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Bürgerarbeit in Mecklenburg.Vorpommern

Bürgerarbeit ist eine Maßnahme zur Integration von Langzeitarbeitslosen und Arbeitslosen mit besonderen Vermittlungshemmnissen, die langfristig nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können. 1 Als arbeitsmarktpolitisches Instrument wird Bürgerarbeit dabei durchaus kontrovers diskutiert: Die Urteile der Kritiker reichen von "Zwangsarbeit" über "Ausdehnung des Niedriglohnsektors", bis hin zur "letzten Chance für Alte und wenig gebildete Arbeitslose" oder "Möglichkeit zur Heranführung von Personen mit Vermittlungshindernissen in den Arbeitsmarkt". Natürlich ist es möglich, das Bundesprojekt Bürgerarbeit unter diesen Gesichtspunkten zu beurteilen, und diese Kritiken befruchten den gesellschaftlichen Diskurs über die Frage: Wie wollen wir mit unseren Langzeitarbeitslosen umgehen? Die bisherige Evaluation des Bundesprojektes im Land Mecklenburg-Vorpommern 2 hat allerdings, ausgehend von empirisch gewonnenem Material, einige zusätzliche Dimensionen freigelegt, in denen Bürgerarbeit vernünftigerweise diskutiert werden könnte und sollte.

Dr. Friedrich Hauss und Sabine Böttcher, Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. Bürgerarbeit: Arbeitsmarktpolitik mit zivilgesellschaftlicher Perspektive? Bürgerarbeit ist eine Maßnahme zur Integration von Langzeitarbeitslosen und Arbeitslosen mit besonderen Vermittlungshemmnissen, die langfristig nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können.1 Als arbeitsmarktpolitisches Instrument wird Bürgerarbeit dabei durchaus kontrovers diskutiert: Die Urteile der Kritiker reichen von „Zwangsarbeit“ über „Ausdehnung des Niedriglohnsektors“, bis hin zur „letzten Chance für Alte und wenig gebildete Arbeitslose“ oder „Möglichkeit zur Heranführung von Personen mit Vermittlungshindernissen in den Arbeitsmarkt“. Natürlich ist es möglich, das Bundesprojekt Bürgerarbeit unter diesen Gesichtspunkten zu beurteilen, und diese Kritiken befruchten den gesellschaftlichen Diskurs über die Frage: Wie wollen wir mit unseren Langzeitarbeitslosen umgehen? Die bisherige Evaluation des Bundesprojektes im Land Mecklenburg-Vorpommern2 hat allerdings, ausgehend von empirisch gewonnenem Material, einige zusätzliche Dimensionen freigelegt, in denen Bürgerarbeit vernünftigerweise diskutiert werden könnte und sollte. Die arbeitsmarktpolitische Dimension Unter der arbeitsmarktpolitischen Dimension erscheint Bürgerarbeit dann als Instrument der „letzten Chance“ für Personen mit Vermittlungshemmnissen, die (wieder) in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Die Erfolge sind unter diesem Blickwinkel bisher eher bescheiden. Dies liegt aber vor allem an einer eingeschränkten Sichtweise, die sich ausschließlich auf die Vermittlung aus der Bürgerarbeit in den ersten Arbeitsmarkt konzentriert. Tatsächlich geht der Bürgerarbeit aber eine im Programm vorgesehene „Aktivierungsphase“ voraus, in der u.a. mit einem guten Betreuungsschlüssel Personen mit Vermittlungshemmnissen in den ersten Arbeitsmarkt gebracht werden sollen. Die Erfolge sind hier erstaunlich: Bei bis zu 25 Prozent der Aktivierungsteilnehmer gelang eine Arbeitsaufnahme im ersten Arbeitsmarkt. Wer in dieser Aktivierungsphase nicht vermittelt werden konnte, dem konnte Bürgerarbeit angeboten werden. Gelang auch das nicht, verblieben diese Arbeitslosen in der Aktivierungsphase. Im Ergebnis bleiben so die Personen „übrig“, deren Vermittlungshemmnisse so hoch sind, dass sie - nun praktisch amtlich attestiert - überhaupt keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Betrachtet man also nur die Vermittlungsquote aus der Bürgerarbeit heraus, hat sich das Programm unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten als relativ wirkungslos erwiesen. Nimmt man jedoch die Aktivierungsphase hinzu - was dem Programm gerecht wird -, dann führte der gute Betreuungsschlüssel dazu, dass mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten als zuvor. 1 http://www.arbeitsagentur.de/nn_29406/Dienststellen/RD-SAT/RD-SAT/A04-Vermittlung/Allgemein/Konzept-Buergerarbeit.html 2 Begleitstudie zur Bürgerarbeit in Mecklenburg-Vorpommern durch das ZSH, www.zsh-online.de Die Persönlichkeitsdimension Bezieht man nun auch die Persönlichkeitsdimension ein, so ergibt sich ein anderes Bild und eine andere Schwerpunktsetzung: Da viele der Menschen mit Vermittlungshemmnissen zwar gut ausgebildet sind, ihre Ausbildung jedoch nicht mehr gebraucht wird (dies trifft besonders für den Osten Deutschlands zu) und sie deshalb oft jahrelang erwerbslos waren bzw. sind, zeigen viele von ihnen ein mangelndes Selbstbewusstsein, ein Infragestellen der eigenen Fähigkeiten, Antriebsschwäche und Motivationsverlust bis hin zu einer alltagspraktischen Anarchie oder Depressionen – alles Merkmale, die sich als erhebliche Vermittlungshemmnisse auf den ersten Arbeitsmarkt erweisen.3. Unter der Perspektive der Persönlichkeitsbildung werden offensichtlich – wenn auch nur schwer quantifizierbare – Erfolge erzielt: Akteure und die Bürgerarbeiter selbst berichten von einem gestiegenen Selbstbewusstsein, einer wachsenden Eigenmotivation, dem Eindruck, „wieder lachen zu können“ und „gebraucht zu werden“. All dies sind, wenn es sich nicht nur um flüchtige Einzeleffekte handelt – und die Bad Schmiedeberger Ergebnisse sprechen für eine eher längerfristige Wirkung – Merkmale, die es den Langzeitarbeitslosen gestatten, die Gestaltung ihrer eigenen Lebensperspektive wieder stärker in die eigenen Hände zu nehmen und nicht mehr amtsgeleitet durch die Welt zu gehen (vgl. Böttcher 2009, Steiner/Böttcher/Lutz/Hauss 2008). Das ist nämlich auch eine Voraussetzung, um die zivilgesellschaftliche Dimension der Bürgerarbeit zu erfüllen: Es gehört nicht viel Phantasie dazu, zivilgesellschaftliche Aspekte im Bundesprogramm Bürgerarbeit zu finden: Bürgerarbeit soll „zusätzliche Aufgaben“ erfüllen und die Arbeiten sollen im „öffentlichen Interesse“ liegen. Und entsprechend geht es den Akteuren mit der Ausgestaltung von Bürgerarbeit auch um die Stärkung des Zusammenhalts in der Gemeinde, um die Betreuung von Jugendlichen, die sonst vor leer stehenden Jugendhäusern auf bessere Zeiten warten und um die Verbesserung des Gemeindelebens. Auch die Bürgerarbeiter selbst betonen die Wichtigkeit ihrer Aufgabe für die Zivilgesellschaft. Die zivilgesellschaftliche Dimension Also alles in Ordnung? Leider nicht. Die zivilgesellschaftliche Dimension ist eigentlich nur deshalb im Programm der Bürgerarbeit, weil die Einsatzfelder der Bürgerarbeit auch mit dem Begriff „zivilgesellschaftlich“ charakterisiert werden können. Programmatischer Bestandteil ist sie damit noch nicht. Entsprechend würde die bewusste Nutzung der Bürgerarbeit(er) für die zivilgesellschaftliche Stärkung des sozialen/lokalen Umfeldes erhebliche Veränderungen nicht nur im Programm voraussetzen. Vor allem im