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Eckert. Beiträge
Georg Eckert Institute for International Textbook Research
ISSN 2191-0790
Volume 2017/2
Redaktion
Tim Hartung und
Victoria Schnitker
Zitierhinsweis:
Bramann, Christoph. Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch ― Bildungsadministrative und fach‐
wissenschaftliche Einflussfaktoren auf die Darstellungen zum Lehnswesen in hessischen Geschichts‐
schulbüchern für das Gymnasium zwischen 1945 und 2014. Eckert. Beiträge
urn:nbn:de:
‐
‐
.
/ .
Inhaltsverzeichnis
1 Ausgangspunkt und Ziel der Untersuchung .............................................................. 5
2 Korpusbildung und Vorgehensweise ..........................................................................8
3 Das Lehnswesen in Fachwissenschaft und Lehrplan .............................................. 18
3.1 Das Modell des Lehnswesens in der Mediävistik ................................................. 18
3.1.1 Das Lehnswesen der älteren Forschung ........................................................ 20
3.1.2 Neue Forschungsansätze zum Lehnswesen .................................................. 24
3.2 Das Lehnswesen als Thema in hessischen Lehrplänen ........................................ 33
3.2.1 Die hessischen Lehrpläne der frühen Nachkriegszeit ...................................34
3.2.2 Die Bildungspläne von 1956/1957 ................................................................ 35
3.2.3 Die hessischen Rahmenrichtlinien von 1972/1973 ....................................... 38
3.2.4 Die Rahmenrichtlinien von 1982 .................................................................. 44
3.2.5 Der Rahmenplan Geschichte von 1995 ......................................................... 47
3.2.6 Die Lehrpläne seit den 2000er Jahren ........................................................... 48
3.2.7 Zusammenfassung der Lehrplananalysen ..................................................... 49
4 Das Lehnswesen im Geschichtsschulbuch ................................................................ 51
4.1 Untersuchungszeitraum I (1950er – 1970er Jahre) ............................................... 55
4.1.1 Konzeptionelle Gestaltung ............................................................................ 59
4.1.2 Strukturelle Einbindung ................................................................................ 63
4.1.3 Inhaltliche Darstellung .................................................................................. 64
4.1.4 Verlags- und Reihenspezifika ....................................................................... 66
4.2 Untersuchungszeitraum II (1970er – 1980er Jahre) ............................................. 67
4.2.1 Konzeptionelle Gestaltung ............................................................................ 68
4.2.2 Strukturelle Einbindung ................................................................................ 75
4.2.3 Inhaltliche Darstellung .................................................................................. 75
4.2.4 Verlags- und Reihenspezifika ....................................................................... 77
4.3 Untersuchungszeitraum III (1980er – 2010er Jahre) ............................................ 79
4.3.1 Konzeptionelle Gestaltung ............................................................................ 81
4.3.2 Strukturelle Einbindung ................................................................................ 85
4.3.3 Inhaltliche Darstellung .................................................................................. 86
4.3.4 Verlags- und Reihenspezifika ....................................................................... 90
4.4 Ergebnisse der Schulbuchanalyse ......................................................................... 91
4.4.1 Schulbuchdarstellungen zum Lehnswesen im Spiegel der Lehrpläne ..........91
4.4.2 Das mediävistische Forschungsbild in den Schulbuchdarstellungen zum
Lehnswesen ..................................................................................................96
5 Einfluss ist nicht gleich Einfluss – Das Schulbuch zwischen Politik, Wissenschaft
und Verlag ................................................................................................................. 99
Anhang.......................................................................................................................... 104
I Tabellen- und Abbildungen .................................................................................... 104
II Dokumente und Internetquellen ............................................................................ 104
a Amtsblätter ........................................................................................................ 104
b Schulbuchkataloge ............................................................................................104
c Lehrpläne ........................................................................................................... 104
d Internetquellen .................................................................................................. 106
III Schulbücher ......................................................................................................... 106
IV Literatur ............................................................................................................... 109
5
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
1 Ausgangspunkt und Ziel der Untersuchung
Bei der Beschäftigung mit mittelalterlichen Herrschaftsstrukturen im lateinisch geprägten Europa begegnet Schülerinnen und Schülern bereits während der Schulzeit mit dem
Lehnswesen ein System, das den Eindruck einer klar strukturierten Verfassungs- und
Sozialordnung nahelegt. Vor allem in seiner etablierten Darstellungsform als Pyramide
erscheint das Lehnswesen in den Schulbüchern als mittelalterliches Pendant anderer in
den Büchern gezeigten Schemata neuzeitlicher, aber auch antiker Rechts- und Sozial1
ordnungen. In diesen Lehnspyramiden wird die semantische Nähe zwischen den Begriffen „Lehnswesen“ und „Feudalismus“ (feudum = Lehen), verstanden als gesamtgesellschaftliches soziales Ordnungsprinzip, besonders deutlich.
Obwohl in der mediävistischen Forschung das Lehnswesen differenzierter als „die
Gesamtheit der rechtlichen Bestimmungen für das Verhältnis zwischen Lehnsherr und
2
Vasall“ – international als „feudo-vasallitische Institutionen“ bezeichnet – sowie deren
3
„Auswirkungen auf die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen“ definiert wird,
zeigt sich auch hier die Vorstellung, das Lehnswesen habe als „lebensordnendes Sys4
tem“ erheblichen Einfluss auf die verschiedensten Gesellschaftsbereiche gehabt. Aktuelle Schulbücher sprechen nach weiterer didaktischer Komprimierung sogar vom
Lehnswesen als „wichtigste […] Ordnung des Staates“, die „das ganze Mittelalter hin5
durch“ bestanden habe. Die Rolle, die dem Lehnswesen bei der schulischen Vermittlung des Mittelalters zukommt, kann also kaum überschätzt werden.
6
Begreift man das Schulbuch als „Politicum, Informatorium und Paedagocicum“, befindet es sich diesen Anforderungen entsprechend im Spannungsfeld zwischen Politik,
1
Vgl. dazu in Ansätzen Boockmann (1992), v.a. S. 370f., der den Gedanken allerdings nur auf Schemata
neuzeitlicher Strukturen bezieht.
2
Der deutsche Begriff Lehnswesen bezeichnet dabei gewöhnlich die systematischen Verbindungen zwischen Vasallität und Lehen im technischen Sinn und wird nicht synonym zu Feudalismus als Bezeichnung für eine Wirtschafts- und/oder Sozialordnung gebraucht. In vielen anderen Sprachen werden jedoch mangels einer Entsprechung des deutschen Wortes Lehnswesen beide Phänomene mit feudalism,
féodalité, feudalesimo beschrieben. Eine engere Eingrenzung auf das Lehnswesen erfolgt über Umschreibungen wie „feudo-vassallic Institutions“ im Englischen. Zu dieser Problematik vgl. bereits
Ganshof (19836), S. XIII-XVI; aber auch Spieß (2002), S. 17 oder Patzold (2012), S. 13.
3
Spieß (2002), S. 16. Auf die Frage, inwiefern Begriffe wie Staat oder Staatlichkeit überhaupt zur Beschreibung mittelalterlicher Verhältnisse verwendet werden sollten, kann hier nicht näher eingegangen
werden. Für das Frühmittelalter sei hier exemplarisch verwiesen auf Fried (2005). Einen ausführlicheren Überblick über die Forschungsdebatte bietet Pohl (2009.
4
So die Bezeichnung bei Clauss (2007), S. 37.
5
Anno (1995), S. 12.
6
Vgl. die Entwicklung dieser Definition bei Stein (1977).
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
7
Geschichtswissenschaft und Pädagogik. Sein Entstehungsprozess unterliegt damit vor
allem dem Einfluss von Politik, Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Um auch die Einflüsse anderer gesellschaftlicher und politischer Faktoren zu berücksichtigen, die Schulbuchinhalte gleichzeitig „bilden“ und aufgrund ihrer weiten Verbreitung und Rezeption
8
auch „ab-bilden“, wurde die seit den 1970er vielen Forschungen als Definition zugrun9
deliegende Trias mittlerweile um die Definition des Schulbuchs als „Konstruktorium“
10
ergänzt. Als ein wichtiger Einflussfaktor gilt in diesem Zusammenhang das Interesse
der Verlage sich individuell und in Abgrenzung zur Konkurrenz auf dem Markt zu posi11
tionieren und dabei wirtschaftlich zu arbeiten.
12
Als „populärste administrative Lenkungsinstrumente des Staates“ wird den Lehrplänen als Träger bildungsministerieller Vorgaben – und damit als deutlichster Ausdruck des „Politikums“ – der größte Einfluss hinsichtlich der Gestaltung und inhaltli13
chen Ausrichtung von Schulbüchern zugeschrieben. Bei der Erstellung neuer Schulbücher werden die Lehrpläne daher sowohl hinsichtlich ihrer Konzepte von Unterricht und
Lernzielen berücksichtigt, als auch als Grundlage für die inhaltliche und strukturelle
14
Ausgestaltung der einzelnen Themeneinheiten und Schulbuchkapitel herangezogen. In
15
ihrer Eigenschaft als „vollwertige Lehrmittel“ müssen Schulbücher dabei auch fachlichen Detailanalysen standhalten, die Inhalte unabhängig von ihrem Entstehungsprozess
16
beleuchten. Schulbuchautor/innen sind also dazu angehalten, neben den Vorgaben aus
dem Kultusministerium auch möglichst den „neuesten und gesicherten Forschungs17
stand“ der Fachwissenschaften abzubilden.
7
Vgl. u. a. Becher (20074), S. 45.
Über die Eigenschaften von Schulbüchern als Konstruktionen und Konstrukteure gesellschaftlichen
Wissens, vgl. Lässig (2010), S. 203.
9
Von den unzähligen Autor/innen, die sich auf diese Definition beziehen, seien unter den aktuellen
exemplarisch genannt Menck (2014), S. 334; Schönemann/Thünemann (2010), S. 178; Biener (2014),
S. 63; Wiater (2005), S. 43 sowie Höhne (2002).
10
Zum Schulbuch als „Konstruktorium“, vgl. Höhne (2002), S. 18.
11
Vgl. stellvertretend für viele andere Hessenauer (20112), die in ihrem Aufsatz die verschiedenen Einflussfaktoren auch grafisch festhält, ebd., S. 269.
12
Wiater (2005), S. 41.
13
Vgl. exemplarisch Wiater (2005), S. 41f. u. 50f.; Clauss/Seidenfuß (2007a), S. 13–15; Clauss (2007), S.
19f.; vgl. auch die Ergebnisse bei Bühler (2011), S. 45–54; etwas zurückhaltender auch Biener (2014),
S. 68.
14
Vgl. Wiater (2005), S. 51.
15
Clauss (2007), S. 20.
16
Zu diesem Anspruch an Schulbücher vgl. Clauss/Seidenfuß (2007a), S. 15.
17
Clauss (2007), S. 19, insb. die Ausführungen in Anm. 2.
8
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Doch in welcher Form zeigen sich diese Einflüsse aus Kultusministerium und Mediävistik auf der Schulbuchebene? Wie verhalten sich die Schulbücher hinsichtlich Lehrplanänderungen und fachwissenschaftlichen Neuerungen? Und lassen sich dabei auch
Veränderungen oder Kontinuitäten feststellen, die nicht mit dem Einfluss aus Wissenschaft und Ministerium zu erklären sind?
Anhand einer historisch-themenspezifischen Untersuchung des Themas Lehnswesen
in verschiedenen Geschichtsschulbüchern zwischen 1945 und 2014 soll die vorliegende
Arbeit diesen Fragen nachgehen. Die Entscheidung für das Thema unterlag dabei mehreren Gesichtspunkten. In erster Linie wurde von seiner zentralen Rolle für die Beschreibung und Deutung mittelalterlicher Herrschaft und Gesellschaft, auf die für eine
Längsschnittuntersuchung nötige Konstanz des Themas in den Schulbüchern geschlossen. Vor allem Veränderungen im Lehrplan können damit in den Büchern nachverfolgt,
aber auch andere Einflüsse, wie die verlagsinterne Weiterverwendung von Inhalten,
besser identifiziert werden. Zum anderen wird das etablierte Forschungsbild vom
Lehnswesen mit seiner zentralen Bedeutung für das Mittelalter, und sogar der wissenschaftliche Nutzen dieses Forschungsmodell für die Beschreibung historischer Herrschafts- und Gesellschaftsformen bis zum 12. Jahrhundert – also weit über die Hälfte
des Mittelalters in seinen allgemein üblichen Zeitgrenzen – seit Mitte der 1990er Jahre
18
grundlegend in Frage gestellt.
Die vorliegende Arbeit verortet sich damit innerhalb klassischer Themenfelder der
historischen Schulbuchforschung, die unter anderem nach dem „Wandel von Schul19
buchaufbau“ und „geschichtswissenschaftlichen Interpretationen“ fragt. Spezifischer
handelt es sich um eine historisch-themenspezifische Schulbuchanalyse mit fachwissen20
schaftlichem Ansatz, die die konzeptionelle und inhaltliche Gestaltung der Lehnswesendarstellungen in Schulgeschichtsbüchern seit 1945 hinsichtlich des Einflusses bildungsadministrativer und fachwissenschaftlicher Vorgaben untersucht und dabei aber
auch verlagsspezifische Einflussfaktoren berücksichtigt.
18
Hier sei v.a. Steffen Patzold genannt, der mit „Das Lehnswesen“ (2012) das aktuellste deutschsprachige
Überblickswerk zum Lehnswesen verfasst hat und sich darin klar auf Seiten der LehnswesenSkeptiker positioniert. Weitere Publikationen, in der Tragweite und Bedeutung des Lehnswesens –
zumindest bis ins 12./13. Jhdt. – bezweifeln werden, sind u. a. Kasten (2009); Dendorfer/Deutinger
(2010); Salten (2014) sowie die Überblicksdarstellungen von Jussen (2014); Ubl (2014) und Costambeys/Innes/MacLean (2011).
19
Becher (20074), S. 63.
20
Fachdidaktische Aspekte der Darstellungen werden dabei nur insofern berücksichtigt, wenn sie vor
dem Hintergrund der in Kap. 4 formulierten Fragestellungen relevant sind.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
2 Korpusbildung und Vorgehensweise
Eine historische Längsschnittuntersuchung wie die vorliegende erfordert noch vor Beginn der eigentlichen Analyse Überlegungen hinsichtlich des Quellen- und Datenmaterials und des methodischen Vorgehens, um eine weitgehende Reliabilität und Validität
der Forschungsergebnisse erreichen zu können. Besonders Schulbuchanalysen wird in
diesem Zusammenhang bereits seit Beginn dieses Forschungsfeldes in den 1960erJahren eine häufig mangelnde Einhaltung wissenschaftlicher Standards vorgeworfen,
21
insbesondere in Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit der einzelnen Arbeitsschritte. In
den folgenden beiden Abschnitten werden daher sowohl die Schritte zur Bildung eines
validen und repräsentativen Untersuchungskorpus, als auch das weitere dieser Arbeit
zugrundeliegende Vorgehen beschrieben.
