Religion als individuelle Erfahrung universalen Sinns
Wilhelm Gräb
Was gibt dem Leben einen Sinn? Adolf von Hamack, nicht nur ein großer
Theologe des beginnenden 20. Jahrhunderts, sondern zugleich ein bedeu
tender Wissenschaftsorganisator, als solcher Begründer der Kaiser-Wil
helm-Gesellschaft, der späteren Max-Planck-Gesellschaft, beantwortete
am Ende seiner berühmten Vorlesungen über das „Wesen des Christen
tums" im Jahre 1900 die Sinnfrage so:
Die Religion, nämlich die Gottes- und Nächstenliebe, ist es, die dem
Leben einen Sinn giebt, die Wissenschaft vermag das nicht [ ... ]. Es ist
eine herrliche Sache um die reine Wissenschaft, und wehe dem, der sie ge
ring schätzt oder den Sinn für die Erkenntnis in sich abstumpft! Aber auf
die Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu giebt sie heute so wenig
eine Antwort wie vor zwei- oder dreitausend Jahren. 1
Dieses energische Votum des liberalen Theologen Adolf von Hamack
hätte auch als Motto zu Volker Gerhardts Versuch über das Göttliche die
nen können. Denn die drei Aspekte, die dem Buch Gerhardts seine philo
sophische Stoßrichtung, seine sachbezogene Systematik wie seine lebens
praktische Zielsetzung einschreiben, sind in diesem Harnack-Zitat zusam
menfassend ausgedrückt.
Erstens hebt Harnack wie dann auch Gerhardt darauf ab, dass es die
Frage nach dem Sinn des Lebens ist, die die Religionsthematik für eine
dem Leben verpflichtete Philosophie zur Aufgabe macht. Die im humanen
Lebensvollzug unweigerlich aufbrechende Sinnfrage zeigt die anthropolo
gische Notwendigkeit des religiösen Glaubens. Denn dieser greift, indem
er eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott bzw. zum göttlichen Sinngrund
der Welt herstellt, auf die Ganzheitsdimension von Sinn aus. Nur, wenn
unserem Dasein in dieser Welt als Ganzem ein Sinn zukommt, so Ger
hardts Argument, kann den Dingen dieser Welt überhaupt eine Sinnbedeu
tung zuwachsen.
Vgl. Adolf von Harnack, Das Wesen des Christentums, hg. und kommentiert von
Trutz Rendtorff, Gütersloh 1999, S. 261 f.
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Zweitens besteht Hamack darauf, dass der religiöse Glaube mit dem
Wissen und der Wissenschaft widerspruchsfrei zusammengeht. Hamack
argumentiert dabei, wie Gerhardt, mit den Grenzen, die dem Wissen gera
de dort gesetzt sind, wo es um die Frage nach dem Sinn des Ganzen von
Welt und Leben geht. Die Sinnfrage beantwortet die Wissenschaft nicht,
sehr wohl aber der religiöse Glaube, indem er uns unsere eigentümliche
Weltstellung verstehbar macht und unserem individuellen Leben eine im
Ganzen verankerte Bedeutung gibt. Der religiöse Glaube produziert kein
Sachwissen von dem, was in und mit der Welt der Fall ist, sehr wohl aber
ein sinnproduktives Deutungswissen. Dieses lässt uns, sofern wir nach
dem Sinn unseres Lebens fragen, unsere eigentümliche, kontingenzantälli
ge Weltstellung verstehen, sowie vor allem eine Auffassung vom Grund,
dem Von-Woher und dem Zweck, dem Woraufhin unseres endlichen Welt
daseins gewinnen.
Wie Harnack weist auch Gerhardt der Religion die Bearbeitung der Le
benssinnfrage zu, ohne dabei dem Wissen und der Wissenschaft seine Le
bensbedeutsamkeit in irgendeiner Weise abzusprechen. Stärker noch als
Harnack plädiert Gerhardt sogar dafür, die Sinnproduktion des religiösen
Glaubens als Ressource für den Fortschritt im Gewinn lebensdienlichen
wissenschaftlichen Wissens wertzuschätzen. So plädiert Gerhardt nicht
nur für die Freiheit der Wissenschaft, sondern dafür, dass die Wissenschaft
auf den religiösen Glauben geradezu angewiesen ist und bleibt. Die Wis
senschaft ist ja auch, in Verbindung mit der sie in Weltgestaltung umset
zenden Technik, anders als noch zu Harnacks Zeiten, längst in eine zwar
nicht unangefochtene, aber doch als alternativlos geltende gesellschaftli
che Führungsrolle eingetreten. Die Religion wird demgegenüber, auch in
Hauptströmungen zeitgenössischer Philosophie, als in eine vergangene
Denk- und Lebensgestalt gehörig betrachtet. Sie gilt jedenfalls nicht als
ein ernst zu nehmendes philosophisches Thema. Die Säkularisten unter
den Philosophen sind daher die Adressaten von Gerhardts Verteidigung
der Religion. Ihnen gegenüber zeigt er die Verträglichkeit des Glaubens
mit dem Wissen auf, ja, mehr noch, er wirbt für die Einsicht, dass das
Wissen durchweg Veranlassung hat, sich auf den Glauben angewiesen zu
sehen. Die Behauptung eines konstitutiven Zusammenhanges von Wissen
und Glauben kann gewissermaßen als Leitthese seiner Religionsphiloso
phie gelten.
