Markus Euskirchen, Martin Singe
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Gesellschaftliche Militarisierung
Die Bundeswehr und ihr Einsatz im eigenen Hinterland
Seit 2001 kämpft die Bundeswehr in Afghanistan. Das vorgebliche Ziel: Die
Verteidigung der Sicherheit und Freiheit Deutschlands am Hindukusch. Anfangs hieß es – in der Orwellschen Sprache herrschender Politik – „Aufbaueinsatz“. Inzwischen wird der Krieg auch Krieg genannt. Die völkerrechtliche Bewertung als „nicht internationaler bewaffneter Konflikt“ soll die Soldaten vor
dem Zugriff des normalen Strafrechts schützen. Am 4.9.2009 befahl Oberst
Klein in der Nähe von Kundus einen Bombenangriff, bei dem über 90 Menschen, vor allem Zivilisten, getötet wurden. Die Generalbundesanwaltschaft
stellte das Ermittlungsverfahren gegen den Oberst schnell ein. Die Begründung, er habe subjektiv kein Kriegsverbrechen begehen wollen, kommt einem
Freibrief für künftige Kriegsverbrechen gleich. Gleichzeitig kommen mehr Särge mit deutschen Soldaten aus Afghanistan zurück. Diese offensichtliche Militarisierung der Außenpolitik hat innen- und gesellschaftspolitische Voraussetzungen, Begleiterscheinungen und Folgen. Diese erscheinen nicht unbedingt
auf den ersten Blick als Militarisierung – verstanden als das Umsichgreifen
(quantitativ) und die Intensivierung (qualitativ) militärischer Handlungsweisen,
Verhältnisse und Diskurse (Befehl, Gehorsam, Uniformierung, Hierarchie, Tötungstechniken, Bewaffnung, Freund-Gegner-Feind-Bestimmung usw.). Bezieht
man in den Militarisierungsbegriff – wie das im folgenden Artikel geschehen
soll – darüber hinaus alles ein, was den Krieg (den erfolgreich zu führen der
Zweck des Militärs ist) reibungsloser und intensiver führbar macht, dann rücken die „zivilen“ Dimensionen von Militarisierung in den Blick, ohne dass
der Begriff ins Beliebige ausgedehnt wird. In der Konsequenz kommt die bürgerliche Vorstellung vom strikt getrennten und trennbaren Nebeneinander einer zivilen, friedliebenden Gesellschaft und eines mehr oder weniger gezwungenermaßen im Rahmen außenpolitischer Zwänge Krieg führenden Staates ins
Wanken. Ein erweiterter Militarisierungsbegriff stärkt die These der gesellschaftlichen Militarisierung: Krieg militarisiert die Gesellschaft, in deren Namen er geführt wird. Oder umgekehrt: Kein Krieg ohne ruhiges Hinterland.
Alles was zur Normalisierung militärischer Verhältnisse und militärischen Auftretens beiträgt und alle Maßnahmen zur Herstellung von Ruhe im Hinterland
sind in dieser Sichtweise als Militarisierung zu verstehen – denn sie sorgen dafür, dass qualitative und quantitative Militarisierung sowie ausgeweitete und
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 162, 41. Jg., 2011, Nr. 1, 35-50
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intensivierte Kriegführung (also Militarisierung im engeren Sinne) erst möglich
werden und es dann auch bleiben: Ende 2009 wurde in Berlin am „Verteidigungs“ministerium ein zentrales Kriegerdenkmal – eine Ehrenhalle für die Gefallenen – eingeweiht, um dort einen Umgang mit dem Krieg und seinen „Opfern“ zu finden, damit die gesellschaftliche Härte des heimkehrenden Zinksarges abzumildern und in einem staatstragenden Ritual einzudämmen und so
Entrüstungspotentiale in nationales Pathos zu kanalisieren (vgl. den Beitrag
von Eugen Januschke in diesem Heft).
Angesichts des seit Jahren erfolglosen Krieges in Afghanistan geraten die Bundeswehr und die sie bestimmende Politik immer stärker in Rechtfertigungsnöte. Denn die Mehrheit der Bevölkerung – etwa zwei Drittel – will diesen Krieg
nicht. Der allgemeinen Kriegsunwilligkeit (Wette 2009) stellen sich Bundesregierung und Bundeswehr mit Propagandainitiativen im öffentlichen Raum
entgegen. Militär- und Waffenschauen, öffentliche Gelöbnisse und Zapfenstreiche sollen Akzeptanz schaffen. 2009 fanden über 180 öffentliche Gelöbnisse und 12 große Zapfenstreiche statt. 1.346 mal trat das BundeswehrMusikkorps auf. 98 andere militärische Zeremonien wurden inszeniert. Zugleich sind nicht mehr genug Berufs- und Zeitsoldaten zu rekrutieren. Die
Bundeswehr sucht diese Lücken durch Werbeoffensiven zu füllen. Dabei geraten die Einrichtungen ins Visier, an denen Jugendliche lernen, ausgebildet
werden und eine berufliche Perspektive suchen. Werbeauftritte der Bundeswehr auf Festen, bei Messen, in Schulen, Betrieben und Arbeitsagenturen sind
an der Tagesordnung und werden durch offizielle Kooperationsabkommen institutionalisiert.
1. Die Offensive der Bundeswehr an den Schulen
„Sehr geehrte Damen und Herren, die Jugendoffiziere Freiburg starten in das neue Schuljahr und
möchten Ihnen wieder unser lehrplanabgestimmtes Programm anbieten (...) Wir, das Team der
Jugendoffiziere Freiburg, haben beide teilgenommen am Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan und können somit aus ‚erster Hand‘ über friedenssichernde Maßnahmen und Konfliktbewältigung im Ausland berichten. Wir freuen uns auf Ihre Einladung, Ihre Jugendoffiziere
in Freiburg.“
Dieser Brief ging am 23.11.2009 an die Fachschaften Geschichte, Gemeinschaftskunde, Religion und Ethik der Freiburger Schulen.
