sie der Islam ist, unverständlich, befremdend, ja obszön, blasphemisch und verboten sind. Dies zeigte nicht zuletzt der sehr kontrovers diskutierte Fernsehauftritt am 28. Dezember 2005 der im 632 Irak entführten Susanne Osthoff, der deutschen Archäologin, die nach vielen diplomatischen Bemühungen und großem Medienrummel wieder für viel Geld freigekauft werden konnte (Abb. 15). A15 15 Marietta Slomka interviewt Susanne Osthoff im ZDF heute journal am 28. Dezember 2005 Von Susanne Osthoff erwartete eigentlich jeder deutsche Bürger bei ihrem ersten öffentlichen, von den Medien eiligst herbeigeführten In­ terview, das via Satellit zwischen dem ZDF­Studio in Mainz und Al Jazeera in Katar stattfand, ein müdes, leidendes, aber auch glückliches Gesicht darüber, wieder in den Schoß der aufgeklärten und bilder­ freundlichen europäischen Zivilisation zurückgeholt zu sein. Aber sie zeigte sich ausgerechnet mit einem Kopfschleier, der gerade ihr Gesicht verdeckte, lediglich die Augenpartie offen ließ und im Westen als das Sinnbild männlicher Unterdrückung gilt; und sie hatte zudem, in einer medienungeübten, dabei sprunghaften, teils rätselhaften und psychisch gehetzt wirkenden Argumentation, die für Ausstrahlung im heute journal radikal zusammengeschnitten wurde, nur wenig Dank für die deutsche Hilfe und noch weniger für die Medien übrig. Entsprechend war die Kollision mit dem professionell maskierten TV­Gesicht der deutschen Nachrichtenikone Marietta Slomka, die auf das sensationelle Interview zum Jahresabschluss spekulierte; eine Kollision, die nachhaltig verwirrte, als Provokation einer geistig verwirrten Frau, als Undank und gar als Verrat empfunden wurde; eine Kollision, die aber nicht zuletzt auch die medial tauglichen Masken der westlichen TV­Gesichter verweigerte und zugleich entblößte. Offensichtlich historisch und kulturell determiniert SCH U L Z : B I L D U N D M A SK E 633 ist daher der Porträtcharakter dieser Bilder, in denen – scheinbar selbst­ verständlich – das mimisch kontrollierte, geschminkte und gut frisierte Gesicht der zentrale und isolierte Ausdrucksträger ist. A16/17nebenein. 16 John Ashcroft, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, USA 2004 17 George W. Bush, Still aus Fahrenheit 9/11, R: Michael Moore, USA 2004 Die hier angeführten Beispiele aus dem Film von Michael Moore zeigen in ihrem unfertig vorgefundenen und nicht für die Öffentlichkeit be­ stimmten Zustand freilich eher Karikaturen von Porträts. Unfreiwillig und unbewusst verdeutlichen sie die enge Analogie von Gesicht, Maske, 634 Bild und Medium. Diese Bild­Gesichter ent­larven sich selbst in einem wörtlichen Sinn, indem sie die verschiedenen Masken­Schichten ihrer Bildwerdung sichtbar machen. Michael Moore verwertete diese Bilder für eine politische Karikatur und Demaskierung innerhalb der rhetorischen Struktur eines montierten Films, dessen Anspruch eines wahrheitsge­ treuen Dokuments, bei aller Suggestion, an vielen Stellen anzuzweifeln ist. In der hier vorgeschlagenen Sichtweise haben diese Bilder eher dazu motiviert, das wörtlich räumliche wie zeitliche Davor und Dahinter der Maskierungen herauszustellen. Damit soll nicht einer unendlichen und hyperrealen Verkettung der Bilder das Wort geredet werden; auch nicht, wie schon häufig analysiert, einer Krise des natürlichen Gesichts, das, trotz allen heute möglichen chirurgischen Eingriffen und digitalen Kon­ struktionen, nie über ein stabiles, unmaskiertes und natürliches Schema verfügt hat. Die Frage bleibt dennoch grundlegend für die Bildwissen­ schaft: Wo beginnen und enden Bilder und wie definieren wir sie? Sind sie bereits ins Gesicht geschrieben, das den nackten Schädel überspannt? Beginnen sie mit der Maskierung? Entstehen sie während der Aufnahme? Existieren sie nur in gespeicherter Form auf einem Datenträger? Finden sie im Moment ihrer Übertragung oder schließlich doch allein im Kopf ihrer Betrachter statt? Die abschließende These: Bilder formieren sich ge­ rade in der Interaktion all dieser Schichten und ihren Transformationen, die zudem in der Phase ihrer größten Ausdehnung und Multiplizierung sind. Die neuen technischen Bilder lassen indessen etwas Anachrones durchschimmern, das nicht allein in den Möglichkeiten der jeweiligen Medientechnik zu verorten ist; etwas, das sich nicht nur als eine kulturelle, lokale, längst globale Konvention herausgebildet hat, sondern zudem als etwas, das berechtigt, von einer längeren Kulturgeschichte der Bilder und ihrer nachhaltigen Morphome zu sprechen, mit der jede Gegenwart von Medienkultur in Berührung steht. BILDREC HTE 7 © Bruce Nauman. 11 © Scala Group Florenz. 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Für das Programm von Morphomata ist dieser Begriff doppelt attraktiv: Er befasst sich nicht nur – wie das Kolleg ganz grundsätzlich – mit Dingen, sinnlich wahrnehmbaren Formen und Stoffen. Vielmehr bedient er sich dabei auch einer lebensgeschichtlichen Perspektivierung, wie sie in der aktuellen Ausrichtung des Kollegs auf die Forschungsfelder Biografie / life writing und Portrait / life imaging zum Ausdruck kommt. Objektbiografien schlagen gewissermaßen die Brücke zwischen Menschen und Dingen bzw. zwischen der Forschung/Reflexion über Menschen und der Forschung/Reflexion über Dinge. Dabei plädiert die Methode der »Objektbiografie« im Kern für eine historische Perspektivierung von Artefakten, die andernorts formalästhetisch, ikonografisch, semiotisch etc. gedeutet und verortet werden. Durch die einschlägigen Publikationen von Arjun Appadurai und Igor Kopytoff,1 die meist als Begründer des objektbiografischen Ansatzes genannt werden, spielen »Objektbiografien« vor allem in der ethnologischen Forschung zu materieller Kultur bis heute eine wichtige Rolle – auch wenn der Begriff nicht unumstritten ist, wie Hans Peter Hahns dezidierte Kritik zeigt.2 1 Appadurai 1986, Kopytoff 1986. 2 Hahn 2015. 