Drittens verweist Hamack in seiner Jahrhundertvorlesung über das
,,Wesen des Christentums" auf die lebensdienlichen Folgen eines die Sinn
gewissheit menschlichen Lebens grundierenden und so zu einem gestei-
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gerten Wissen-Wollen antreibenden Glaubens. Im religiösen Glauben ver
bindet sich für ihn die Gottesliebe mit der Nächstenliebe, damit die Verge
wisserung im Sinn des Ganzen mit einem ernsthaften Bemühen um eine
Politik, die für möglichst viele Menschen die gesellschaftlichen Bedingun
gen eines sinnerfüllten Lebens herzustellen versucht. Harnack war
schließlich nicht nur der zu seiner Zeit herausragende Wissenschaftsorga
nisator, er setzte sich auch für die öffentliche Rolle der Theologie durch
die Gründung des „Evangelisch-Sozialen Kongresses" ein.2 Es ging ihm
dabei um die gesellschaftliche Verantwortung der Religion und der Kir
che, angesichts der mit dem Industriezeitalter bedrängend aufkommenden
,,sozialen Frage" - womit man im Umkreis des politisch konservativen,
sozialreformerischen Protestantismus die entscheidende gesellschaftspoli
tische Herausforderung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts meinte.
Volker Gerhardt ist es ebenfalls enorm wichtig, dass es bei Religion
nicht um eine Privatangelegenheit geht, sie vielmehr von öffentlicher Re
levanz ist und gewissermaßen in die Konstitutionsbedingungen der politi
schen Form des Bewusstseins gehört. Da die Religion das menschliche
Leben in einem unbedingten Sinn gründet, ermöglicht sie eine Lebenshal
tung, die ebenso demütig und gelassen macht, wie sie zugleich mit einem
unversieglichen Lebensmut begabt. Der religiöse Glaube ist es, der die
Hoffnung auf einen guten Ausgang aller Dinge, selbst angesichts der fort
dauernden physischen und moralischen Übel in dieser Welt aufrecht erhält
und zugleich zu einer alles verfügbare Wissen und alle technischen Mög
lichkeiten nutzenden Arbeit an einer verbesserlichen Welt anhält. Im Lich
te der göttlichen Segensverheißung beflihigt der Glaube zu einem Han
deln, das seine Antriebskräfte aus der Liebe zum Leben empfllngt und das
sogar noch in den Erfahrungen des Scheiterns, in der Konfrontation mit
dem Bösen und angesichts des Schrecklichen und Absurden, das über ein
Leben hereinbrechen kann, am Sinn des Ganzen, also an der Hoffnung auf
Erlösung, festhält.
I Philosophie und Theologie: Eine freundliche Übernahme
Volker Gerhardt betont, dass er seinen Versuch über das Göttliche als Phi
losoph unternimmt. Als solcher beansprucht er, eine ,,rationale Theologie"
2 Vgl. Christian Nottmeier, Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890-1930:
Eine biographische Studie zum Verhdltnis von Protestantismus, W'tssenschafi und Po
litik, Tübingen 22015.
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Wilhelm Gräb
vorzutragen. Wie ich mit meinem hier angeführten und auf Gerhardts Un
ternehmen bezogenen Harnack-Zitat zeigen wollte, befindet sich Gerhardt
mit seiner Philosophie jedoch zugleich in der besten Gesellschaft liberaler
Theologie wie sie von Schleiennacher, Harnack und Troeltsch, um nur de
ren wichtigste Vertreter zu nennen, betrieben wurde. Deren Intention war
es, die theologischen Konsequenzen aus Kants Erkenntniskritik und seiner
Rechtfertigung des religiösen Glaubens auf der Basis der in den prakti
schen Lebensvollzug eingelassenen Sinnbedingungen zu ziehen. Die libe
rale Theologie nach Kant unternahm es, Kants Erkenntnis- und Theologie
kritik dadurch Rechnung zu tragen, dass sie von Gott auf die Religion als
ihren Ausgangspunkt umstellte, Sie wollten auf der Basis von Kants prak
tischem, die Sinngewissheit moralischen Handelns begründenden Gott
Denkens theologisch weiterarbeiten. Einem sich von den menschlichen
Daseinsherausforderungen lösenden, spekulativ ausgreifenden Gottesge
danken, gar einem supranaturalistischen Offenbarungspositivismus gegen
über zeigten sie sich demgegenüber zurückhaltend bzw. ablehnend.