Die Institution „Jugendoffizier“ wurde als Propagandainstrument bereits 1958
eingeführt, um den Widerstand breiter Kreise der Bevölkerung gegen Wiederbewaffnung und Remilitarisierung zu brechen. Die rund 100 hauptamtlichen
Jugendoffiziere werden nach einem Hochschulstudium insbesondere in Rhetorik, Sicherheitspolitik und Jugendsoziologie geschult. Die konkrete Einsatzvorbereitung geschieht heute in der „Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr (AIK)“ in Strausberg bei Berlin, der Nachfolgeeinrichtung der früher in Waldbröl (NRW) angesiedelten „Schule für Psychologi-
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sche Kampfführung/Verteidigung“. Jährlich erreichen die Jugendoffiziere in
über 8.000 Veranstaltungen rund 200.000 Teilnehmende. Über 175.000 davon
sind Jugendliche. Dazu zählen auch „Besuche bei der Truppe“, Seminarfahrten
und Großveranstaltungen, z.B. Stände auf Messen oder Waffenschauen wie
„Unser Heer“. Inzwischen werden Jugendoffiziere auch offiziell in der Lehrerausbildung tätig. In einigen Bundesländern sind sie in den Instituten für
Lehrerweiterbildung als Dozenten aufgeführt.
Mittlerweile geht die Bundeswehr dazu über, die Kooperation mit Schulen
durch offizielle Kooperationsvereinbarungen mit den Kultusministerien zu
verrechtlichen. In fünf Bundesländern sind bereits Verträge unterzeichnet worden. Im Wortlaut der meisten davon heißt es:
„Jugendoffiziere informieren im schulischen Kontext Schülerinnen und Schüler über die zur
Friedenssicherung möglichen und/oder notwendigen Instrumente der Politik. Dabei werden Informationen zur globalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen
zu nationalen Interessen (Hervorhebung M.E/M.S.) einzubeziehen sein.“
Die SchülerInnen sollen lernen, wie auch im Weißbuch der Bundeswehr nachzulesen, dass Deutschland seine weltweiten (Rohstoff-) Interessen auch militärisch durchsetzen bzw. absichern müsse. Im Jahr 2009 wurden in den Schulen
115.000 Jugendliche von Jugendoffizieren und 281.000 von Wehrdienstberatern erreicht. Ausdrücklich wird in den Verträgen „die Möglichkeit der Einbindung der Jugendoffiziere in die Aus- und Fortbildung von Referendarinnen
und Referendaren sowie von Lehrkräften“ festgelegt. Während im Jahr 2003
nur 50 Referendare Ausbildungsangebote der Bundeswehr nutzten, waren es
2009 bereits 1.073. 3.266 Lehrer haben Fortbildungen beim Militär besucht.
Zwar stellt sich die Bundeswehr formal hinter den „Beutelsbacher Konsens“
von 1976, dem gemäß einseitige Einflussnahme im Schulunterricht untersagt
ist. Praktisch öffnen die Kooperationsvereinbarungen einer systematischen
Einflussnahme des Militärs in der Schule Tür und Tor.
So verbreitet eine obskure „Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e.V.“
kostenlose Materialien „Frieden & Sicherheit“ für den Schulunterricht. Fachlich beraten wird diese AG laut Impressum vom „Bundesministerium der Verteidigung“. Der Verlag ist hauptsächlich Eigentum der FDP. Als weiterer Partner wird u.a. die Bertelsmann-Stiftung genannt. Finanzier ist die Bundesregierung: 330.000 Euro kostete 2008/09 die Erstellung neuer Schüler-/LehrerHefte. 2007 wurden 325.000 Schüler- und 16.000 Lehrerhefte angefordert. Auf
den ersten Blick kommen die Materialien problemorientiert offen daher, bei
genauerem Blick fällt die einseitige Einflussnahme auf. So verweisen diverse
Links auf regierungsamtliche Einrichtungen wie das „Verteidigungsministerium“ und die Bundeswehr. Links zu den Seiten der Friedensbewegung sucht
man vergeblich. Der Zivildienst wird zwar thematisiert, aber das Thema
Kriegsdienstverweigerung ausgeblendet.
Die Beschäftigung mit den militarisierten Lerninhalten soll Spaß machen. Da-
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her gibt es für die Älteren das Simulationsspiel POL&IS (Politik und internationale Sicherheit), ein Rollenspiel, in dem es um Globalisierung und Ressourcenverteilung geht. Es wird unter Anleitung eines Jugendoffiziers gespielt und
läuft auf militärische Interventionen als naheliegende und gebotene Konfliktlösung hinaus. Ein Pädagoge resümiert nach dem Spiel: „Dass gerade friedensbewegte Schüler aufgerüstet hätten, sei ein ‚Element der Orientierung’ an der
Realität.“ Ein Jugendoffizier: „Es gibt immer welche, die vorletzte Woche
noch bei der Hand-in-Hand-Lichterkette mitgemacht haben und jetzt Krieg
führen wollen.“ (Schulze von Glaßer 2010: 10) – Für die Jüngeren gibt es Kasernenbesuche und Zielübungen in Schießsimulatoren. Ein Soldat prahlte vor
Achtklässlern aus Ostholstein: Das computeranimierte Schießkino sei „tausend
Mal besser als die Spielkonsole zu Hause“ (Ohsel 2010). Bei Kasernenbesuchen und Waffenschauen wird gezielt bei der Technikbegeisterung der Jugendlichen angesetzt und diese ausgenutzt. Auch das Auswärtige Amt wird schon
bei den Kleinen aktiv und wirbt mit dem Internetportal www.kinder.diplo.de.
Hier fliegt die Friedenstaube statt mit einem Ölzweig ausgestattet mit einem
Soldatenhelm durchs Bild (blau, damit UN-Legitimation unterstellt wird). Von
„Soldaten für den Frieden“ ist die Rede, und man erfährt, dass „Deutschland
hin und wieder Friedenstruppen in andere Länder [schickt]“.
2. Bundeswehr-Präsenz in Medien und Arbeitsämtern,
Internet-Auftritte und Werbe-Events für Jugendliche
In den Medien für Schülerinnen und Schüler ist die Bundeswehr zunehmend
präsent. Redakteure von Schülerzeitungen werden zu Jugendpressekonferenzen
eingeladen, z.B. auf den Fliegerhorst eines Jagdbombergeschwaders in Nörvenich oder zu einer Marinetechnikschule an der Ostsee. In den Schülerzeitungen geraten die Berichte darüber zur Bundeswehr-Werbung aus Schülerhand.