Dafür ist an dieser Stelle bereits festzuhalten, dass es sich bei den dieser Untersuchung zugrundeliegenden Schulbüchern ausschließlich um die sogenannten Schülerbände handelt. Sonstige für den Unterrichtsgebrauch vorgesehene Medien, wie Schülerarbeitshefte, Folien, Arbeitsblätter oder elektronische Unterrichtsmaterialien, finden in
22
der Analyse keine Berücksichtigung.
Die Schwierigkeit der Erstellung eines validen Untersuchungskorpus ist innerhalb
23
der Schulbuchforschung allgemein bekannt. Erst kürzlich wurde dazu bemerkt, dass
sich „solange Kultusministerien auf einer Passung Schulbuch – Lehrplan bestehen, […]
die Frage einer sinnvollen Einschränkung der Grundgesamtheit [stellt], um nicht Zulas24
sungen für 16 Bundesländer dokumentieren zu müssen“ . Obwohl im Titel dieser Arbeit von einer Untersuchung des Lehnswesens im „deutschen“ Schulbuch die Rede ist,
musste daher auch hier eine Eingrenzung getroffen werden. Die Entscheidung für das
Bundesland Hessen beinhaltet dabei keinerlei qualitative Wertung, sondern erfolgte aus
21
Zu dieser Kritik vgl. u. a. die Ausführungen bei Schinkel (2014), S. 485-487 und Menck (2014), S.
333-335. Bezüglich des Alters der Kritik rekurrieren beide auf Aufsätze aus einem Sammelband der
1970er Jahre: Schallenberger, Ernst Horst (Hrsg.): Zur Methodenproblematik wissenschaftlicher
Schulbucharbeit, Kastellaun 1976.
22
Dies gilt auch für den Untersuchungszeitraum der 1970er Jahre, in denen die Lehrpläne nicht mehr
vorrangig auf das klassische Geschichtsbuch, sondern auf die Entwicklung und Verwendung „neuer
Arbeitsmaterialien“ setzen, vgl. LE-HE-1972, S. 42. Siehe auch die Ausführungen in Kap. 3.2.3 dieser
Arbeit.
23
Vgl. den einschlägigen Aufsatz von Hansjörg Biener (2014); ähnlich auch Schinkel (2014), S. 485.
24
Biener (2014), S. 65.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
untersuchungspraktischen Gründen.
25
Gestützt wird diese Form der Einschränkung
dadurch, dass die Beschränkung auf ein Bundesland erst kürzlich als „die klarste und für
andere Analysen anschlussfähigste Bestimmung“ eines Untersuchungskorpus herausge26
stellt wurde.
Als nächstes stellt sich das Problem der Reliabilität. Da über Auflagenhöhe und
27
Verbreitung von Schulbüchern kaum etwas bekannt ist, müssen bei der Auswahl der
zu untersuchenden Schulbücher andere Auswahlkriterien zum Tragen kommen, um eine
Zuverlässigkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Die Schlussfolgerung, hierfür könne
„nur vom allgemeinen Renommee der Verlage“
28
ausgegangen werden, erscheint dabei
ohne einschlägige Studien empirisch nicht besonders belastbar. Ausgehend von der in
der Hessischen Verfassung von 1946 (Art. 59) verankerten Lernmittelfreiheit, die be29
sagt, dass alle Lernmittel an öffentlichen Schulen unentgeltlich sind, und daher vor
ihrer Einführung durch die Schulen explizit vom Land für den Unterricht zugelassen
werden müssen, wurde direkt der Weg über diese Zulassungslisten gewählt.
In Hessen wurden die genehmigten Bücher seit 1948 teilweise einzeln in den Amts30
blättern des Hessischen Kultusministeriums veröffentlicht. Während sich bis 1951 in
den Amtsblättern noch Bücherlisten unter der Überschrift „Veröffentlichungen von
Schulbüchern“ – ab 1950 „Schulbuchkataloge“ – finden, erscheinen diese ab 1951 mit
dem Zusatz „Durchführung der Lernmittelfreiheit an Volks- Mittel- und Höheren Schulen“. 1952 bis 2010 erschienen die Kataloge jährlich als Sondernummer des Amtsblat31
tes, wobei sich ihre Bezeichnung mehrfach änderte. Für Forschungszwecke unterhält
das Hessische Kultusministerium eine Bibliothek, in welcher der Großteil der Schul25
U. a. die geografische Nähe zum Hessischen Kultusministerium, in dessen Forschungsbibliothek sowohl die früheren Hessischen Lehrpläne als auch beinahe alle Schulbuchlisten eingesehen werden
konnten.
26
Vgl. Biener (2014), S. 65; Zitat ebd.
27
Vgl. Schinkel (2014), S. 489; Biener (2014), S. 65.
28
Schinkel (2014), S. 489.
29
„In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. Unentgeltlich sind auch die Lernmittel mit Ausnahme der an den Hochschulen gebrauchten.“ Quelle:
Hessische
Verfassung,
Art.
49,
online
auf
https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_rv.html#docid:170031,61,19461201
[letzter Zugriff: 26.09.2017];
30
1948–1949: „Amtsblatt des Hessischen Ministeriums für Kultus und Unterricht“; 1950–1963: „Amtsblatt des Hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung“.
31
ABl-KM-HE 1952–1956/57: „Durchführung der Lernmittelfreiheit an allgemeinbildenden Schulen“;
ABl-KM-HE 1958–1989: „Der Vollzug der Lernmittelfreiheit im Schuljahr […] an allgemeinbildenden Schulen“; ABl-KM-HE 1990–2010: „Lernmittelfreiheit im Schuljahr […] an allgemeinbildenden
und beruflichen Schulen“.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
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buchkataloge die Bestandskürzungen der letzten Jahrzehnte überstand. Seit dem Jahr
2011 erscheinen die Listen ohne Anbindung ans Amtsblatt online auf den Seiten des
Hessischen Kultusministeriums unter der Bezeichung „Schulbücherkatalog für allgemein bildende Schulen und Schulen für Erwachsene“, wobei immer nur die aktuellen
33
Jahrgänge abrufbar sind. Eine zukünftige Recherche anhand von Schulbuchlisten wird
dadurch weiter erschwert und erhöht die Bedeutung von zentralen Institutionen, wie
dem Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig, das
34
sich nicht nur der Sammlung von Schulbüchern, sondern auch der Dokumentation von
35
Lehrplänen und Zulassungslisten widmet.
Für das vorliegende Korpus wurden die Kataloge der Jahre 1950, 1951, 1956, 1958,
1960–1969/70, 1972/73–1973/74 und 1976/77–2014/15 ausgewertet. Die Jahre ohne
vorhandene Daten wurden dabei insofern berücksichtigt, als dass für diejenigen Schulbücher, für die eine Genehmigung vor und nach des fraglichen Zeitraums nachgewiesen
36
werden konnte, auch eine Erlaubnis während dieser Zeit angenommen wurde. Im ersten Schritt wurden Schulbücher für die gymnasiale Mittelstufe herausgefiltert. Dabei
zeigte sich gleich zu Beginn, dass die Bücher anhand der Listen häufig nicht einer bestimmten Schulform zugeordnet werden können. So findet sich zur Schulbuchreihe Die
Reise in die Vergangenheit aus dem Westermann Verlag, die 35 Jahre in den Schulbuchlisten vertreten ist,
37
erst ab 1988/89 die Zusatzinformation „H[aupt-] u.
R[ealschulen]“, und das ohne erkennbare Neuauflage. Ein vergleichbarer Fall ist Der
Mensch im Wandel der Zeit, das sich zwischen 1949 und 1968 in den Listen wiederfin32
Ältere Kataloge konnten hingegen nur noch lückenhaft den Amtsblättern der vorherigen Jahrgänge
entnommen werden. Die Informationen zu den Bestandkürzungen sowie den Zugang zu den Katalogen verdanke ich Frau Dipl.-Bibl.in Waltraud Janssen vom Hessischen Kultusministerium.
33
Einsehbar unter https://kultusministerium.hessen.de/schule/weiterethemen/Lernmittelfreiheit/schulbue
cherkataloge [letzter Zugriff: 15.03.2015]. Die Bereitstellung der Kataloge von 2011-2014 verdanke
ich Frau Sonja Gölden aus dem Hessischen Kultusministerium.
34
Auch ein großer Teil der hier untersuchten Schulbücher konnte während eines kurzen Forschungsaufenthaltes im Georg-Eckert-Institut in Braunschweig eingesehen und digitalisiert werden.
35
Vgl. auch Biener (2014), S. 71, der die Frage aufwirft, ob ohne diese Institutionen mittelfristig überhaupt noch ein Schulbuchmarkt überprüfbar rekonstruiert werden kann.
36
Insgesamt kommt es nur ein einziges Mal vor, dass eine Schulbuchreihe eine Lücke von einem Jahr
innerhalb einer längeren Präsenzzeit in den Listen aufweist: das Werk Geschichte und Geschehen aus
dem Verlagshaus Klett wird von 1989 bis 2015 durchgehend in den Katalogen geführt – außer im Jahr
1994 (ein Jahr bevor die neue Ausgabe A erscheint). Die Gründe hierfür werden wohl in verlagsinternen Abstimmungs- oder Terminproblemen bei der Einreichung zur Genehmigung zu suchen sein.
37
In anderen Bundesländern wird die Reihe sogar bis heute fortgeführt, vgl. die Informationen auf der
Verlagshomepage von Westermann,
http://www.westermann.de/reihe/Die-Reise-in-die-Vergangenheit-Ausgabe-2012-fuer-NordrheinWestfalen/REINVENW12 [letzter Zugriff: 30.04.2015].
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
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det – auch hier erst ab 1958 mit dem Zusatz „für Volks- und Mittelschulen“ . Die beiden entsprechenden Bücher wurden daher nicht in das Korpus aufgenommen. Anders
liegt der Fall bei Wege der Völker. Hier bezeugt ein Eintrag auf der Impressumsseite der
offiziellen Nachfolgerreihe Spiegel der Zeiten, dass es sich um „eine Neubearbeitung
39
des Unterrichtswerkes ‚Wege der Völker‘ (Reihe D)“ handelt. Besagte Reihe D war
40
jedoch für Real- und Mittelschulen konzipiert worden. Zum anderen erscheint unter
dem Titel von Band II „Geschichte des Altertums und des Mittelalters“ der Zusatz „für
41
das sechste Schuljahr“, was nicht mit dem gültigen Lehrplan für die Höheren Schulen
des Landes Groß-Hessen im Einklang steht, der für die Behandlung des Mittelalters erst
42
die 8. Jahrgangsstufe vorsieht. Dass Wege der Völker – zumindest die Ausgaben A, B
und C – trotzdem auch für den gymnasialen Unterricht zugelassen waren, zeigt ein
Blick in die Schulbuchlisten. 1950 findet sich bei der Reihe der Vermerk, die Stoffeinteilung sei auf Grundlage der Berliner Lehrpläne erfolgt und die Bände könnten „solange benutzt werden, bis ein den hessischen Richtlinien für den Geschichtsunterricht […]
43
entsprechendes Buch vorliegt“ . Der Katalog von 1951 klärt dann nebenbei auch die
Schulformfrage, indem es dort heißt die verschiedenen Ausgaben könnten „in allen
44
Schularten […] gebraucht […] werden“ . Als letztes Beispiel sei Menschen in ihrer
Zeit aufgeführt. Die Reihe aus dem Klett Verlag ist 1966–1969 in einer 6-bändigen Version zugelassen und mit dem Zusatz „Geschichtsbuch für Realschulen“ versehen. In den
Jahren 1970–1984 findet sich dann eine neue 4-bändige Version mit dem Zusatz „Geschichtswerk für 11–16jährige“. Es handelt sich damit um ein Werk, das allgemein für
die Sekundarstufe I zugelassen ist – also auch in Gymnasien verwendet werden darf.
45
Nach Ausschluss derjenigen Reihen, die anhand der Schulbuchkataloge eindeutig
einer anderen Schulform außer dem Gymnasium zugeordnet werden konnten, ergab sich
so ein vorläufiges Korpus von 39 Schulbuchreihen, die in Hessen zwischen 1948 und
2015 zur Anschaffung durch Gymnasien zugelassen waren (Abb. 1 und Abb. 2).
38
SBK 1958/59, S. 11
Spiegel der Zeiten, Bd. III, 1958.
40
Siehe den entsprechenden Vermerk in SBK 1956, S 18.
41
Wege der Völker, Bd. II, 1948.
42
Vgl. LP-HE-1945, S. 27.
43
SBK 1950, S. 118.
44
SBK 1951, S. 59.
45
Vgl. diese Aussage stützend Becher (20074), S. 55.
39
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Eckert. Working Papers 2017/2
Datengrundlage : ABl-KM-HE 1.1948–15.1962; SBK 1950, 1951, 1956, 1958, 1960–1969/70, 1972/73–1973/74, 1976/77–2014/15.
Abb. 1: Sämtliche für die gymnasiale Mittelstufe zugelassenen Schulgeschichtsbuchreihen im Zeitstrahl
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Datengrundlage : ABl-KM-HE 1.1948–15.1962; SBK 1950, 1951, 1956, 1958, 1960–1969/70, 1972/73–1973/74, 1976/77–2014/15.
Abb. 2: Sämtliche für die gymnasiale Mittelstufe zugelassenen Schulgeschichtsbuchreihen in Relation zur Zulassungszeit
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en“ im Gescchichtsschu
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Eckert. Workinng Papers 20
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Doch wie verlässlich sind die Informationen in den Schulbuchlisten und lässt sich
von der Zulassung eines Buches auch auf seine Verbreitung schließen? Erst kürzlich
wurde unter anderem festgestellt, dass in den Schulbuchlisten Nordrhein-Westfalens
46
Bücher verzeichnet waren, die noch zwei Jahre später nicht zu kaufen waren. Bisher
scheinen zudem keine empirischen Daten über die tatsächliche schulische Verbreitung
47
der in den Listen genannten Bücher in den Schulen zu existieren. Es wurde daher versucht, dieses Problem über quantitative Ergebnisse hinsichtlich der Listenjahre der Reihen zu lösen. Hierfür wurde eine Mindestanzahl von Listenjahren festgelegt, in deren
Zeitraum mindestens eine Neuanschaffung stattgefunden haben sollte. Diese orientiert
sich an Angaben des Verbandes Bildungsmedien e.V., der größten bundesdeutschen
Lobby-Organisation für Bildungs- und Schulbuchverlage, die auf ihren Internetseiten
„für Schulbücher eine Verleihdauer von fünf bis sechs Jahren“
48
angibt. Um das hinter
diesen Zahlen zu erwartende unternehmerische Umsatzinteresse der Verlage angemessen zu berücksichtigen, wurde die Frist auf zehn Listenjahre fast verdoppelt. Für die
Zeit von 1949 bis 2015 ergeben sich daraus 18 relevante Schulbuchreihen, die bei zehn
verschiedenen Verlagen erschienen sind (Abb. 2).
