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Zeitgemäß reden über den dreifaltigen Gott

2019

„Zeitgemäß sprechen“ ist das Thema dieses Vortrags. Zeitgemäß sprechen von dem, woran wir glauben. Also das, was uns im Innersten bewegt, so in Worte fassen, dass es andere Menschen anrühren kann, bewegen kann, so dass sie vielleicht selbst zum Glauben oder doch wenigstens zum Nachdenken kommen. Wie kann unsere Sprache das leisten? Deswegen werde ich kurz die Frage beleuchten, wie es um die religiöse Spra­che in unserer Gegenwart bestellt ist. In einem zweiten Schritt geht es darum, wie unser Spre­chen von Gott gut gehen kann, welche Sprache sinnvoll und angemessen ist, wenn wir über unse­ren Glauben sprechen. Und im dritten Teil werde ich einige Vorschläge dafür machen, was es heißt, heute „zeitgemäß“ vom Glauben, von Gott, vom „dreifaltigen Gott“ zu sprechen.

Zeitgemäß reden über den dreifaltigen Gott Pastoralkonferenz im Bistum Erfurt, Brunnenkirche, 15. Mai 2019 Stefan Silber „Das Mysterium der heiligsten Dreifaltigkeit ist das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens und Lebens“ (KKK 261), sagt der Katechismus der Katholischen Kirche. Schön, könnte man sagen, und was genau war dieses Geheimnis noch mal? Wenn wir jetzt eine Umfrage machen würden unter Katholiken mit der Frage, ob es sich bei der Heiligsten Dreifaltigkeit um drei göttliche Naturen in einer Person oder um drei göttliche Personen in einer Natur handelt, fürchte ich, dass das Ergebnis ziemlich offen wäre. Nicht ganz so offen wäre das Ergebnis vermutlich, wenn wir noch die Antwortmöglichkeiten „Weiß nicht“ und „Mir egal“ anbieten würden. Denn „Weiß nicht“ und „Mir egal“ könnten durchaus die beiden zuverlässigsten Antworten vieler Katholikinnen und Katholiken auf das sein, was der Katechismus das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens nennt. Jürgen Moltmann schreibt dann auch: „Ob Gott einer oder dreieinig ist, das macht in der Glaubenslehre scheinbar so wenig einen Unterschied wie in der Ethik“ 1. Anschließend arbeitet er dann trotzdem in einer aufwendigen theologischen Untersuchung heraus, welche Bedeutung diese Lehre für den Glauben und für die Ethik besitzen kann. Wie man das allerdings aus seiner hochkomplexen Expertensprache in eine Sprache übersetzen soll, die dann auch von den Menschen unserer Zeit verstanden wird, dazu sagt er wieder nichts. „Zeitgemäß sprechen“ ist daher das Thema, über das ich heute mit Ihnen nachdenken möchte. Zeitgemäß sprechen von dem, woran wir glauben. Also das, was uns im Innersten bewegt, so in Worte fassen, dass es andere Menschen anrühren kann, bewegen kann, so dass sie vielleicht selbst zum Glauben oder doch wenigstens zum Nachdenken kommen. Wie kann ich meinen Glauben so zum Ausdruck bringen, dass er einen Unterschied macht im Leben, in der Ethik, in der Politik und im Alltag? „Zeitgemäß sprechen“ – hier geht es also nicht nur darum, schöne Worte zu finden, die bei den Menschen von heute gut ankommen, sondern diese Worte auch tatsächlich dafür zu nutzen, von dem zu sprechen, was mein Leben im Innersten zusammenhält. Und zwar so, dass es auch verstan den werden kann. Wie kann unsere Sprache das leisten? Deswegen werde ich jetzt zunächst einmal kurz die Frage beleuchten, wie es um die religiöse Spra che in unserer Gegenwart bestellt ist. In einem zweiten Schritt geht es darum, wie unser Sprechen von Gott gut gehen kann, welche Sprache sinnvoll und angemessen ist, wenn wir über unseren Glauben sprechen. Und im dritten Teil werde ich einige Vorschläge dafür machen, was es heißt, heute „zeitgemäß“ vom Glauben, von Gott, vom „dreifaltigen Gott“ zu sprechen. 1 Moltmann, Jürgen: Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre, Gütersloh: Kaiser 1994, 17. 1 1 Zaw lazaw, zaw lazaw, qaw laqaw, qaw laqaw Wenn Sie jetzt diese Lesung aus dem Buch Jesaja nicht verstanden haben, müssen Sie kein schlechtes Gewissen haben. Denn genau so ist sie gemeint. Das hier soll auch gar nicht verstanden wer den. Die Worte im Kontext: Priester und Propheten schwanken vom Bier, sind benommen vom Wein. Sie taumeln vom Bier, sie schwanken bei ihren Visionen, sie torkeln beim Entscheid. [...] Wen will er Erkenntnis lehren, wem das Gehörte verständlich machen? Gerade von der Milch Entwöhnten, gerade von der Brust Abgesetzten? Ja, zaw lazaw, zaw lazaw, qaw laqaw, qaw laqaw, hier ein wenig, dort ein wenig. […] Und es wird an sie das Wort des HERRN ergehen: Zaw lazaw, zaw lazaw, qaw laqaw, qaw laqaw, ein wenig hier, ein wenig dort, damit sie gehen und rückwärts stolpern, zerbrechen, sich verstricken und gefangen werden. (Jes 28,7-13, EÜ 2016)2 Jesaja nimmt das prophetische „Gestammel“, das „Geschwätz“ und das „Papperlapapp“ seiner Kollegen auf die Schippe: Wie wenn kleine Kinder zu sprechen versuchen, wie wenn Betrunkene herumlallen, so ist das Gerede der Propheten, kein Mensch kann es verstehen. Dabei sind das Priester und Propheten, also quasi das hauptamtliche Personal seiner Zeit, die mit dem Verkündigungsauftrag. Wenn also diese Theologen nicht verständlich von Gott sprechen, wie soll dann Gottes Wort zu den Menschen sprechen können? Manchmal habe ich den Eindruck, dass es uns als Kirche heute in unserer Gesellschaft ganz ähnlich geht: Wir reden von Sünde und Erlösung, von Ganzhingabe und ontologischem Prägemal, von Realpräsenz in der Transsubstantiation, und was bei