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Die Rückkehr des Absoluten

Das postmoderne Denken – alles sei relativ und es gebe keine absolute Wahrheit – geht dem Ende entgegen, meint der evangelische Theologe Ron Kubsch (Gieleroth bei Altenkirchen im Westerwald).

In einer evangelischen Kirche in Hamburg-Altona interreligiöses 22 R E Lwird IG ION Meditieren – einschließlich islamischer Gesänge – praktiziert. Dass Jesus Christus allein die Wahrheit ist, spielt keine Rolle mehr. Die Rückkehr des Absoluten PHILOSOPHIE Gute Nachrichten für Christen: Das postmoderne Denken – alles sei relativ und es gebe keine absolute Wahrheit – geht dem Ende entgegen, meint der evangelische Theologe Ron Kubsch (Gieleroth bei Altenkirchen im Westerwald). Er ist Dozent für Apologetik am MartinBucer-Seminar (Bonn) und Generalsekretär der Vereinigung „Evangelium 21“. Auf einem christlichen College in den USA fragte einmal eine Professorin ihre Studenten: „Hält sich jemand von Ihnen für Gott?“. Niemand hob die Hand. „Gott kennt die ‚WAHRHEIT‘‘‘, fuhr sie fort und schrieb das Wort in Großbuchstaben an die Tafel. „Alle Wahrheit ist Gottes Wahrheit. Gott ist Wahrheit. Allerdings ist keiner von Ihnen Gott. Daher können Sie bestenfalls wissen, dass es Wahrheit gibt“, ergänzte sie und entließ die Studenten in die Pause. Eine solche „Wahrheitsskepsis“ ist heute weit verbreitet. Wahrheit, so glauben viele, könnten wir nur erahnen, aber niemals kennen. Wahrheit sei nur der Versuch von Menschen, die wirkliche Welt zu beschreiben. Erst mit unserem Denken stellen wir Wahrheit quasi für uns selber her. Unsere Sprache formt unser Denken, und unser Denken formt unsere Welt. Was nicht in Worte passt, ist für uns Menschen nicht real. Mit anderen tauschen wir durch Sprechen und Handeln unsere Wirklichkeit aus. Dabei bilden sich in Gemeinschaften ähnlich denkender Menschen allmählich akzeptierte Wahrheiten heraus. Eine Frau mit Vollbart Beispielsweise bei der Theorie der Geschlechterrollen. Dort wird behauptet, dass Geschlechterunterschiede nicht natürlich gegeben, sondern sozial konstruiert sind. Die Geschlechtsidentität wird grundsätzlich von biologischen Tatsachen abgekoppelt. Die Unterscheidung zwischen Mann und Frau sei vom „Mann“ erfunden worden, um seine Macht zu festigen. Dieser Missbrauch könne nur durch veränderte Sprache und ein neues Denken gestoppt werden. So fordert beispielsweise die US-Philosophin Judith Butler die Gesellschaft auf, neue Bezeichnungen für die Geschlechtsidentität zu inden. Wenn beispielsweise eine „Frau“ mit einem Vollbart auf der Bühne singt, löse sich die Unterscheidung zwischen Mann und Frau auf. Sollte die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern nur durch den Austausch erdachter Wirklichkeiten verfestigt worden sein, müsste die Einführung einer neuen Sprache und damit eines neuen Denkens diese Unterscheidung aufheben. Vorausgesetzt wird dabei, dass Wirklichkeit nicht ideaSpektrum 27.2015 R E L IG ION 23 darauf wartet, entdeckt zu werden, sondern eben von uns Menschen überhaupt erst hergestellt wird. Die traditionelle Unterscheidung zwischen tatsächlicher Wirklichkeit und unserer Wahrnehmung gäbe es dann nicht. Die Wirklichkeit wäre in jedem Fall durch unsere kulturellen und persönlichen Ansichten entstanden und gelte nur für uns selbst. Absolute Wahrheit könne es also nicht geben. Die Enkel denken wieder anders Gegen dieses Mantra der Postmoderne regt sich inzwischen Widerstand. Der „Neue“ oder „Spekulative Realismus“ in der Geisteswissenschaft befasst sich wieder mit dem Absoluten. Denn spätestens seit Ende des 20. Jahrhunderts hat sich die (post)moderne Kultur erschöpft, und die wirkliche Welt ist zu einer Fabel geworden, schreibt der italienische Philosoph Maurizio Ferraris in seinem „Manifest des neuen