Die liberale Theologie kann als eine von anthropologischen Bedingun
gen des Glaubens ausgehende Religionstheologie aufgefasst werden. Ger
hards „rationale Theologie" steht zu ihr, wie ich finde, in großer Nähe.
Gerhardt nimmt, wie diese Religionstheologie, seinen Ausgang vom Auf
weis des anthropologischen Orts der Religion. Er findet ihn eben dort, wo
wir in unserem bewussten Leben dessen ansichtig werden, dass wir in un
serer Weltgestaltung von Sinnbedingungen abhängig bleiben, die wir in
unser Wissen nie vollständig einzuholen im Stande sind. In unserem Wis
sen-Wollen und Handeln-Können verlassen wir uns auf dessen Sinn, ohne
dass uns dieser als Gegenstand unseres Wissens gegeben wäre. Wir glau
ben vertrauensvoll an ihn. Diese Beobachtung führt zur Einsicht in den
vernünftigen Grund des religiösen Glaubens. Der Glaube steht gewisser
maßen für die Einsicht, dass wir in unserer von unserem Wissen geleite
ten, sich technisch perfektionierenden Weltgestaltung von Voraussetzun
gen leben, die sich weder unserem Wissen verdanken noch sich je zum
Gegenstand unseres Wissen werden machen Jassen. Diese Einsicht des
Glaubens kann somit als eine solche verstanden werden, die dort, wo sie
aufkommt, ein „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit" (Schleiennacher)
zu erzeugen in der Lage ist, selbst wenn es dabei um die höchsten
menschlichen Leistungen in Wissenschaft und Technik geht.
Schon aufgrund der ungeheuren Nähe, die ich in Gerhardt Religions
philosophie zu dem von Schleiennacher entwickelten und von Harnack
und Troeltsch in die wissenschaftlich-technische Weltgesellschaft weiter-
Religion als individuelle Erfahrung universalen Sinns
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geführten Konzept liberaler Theologie wahrnehme, sehe ich mich zu dem
Eingeständnis veranlasst, dass ich so gut wie keine gravierenden Einwän
de gegen diese vorzubringen habe. Seinem Bemühen um eine „rationale
Theologie", die darauf aus ist, das Wissen zu begrenzen, um einem Glau
ben aus freier Einsicht Platz zu verschaffen, kann ich nur aus ganzem Her
zen zustimmen. Wenn ich hier dennoch in eine kritische Auseinander
setzung mit ihm eintrete, so will ich diese nutzen, um zu zeigen, wie ich
mir eine Übernahme der Religionsphilosophie Gerhardts in eine ebenfalls
von anthropologischen Voraussetzungen und damit von der Sinnfrage aus
gehende Theologie vorstelle. Ich werde dabei, stärker als ich dies bei Ger
hardt sehe, für die anthropologische Selbstständigkeit der Religion eintre
ten. Denn die Religion ist es, die für die Unbedingtheitsdimension von
Sinn einsteht, während das Wissen auf den die Ganzheitsdimension von
Sinn ansprechenden Weltbegriff verwiesen bleibt. Religion realisiert als
Beziehung zum Göttlichen das Vertrauen in einen unbedingten Sinngrund,
während das auf die Erkenntnis der Weltdinge ausgerichtete Wissen sich
in unendlicher Annäherung an das im Weltbezug immer schon in An
spruch genommene Sinnganze bewegt.
II Vom Sinn ausgehen: Auf gemeinsamem Weg, aber mit
unterschiedlicher Blickrichtung
Ich nehme als liberaler Theologe meinen Ausgangspunkt, ebenso wie Ger
hardt, nicht beim „Gott denken", schon gar nicht beim „Auf Gottes Wort
hören", sondern bei dem aus den Sinnerfahrungen des Lebens entsprin
genden religiösen Bewusstsein. Dabei ist es mir aber wichtig, dem Glau
ben in der Gestalt des religiösen Bewusstseins einen eigenständigen Er
fahrungsgehalt zumessen zu können. Denn bei Gerhardt kann der Glaube
stellenweise den Verdacht auf sich ziehen, letztlich doch nur ein defizitä
rer Modus des Wissens zu sein. Gerhardt ist zwar keineswegs der Mei
nung, dass wir, je mehr wir wissen, umso weniger glauben müssten. Im
Gegenteil, die Anreicherung dessen, was wir wissen, lässt uns gesteigert
bewusst werden, dass wir das Ganze, zu dem wir selbst als Wissende ge
hören, nie in unser Wissen werden einholen können. Indem Gerhardt je
doch an dieser defizitären Erfahrung, die das Wissen mit sich selbst
macht, die Notwendigkeit des Glaubens einleuchtend werden lässt, kommt
Glauben doch als eine abgeschwächte Form des Wissens zu stehen. Glau
ben wird zudem als „Glauben an" verstanden. Dem von Gerhardt verwen
deten Begriff des Glaubens eignet eine intentionale Struktur. Glauben ist
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Wilhelm Gräb
auf Glaubensinhalte ausgerichtet, die, wie Gerhardt sagt, von den Religio
nen zu Recht in Form von Lehren und mit wissensfürmigem Wahrheitsan
spruch vertreten werden. Wird Glauben so verstanden, dass es dem Wis
sen strukturell analog ist, dann, so scheint mir, wiederholt sich im Glauben
mit der intentionalen Struktur des Wissens aber auch der konstitutive Ge
gensatz, der das Wissen durchzieht.