638 S AMMLUNGSG ESCH ICH TE( N ) Ein zentraler Anwendungsbereich objektbiografischer Methoden ist die historische Aufarbeitung musealer Sammlungen. In diesem Feld haben objektbiografische Forschungen wichtige Impulse gesetzt: Erstens haben sie die Idee eines ›ursprünglichen Gebrauchskontexts‹ aufgeweicht, indem sie sichtbar machten, dass Objekte oft schon durch viele Hände, Her­ stellungs- und Gebrauchskontexte gegangen waren, bevor sie von einem europäischen Sammler aufgelesen oder angeeignet wurden.3 Zweitens haben sie denjenigen ›Lebensabschnitt‹ von Artefakten, der nach ihrem Erwerb durch ein Museum liegt, in sein Recht gesetzt. So beschäftigen sich sammlungshistorische Arbeiten zunehmend mit der ›musealen Taphonomie‹ von Objekten, wie Fowler/Fowler sie genannt haben: 4 Sie erforschen, wie Dinge im Laufe ihres Museumsdaseins klassifiziert, interpretiert, bewegt, bearbeitet, ausgestellt, publiziert und konserviert, manchmal aber auch vergessen, verloren oder zerstört werden. Eine historisch-biografische Perspektivierung zeigt, dass die Musealisierung von Dingen nicht nur eine Dekontextualisierung, sondern ebenso eine Neukontextualisierung bedeutet. Dies mag inzwischen nur mehr wenig überraschend klingen. Dass objektbiografische Forschung aber noch immer innovativ sein kann, zeigt sich, wenn man einmal den umgekehrten Weg der Objekte betrachtet, wenn man also nicht danach fragt, wie Objekte ins Museum gelangen, son­ dern wie, warum und unter welchen Umständen einige von ihnen das Mu­ seum wieder verlassen. Hier bietet sich Restitutionen und Rückgaben von Musealien in ihre Herkunftsländer, als Untersuchungsfeld an.5 Denn die Biografie eines Objekts nach Verlassen der Institution weiterzuverfolgen heißt auch, die museale Sicht zu überwinden, die die Objekte einer Ideo­ logie des Bewahrens unterwirft und Rückgaben als unwiederbringlichen Verlust von Sammlungsgut bewertet. Mithilfe von objektbiografischen An­ sätzen lässt sich nach den oft verschlungenen Wegen der Objekte jenseits des Museums fragen. Objektbiografien bewahren auch davor, Rückgabe als 3 Vgl. Himmelheber 2004. 4 Fowler/Fowler 1996, 132–133. Zit. n. Hoffmann 2012, 31. 5 Weitere Untersuchungsfelder sind denkbar, denn selbstverständlich können Objekte das Museum auch auf dem Wege des Tausch, Verkaufs, der Versteigerung oder der Entsorgung verlassen. FÖ R S T E R : T H E L O N G W AY H O M E 639 eine simple Wiedereinsetzung des Objekts in einen sog. Ursprungskontext zu begreifen: Denn das Objekt, das zurückkommt, ist ein anderes als das, das weggegeben oder davongetragen wurde, wenn auch nicht unbedingt materiell, so doch von seiner Bedeutung und Bewertung her. Genauso ist es ja auch mit dem so genannten Herkunftskontext: Restituierte Objekte werden nicht etwa in ›alte Traditionen‹ zurückverpflanzt, so wie sie auch nicht wirklich in dieselbe source community zurückkehren,6 sondern werden in neue, veränderte Diskurse und Praktiken eingebunden. Durch solche perspektivischen Erweiterungen kann ein objektbiografischer Ansatz zunächst die Polaritäten, die die kulturpolitisch aufgeladene Restitutions­ debatte prägen, abbauen. Vor allem aber ist er methodisch hilfreich, um neue Fragen zu entwickeln. TRANS NAT IO NAL E R EPATR IIER UN G SVERF AH REN Das Beispiel, an dem ich meine Überlegungen weiter ausführen will, handelt von einer speziellen Gattung von ›Objekten‹, die in der jüngsten Debatte um Rückgabe eine besondere Rolle spielen: und zwar mensch­ liche Gebeine. ›Sammlungen‹ menschlicher Gebeine bzw. Überreste sind in vielen Museen und Museumsgattungen zu finden, die um 1900 entstanden sind bzw. in dieser Hochphase europäischer Sammelwut ihre weltweiten Erwerbungen zusammengetragen haben: in ethnografischen, naturkundlichen, medizinischen, anatomischen und anthropologischen Museen und/oder Universitätssammlungen. Der wissenschaftshistorische Kontext kann hier nur angedeutet werden: Vor dem Hintergrund evo­ lutionistischer und sozialdarwinistischer Theorien suchten europäische Wissenschaftler die Körperdaten verschiedener ›Menschenrassen‹ zu erheben und damit das Konstrukt der ›Rasse‹ selbst zu plausibilisieren. Von besonderem Interesse erschienen Gesellschaften und Menschen nicht­europäischer Herkunft, die sich nach damaliger Lesart auf einer früheren evolutionären Entwicklungsstufe befanden, insbesondere afrika­ nische, indianische und australische indigene, d. h. zu diesem Zeitpunkt größtenteils kolonisierte Bevölkerungsgruppen. Wo Vermessungen an Lebenden nicht möglich waren, beschafften sich Wissenschaftler Leichenteile und Gebeine aus Gräbern, Gefängnissen, Militärlazaretten und von Exekutionen. Der Historiker Andrew Zimmerman hat auf den 6 Zur Kritik am Begriff source community vgl. Förster et al. 2015. 640 Zusammenhang zwischen der kolonialen Expansion um 1900 und der parallelen Entstehung der Disziplin der (physischen oder Bio­)Anthro­ pologie hingewiesen: »The routes by which the bodies of non­Europeans were made accessible to anthropological knowledge in Germany show the practical interdependence of physical anthropology and colonial rule. […] The discipline thus depended upon, and gave meaning to, the institutions of colonial violence (…).«7 Die Musealisierung geraubter menschlicher Überreste für das ›höhere‹ Ziel der Wissenschaft ist eines der eingängigs­ ten Beispiele für das, was die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak als die »epistemische Gewalt« kolonialer Herrschaft bezeichnet hat.8 Menschliche Gebeine aus dem genannten Kontext sind seit den 1960er Jahren Gegenstand von Rückgabeforderungen. Die sog. Repat­ riierungsbewegung9 steht im Kontext von postkolonialen Kämpfen um gesellschaftliche Partizipation und die Anerkennung indigener Rechte, am erfolgreichsten ist sie bisher in den ehemaligen Siedlerkolonien, also USA, Kanada, Australien und Neuseeland.10 Australien beispielsweise hat nach eigenen Angaben zwischen 1990 und 2009 weltweit die Gebeine von 1190 Individuen aus Museen und Sammlungen rückgeführt und soweit möglich wiederbestattet.11 Mittlerweile wird nicht mehr nur im »ICOM Code of Ethics« von 1986 von der Verpflichtung der Museen gesprochen, Rückgabeforderungen zu bearbeiten, sondern die »UN Declaration for the Rights of Indigenous People« (2007) spricht in Artikel 12 sogar von einem Recht indigener Gemeinschaften auf die Repatriierung ihrer menschlichen Überreste (und Ritualgegenstände).12 In meiner Forschung untersuche ich die unterschiedlichen politischen und sozialen, institutionellen und individuellen, materiellen und spirituel­ len Kontexte, die die zurückkehrenden ›Objekte‹ durchlaufen: vom Muse­ umsdepot zurück in ihr Herkunftsland, manchmal in ein neu errichtetes postkoloniales Nationalmuseum, manchmal an den Ort zurück, wo sie z. B. aus Gräbern entwendet wurden. Im Sinne von George Marcus’ multi-sited 7 Zimmerman 2003, 156–157. 8 Spivak 1988. 9 Zur besseren Unterscheidung verwende ich den Begriff Repatriierung für die Rückführung menschlicher Überreste und den Begriff Restitution für die Rückgabe von Objekten allgemein. 10 Fründt 2011, 22–44 11 Parke 2015. 