Realismus“. Die Kinder und Enkel der postmodernen Geisteswissenschaftler wollen deshalb die vorgegebene Welt wieder zu ihrem Recht kommen lassen. Im Zentrum des Interesses steht eine absolute Realität, die vom Menschen unabhängig ist, „also nicht primär kulturell, linguistisch, politisch oder historisch kodiiziert ist“, so der Berliner Philosoph Armen Avanessian in dem Buch „Realismus jetzt“. Die Frage nach Wahrheit, die wieder vermehrt gestellt wird, hat Jesus Christus klar beantwortet (Johannesevangelium 14,6) Welt wird wieder größere Aufmerksamkeit geschenkt. Schöpferische Aspekte der menschlichen Erkenntnis werden dabei nicht geleugnet. Doch menschliche Werke müssen sich gegenüber der wirklichen Welt verantworten. Warum sollten wir sie ernst nehmen? Die Neuen Realisten Der Postmodernismus ist aus der Überzeugung erwachsen, „dass alles Wesentliche oder überhaupt alles konstruiert sei – von der Sprache, von den Begriffsschemata, von den Medien“. Die Neuen Realisten halten dagegen: „Nein, irgendetwas, sogar deutlich mehr, als wir üblicherweise bereit sind zuzugeben, ist nicht konstruiert, und das ist ein Glück, andernfalls könnten wir zwischen Traum und Wirklichkeit nicht unterscheiden“. Es gibt laut Avanessian ein Absolutes, das nicht auf das Denken angewiesen ist“, sondern unabhängig von jeder gedanklichen Bezugnahme existiert. Die wirkliche Welt ideaSpektrum 27.2015 Das Esoterische wird verdrängt Für Christen sind das gute Nachrichten. Das Reale und das Vernünftige kehren langsam zurück und werden das rein Imaginäre und das Esoterische verdrängen. Dann wird es aber nicht mehr ausreichen, den christlichen Glauben wie gute Musik zu bezeugen. Glaube ist eben nicht eine Sache des Geschmacks oder Gefühls – wie der deutsche Theologe Friedrich Schleiermacher (1768–1834) behauptet hat –, sondern eine Frage der Wahrheit. Tragfähige Argumente für das Evangelium sind gefragt. Die Vertreter des Neues Realismus werden viele Fragen stellen. Die Bibel, Gottes wahres Wort, liefert die richtigen Antworten darauf. P 10 € GESCHENKT* K Sie interessieren sich für gute christliche Geschenke, Bildbände, Kalender, Sonderangebote? Dann bestellen Sie heute Ihren KawohlNewsletter auf WWW.K AWOHL .DE. Freuen Sie sich auf einen 10 Euro-Warengutschein! * Infos und Teilnahmebedingungen im Online-Shop. Ihr freundliches christliches Medienhaus Anzeige Der Berliner Philosophieprofessor Wolfgang Welsch spricht davon, dass auf Menschen zugespitztes Denken die intellektuelle Kraft gelähmt habe. Er sagt: „Bei allem, was wir im Einzelnen noch nicht wissen mögen und uns zu erforschen vornehmen, halten wir doch eines stets vorweg schon für sicher: dass all unser Erkennen, das gegenwärtige wie das zukünftige, menschlich gebunden ist und nichts anderes als menschlich bedingte und bloß menschlich gültige Einsichten hervorbringen wird. Doch das heutige Alltagsbewusstsein ist davon bis zur Bewusstlosigkeit durchdrungen. Wenn wir in der Moderne noch eine Gemeinsamkeit haben, dann den Glauben, dass unser Weltzugang in allem menschgebunden (kontext-, sozial-, kulturgebunden) ist.“ Welsch trauert diesem alten Denken mit keiner Silbe nach. Die Kultur der persönlichen Wahrheiten, die vom Bildungsbürger, den Medien und leider auch in einigen Kirchengemeinden hochgehalten wird, verändert sich. Der wirklichen Die eingangs erwähnte Professorin würde zum Beispiel mit ihrem „Argument“ bei den Neuen Realisten nicht durchkommen. Sie würden nämlich sofort durchschauen, dass sie unter dem Deckmantel der „Wahrheitsskepsis“ ihre eigene Sicht der Dinge als absolute Wahrheit vermittelt. Da die Professorin aber auch nicht Gott ist, bleibt ihre Aussage nur ihre persönliche Wahrheit. Die Realisten würden fragen: „Wenn das nur Ihre Wahrheitsauffassung ist, weshalb sollten wir sie dann ernst nehmen?“