Dann wieder plädiert Gerhardt jedoch für einen Glauben, den er als ein
Vertrauen in den Sinn des Ganzen verstanden wissen will. Der religiöse
Glaube, um den es Gerhardt geht, ist recht eigentlich ein transzendentaler
Glaube. Er geht auf den Grund aus, der alles Wissen allererst ermöglicht,
der in allem Wissen insofern aber auch immer schon als gegeben in An
spruch genommen werden muss. Mir scheint, diese Form des Glaubens ist
nicht nach Analogie des Wissens als ein „Glauben an", sondern, wie Ger
hardt ja auch sagen kann, als „Vertrauen auf' zu beschreiben. Im An
schluss an den Religionspsychologen Erik H. Erikson ließe es sich, um
eben die Selbstbezüglichkeit dieses religiösen Vertrauens zum Ausdruck
zu bringen, auch als ein „Grundvertrauen" auffassen. Glauben, verstanden
als Grundvertrauen, hat keine intentionale Struktur. Es ist kein Glauben an
etwas, auch nicht an einen Gott oder ein Göttliches. Der religiöse Glau
ben, verstanden als Grundvertrauen, ist vielmehr ein bedingungsloses
Sich-Verlassen-Können. Im religiösen Glauben, dadurch, dass ein Mensch
sein Grundvertrauen ausdrücklich macht, verhält er sich explizit dazu,
dass er immer schon von Voraussetzungen lebt, die er wissend nicht vor
sich zu bringen vermag, auf die er sich aber gleichwohl in all seinem Wis
sen und Handeln vertrauensvoll muss verlassen können.
Man kann und sollte dann dieses vertrauensvolle Sich-Verlassen, da es
nicht auf die vom Wissen intendierte und in ihm erschlossene Welt gerich
tet ist, ein Sich-Verlassen auf die Tragfähigkeit des mit allem Weltwissen
immer schon in Anspruch genommenen, universalen Sinnzusammenhangs
nennen. Das wäre ein Glauben, der sich als Glauben an die Präsenz des
Göttlichen in der Welt ausdrückt, möglicherweise sogar in einem sich an
religiöse Traditionen anschließenden Bekenntnis des Glaubens artikuliert.
Diese Ausdrücklichkeit des Glaubens, die unweigerlich die intentionale
Struktur in den Glauben hineinzieht, muss m.E. jedoch unterschieden blei
ben von der individuellen Erfahrung, in der sich dieser Glaube einstellt
und aus der er seine alle sinnintentionalen Vernunftleistungen motivieren
de und begleitende Kraft empflingt. Als individueller Erfahrung des Glau
bens kommt ihr nicht die intentionale Struktur des Wissens zu. Sie hat kei
ne Weltinhalte, sondern sie kommt, sofern mit ihr dieses Grundvertrauen
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gemeint ist, als unmittelbare Sich-Zugänglichkeit der Subjektivität oder,
so könnte man auch sagen, als vorprädikative Selbstvertrautheit am Ort
des in seinen Wissensvollzügen tätigen Subjekts vor. Schleiermacher hat
dieses Grundvertrauen deshalb ein „Gefühl schlechthinniger Abhängig
keit" genannt, eben weil es am Ort des individuellen Subjekts passiv auf
kommt und dabei, gewissermaßen mit einem Schlag, diesem sein Einge
lassensein in unbedingte Sinnbedingungen evident werden lässt. Diese
subjektivitätstheoretische Blickrichtung verfolge ich stärker, weil zum
einen der Gefühlsbegriff für die Auffassung steht, dass das alles Wissen
grundierende Grundvertrauen nicht selbst ein Wissen sein kann, und zum
anderen in Schleiermachers Rede vom „Gefühl schlechthinniger Abhän
gigkeit" eine vorprädikative und vorreflexive Erfahrung aufgerufen wird,
die mit Bezug auf die Rede vom Göttlichen und seiner Präsenz in der Welt
als sekundäre Symbolisierung der primär an die individuelle Erfahrungs
subjektivität gebundenen Evidenz verständlich werden kann.