Im Jahr 2008 platzierte die Bundeswehr in über 170 Schülerzeitungen WerbeAnzeigen, u.a. mit Werbung für ein kostenloses Abo ihrer Jugendzeitschrift
„infopost“. Auch in den Abiturientenzeitschriften „Unicum“, dem Handelsblatt-Magazin „Junge Karriere“ und in den ZVS-Infos wirbt die Bundeswehr
um die jungen Menschen, die Ausbildungs- oder Studienplätze suchen. Eine
zentrale Internet-Seite findet sich unter treff-bundeswehr.de: „Unsere Community richtet sich an junge Menschen zwischen 14 und 21 Jahren, die ein allgemeines Interesse an der Bundeswehr haben oder eine Karriere bei uns anstreben.“ Generell ist von „Deiner Bundeswehr“ die Rede, und der User wird selbstverständlich mit „Du“ angesprochen. Die Zeitschrift „infopost“ der Bundeswehr
mit einer Auflage von rund 250.000 Exemplaren hat 14-20-jährige Jugendliche
im Visier (Schulze von Glaßer 2009a). Daneben zielt die Bundeswehr auf die
wichtigsten Jugendmedien: Regelmäßig werden Anzeigen im „SPIESSER“ geschaltet (kostenlose Zeitschrift für 14 bis 22-Jährige, Auflage 1 Million). Auch
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mit „BRAVO“, dem „Marktführer im Jugendmarkt“ (Bauer-Verlag) mit einer
Auflage von 470.000 Exemplaren, kooperiert die Bundeswehr eng. Über
„BRAVO“ können sich Jugendliche für die Bundeswehr-„Adventure Games“
bewerben. Auf ältere Jugendliche ist die Seite bundeswehr-karriere.de zugeschnitten. Hier wird offensiv für den „Arbeitgeber Bundeswehr“ geworben:
Überall blinkt dem Lesenden „Studium ohne Gebühren“ oder „Studieren und
verdienen“ entgegen.
Seit 2006 fährt ein Truck mit einem rollenden Informationszentrum auf einem
zivil blau lackierten Mercedes-Sattelschlepper durch die Republik – unter dem
Motto: „Sichern Sie sich einen der 20.000 Arbeitsplätze“. Ein Kino-Truck ist
meistens mit dabei. Die Jugendlichen dürfen auf einem „Motorrad der Feldjäger“ Platz nehmen. Waffen wie Panzer, Hubschrauber und Raketen werden
ausgestellt. Das Konzept ist darauf ausgerichtet, vor allem technik- und sportbegeisterte Jugendliche anzusprechen und zu werben. Allein für 2010 sind für
den „KarriereTreff Bw“ Ausgaben in Höhe von 1.400.000 Euro eingeplant. Alle zwei Jahre werden 1.200 Jugendliche zu den „Bundeswehr-Olympix“ eingeladen, wo u.a. Marinetaucher und Kampfschwimmer ihre „Künste“ zeigen.
Gewinnen können die Teilnehmenden z.B. eine Reise mit der Luftwaffe nach
Sardinien, um an der Übung „Überleben auf See“ teilzunehmen (Virchow
2009). Neben den sportlich Interessierten werden auch die musisch interessierten jungen Menschen dort abgeholt, wo sie stehen: Der Militärmusikdienst
und die Jugendmarketing-Abteilung der Bundeswehr bieten neuerdings das
„BW-Musix“ an, wo Preise bis zu 9.000,- Euro zu gewinnen sind und wo es
laut BW-Pressemitteilung darum geht „unaufdringlich mit[zu]teilen, dass die
Bundeswehr berufliche Möglichkeiten in vielen Bereichen bietet – vor allem
auch im Militärmusikdienst der Bundeswehr.“ Die Bundeswehr-BigBand gibt
es schon seit 1971 – in Bonn seinerzeit vorgestellt als „neue musikalische Geheimwaffe“, so die Website der Big Band. Wenn sie unterwegs ist, sind „Info-“
und „Karriere-Truck“ und die Wehrdienstberater meist nicht weit.
Während die Offensive an den Schulen in erster Linie der Verankerung von
militärischem Vorgehen als Konfliktstrategie und der Akzeptanzsteigerung für
Bundeswehr und Krieg dient, geht es auf Jobmessen für AbiturientInnen und
junge Berufssuchende direkt um Nachwuchswerbung: 2008 war die Bundeswehr auf insgesamt 41 Fachmessen präsent. Das „Zentrale Messe- und Eventmarketing der Bundeswehr (ZeMEMBw)“ rechnet für 2010 mit Ausgaben von
730.000,- Euro, die Zentren für Nachwuchsgewinnung (ZNwG) mit 640.000,Euro. Die Kostensteigerungen werden u.a. auch mit „einem erhöhten Bedarf
an Bewachungsdienstleistungen zum Schutz des Personals und Materials gegen
bundeswehrkritische Aktivisten“ begründet. Anfang 2010 unterzeichneten der
Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (Frank-Jürgen Weise, selbst
Fallschirmjäger und Oberst der Reserve) und der Bundeswehr-Beauftragte für
die Personalgewinnung einen Kooperationsvertrag. Inzwischen unterhält die
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Bundeswehr in mindestens elf Städten in den Arbeitsagenturen feste Büros für
„Wehrdienstberatungen“. In 850 Arbeitsagenturen werden regelmäßig Veranstaltungen der Bundeswehr durchgeführt. Arbeitslose treten überdurchschnittlich oft bei der Bundeswehr in Dienst. Die Initiative „JUKAM“ – „Junge Karriere Mitteldeutschland“ arbeitet vor allem für die Gewinnung von Zeitsoldaten, denn „viele junge Menschen werden erstmals im Zusammenhang mit ihrer Arbeitslosigkeit auf den Arbeitgeber Bundeswehr aufmerksam“ – so die
ARGE Leipzig in einer Pressemitteilung.