den Menschen ankommt, ist zaw lazaw und qaw laqaw. In meiner Arbeit als Pastoralreferent hatte ich früher oft diesen Eindruck: Ich versuche die Sakramente, die Bibel, den Glauben, von dem ich selbst tatsächlich überzeugt bin, den Menschen näher zu bringen und komme mir vor, als würde ich Chinesisch sprechen oder Sanskrit. Unsere Kirchensprache wird von vielen Menschen nicht mehr verstanden. Für viele klingt unsere Sprache einfach veraltet, weltfremd, realitätsfern. Sie hat nichts mehr mit dem zu tun, was im Alltag das Leben der meisten Menschen prägt. Sie wird als eine Ansamm lung von hohlen Phrasen zur Kenntnis genommen, aus denen man nichts Verwertbares für das eigene Leben gewinnen kann. Es ist kein Wunder, dass diese Sprache sich als erstklassiges Material für Satire und Comedy eignet: Sie wirkt so unzeitgemäß und unverständlich, dass man schnell die Lacher auf seiner Seite hat. Das ist letztlich teilweise auch ein völlig normaler Prozess, denn jede Sprache entwickelt sich weiter und verändert sich. Wörter gewinnen neue Bedeutungen und verlieren alte. Warum sollte das bei religiöser Sprache nicht so sein? Wenn es um Versuchung und Sünde geht, denken eben viele Menschen heute zuerst an „die zarteste Versuchung“ und die entsprechenden Kaloriensünden. In einer pluralen Gesellschaft wie der unseren hat niemand mehr ein Monopol auf die Entwicklung der Sprache. Als Kirche haben wir es nicht mehr in der Hand, wie sich religiöse Begriffe entwickeln. Fasten ist zwar wieder modern, aber in den modernen Fastenpredigten geht es um Entschlacken und Entsäuern und nicht um die Vorbereitung auf die Karwoche. Und sie finden auch nicht mehr in den Kirchen statt, sondern auf Youtube und in den Diätberatungsstellen. 2 Die spöttische Lautmalerei findet sich in der alten Einheitsübersetzung (1980) nur in der Fußnote und wurde im Text mit „Gestammel“, „Geschwätz“ und „Papperlapapp“ wiedergegeben. 2 Sprache entwickelt sich weiter. Darüber hinaus hängen Vorstellungen aus 2000 Jahren kirchlicher Tradition an unserer Sprache. Das ist nicht einfach so abzuschütteln. Dass Gott Vater im Himmel thront und der Sohn dahin aufgefahren ist, lässt sich nun einmal schlecht mit einem Weltbild vereinbaren, in dem Raketen in den Himmel auffahren und Astronauten von dort aus Skypeinterviews geben. In der Zeit, in der das Neue Testament, das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis geschrieben wurden, konnte man einfach sagen, dass Gott im Himmel ist, weil das eine weit verbreitete Vorstellung war. Heute muss man umständlich erklären, wie das gemeint ist, und vor allem, wie es nicht gemeint ist. So ähnlich geht es uns mit vielen religiösen Begriffen. Nehmen wir Hölle und Fegefeuer: Die Bilder von Feuer, Qualen und Teufeln würden wir wohl gerne aus dem kollektiven Gedächtnis löschen, aber so einfach ist das nicht. Sie wurden so oft gemalt und hängen immer noch in vielen Kirchen, so oft in Predigten, Meditationen und Romanen geschildert, dass sie Teil der europäischen Kultur geworden sind. Können wir da heute überhaupt noch irgendwie verantwortet von der Hölle oder auch nur vom Gericht sprechen, ohne diese Bilder aufzurufen und Angst und Ablehnung auszulösen? Sprache kann missbraucht werden (und wird missbraucht). In der Gegenwart haben wir noch ein weiteres Problem mit der Verständlichkeit unserer kirchlichen Sprache. Denn mehr und mehr wird sie auch in politischen Diskussionen verwendet, um damit Positionen zu markieren, die nichts oder wenig mit unserer Botschaft zu tun haben. Das „Christliche Abendland“ wird hier vor allem von denjenigen am lautesten beschworen, die am meisten dafür tun, es zu zerstören. Diese selbsternannten Retter des Christentums meinen, mit der Verwendung christlicher Begriffe und Symbole könnten sie sich gegen die Aufnahme von Menschen auf der Flucht, gegen das Zusammenleben mit Menschen muslimischen Glaubens und gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter in Stellung bringen. Da wird das Kreuz schwarz, rot und gelb angestrichen und schon meint man, es sei ein nationales Symbol. Die bayrische Staatsregierung ordnet an, dass das Kreuz in allen Amtsräumen öffentlich aufzuhängen sei und verbietet es gleichzeitig Lehrerinnen und Richterinnen, ein Kopftuch zu tragen. Der bayrische Ministerpräsident verharmlost das Kreuz zu einem „Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns“3, wie es in der offiziellen Anordnung heißt. Das ist nicht das Kreuz, von dem Paulus sagt, dass es ein Skandal, eine Verrücktheit ist (vgl. 1 Kor 1,23), und dass Je sus durch das Kreuz die Grenzen zwischen den Menschen aufgehoben hat (vgl. Eph 1,16). Hier wird ein zentrales Symbol des Christentums einfach kurzerhand umgedeutet. Diese missbräuchliche Verwendung religiöser Bilder und Symbole, kirchlicher Begriffe und Konzepte führt dazu, dass religiöse Sprache für viele andere Menschen in unserer Gesellschaft nun erst recht unglaubwürdig wird. Sie gilt als hoffnungslos veraltet, unverbesserlich intolerant und letztlich gewalttätig und fundamentalistisch. Der Missbrauch religiöser Sprache wirkt auf sie zurück: Es wird schwieriger vom Kreuz zu sprechen, ohne gleich mit politischen Strömungen identifiziert zu werden, mit denen wir gar nichts zu tun haben wollen. Religiöse Sprache ist eine Fremdsprache geworden. Die Begriffe, die Bilder, die Vorstellungen, in denen wir in gewohnter Weise unseren Glauben verkündigen, werden nicht mehr auf Anhieb verstanden, oder sie werden missverstanden, oder sie werden sogar missbraucht. Diese Erfahrung 3 § 28 Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) vom 12. Dezember 2000 (GVBl. S. 873; 2001 S. 28 BayRS 200-21-I), die zuletzt durch Bekanntmachung vom 24. April 2018 (GVBl. S. 281) geändert worden ist, http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayAGO-28. 