III Gott und die Welt: Eine notwendige Unterscheidung, die aber
nicht in die Trennung führt
,Gott' ist ein Wort unserer Sprache. ,Gott' ist, so kann ich im Anschluss
an Volker Gerhardt sagen, das Wort unserer Sprache, mit dem wir benen
nen, was uns ins Passungsverhältnis zu uns selbst wie zu der von uns er
kannten und zu gestaltenden Welt bringt. Dieser Gott ist kein Gegenstand
in der Welt, den wir wissen könnten, denn dann wäre er nicht der Grund
des uns in unserer Lebenszuversicht tragenden Sinns.
Dieser Gott ist aber auch kein Gegenstand des Glaubens, auf den sich
unser Vertrauen richtet, worauf Gerhardt eigentlich ebenfalls insistiert.
Mit dem Wort ,Gott' bezeichnen wir vielmehr den Grund, bzw. das „Von
Woher" (Schleiermacher) des Gefühls eines unbedingten Getragenseins,
das uns an uns selbst in unserer sinnorientierten Weltstellung aufgeht. So
sehr ich dem somit zustimme, gehe ich im Folgenden dennoch wieder et
was anders vor, um die Bedeutung des Wortes Gott bzw. des Göttlichen
als Bezeichnung für den uns in unserem Selbst- und Weltverhältnis tragen
den Sinngrund zu beschreiben.
Ich meine, dass wir Veranlassung haben, den universalen Sinngrund,
den wir mit dem Wort ,Gott' bezeichnen, von dem Sinnganzen, das die
Welt für uns ist, zu unterscheiden. Ist es nachvollziehbar, im Weltbegriff
das Ganze des uns in jedem sinnbestimmten Selbst- und Weltverhältnis
tragenden Sinns zu sehen, so erscheint es mir befremdlich, die Bedeutung
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Wilhelm Gräb
des Wortes Gott darin sehen zu wollen, dass mit Gott bzw. dem Göttlichen
ebenfalls die Welt als Ganze gemeint ist, insofern, als sie für uns eine Be
deutung hat, die wir verstehen können. Wenn Religion uns den Sinn der
Welt und unseres eigenen Daseins in ihr erschließt, dann liegt es doch nä
her, das Göttliche nicht in der Welt, sondern am Grunde unserer je indivi
duellen Offenheit für sie zu sehen. Die Rede von Gott bzw. dem Göttli
chen wäre damit die religiöse Deutung nicht nur des Sinnganzen einer
Welt, die für uns da ist, sondern die religiöse Deutung des der Welt tran
szendenten Sinngrundes. Der religiöse Glaube ist dann, indem er mit dem
Göttlichen einen unbedingten, die Welt transzendierenden Sinngrund ver
bindet und auf ihn sein unbedingtes Vertrauen setzt, diejenige Lebenskraft,
die Menschen auch noch in den riskanten Grenzerfahrungen jene Leistun
gen im Wissen und Handeln freisetzen lässt, die Zukunft eröffnen und zur
Hoffnung auf einen guten Ausgang anstiften kann. Es wäre dann nicht
schon unser Weltverhältnis, sondern das in unserem Weltverhältnis immer
mitlaufende Selbstverhältnis, an dem uns unsere Beziehung zu dem uns
tragenden, unbedingten Sinngrund aufgeht und dem damit die religiöse
Deutung, als Ort der Realisierung der Beziehung zum Göttlichen, zu gel
ten hätte.
Die Rede von Gott bzw. dem Göttlichen vollzieht dann die explizite
Deutung des Grundes der Erfahrung unmittelbarer, vorreflexiver Selbst
vertrautheit. Wer diese Deutung vollzieht, mobilisiert den religiösen Glau
ben als vertrauensvolle Zuversicht darauf, dass sich die Wissens- und Ge
staltungsanforderungen, vor die die Welt uns stellt, mutig annehmen und
zur Durchführung bringen lassen - selbst noch in den Erfahrungen des
Nicht-Sinns. Die subjektivitätstheoretische Sicht Schleiermachers führt,
durchaus ähnlich wie das bei Gerhardt zu sehen ist, in eine Religionsauf
fassung, zu der eine explizite Weltfrömmigkeit gehört. Aber bei Schleier
macher wäre, anders als bei Gerhardt, Gott bzw. das Göttliche nicht im
Sinnganzen einer Welt, zu der sich das Wissen in unendlicher Annäherung
befindet, aufzufinden, sondern auf dem Grunde und am Abgrunde der
(Grenz-)erfahrungen von Menschen, die diese in den existentiellen He
rausforderungen ihrer sinnbewussten Lebensführung machen und machen
müssen.