Die Rekrutierungswerbung setzt den Hebel Arbeitsplatzsicherheit an. Was als
„Ossifizierung“ (Michael Wolffsohn) der Bundeswehr verklärt wird, geht eher
in Richtung einer sozialen Wehrpflicht: Bei den unteren Dienstgraden stammen 60 Prozent der Soldaten im Einsatz aus den strukturschwachen Gebieten
der neuen Bundesländer (Cadenbach/Obermayer 2010). Jede/r, der oder die
sich anheuern lässt, stellt sich – den Botschaften aller Werbekampagnen zum
Trotz – in erster Linie für die Kriegführung zur Verfügung, denn das Personal
für die sog. Auslandseinsätze ist knapp. Jeder Zeit- und Berufssoldat muss für
den Einsatz – solange dieser nicht formal für verfassungswidrig erklärt wird –
zur Verfügung stehen.
3. Die Bundeswehr auf Akzeptanzsuche im öffentlichen Raum
Der Kampf um die „Herzen und Köpfe“ ist das zentrale Motiv für die offensive Selbstdarstellung der Bundeswehr im öffentlichen Raum. Hier geht es nicht
so sehr um Nachwuchswerbung, sondern um „Akzeptanzmanagement“. Für
öffentliche Militärrituale wurden im Jahr 2010 rund 500.000 Euro ausgegeben.
Vor allem Rituale wie Zapfenstreiche und Gelöbnisse sind auf emotionale Zustimmung ausgerichtet. Diese Herrschafts-Rituale stiften Identität nach Innen
und profilieren gleichzeitig das staatliche Gewaltpotential nach außen (Euskirchen 2005). Pseudo-religiöse Zeremonien und Überhöhungen – wie das Abspielen des Chorals „Ich bete an die Macht der Liebe ...“ beim Großen Zapfenstreich mit bewaffneten Truppen – versuchen vor allem, die Gefühlsebene
anzusprechen. Der Staat stellt sich als sinnstiftende Größe dar, für die zu
kämpfen und zu sterben sich lohne.
Im April 2010 kamen kurz hintereinander erst drei, dann vier Soldaten der
Bundeswehr im Gefecht um ihr Leben. In ihren Reden beschwören die politisch Verantwortlichen einen übergeordneten Sinn des Sterbens. Er wird herbeigeredet, indem vor allem Durchhalte- und Weitermach-Parolen ausgegeben
werden. „Wenn wir weiterkämpfen, war ihr Tod nicht umsonst“, wird den
Hinterbliebenen, der Bevölkerung und den Soldaten suggeriert. Neu eingeführte Orden und Ehrenzeichen für Tapferkeit im Kampf unterstreichen dies
(Nieth 2009): „Es ist symptomatisch, dass der Begriff ‚Gefechtsmedaille‘ gewählt wurde - ein kleines Zeichen dafür, wohin die Bundeswehr marschieren
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soll. Man kann daran eine neue Etappe der schleichenden Militarisierung der
Außenpolitik der Bundesrepublik erkennen.“ (Bald 2010) Die im „friendly fire“ gleichzeitig erschossenen sechs Soldaten der afghanischen Armee bekommen keine Orden und finden während der Trauerfeier keine Erwähnung. Erschossene oder verstümmelte „Feinde“ oder Zivilisten sind erst recht kein
Thema. Nationale Inklusion und rassistische Exklusion strukturieren die militärisch-staatliche Trauerpraxis und den diese begleitenden Diskurs.
Die militärischen Bemühungen um die Erneuerung von quasi-religiöser, staatlicher Sinnstiftung für den Soldatentod in Deutschland haben seit der Eröffnung des Ehrenmals am Bendlerblock, dem Sitz des „Verteidigungsministeriums“, im Jahr 2009 auch wieder einen zentralen Ort in der Hauptstadt. Das
Motto des soldatischen Töten und Sterbens ist an der Wand zu lesen: DEN
TOTEN UNSERER BUNDESWEHR FÜR FRIEDEN RECHT UND
FREIHEIT. Besucher der kalt und nüchtern ausgestatteten Ehrenhalle erhalten
die Broschüre „Das Ehrenmal der Bundeswehr“, wo es zum „Bronzekleid“, das
die Halle umgibt, heißt: „Bronze ist das ‚gebrochene Gold’, gewissermaßen die
Annäherung oder Vorstufe zu Gold, der höchstwertigen Farbe in der Farbsymbolik. (...) In die Bronzehülle sind halbovale Formen gestanzt (...) Die
halbovalen Öffnungen zitieren die Form der Erkennungsmarke, einer Blechmarke, die jeder Soldat im Dienst trägt. (...) Die halbovale Form wird damit
zu einem metaphorischen Ausdruck für den Tod und steht allumfassend für
Soldaten und Nichtsoldaten.“ (BMVg 2009) Die unzähligen ausgestanzten Erkennungsmarken stimmen in pathetischer Form auf neue Kriege mit Tausenden von Toten ein, während zu Guttenberg es auf kaum einer der Trauerfeiern
versäumt, darauf hinzuweisen, dass „wir“ uns an Tod und Sterben von Soldaten – „nicht nur in Afghanistan“ – wieder gewöhnen müssen.