Gleichzeitig wurde versucht zu erreichen, dass zumindest von einem Verlag über
den gesamten Untersuchungszeitraum Reihen vertreten sind, um eventuell Aussagen
darüber treffen zu können, inwiefern sich Verlage bei der Darstellung des Themas (im
Querschnitt) an Werken der Konkurrenz orientieren oder ob sich im Längsschnitt die
Wiederverwendung verlagseigener Schulbuchbausteine, erkennen lassen. Auf diese
Weise wurden letztlich 9 Reihen für die Untersuchung ausgewählt, die sich anhand ihrer
Präsenz in den Schulbuchkatalogen auf drei grobe Zeitabschnitte verteilen und dabei
gleichzeitig die am längsten in den Schulbuchlisten vertretenen Schulbuchreihen darstellen (Abb. 3).
Als Letztes musste in diesem Zusammenhang die Frage geklärt werden, welche der
häufig parallel verfügbaren Auflagen und Ausgaben untersucht werden sollten. Dabei
fiel auf, dass der Einteilung in verschiedene Ausgaben (A, B usw.) scheinbar kein einheitliches Schema – nicht einmal verlagsintern – zugrunde liegt, sodass diese sich so46
Vgl. Biener (2014), S. 71, der auch das Verschwinden weiterhin zugelassener Werke aus den Listen
feststellt.
47
Schlussfolgernd aus Schinkel (2014), S. 489 und Biener (2014), S. 65.
48
http://www.bildungswelten.info/index.php/fragen-antworten [letzter Zugriff 16.03.2015], Abschnitt
„Warum sind an Schulen manchmal alte Schulbücher in Benutzung?“.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
wohl auf unterschiedliche Darstellungsformen, wie Geschichten oder Erzähltext, auf
verschiedene Schulformen, als auch – in neuerer Zeit – auf Ausgaben für spezifische
49
Bundesländer beziehen können. Außerdem zeigte sich, dass die zugelassenen Aufla50
gen erst seit dem Katalog 1993/94 explizit genannt werden. Falls nicht anderes angegeben, wurden in die Untersuchung daher die neuesten Auflagen einbezogen. Auf diese
Weise wurden auch neue Herausgeber/innen und Autor/innen bei der Auswahl berücksichtigt. Insgesamt ergab sich so für die Analyse ein Gesamtkorpus bestehend aus neun
Schulbuchreihen, innerhalb derer insgesamt 33 verschiedene Auflagen-„Versionen“
berücksichtigt wurden (Abb. 3).
Die im Untersuchungskorpus festgelegten Schulbücher bilden als Primärquellen die
Datenbasis für die Schulbuchanalyse. Entsprechend ihrer zeitlichen Zusammenstellung
wird die Analyse in drei Untersuchungszeiträume unterteilt. Indem in jedem der Abschnitte wiederum drei parallele Schulbuchreihen untersucht werden, unterliegt die Untersuchung sowohl synchronen Analyseansätzen (Querschnitt), als auch diachronen Ansätzen (Längsschnitt) über den Gesamtzeitraum der Untersuchung.
Dabei muss stets berücksichtigt werden, dass das Schulbuch textlich „zwischen dem
Sachbuch und dem wissenschaftlichen Fachbuch“
51
steht. Nach seiner Konzeption hin-
gegen ist es als „didaktisches Medium in Buchform zur Planung, Initiierung, Unterstützung und Evaluation schulischer Informations- und Kommunikationsprozesse“
52
zu
betrachten. Bei der Bewertung der Lehnswesen-Darstellungen in den Schulbüchern ist
53
daher die „mediale Eigenlogik“ der Bücher zu beachten, die vor allem „Zwängen zur
Komplexitätsreduktion“
54
unterliegen.
Zusätzlich zur bereits erwähnten Entstehung der Bücher „aus einer komplexen Diskursarena hinaus“
55
sind daher die inhaltliche Reduktion aufgrund der umfänglichen
Begrenzung sowie die didaktische Reduktion, aufgrund der Zielgruppenorientierung zu
49
Beispiel wäre die Reihe Wege der Völker: Ausgabe A und B sind Grundausgaben, Ausgabe C stellt
unabhängige Geschichtenerzählungen dar, Ausgabe D ist nur für Real- und Mittelschulen; Beispiel
finden sich auch in der Reihe Geschichtl. Unterrichtswerk f. d. Mittelklassen.
50
SBK 1993/94.
51
Wiater (2005), S. 43.
52
Ebd.
53
Ebd., 487.
54
Ebd., 487.
55
Schinkel (2014), S. 485f.; siehe auch Höhne (2002), S. 19.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
56
berücksichtigen. Dass dies nicht erst ein Problem neuerer Schulbücher darstellt, zeigt
sich beim Blick in ein Buch aus dem Jahr 1948. Dort heißt es dazu, dass es das Ziel der
Darstellung sei, „die Kontinuität des geschichtlichen Ablaufes einigermaßen zu wahren
und doch so knapp wie möglich zu halten. […] Die Geschichte des frühen Mittelalter
wurde daher möglichst gekürzt.“
57
Die folgende Analyse basiert auf einem in Kapitel 4 ausdifferenzierten Fragenkatalog, der hermeneutisch aus den zuvor beschriebenen bildungsadministrativen und fachwissenschaflichen Vorgaben entwickelt und um verlagspezifische Aspekte ergänzt wird.
Auf ein kategoriales Analyserasters, wie es häufig in inhaltsanalytischen Schulbuchana58
lysen Anwendung findet, wird dabei verzichtet, um eine möglichst große Variabilität
bei der Beschreibung beobachteter Veränderungen und Einflüsse zu gewährleisten.
Durch ein möglichst transparentes Vorgehen bei der Beschreibung und Analyse der
aufgeführten Sachverhalte wird dabei versucht, die Nachteile einer deskriptivanalytischen Vorgehensweise so gering wie möglich zu halten und zu möglichst nachvollziehbaren Bewertungen der in den analysierten Gegenständen und Schulbüchern
59
enthaltenen Bezüge zum mittelalterlichen Lehnswesen zu gelangen.
Konkret werden hierbei in Kapitel 3 das jeweilige mediävistische Forschungsbild
sowie sämtliche dem Untersuchungszeitraum zugrundeliegende hessische Lehrpläne
hinsichtlich relevanter Vorgaben zum Lehnswesen beschrieben und ausgewertet. Auf
Basis dieser deskriptiven Analyse wird dann in Kapitel 4 deduktiv ein Fragenkatalog für
die Analyse der Schulbücher entwickelt, der um weitere verlags- und reihenspezifische
Fragen – deren Untersuchung hinsichtlich weiterer Einflussfaktoren auf die Konstruktion von Schulbuchinhalten ebenfalls als lohnenswert erachtet wird – ergänzt wird.
56
Vgl. ebd., S. 486. Auch Sauer (20087), S. 47–52; Claus/Seidenfuß (2007b), S. 353.
Deutsche Geschichte im europäischen Zusammenhang, Bd. I, Westermann: Braunschweig 1948), S. 5.
58
Vgl. z. B. Stürmer (2014), S. 132f.; vgl. allgemein auch Schinkel (2014), S. 491-494.
59
Zu diesem methodischen Vorgehen sowie den damit verbundenen Nachteilen vgl. knapp Schinkel
(2014), S. 491.
57
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Datengrundlage : ABl-KM-HE 1.1948–15.1962; SBK 1950, 1951, 1956, 1958, 1960–1969/70, 1972/73–1973/74, 1976/77–2014/15.
Abb. 3: Das Untersuchungskorpus
Chrisstoph Brama
ann
17
Das „Lehnswese
„
en“ im Gescchichtsschu
ulbuch
Eckert. Workinng Papers 20
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
3 Das Lehnswesen in Fachwissenschaft und Lehrplan
Für die Entwicklung des Fragenkataloges in Kapitel 4 werden in den folgenden Abschnitten in einem ersten Schritt die Entwicklungen des Forschungskonstruktes
„Lehnswesen“ aus Sicht der deutschsprachigen Mediävistik vorgestellt (Kap. 3.1). Dieser Zugriff geschieht vor allem auf Grundlage der als einschlägig geltenden Fach- und
Handbuchliteratur zu dem Thema. Im Zusammenhang mit der Neubewertung der
1990er Jahre wird dabei zusätzlich auch auf neuere fachwissenschaftliche Ansätze eingegangen und damit ein Abriss des aktuellen Forschungsstands zum Lehnswesen gegeben.
In einem zweiten Schritt werden dann die hessischen Lehrpläne hinsichtlich ihrer
thematischen und strukturellen Gewichtung des Lehnswesens untersucht (Kap. 3.2).
Dabei werden auch die den jeweiligen Untersuchungszeiträumen zugrunde liegenden
Konzepte von Geschichtsunterricht berücksichtigt, insofern diese mit dem Gebrauch
oder der Konzeption von Schulbüchern in Verbindung stehen, bevor auf der Grundlage
dieser Ergebnisse konkrete Fragen an das Untersuchungsmaterial formuliert werden.
3.1 Das Modell des Lehnswesens in der Mediävistik
Wie so vieles Mittelalterliche wurde auch das Modell des Lehnswesens von Historikern
des 19. Jahrhunderts entwickelt, die dabei durchaus auch im Rahmen des noch vorhan60
denen Lehnrechts ihrer eigenen Zeit dachten. Obwohl das in dieser Zeit konstruierte
Bild eines mittelalterlichen Lehnswesens stetig weiterbearbeitet und „an etlichen Stellen
retuschiert“ wurde, hielt auch die Forschung des 20. Jahrhunderts bis in die 1990er Jah61
re grundsätzlich an diesem Modell fest. Erst die britische Historkierin Susan Reynolds
62
leitete mit ihrem „Generalangriff“ auf die etablierten feudo-vasallitischen Institutionen
nicht nur eine Neubewertung des mittelalterlichen Quellenmaterials ein, sondern trug
maßgeblich dazu bei, dass das Lehnswesenmodell zur Erklärung mittelalterlicher Ge-
60
Vgl. Patzold (2012), S. 7.
Vgl. hierzu exemplarisch Dendorfer (2010), S. 15 und Patzold (2012), S. 7f. Eine dieser „Retouchierungen“, die bereits in den 1960er Jahren auf Basis der Forschungen von Werner Goez (1962) erfolgte, betraf die dezentralisierende und damit „zersetzende“ Wirkung des Lehnswesens auf die Entwicklung eines deutschen Einheitsstaates.
62
Reynolds, Susan: Fiefs and Vassals. The medieval evidence reinterpreted, Oxford 1994. Zur Bezeichnung ihrer Untersuchung als „Generalangriff“, vgl. Goetz (2003), S. 298 sowie Wittkamp (2012).
Über die große Wirkung der Studie besteht jedoch ein weitgehender Konsens in der Mediävistik, was
sich in weiteren Beschreibungen wie „Sprengsatz“ (Spieß (2002), S. 19) oder „radikale Kritik“
(Hechberger (20102), S. 71; Busch (2011), S. 61; Jussen (2014), S. 86) wiederspiegelt.
61
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
sellschaften mittlerweile sogar als „wenig hilfreich“ bishin „bedenklich“
63
eingestuft
wird.
Obgleich sich die Entwicklung des Lehnswesens in einer Vielzahl von Forschungs64
arbeiten widerspiegelt, wurde in der folgenden Darstellung der Fokus vor allem auf
solche Arbeiten gelegt, die noch bis heute von der mediävistischen Handbuchliteratur
65
als grundlegend angesehen werden. Die Darstellung der neueren Forschungsansätze
erfolgt dabei in erster Linie auf Basis der von Reynolds eingebrachten Kritik und den
darauf folgenden Reaktionen der deutschen Mediävistik, bevor auch hier auf die einschlägige Handbuchliteratur hinsichtlich der Rezeption der Debatte eingegangen wird.
Die folgenden Ausführungen sind daher grundsätzich als knapper Forschungsüberblick
konzipiert, auch wenn dabei nicht davon ausgegangen wird, dass sich Schulbuchautor/innen immer in den aktuellen mediävistischen Fachdiskurs einlesen können. Selbst
wenn dies der Fall wäre, ist fragwürdig, ob die Implementierung von selbst noch in
Handbüchern im Aushandlungsprozess befindlichen Theorien in einem genehmiguns66
pflichtigen und normativ wirksamen Medium wie dem Schulbuch ratsam wäre.
63
Patzold (2012), S. 121.
Zu diesem Grundkorpus an Forschungsarbeiten, die in der wissenschaftlichen Literatur gleichzeitig den
Forschungsstand bis 1990 repräsentiert gehören u. a. Waitz, Georg: Deutsche Verfassungsgeschichte,
8 Bde., Kiel 1844–1878; Mitteis, Heinrich: Lehnsrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Köln u. a. 1933 (letzter Nachdr. 1974); Brunner, Otto: Land und
Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter. Baden bei
Wien u. a. 1939 (5 Aufl. 1965; letzter Nachdr. 1990); Bloch, Marc: La Société féodale, 2 Bde., Paris
1939–1940 (letzte Neuaufl. 1998; dt. Titel: Die Feudalgesellschaft, Frankfurt u. a. 1982, letzte Aufl.
1999); Ganshof, François Louis: Qu'est-ce que la féodalité?, Brüssel 1944 (übers. u. a. ins Englische,
Deutsche und Spanische, dt. Titel: Was ist das Lehnswesen?, 6. Aufl., Darmstadt 1983); Kienast,
Walther: Die Fränkische Vasallität. Von den Hausmeiern bis zu Ludwig dem Kind und Karl dem Einfältigen, hrsg. v. Peter Herde, Frankfurt 1990. Aktuelle wissenschaftliche Zusammenfassungen der älteren Forschungsgeschichte zum Lehnswesen bieten Kasten (2009), S. 331–335; Spieß (2002), S. 17–
19; Dendorfer (2010), S. 11–23 und Salten (2014), S. 1–3.