3 machen viele von uns, und viele sind inzwischen der Meinung, dass wir nicht mehr einfach so wei termachen können wie bisher. Wir brauchen eine Sprachoffensive. Wir brauchen eine Sprachoffensive. Viele pastorale Strategien der letzten zwanzig oder dreißig Jahre lassen sich mit einem Fremdsprachenkurs vergleichen: Wenn religiöse Sprache zur Fremdsprache geworden ist, dann müssen wir eben mit den Menschen Vokabeln lernen und Grammatik pauken. Wir müssen wieder erklären, was Sünde und was Erlösung ist, wie Sakramente funktionieren und was der Zölibat eigentlich bedeutet. Mehr Katechese, mehr religiöse Bildung, die gezielte Nutzung von alten und neuen Medien zu diesem Zweck sollten diesen Fremdsprachenkurs unterstützen. Ich glaube, dass wir inzwischen an einem Punkt sind, an dem das nicht mehr hilft. Viele Menschen wollen auch keinen Fremdsprachenkurs mehr machen. Das ist ihnen einfach zu umständlich und zu aufwendig. Wenn ich erst heilsontologisch verstanden haben muss, auf welche Weise mein neugeborenes Kind von der seit Adam herrschenden Erbsünde befreit wird, bevor ich es zur Taufe bringen kann, dann sage ich doch lieber einfach „Ich glaube“ und habe es hinter mir. Meiner Meinung nach ist die Strategie des Sprachkurses gescheitert. Dem Problem, dass religiöse Sprache als Fremdsprache wahrgenommen wird, kommen wir auf diese Weise nicht bei. Es braucht eine Übersetzung in gesprochenes Deutsch, in unsere Alltagssprache, in eine Sprache, die auch wirklich verstanden wird. Manche sind der Ansicht, es reicht, wenn wir ein paar flotte Begriffe aufnehmen und freche, zeitgeistige Videos auf Youtube einstellen. Ich meine, das reicht nicht. Es geht meiner Meinung nach um grundlegende, tiefgreifende Neukonzeptionen unserer Sprache. Wir müssen uns neu überlegen, was wir eigentlich sagen wollen, was das Evangelium, die Fro he Botschaft, was die guten Nachrichten sind, die wir den Menschen unserer Zeit und unserer Gesellschaft mitteilen wollen. Und wir müssen authentisch sprechen. Dann finden wir auch die Sprache, mit der wir diese Botschaft vermitteln können. Denn es gibt Alternativen. Unser Glaube, unsere Verkündigung sind nicht auf ein Verzeichnis bestimmter Schlüsselbegriffe festgelegt. Das Evangelium ist eine gute Nachricht, eine Kommunikation, die Menschen froh macht, die Menschen zu Schwestern und Brüdern macht, die das Reich Gottes ankündigt und in die Praxis umsetzt: Gottes liebende und heilende Nähe zu allen Menschen. Für diese froh machende Kommunikation können wir andere Sprachformen, andere Begriffe und Bilder finden, die besser in der Lage sind, von den Menschen unserer Zeit verstanden zu werden. Dazu müssen wir uns zunächst einmal anschauen, nach welchen Regeln das Sprechen von Gott und von religiösen Themen denn eigentlich funktioniert. 2 „Meine Zunge ist schwerfällig“ (Ex 4,10) „Meine Zunge ist schwerfällig“. Wer das im Buch Exodus von sich selbst sagt, ist ausgerechnet Mose, der anschließend zum großen Gesetzeslehrer, Propheten und Anführer seines Volkes wird. Die nächsten vier biblischen Bücher lang wird er quasi nichts anderes tun als eben diese schwerfällige Zunge zu bewegen. Aber Mose hat in einem ganz entscheidenden Sinn recht: Wenn es darum geht, von Gott zu spre chen, Gottes Gebote zu lehren oder auszulegen oder als Prophet, Prediger oder Professor über 4 Gott zu sprechen, dann ist es gut zu wissen und anzuerkennen: „Meine Zunge ist schwerfällig“. 4 Denn es ist gar nicht so einfach, angemessen von Gott zu sprechen. Gott entzieht sich nämlich unserer Sprache, lässt sich nicht einfach von uns definieren und festlegen. 2.1 Sprache verweist auf etwas, erreicht es aber nicht: Der Finger zum Mond. Das ist nämlich so wie in der alten Metapher vom Finger und vom Mond: Wenn einer mit dem Finger auf den Mond zeigt, und der andere schaut nur auf den Finger, verpasst er den Mond. Und noch schlimmer ist es, wenn er den Finger mit dem Mond verwechselt und meint, der Finger, das ist schon alles, was es zu sehen gibt. Diese Analogie, die es auch im Buddhismus gibt, wird vom Hl. Augustinus benutzt, um die Schwerfälligkeit seiner eigenen theologischen Sprache zu illustrieren: Er sagt: Ich kann zwar mit meinem Finger auf etwas zeigen, aber ich kann den Menschen nicht auch noch die Augen aufmachen, damit sie das sehen, was ich zeigen will, oder damit sie wenigstens meinen Finger sehen.5 Das ist ein entscheidender Vorbehalt für unsere Sprache von Gott: Sie ist nur ein Fingerzeig, ein Zeichen, ein Hinweisschild, aber weder ist sie Gott selbst, noch kann sie jemanden zwingen die Au gen zu öffnen, damit er auch wirklich sieht. Das Zeichen selbst hat keinen absoluten Wert. Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Jemand anders kann einen anderen Finger heben, ein anderes Zeichen aufstellen, mit einer Sternenkarte oder einem Computerprogramm statt mit dem Finger auf den Mond verweisen. Die Worte, die der Hl. Augustinus verwendet hat, um auf Gott zu zeigen, können ersetzt werden, um mit anderen Worten auf Gott zu verweisen. Man könnte die Frage stellen: Gibt es dann überhaupt einen eindeutigen Vorrat an Begriffen, an Worten, an Lehren über Gott, die unabdingbar zum Christentum gehören, oder sind das nicht eigentlich alles Finger, auf die es nicht weiter ankommt? Muss man beispielsweise wirklich immer erklären und verständlich machen, was die Trinität ist, oder ist es vielleicht möglich, das, worum es in der Lehre von der Dreifaltigkeit geht, auch mit anderen Fingern, anderen Begriffen, Metaphern, Liedern und Bildern auszudrücken? Ein dritter wichtiger Aspekt der Analogie von Finger und Mond ist das Problem: Es kann jemand auch mit dem Finger auf etwas ganz anderes zeigen und sagen: Das ist der Mond. Es könnte zum Beispiel jemand auf ein Bild von einem alten Mann mit weißem Bart, der auf einer Wolke sitzt, zeigen, und sagen: Das ist Gott. Oder es könnte jemand sagen: Gott will, dass wir diesen Krieg beginnen, unsere Feinde töten und der Heiligen Stadt Jerusalem einen christlichen König verpassen. Solche falschen Propheten gab es genug in der Geschichte des Christentums. Unsere Sprache von Gott kann sträflich missbraucht werden. 2.2 Risiken und Nebenwirkungen: Falsche Sicherheiten Es muss aber auch nicht gleich ein Kreuzzug sein. Es gibt noch andere Risiken und Nebenwirkungen, die beim Sprechen von Gott auftreten, und die uns an die Schwerfälligkeit unserer Zunge erinnern. Gefährlich wird es beispielsweise, wenn wir der Meinung sind, mit einem bestimmten Begriff 4 5 Interessanterweise gilt das offenbar nicht für den Hof-Psalmisten, der vor dem König singt und von sich selbst sagt: „Meine Zunge gleicht dem Griffel des flinken Schreibers.“ (Ps 45,2) Bedeutet dies, dass im Angesicht des Königs die Fülle der leichten Worte eher von Vorteil ist als im Angesicht Gottes? Im Original: „Ich kann nämlich zwar einen Finger von mir bewegen, um ihnen etwas zu zeigen, aber ich kann ihnen nicht auch noch ihre Augen erleuchten, damit auch sie den Gegenstand, den ich ihnen zeigen will, oder wenigstens meinen Finger, mit dem ich zeige, sehen können.“ Augustinus: Vier Bücher über die christliche Lehre (De doctrina christiana), in: https://www.unifr.ch/bkv/kapitel5463.htm, Nr. 3. 5 oder einer klaren Definition wäre alles erledigt: Roma locuta, causa finita. Wenn Rom gesprochen hat, ist die Sache erledigt. Es ist ja sinnvoll, wenn es von Zeit zu Zeit klärende Festlegungen gibt, auf die man sich geeinigt hat. Gefährlich wird es dann, wenn diese Festlegungen, die ja doch nur Finger zum Mond sind, für alle Zeiten unverändert gelten sollen. Denn Sprache ändert sich, bekommt neue Bedeutungen und verliert alte. Manche Begriffe verlieren im Lauf der Zeit ihre Fähigkeit, als sicheres Zeichen zu die nen, um auf den Mond zu zeigen. Auch der Mond wandert ja über den Himmel. Wer mit dem Finger immer nur auf dieselbe Stelle am Himmel zeigt, wird den Mond meistens verpassen. Wenn wir also auf den althergebrachten religiösen Begriffen bestehen, kann es sein, dass wir das Verständnis für Gott erschweren statt es zu ermöglichen. Die klaren Definitionen können eine Falle sein, den Finger wichtiger zu nehmen als den Mond. Wir starren auf die korrekten Begriffe und ihre Anwendung und vergessen, dass es um etwas anderes geht als den Finger. Unsere Sprache kann uns in falscher Sicherheit wiegen. Das Wort „Gott“ ist der Grammatik nach männlichen Geschlechts, und wenn wir über Gott sprechen, reden wir über „ihn“ so, als ob Gott ein männliches Wesen wäre. In unseren Köpfen entstehen Bilder von männlichen Wesen: Wir stellen uns Gott männlich vor, ob wir wollen oder nicht. Malt jemand ein Bild von einer Göttin, rufen viele sofort: Das ist nicht der christliche Gott. Aber warum eigentlich nicht? Ist Gott doch eher männlich als weiblich? Oder hat uns unsere Sprache mit dem männlichen Personalpronomen einen Streich gespielt? Unsere Sprache kann auch dazu dienen, zu täuschen, zu vertuschen und zu verschleiern. Wir sagen „Dienst“ und meinen „Macht“. Gerade in der Aufarbeitung der vielen Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche sind immer wieder solche Umdeutungen von Begriffen zum Vorschein gekommen, die diesem Missbrauch ermöglicht und gedeckt haben: „Verantwortung für die Mitbrüder“ heißt: Vertuschung von Straftaten. „Jemandem eine zweite Chance geben“ heißt weitere Opfer dem Risiko des Missbrauchs aussetzen. „Versöhnung“ heißt – manchmal – die Opfer sollen jetzt mal Ruhe geben. 2.3 Sprache und Macht Solche extreme Formen des Missbrauchs religiöser Sprache sind nicht die Regel, aber sie sind möglich. Und in der Gegenwart müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass sie praktiziert wurden, und teilweise immer noch im Gebrauch sind. Sprache ist anfällig für solchen Missbrauch, denn sie besitzt Macht. in der Sprache kann es spirituellen Missbrauch, intellektuellen Missbrauch geben. Durch meine Sprache zementiere ich meine Macht über andere und nutze aus, dass ich definieren kann, was gesagt werden kann und wie. Sprache kann festlegen, definieren und klären. Sie kann eine Grenze ziehen: Bis hierher und nicht weiter, das ist drinnen, das ist draußen, hier ist wahr und dort ist falsch. Wer glaubt, dass der Geist nur aus dem Vater hervorgeht, ist orthodox, wer ans Filioque glaubt, katholisch oder evangelisch. So einfach sind Grenzen gezogen, sind Menschen und Gemeinschaften voneinander geschieden und werden Christinnen und Christen zu getrennten Brüdern und Schwestern. Diese unterscheidende Funktion der Sprache ist ganz normal, aber im Bereich der Religion ist sie zugleich sehr gefährlich. Wenn die Sprache vom Kommunikationsmittel zum Exkommunikationsmittel wird, müssen wir uns fragen, ob es immer so gerechtfertigt ist, auch über die Jahrhunderte hinweg, Menschen voneinander zu trennen, nur weil sie mit unterschiedlichen Fingern versucht haben, zum selben Mond zu zeigen. 