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Kampagne / Campaigning

2005, Handlexikon Public Affairs

114-119

ISSUES MANAGEMENT Kampagne / Campaigning Eine politische Kampagne ist eine zu‐ sammenhängende Serie von Kommunika‐ tionsereignissen und Aktionen, um in einem bestimmten Zeitabschnitt ein politisches Ziel zu erreichen. Kampagnen müssen unter Einbeziehung des aktuellen politischen Kontextes, der Stimmung der Zielgruppen und Medien sowie der aktu‐ ell zur Verfügung stehenden Ressourcen konzipiert werden. Kampagnen verbin‐ den einen öffentlich sichtbaren Teil mit großem werberischen Anteil in Massen‐ und Zielgruppenmedien mit einer Viel‐ zahl von organisatorischen und logisti‐ schen Arbeiten. Der Begriff stammt aus der französisch‐ lateinischen Bezeichnung für den Feld‐ zug, einen nach Zeit, Raum und militäri‐ schem Ablauf abgrenzbarer Teilabschnitt eines Krieges. Später wurde der Begriff militärisch auch als Ausdruck für Aktio‐ nen der psychologischen Kriegsführung gebraucht. Kampagne bezeichnet auch die Betriebsdauer metallurgischer Öfen zwischen An‐ und Ausblasen sowie die Hauptarbeitszeit in Saisonbetrieben, die häufig nur wenige Wochen oder Monate währt z.B. Zucker‐K., Obst‐K. . Diese etymologische Verwandtschaft zu Krieg, schmelzendem Metall und Erntezeit belegt die geplante Intensität, die mit einer Kampagne verbunden wird – und dass es darum geht, etwas zu gewinnen. Allgemeine Prinzipien der Kampagnen‐ führung lassen sich sogar jenseits konkre‐ ter Kampagnen zu einem allgemeinen Managementkonzept erheben z.B. Kon‐ zept Business Campaigning des früheren 110 Greenpeace‐Profis und heutigen Schwei‐ zer Unternehmensberaters Peter Metzin‐ ger . Terrain und Gegner. Wie ihr militäri‐ sches Pendant geht es bei einer politi‐ schen Kampagne um Terrain, das inner‐ halb einer Zeitspanne von mehreren Monaten zu verteidigen oder zu erobern ist, und einen Gegner, der niederzuhalten, zu schlagen und zu vertreiben ist. Das Herz einer politischen Kampagne ist die Kommunikation mit dem Bürger. Sie soll bei den für eine Botschaft emp‐ fänglichen und erreichbaren Menschen eine gewünschte Wahrnehmung schaffen oder ausbeuten, um eine Mehrheit zu einer politischen Entscheidung zu brin‐ gen: für einen Kandidaten oder eine Partei zu stimmen – oder gegen ihre Gegner. Oder aber im Fall von Sachkam‐ pagnen Unterstützung zu leisten: finanzi‐ elle, kommunikative oder organisatori‐ sche Unterstützung, um Entscheidungs‐ gremien unter Druck zu setzen. Zu den politischen Kampagnen gehören auch allgemeine Imagekampagnen sowie Aufklärungs‐ und Informationskampag‐ nen mit politischen Inhalten z.B. im Rahmen der Regierungskommunikati‐ on oder Verbandskommunikation . Diese zielen meist auf eine Einstellungs‐ oder Verhaltensänderung bei den Ziel‐ gruppen. Sie werden vorrangig durch Werbung, Erstellung und Verteilung von informativen Materialien umgesetzt. Ein Gegner wird hierbei selten defi‐ niert, bestenfalls im Sinne einer Apathie oder einem nicht ausreichenden Informa‐ Althaus, M. (2005). Kampagne / Campaigning. In M. Althaus, M. Geffken & S. Rawe (Hg.), Handlexikon Public Affairs (S. 114-119). Münster, Berlin: Lit. KAMPAGNE tionsstand der Zielgruppen. „Apathie“ oder „Ignoranz“ aber schlägt nicht zurück. Insofern fehlt dann der eigentlich konsti‐ tutive aktive Gegenspieler. In der Regel gibt es auch hier einen oder mehrere reale Gegner, jedoch weniger sichtbar oder in einem weniger polarisierten Umfeld. Eine Möglichkeit ist, dem Problem, das im Zentrum der Kampagne steht, ein Gesicht zu geben – indem die Verantwort‐ lichen beim Namen genannt werden. Die Methode, Konzernchefs moralisch für die Sünden ihrer Konzerne verantwortlich zu machen und persönlich – auch im Bild Personalisierung – an den Pranger zu stellen, ist die Konsequenz des Verständ‐ nisses der Kampagne als öffentliche Konfrontation. Diese spektakuläre Me‐ thode sorgt für öffentlichen Druck, Argu‐ mente