12 Http://www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/Declaration%28German %29.pdf FÖ R S T E R : T H E L O N G W AY H O M E 641 ethnography ›folge‹ ich den Gebeinen und frage nach den Bedeutungen, die sie in verschiedenen Kontexten annehmen. Denn auf dem »langen Weg nach Hause«, wie ihn die beiden australischen Wissenschaftler Paul Turnbull und Michael Pickering genannt haben, geschieht etwas höchst Bemerkenswertes: die ›Musealien‹ verändern ihren Status, sie werden von Objekten der Wissenschaft (Knochen, menschlichen Überreste, Schädeln) wieder zu Subjekten (ancestors, heroes, martyrs) der lokalen, nationalen oder transnationalen Geschichte. Wie dieser Bedeutungswandel inszeniert wird, möchte ich am Beispiel eines transnationalen Repatriierungsverfahrens zwischen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien und der Republik Südafrika im Jahr 2012 zeigen. FALLBEIS P IEL : R EPATR IIER UN G VO N Ö S T ERREI C H NAC H S ÜDAF R IK A ( 201 2) Gegenstand der betreffenden Rückgabe waren zwei Skelette südafrika­ nischer Herkunft, die seit 1909 in Wiener Institutionen gelagert hatten, zuletzt im Naturhistorischen Museum in Wien. Schon seit langem war bekannt gewesen, dass sie von dem österreichischen Arzt und Ethnologen Rudolf Pöch, der als Begründer der Anthropologie in Österreich gilt, auf seinen Forschungsreisen im südlichen Afrika zwischen 1907 und 1909 beschafft worden waren. Doch erst 2008 konnte von den südafrikanischen Historikern Martin Legassick und Ciraj Rassool gezeigt werden, dass die Skelette Überreste der Leichname des Khoisan­Ehepaars Klaas und Trooi Pienaar waren, die ein Mitarbeiter Pöchs kurz nach ihrem krankheitsbe­ dingtem Tod aus ihren Gräbern im Norden Südafrikas geraubt hatte.13 Die vergleichsweise unstrittige Rückgabe wurde von den Verantwort­ lichen aus dem Naturhistorischen Museum zunächst in Anlehnung an bisherige Verfahren, vor allem eine Rückgabe von ebenfalls durch Pöch erworbenen menschlichen Überreste nach Australien im Jahr 2009,14 vor­ bereitet. So sollten auch die südafrikanischen Gebeine als Museumsgut, verpackt in hölzerne Kisten, nach einschlägigen konservatorischen und versicherungstechnischen Standards zurückgeschickt werden. Gegen die­ ses Verfahren erhob die südafrikanische Delegation in den Verhandlungen Einspruch: Sie bestand darauf, die Skelette nicht als ›Artefakte‹, sondern 13 Rassool 2015a, S. 152–154 14 Weiss­Krejci 2013, S. 457–463 642 1 Übergabezeremonie mit den aufgebahrten Särgen für Klaas und Trooi Pienaar, Österreichische Akademie der Wissenschaften (17.04.2012) 2 Trauerfeier für Klaas und Trooi Pienaar, Südafrikanische Botschaft Wien (19.04.2012). Der traditional healer Petrus Vaalbooi gestaltete den rituellen Teil der Feier vor den Fotografien der bereits zum Flughafen transportierten Särge von Klaas und Trooi Pienaar (siehe Taf. 16a) FÖ R S T E R : T H E L O N G W AY H O M E 643 wie Leichname entgegenzunehmen.15 Rückgabe und Rückführung wurden daraufhin so geplant und gestaltet, als seien zwei prominente südafri­ kanische Staatsbürger auf österreichischem Boden verstorben. Zunächst stellte die südafrikanische Botschaft Identitätsdokumente aus, womit die Pienaars für die österreichische Bürokratie als Personen aktenkundig wur­ den. Von den bereitgestellten Kisten wurden die Skelette in veritable Särge umgebettet, die ihrerseits mit Namensschildern versehen waren. Nach der offiziellen Übergabe an ranghohe Vertreter der Republik Südafrika wurden die Särge im Leichenwagen an ein Bestattungsinstitut und später in die südafrikanische Botschaft verbracht (Abb. 1). Mit einer Rauch­ zeremonie, die ein traditional healer der Khoisan durchführte, wurde den Pienaars in einem kleinen Kreis letzte Ehre erwiesen. Blumensträuße und eine musikalische Rahmung verliehen dem Ereignis die Anmutung einer privaten Trauerfeier. Nachdem die Särge zu Quarantänezwecken an den Wiener Flughafen gebracht worden waren, folgte eine ähnlich gestaltete offizielle Trauerfeierfeier mit geladenen Gästen und Redebeiträgen von RepräsentantInnen südafrikanischer und österreichischer (Regierungs­) Institutionen – ebenfalls begleitet von Petrus Vaalbooi (Abb. 2; Taf. 16a). Nach der Rückführung wurden Trooi und Klaas Pienaar in zwei schwarze Prunksärge umgebettet und am 12.8.2012 auf dem Friedhof der Gemeinde Kuruman, in deren Nähe sie gelebt hatten, in einer Art Staatsbegräbnis beigesetzt. Staatspräsident Jacob Zuma betonte in seiner Ansprache: »We are here to correct a historic injustice, and restore the human dignity and citizenship to Mr and Mrs Klaas and Trooi Pienaar«.16 Schritt für Schritt wurden die Skelette also aus der Ordnung des Museums herausgelöst und von rassekundlichen Studien und Museums objekten in menschliche Individuen, historische Subjekte und vor allem südafrikanische Staatsbürger zurückverwandelt. Von der südafrikanischen Delegation wurde dieser Prozess programmatisch als »rehumanisation«17 bezeichnet. Rassekundliche Studien­ und Museums­ 15 Rassool 2015b, S. 665–666 16 Siehe die Publikation der Rede auf der Homepage des südafrikanischen Präsidialbüros: http://www.thepresidency.gov.za/speeches/speech­president­ jacob­zuma­occasion­reburial­mr­and­mrs­klaas­and­trooi­pienaar­kuruman, (Letzter Zugriff: 10.3.2017). 17 Gemeinsame Presseerklärung vom 13.4.2012: »Österreich gibt sterbliche Überreste südafrikanischer Ureinwohner aus öffentlichen Sammlungen an Südafrika zurück«. Nachzulesen unter: http://www.einjahr.org/index.php/ klaas­und­trooi­pienaar (Letzter Zugriff: 10.2.2017). 644 objekte wurden (zurück­)verwandelt in menschliche Individuen und in südafrikanische Staatsbürger. Gerade der letztgenannte Vorgang verweist auf die Bedeutung, die Repatriierungen für Prozesse des nation-building und für erinnerungskulturelle Dynamiken in ehemaligen Siedlerkolonien und postkolonialen Nationalstaaten haben können. REBIOGRAFI SIER UN G O D ER OBJEKTBIOG R AF IE VS. SUB JEK T B IO G R AFIE Das ›Programm‹ der Rehumanisierung der Skelette von Klass und Trooi Pienaar konnte deshalb so konsequent und überzeugend in materielle und performative Formen übersetzt werden, weil die Gebeine identifiziert und damit rebiografisiert werden konnten: Aus Archivalien in Südafrika und Österreich konnten Namen, Wohn­ und Arbeitsort, familiäre und ethnische Zugehörigkeit, Todesdatum und ­ursache sowie der Ort der Bestattung rekonstruiert werden. Es ist ein zentrales Anliegen von Repatriierungsverhandlungen allgemein, nach der Rekonstruktion der Erwerbskontexte und Erwerbswege möglichst auch die genaue Herkunft und Identität der rückzuführenden Gebeine zu bestimmen. Um solche biografischen Merkmale zu eruieren, werden nicht nur Methoden der historischen Provenienzforschung wie etwa die Analyse von Beschriftun­ gen und begleitenden Archivalien, sondern auch forensische Methoden angewandt. So können durch morphologische, biochemische und mole­ kularbiologische Untersuchungen – z. B. anthropometrische Vermessung, Isotopen­ und DNA­Analyse – unter Umständen Angaben über Alter, Geschlecht, geographische Herkunft, Ernährung, Gesundheit, Migration und Verwandtschaft, d. h. bio- wie demografische Daten aus den Kno­ chen extrahiert werden. Die Knochen selbst dienen gewissermaßen als ›Bio­Archive‹18 und ermöglichen die Erstellung einer ›Subjektbiografie‹ aus dem Objekt selbst. Bei der Rückgabe menschlicher Überreste haben die beteiligten Ak­ teure folglich mit Musealien zu tun, die sowohl als Objekte wie auch als Subjekte wahrgenommen werden können. Je nach