65
Obwohl an dieser Stelle auch eine Darstellung der Kanonisierungsgeschichte des Lehnswesens (beispielsweise anhand verschiedener Lexika-Ausgaben) denkbar und sicherlich interessant wäre, orientieren sich die folgenden Ausführungen an den Manifestationen des Lehnswesens in denjenigen Arbeiten, die auch in der aktuellen Handbuchliteratur noch als grundlegende Werke zu dem Thema gekennzeichnet sind. Vgl. u. a. die Auflistung bei Hechberger (20102), S. 127, der dort unter dem
Abschnitt „6. Lehnswesen“ fünf Werke auflistet: Ganshof (19836), Kienast (1990), Mitteis (1933),
Reynolds (1994) sowie Spieß (2002). Während die ältere Forschungsmeinung hier durch die beiden
Standardwerke zum Lehnswesen von Heinrich Mitteis (1933) und François Louis Ganshof (1961 bzw.
1944) sowie die postum erschienene Untersuchung von Walter Kienast (1990) vertreten ist, werden
die jüngeren Ansätze in Form von Susan Reynolds (1994) „Generalangriff“ sowie in den Ausführungen von Karl-Heinz Spieß (2002) – der sich zwar auf das Hoch- und Spätmittelalter beschränkt, hier
jedoch durchaus auf verschiedene Aspekte der jüngeren Kritik eingeht – repräsentiert.
66
Allerdings sei hier angemerkt, dass offensichtlich als kontrovers diskutierte Themen wie das Lehnswesen grundsätzlich auch implizit, z. B. über gezielte „Auslassungen“, bei der Herstellung von Schulbüchern berücksichtigt werden können.
64
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Die weitgehende Konzentration auf deutsche Handbuchliteratur geschieht dabei zusätzlich vor dem Hintergrund der Annahme, dass sich die Schulbuchmediävistik bei der
inhaltlichen Ausrichtung der Lehrwerke vorwiegend an der nationalen Forschungskultur
67
orientiert. Da Stichproben einzelner Schulbücher zeigen, dass das Lehnswesen dort als
ein das gesamte Mittelalter hindurch bestehendes Ordnungssystem dargestellt wird,
werden im Folgenden neben den grundlegenden Konstruktionsprinzipien des Modells
auch die wichtigen Entwicklungsphasen und Auswirkungen knapp dargestellt.
3.1.1 Das Lehnswesen der älteren Forschung
„Wer sich schnell und verläßlich [zum Lehnswesen] informieren wollte, der konnte zu
einer konzisen Überblicksdarstellung greifen: ‚Was ist das Lehnswesen?‘
68
hieß das
Büchlein aus der Feder des Belgiers François Louis Ganshof, mit dem Generationen
69
von Geschichtsstudenten weltweit ausgebildet wurden“, stellte kürzlich der Mediävist
Steffen Patzold bezüglich der wichtigsten Darstellung zum Lehnswesen bis in die
70
1990er Jahre fest. Neben Ganshofs Klassiker von 1944 ist es das ungleich umfangreichere Werk des deutschen Rechtshistorikers Heinrich Mitteis von 1933, das einem auch
71
in der aktuellen Handbuchliteratur zum Lehnswesen immer wieder begegnet. Trotz
72
unterschiedlicher Ansätze waren es vor allem Mitteis und Ganshof, die das klassische
Bild vom Lehnswesen prägten und seine Entwicklung in eine karolingische Anfangs-
67
Vgl. diese Annahme stützend die Ergebnisse von Clauss (2007), S. 25 sowie Clauss/Seidenfuß (2007b),
S. 354; zum nationalen Charakter von Schülbüchern im Allgemeinen siehe Lässig (2010), S. 199, 205.
68
Ganshof, François Louis: Qu'est-ce que la féodalité?, Brüssel 1944, mit Übersetzungen ins Englische
(1952), Portugiesische (1959), Deutsche (1961) und Spanische (1963), dt. Titel: Was ist das Lehnswesen?, 6. Aufl., Darmstadt 1983.
69
Patzold (2012), S. 7f. Vgl. ähnlich auch Dendorfer (2010), S. 17.
70
Die Gründe hierfür könnten nach Aussagen älterer Kollegen unter anderem im niedrigen Preis des
Werkes und seiner Bekanntheit aufgrund der Veröffentlichung bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt (WBG) liegen.
71
Zum speziellen zeit- und wissenschaftshistorischen Kontext der beiden Werke vgl. auch die Ausführungen von Hans-Henning Kortüm (2010). Vgl. auch die knappe Zusammenfassung bei Dendorfer
(2010), S. 25.
72
Mitteis interessierte sich vor allem für die Auswirkungen des Lehnswesens auf das Recht („Lehnsrecht“) und den Staat („Lehnsstaat“), wohingegen sich Ganshof auf die gesellschaftlichen und sozialen Aspekte des Lehnswesens konzentrierte. Die verschiedenen Ansätze bedingen vor allem eine Unterschiedliche Behandlung des spätmittelalterlichen Lehnswesens, das bei Ganshof nur angeschnitten
wird, aus der rechthistorische Sichtweise Mitteis jedoch aufgrund seiner lange angenommenen negativen Auswirkungen auf den deutschen Einheitsstaat von Bedeutung ist.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
version des 8./9. Jahrhunderts und seine „klassischen“ Ausformungen des 10.–13. Jahr73
hundert unterteilen.
Dieses Lehnswesen-Modell geht von einer obligatorischen Verbindung zweier, ursprünglich voneinander unabhängigen Institutionen aus, die bereits in der Merowingerzeit nachgewiesen werden können: der Vasallität als persönlichem Treuebund zwischen
einem Herrn und seinem Vasallen (in den Quellen: vassus, vassallus), und der Verleihung von Land als Lehen (in den Quellen: beneficium, etwa ab dem 11. Jhdt. auch feu74
dum).
Die Institution der Vasallität werde dabei durch eine rituelle Unterwerfungsgeste
begründet (Kommendation), bei der der Vasall in der Regel seine gefalteten Hände in
die Hände seines Herrn lege und ihm Treue schwor. Auch die Überreichung von Investitursymbolen sei möglich gewesen. Außerdem beinhalte das Bündnis wechselseitige
Treueverpflichtungen: „Gehorsam und Dienst“ – vor allem Waffendienst, aber auch
Hof- und Gerichtsdienste – auf Seiten des Vasallen und „Schutz und Unterhalt“ auf Sei75
ten des Herrn. Das ältere Modell des Lehnswesens ging nun davon aus, dass der Herr
seiner „Unterhaltspflicht […] schon bald durch Verleihung eines Gutes, genannt
76
‚Lehen‘“ nachgekommen sei, mit dem der Vasall in die Lage versetzt werden sollte,
seine gelobten Pflichten zu erfüllen. Aus Sicht des Königs als obersten Herrn im mittelalterlichen „Staat“, erhielt der Vasall – mit den Worten der älteren deutschen Verfassungsgeschichte gesprochen – „die Verpflichtung zu staatlichen Leistungen gegen Ge77
währung von Staatskapital“ . Persönliches Element (Vasallität) und dingliches Element
(Lehen) seien dabei ursprünglich auf die Lebenszeit der Vertragspartner begrenzt gewesen und mussten somit beim Tod einer Seite erneuert werden. Auf diese Weise großzügig belehnte Vasallen hätten dann ihrerseits Teile ihres Lehens an andere Freie vergeben, die dadurch ihre eigenen Vasallen wurden, sogenannte Unter- oder Aftervasallen
des Königs. Geschehen sei dies „zweifellos sehr oft auf ausdrücklichen Wunsch ihres
73
Vgl. Dendorfer (2010), S. 24. Aufschlussreich sind auch die Kapiteleinteilungen bei Mitteis (1933):
Erster Teil. Lehnrecht der fränkischen Zeit; Zweiter Teil. Lehnrecht der Nachfränkischen Zeit, sowie
Ganshof (19836): II. Teil: Das karolingische Lehnswesen; III. Teil: Das klassische Lehnswesen. Vgl.
auch Lexika-Einträge, wie dejenige von Karl-Heinz Spieß (1978) zum Lehnswesen.
74
Stellvertretend für die Zusammenfassungen sei hier verwiesen auf Patzold (2012), S. 9–11 und v.a. S.
14–25 sowie (verkürzt) Jussen (2014), S. 84–86.
75
Vgl. Ganshof (19836), S. XIV-XV.
76
Ebd., S. XV.
77
Mitteis (1933), S. 13; Zur Problematik des Begriffs und Kozeptes von Staatlichkeit, besonders im
Frühmittelalter, vgl. Fried (2005) sowie Pohl (2009).
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Herrn, denn dieser sah es gern, wenn sie [seine Vasallen] ihm auf diese Weise mit einer
78
recht großen Schar von Reisigen dienen konnten“ .
Die ältere Forschung sah in der Vasallität damit „das beste, ja einzige Mittel intensi79
ver Staatsgestaltung in fränkischer Zeit“. Bereits ab der Mitte des 8. Jahrhunderts sollen die fränkischen Könige das Lehnswesen auf diese Weise gezielt eingesetzt haben,
um auch Grafen, Bischöfe und Äbte als sogenannte Kronvasallen stärker an sich zu bin80
den, sodass spätestens am Ende der Karolingerzeit „die wichtigsten Ämter […] in der
81
Form des Lehnrechts verliehen“ worden seien. Für Karl den Großen wurden auf diese
Weise 1.000–3.000 Vasallen angenommen, die ihm wiederum mit bis zu 30.000 After82
vasallen hätten dienen können. Das karolingische Lehnswesen sei damit „auf breiter
83
Basis als Herrschaftsmittel“ eingesetzt worden und hätte „das Rückgrat von Gesell84
schaft, Wirtschaft, Militärwesen und Politik“ dargestellt.
Bereits ab dem Ende des 9. Jahrhunderts hätten dann verschiedene Entwicklungen
den Übergang vom karolingischen zum klassischen Lehnswesen des 10.–13. Jahrhun85
derts markiert. Als Ausgangspunkt aller Veränderungen wurde dabei die sich durch86
setzende Erblichkeit der Lehen angesehen. Hierfür galt das Kapitular von Quierzy 877
lange Zeit als Musterfall für die „erste präzise Formulierung des neuen Prinzips von
87
epochemachender Bedeutung“. Auch Ganshof interpretierte das Kapitular als Bestätigung Karls des Kahlen, dass Lehen „nach der herrschenden Gewohnheit“ erblich sei78
Ganshof (19836), S. 21.
Gebhardt (19548), S. 607.
80
Vgl. Ganshof (19836), S. 53f.; Einziger Ausgangspunkt für diese Annahme stellte die Unterwerfung des
bayrischen Fürsten Tassilo III. dar, der sich 757 Pippin, dem Vater Karls des Großen, als Vasall
kommendiert und dafür das Herzogtum Bayern als Lehen erhalten haben soll. Diese Interpretation der
Quellen gilt mittlerweile als widerlegt, wobei besonders die erniedrigende Unterwerfung Tassilos unter Karl den Großen 787 (ohne Vergabe eines Lehen), als Zeichen dafür gesehen wird, das sich die
Großen der Zeit keineswegs freiwillig in Vasallität begaben, sondern, dass es sich dabei vielmehr um
ein erniedrigendes Ritual handelte, vgl. hierzu u. a. Patzold (2012), S. 35–37, v.a. 36f.;Ubl (2014), S.
47; Becher (20146), S. 96. Zweifel an der älteren Interpretation lassen sich jedoch bereits bei Kienast
(1990), S. 80–124, v.a. 81f., finden.
81
Mitteis (1933), S. 199.
82
Solche und ähnliche Zahlen finden sich unter anderem bei Kienast (1990), S. 208, der jedoch gleichzeitig in einer groß angelegten Quellenuntersuchung eindeutig nur 24 vassi dominici zweifelsfrei feststellen konnte, vgl. ebd., S. 172–185, v.a. S. 184. Vgl. auch Patzold (2012), S. 24f.
83
Spieß (2002), S. 19 (die ältere Forschung referierend).
84
Patzold (2012), S. 38f. (die ältere Forschung referierend).
85
Vgl. ebd., S. 39–43; Jussen (2014), S. 85f. (beide die ältere Forschung referierend).
86
Capitulare Cariacensie, in: MGH, Capitularia regum Francorum II, Nr. 281, Hannover 1897, S. 355–
361.
87
Mitteis (1933), S. 175.
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en. Bis zum Hochmittelalter habe sich dann auch das Erbrecht im Lehnswesen fest
89
etabliert.
Unter anderem bedingt durch diese sich durchsetzende Erblichkeit von Lehen entstand nach Meinung der älteren Forschung noch im Verlauf des 9. Jahrhundert die sogenannte Mehrfachvasallität, nach der ein Vasall Lehen verschiedener Herren besitzen
konnte. Das gegenseitige Treueverhältnis zwischen Herr und Vasall sei dadurch erheb90
lich beeinträchtigt worden. Außerdem habe sich bis zum 12. Jahrhundert die sogenannten „Verdinglichung“ des Lehnswesens durchgesetzt, die dazu geführt haben soll,
dass das Lehen nicht mehr als „Belohnung“ für die Vasallität verliehen wurde, sondern
in die Vasallität eingetreten wurde, um ein neues Lehen zu erhalten und/oder das geerb91
te bestätigt zu bekommen.
Aus diesen Veränderungen hätten sodann zwei weitere Entwicklungen resultiert, die
vor allem die deutsche Mediävistik lange Zeit beschäftigt haben. Zum einen habe sich
im Heiligen Römischen Reich – im Gegensatz zu den Königreichen in Frankreich und
England – kein sogenannter Treuevorbehalt zugunsten des Königs durchsetzen können,
der einen Vasallen trotz anderer mehrfach bestehender Lehnsverhältnisse auch direkt an
92
den König gebunden hätte. Dies hätte zu einer Trennung der unteren Aftervasallen
vom König geführt, wie sie auch durch die bekannten Lehnspyramiden fälschlicher93
weise suggeriert wird. Zum anderen habe sich nur in der Mitte Europas der sogenannte
„Leihezwang“ durchgesetzt, der vor allem im Deutschland des 19. Jahrhunderts als ein
Grund für die Kleinstaatlichkeit des Heiligen Römischen Reiches und damit auch die
94
„verspätete Nationalfindung“ angesehen wurde. Ausgangspunkt hierfür bildetete eine
Passage im Sachsenspiegel aus dem 13. Jahrhundert, die besagt, dass der König ledig
gewordene Lehen binnen Jahr und Tag wieder zu vergeben hätte. Die deutschen Könige
hätten demnach nicht ihre Zentralgewalt durch das Einbehalten solcher Lehen stärken
können. Obwohl sich die erste Formulierung des angenommenen „Leihezwangs“ damit
erstmals im 13. Jahrhundert findet, stellte die ältere Forschung rückwirkend bereits für
88
Ganshof (19836), S. 50.