Neben das Pathos der Totenfeiern tritt die aktive Ideologieproduktion und verbreitung: Seit den Balkankriegen in den 1990er Jahren versucht die Bundeswehr, alle Kampfeinsätze humanitär zu begründen. In Fällen schwerer
Menschenrechtsverletzungen werden Militärinterventionen als einzige und alternativlose Lösung vorgestellt. Oft müssen konstruierte Gräueltaten für die
Rechtfertigung von Kriegseinsätzen herhalten. Vor dem Irakkrieg 2003 behauptete Rafid Ahmed Alwan (Pseudonym Curveball), damals Asylbewerber in
Deutschland aus dem Irak, dort an Massenvernichtungswaffen mitgearbeitet
zu haben. Der BND griff die Mär auf, verbreitete sie und half der USRegierung damit maßgeblich, ihren Angriff auf den Irak zu begründen. Massenvernichtungswaffen wurden im Irak allerdings keine gefunden. Schon vorher, 1999, ließ der deutsche Verteidigungsminister den sog. Hufeisenplan – die
vermeintliche Blaupause für einen serbischen Militärangriff – erfinden, um den
NATO-Angriff auf Serbien zu rechtfertigen. Krieg als politisches Mittel wird in
den Legitimationsideologien immer verharmlosend dargestellt, als ginge es um
die Anwendung von Nothilferecht und als könnte punktgenau beim Gegner
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„das Böse“ ausgeschaltet werden: mit „chirurgischen Luftschlägen“, ferngesteuerten unbemannten Drohnen neuerdings. Opfer dieser „Operationen“ werden
als „Kollateralschäden“ verharmlost oder verschwiegen. Auch die UNO trägt
ihren Teil zur Kriegsrechtfertigung bei, indem sie, d.h. der Sicherheitsrat und
damit die tonangebenden Weltmächte, gewünschte Einsatzmandate produziert
und dann nicht selbst umsetzt, sondern komplett der NATO oder der EU übergibt. Diese deuten die Mandate nach eigenem Gutdünken aus oder lassen
die Grenzen verwischen zwischen mandatierten und eigenmächtigen Militäreinsätzen: So wurde in Afghanistan das ISAF-Mandat (International Security
Assistance Force) der UNO Schritt für Schritt in den nicht legitimierten OEFKrieg (Operation Enduring Freedom) integriert – bzw. umgekehrt. Auch ein
UN-Label macht Krieg nicht human(itär).
Aber nicht nur die Vorstellung vom Krieg wird orwellsch umgebaut, sondern
auch die Vorstellung von Soldat und Militär in der Gesellschaft. Einerseits
wird der Soldat in der Werbung der Bundeswehr nach wie vor als Aufbaubzw. Katastrophenhelfer, als Staatsbürger oder gar „Weltbürger in Uniform“
dargestellt und ein kriegsfernes Berufsbild suggeriert. Andererseits können die
wirklichen Anforderungen nicht völlig verborgen werden. Vor allem in Militärzeitungen, die über künftige Strategien, Wehrtechnik-Entwicklungen und
Ausrüstungsanforderungen berichten und deren Beschaffung empfehlen, wird
das konkrete Bild des Soldaten als Kämpfer dargestellt. Hiervon soll ein bestimmter Typus von Mann (vor allem) besonders angezogen werden. Die geheim operierende Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK – seit 2002 in
Afghanistan im Einsatz) setzt auf solche Bewerber. Da ist von Brunnenbohren
keine Rede mehr. So warnte die FAZ am 2.2.2008 in einem Kommentar
„Feigheit vor dem Bürger“ davor, zu sehr auf humanes Gesäusel zu setzen:
„So zu tun, als seien Auslandseinsätze nur eine militärisch aufgezogene Entwicklungshilfe, ist
Feigheit vor dem Bürger und schafft Illusionen, die unter den Angriffen unserer Feinde und im
Streit unter den Verbündeten schnell zusammenbrechen.“
Wolfgang Ischinger, Chef der „Münchener Sicherheitskonferenz“, spricht am
4.1.2010 Klartext:
„Soldaten werden dazu ausgebildet, Andere notfalls umzubringen – oder zumindest so zu bedrohen, dass diese es als glaubwürdig betrachten, umgebracht zu werden, wenn sie nicht das tun, was
man von ihnen erwartet. Das ist der Zweck. Wenn man das nicht braucht, dann kann man das
Technische Hilfswerk und die Polizei schicken.“
Der damalige Heeres-Inspekteur H.-O. Budde hatte schon 2004 festgestellt,
dass der „Staatsbürger in Uniform“ ausgedient habe und man für die Zukunft
„den archaischen Kämpfer und den, der High-Tech-Krieg führen kann“, brauche (Winkel 2004).
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4. Militarisierung des politischen Denken und Handelns:
Zivil-militärische Zusammenarbeit
Einer Verwendung des Militärs im Inland sind durch das Grundgesetz enge
Grenzen gesetzt, nicht zuletzt wegen der Erfahrungen mit Freikorps und
Reichswehr, die während und nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs auf
brutalste Weise gegen revolutionäre und demokratische Bewegungen vorgingen. Eine Brutalisierung der Innenpolitik liegt in der Logik solcher Einsätze,
da das Militär in viel geringerem Maße dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit
unterliegt, mit dem ja schon die Polizei im Zusammenhang mit ernstzunehmenden sozialen Protesten meist ihre Probleme hat. Daher darf nach immer
noch gültigem Rechtsstand die Bundeswehr im Innern nur entweder im Verteidigungsfall eingesetzt werden, wofür eine Zweidrittel-Mehrheit des Bundestages erforderlich wäre, oder – nach Artikel 87a, Absatz 4 des Grundgesetzes –
im Falles eines inneren Notstands. Ferner kann zur Katastrophenabwehr im
Rahmen von Artikel 35 logistische Amtshilfe durch die Bundeswehr geleistet
werden, sollten zivile Stellen nicht über ausreichend Kapazitäten verfügen. Allerdings beschränkte sich diese „Amtshilfe“ – eigentlich – auf nicht-militärische
Aspekte – etwa im Katastrophenfall. Gerade Artikel 35 wird jedoch zunehmend als Einfallstor missbraucht (Brendle 2009), um eine flächendeckende
Militarisierung der Innenpolitik in die Wege zu leiten. 2009 hat die Bundeswehr 44mal Amtshilfe geleistet. 1996 bis 1999 hatte jährlich noch je eine
Amtshilfemaßnahme ausgereicht. 2007 gab es 16, 2008 bereits 31 solcher Inlandseinsätze. Die Bundeswehr ist bei fast jeder Großveranstaltung mit dabei –
seien es internationale Gipfeltreffen, Fußball-Europa- und Weltmeisterschaften,
Staatsbesuche und Castor-Transporte. Im letzten Quartal 2009 hat die Bundeswehr beispielsweise im Auftrag der Polizei den Luftraum während des
Münchner Oktoberfests und anlässlich des tausendjährigen Domjubiläums in
Mainz überwacht (Antwort Kleine Anfrage, BT-Drs. 17/637, 2/2010). Vor dem
Hintergrund allgemeiner Sicherheitserwägungen, die als Begründung für derartige Einsätze herhalten, gewöhnt sich die Öffentlichkeit an den Anblick von
Soldaten, die als Freund und Helfer im Inland auftreten – so wie die Polizei.