können nicht mehr ignoriert werden, Informationen prallen nicht mehr an Wahrnehmungsschranken ab. Kern der Idee ist, mit professioneller Kommunikation den Kreis derjenigen zu erweitern, die an einer direkten Konfron‐ tation Anteil nehmen können Green‐ peace‐Konzept des „Bearing witness“, Zeugnis ablegen: die Kameras zeigen, was Umweltsünder „heimlich“ tun wollten, bevor sie dabei gestört wurden – oft an abgelegenen Orten . Wahlkampf. Wahlkampf‐Kampagnen Electioneering sind ihrer Natur nach stark personen‐ und parteienzentriert; sie richten sich nach den für sie geltenden rechtlichen, zeitlichen und finanziellen gesetzlichen Regelungen und fokussieren ganz auf die Erzielung eines möglichst hohen Stimmenanteils an einem Wahl‐ termin. Damit ist auch ihr Ende vorgege‐ ben. Der Beginn einer Wahlkampagne ist dagegen relativ frei, allerdings sind aufgrund gesetzlicher Vorgaben nicht alle typischen Wahlkampfinstrumente ver‐ fügbar z.B. kostenlose Ausstrahlung von Spots im öffentlich‐rechtlichen Rundfunk, Aufstellung von Wahlplakaten auf den Straßen, Auszug aus dem Einwohnermeldregister für Wahlwerbe‐ zwecke . Wahlkampfähnliche Kampagnen. Ähn‐ lich wie Wahlkämpfe sind politische Kampagnen im Rahmen einer Auseinan‐ dersetzung um ein Bürger‐ oder Volksbe‐ gehren oder einen Bürger‐ oder Volksent‐ scheid auf einen Tag der Abstimmung orientiert. Für sie gelten ebenfalls zahl‐ reiche Regularien, jedoch vorwiegend beim örtlichen oder Landeswahlleiter mit Bezug auf die für das jeweilige Plebiszit notwendigen Unterschriftensammlungen von Unterstützern. Parteiprivilegien im Wahlkampf sind hier in der Regel nicht nutzbar, teilweise stellen die staatlichen Stellen aber kostenlose Informations‐ plattformen zur Verfügung. Die Kommu‐ nikation ist freier in ihrer Gestaltung. Typisch für Kampagnen im Zusammen‐ hang eines Referendums ist, dass die Initiative von einem Bündnis verschiede‐ ner Gruppen ausgeht, meist aus dem Nonprofit‐Bereich NGO‐Management . Zum Teil übernehmen Parteien oder Gewerkschaften wichtige organisatori‐ sche und kommunikative Funktionen solcher Kampagnen. Andere politische Sachkampagnen, die klar für oder gegen eine Sache in einem Konfliktfeld Stellung nehmen und ent‐ sprechende Inhalte propagieren, sind deutlich freier in ihrer Gestaltung, können allerdings ebenfalls nicht auf typische Parteiprivilegien im Wahlkampf zurück‐ 111 KAMPAGNE greifen. Ihr Ende ist auch nicht förmlich vorgegeben, sondern hängt von Zweck und Ziel der Kampagne ab. Kampagnen von Nonprofit‐ und Nichtregierungs‐ Organisationen laufen häufig längere Zeit als Mittel der Bindung und Mobilisierung von Mitgliedern, Sympathisanten und Spendern; mangels finanzieller Ausstat‐ tung ist der Anteil politischer Werbung dann eher gering, während Aktions‐ und Kommunikationsformen sozialer Bewe‐ gungen eine größere Rolle spielen. Dage‐ gen setzen Unternehmen und Wirt‐ schaftsverbände bei politischen Kampag‐ nen häufig auf einen hohen werberischen Anteil Anzeigen, Spots . Sozial‐ und Wohlfahrtsverbände stehen mit ihren Kampagnen meist dazwischen. Noch selten ist in Deutschland die Interessen vertretende Kampagne in Form des Grassroots Lobbying. Konzeptionelle Ziele. Nicht wenige Kampagnen sind konzeptionell unterent‐ wickelt und sind am Ende nur eine Serie ungeplanter Reaktionen auf unvorherge‐ sehene Ereignisse. Ihr Ergebnis hängt vollständig von äußeren Umständen ab. Ihnen fehlt jede Definition, jeder Fokus, jede Strategie. Gute Kampagnen als Kommunikations‐Feldzüge müssen geplant Aufmerksamkeit erregen, eine einheitliche Botschaft in Bild und Wort präsentieren, den Kandidaten, die Partei oder die Sache klar von den Wettbewer‐ bern unterscheiden und als wichtigstes Ziel die Wiederholung ihrer Kontakte in den entscheidenden Zielgruppen der angenommenen Koalition der Zustim‐ menden anstreben. Die Schlüssel zum Erfolg sind die Inten‐ sität einer Botschaft und die Intensität des Kontakts – sprich Wiederholung. 