Kontext, Situation und Betrachter nehmen sie entweder eher eine Objekt­ oder eher eine Subjek­ trolle ein, manchmal changieren sie zwischen beidem und erscheinen als Kippfigur. Ihr Status ist nicht eindeutig, sondern wird erst durch spezifische 18 Vgl. hierzu auch Krüger/Sommer 2011. FÖ R S T E R : T H E L O N G W AY H O M E 645 Rahmungen und Kontextualisierungen, durch Ge- und Verbote zwischen den beteiligten Akteuren und Akteursgruppen, d. h. Wissenschaftlern, Sammlungskustoden, Nachfahren und Herkunftgesellschaften, aber auch politischen Repräsentanten und Aktivistengruppen ausgehandelt und ver­ eindeutigt. Ge­ und Verbote kommen dabei bereits früh zum Tragen, etwa wenn invasive Untersuchungsmethoden wie Gen­ oder Isotopenanalyse erwogen werden und damit Fragen der Einwilligung im Sinne des sog. informed consent aufgeworfen werden. Ebenso spielen sie eine Rolle für die Politiken des Zugangs und der Sichtbarkeit während des Prozesses der Identifizierung, der Rückgabe und der (Wieder-)Bestattung menschli­ cher Überreste. Diskutiert und verhandelt werden Fragen wie: Dürfen die Gebeine bei der Übergabe sichtbar sein und für wen? Dürfen Fotografien gemacht, zirkuliert und reproduziert werden oder verbietet dies das Recht der Person am eigenen Bild bzw. ein eventuelles Recht der Nachkommen am Bild der Person? Wessen ethische Konzepte und kulturelle Protokolle gelten ab welchem Zeitpunkt auf dem »langen Weg nach Hause«? Der Vergleich transnationaler Repatriierungsverfahren zeigt, dass oftmals sehr unterschiedliche Wahrnehmungen, Konzepte und Interes­ sen in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Bei einer Rückgabe menschlicher Überreste von Berlin nach Windhoek (Namibia) im Jahr 2011 wurden die Gebeine auf Initiative der namibischen Verhand­ lungspartner sowohl in Berlin wie auch in Windhoek ausgestellt, nicht zuletzt um das öffentliche Interesse auf den historischen Kontext der wissenschaftlichen Ausbeutung der ehemaligen deutschen Kolonie zu lenken (Abb. 3; 4, vgl. Taf. 16b). Mit einem offiziellen Staatsakt auf dem so genannten Heroes Acre (Heldenfriedhof) unter dem Motto »Requiem of the Martyrs« wurden die Opfer des Kolonialkriegs symbolisch in das Pantheon der Helden des namibischen Unabhängigkeitskampfes aufge­ nommen. Abbildungen der 20 repatriierten Schädel wurden anschließend in regionalen und internationalen Zeitungs­ und Fernsehberichten gezeigt und in den sozialen Medien in Deutschland und Namibia zirkuliert. Dagegen waren die Gebeine australischer Aborigines, die in den Jahren 2013 und 2014 aus derselben Institution, der Berliner Charité, restituiert wurden, den Blicken entzogen, Film­ und Fotoaufnahmen während der Übergabezeremonie waren nicht erlaubt. Die Frage, welche subjektbiografischen Daten im Zuge einer Repat­ riierung überhaupt und in welcher Detailgenauigkeit gewonnen werden können, beeinflusst die Art und Weise, wie über die menschlichen Über­ reste nachgedacht und verhandelt wird, von Anfang an. So ergibt sich aus der Provenienz von Überresten, welche Akteure in eine Rückführung 646 3 Feierliche Übergabe von 20 menschlichen Schädeln aus der Sammlung der Charité Berlin an eine namibische Delegation (30.9.2011) 4 ›Aufbahrung‹ der rückgeführten Schädel im Windhoeker Parlamentsgarten (4.10.2011; siehe Taf. 16b) FÖ R ST E R : T H E L O N G W AY H O M E 647 involviert werden, etwa politische Repräsentanten und/oder biologische Nachkommen. Genauso bestimmt die Provenienz mit, welche Inszenie­ rungen – in Abhängigkeiten von politischen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Zugehörigkeiten – möglich oder erforderlich sind. Kann die Identität der Verstorbenen rekonstruiert und können ihre sterblichen Überreste dadurch individuell wiederbestattet werden, so wird die Objekt­ biografie der Gebeine mit der Subjektbiografie der verstorbenen Person überschrieben. Eine solche Resubjektivierung findet zwar grundsätzlich bei jeder Repatriierung statt, aber selten gerät sie so anschaulich und wirkmächtig wie im Fall der österreichisch­südafrikanischen Repat­ riierung – die übrigens im internationalen Kontext bisher beispiellos ist.19 Doch selbst wenn keine individuellen Daten rekonstruiert werden können, finden Überblendungen statt: Die Rückkehr menschlicher Über­ reste wird in den meisten Fällen gerahmt durch Rituale, wie sie sonst nur besonderen verstorbenen Persönlichkeiten zuteil werden wie etwa Aufbahrungen, öffentliche Defilees, feierliche Ansprachen, tänzerische und musikalische Einrahmungen. Bei der zweiten deutsch­namibischen Repatriierung menschlicher Überreste im Jahr 2014 wurden solche Über­ blendungen hergestellt, indem bekannte historische Schicksale in Erinne­ rung gerufen und auf die großenteils unidentifizierten Knochen projiziert wurden: 20 Anlässlich des Empfangs der Überreste im Parlamentsgarten in Windhoek präsentierten teilnehmende Tänzerinnen und Sängerinnen die fotografischen Porträits der antikolonialen Helden Chief Xamseb sowie =| Aitabeb und | Haihab || Guruseb (Abb. 5).21 Der mündlichen Über­ 19 In einem vergleichbaren Fall, der Rückgabe der menschlichen Überreste des Aché­Mädchens Damiana Kryygi von Berlin nach Paraguay, konnten histo­ rische Fotografien eingesetzt werden, um die individuelle Identität der Gebeine sichtbar zu machen – rückgeführt wurden die Gebeine jedoch im Rahmen der für Museumsobjekte üblichen Verfahrensweisen. Vgl. hierzu u. a.: https://www. youtube.com/watch?v=WJo_5UFYM6o (Letzter Zugriff: 10.3.2017). 20 Vgl. Gesine Krügers Überlegung, Sarah Baartman, deren menschliche Überreste 1994 von Paris nach Südafrika repartiiert wurden, als »empty sign« [sic!] zu verstehen, das mit verschiedensten Bedeutungen gefüllt werden kann (Krüger 2010, 35). 21 Ich danke dem namibischen Historiker Hans =| Eichab, Windhoek, für die Identifizierung und Erläuterung der drei Portraits. Die Sonderzeichen markie­ ren Klicklaute in der Sprache der Nama und Damara, dem Khoekhoegowab. Ebenso bedanke ich mich bei meinen zahlreichen namibischen Gesprächspart­ nerinnen und ­partnern, mit deren Unterstützung ich die Rückgabeverhand­ lungen und ­zeremonien verstehen, dokumentieren und diskutieren konnte. 648 5 Tanz­ und Gesangsgruppe mit historischen Fotografien der antikolonialen Helden =| Aitabeb || Guruseb (links), Chief Xamseb (Mitte) und Prinz | Haihab || Guruseb (alias Blouberg/Blauberg; Bruder von =| Aitabeb); anlässlich des Empfangs für rückgeführte Gebeine im Windhoeker Parlamentsgarten (7.03.2014) lieferung von Damara­Sprechern in Namibia zufolge waren diese vom deutschen Kolonialmilitär enthauptet worden – eine Strafmaßnahme, die in vielen kolonialen Kontexten, wenn auch nicht nachweislich in diesem, die Verschleppung von Leichenteilen der Getöteten zur Folge hatte.22 In ähnlicher Weise wurden auch im Pariser Musée du Quai Branly bei einer Rückgabe von neuseeländischen toi mokoi23 im Jahr 2012 großformatige Portraitfotos von Maori­Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts promi­ 22 Vgl. Harrison 2008. 