Vgl. Mitteis (1933), S. 165. Vgl. auch Spieß (2002), S. 23f.
90
Vgl. Ganshof (19836), S. 51f.; Mitteis (1933), S. 102.
91
Vgl. Ganshof (19836), S. 52 sowie ausführlich Mitteis (1933), S. 521–523.
92
Vgl. Ganshof (19836), S. 109–111. Siehe auch Spieß (2002), S. 29f.
93
Zu diesem Anschein der Lehnspyramiden vgl. Patzold (2012), S. 108f.
94
Vgl. hierzu und im Folgenden ebd., S. 96–102.
89
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das 9. Jahrhundert fest „daß das Erbrecht in Lehen von Haus aus nichts anderes ist als
95
die erste generelle Anwendung des Prinzips des Leihezwangs“ . Dieser Leihezwang
96
als deutsche Sonderausprägung des Lehnswesens wurde erst 1962 widerlegt. Ab der
zweiten Auflage von 1967 findet sich dieser dann auch nicht mehr in Ganshofs „Klassi97
ker“.
Viele der genannten Vorstellungen vom Lehnswesen hat die jüngere Mediävistik
mittlerweile grundlegend infrage gestellt. Vor allem seine Entstehung und Bedeutung in
karolingischer Zeit wird nach Meinung der aktuellen Forschung nicht der historischen
Wirklichkeit des 8./9. Jahrhunderts gerecht. Um die Argumente der Kritiker – auch hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Lehnswesens bis zum 12. Jahrhundert – besser
nachvollziehen zu können, wird im Folgenden zunächst ein Blick auf die wesentlichen
Thesen Susan Reynolds geworfen, die allgemein als Auslöser einer Debatte gelten, die
98
erst kürzlich als beendet deklariert wurde. In einem nächsten Schritt steht dann die
daraus hervorgegangene Dekonstruktion vor allem des karolingischen Lehnswesens
durch die jüngere Forschung im Fokus.
99
3.1.2 Neue Forschungsansätze zum Lehnswesen
Susan Reynolds länderübergreifende Studie stellte sich rückblickend nicht nur als bloße
Neubewertung des mittelalterlichen Quellenmaterials heraus, sondern erwies sich letztlich als „vernichtender Schlag gegen die ‚feudo-vasallitischen‘ Institutionen, als engere,
rechtliche Kernformel des Lehnswesens“
100
.
95
Mitteis (1933), S. 174.
Vgl. Goez (1962), S. 254; hier seine Ergebnisse zusammenfassend.
97
Vgl. Ganshof (19672), S. 179. Die erste Auflage führte diese Veränderung hingegen noch nicht, vgl.
Ganshof (1961), S. 179.
98
Vgl. hierzu den Untertitel „2. Workshops zum Lehnswesen“ am 22./23.11.2014 an der Universität
Tübingen: Normative Ordnungen des Mittelalters neu denken. Mediävistische Entwürfe nach der
Feudalismus-Debatte. Noch 2012 hatte Steffen Patzold, einer der Organisatoren des Workshops, dabei
von einer noch andauernden Debatte gesprochen, vgl. Patzold (2012), S. 8.
99
Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick über die Argumente der neueren Forschungen zum
Lehnswesen geben, ohne dabei den Anspruch zu erheben, den mediävistischen Fachdiskurs vollständig wiederzugeben. Als Ausgangspunkt wurde dafür die „Fundamentalkritik“ von Susan Reynolds
(1994) am Lehnswesen als bestehenden Denkrahmen gewählt, bevor auf die unmittelbaren Reaktionen
der deutschsprachigen Mediävistik sowie exemplarische aktuelle Handbücher eingegangen wird.
100
Dendorfer (2010), S. 14. Hierbei ist anzumerken, dass sich auch Reynolds Kritik auf älteren, vor allem
anglo-amerikanischen Ansätzen fußt, von denen hier exemplarisch verwiesen sei auf den in diesem
Zusammenhang häufig erwähnten Aufsatz von Elisabeth Brown (1974): The Tyranny of a Construct:
Feudalism and Historians of Medieval Europe, in: The American Historical Review 79, H. 4, S. 1063–
1088.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
In ihrem Werk vertritt die Historikerin die These, das Lehnswesenmodell der älteren
Forschung sei weder früh- noch hochmittelalterlich, sondern gehe vielmehr auf frühneuzeitliche Juristen ab dem 16. Jahrhundert zurück. Diese erst hätten vor dem Hintergrund von Rechtskompilationen des 12. und 13. Jahrhunderts, wie den norditalienischen
Libri Feudorum oder dem nordalpinen Sachsenspiegel, die vielfältigen Besitz- und Leiheformen des Früh- und Hochmittelalters unter der spezifischen Rechtsform des
„Lehen“ zusammengefasst. Dieses Spezifikum hätten sie dann systematisch mit der
Vasallität – einem weiteren speziellen Rechtsbegriff – verbunden und mit diesem Zusammenschluss die feudo-vasallitischen Institutionen als Kernelement des Lehnswesens
herausgestellt. Dabei hätten die Juristen die ihnen in den Rechtstexten begegnenden
Begriffe und Inhalte vorbehaltslos auf frühere Jahrhunderte übertragen.
101
Die Histori-
ker des 19. Jahrhunderts hätten dieses über 300 Jahre gewachsene „mächtige Paradigma“
102
schließlich übernommen und weiterentwickelt, wodurch früh- und hochmittelal-
terliche Quellen durch ein post-mittelalterliches Konzept von Lehen und Vasallität vor103
eingenommen interpretiert worden seien.
Anhand diverser Quellenbeispiele versucht Reynolds zu zeigen, wie diese konzeptionelle Voreingenommenheit den Blick auf die Vielfalt der in den mittelalterlichen Texten eigentlich beschriebenen Personen und Handlungen verstelle, sodass schließlich
auch dort feudo-vasallitische Institutionen gesehen wurden, wo im lateinischen Text
104
von Vasallen oder Lehen gar nicht die Rede ist.
Ausgehend von der – bereits der älte-
ren Forschung bekannten – Beobachtung, dass bei weitem nicht jeder der in der dünnen
Quellenlage überhaupt erwähnten vassi
Reynolds,
107
105
auch ein beneficium erhält,
106
konstatiert
dass in den Texten stattdessen viele andere Personen, fideles (Getreue),
101
Zur allgemeinen Beschreibung des Problems siehe Reynolds (1994), S. 1–13, bes. S. 2; Zur Rolle von
Lehen und anderen Besitzarten siehe ebd., S. 48–74, v.a. S. 73f.; Zur Vasallität und anderen sozialen
Bindungsmöglichkeiten siehe ebd., S. 17–47, v.a. S. 47; Reynolds Hauptthesen zusammenfassend vgl.
exemplarisch Spieß (2002), S. 19; Dendorfer (2010), S. 17; Salten (2014), S. 4.
102
Vgl. Reynolds (1997), S. 39.
103
Vgl. Reynolds (1994), S. 2.
104
Vgl. ebd; bzgl. des Konzeptes von Vasallität im Besonderen, ebd., S. 47
105
Vgl. ebd., S. 22; Bereits Kienast hat in seiner großen Untersuchung alle Belege für vassi in der Karolingerzeit zusammengetragen, vgl. Kienast 1990, S. 162–555. Die relativ wenigen Nennungen von
Vasallen lesen sich allerdings schon dort wie „die Aufnahme eines Nichtbestandes“. Vgl. auch Kasten
(2009), S. 331.
106
Vgl. Reynolds (1994), S. 104.
107
Zum karolingischen Lehnswesen allgemein, vgl. ebd., S. 84–111.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
108
homines (Männer) oder miles (Krieger) ein solches erhalten.
Während sich also die
ältere Forschung hinter diesen Begriffen in Zusammenhang mit beneficium beinahe
ausnahmslos Vasallen vorstellte, vermutet Reynolds hier viele unterschiedliche Arten
von Freien, mit sehr unterschiedlichen Formen der Verpflichtung gegenüber ihren Her109
ren.
Auch die Annahme, dass Grafen, Bischöfe und andere Große generell vassi der
110
karolingischen Könige gewesen seien, findet Reynolds nicht in den Texten bestätigt.
Obwohl sich auch die ältere Forschung dieser terminologischen Problematik durchaus
bewusst war,
111
hatte man es bei der Erklärung belassen „daß ‚miles‘, ‚fidelis‘ und ‚ho-
mo‘ stets ein weiteres Bedeutungsfeld hatten […] und daß man sie nur mit ‚Vasall‘
112
übersetzen darf, wenn der Zusammenhang es erlaubt“.
Was diesen Zusammenhang
allerdings genau ausmacht, darüber schweigt die ältere Forschung.
Auch das mehrheitlich als Lehen gedeutete beneficium löst Reynolds aus seiner semantischen Stigmatisierung, indem sie konstatiert, dass ein beneficium der Karolingerzeit nicht mit einem feudum des 12. Jahrhunderts gleichgesetzt werden könne, da beide
Begriffe zwei unterschiedlichen Rechtsschulen entstammten: Auf der einen Seite dem
Gewohnheitsrecht des frühmittelalterlichen nordalpinen Europas und auf der anderen
113
Seite dem akademischem Recht der gerade erst neu entstehenden Jurisprudenz.
Noch
mindestens bis Ende des 9. Jahrhunderts hätte beneficium demnach viele verschiedene
Bedeutungen haben können, wie beispielsweise die wörtlich zu nehmende Wohltat. Unter dem beneficium eines einfachen vassus müsse daher etwas anderes verstanden wer114
den als unter dem gleichnamigen beneficium eines Grafen oder Bischofs.
108
Vgl. ebd., u. a. S. 23.
Vgl. ebd., u. a. S. 104.
110
Vgl. Reynolds (1997), S. 35f., die sich hier auf die Untersuchung von Charles Edwin Odegaard: Vassi
and Fideles in the Carolingian Empire, Boston 1945, bezieht. Dieser hatte bereits ein halbes Jahrhundert zuvor darauf hingewiesen, dass Grafen, Bischöfe etc. keine Vasallen des Königs gewesen seien,
sondern es am Hof vielmehr viele verschiedene Arten von Freien gab, die zwar alle fideles waren, sich
jedoch innerhalb dieser Gruppe in Grafen, Bischöfe, Äbte und eben auch Vasallen unterteilten. Über
den von der älteren Forschung angeführten Fall Tassilos schreibt Reynolds daher: „Tassilo’s case was
a very special indeed“, vgl. Reynolds (1994), S. 86. Siehe auch die Ausführungen in Anm. 80.
111
Beispielsweise herrschte Konsens darüber, dass fidelis im allgemeinen einen Oberbegriff zu vassus
bildete, also alle Vasallen fidelis waren, dies jedoch umgekehrt nicht zwingend der Fall sein musste,
vgl. Ganshof 19836, S. 54 sowie Kienast (1990), S. 126f., Anm. 411, der sich bezieht auf Charles Edwin Odegaard: Vassi and Fideles in the Carolingian Empire, Boston 1945.
112
Ganshof (19836), S. 71.
113
Vgl. Reynolds (1994), S. 73f. u. 477f.
114
Vgl. ebd., S. 110.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Für das Funktionieren früh- und hochmittelalterlicher Herrschaft vor dem 12. Jahrhundert vermutet Reynolds daher andere Konstanten: Den interpersonalen Beziehungen
des Lehnswesens stellt sie das Konzept von „Herrschern und Abhängigen“ (rulers and
subjects), „Übergeordneten und Untergebenen“ (superiors and inferiors)
115
gegenüber,
das in einer extrem ungleichen und autoritären Gesellschaft wie der mittelalterlichen,
116
sowohl auf Zwang, als auch auf gemeinsamen Werten und Normen beruht habe.
Sys-
tematische feudo-vasallitische Verbindungen müssten dagegen erst als Ausdruck einer
zunehmenden Bürokratisierung des Herrschaftsapparates durch juristische Experten
verstanden werden und entbehrten mindestens für die Zeit vor dem 12. Jahrhundert je117
der Quellengrundlage.
Reynolds These, die feudo-vasallitischen Institutionen des Lehnswesens seien lediglich ein frühneuzeitliches Konstrukt auf der Basis hoch- und spätmittelalterlicher
Rechtskompilationen, stieß vor allem bei deutschen Historikern auf breite Ableh118
nung.
Mit der Verdrängung des Lehnswesens zugunsten eines „bipolaren Staatskon-
119
zeptes“
von Herrschern und Beherrschten, in dem gesellschaftlicher Fortschritt aus-
schließlich von oben käme, hätte sich Reynolds unter anderem als „Verfassungshistori120
kerin […] im deutschen Sinn des Wortes“
121
positioniert.
Von verschiedenen Seiten
wurde ihr zudem methodisch ungenaues und unwissenschaftliches Arbeiten unter-
115
Ebd., S. 47.
Ebd., S. 476.
117
Vgl. ebd., S. 478f.
118
Für die Auseinandersetzung der deutschen Forschung mit Reynolds Buch sei an dieser Stelle allgemein auf die folgenden Besprechungen verwiesen: Oexle, Otto Gerhard: Die Abschaffung des Feudalismus ist gescheitert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 116 (19.05.1995), S. 41; Fried, Johannes:
Review of „Susan Reynolds, Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreted“, in: Bulletin of
the German Historical Institute London 19, H. 1 (1997), S. 28–41, und darauf reagierend Reynolds,
Susan: Responds to Johannes Fried, in: Bulletin of the German Historical Institute London 19, H. 2
(1997), S. 30–40; Krieger, Karl-Friedrich: Review of „Susan Reynolds, Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreted“, in: Historische Zeitschrift, Bd. 264, H. 1 (1997), S. 174–179; Kroeschell, Karl: Lehnsrecht und Verfassung im deutschen Hochmittelalter, Artikel vom 27.04.1998, in:
forum historiae iuris. Erste Internet-Zeitschrift für Rechtsgeschichte (URL: http://www.rewi.huberlin.de/FHI/zitat/9804kroeschell.htm [Letzter Zugriff: 16.10.2014]). Verhaltene Zustimmung erfuhr
Reynold Buch hingegen von Kasten, Brigitte: Rezension zu „Susan Reynolds, Fiefs and Vassals. The
Medieval Evidence Reinterpreted“, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 51 (1995),
S. 307.
119
Fried (1997), S. 33f.