Kritische Juristen sehen bereits eine „Periode des permanenten Ausnahmezustands“ heraufziehen (so Rolf Gössner auf der Jahrestagung der Informationsstelle Militarisierung, IMI, im Winter 2009 in Tübingen).
Derzeit werden die gesetzlichen Grundlagen für „echte“ Militäreinsätze gegen
die eigene Bevölkerung entwickelt: Das Bundesverfassungsgericht verwarf zwar
im Jahre 2009 das Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss entführter Flugzeuge und damit die Tötung von Zivilbevölkerung billigend in Kauf nimmt, noch
in großer Deutlichkeit. Doch die Bundesregierung interpretierte den Urteilsspruch aus Karlsruhe zu einem Auftrag für eine Grundgesetzänderung um, die
weitere rechtliche Barrieren für Bundeswehreinsätze im Inland beseitigen wür-
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de. Angesichts der immer lascheren Trennung von Polizei und Geheimdiensten, etwa im Rahmen der neuen Befugnisse für das Bundeskriminalamt und
der zunehmenden Militäreinsätze im Inneren lässt sich vom Aufbau einer
neue Sicherheitsarchitektur sprechen: Eine „Strukturveränderung im Staatsgefüge“ (Gössner) findet statt. Insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen
Geschichte erscheint dies vielen noch als Tabubruch. Daher gewinnen die
niedrigschwelligen Militäreinsätze im Rahmen von zivil-militärischer Zusammenarbeit und Amtshilfe ihre nicht zu verachtende „volkserzieherische“ Wirkung im Hinblick auf weitergehende strategische Vorstellungen der Militärpolitik. Schon die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2003 und später das
Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahr 2006 formulierten die Forderung
nach der Aufhebung der Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit.
Zudem erlaubt Artikel 222 des Vertrags von Lissabon („Solidaritätsklausel“)
endgültig den Militäreinsatz zur Terrorabwehr im EU-Inland.
Der rasante Zuwachs gerade in den letzten zwei Jahren dürfte nicht zuletzt auf
die Tätigkeit der neu eingerichteten Strukturen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) in den Kommunen zurückzuführen sein. Sie findet nach
„Außen“ hin statt in Form von Kooperationen mit Besatzungsregimen und
entwicklungspolitischen bzw. humanitären NGOs wie in Afghanistan (Gebauer 2010a). Sie erfolgt auch nach „Innen“, wo sie gegenwärtig eines der zentralen Elemente gesellschaftlicher Militarisierung darstellt (Feininger 2009). Dazu
wurden in letzter Zeit systematisch Strukturen zivil-militärischer Stellen in der
Bundesrepublik aufgebaut. Eine „flächendeckende Militarisierung Deutschlands“ erfolgt derzeit vor allem über die oben bereits angesprochene ZivilMilitärische Zusammenarbeit im Inland (ZMZ-I). So ist die Republik seit 2007
mit einem Netz von 441 zivil-militärischen dezentral angelegten Kreis- und
Bezirksverbindungskommandos (KVK, BVK) mit 5.300 Dienstposten überzogen worden. In diesen Kommandos sind generell auch Soldaten tätig. 785 Reservisten der Bundeswehr und 489 zivile Mitarbeiter der Katastrophenstäbe
erhielten bis Juli 2009 gemeinsame Schulungen in der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz. Die Reservisten in den Verbindungskommandos bei Kommunen und öffentlichen Stellen sehen sich für eine
Koordination ziviler und militärischer Stellen im Falle von „Großschadensereignissen“ zuständig, was man als die Militarisierung der Notstandsbürokratie
bezeichnen könnte. In den vergangenen Jahren ist damit eine bundesweite militärische Stabsstruktur geschaffen worden, deren Aufgabe nicht der Auslandseinsatz oder die Landesverteidigung, sondern der Inlandseinsatz darstellt.
Diese ständige Struktur kann mit Hilfe von ReservistInnen auf bis zu 100.000
Mann erweitert werden. Sie kam u.a. bereits bei den Protesten gegen den
NATO-Gipfel in Strasbourg zum Einsatz – ein Hinweis darauf, was hier wogegen „geschützt“ werden soll (Bräutigam 2009). Die Grenzen zwischen den ursprünglich getrennten Institutionen Katastrophenschutz (auf Friedenszeiten
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bezogen) und Zivilschutz (auf Kriegssituationen bezogen) verschwimmen; Orientierungspunkt ist Aufstandsbekämpfung.
Terrorismus, Weiterverbreitung von Atomwaffen, zerfallende Staaten, Unterbrechung von Rohstoffzufuhren oder -transportwegen, Flüchtlingsströme: So
oder so ähnlich benennen die aktuellen Militär-Strategien und mittlerweile
auch Regierungsvertreter die aktuellen „Risiken“. Es geht offen und unverblümt um wirtschaftliche und geostrategische Interessen und um die Aufrechterhaltung eines Rahmens von „Sicherheit und Ordnung“ für deren
Durchsetzung. Der Zusammenhang von regionaler Sicherheit und deutschen
Wirtschaftsinteressen müsse „offen und ohne Verklemmung“ angesprochen
werden, so Guttenberg weiter auf der Berliner Sicherheitskonferenz – am 9.
November 2010. Allerdings herrscht innerhalb der Bundeswehr, des zuständigen Ministeriums und einiger anderer Sicherheitsgremien in wichtigen Fragen
auch Uneinigkeit. Es lässt sich nur mutmaßen, wie hart intern gestritten wird.