23 Toi moko sind mumifizierte, tätowierte Köpfe neuseeländischer Maori, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von zahlreichen europäischen Reisenden, Forschern und Kolonialakteuren im Zuge der Musketenkriege in Neuseeland erworben und an europäische Museen weitergegeben wurden. Vgl. Fründt 2011, 28. FÖ R S T E R : T H E L O N G W AY H O M E 649 6a/b Übergabezeremonie für toi moko aus 10 französischen Museen, Musée du Quai Branly (23.01.2012) 650 nent auf der Bühne platziert, auf der die Übergabe der toi moko von der französischen an die neuseeländische Delegation stattfand (Abb. 6a–b). Während die Fotografien von den neuseeländischen Partnern aufgestellt worden waren, um an die Vorfahrengeneration allgemein zu erinnern, ihr Respekt zu zollen und den zu repatriierenden toi moko Ahnen und/oder Zeitgenossen an die Seite zu stellen, schien es aus Sicht des Publikums geradezu, als repräsentierten die Portraits die Verstorbenen, von deren Körpern die toi moko stammten. Auf diese Weise werden Fotografien in Repatriierungsverfahren verwandt, um Gebeinen und Präparaten, insbe­ sondere Schädeln, ein menschliches Antlitz zurückzugeben. VON DER OBJEK T B IO G R AFIE ZUR T R AJEK TO RI E: BEGRIFFLICH - MET H O D ISCH E ÜB ER LEG UN GEN Die vorangegangenen Beobachtungen werfen letztendlich abermals die Frage nach geeigneten Begriffen auf. Im Zuge eines objektbiografischen An­ satzes können die geschilderten Etappen transnationaler Repatriierungsver­ fahrens zwar durchaus als biografische Stationen der restituierten Objekte verstanden werden. Doch erscheint der Begriff Objektbiografie seltsam blass im Vergleich zu der Wirkmacht, die eine rekonstruierte, manchmal auch nur imaginierte ›Subjektbiografie‹, entfalten kann. Insbesondere vermag der Begriff die enorme Recherche­, Verhandlungs­ und Inszenierungsarbeit nicht zu fassen, die vonnöten ist, um stillgestellte Objekte wieder aus dem Museum herauszuholen und in Subjekte zu transformieren. Damit zeigen die hier angeführten Fallbeispiele nicht nur das Potential, sondern auch die Grenzen des Begriffs und der Methode der Objektbiografie auf. In der jüngs­ ten Literatur wird deshalb auch nach alternativen Begriffen gesucht, die problematische Dimensionen oder blinde Flecken im objektbiografischen Ansatz zu umgehen suchen. Mit »Itinerar« etwa schlägt Hans Peter Hahn einen weniger aufgeladenen bzw. weniger metaphorischen Begriff für die Erstellung von Objektgeschichten vor. In der Tat braucht für die Erstellung eines Itinerar – anders als für eine Biografie – die für Objekte schwerer zu klärende Frage von Anfang und Ende, von Intentionalität und agency keine Rolle zu spielen. Dieser Verzicht bedeutet aber auch einen Verlust: Allzu leicht bleibt das Itinerar im Gestus des blossen Kartierens verhaftet.24 24 Hahn 2015, 27. Hahns Kritik scheint allerdings an den Stärken und Schwä­ chen des Begriffs ›Objektbiografie‹ vorbeizugehen. Gerade der Vorwurf, die Bio­ grafie entlehne biologische Konzepte, zielt ins Leere, sind es doch in der Regel FÖ R S T E R : T H E L O N G W AY H O M E 651 In Anlehnung an den Historiker Ricardo Roque möchte ich daher im Kontext der Restitutions- und Repatriierungsforschung den Begriff der »Trajektorie« vorschlagen. In seinem Buch Anthropology and the Circulation of Human Skulls in the Portuguese Empire, 1870–1930 untersucht Roque das Schicksal einer Sammlung von Schädeln aus Osttimor, die 1877 an die Universität Coimbra in Portugal verbracht und dort in anthropologische Forschungen verwandt wurden. Den Begriff Trajektorie übernimmt Roque von dem Medizinsoziologen Anselm Strauss, der den Verlauf einer Krank­ heit als illness trajectory begreift – jedoch nicht im Sinne einer vorherseh­ baren Kurve wie etwa in der Ballistik oder im Sinne eines standardisierten Phasenmodells, sondern als die spezifische Entwicklung eines individuellen Falles, wie sie von den beteiligten professionellen und nicht­professionellen Akteuren, also Patient und Ärzten, Betreuern, Verwandten und Freunden gemeinsam hergestellt wird.25 Die Trajektorie restituierter Musealien zu un­ tersuchen heißt dann, in den Blick zu nehmen, wie und warum diese durch die verschiedenen Akteure und Kräfte, durch formale Maßnahmen wie informelle Begebenheiten erst in Bewegung versetzt oder manchmal auch an ihrer Fortbewegung gehindert werden, wie dies etwa bei der Stagnation von Rückgabeverhandlungen oder bei der terminlichen Verschiebung von Rückgaben der Fall ist. Die Trajektorie im Roqueschen Sinne unterscheidet vom Itinerar, dass sie die Verhandlungsarbeit thematisiert, die in diesem hochpolitischen, von postkolonialen Machtbeziehungen vorstrukturierten Feld der Repatriierung geleistet werden muss. Eingeräumt werden mag dabei, dass in dem hier behandelten Feld (Grabraub im Zuge kolonialer Rasseforschung und postkoloniale museale Repatriierungsverfahren), das ja nur eine spezielle Ausprägungen der transnationalen Verbringung von Objekten – neben Handel, (Geschen­ ke­)Tausch und Kauf – darstellt, die Verhandlungsarbeit besonders entscheidend ist. Auch sind staatliche Akteure prominenter involviert keineswegs Stoffe, Pflanzen und Tiere, denen eine Biografie zugeschrieben wird, sondern Menschen. Genauso wenig setzt sich Hahns Kritik mit den Stärken der Metapher bzw. Methode auseinander: etwa dem Potenzial diachronen Erzäh­ lens; dem Experiment einer ›emischen‹ Perspektivierung; der Möglichkeit, auch Dinge ›in Beziehung stehend‹ zu begreifen; dem Einräumen von 0 jenseits aller Funktionalität; oder der Berücksichtigung materieller und modebedingter Alte­ rungsprozesse bzw. deren Zuschreibung. Tatsächlich also wäre eher zu fragen, was die Objektbiografie von der ›Objektgeschichte‹ oder der ›Objektkarriere‹ sinnvoll unterscheidet. 