120
Oexle (1995), S. 41.
121
Für weiterführende Ausführungen zur Rezeptionsgeschichte des Lehnswesens vor allem im Zusammenhang mit der deutschen Verfassungs- und Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, vgl. die Beiträge
von Werner Hechberger (2010) und Hans-Henning Kortüm (2010) im Sammelband „Das Lehnswesen
im Hochmittelalter“, hrsg. v. Jürgen Dendorfer und Roman Deutinger.
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stellt.
122
Auf verhaltene Zustimmung stieß lediglich ihre Kritik bezogen auf die sehr
schmale Quellenlage sowie die von ihr herausgestellte Bedeutung der sich formierenden
123
Jurisprudenz im 12. Jahrhundert.
Umfassend diskutiert wurden die Neubewertungen erst fünf Jahre später auf einer
großen internationalen Tagung in Spoleto im Jahr 1999, deren Ergebnisse einen anschaulichen Einblick darüber geben, wie die jeweiligen Neubewertungen der Quellen
124
debattiert wurden.
Ab den 2000er Jahren fanden Reynolds Thesen und ihre Rezeption
schließlich auch Einzug in deutsche Forschungsarbeiten und Handbücher. Vor allem in
Handbüchern über frühmittelalterliche Themen wurde den neuen Ansätzen ein Platz in
125
den Forschungskontroversen und -tendenzen eingeräumt.
Trotz der anfänglichen Ab-
lehnung ihrer Forschungsergebnisse erfuhr hier vor allem Zustimmung, „dass die
Schlüsselwörter, ‚homo‘, ‚fidelis‘ oder ‚beneficium‘ nicht mehr […] ohne weiteres
lehnsrechtlich gedeutet werden dürfen“
126
. Auch Reynolds Thesen bezüglich eines
nicht-existenten karolingischen Lehnswesens wurden mittlerweile weitestgehend bestätigt,
127
weshalb neuere Forschungen frühmittelalterliche Herrschaft mittlerweile ohne
128
das Modell des Lehnswesens „denken“.
Die Kritik umfasst dabei vor allem die fol-
genden Hauptargumente:
Neben der grundlegenden Kritik, die Quellenbasis der Karolingerzeit sei zu schmal,
129
um von ihr auf ein valides System schließen zu können,
wurde vor allem Reynolds
122
Vgl. vor allem ebd., aber auch Fried (1997), bes. S. 31 u. 40f.; Krieger (1997), S. 178f.;Kroeschell
(1998), Abs. 9.
123
Vgl. Krieger (1997), S. 179 sowie Kroeschell (1998), Abs. 40. Vgl. in neuester Zeit noch einmal bestätigend Dendorfer (2010), S. 19.
124
Vgl. Patzold (2012), S. 124, mit Bezug auf den Sammelband “Centro Italiano di Studi Sull'Alto Medioevo (Spoleto, Italia). Settimane di Studio (Hrsg.): Il Feudalesimo nell'Alto Medioevo (Settimane di
Studi del Centro Italiano di Studi sull'Alto Medioevo, XLVII, 8-12 aprile 1999, 47), 2 Bde., Spoleto
2000”.
125
Beispiele hierfür sind u. a. Goetz (2003), Europa im frühen Mittelalter, S. 298–300 (Kap. Forschungskontroversen); Busch (2011), Die Herrschaften der Karolinger, S. 60f. (Kap. Forschungstendenzen);Hechberger (20102), Adel, Ministerialität und Ritter, S. 71 (Kap. Forschungstendenzen); Spieß
(2002), Das Lehnswesen in Deutschland, S. 178f. (Kap. Forschungsthesen), hier wird Reynolds mit
grundsätzlicher Zustimmung besprochen, die im Abschnitt Forschungsgeschichte, S. 19f. deutlich
wird.
126
Vgl. Spieß (2002), S. 20 (Zitat ebd.) sowie Goetz (2003), S. 289.
127
Vgl. auch Dendorfer (2010), S. 18f. Als Beispiele seien hier die Forschungsarbeiten von Kasten (2009)
und Salten (2014) genannt.
128
Vgl. u. a. Kasten (2009); Dendorfer/Deutinger (2010); Salten (2014) sowie die Überblicksdarstellungen Patzold (2012); Jussen (2014); Ubl (2014). Als englisches Beispiel sei verwiesen auf Costambeys/Innes/MacLean (2011).
129
Vgl. Patzold (2012), S. 25f.
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130
Kritik am zu einseitigen Umgang mit den Quellenbegriffen bestätigt.
Die karolingi-
schen Quellen berichten über vassi lediglich, dass sie meist als Krieger, aber auch als
Boten (missi), Gesandte oder zu sonstigen Diensten am Hof ihres Herrn eingesetzt wurden. Da sie nicht zwingend mit einem beneficium ausgestattet wurden, sei der Begriff
131
„Lehnsleute“ für sie unbrauchbar.
Auch der Einwand, weder die Vasallität von Gra-
fen, Bischöfen oder Äbten, noch eine generelle Kommendation dieser Großen könne
132
anhand der Quellen belegt werden, fand sich bestätigt.
Geht es nach den mittelalterli-
chen Texten könnten Grafen und Bischöfe auch „ganz einfach ein Amt“
133
gehabt ha-
ben. Geht man zudem nicht von einer vasallitischen Bindung dieser Großen an den König aus, ist letztlich auch die Existenz von Aftervasallen fraglich, denn bisher ließ sich
134
kein vassus finden, der seinerseits vassi gehabt hätte.
Zusammenfassend gelangt die neuere Forschung zu dem Ergebnis, dass eine „irgendwie geartete feste Verbindung zwischen Vasallität und Benefizialwesen, die ein
fränkisches Lehnrecht konstituiert hätte“
135
, in den karolingischen Quellen nicht nach-
weisbar ist und daher zukünftig auch nicht mehr vorausgesetzt werden sollte. Der Begriff des Lehnswesens, der von der älteren Forschung als eine Art Metapher für ein klar
136
geregeltes Herrschaftssystem verwendet wurde,
sei somit für die Beschreibung früh-
137
mittelalterlicher Zustände nicht zu gebrauchen.
In diesem Zusammenhang sind auch die für die Folgezeit angenommenen Schlüsselentwicklungen einer Neubewertung unterzogen worden. War das Kapitular von Quierzy
Karls des Kahlen aus dem Jahr 877 aufgrund seiner vermeintlichen Regelungen zur Erblichkeit von der älteren Forschung noch „als Zäsur in der Geschichte des Lehnswesens“
138
wahrgenommen worden,
139
interpretiert die neuere Forschung das Kapitular
dahingehend, dass Karl mit dem Text lediglich vor seinem Feldzug in Italien die Thron130
Zu diesem ganzen Komplex vgl. ebd., S. 26–34.
Vgl. ebd., S. 38.
132
Vgl. ebd., S. 37f. sowie bereits Reynolds (1997), S. 35f.
133
Jussen (2014), S. 86.
134
Vgl. Patzold (2012), S. 35–38.
135
Vgl. Salten (2014), S. 389 (Zitat ebd.).
136
Für diesen Vergleich vgl. Salten (2014), u. a. S. 1, 12, 390.
137
Vgl. Kasten (2009), S. 335, sowie Jussen (2014), S. 86 und Patzold (2012), S. 39 und 121, der die
Verwendung des Begriffs für die Beschreibung mittelalterlicher Zustände sogar für „bedenklich“ hält
(ebd.).
138
Patzold (2012), S. 40.
139
Vgl. die Ausführungen bei Ganshof (19836), S. 51 und Mitteis (1933), S. 175.
131
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folge seines Sohnes Ludwig sichern wollte, und in diesem Zuge auch die Nachfolge der
Söhne der Großen regelte, die ihn begleiteten.
140
Über beneficia und ihre Erblichkeit
141
äußert das Kapitular nichts.
Auch die noch lange Zeit für das 9. Jahrhundert angenommene Mehrfachvasallität
142
wurde jüngst revidiert und auf das 11. Jahrhundert verschoben.
Somit bleibt zu ver-
muten, dass einige der als Verfallserscheinungen wahrgenommenen Entwicklungen
vom karolingischen zum Lehnswesen des hohen und späten Mittelalters keine Neuerungen, sondern vielmehr elementare Bestandteile des eigentlichen Systems gewesen sein
könnten.
143
In diesem Zusammenhang bestätigen jüngere Forschungen mittlerweile
auch die Vermutung Reynolds, dass sich auch für die Zeit des 10.–12. Jahrhunderts,
also die Zeit des Ganshof’schen und Mitteis’schen „klassischen Lehnswesens“, nur sehr
spärliche Belege für einen Verbund von Vasallität und Lehen finden lassen und das Bild
der Spiegelliteratur des 13. Jahrhunderts offensichtlich zu unkritisch auf die Verhältnis144
se früherer Jahrhunderte projiziert worden sei.
Vor dem Hintergrund dieser und wei-
terer noch zu erwartender Neubewertungen konnte sich die Forschung bislang zwar
noch nicht auf eine neue „Geschichte des Lehnswesens“ einigen, stellt jedoch übereinstimmend fest, dass das 11./12. Jahrhundert einen wichtigen Einschnitt in der Geschich145
te feudo-vasallitischer Institutionen markiert.
In die Darstellungsteile der einschlägigen Einstiegsliteratur zum Frühmittelalter
wurden die neuen Forschungsergebnisse zum karolingischen Lehnswesen jedoch noch
nicht aufgenommen.
146
Ein ähnliches Bild bietet der Blick in einschlägige Lexika, die
140
Vgl. Patzold (2012), S. 40.
Vgl. ebd., S. 40.
142
Vgl. ebd., S. 42 u. 93; Dendorfer (2010), S. 22. Sogar noch Spieß (2002), S. 29f. sieht die Mehrfachvasallität im 9. Jahrhundert entstehen.
143
Vgl. Patzold (2012), S. 42f.; Jussen (2014), S. 86.
144
Vgl. Dendorfer (2010), S. 22; siehe hierzu auch die von Dendorfer formulierten fünf Leitfragen an
Quellen aus dem Hochmittelalter (ebd., S. 26), die die wesentlichen Kritikpunkte Reynolds aufgreifen.
145
Vgl. Spieß (2002), S. 19–21; Dendorfer (2010), S. 23f. u. 38f.; Jussen (2014), S. 86; Patzold (2012), S.
121.
146
Siehe Goetz, Hans-Werner: Europa im frühen Mittelalter 500 – 1050 (Handbuch der Geschichte Europas, Bd. 2), Stuttgart 2003; Schulze, Hans K.: Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Bd.1:
Stammesverband, Gefolgschaft, Lehnswesen, Grundherrschaft, 4. aktualisierte Aufl., Stuttgart u. a.
2004 [hier wird Reynolds nicht einmal unter weiterführender Literatur erwähnt, trotz vorgenommener
Aktualisierung bei jeder neuen Auflage]; Busch, Jörg W.: Die Herrschaften der Karolinger 714–911
(Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 88), Oldenbourg 2011 [die Entstehung des Lehnswesens
unter Karl Martell wird dargestellt, obwohl der Begriff „Lehnswesen“ vermieden wird, vgl. S. 10f.];
Hechberger, Werner: Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 72), 2. Aufl., Oldenbourg 2010.
141
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147
entweder noch aus der Zeit vor dem Jahr 2000 stammen
nicht berücksichtigen.
148
oder die neuen Erkenntnisse
Ein Grund hierfür könnte darin liegen, dass die neuen Er-
kenntnisse unter anderem grundlegende Fragen nach der historischen Semantik von
Quellenbegriffen – und damit eine besonders in der deutschen Mediävistik seit länge149
rem diskutierte Problematik – betreffen.
Sie berühren damit grundlegende Fragen zur
politischen Theoriebildung und ihrer schriftlichen Wiedergabe im Früh- und Hochmittelalter. In diesem Sinne wird der neuen Forschung entgegengehalten, dass die systematische Verbindung zwischen persönlicher und dinglicher Komponente nur deswegen
nicht explizit in den karolingischen Quellen zu finden sei, weil „die Verbindung de facto bestand, erst später aber abstrakt durchdacht und rechtlich systematisiert wurde“
150
.
Ähnlich der Theorie des „Personenverbandstaates“ scheint sich dabei ein Bild „vom
frühmittelalterlichen konkreten Denken in personalen Beziehungen zum hochmittelalterlichen abstrakten Denken von politischen Institutionen“
151
widerzuspiegeln.
Diese Vorbehalte gegen die neuen Ansätze zeigen auch, dass die neuen Forschungsansätze zum Lehnswesen in der deutschen Mediävistik noch nicht allgemein akzeptiert
sind, obwohl Steffen Patzolds Überblickswerk bereits vereinzelt als Nachfolger von
Ganshofs Klassiker der 1940er-Jahre verstanden werden will.
152
Dies scheint hingegen
kein Phänomen innerhalb der deutschen Mediävistik zu sein, da sich auch in internatio-
147
Siehe den Artikel von Karl-Heinz Spieß (1978) zu „Lehn(s)recht, Lehnswesen“ im Handbuch zur
Deutschen Rechtsgeschichte sowie den Artikel von Bernhard Diestelkamp (1991) im Lexikon des
Mittelalters.
148
Siehe den Artikel von Karl-Friedrich Krieger (20063) zu „Lehenswesen” im Lexikon für Theologie
und Kirche. Krieger verweist zwar auf Reynolds (1994), fügt jedoch in Klammern den Zusatz „umstrittene Ergebnisse“ hinzu.
149
Zu den begriffsgeschichtlichen Entwicklungen innerhalb der deutschen Verfassungsgeschichte im 20.
Jahrhundert vor allem vor dem Hintergrund ideologischer geprägter Staatsverständnisse, vgl. die
grundlegenden Ausführungen bei Kortüm (2010).
150
Vgl. Hechberger (20102), S. 71, der sich bezieht auf Fried (1997). Busch (2011) wiederum bezieht sich
auf Hechberger (20102).
151
Vgl. die Definition bei Jussen (2014), S. 82.
152
So die Einschätzung von Thomas Wittkamp (2012), Mitglied des Graduiertenkollegs 1288: „Freunde,
Gönner, Getreue“, an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. in seiner „Sammelrezension
Lehnswesen“ zu Dendorfer/Deutinger (2010) und Patzold (2012).
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nalen Überblickswerken zum Frühmittelalter sowohl Darstellungen mit
ne
154
153
als auch oh-
feudo-vasallitische Institutionen finden.
Trotz dieser scheinbaren Unsicherheit der Fachwissenschaft mehren sich in jüngster
Zeit Neuerscheinungen, die unter Berücksichtigung der neueren Forschungserkenntnisse
155
eine Geschichte der Karolinger ohne Lehnswesen schreiben.