6 Sollte unsere Sprache nicht eigentlich ein Mittel sein, mit dem wir gute Nachrichten, eine Frohe Botschaft überbringen? Sollte die Sprache der Kirche nicht zusammenführen, statt zu trennen, Dialog ermöglichen statt abzubrechen und Erfahrungsräume öffnen statt sie mit Definitionen zu verschließen? Manchmal sind diese Definitionen, Klärungen und Abgrenzungen ja wichtig und hilfreich. Sie ermöglichen ja oft auch wieder neue Dialoge, Gespräche und Erfahrungen. Aber sie haben eben auch die Tendenz, einzuengen, zu ersticken, abzuwürgen. Hier ist es nötig, genau zu beobachten und zu klären: Geht es noch um die Sache oder geht es um etwas anderes, etwas das Aufrechterhalten von Machtstrukturen oder das Verhindern von Veränderungen? 2.4 Deus semper maior Gott ist immer größer als alles, was wir uns von ihm vorstellen können. Oder auf Lateinisch: Deus semper maior. Das ist ein ganz alte prinzipielle theologische Überzeugung, die wir bei all unserem Sprechen von Gott nicht außer Acht lassen dürfen. Um noch einmal Augustinus zu zitieren: Wenn du glaubst, etwas von Gott verstanden zu haben, dann war es nicht Gott, sondern etwas anderes.6 Ein anderes sehr altes Prinzip sagt: Immer wenn wir etwas über Gott aussagen, dann ist Gott letztlich doch so anders, dass die Unähnlichkeit größer ist als die Ähnlichkeit. Die Unähnlichkeit dessen, was wir über Gott sagen können, ist also immer größer als die Ähnlichkeit. So anders ist Gott im Vergleich zu dem, was wir sagen können. Das sagt das 4. Laterankonzil im Jahr 1215.7 In der jüdischen Pessach-Haggada, also dem Text, der am Pessachfest in den Familien gelesen werden soll, gibt es einen Lobpreis, in dem es heißt: Wenn unser Mund so voll von Lobliedern wäre, wie das Meer von Wassertropfen voll ist, so würde es doch nicht reichen, um Gott auch nur für eine seiner großen Taten zu loben.8 Und trotzdem können wir es nicht lassen. Das ist auch eine Grunderfahrung von Theologie, Pastoral, Katechese und Glaubensverkündigung insgesamt: Wir können es nicht lassen. „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben,“ (Apg 4,20) heißt es in der Apostelgeschichte. Wir können nicht einfach aufhören, von Gott zu sprechen, von Jesus, von der Kirche, von der Befreiung, die uns gegeben ist. Wir können es nicht lassen, aber wir müssen wissen, dass unsere Sprache dafür einfach ungenügend ist. Wir können nicht schweigen, aber wir müssen zugeben, dass unsere Zunge schwerfällig ist, dass nichts von dem, was wir sagen können, ausreicht, um auch nur den Zipfel von Gottes Gewand zu beschreiben. Sofern Gott überhaupt Gewänder trägt. Das ist unser großes Handikap und zugleich unsere große Chance. Denn unter dem Vorbehalt, dass Gott doch sowieso ganz anders ist, werden wir auch frei, von Gott in neuen Bildern, neuen Begriffen, neuen Zusammenhängen zu sprechen. Wir können versuchen, Gott auf neue Art und Weise zu beschreiben, wie Gott vielleicht noch nie beschrieben wurde – im Wissen: Auch das ist wieder nur eine vorläufige, unvollständige, unähnliche Rede von Gott, die morgen vielleicht schon wieder unbrauchbar sein wird. Aber vielleicht ist sie wirksam. Denn unsere Sprache von Gott wirkt nicht durchs Erklären, Definieren und Festlegen, sondern durch etwas, das der Würzburger Pastoraltheologe Rolf Zerfaß eine „Disclosure-Erfahrung“9 genannt hat. Ein Disclosure ist so etwas wie ein Aha-Erlebnis, nur dass es die Menschen wirklich im Innersten betrifft, sie erschüttert und die Fähigkeit hat, das Leben zu ver6 7 8 Im Original: „Verstündest du ihn, es wäre nicht Gott.“ Augustinus, Sermo 52, 6, 16, in: https://www.augustinus.it/latino/discorsi/discorso_064_testo.htm. Vgl. KKK 230. Im Original: ,,Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“ KKK 43; DS 806. Vgl. Die Pessach-Haggadah, Herzlia: Palphot [o.J.] 47; vgl. auch Meinrad Walter: Wäre Gesanges voll unser Mund [22. Januar 2017], in: https://www.kirche-im-swr.de/?page=manuskripte&id=23493. 7 ändern. Man könnte sagen, ein Disclosure ist ein Durchbruch, eine Eröffnung, da wird etwas sichtbar, was vorher nicht zu sehen war, kommt zum Vorschein, was verdeckt war. Da bricht der Mond durch die Wolken und der Finger sagt: Das ist der Mond. Und ab da ist der Finger unwichtig, denn ich habe den Mond sehen können. Das ist Disclosure. Die Sprache von Gott zieht den Mond nicht hinter den Wolken hervor. Aber wenn er durchbricht, dann kann sie darauf zeigen. Unser Reden von Gott hat den Sinn, solche Disclosure-Erfahrungen zu ermöglichen und zu deuten. Wir können sie nicht machen, nicht provozieren. Augustinus sagt: ich kann dir die Augen nicht aufmachen, du musst schon selbst hinschauen. Aber was du siehst, kann ich dir deuten. Dieser Wunsch muss unsere Sprache prägen: Dass Menschen Erfahrungen mit Gott machen können. Sie sollen nicht unsere Erfahrungen machen, sondern ihre eigenen. Wir können nur versuchen, Anstöße zu geben und Anregungen, um Menschen ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Papst Franziskus sagt: Die Predigt ist nur eine Unterstützung für den Dialog, den Gott schon längst mit den Menschen führt (vgl. EG 137). Die Initiative liegt bei Gott. Unsere Verkündigung kann nur helfen, diese Initiative zu erkennen und die Erfahrungen, die die Menschen mit Gott machen, anzuerkennen und Deutungshilfen anzubieten. 