25 Roque 2012, 122–123 652 als in anderen Fällen, und schließlich ist die Bewegungsrichtung der ›Objekte‹ natürlich nur begrenzt verhandelbar. Doch zeigt die Priori­ sierung verschiedener Begriffe in den unterschiedlichen Abschnitten der vorliegenden Analyse letztlich auch, dass sich die einzelnen Phasen einer umfassend gedachten Objektbiografie in ihrer Spezifik am besten mit unterschiedlichen Begriffen wie Subjektbiografie, Erwerbsgeschichte, musealer Taphonomie und Rückgabe­Trajektorie fassen lassen. RES ÜMEE: KÖ N NEN W IR MEN SCH LICH E G EBEI N E AL S AKTAN T EN IM LATOURS CH EN SIN NE VER ST EH EN ? Menschliche Gebeine müssen als Sonderfall im Feld der Museum bzw. Material Culture Studies gelten. Ohne die theoretisch­methodische Diskussion um die Handlungsmacht von Dingen an dieser Stelle zu ver­ tiefen, sei angemerkt, dass menschliche Gebeine auf einer historischen Makroebene betrachtet in den letzten Jahrzehnten eine atemberaubende agency entwickelt haben: Sie haben nicht nur KustodInnen und Proveni­ enzforscherInnen auf den Plan gerufen und in Schach gehalten, sondern auch Nachkommen und Herkunftsgesellschaften sowie Botschaften, Kul­ tur­ und Außenministerien in überaus schwierige Situationen verwickelt und vor zahlreiche, oft ambivalente und umstrittene Entscheidungen gestellt. Erinnert sei hier etwa an die krisenartige Situation, die entstand, als die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper im Jahr 2011 anlässlich der Rückgabe der namibischen menschlichen Überreste in der Berliner Charité eine aus Sicht der namibischen Delegation höchst enttäuschende Rede hielt bzw. an den weniger Tage später stattfindenden Empfang der Überreste auf dem Windhoeker Flughafen (Abb. 7), bei der mehrere tausend auf das Rollfeld stürmende Namibier, Fluglotsen, Sicherheitsbeamte, Militär und Grenzschutz in Hektik versetzten.26 Mit Alfred Gell könnten menschliche Überreste auch als Mediatoren von sozialer agency betrachtet werden: 27 Gerade in den Nachfolgestaaten ehe­ maliger Siedlerkolonien sind Rückgabeforderungen in Bezug auf mensch­ liche Gebeine zu einem Ort der Auseinandersetzung um die Stellung indigener Minderheiten in postkolonialen Nationalstaaten und um die Anerkennung und Wiedergutmachung von kolonialem Unrecht geworden. 26 Vgl. hierzu ausführlicher Förster 2013a, b. 27 Gell 1998. FÖ R S T E R : T H E L O N G W AY H O M E 653 7 Empfang für rückgeführte Gebeine auf dem Windhoeker Flughafen, 4.10.2011 Der Ethnologe Joost Fontein, der über das unerwartete Auftauchen von menschlichen Knochen aus den kolonialen und postkolonialen Kriegen und Konflikten in Simbabwe gearbeitet hat, betont, dass menschliche Gebeine durch ihre »affektive Präsenz« und ihre »emotionsgeladene Materialität« eine besondere agency entfalten: Ihr Wiederauftauchen wühlt Verschwiegenes auf und stört den normalisierenden Prozess der Vergangenheitsbewältigung.28 Auch hierfür liefert die deutsch­namibische Übergabe im Jahr 2011 in Berlin ein eindrückliches Beispiel: Die appella­ tive, reliquienhafte Aufstellung zweier Schädel im Kirchenschiff von St. Matthäus bildete einen der zeremoniellen, vor allem aber emotionalen Höhepunkte der mehrtätigen Übergabefeierlichkeiten (Abb. 8).29 Wenn man schließlich, um den ontologischen turn der Kulturwissen­ schaften aufzugreifen, eine Latoursche Perspektive einnimmt, dann sind menschliche Überreste zwar zunächst einmal nicht­menschliche Aktanten in komplexen Mensch-Ding-Netzwerken30 – aber solche, mit denen die Menschen teils wie mit menschlichen Aktanten interagieren. Vielleicht sind menschliche Gebeine daher die nicht­menschlichen Aktanten par 28 Fontein 2012. 29 Vgl. hierzu ausführlicher Förster 2013a, b. 30 Latour 2005. 654 8 Berlin, St. Matthäus, Gedenkfeier anlässlich der Rückführung menschlicher Gebeine nach Namibia (29.09.2011) excellence, oder sie zählen zu den Latourschen Hybriden und sind we­ der nur Objekt noch nur Subjekt. Als Belege (specimens, Naturfakte) für naturwissenschaftliche und naturkundliche Theorien und Typologien und als Datenreservoirs für sich fortentwickelnde Technologien wie die Genanalyse wurden sie ja tatsächlich erst durch die wissenschaftliche Moderne hervorgebracht. Ist also am Ende der Ausgangspunkt Muse­ um falsch angesetzt und die ›Objektkarriere‹ menschlicher Gebeine nur ein Intermezzo, eine illegitime Aneignung, eine Illusion? Und könnten Knochen sprechen, würden sie den Wissenschaftlern und Museologen, die sie isoliert, seziert, präpariert und klassifiziert haben, nicht vielleicht mit Latour entgegnen: »In Wirklichkeit sind wir nie Objekte gewesen!«? 31 31 Vgl. Latour 1993. FÖ R ST E R : T H E L O N G W AY H O M E 655 BILDREC HTE 1–2, Taf. 16a Foto: Südafrikanische Botschaft, Wien. 3 Foto: Charité Human Remains Project. 4–6, 8, Taf. 16b Foto: Larissa Förster. 7 Foto: Matukutura Hoffmann. LITERATUR VER ZEICH N IS Appadurai 1986 Appadurai, Arjun: Commodities and the Politics of Value. In: Diess. (Hrsg.): The social life of things. Commodities in Cultural Per­ spective. Cambridge 1986, 3–63. Fontein 2012 Fontein, Joost: Die Politik der Toten im Simbabwe. In: Sommer, Marianne / Krüger, Gesine (Hrsg.): Biohistorische Anthropologie: Kno­ chen, Körper und DNA in Erinnerungskulturen. Berlin 2012, 200–230. 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VERZEICHNIS DER AUTOREN WOLFGANG BEILENHOFF Prof. Dr. (em.), Medien­ und Filmwissenschaft­ ler, Bauhaus­Universität Weimar, IKKM, Cranachstraße 47, 99423 Weimar – wolfgang.beilenhoff@uni­weimar.de GÜNTER BLAMBERGER Prof. Dr., Germanist, Direktor, Internationales Kolleg Morphomata, Universität zu Köln, Albertus­Magnus­Platz, 50923 Köln – guenter.blamberger@uni­koeln.de ADRIANA BONTEA Dr., Lecturer in French, Pembroke College, Pembroke Square Oxford OX1 1DW Großbritannien – [email protected] JAN BREMMER Prof. Dr. (em.), Religionswissenschaftler, Faculty of Theol­ ogy and Religious Studies, University of Groningen, Oude Boteringestraat 38, 9712 GK Groningen, Niederlande – [email protected] BORIS BURANDT Dr., Klassischer Archäologe, Wissenschaftlicher Mit­ arbeiter, Graduiertenkolleg »Wert und Äquivalent«, Johann Wolfgang Goethe­Universität Frankfurt, Campus Westend, Norbert­Wollheim­Platz 1, Fach 50, 60629 Frankfurt a. M. – [email protected]­frankfurt.de PETR CHAR VÁT Prof. Dr., Assyriologe/Altorientalist, Fakulta filozofická, Západočeská univerzita v Plzni (Westböhmische Universität Pilsen), Univerzitní ul., č. orientační 8, č. p. 2732, 301 00 Plzeň, Tschechien – [email protected] M A R I A N H . F E L D M A N Prof. Dr., Vorderasiatische Archäologin, Zanvyl Krieger School of Arts & Sciences, Departments of History of Art and Near Eastern Studies, Johns Hopkins University, 181 Gilman Hall, 3400 N. Charles Street, Baltimore, MD 21218, USA – [email protected] LARISSA FÖRSTER Dr., Ethnologin, Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage, Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt­ Universität zu Berlin, Mohrenstraße 40/41, 10117 Berlin – larissa.foerster@ hu­berlin.de 658 THIERRY GREUB PD Dr., Kunsthistoriker, Wissenschaftlicher Mitarbei­ ter, Internationales Kolleg Morphomata, Universität zu Köln, Albertus­ Magnus­Platz, 50923 Köln – tgreub@uni­koeln.de LUDWIG JÄGER Prof. Dr. (em.), Sprach­ und Medienwissenschaftler, Senior Advisor, Internationales Kolleg Morphomata, Albertus­Magnus­Platz, Universität zu Köln, 50923 Köln – l.jaeger@uni­koeln.de GEORGI KAPRIEV Prof. Dr., Philosoph/Byzantinist, Institut für die Ge­ schichte der Philosophie, St. Kliment Ochrisdksi Universität, 15 Tsar Osvoboditel Blvd., Sofia 1504, Bulgarien – [email protected] JEANETTE KOHL Prof. Dr. (Associate Professor), Kunsthistorikerin, De­ partment of the History of Art, University of California, Riverside, 900 