Zwar wird das Lehns-
wesen immer noch vereinzelt als Herrschaftsmittel Karls des Großen erwähnt, es nimmt
dann jedoch nur einen sehr geringen Platz ein und scheint durch die neuere Forschung
maßgeblich beeinflusst und relativiert zu sein.
156
Von einer „Verabsolutierung des
Lehnswesens zur allein staatsbildenden Kraft des frühen Mittelalters“
157
hingegen, kann
in der aktuellen Überblicksliteratur keine Rede mehr sein.
Doch was bedeuten die Neuerungen für die Analyse des Lehnswesens in Schulbüchern? Neben einer Überprüfung der wenigen bereits vor den 1990er Jahren formulierten Anpassungen des älteren Lehnswesen-Modells, ist hier vor allem die Frage von Interesse, inwiefern die Schulbücher das Lehnswesen als früh-, hoch- oder sogar gesamtmittelalterliches Herrschafts- und Ordnungsmodell präsentieren. Auch wenn eine BerückBerücksichtigung der grundlegenden Neubewertungen – auch aufgrund der weiterhin
gespaltenen Handbuchmeinungen
158
– nur bei den neuesten Schulbuchdarstellungen
erwartet werden kann stellt sich die Frage nach den historischen Zusammenhängen in
denen das Lehnswesen thematisiert wird. Wird durch den Verfassertext, Text- oder
Bildquellen oder die strukturelle Einbindung in einen bestimmten Themenbereich ein
Bezug zum „Vasallenheer“ Karls des Großen oder allgemein zum Frühmittelalter gezogen? Oder beziehen sich die Darstellungen größtenteils auf Entwicklungen ab dem
11. Jahrhundert und sind damit auch mit der neueren Forschung – zumindest weniger
problematisch – in Einklang zu bringen? Auch hinsichtlich der im folgenden Abschnitt
153
Vgl. Blockmans/Hoppenbrouwers (2007), S. 93: Towards the end of the eighth century […] the two
institutions […] – vassalage and beneficie – came together. […] This new, feudo-vassalic relationship
was used on all levels of the aristrocracy.
154
Vgl. Costambeys/Innes/MacLean (2011), S. 249: The ‘vassal’ who held land in return for military
service – an important prop in the traditional construction of ‘feudalism’ – is nowhere to be found in
the Carolingian world.
155
Neben Patzold (2012) erschienen allein im Jahr 2014 drei Überblickswerke der Reihe C.H.Beck Wissen, die frühmittelalterliche Herrschaft ohne Lehnswesen erzählen, vgl. Jussen (2014) und Ubl (2014)
oder zumindest dessen Bedeutung stark relativieren, vgl. Becher (20146).
156
Vgl. Becher (20146), S. 95f.
157
Kasten (2009), S. 335.
158
Wie bereits ausgeführt (S. 18) wird dabei grundsätzlich davon ausgegangen, dass sich Schulbuchautor/innen nicht immer in den aktuellen mediävistischen Fachdiskurs einlesen können.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
untersuchten Lehrpläne wird daher die Frage nach der thematischen Einbindung des
Lehnswesens berücksichtigt.
3.2 Das Lehnswesen als Thema in hessischen Lehrplänen
Das förderale Bildungssystem der Bundesrepublik bedingt nicht nur 16 verschiedene
Bildungssysteme, sondern darüber hinaus auch 16 verschiedene Zulassungsprozedere
159
für Schulbücher.
In Hessen müssen – ebenso wie in den meisten anderen Bundeslän-
dern – für den Schuldienst zugelassene Schulbücher vorher vom Land genehmigt werden, sodass sogar davon gesprochen wird, dass „nur ein Schulbuch, das exakt die Lehrplaninhalte abbildet, […] auch Aussicht auf behördliche Zulassung“
160
hat. Auch der
Verband Bildungsmedien e.V. betont auf seiner Internetpräsenz, die „Konformität zu
den Lehrplänen“
161
, als wichtigste Voraussetzung für die Zulassung der Bücher zum
Unterricht. Anstöße für die Entwicklung neuer Schulbücher ergäben sich für Schulbuchverlage daher zumeist erst mit der Implementierung wesentlicher Änderungen in
den bildungsadministrativen Vorgaben.
162
Die folgende Untersuchung der Lehrpläne
geschieht somit unter der grundlegenden Annahme, dass die konzeptionelle und inhaltliche Gestaltung von Schulbüchern im engen Zusammenhang mit den jeweiligen bildungsadministrativen Vorgaben – repräsentiert durch die Lehrpläne – gesehen werden
muss.
159
Vgl. Hartung (2014), u. a. S. 2. Vgl. auch die Informationen der Kultusministerkonferenz auf
http://www.kmk.org/bildung-schule/allgemeine-bildung/sonstiges-einzelfragen/lern-undlehrmittel.html [letzter Zugriff 26.03.2015]. Bzgl. Hessen vgl. HessischeVerfassung online (wie Anm.
29). Dezentrale Zulassungen erfolgen in Berlin, Hamburg, dem Saarland und Schleswig-Holstein, vgl.
wiederum die Informationen auf den Internetseiten der Kultusministerkonferenz (wie zu Beginn dieser
Anmerkung).
160
So Arnold Bühler, selbst Mitautor des Realschulbuches „Geschichte entdecken“, vgl. Bühler (2011), S.
246. Zum Verhältnis von Lehrplan und Schulbuch im Allgemeinen vgl. auch den Aufsatz von Werner
Wiater (2005).
161
Vgl. zu den Zulassungsvoraussetzungen von Schulbüchern im Allgemeinen auch die Ausführungen
auf den Internetseiten des Verbands Bildungsmedien e.V. (wie Anm. 48), v.a. unter den Stichworten
„Wie werden Schulbücher zugelassen?“ und „Warum sind Schulbücher zulassungspflichtig?“ (Zitat
ebd.) [letzter Zugriff 26.03.2015] sowie bezogen auf Geschichtsbücher im Speziellen Sauer (20087),
S. 260; Clauss (2007), S. 20; Becher (20074), S. 45.
162
Vgl. die Informationen auf den Internetseiten des Verbands Bildungsmedien e.V. (wie Anm 48), Abschnitt „Wann gibt es neue Lehrwerke?“. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass in Hessen häufig
in geringem zeitlichen Abstand zur Einführung neuer Lehrpläne auch neue Lehrwerke oder Überarbeitungen bereits zugelassener Reihen erscheinen, ohne dass hiervon eine bundesweite Regelmäßigkeit
abgeleitet werden könnte. Biener (2014), S. 68f. und 71 stellt zwar die gleiche Regelmäßigkeit für
bayrische Schulbücher fest, für Nordrhein-Westfalen attestiert er jedoch eher eine „routinemäßige
Schulbuchrevision“, die durch die Einführung neuer Lehrpläne nur ergänzt werde.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
3.2.1 Die hessischen Lehrpläne der frühen Nachkriegszeit
In den „Lehrplänen für die Höheren Schulen des Landes Groß-Hessen“ vom 25. November 1945 wird Geschichte als eines der „Kernfächer“ aufgeführt, denen die Aufgabe
zukam „der Verrohung und Verflachung durch die Erziehung und das Leben des letzten
Jahrzehnts entgegen zu wirken“ und damit „den Sinn des jungen Menschen für die ethischen Werte und Forderungen aufzuschließen und ihn zu verantwortlicher Stellungnahme und zu eigenem gewissensmäßigen Handeln aufzurufen“
163
. Vor allem im Fach
Geschichte sind in diesem Zusammenhang „alle unwahren, verletzenden Stoffe, Gedanken und Ziele der nationalsozialistischen Schule entschlossen auszuscheiden“
164
.
Der Lehrplan gliedert sich in die verschiedenen Inhalte der Unter-, Mittel- und
Oberstufe, die stichwortartig unter den jeweiligen Jahrgangsstufen aufgeführt sind. Die
Beschäftigung mit dem Mittelalter erfolgt dabei in der Mittelstufe, genauer in der Untertertia (U III), also der 8. Jahrgangsstufe. Als „in 1-2 Stunden möglich“ erscheint dort
der Eintrag: „Das Frankenreich (Karl der Große), Lehnswesen“
165
. Die chronologisch
von der sogenannten Völkerwanderung bis zum Westfälischen Frieden reichende
Stichwortliste erwähnt das Thema am Ende der Themenliste zur Untertertia jedoch noch
ein zweites Mal. Unter dem Stichwort „Staatsbürgerliches“ sind dort die Themen
„Volksfreiheit, Lehnswesen. Städte und Stände. Stadt und Fürst. Geldwirtschaft. Landesfürstentum.“
166
aufgeführt. Das Lehnswesen erscheint im Lehrplan also sowohl un-
ter einem ereignisgeschichtlichen Ansatz im frühmittelalterlich-fränkischen Zusammenhang, als auch im strukturgeschichtlichen Sinne eines „staatsbürgerlichen“, gesellschaftlichen Ordnungsprinzips.
Während im Unterricht der Unterstufe „Lebensbilder noch ohne geschichtlichgenetische Verknüpfung“ unterrichtet werden, soll die Lehrkraft ab der Mittelstufe
„vom anschaulichen Einzelnen“ ausgehen, um „von da aus vielfach arbeitsunterrichtlich
und im Lehrgespräch die geschichtlich staatsbürgerlichen Begriffe, Einsichten, historischen Zusammenhänge“
167
zu entwickeln. Gleichzeitig „warnt“ der Lehrplan jedoch
„vor allem bis O III [Obertertia = 9. Klasse] vor abstrakter Behandlung der in den
163
LP-HE-1945, S. 3.
Ebd., S. 25.
165
Ebd., S. 27.
166
Ebd.
167
Ebd., S. 26.
164
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Stoffplänen natürlich nur in Allgemeinheit angegebenen Gebiete“
168
. Auch das Lehns-
wesen soll damit nicht als abstraktes Herrschaftsprinzip behandelt, sondern anhand
konkreter Beispiele erklärt werden.
169
In den ersten hessischen Lehrplänen für „alle Schulen im Lande Hessen“
– ge-
meint sind jedoch scheinbar nur die Volksschulen – ist die Behandlung des Mittelalters
dagegen bereits für die 5. Jahrgangsstufe vorgesehen. Die Gliederung des Mittelalters
präsentiert sich hier bereits in einer Form, die auch derjenigen heutiger gymnasialer
Schulbücher ähnelt: „Aus der Frankenzeit“, „Aus der deutschen Kaiserzeit“, „Aus der
Welt der Klöster“, „Aus der Welt der Ritter“, „Aus der Welt der Bauern“, „Der Kampf
um die Königskrone“ sowie „Die Stadt im Mittelalter“, heißen die verbindlichen Oberthemen, unter welchen sich wiederum verschiedene Vorschläge zur Behandlung konkreter Einzelthemen – mit zumeist „örtlichen Anknüpfungspunkten“
170
– finden. Das
Lehnswesen wird hier jedoch in keinem der Abschnitte als eigener Punkt aufgeführt.
3.2.2 Die Bildungspläne von 1956/1957
In den Jahren 1956/1957 traten in Hessen überarbeitete Bildungspläne in Kraft, die in
ihrem Aufbau durchaus dem Erscheinungsbild heutiger Lehrpläne ähneln. Die neuen
Vorgaben sollten dem damaligen „Wandel des Bildungsbegriffs […] dadurch Rechnung
tragen, daß sie jene enzyklopädische Scheinbildung, jenes beziehungslose Nebeneinander zahlreicher Fächer und Wissensstoffe entschlossen beseitigen“
171
. Stattdessen soll-
ten sie der Jugend helfen, „ein weit komplizierteres und differenzierteres Weltbild zu
bewältigen“ und ihr „durch tiefe, gründliche und selbsttätige Auseinandersetzung mit
wenigen, beispielhaften Stoffen eine Bildung [vermitteln], die sich auch an unbekannten
Stoffen und vor fremden Situationen bewährt“
172
. Bereits die neue Bezeichnung „Bil-
dungspläne“ kann dabei als Hinweis dafür gelten, dass diese „Schule als Beitrag zur
Menschenbildung“
173
betrachten. Zur Umsetzung dieser Ziele nennt der Lehrplan erst-
mals auch explizit den Arbeitsunterricht, „der die Schüler zur größtmöglicher Eigentä-
168
Ebd.
LP-HE-1949 (5) für die 5. Klasse; LP-HE-1949 (6) für die 6. Klasse.
170
LP-HE-1949 (5), S. 80f.
171
LP-HE-1956 (I), S. 84.
172
Ebd., S. 84.
173
Vgl. Wiater (2005), S. 42. Vgl. auch die Anmerkungen in LP-HE-1956 (I), S. 104.
169
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
tigkeit und zum Selbsterwerb der Erkenntnisse führt“, als „wesentliches Verfahren jeder
Schule“
174
.
Dieser Wandel, so heißt es, wirke sich auch auf die klassischen Fächerstrukturen
aus, die bis dahin „auf dem System der wissenschaftlichen Disziplinen der Universitäten
des 19. Jahrhunderts“
175
beruhten, sodass das Ministerium eine Aufweichung der star-
ren Fächergrenzen forderte. Für das Fach Geschichte bedeutete dies konkret, dass es
zusammen mit Geografie und Sozialkunde künftig „einen von der Universitätshistorie
noch weithin abgelehnten, von der Universitätsgeographie in Teilen usurpierten, von
anderen Disziplinen in der Zuständigkeit umstrittenen, aber in einer modernen politischen Erziehung notwendig ganzheitlich zu betreibenden Sachbereich“
176
bilden sollte.
Anderthalb Jahrzehnte später sollte sich in den hessischen „Rahmenrichtlinien“ von
1972/1973 eine radikale Ausformung dieses Ansatzes in Form des neuen Schulfachs
177
„Gesellschaftslehre“ zeigen.
Die Beschäftigung mit dem Mittelalter verteilt der Lehrplan auf die 7. und 8. Jahrgangsstufe, also die Mittelstufe – im Gymnasium auch als „Hauptkurs“ (7.-10. Klasse)
178
bezeichnet.
Allgemein sollte in diesem Hauptkurs Geschichte „eine sichere Wissens-
grundlage“ vermittelt werden, „die einen geordneten Wissenskanon und eine innere
179
Verbindung der Fächer umfaßt“.
Im Fach Geschichte äußerte sich dies konkret in der
180
Vermittlung einer „chronologisch angeordnete[n] Kenntnis der Geschichte“,
die „in
abgerundeten, überschaubaren Unterrichtseinheiten“ – den später sogenannten „verbind181
lichen Unterrichtsinhalten“ – erfolgen sollte.