3 „Singt dem Herrn ein neues Lied!“ In der hebräischen Bibel finden wir immer wieder diese Aufforderung: „Singt dem Herrn ein neues Lied!“ (Ps 96,1; vgl. GL 409). Nicht nur für das Lob Gottes, sondern auch für die Verkündi gung, das Weitersagen vom Glauben fordert die Bibel immer wieder neue Lieder, neue Ideen, eine neue Sprache. Denn die Erfahrung Gottes ist nie erschöpft. Erschöpft sind aber irgendwann die Möglichkeiten der alten Lieder und der alten Sprachformen. Deswegen braucht es neue Lieder, um neue Erfahrungen zu besingen, beschreiben und auch, um neue Erfahrungen überhaupt zu ermöglichen. Neuer Wein muss in neue Schläuche (vgl. Mk 2,22). In diesem letzten Abschnitt möchte ich einige Hinweise für das Ausprobieren neuer Sprachformen geben. Ich frage dabei zunächst: Welche Sprache ist den Menschen angemessen, mit denen wir sprechen wollen? Als zweites werde ich fragen, welche Sprache mir selbst als dem Sprechen den angemessen ist. Und schließlich, welche Sprachformen sind eigentlich unserem Thema, nämlich Gott angemessen? 3.1 Deutsch sprechen – den Adressaten angemessen. Wenn wir überlegen, mit welcher Sprache wir uns heute verständlich machen können, ist die erste Antwort: Deutsch. Und das ist schon mal wichtig. Wir müssen die Sprache sprechen, die von den Menschen auch tatsächlich verstanden wird, und nicht eine Sprache, von alle der gewohnt sind, dass es halt in der Kirche so klingt. Ich habe mir sagen lassen, dass Joachim Wanke, der frühere Bischof von Erfurt, das sogar noch zugespitzt hat: Wir müssen das Evangelium auf Mitteldeutsch10 durchbuchstabieren. Wir müssen die ganz konkrete Alltagssprache der Menschen verwenden, die Umgangssprache, mit der Menschen 9 10 Rolf Zerfaß: Grundkurs Predigt, Bd. 2: Textpredigt, Düsseldorf: Patmos 1992, 208-211. 209. Zerfaß bezieht sich hier ohne Angabe von Literatur auf J. T. Ramsey. Vgl. Gregor Krumpholz: Evangelium auf Mitteldeutsch. Joachim Wanke seit 30 Jahren katholischer Bischof in Erfurt, in: https://www.domradio.de/nachrichten/2011-01-16/joachim-wanke-seit-30-jahren-katholischer-bischof-erfurt. 8 gewöhnlich ihre Lebenserfahrungen, ihre Freude, ihre Trauer, ihre Ängste und ihre Hoffnungen (vgl. GS 1) formulieren. Denn in diesen Alltagserfahrungen sind ja auch die Gotteserfahrungen enthalten. Sie können verborgen, versteckt sein, aber wir können sie nur zum Vorschein bringen, wenn das Alltagsleben der Menschen auch wirklich thematisiert wird, und dazu hilft es, die ganz normale Alltagssprache auch zu verwenden, dem Volk aufs Maul zu schauen. In der Gegenwart sind diese Alltagssprachen allerdings sehr vielfältig: Jugendliche reden und denken anders als Erwachsene, in verschiedenen Milieus wird auch unterschiedlich gesprochen. Es ist wichtig, das zu berücksichtigen. Das Evangelium auf Mitteldeutsch durchbuchstabieren kann im Einzelnen sehr Unterschiedliches bedeuten. Aus den jeweiligen Alltagserfahrungen können wir Bilder und Metaphern, Geschichten und Sprüche schöpfen, mit denen neu über Gott gesprochen werden kann. Auch die Bibel erzählt Geschichten, verwendet Bilder und Vergleiche, Gleichnisse aus dem Alltag, um zu einem Aha-Erlebnis über Gott einzuladen. Das sind auch nicht immer bierernste Geschichten. Gerade in der Bibel findet man sehr viel Humor und Witz, wenn man sich darauf einlässt, und so unterhaltsam dürfen auch unsere „Neuen Lieder“ werden. Erzählen Sie Geschichten aus dem Alltag, am besten aus Ihrem eigenen. Was Sie wirklich selbst erlebt haben. Oder Geschichten, die im Alltag der Menschen spielen, mit denen Sie sprechen. Neh men Sie Bilder, Metaphern, Vergleiche aus dem ganz normalen Leben, vom Essen und Trinken, vom Smartphone und von Instagram, aus der Schule und aus dem Fernsehen. Solche Alltagsmetaphern und Allerweltsthemen können die Erfahrung von Gott besser aufschließen als viele althergebrachte religiöse und theologische Wörter. Unsere traditionellen Begriffe sind oft abgenutzt und missverständlich. Sie sind auch nicht wirklich verpflichtend. Wenn wir das, worum es in der Trinitätslehre geht, so in Gleichnissen und Bildern ausdrücken können, wie es Jesus tut, können wir gerne darauf verzichten, über Personen und Naturen, immanente und ökonomische Dreifaltigkeit zu sprechen oder diese Erörterungen dann wenigstens auf die Akademie beschränken. Es gibt keine Schlüsselwörter, ohne die es nicht geht in der Verkündigung. Jesus sagt: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen“ (Mt 7,21). Das ist also offenbar anders als bei unseren Computern: Es gibt keine Passwörter, die einem den Zugang automatisch freischalten. Auch das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser oder der Katechismus sind nicht wirklich unverzichtbar.11 Es gibt diese Zauberwörter nicht. Ob der Zugang zu einer Gotteserfahrung freigemacht wird, hängt an der Initiative Gottes und an der Bereitschaft des Menschen, sich darauf einzulassen. Dafür können alle möglichen Bilder und Metaphern brauchbar sein. So wenig es Passwörter gibt, so wenig gibt es Tabubegriffe: Alles kann als Gleichnis dienen. Alles kann den Weg zu Gott frei machen. Versuchen Sie es mit Bildern und Geschichten aus dem Alltag, aus unserer Welt. Was geeignet ist und was nicht, lässt sich nur über Versuch und Irrtum herausfinden. Auf diese Irrtümer und Irrwege muss man sich einlassen, wenn man eine neue Sprache, neue Lieder finden will, um „auf Mittel deutsch“ vom eigenen Glauben zu sprechen. 