University Avenue, Arts Building 232, Riverside, CA 92521­0319, USA – [email protected] JÖRN LANG Dr., Klassischer Archäologe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Klassische Archäologie und Antikenmuseum, Universität Leipzig, Ritterstraße 14, 04109 Leipzig – joern.lang@uni­leipzig.de ASUMAN LÄTZER-LASAR Dr., Provinzialrömische Archäologin, Wissen­ schaftliche Mitarbeiterin, Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg für kultur­ und sozialwissenschaftliche Studien, Nordhäuser Str. 63, 99089 Erfurt – asuman.laetzer­lasar@uni­erfurt.de PA O L O L I V E R A N I Prof. Dr., Klassischer Archäologe, Dipartimento di Storia, Archeologia, Geografia, Arte e Spettacolo (SAGAS), Università di Firenze, Via San Gallo 10, 50129 Florenz, Italien – [email protected] SEMRA MÄGELE Dr., Klassische Archäologin, Geschäftsführerin, Inter­ nationales Kolleg Morphomata, Universität zu Köln, Albertus­Magnus­ Platz, 50923 Köln – smaegele@uni­koeln.de FRANÇOIS QUEYREL Prof. Dr., Klassischer Archäologe, Directeur d’études, Section des Sciences Historiques et Philologiques, UMR 8546 Archéologie et philologie d’Orient et d’Occident (AOrOc), École Pratique des Hautes Études, Paris Sciences et Lettres, 2, rue Vivienne, 75002 Paris, Frankreich – [email protected] V E R Z E I CH N I S D E R A U TO R E N 659 MARTIN ROUSSEL Dr., Germanist, Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Internationales Kolleg Morphomata, Universität zu Köln, Albertus­ Magnus­Platz, 50923 Köln – martin.roussel@uni­koeln.de ALAIN SCHNAPP Prof. Dr. (em.), Klassischer Archäologe, INHA2, rue Vivienne, 75002 Paris, Frankreich – [email protected] MARTIN SCHULZ Prof. Dr., Kunsthistoriker, Professur für Kunstwissen­ schaft, Theorie und Geschichte ästhetischer Praxis, Hochschule für Küns­ te Bremen, Am Speicher XI 8, 28217 Bremen – [email protected] H. ALAN SHAPIRO Prof. Dr. (em.), Klassischer Archäologe, W. H. Collins Vickers Professor of Archaeology, Johns Hopkins Krieger School of Arts & Sciences, Department of Classics, 113 Gilman Hall, 3400 North Charles Street, Baltimore, MD 21218 – [email protected] STEFFEN SIEGEL Prof. Dr., Kunsthistoriker, Professur für Theorie und Geschichte der Fotografie, Folkwang Universität der Künste, Essen, Fach­ bereich Gestaltung, Campus Welterbe Zollverein, Quartier Nord, Martin­ Kremmer­Straße 21, 45327 Essen – steffen.siegel@folkwang­uni.de JAN SÖFFNER Prof. Dr., Romanist/Komparatist, Lehrstuhl für Kultur­ theorie und Kulturanalyse, Zeppelin Universität, Friedrichshafen, Am Seemooser Horn 20, 88045 Friedrichshafen – [email protected] MICHAEL SQUIRE Dr., Klassischer Archäologe / Klassischer Philologe, Reader in Classical Art, King’s College London, Department of Classics, King’s College London, Strand, London WC2R 2LS, Großbritannien – [email protected] AGNES THOMAS Klassische Archäologin, Koordinatorin des Forschungs­ verbunds Coping Practices, Institut für Archäologische Wissenschaften, Goethe­Universität Frankfurt am Main, Norbert­Wollheim­Platz 1, 60629 Frankfurt am Main – [email protected]­frankfurt.de CHRISTIANE VORSTER Prof. Dr., Klassische Archäologin, Honorarpro­ fessorin, Institut für Archäologie und Kulturanthropologie, Rheinische Friedrich­Wilhelms­Universität Bonn, Abteilung Klassische Archäologie, Am Hofgarten 21, 53113 Bonn – chr.vorster@uni­bonn.de 660 Bislang in der Morphomata­Reihe erschienen: 1 Günter Blamberger, Dietrich Boschung (Hrsg.), Morphomata. Kulturelle Figurationen: Genese, Dynamik, Medialität, 2011. ISBN 978­3­7705­ 5148­4. 9 Wilhelm Voßkamp, Günter Blamberger, Martin Roussel (Hrsg.), Möglich­ keitsdenken. Utopie und Dystopie in der Gegenwart, 2013. ISBN 978­ 3­7705­5554­3. 2 Martin Roussel (Hrsg.), Kreativität des 10 Dietrich Boschung, Sebastian Dohe Findens. Figurationen des Zitats, (Hrsg.), Meisterwerk als Autorität. Zur Wirkmacht kultureller Figu­ 2012. ISBN 978­3­7705­5305­1. rationen, 2013. ISBN 978­3­7705­ 5528­4. 3 Jan Broch, Jörn Lang (Hrsg.), Literatur der Archäologie. Materialität und Rhetorik im 18. und 19. Jahr­ 11 Stefan Niklas, Martin Roussel (Hrsg.), Formen der Artikulation. Philoso­ hundert, 2012. ISBN 978­3­7705­ phische Beiträge zu einem kultur­ 5347­1. wissenschaftlichen Grundbegriff, 2013. ISBN 978­3­7705­5608­3. 4 Dietrich Boschung, Corinna WesselsMevissen (Eds.), Figurations of 12 Ryōsuke Ōhashi, Martin Roussel (Hrsg.), Time in Asia, 2012. ISBN 978­3­ Buchstaben der Welt – Welt der 7705­5447­8. Buchstaben, 2014. ISBN 978­3­ 7705­5609­0. 5 Dietrich Boschung, Thierry Greub, Jürgen Hammerstaedt (Hrsg.), Geographische 13 Thierry Greub (Hrsg.), Cy Twombly. Kenntnisse und ihre konkreten Bild, Text, Paratext, 2014. ISBN 978­ Ausformungen, 2012. ISBN 978­3­ 3­7705­5610­6. 7705­5448­5. 14 Günter Blamberger, Sebastian Goth 6 Dietrich Boschung, Julian Jachmann (Hrsg.) , Ökonomie des Opfers. (Hrsg.), Diagrammatik der Architek­ Literatur im Zeichen des Suizids, tur, 2013. ISBN 978­3­7705­5520­8. 2014. ISBN 978­3­7705­5611­3. 7 Thierry Greub (Hrsg.), Das Bild 15 Sabine Meine, Günter Blamberger, der Jahreszeiten im Wandel Björn Moll, Klaus Bergdolt (Hrsg.), Auf der Kulturen und Zeiten, 2013. schwankendem Grund. Schwindel, ISBN 978­3­7705­5527­7. Dekadenz und Tod im Venedig der Moderne, 2014. ISBN 978­3­ 8 Guo Yi, Sasa Josifovic, Asuman Lätzer7705­5612­0. Lasar (Eds.), Metaphysical Founda­ tion of Knowledge and Ethics in Chinese and European Philosophy, 16 Larissa Förster (Ed.), Transforming Knowledge Orders: Museums, 2014. ISBN 978­3­7705­5537­6. Collections and Exhibitions, 2014. ISBN 978­3­7705­5613­7. 661 17 Sonja A.J. Neef, Henry Sussman, Dietrich Boschung (Eds.), Astroculture. Figurations of Cosmology in Media and Arts, 2014. ISBN 978­ 3­7705­5617­5. 25 Eva-Maria Hochkirchen, Gerardo Scheige, Jan Söffner (Hrsg.), Stimmungen des Todes und ihre Bestimmung. Ein Experiment, 2015. ISBN 978­3­7705­ 5810­0. 18 Günter Blamberger, Sidonie Kellerer, Tanja Klemm, Jan Söffner (Hrsg.), Sind alle Denker traurig? Fallstudien zum melancholischen Grund des Schöpferischen in Asien und Europa, 2015. ISBN 978­3­7705­ 5724­0. 26 Dietrich Boschung, Marcel Danner, Christine Radtki (Hrsg.), Politische Fragmentierung und kulturelle Kohärenz der Spätantike, 2015. ISBN 978­3­7705­5811­7. 19 20 21 22 23 24 27 Ingo Breuer, Sebastian Goth, Björn Moll, Martin Roussel (Hrsg.), Die Sieben Todsünden, 2015. ISBN 978­3­7705­ Dietrich Boschung, Ludwig Jäger (Hrsg.), 5816­2. Formkonstanz und Bedeutungs­ wandel, 2014. ISBN 978­3­7705­ 28 Eva Youkhana, Larissa Förster, (Eds.), 5710­3. GraffiCity. Visual practices and contestations in urban space, 2015. Dietrich Boschung, Jan N. Bremmer ISBN 978­3­7705­5909­1. (Eds.), The Materiality of Magic, 2015. ISBN 978­3­7705­5725­7. 