operativen Bereich müssten Änderungen erfolgen. Die zivilgesellschaftliche Dimension wird derzeit vor allem dadurch entwertet, dass die Bürgerarbeitsplätze nur für diejenigen vorgesehen sind, die am ersten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können, weil sie erhebliche Vermittlungsprobleme haben. Kurz: Wer für den ersten Arbeitsmarkt nicht fit genug ist, soll es (wenigstens) für den zivilgesellschaftlichen Bereich sein. Unabhängig davon, dass viele Bürgerarbeiter ihre Aufgabe mit Engagement und zur Zufriedenheit der Beteiligten erledigen, ist eine solche Negativauswahl für die Stärkung des Ansatzes zivilgesellschaftlicher Arbeit nicht förderlich. Es wäre hilfreicher, wenn die Bürgerarbeitsplätze für alle Arbeitslosen ausgeschrieben würden und man sich auf diese Plätze bewerben könnte. So käme die zivilgesellschaftliche Arbeit aus ihrer Ecke als „Hilfsarbeit“ heraus, in die sie durch die Besetzungspraxis zurzeit gedrängt wird. Diese Fehlkonstruktion betrifft aber nicht nur die Auswahl der Bürgerarbeiter, sondern auch die Auswahl der Bürgerarbeitsplätze selbst. Die Gemeinden, Vereine und (sozialen) Träger sind aufgefordert, Plätze anzubie3 Hier soll nicht ein Menschenbild hinterfragt werden, das nur solche persönlichen Merkmale als „normal und gesund“ voraussetzt, die möglichst arbeitsmarktkompatibel sind. ten, die die formalen Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentlichen Interesses sowie der Projektartigkeit erfüllen. Darüber hat in den Gemeinden, Vereinen und Trägern ein Diskussionsprozess stattgefunden, an dessen Ende ein Lokalkonsens über die anzubietenden Bürgerarbeitsplätze stand. Aber die letzte Entscheidung über die Vergabe der Bürgerarbeitsplätze wird oft mehrere 100 Kilometer vom Ort des Einsatzes entfernt getroffen, nämlich zentral in Köln beim Bundesverwaltungsamt. Dieses Verfahren ist eher systemwidrig: Über Vorschläge, die lokal entwickelt worden sind, sollte, jedenfalls unter einer zivilgesellschaftlichen Perspektive, auch nur lokal entschieden werden. Nur so kann ein Konsens darüber hergestellt werden, wie mit Langzeitarbeitslosen umgegangen werden soll und welchen Beitrag sie für die Zivilgesellschaft leisten können. Und schließlich sollte die völlig problemabgehobene, ordnungspolitische Diskussion „öffentlich geförderte Arbeit ja oder nein " unter pragmatischen Gesichtspunkten geführt werden. Es gibt längst einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt. Und es wäre hilfreich, der öffentlichen Förderung von Arbeit nicht nur eine arbeitsmarktpolitische oder eine persönlichkeitsbezogene Funktion zu lassen, sondern durch Stärkung einer zivilgesellschaftlichen Dimension der Gesellschaft zurückgeben, was sie zur Finanzierung der Arbeit aufgewendet hat. Das hieße, den Mehrwert der Bürgerarbeit für die Gesellschaft zu erhöhen. Literatur: Böttcher, Sabine (2009): Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg. In: Böttcher, Sabine (Hrsg.) (2009): zshHerbsttagung zur Fachkräftesicherung in turbulenten Zeiten - Tagungsband I. Forschungsberichte aus dem zsh 09-4; Steiner, Christine; Hauss, Friedrich; Böttcher, Sabine; Lutz, Burkart (2008):Evaluation des Projektes Bürgerarbeit im 1. Flächenversuch in der Stadt Bad Schmiedeberg Zu den Autoren: Sabine Böttcher, Diplom-Soziologin; seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. Dr. Friedrich Hauss, seit 2010 freier Mitarbeiter des zsh. Davor leitete er jahrelang das Institut Braintools.