112 Kampagnen funktionieren vor allem dann, wenn es eine Wahl für den Bürger gibt: entweder einen tatsächlichen Ur‐ nengang mit einer Entscheidung zwi‐ schen Parteien oder Kandidaten, oder eine Entscheidung, die öffentlich wie eine Abstimmung definiert und beeinflusst werden kann. Aus diesem Grund muss jede Kampagne ihre zentrale Botschaft meist zweigeteilt formulieren: eine für die eigene Sache, eine gegen den Gegner. Phasen. Jede Kampagne durchläuft mehrere Phasen. Wo eine Phase beginnt und wo sie endet, ist nicht immer genau zu sagen. Aber: In jeder Phase gibt es typische Kommunikations‐Aktivitäten. Diese reduzieren den Vorrat an Ressour‐ cen Zeit, Geld, Personal in unterschied‐ licher Weise und Höhe. Eine Kampagne hat mehrere Phasen, weil die Wähler und Bürger, mit denen sie kommunizieren soll, mehrere Phasen durchlaufen. Der Wähler muss den Urhe‐ ber einer Botschaft wahrnehmen, dann kennen lernen, dann seine Botschaft anhören, und allmählich zu einer Bewer‐ tung dieser Botschaft kommen. Dieser Prozess braucht Zeit. Zudem wird er immer wieder unterbrochen, so dass er immer neu verstärkt werden muss. Und: Die Menschen hören nicht alle glei‐ chermaßen und nicht alle immer gleich‐ mäßig zu. Sie schenken einer Kampagne mal Aufmerksamkeit, mal nicht, und sie überlegen sich auf unterschiedlichste Weise und zu unterschiedlichen Zeit‐ punkten, was sie davon halten. Nach einer intensiven Recherche‐ und Aufbauphase beginnt jede Kampagne mit ihren ersten Versuchen, Interesse an ihrem Kandidaten oder für ihre Sache zu wecken und ein Image zu formen. Sie KAMPAGNE muss die Menschen mit einem Ereignis auf den Beginn einer Kampagne aufmerk‐ sam machen – also auftauchen und sicht‐ bar werden, ihre Gesichter, ihre zentrale Botschaft und Grundrichtung sowie ihre prominenten Unterstützer einführen, eine Beziehung als Kampagne mit den Medien aufbauen, einen Kampagnen‐Stil als eine Art Markenzeichen etablieren und ein dominantes Konfliktthema in den Mittelpunkt rücken. Eine Kampagne kann aus der Sicht des Bürgers als Lernen in Etappen gesehen werden. Verschiedene Themen werden eingeführt und genutzt, um das zentrale Image zu unterstützen und einen Kontrast herzustellen. Zeit‐ gleich werden Organisation und Finanz‐ apparat auf Hochleistung getrimmt, um die Kommunikation auf den Höhepunkt der letzten Wochen vor dem Ende einer Kampagne zu bringen, wenn ein größerer Teil der Unentschiedenen erst beginnt, zum Zweck der Entscheidung Informatio‐ nen wahrzunehmen. Selbstinszenierung. Da sich viele Medi‐ en stärker für das Wie der Kampagnen als für die angesprochenen politischen Themen interessieren, werden Kampag‐ nen teilweise mit erheblichem Anspruch an die Selbstinszenierung geplant. Die Tendenz, den sportlichen Wettstreit der Kampagnenteams in einer „Olympiade der Demokratie“ Peter Grafe in den Mittelpunkt der Berichterstattung zu rücken, gibt es seit Jahrzehnten. Erst in den er Jahren wurde dies aber von den Wahlkämpfern systematisch genutzt, insbesondere von Oppositionsparteien, die damit ihren Anspruch auf den Macht‐ wechsel und ihre Modernität untermau‐ erten. Beispiele dafür sind die Wahlkämp‐ fe Demokraten/Clinton/USA , Blair/New Labour/Großbritannien , Schröder/SPD , Aznar/PP in Spanien und Berlusconi/Forza Italia . Strategische Themenwahl. Oft unter‐ schätzt wird gegenüber dem Verhalten und Stil der Spitzenkandidaten die Rolle von Sachfragen und die strategische Auswahl von ein bis drei Hauptthemen, die in Wahlkampagnen eng mit der Glaubwürdigkeit, dem Profil und der Führungsrolle des Spitzenkandidaten verbunden sind. Tatsächlich entscheiden sich Wahlen oft weniger an der Auseinandersetzung zwischen Parteien an nur einem Themen‐ kreis als vielmehr an dem Kampf zwi‐ schen den Parteien, welches Thema in der Auseinandersetzung dominieren soll. Die Partei mit einer strukturellen Zustim‐ mungsmehrheit bei diesem Thema hat eine größere Chance auf