Die wohl wichtigste Auseinandersetzung hängt mit der von Guttenberg angekündigten Umstrukturierung der Bundeswehr zusammen. Im Kern handelt es
sich um eine Auseinandersetzung zwischen ModernisiererInnen, die die Truppe effizienter als global operierende Eingreiftruppe aufstellen und Zeit- und
Berufssoldaten von der aufwendigen Betreuung der Wehrpflichtigen entbinden
wollen, und IntegrationistInnen, die die Bundeswehr durch die Wehrpflicht
tief in der Gesellschaft verwurzeln wollen. Tatsächlich wird sich die Struktur
und das Auftreten der Bundeswehr ohne Wehrpflicht massiv verändern.
Zusätzlich zu dieser aktuellen Auseinandersetzung gibt es schon länger Streit
um die weitere Konzeption der Auslandseinsätze bzw. der Ausrichtung der
strategischen Partnerschaften. Auf EU-Ebene wird diskutiert, Armeen der einzelnen Mitgliedsstaaten zu verschmelzen. Es gibt Szenarien, in denen Deutschland keine eigenständige Marine mehr unterhält. Auch das Festhalten an der
Partnerschaft zu den USA oder eine stärkere Einbeziehung Russlands in militärische Strukturen ist in der Diskussion. Und dann ist da noch die Debatte
um die Medienstrategie zum Krieg in Afghanistan. Während Teile der Bundeswehr eine eindeutigere Benennung der afghanischen Verhältnisse als Krieg
fordern und von der Politik mehr Rückendeckung z.B. für gezielte Tötungen
erwarten, fürchten die auf ihre Wiederwahl schielenden PolitikerInnen derartige Positionierungen. Denn die Militarisierung der Gesellschaft ist bei weitem
nicht so allgemein akzeptiert, wie ihre Geschwindigkeit es glauben macht.
Auch der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler nach seinen Aussagen
zum Afghanistan-Krieg war ein Hinweis in dieser Richtung. Hatte er doch nur
ausgesprochen, was für einige längst klar war, nämlich dass Krieg ein legitimes
politisches Mittel sei, ökonomische Interessen durchzusetzen. Was in Weißbüchern, sicherheitspolitischen Richtlinien und antimilitaristischen Aufrufen
seit Jahren zu lesen ist, scheint gesamtgesellschaftlich immer noch nicht angekommen zu sein.
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5. Friedensbewegung und Antimilitarismus:
Zivile Konfliktbearbeitung, Politische Bildung, Sabotage
und Kriegsdienstverweigerung
Der uneinheitlichen Front der Militarisierer stehen die Reste einer zu Zeiten
des Kalten Kriegs wesentlich breiteren antimilitaristischen und FriedensBewegung gegenüber, die ihre Proteste und Widerstandshandlungen dort direkt gegen die Bundeswehr richten kann, wo diese aufgrund der beschriebenen
Entwicklungen zunehmend konkret greifbar ist. Gesellschaftliche Militarisierung kommt hier komplementär zum Ausdruck in den Initiativen und Kämpfen, die sie hervorruft. Dabei zeigen die vielen kleinen Rückzieher der Bundeswehr bei öffentlichen Bundeswehrveranstaltungen oft schon nach der alleinigen Ankündigung von Protesten, dass antimilitaristisches und friedenspolitisches Engagement Einfluss auf Tempo und Ausgestaltung von Militarisierungsprozessen hat. Wie alle anderen gesellschaftlichen Entwicklungen ist Militarisierung kein linearer Prozess, der übermächtig immer weiter voranschreitet. Die folgende Darstellung solcher Initiativen soll weder Vollständigkeit beanspruchen, noch die einzelnen unterschiedlichen Formen des Widerstands
und Protests werten, eine umfangreiche Wirkungsanalyse würde den Rahmen
des vorliegendes Textes sprengen. Der Text kann hier nur Schlaglichter werfen.
Unter „ziviler Konfliktbearbeitung“ beispielsweise verstehen die Akteure der
Friedensbewegung etwas anderes als zivil-militärische Zusammenarbeit (FinckhKrämer/Finckh 2006). Bürgerinnen und Bürger wollen mehrheitlich keine
Kriegspolitik. Das versuchen friedenspolitische Basisinitiativen zum Ausdruck
zu bringen und den politischen Eliten eindrücklich vorzuführen. Ihnen geht
es darum, das Ausmaß militärischen Konfliktaustrags zurückzudrängen, lokale
und regionale Friedenskonferenzen zu installieren, Methoden von Mediation
und Vermittlung zu verbreiten, verstärkt internationales Recht durchzusetzen,
drohende Konflikte präventiv zu deeskalieren, durch die globalen sozialen Bewegungen eine Kultur der Anerkennung, der sozialen Gerechtigkeit und Teilhabe und des Friedens aufzubauen und die internationale Kriegsdienstverweigerung zu stärken, so dass kriegerische Politik erschwert, zurückgedrängt und
vielleicht eines Tages undurchsetzbar wird (Galtung 2007).
Neben den friedenspolitischen Basisgruppen gibt es bei Überschneidungen
auch Initiativen, die über die Ideologieproduktion der Bundeswehr und der
kriegführenden Regierungen (Stichwort „humanitäre Einsätze“, neuerdings:
„Responsibility to Protect (R2P)“) aufklären. Der Info-Dienst bundeswehrmonitoring.de bietet beispielsweise Basisinformationen zu allen Aspekten und
Bereichen der Bundeswehr, Berichte zu sicherheitspolitischen Ereignissen und
Hintergrunddokumente. Die Zusammenschau zeigt: Interventionsleitend sind
vor allem nationale bzw. internationale wirtschaftliche oder geostrategische Interessen. Schulen und andere Orte, an denen Jugendliche berufliche Orientie-
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rung suchen, sind wie oben dargelegt, ein herausragendes Ziel für Einflussnahme und Rekrutierungsarbeit der Bundeswehr. Auch hier haben sich friedenspolitische Initiativen gebildet, die dem entgegenwirken. So werden Unterrichtsmaterialien erstellt, die zur Gegenaufklärung eingesetzt werden können.