11 Klaus Mertes (Der Skandal des Kreuzes, in: Stimmen der Zeit 143 (2018) 519-520) erinnert daran, dass Matteo Ricci und die Jesuitenmissionare in China im 16./17. Jahrhundert zunächst ganz bewusst auf die Verkündigung des Kreuzestodes Jesu verzichtet hatten, um sich der fremden Kultur respektvoll zu nähern. Selbst dieses zentrale Element der christlichen Botschaft galt für sie nicht als unverzichtbarer Schlüssel zum Glauben. 9 3.2 Von Erfahrungen sprechen – mir selbst angemessen Aber nicht alles ist auch mir selbst angemessen. Und das ist auch ein wichtiges Qualitätsmerk mal: Nutzen Sie die Sprache, in der Sie sich am besten ausdrücken können, nutzen Sie die Sprache, in der Sie das Gefühl haben, das passt zu mir. Versuchen Sie nicht, sich allen möglichen Milieus und Kulturen anzubiedern, denn das wird schnell entlarvt als das, was es ist: Anbiederung. Sprechen Sie von sich selbst, sagen Sie „ich“ statt „wir“, denn durch das „Wir“ fühlen sich viel leicht Menschen vereinnahmt, die etwas anderes denken als ich. Dazu gehört auch: Sprechen Sie von dem, was Sie selbst erfahren haben. Und durchaus auch von dem Zweifel, der an Ihnen selber nagt. Seien Sie authentisch, auch in ihrer Sprache. Es nützt nichts, wenn Sie versuchen, all ihr theo logisches Wissen in möglichst einfacher und verständlicher Sprache darzulegen, wenn dabei deutlich wird, dass es nicht Ihrer Erfahrung, Ihrem Glauben entspricht. „Der Fromme der Zukunft wird ein ‚Mystiker‘ sein“, schrieb Karl Rahner vor 53 Jahren, und weiter: „einer, der etwas ‚erfahren‘ hat“ 12. Diese persönlichen Erfahrungen prägen unseren Glauben. Sie müssen auch in unserer Verkündigung vorkommen, sonst wird sie uns nicht abgenommen. Wenn Ihnen Ihre eigenen mystischen Erfahrungen zu unbedeutend vorkommen: Das macht nichts. Auch Mose, immerhin einer der ganz Großen der Bibel, darf Gott nur von hinten und im Vorbeige hen sehen (Ex 33,20-22). Mehr geht nicht. Aber es reicht ihm, um in aller Ausführlichkeit von Gott zu sprechen. Vielleicht haben Sie auch irgendwann mal Gottes Rücken gesehen, im Vorbeigehen. Oder wie der Prophet Elija „ein sanftes, leises Säuseln“ gehört (1 Kön 19, 12). Sprechen Sie davon. Und sprechen Sie auch von all den Zweifeln, Unklarheiten, Unsicherheiten, die Sie selbst spüren. Das ist glaubwürdiger und stiftet mehr zum Glauben an als ein vollkommenes und steriles Glau bensgebäude, das niemandem einen Zugang ermöglicht. Sagen Sie ruhig auch dazu, dass Sie wissen, dass unser Glaube in der Gegenwart verrückt klingt. 13 Das ist ja auch unglaublich: Wir verlassen uns da auf etwas, was 2000 Jahre her ist und behaupten, diese Ideen wären heute noch relevant. Ja, wir wissen, dass dieser Glaube ziemlich irrational und unvernünftig daherkommt. Dennoch stehen wir dazu, eben weil wir selbst etwas erfahren haben. Weil dieser Glaube, dieser Jesus, dieser Gott uns selbst etwas bedeutet in unserem Alltag. Aber zugegeben, das klingt erst mal ein wenig schräg. Schräg und unglaubwürdig auch deshalb, weil unsere Glaubensgemeinschaft, die Kirche, derzeit ja nun auch wirklich nicht den besten Ruf hat. Auch diese Selbstkritik gehört zu unserer Verkündigung. Seien Sie offen für diese Kritik und stehen Sie zu dem, was Ihnen derzeit an der Kirche so gar nicht gefällt. Es fällt uns kein Zacken aus der Krone, wenn wir zugeben, ja, es gibt da einiges zu verbessern. Aber tun Sie auch dies so, wie es für Sie selbst angemessen ist, nicht gekünstelt, aufgesetzt oder pathetisch, sondern mit einfachen und vor allem eigenen Worten. Und durchs Zuhören. Das Zuhören wird sowieso in der Gegenwart ziemlich unterschätzt, in der Kirche ebenso wie in der gesamten Gesellschaft. Frére Roger aus Taizé hat immer wieder gesagt, es reicht, wenn wir das leben, was wir vom Evangelium verstanden haben. Ich meine, wir könnten hinzufügen, und es reicht auch, wenn wir von dem sprechen, was wir vom Evangelium verstanden haben. Und bei allem, was ich selbst nicht verstehe, darf ich schweigen oder kann offen zugeben, dass ich es nicht verstehe. 12 13 Karl Rahner: Frömmigkeit heute und morgen, in: Geist und Leben 39 (1966) 335. Vgl. Valerie Schönian: Was Ihr glaubt, ist unglaublich, in: Die Zeit 32/2018 [3. August 2018]. Schönian macht acht sehr konkrete Vorschläge für eine angemessenere kirchliche Sprache, die sehr hilfreich sind. 10 3.3 Gutes sagen und tun – Gott angemessen sprechen. Und drittens: Wie spreche ich in einer Weise von Gott, die auch Gott selbst angemessen ist, und nicht nur mir als Sprecher und den Menschen, mit denen ich spreche? Schauen wir in die Bibel und lassen wir uns davon inspirieren, wie Jesus von Gott spricht: Er zeigt uns einen Gott, der es gut mit uns meint, der barmherzig ist, der liebt. Ein Gott, der das Beste für jeden Menschen will und für die gesamte Schöpfung. Ein Gott, der rettet, der hilft, der verzeiht, der befreit, der erlöst. In dieser Weise von Gott zu sprechen, das ist diesem Gott angemessen. Deswegen nennen