Religion als individuelle Erfahrung universalen Sinns
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IV Der existentielle Vollzug des Glaubens: Verständigung über
eine kontingenzsensible Lebensform
Die existentielle Bedeutung des Glaubens ist es, auf die Gerhardt mit sei
nem Versuch über das Göttliche ausgeht. Religion ist für ihn, worin ich
ihm nur zustimmen kann, eine auch noch contra-faktisch am Sinn des
Ganzen festhaltende Endlichkeitsverarbeitung. Das zeigt sich schon im
Ausgang von der Sinnfrage. Es tritt zuletzt darin hervor, dass der religiöse
Glaube mit einer Lebensführung zusammengesehen wird, die sich die Lie
be zu allem Lebendigen bewahrt und an der Hoffnung auf einen guten
Ausgang aller Dinge festzuhalten vermag. Wer Religion hat, der sieht sich
selbst mit der ihm zugänglichen Welt zu einem unendlich Sinn-Ganzen
gehörig, obwohl dieses Ganze an sich selbst unfassbar ist und letztlich un
verfügbar bleibt.
Religion betreibt in Gerhardts Verständnis - ihm darin zu folgen hat
die Theologie allen Anlass - keine Verehrung heiliger Dinge, sie überhöht
nicht endliche Erfahrungen und Gegenstände ins Göttliche. Sie stellt viel
mehr eine von unbedingtem Sinnvertrauen getragene Haltung maximaler
Offenheit der Welt gegenüber her.3 Der religiöse Glaube resultiert, wie es
im Grunde schon Schleiermacher in der zweiten seiner „Reden über die
Religion" ausgeführt hat, aus einer durch die Anschauung des Univer
sums, d.h. die Aufmerksamkeit auf die Unendlichkeit der Welt verursach
ten Rückbetroffenheit des humanen Gefühlsbewusstseins. Im Anblick der
Unendlichkeit und Unfassbarkeit der Welt wird der einzelne Mensch ge
steigert seiner Endlichkeit bewusst.4 Er wird seiner ebenso natürlichen wie
geschichtlich-gesellschaftlichen Grenzen und Kontingenzen ansichtig. Er
sieht, dass die Erfahrungen des Geborenwerdens und Sterbens, die Erfah
rungen des Glücks wie der Not, des Gelingens wie des Scheiterns, des
Schönen wie des Schrecklichen und Absurden ihn unweigerlich mit einer
letzten Unverfügbarkeit der eigenen endlichen Existenz konfrontieren. 5
Die Welt, wie zugleich das eigene begrenzte Dasein in ihr, entziehen sich
3 Vgl. Friedrich Schleiennacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter
ihren Verächtern. In ihrer ursprlJnglichen Gestalt, neu hg. von Rudolf Otto, Göttin
gen 6 1 967.
4 Ebd., S. 67-69.
5 „Geborenwerden und sterben sind solche Punkte, bei deren Wahrnehmung es uns
nicht entgehen kann, wie unser eigenes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist,
und die allemal eine stille Sehnsucht und eine heilige Ehrfurcht erregen." (Ebd.,
154)
s.
74
Wilhelm Gräb
dem Sinn, der verstanden werden könnte. Dennoch, obwohl jeder von uns
nur einer unter unendlich vielen ist, und ihm auf das Ganze gesehen keine
besondere Bedeutung zukommt, beziehen wir das Ganze doch auf uns,
wird uns die Welt zu dem, was für uns Bedeutung hat. Ebenso glauben
wir, dass wir der Welt keineswegs gleichgültig sein dürften. Wenn wir von
uns selbst ausgehen und unser eigenes Einbezogensein in dieses unendli
che Ganze einer Welt wahrnehmen, die uns in ihrer Unbegreiflichkeit
doch zugänglich wird, nehmen wir sie somit auf religiös sinninvestive
Weise wahr.
Man kommt mit dieser Religion nicht zu einer universalen Welterklä
rung oder Geschichtsdeutung, Nicht einmal in allem Endlichen erblickt
wird sie des Einbezogenseins des Endlichen in das Ganze seines Sinns ge
wahr. Sie lebt vielmehr von der gefühlsbewussten Rückbetroffenheit, die
mit der eigenen, endlichen Weltstellung konfrontiert, dabei aber gerade
die Chancen und Möglichkeit, die im Wissen und Handeln entstehtm, be
wusst werden lässt.