Aus dem gewerkschaftlichen Spektrum kommen Proteste und Aktionen gegen
die das soziale und das militärische verklammernden Propaganda-Auftritte der
Armee in Schulen, in Arbeitsämtern, auf öffentlichen Plätzen (Labournet
2010). Die GEW stellte im März 2010 ein Positionspapier vor, in dem sie sich
gegen den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die Lehrerausbildung
ausspricht, weil sie eine Gefährdung der Erziehungsziele Demokratisierung,
Kritikfähigkeit, Gewaltfreiheit und Toleranz durch Kooperationsverträge zwischen Bundeswehr und Kultusministerien sieht (GEW 2010). Vielerorts übersetzen AktivistInnen diese Positionen und Forderungen in konkrete Aktionen,
über die die Internetseiten bundeswehr-wegtreten.org und kehrt-marsch.de informieren und berichten. Dort finden sich auch Termine bevorstehender
Bundeswehr-Werbeauftritte an Schulen, bei Messen, des KarriereTreff-Trucks
sowie von öffentlichen Auftritten wie Gelöbnissen, Zapfenstreichen, Waffenschauen usw. Orientierung in der vielfältigen Landschaft der Friedensbewegung bietet friedenskooperative.de, die Internetseite des Bündnisses von rund
50 Friedensinitiativen.
Eine andere Form des Widerstands gegen Militarismus und Krieg sind Aktionen der „Sabotage“. Ostern 2009 etwa erklärten sich Antimilitaristen verantwortlich für einen Brandanschlag auf den Fuhrpark der Offiziersschule der
Bundeswehr in Dresden. Das Feuer zerstörte einen Hangar und mehrere Dutzend Fahrzeuge und verursachte laut Bundeswehr einen Schaden von 3,3 Millionen Euro, ohne dass dabei Menschen verletzt wurden. Das Ereignis zog ein
enormes Medienecho nach sich. „Der Anschlag habe die Bundeswehr ‚schon
sehr getroffen‘, erklärte der Kommandeur. Er sprach von einer Qualität, die es
so ‚in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben‘ habe“ (Recherchegruppe Ost 2010). Für 2009 verzeichnet das Bundeskriminalamt bzw. der
Spiegel zwölf Brandanschläge gegen ein oder mehrere Fahrzeuge der Bundeswehr und zwanzigmal gegen Fahrzeuge der Deutschen Post oder ihres Tochterunternehmens DHL, das ausgelagerte militärische Transportlogistik im Irak
und in Afghanistan übernimmt. (Berg/Hollersen/Stark/Ulrich 2010).
Zu den klassischen Mitteln gegen Krieg und Militarisierung gehören Kriegsdienstverweigerung und Desertation. Die neuen verfassungs- und völkerrechtswidrigen Kriege der Bundeswehr sorgen dafür, dass Kriegsdienstverweigerung
(KDV) auch über die Aussetzung der Wehrpflicht hinaus aktuell bleiben wird.
Die Entscheidung zur KDV kann an unterschiedliche Motivationslagen nicht
nur von Jugendlichen, sondern auch von Soldaten im Einsatz anknüpfen. Es
gibt ein breites Netz von Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerer. Informationen bereitet zentralstelle-kdv.de auf. Auch Bundeswehrsoldaten können
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generell und zu jeder Zeit verweigern. Sie haben außerdem die Möglichkeit,
aus Gewissensgründen einem konkreten Befehl gegenüber den Gehorsam zu
verweigern. Major Pfaff war wegen seiner Verweigerung der Beihilfe zum IrakKrieg zunächst degradiert worden, hat dann aber vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht bekommen. Die Bundeswehr ist verpflichtet, einen Soldaten, der
sich aus Gewissensgründen weigert, einen Befehl auszuführen oder sich an einem bestimmten Krieg zu beteiligen, eine „gewissensschonende Alternative“
anzubieten, also eine Versetzung vorzunehmen. Er darf im Fall einer partiellen
Weigerung weder entlassen noch degradiert werden (Komitee 2006).
Gesellschaftliche Militarisierung verkürzt die Interessen und Bedürfnisse der
meisten Menschen national bzw. in den Bündnisgrenzen und benutzt sie instrumentell als Rechtfertigung zur militärischen Verteidigung von Wohlstandsinseln. Statt etwa das Hungerproblem der Welt strukturell anzugehen, suchen
die Interessenvertreter der westlich-reichen Staaten nicht nur ihre Rohstoffinteressen abzusichern und dazu weltweit strategische Stützpunkte und gefügige
Regime einzurichten, sondern insgesamt den global-kapitalistischen Status
Quo aufrecht zu erhalten. Die wesentlichen globalen Problemfelder werden in
militärischer Logik interpretiert. Aber auch Vertreter nicht-militärischer Ansätze müssen sich mit der Realität einer gesellschaftlichen Umwelt, die von Kapitalismus, Staatenkonkurrenz, inner- und zwischenstaatlichen Herrschaftsverhältnissen etc. geprägt ist, auseinandersetzen. Dabei stellt sich die Frage, was
überhaupt an Konfliktlösungs- oder auch nur -bearbeitungsstrategien möglich
ist und wie viel Aufmerksamkeit und Energie gleichzeitig auf die Transformation dieser Umwelt zu richten ist. Ein weiteres friedenspolitisches Dilemma ist
zu berücksichtigen: Wenn zivile Lösungsansätze in einer Interventionssituation
hinzugedacht werden – ob aufgrund von Druck seitens der Friedensbewegung
oder aufgrund interventionistischer Effizienzüberlegungen militärischerseits, sei
dahingestellt –, dann finden sich die zivilen Mittel wieder in Unterordnung
unter die militärischen Optionen, als sogenannte zivil-militärische Zusammenarbeit. Die Ausweitung der zivil-militärischen Zusammenarbeit bei der Bundeswehr und in der NATO sind Ausdruck der neuen Ideologie der „Vernetzten Sicherheit“, die behauptet, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr
zu trennen seien (Gebauer 2010b). Damit werden zivile Initiativen und Organisationen verstärkt in militärische Gesamtstrategien eingeordnet und im
Rahmen dieser ge- und benutzt. Eigenständige zivile Konfliktlösungsansätze
und die ihnen vorgelagerten Protest- und Widerstandsbewegungen müssen
ständig auf der Hut sein vor Vereinnahmung für machtpolitische Ziele und
deren Durchsetzung mit militärischen Mitteln.
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