den Sieg. Kam‐ pagnen dienen daher dazu zu definieren, um was es bei einer Wahl geht. Sie setzen also den Entscheidungsrahmen für den Bürger, nicht nur die einzelnen Entschei‐ dungsalternativen. Die Bundestagswahl und die US‐Präsidentschaftswahl 4 sind dafür wichtige Beispiele. Die Zeiten der „Materialschlacht“ sind in den auf eine Vielzahl von Medien und Zielgruppen abgestellten überregionalen Kampagnen weitgehend vorbei. In die flächendeckende Werbung fließt zwar typischerweise noch der Großteil der Etatmittel, doch setzen Kampagnen meist auf redaktionelle Beeinflussung Public Relations . Effektive und intelligent gestaltete Kampagnen konzentrieren sich taktisch darauf, im täglichen Wettlauf einen Vorteil in der Berichterstattung zu gewinnen bessere Motive, Interviews, Aktionen, Redeausschnitte Daher kommt 113 KAMPAGNE der aktuellen Interpretation der Nach‐ richten Spin und der Gegnerbeobachtung große Bedeutung zu. Die Steuerung wird z.T. in besonderen Stäben Kampagnenzentrale, War Room geleistet, die für die Kampagne ad hoc und temporär eingerichtet werden. Dazu gehören Spezialisten, externe Berater und meist auch eine Reihe freier Mitarbeiter und ehrenamtliche Kräfte. Die Gefahr in diesem taktisch geprägten Ansatz ist, dass die politischen Botschaften der Kampag‐ ne ausfransen beim Versuch, immer wieder News zu produzieren und Kontra zu geben. Tempo und Timing sowie geschmeidige Krisenkommunikation werden wichtiger als eine konsistente Grundbotschaft – die typische Falle für von Pressesprechern geprägten Kampag‐ nen, die ausschließlich im Nach‐ richtenzyklus der Medien denken und versuchen, die TV‐Aufmacher des Abends und Schlagzeilen des nächsten Morgens in die eigene Richtung zu lenken. Wenn dies auf Kosten der eigenen Konsistenz geht, und wenn sich eine Kampagne so von den für sie zentralen Gewinnerthemen ablen‐ ken lässt, nur weil sie immer wieder kurzfristig Kapital aus einer Nachrichten‐ lage schlagen will, tut sie dies auf eigene Gefahr. Darüber hinaus gehende Strategien versuchen, den Kontext – also das Terrain – der politischen Entscheidung der Bür‐ ger oder sonstigen politischen Adressaten zu besetzen. Ihr größtes Kapital ist das Wissen über den Unterschied zwischen kurzfristigen Stimmungen und mittel‐ bis langfristigen Einstellungen der Menschen, 114 die durch bestimmte Themen angespro‐ chen werden und auf jeden Fall ange‐ sprochen werden müssen. Strategisch angelegte, insbesondere mehrjährige aufs Grundsätzliche zielende Kampagnen wie z.B. die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ können nur dann erfolgreich sein, wenn sie Grund‐ konflikte und Ideale der Gesellschaft aufgreifen und in Verbindung mit neuen Themen zu bringen versuchen. Bei der Themenwahl für Kampagnen stellen sich eine Reihe von Fragen: nach der Priorität und Rangfolge auf der öffentlichen Agenda; nach dem Charakter als proaktive oder reaktive Positionie‐ rung der Kampagne; die Verklammerung mit anderen, größeren Themen in der Debatte; die Betroffenheit von Zielgrup‐ pen; danach, ob schon andere Organisati‐ onen das Thema für sich entdeckt haben; welche Ressourcen, Verbündete und Botschafter zur Verfügung stehen; das allgemeine Meinungsklima, die Prädispo‐ sition der Journalisten, Redaktionen und Medieneigentümer; die Reaktion von Interessengruppen; die Möglichkeit der Mobilisierung der Anhänger und Mitglieder für das Thema. MARCO ALTHAUS Marco Althaus . Kampagne! Neue Strategien für Wahlkampf, PR und Lobbying. Münster. Ders. und Vito Cecere . Kampagne! . Münster. Michael Behrent, Peter Mentner . Campaigning. Werbung in den Arenen der Öffentlichkeit. Münster. Thomas Berg . Moderner Wahlkampf. Wiesbaden. Mark Lattimer . The Campaign‐ ing Handbook. Directory of Social Change, London. Matthias Machnig . Politik, Medien, Wähler. Wiesbaden. Peter Metzinger 4 . Business Campaigning: Springer, Berlin. Peter Schröder . Politische Strategien. Nomos, Baden‐ Baden.