die Autoren des Neuen Testaments Jesu Botschaft ein Evangelium. Es ist eine „gute Nachricht“, ein Sprechen von Gott, das froh macht. So sollen wir auch sprechen, so, dass diese Freude Wirklichkeit werden kann. So, dass ein Gott sichtbar und erfahrbar wird, der es gut mit dem Menschen meint, der uns hilft, unsere Konflikte zu lösen und den Notleidenden zu helfen. Aus diesem Grund ist ein Sprechen von Gott nur dann angemessen und glaubwürdig, wenn es von einer entsprechenden Praxis begleitet wird. Die Frohe Botschaft kann nur von einer Kirche verkündet werden, die auch selbst froh macht. Nur wenn die Liebe, die Barmherzigkeit, die Gerechtigkeit, für die das Evangelium steht, in unserer Praxis sichtbar werden, können wir sie auch glaubwürdig verkünden. Ja, diese glaubwürdige Praxis spricht vielleicht sogar aussagekräftiger von Gott als all unser Reden. „Verkündigt das Evangelium, und wenn es nötig sein sollte, dann auch mit Worten,“14 so zitiert Papst Franziskus seinen heiligen Namenspatron. Das gilt schon für den Akt des Sprechens selbst: Rede ich so von Gott, dass ich den anderen von oben herab belehren will? Oder suche ich mit ihm, mit ihr zusammen nach einem besseren, einem tieferen Verständnis? Zeige ich meine Leitungskompetenz, indem ich meine Macht ausspiele? Oder versuche ich gemeinsam mit allen die besten Lösungen für alle zu finden? Wenn meine Sprache dazu dient, über andere zu herrschen und zu bestimmen, ist sie nicht dem Gott angemessen, der Mensch wurde, um seine Barmherzigkeit und seine Nähe zu verwirklichen. Zeitgemäß vom Dreifaltigen Gott sprechen: Das wäre dann eine Praxis, in der die gegenseitige Liebe, die Gemeinschaft, die geteilte Verantwortung für die gesamte Schöpfung und für die Vielfalt aller Menschen Wirklichkeit werden, also all das, wofür die Trinität nach Auffassung der Theologie heute steht. Machtverzicht, Respekt und Solidarität bedeutet das, zugunsten aller Menschen, die leiden. Denn an den Früchten kann man erkennen, ob die Verkünder des Evangeliums gute Bäume sind oder Dornen und Disteln, wie Jesus uns in der Bergpredigt sagt (vgl. Mt 7,16-20). Und Paulus, der ja nun ein echtes Sprachgenie im Neuen Testament ist, weiß genau: „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.“ (1 Kor 13,1) Also auch dann, wenn wir die Sprache unserer Verkündigung nach allen Regeln der Kunst perfektionieren könnten, würde es nichts nützen, wenn wir diese Sprache nicht mit einer liebenden und erlösenden Praxis verbinden, die den Menschen hilft, die Güte und Lebensfreundlichkeit Gottes an unserem Tun zu erkennen. Zeigen Sie in Ihrer Sprache, in Ihrem Umgang mit den Menschen, in Ihrem Leitungsstil diese Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes. Machen Sie deutlich, dass es auf die Menschen ankommt, nicht auf unsere Gewohnheiten und Wünsche. Das wäre ein angemessenes, zeitgemäßes Sprechen von Gott. 14 Zit. nach Florian Mittl: Evangelisation: Haltung, nicht Einzelaktion, in: https://www.feinschwarz.net/evangelisationhaltung-nicht-einzelaktion/ [2017]. Die Autorschaft des. Hl. Franziskus ist umstritten. 11 3.4 Schweigend von Gott sprechen Schließlich ist es manchmal sogar besser, gar nicht von Gott zu sprechen. Gerade in einer Gesellschaft, die mit Gott, der Kirche und der Religion allerhand Negatives verbindet. Manchmal ist es Gott angemessener, zu schweigen. Der US-amerikanische Trappist Thomas Keating sagt: „Das Schweigen ist die Muttersprache Gottes. Alles andere ist eine schlechte Übersetzung.“ 15 Gott übersteigt ohnehin alles, was wir uns vorstellen und erst recht alles, was wir erklären können. Im Schweigen finden wir die ursprüngliche und unverfälschte Sprache Gottes. Wir lassen Gott frei, so zu sein, wie Gott ist, unverfügbar und unbeschreiblich. Wir lassen auch unseren Gesprächspartner frei, so zu sein, wie er ist. Nicht immer, aber manchmal kann dies die angemessene, die zeitgemäßeste, die frohmachendste Weise sein, in unserer Gesellschaft von Gott zu sprechen. 4 Seid mutig! Seid mutig! Papst Franziskus ist jemand, der seit vielen Jahren den Menschen Mut machen möch te, auch bislang unbekannte Wege zu erforschen. Auch uns würde er wohl zurufen: Seid mutig! Probiert doch einfach mal etwas Neues aus, auch wenn die Gefahr besteht, sich die Hände schmutzig zu machen oder sich ein blaues Auge, eine Beule oder einen Kratzer zu holen (vgl. EG 49). Versucht, neue Lieder zu singen, andere Sprachen zu sprechen, neue Geschichten zu erzählen und so die Frohe Botschaft zu leben und zu verbreiten. Das birgt Risiken, keine Frage. Aber Gott macht uns Mut, aus unseren gewohnten Sicherheiten herauszugehen. Probieren Sie es doch einfach mal aus! Bei seinem ersten Treffen mit den Ordensleuten Lateinamerikas zu Beginn seines Pontifikats sagte Papst Franziskus: „Ihr werdet Fehler machen […]. Das passiert. Kann sein, dass dann mal ein Brief der Glaubenskongregation kommt. [...] Macht nichts. Erklärt, was zu erklären ist, und macht einfach weiter.“16 15 16 Tim Shriver: Father Thomas Keating’s parting wisdom for a divided church and country, in: https://www.americamagazine.org/faith/2018/11/21/father-thomas-keatings-parting-wisdom-divided-churchand-country. [Meine Übersetzung]. Papa Francisco dialoga como un hermano más con la CLAR, in: http://www.reflexionyliberacion.cl/articulo/2729/papa-francisco-dialoga-como-un-hermano-mas-con-la-clar.html. [Meine Übersetzung]. 12