Religion führt nicht zum Pantheismus, wie Gerhardt hervorhebt. Denn
dieser wäre die alles vergleichgültigende religiöse Überhöhung des Endli
chen. Religion produziert auch kein absolutes Wissen, erlaubt keine Welt
und keine Geschichtsfonnel. Sie ist keine Ideologie, keine in einer Lehre
fonnulierbare Weltanschauung. Das religiöse Bewusstsein ist dadurch
qualifiziert, dass es den Menschen vertrauensvoll und liebevoll, von muti
ger Daseinszuversicht und unversieglicher Hoffnung getragen, auf die
dem menschlichen Wissen und Handeln offen stehende Welt zugehen
lässt. Sie erlaubt ihm, die Welt und das eigene Dasein in dieser in ihrer
Unendlichkeit, Unverfllgbarkeit und Kontingenz anzuerkennen, sich auch
noch dem Leiden und Schmerz zu stellen, die Augen vor der Ungerechtig
keit und Grausamkeit, die fortwährend geschehen, nicht zu verschließen
und dennoch am Sinn des Ganzen festzuhalten, auf dessen Durchsetzung
zu hoffen und in den Grenzen der eigenen, endlichen Möglichkeiten fUr
sie zu arbeiten. Wer die Welt religiös, also begleitet von dem Gefühl eines
letztlich unzerstörbaren Sinnvertrauens, ansieht, dem verliert sie nichts
von ihrer Unbegreiflichkeit und Unverfllgbarkeit und dennoch weiß er
sich in ihr aufgehoben und kann in der Gewissheit auf sie zu- und mit ihr
umgehen, dass sie sich seinem Wissen und Handeln öffnet. Das religiöse
Gefühl kommt somit dem tröstlichen Vertrauen darauf gleich, dass wir in
dieser Welt, ihrer Unendlichkeit und Unbegreitbarkeit zum Trotz, auf kei
nen Fall verlorengehen.
Religion als individuelle Erfahrung universalen Sinns
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V Die Individualität des Glaubens: Warum der Glaube, der von
universaler Bedeutung ist, individuell vollzogen werden muss
Gerhardt arbeitet die universale Bedeutung des religiösen Glaubens he
raus. Ohne den Glauben, der das Sinnvertrauen in die von uns zu erken
nende und zu gestaltende Welt schafft, so seine These, ist weder ein täti
ges und erfolgsorientiertes Leben möglich, noch könnte es uns gelingen,
uns so zu uns selbst und zur Welt zu verhalten, dass wir auch noch in den
Erfahrungen von Leid und Tod bei der Liebe bleiben und die Hoffnung
auf Erlösung nicht aufgeben.
Dieser universalen Bedeutung des religiösen Glaubens unbeschadet, in
sistiert Gerhardt zu Recht darauf, dass der religiöse Glauben individuell
vollzogen werden muss. Er wehrt sich gegen die Einweisung der Religion
in den Raum des Privaten, dem Glauben eine bloß subjektive Relevanz
zuzuerkennen. Dennoch ist es ihm zu Recht wichtig, zu zeigen, dass er
seine universale, öffentliche, gesellschaftliche und politische Bedeutung
nur erfüllen kann, wenn er von den einzelnen Menschen als ihr unvertret
bar je eigener Glaube auch vollzogen und aus freier Einsicht nach und mit
ihm gelebt wird. Religion funktioniert für Gerhardt nicht als Fremdzu
schreibung. Denn im Bekenntnis des Glaubens spricht sich eine letztlich
tief persönliche, auf ein allgemeines Wissen gerade nicht abgestützte
Überzeugungsgewissheit aus. Das hat aber zur Folge, dass der religiöse
Glaube in einer unendlichen Vielfalt individueller Überzeugungen gelebt
wird. Jedes Individuum, so könnte man auch sagen, das sich, zusammen
mit der Welt, auf je eigene Weise in das unendliche Ganze einbezogen und
in seinem Gefühlsbewusstsein bestimmt findet, entwickelt auch seinen ei
genen Glauben. Dieser erst macht mit der Bestimmung, die er ins indivi
duelle Gefühlsbewusstsein einbringt, einen Menschen dann auch seiner je
eigenen Daseinsbestimmung gewiss.
Zum Schluss folge ich Gerhardt noch einmal mit Freuden: Für ihn ist
der religiöse Glaube immer individuell, erfahrungsbezogen, perspekti
visch. Das heißt aber gerade nicht, dass er nicht mit dem Anspruch auf all
gemeine Wahrheit aufzutreten berechtigt wäre. Im Gegenteil, gerade weil
sich im religiösen Glauben die persönlichsten Überzeugungen artikulie
ren, kann ein Mensch ihn nicht für sich allein haben und behalten wollen.
Der Glaube drängt immer ins Gespräch. Er sucht die Gemeinschaft. Er
will mitgeteilt und in einem gemeinschaftlich vollzogenen Ritus auch dar
gestellt und auf allgemein verständliche Weise zur Auslegung gebracht
werden. Dahin drängt die Religion der Individuen selbst. Sie weiß sich auf
76
Wilhelm Gräb
die Ergänzung durch die ihrerseits perspektivisch auf den Sinn des Ganzen
ausgreifenden Überzeugungen anderer angewiesen.