29 Dietrich Boschung, Jürgen Hammer staedt Georgi Kapriev, Martin Roussel, Ivan (Hrsg.), Das Charisma des Herr­ schers, 2015. ISBN 978­3­7705­ Tchalakov (Eds.), Le Sujet de l’Acteur: An Anthropological Outlook 5910­7. on Actor­Network Theory, 2014. ISBN 978­3­7705­5726­4. 30 Dietrich Boschung (Hrsg.), Archäologie als Kunst. Archäologische Objekte Dietrich Boschung, Alfred Schäfer und Verfahren in der bildenden Kunst des 18. Jh.s und der Gegen­ (Hrsg.), Römische Götterbilder der mittleren und späten Kaiserzeit, wart, 2015. ISBN 978­3­7705­5950­3. 2015. ISBN 978­3­7705­5727­1. 31 Dietrich Boschung, Patric Kreuz, Tobias Dietrich Boschung, Alan Shapiro, Frank Kienlin (Eds.), Biography of Objects. Aspekte eines kulturhistorischen Wascheck (Eds.), Bodies in Transi­ tion. Dissolving the Boundaries Konzepts, 2015. ISBN 978­3­7705­ of Embodied Knowledge, 2015. 5953­4. ISBN 978­3­7705­5808­7. 32 Dietrich Boschung, Alexandra Busch, Dietrich Boschung, Christiane Vorster Miguel John Versluys (Eds.), Reinvent­ ing ‘The invention of tradition’? (Hrsg.), Leibhafte Kunst. Statuen und kulturelle Identität, 2015. Indigenous Pasts and the Roman ISBN 978­3­7705­5809­4. Present, 2015. ISBN 978­3­7705­ 5929­5. 662 33 Michael Squire, Johannes Wienand 37 Thierry Greub (Ed.), Cy Twombly: (Eds.), Morphogrammata / The Image, Text, Paratext, 2018. Lettered Art of Optatian. Figuring ISBN 978­3­7705­6283­1. Cultural Transformations in the Age of Constantine, 2017. 38 Dietrich Boschung, Julian Jachmann ISBN 978­3­7705­5809­4. (Hrsg.), Selbstentwurf. Das Archi­ tektenhaus von der Renaissance 34 Dietrich Boschung, François Queyrel bis zur Gegenwart, 2018. ISBN 978­ (Hrsg.), Bilder der Macht. Das 3­7705­6281­7. griechische Porträt und seine Verwendung in der antiken Welt, 39 Michael Squire, Paul Kottman (Eds.), 2017. ISBN 978­3­7705­6126­1. The Art of Hegel’s Aesthetics. Hegelian Philosophy and the 36 Dietrich Boschung (Hrsg.), Werke und Perspectives of Art History, 2018. Wirkmacht. Morphomatische ISBN 978­3­7705­6285­5. Reflexionen zu archäologischen Fallstudien, 2017. ISBN 978­3­ 7705­6282­4. TAFELN TA F E L N 1 Mädchenkopf aus Kyzikos, Porträt der Kleopatra I., Dresden, SKD Skulpturensammlung Inv. Hm 136 1 2 2 Statue à renfort en forme de cuirasse (Mithridate VI ?). Délos, Musée, inv. A 5998 TA F E L N 3a 3b 3c 3d Innenseite Medaillonschale mit Büste des Dionysos (Aufsicht) Innenseite Medaillonschale mit Dionysoskopf (Aufsicht) Henkelattasche mit Büste einer weiblichen Figur Innenseite Medaillonschale mit Silenskopf (Aufsicht) 3 4 4a Karneol. Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung Inv. FG 6537. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. 4b Karneol. Florenz, Museo Archeologico Inv. 14998. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. 4c Sard. Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung Inv. FG 6538. 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr. 4d Sard in Goldring des 17. Jhs. Antikensammlung der Universität Bern Inv. DL 288. Mitte 1. Jh. v. Chr. TA F E L N 5 Detailaufnahme der weiblichen Büste an der Stirnpartie des Kavalleriehelms aus Hallaton 5 6 6a Obere Agora von Sagalassos, 1 Ehrenbogen für Germanicus, Säulenmonu­ ment für Krateros; 2 Bouleuterion, davor Stufenaufgang und Westportikus; 3 Tempel des Zeus (?); 4 Nord­West­Heroon; 5 antoninisches Nymphäum; 6 Säulenmonument an der Nord-Ost-Ecke und Exedra 6b Obere Agora von Sagalassos, Ehrenbogen des Germanicus an der Südwest­Ecke, davor das Säulenmonument des Krateros TA F E L N 7 Unknown artist: Portrait bust of a boy named Martial, Roman, circa 98–117, marble, J. Paul Getty Museum, Malibu 7 8 8 Attic red-figure bell-krater attributed to the Eupolis Painter. Private collection TA F E L N 9 Tondo di con ritratto dei Severi, Musei di Berlino 9 10 10 Louis Michel Van Loo : Denis Diderot, écrivain, 1767, huile sur toile, 81 × 65 cm, Paris, Musée du Louvre TA F E L N 11 11 Kurt Schwitters: Merzbild 9b. Das Grosse Ichbild, 1919. Bild, Tafelmalerei, verschiedene Materialien, Höhe: 96,8 cm, Breite: 70 cm. Köln, Museum Ludwig, Inv.­Nr. ML 01437, Leihgabe seit 1985 12 12a Cy Twombly: Autoritratto, Rom, 24. November 1963, Wachskreide, Acryl, Bleistift, 69,2 × 50,2 cm, Verbleib unbekannt 12b Cy Twombly: Autoritratto, Rom, November 1963, Wachskreide, Acryl, Bleistift, 70 × 50 cm, Privatsammlung, Deutschland 12c Cy Twombly: Untitled (Ritratto d’Artista), Rom, 24. November 1963, Wachs­ kreide, Bleistift, Acryl, 68,5 × 48,2 cm, Von der Heydt­Museum, Wuppertal 12d Cy Twombly: Untitled, Rom, 24. November 1963, Farbstift, Ölfarbe, 70 × 50 cm, Verbleib unbekannt TA F E L N 13 13 Drawing of an Attic red-figure stamnos signed by Smikros, c. 510 BC. Brussels, Musées royaux d’art et d’histoire, inv. A717 (= ARV 2 20, no. 1 / BAPD 200102). Drawing by E. Leroux in the early twentieth century 14 14 Thomas Sully: Porträt von Frances Keeling Valentine Allan, ca. 1810, The Valentine, Richmond, VA TA F E L N 15 15 Gustav Klucis: Der Sieg des Sozialismus in unserem Lande ist gesichert, 1932, Offsetdruck, Russische Staatsbibliothek, Moskau 16 16a Trauerfeier für Klaas und Trooi Pienaar, Südafrikanische Botschaft Wien (19.04.2012). Der traditional healer Petrus Vaalbooi gestaltete den rituellen Teil der Feier vor den Fotografien der bereits zum Flughafen transportierten Särge von Klaas und Trooi Pienaar 16b ›Aufbahrung‹ der rückgeführten Schädel im Windhoeker Parlaments­ garten (4.10.2011) Die Morphomata­Reihe wird herausgegeben von Günter Blamberger und Dietrich Boschung. Das Internationale Kolleg Morphomata: Genese, Dynamik und Medialität kultureller Figurationen wird vom Bundes­ ministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Initiative ›Freiraum für die Geisteswissenschaften‹ als eines der Käte Hamburger Kollegs gefördert. Jährlich bis zu 10 Fellows aus aller Welt forschen gemeinsam mit Kölner Wissenschaftlern zu Fragen kulturellen Wandels. Im Dialog mit internationalen Wissenschaftlern gibt das Kolleg geisteswissenschaft licher Forschung einen neuen Ort – ein Denklabor, in dem unterschiedliche disziplinäre und kulturelle Perspektiven verhandelt werden. www.morphomata.uni­koeln.de Thierry Greub Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Inter­ nationalen Kolleg Morphomata. Lehrt am Kunsthistori­ schen Institut der Universität zu Köln. 2001 Promotion mit einer Arbeit über Johannes Vermeer, 2017 Habi­ litation zu Cy Twomblys Notaten und literarischen Einschreibungen. Veröffentlichungen u. a. zur Kunst des Spätmittelalters, des Barock und der Gegenwart sowie zu Peter Zumthor. Martin Roussel Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Internationalen Kollegs Morphomata. Lehrt am Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln. 2007 Promotion mit einer Arbeit über Robert Walsers Mikrographie. Veröffentlichungen zur Literatur vom 18. bis 21. Jahrhundert (u. a. Kleist, Karl May, R. Walser) und zur Grammatologie der Literatur. WILHELM FINK ISBN 978-3-7705- 6223-7