Mit der Individualität des religiösen Bewusstseins geht dann zudem
seine pluralistische Verfasstheit einher - ein Aspekt, den ich bei Gerhardt
nicht so sehr betont gefunden habe, der aber in der globalen religionspoli
tischen Gegenwartslage nicht minder bedeutsam ist. Mit der Individualität
der Religion gehört zusammen, dass die Religion, von sich selbst ausge
hend, keine Unduldsamkeit anderen religiösen Positionen gegenüber aus
bilden kann. Eine sich ihrer Individualität bewusste Religion behauptet
nie, die Wahrheit allein auf der eigenen Seite zu haben. Sie erhebt keine
Absolutheitsansprüche. Die Wahrheit liegt dem religiösen Bewusstsein
vielmehr im Vorgang der Mitteilung und des Gesprächs und damit einer
unendlichen Ergänzung und fortgesetzten Anschlussfähigkeit je individu
ell bestimmter, religiöser Überzeugungen, durch und an andere. Nur die
sich selbst dem unendlichen Ganzen sich überlassende Religiol) ist die
wahre Religion. Wahr ist sie nur in der unendlichen Anreicherung indivi
dueller Ausbildungen der aufs Ganze gehenden Sinngewissheiten. Die
Wahrheit der Religion versteht sich somit als eine Wahrheit im Werden,
die auf dem Wege der Mitteilung und des kommunikativen Austauschs nicht über die Lehren der Religion, sondern über die diesen zu Grunde lie
genden Daseinssinnüberzeugungen geschieht.
Auf der Basis dieses Gedankens kann der weitere Weg aufgezeigt wer
den, wie von der unendlichen Vielfalt der Formen gelebter Religion zu
den auf geschichtlichen Überlieferungen aufbauenden und sie weitertra
genden Religionsgemeinschaften zu finden ist. So kommt auch Gerhardt
am Ende seines Buches auf eine Religion, das Christentum, zu sprechen.
Unschwer wären von dort auch die Linien auszuziehen zu denjenigen
Konstellationen religiösen Glaubens, die sich anderen Religionsüberliefe
rungen verdanken.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass Gerhardt, ob
wohl eine „rationale Theologie" entfaltend, zu Recht weit davon entfernt
bleibt, etwa im Stile der rationalistischen Aufklärungstheologie, auf der
Basis eines allgemeinen Begriffs der Religion die Existenz einer allgemei
nen, natürlichen Religion schlussfolgern zu wollen.6 Religion, so schärft
Gerhardt ein, lebt immer nur in individuellen und pluralen Formen eines
kontingent geschichtlich vorkommenden Gefühls- und Erfahrungsbe
wusstsein. Das Moment der Pluralität historischer Religionsgemeinschaf6 Ebd., S. 242-250.
Religion als individuelle Erfahrung universalen Sinns
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ten bleibt der wirklich gelebten Religion ebenso zugehörig wie ihre Indi
vidualität.
Im Blick auf die Praxis der gelebten Religion wird von daher die reli
giöse Toleranzbereitschaft wichtig. Die Forderung nach einem toleranten
Umgang der Religionen untereinander, ist der individuell gelebten Religi
on geradezu inhärent. Wer wahrhaft religiös ist und eine eigene religiöse
Identität ausgebildet hat, der erkennt in den religiösen Überzeugungen an
derer die Ergänzung der eigenen religiösen Individualität. Das gilt dann
ebenso für das Verhältnis der großen geschichtlichen Religionen zueinan
der. Wie sehr auch immer eine bestimmte Religionsform gemeinschaftlich
verfasst und aus langen Überlieferungen gewachsen sein mag, so stellt sie
doch nur positionell und perspektivisch eine individuelle Überzeugungs
gemeinschaft dar. Jede besondere Form religiösen Lebens, die ihre eigene
Symbolsprache und Ritualpraxis entwickelt, praktiziert diese Individuali
tät und ist insofern darauf angewiesen, mit möglichst vielen anderen indi
viduellen Formen des Religiösen bekannt zu werden. Das tut ihrem An
spruch auf universale Geltung und allgemeine Wahrheit gerade keinen
Abbruch. Im Gegenteil, diesen Anspruch, den eine jede Religion notwen
digerweise erheben muss, kann sie nur in offenen und herrschaftsfreien
Kommunikationsverhältnissen einlösen.
Eine Theologie, die als Religionstheologie der gelebten Religion zu
ihrer Gesprächsfllhigkeit verhelfen will, kann sich nichts besseres wün
schen, als eine die Religion so tief verstehende Religionsphilosophie, wie
sie Volker Gerhardt entwickelt hat, an ihrer Seite zu haben.