Die Aufteilung des Mittelalters auf das 7. und 8. Schuljahr führte dabei zu einem
Schnitt im 10. Jahrhundert, der die Zeit bis zum Ende der Karolinger vom restlichen
Mittelalter abtrennte. Nach der Behandlung antiker und spätantiker Themen – wie
Ägypten, Mesopotamien, Griechenland, Römisches Reich, Christentum, Germanen
(inkl. Völkerwanderung), Byzanz und der Islam – erfolgt über die arabische Expansion
174
Ebd., S. 105.
Vgl. LP-HE-1956 (I), S. 86; Zitat ebd.
176
Ebd., S. 85.
177
Siehe Kap. 3.2.3.
178
LP-HE-1957 (II, D), S. 470-474.
179
LP-HE-1956 (I), S. 108.
180
LP-HE-1957 (II, D), S. 466.
181
Ebd., S. 470.
175
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
182
der Sprung zum „Karolingerreich“, als letzte verbindliche
Unterrichtseinheit des 7.
Schuljahres. Die Unterthemen der Einheit reichen von Chlodwig über die Pippinische
Schenkung und Bonifatius bis zu Karl dem Großen und dem Zerfall des Reiches im
9. Jahrhundert. Im Gegensatz zum Lehrplan des Jahres 1945 wird das Lehnswesen hier
183
nicht als eigener Unterpunkt erwähnt.
Das 8. Schuljahr beginnt mit der Einheit „Das Römische Reich der Deutschen als
Vormacht des christlichen Abendlandes“
184
, die bei Konrad I. beginnt und bei den
Kreuzzügen des 13. Jahrhunderts endet. Danach schließlich folgt ein Unterrichtskomplex mit dem Titel „Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft im mittelalterlichen Reich“.
Hier erscheint gleich zu Beginn der Punkt „Das Lehnswesen. Ritter und Ackerbauern.
Burgen und Dörfer“. Das Lehnswesen wird hier zusammen mit Themen wie der mittel185
alterlichen Stadt, Architektur, der Hanse und der Ostsiedlung aufgeführt.
Als letzte
mittelalterliche Einheit folgt darauf der Themenbereich „Auflösung der Reichseinheit
und Ausbildung der Nationalstaaten“, bevor im nächsten Abschnitt „Erfindungen und
Entdeckungen als Vorboten einer neuen Zeit“
186
bereits frühneuzeitliche Themen be-
handelt werden sollen.
Der Lehrplan teilt das Mittelalter also grob in vier Bereiche, von denen drei ereignisgeschichtlich orientiert sind und ungefähr der klassischen Einteilung in Früh-, Hochund Spätmittelalter entsprechen. Der vierte, gesellschaftlich-kulturelle Bereich, ist dabei
zwar zwischen dem Hoch- und dem Spätmittelalterkomplex angesiedelt, jedoch mittelalterübergreifend konzipiert und behandelt verschiedene „typisch mittelalterliche“ Gesellschafts-, Herrschafts- und Wirtschaftsformen. Das Lehnswesen verschwindet so aus
seinem karolingischen Zusammenhang und präsentiert sich als gesamtmittelalterliches
Phänomen. Dem Lehnswesen verwandte Begriffe und Phänomene wie Grundherrschaft
oder Feudalismus nennt auch der Lehrplan von 1957 nicht. Eine im Jahr 1964 nach der
Einführung des Faches Gemeinschaftskunde in den Klassen 12 und 13 notwendige
Neugliederung der Bildungspläne für die Fächer Geschichte, Sozialkunde und Erdkun187
de, beließ die bestehenden Lehrpläne bis zur Klasse 10 unverändert.
182
Die Verbindlichkeit der Unterrichtseinheiten wird explizit genannt, vgl. ebd., S. 470.
Vgl. ebd., S. 470f.
184
Vgl. ebd., S. 472f.
185
Ebd., S. 473.
186
Vgl. ebd.
187
Vgl. LP-HE-1964, S. 3.
183
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
3.2.3 Die hessischen Rahmenrichtlinien von 1972/1973
Vertraten die Autor/innen der Bildungspläne von 1956/1957 trotz der Idee eines „ganzheitlichen Sachbereichs“ für Geschichte, Erd- und Sozialkunde noch die Auffassung,
„die vorschnelle Verwischung von Fächergrenzen [beinhalte] die Gefahr der Oberflächlichkeit und des Dilettantismus“
188
, beschritten die hessischen Rahmenrichtlinien der
1970er Jahre neue Wege und legten die drei Fächer zum neuen Lernbereich Gesellschaftslehre zusammen. Neben der Verschmelzung dieser drei Fächer sollten die Rahmenrichtlinien zudem schulformübergreifend gelten, um so langfristig das Fundament
für längeres gemeinsames Lernen zu bilden, um der Benachteiligung sozial schwächer
gestellter Kinder durch verfrühte Selektion entgegenzuwirken. Bereits ihre Bezeichnung
als Rahmenrichtlinien weist dabei – ebenso wie die parallel gebrauchten Begriffe
„Richtlinien“ und „Rahmenpläne“ – auf die größeren Freiheiten hin, die der Staat den
189
Schulen bei der Umsetzung der Lehrpläne zugestehen wollte.
Die radikalen Veränderungen müssen im Zusammenhang verschiedener Reformbewegungen der 1960er und 1970er Jahre gesehen werden, deren bildungspolitische Ziele
sich unter anderem dadurch auszeichneten, über Bildungsreformen auch Gesellschaftsreformen anzustoßen.
190
So gingen die Rahmenrichtlinien, die unter der Leitung des
hessischen Kultusministers Ludwig von Friedeburg – seinerseits Professor am Institut
für Sozialforschung in Frankfurt – entwickelt worden waren, durchaus von den zu der
Zeit aktuellen „emanzipatorisch-gesellschaftskritischen Sozialisations- und Kommunikationstheorien“
191
aus. Die selbst für das „rote Hessen“ der 1970er Jahre noch als
„linkslastig“ empfundenen Richtlinien
192
wurden in der Folgezeit äußerst kontrovers
diskutiert und fanden über die hessischen Landesgrenzen hinaus bundesweit Beachtung.
193
Trotz mehrerer Modifikationen und Änderungen in den darauffolgenden Jahren,
blieben sie während der gesamten 1970er Jahre richtungsweisend.
Oberstes Lernziel des neuen Lernbereichs Gesellschaftslehre war es, die Schülerinnen und Schüler „zur Teilnahme an der produktiven Gestaltung gesellschaftlicher Realität zu befähigen“, was jedoch nicht „als Aufforderung zur unkritischen Anpassung an
188
LP-HE-1956 (I), S. 85.
Vgl. Wiater (2005), S. 42.
190
Vgl. Führ (1998), S. 16–20, hier v.a. S. 18.
191
Führ (1998), S. 19.
192
So das Urteil des Spiegels in der Ausgabe 10/1973, S. 30-33; hier S. 32.
193
Vgl. u. a. die Artikel in den Zeitschriften Spiegel 10/1973, S. 30-33 und Die Zeit 51/1973, S. 17.
189
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
bestehende Verhältnisse interpretiert“ werden sollte, sondern „auf die Befähigung der
Schüler zur Selbst- und Mitbestimmung“
194
abzielte. Der gemeinsame Bezugsrahmen
der drei Fächer Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde „bei der Bestimmung gesellschaftlicher Wirklichkeit“
195
sollte dabei über neu entwickelte Lernfelder hergestellt
werden, die die Gesellschaft unter verschiedenen strukturellen Gesichtspunkten betrachten sollten: (1) der Sozialisation, als Abhängigkeit individueller Verhaltensformen von
der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, (2) der Wirtschaft, d. h. von Herstellung, Verteilung und Verbrauch von Gütern, (3) vor dem Hintergrund institutioneller Machtausübung, also gesellschaftlicher Einrichtungen zur Organisation und Ausführung öffentlicher Aufgaben (Regierungssysteme, Verbände, Parteien), und (4) internationaler Beziehungen, d. h. der sozialen, ökonomischen, historischen und räumlichen Bedingungen für
internationale Konflikte und deren Lösungen.
196
Die zentrale Position, die die neuen
Lernfelder innerhalb der Rahmenrichtlinien einnehmen, wird darin deutlich, dass auch
der Aufbau des neuen Lehrplans nicht mehr der Chronologie nach Jahrgangsstufen
folgt, sondern sich an den vier Lernfeldern orientiert, innerhalb derer erst die weitere
Unterteilung nach den Doppeljahrgangsstufen 5./6., 7./8. und 9./10. erfolgt.
Zusätzlich zu dieser Gliederung in Lernfelder differenzieren die Rahmenrichtlinien
die Lernzielbestimmungen auch weiterhin nach historischen, sozialkundlichen und geografischen Aspekten, um bei einem Unterricht in den Einzelfächern die „angestrebten
Erkenntniszusammenhänge“ nicht voneinander zu trennen und damit die fachspezifischen Lernziele nicht in Widerspruch zu den allgemeinen Lernzielen des Lernbereichs
197
zu bringen.
Der Stellenwert der Geschichte innerhalb des Lernbereichs sollte sich über die Frage
bemessen, „inwiefern die Auseinandersetzung mit ‚Vergangenem‘ […] zu einer reflek198
tierten Einschätzung gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse“
beitragen könne.
Konkret bedeutete dies, dass „der Gegenwartsbezug geschichtlicher Fragestellungen
194
LP-HE-1972, S. 7.
Vgl. Ebd., S. 11.
196
Zum ganzen Komplex der Lernfelder vgl. ebd., S. 11f.
197
Ebd., S. 12. Dieser Unterricht im Rahmen der bisherigen Fachgrenzen sollte jedoch nur dort stattfinden, „wo es aus organisatorischen und personellen Gründen noch nicht möglich ist, Gesellschaftslehre
im Sinne der Rahmenrichtlinien als Lernbereich, in den die fachspezifischen Aspekte integriert sind,
zu erteilen“, vgl. Ebd., S. 41.
198
Ebd., S. 18.
195
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
und Inhalte […] zur Grundlage für die Lernzielbestimmung“
199
des Faches deklariert
wurde. Ein Geschichtsunterricht, in dem Geschichte „als Ansammlung von objektiv
gesicherten Daten und Tatsachen, die unabhängig […] von unserer jeweiligen gesellschaftlichen Interessenslage existieren“
200
, und somit als abgeschlossene Vergangenheit
gelehrt wird, lehnten die Autor/innen der Richtlinien ab. In diesem Sinne proklamierte
der Lehrplan als ein Ziel des Geschichtsunterrichts die erkenntnis-theoretische Einsicht,
„daß Grundlage des Geschichtsunterrichts historische Quellen, d. h. Formen der Überlieferung gesellschaftlicher Wirklichkeit, nicht aber diese Wirklichkeit selbst“
sollte. Der „Objektivitätsanspruch historischer Aussagen“
202
201
sein
müsse sich daher aus-
schließlich daraus begründen, dass sie den geschichtswissenschaftlichen Methoden der
Quellenkritik standhalten. Nur ein so entwickeltes reflektiertes Geschichtsbewusstsein
trage, „indem es die geschichtlichen Bedingungen gegenwärtiger gesellschaftlicher
Verhältnisse erhellt, zur Rationalität politischer Entscheidungen“
203
bei und folge damit
dem obersten Lernziel nach der Befähigung zu gesellschaftlicher Selbst- und Mitbestimmung.
In Bezug auf die Frage mit welcher Unterrichtsorganisation und anhand welcher historischen Inhalte dieses Lernziel am besten erreicht werden könne, gelangen die Autor/innen im Gegensatz zu den vorherigen Lehrplänen zu der Feststellung, „daß ein Geschichtsunterricht, der sich an dem Prinzip der Chronologie orientiert oder im Sinne
thematischer Längsschnitte angelegt ist, sein Ziel, gegenwartsbezogenes historisches
204
Bewußtsein aufzubauen, nicht erreicht“.
Stattdessen wurde ein Ansatzpunkt verfolgt,
der auf die entwickelten Lernfelder zurückgreift, sodass „auf jeder Jahrgangsstufe jedes
der vier Lernfelder mindestens einmal Ausgangspunkt von Unterricht wird“
205
. Indem
innerhalb jedes Schuljahres in jedem Lernfeld Aspekte derselben Epoche vorkommen,
sollte es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden, Verbindungen zwischen
199
Ebd.
Ebd., S. 19.
201
Ebd.
202
Ebd., S. 20.
203
Vgl. ebd., S. 20f., Zitat ebd.
204
Vgl. ausführlich ebd., S. 21-23; Zitat, S. 22f.
205
Ebd., S. 36f; Zitat ebd., S. 36.
200
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
den zu verschiedenen Zeitpunkten im Unterricht thematisierten Gegenständen zu knüp206
fen.
Durch die beschriebene Neuausrichtung und -strukturierung des Geschichtsunterrichts und seiner Inhalte muss auch das Lehnswesen innerhalb der neuen Lernfeldstruktur verortet werden, wobei dafür die Lernfelder II und III – Wirtschaft (Produktion–
Distribution–Konsumption) und Öffentliche Aufgaben – in Betracht kommen. Das Lernfeld Wirtschaft nennt für das 5./6. Schuljahr unter dem Lernzielschwerpunkt „Schichtenspezifische Lebensverhältnisse und deren Veränderung“ die thematischen Stichpunkte „Stände im Mittelalter“ und „Klassen und Schichten im 19. Jahrhundert“
207
. Ein
Blick in die Ausführungen zum entsprechenden Lernzielschwerpunkt zeigt jedoch, dass
damit nicht Gesellschaftsmodelle wie das Lehnswesen gemeint sind, sondern ein Vergleich von „Arbeitssituation, sozialem Status und Lebensverhältnissen an verschiedenen
Punkten der historischen Entwicklung“.
208
Für das 7./8. Schuljahr des gleichen Lernfeldes sieht der Lehrplan unter dem Lernzielschwerpunkt „Grundlagen und Veränderungen feudal-agrarischer Produktionsfor209
men“ die Beschäftigung mit der „Grundherrschaft“ vor.
Obwohl zwischen den The-
men Grundherrschaft und Lehnswesen durchaus Anknüpfungspunkte vorhanden wären,
210
wird das Lehnswesen auch hier nicht erwähnt.
Im Lernfeld Öffentliche Aufgaben finden sich für die 5./6. Jahrgangsstufe die Lernzielschwerpunkte „Unterprivilegierung in der Industriegesellschaft“ und „Einführung in
die Funktion öffentlicher Institutionen (Umgang mit Behörden)“
211
. Die vorgeschlage-
nen Themenschwerpunkte weisen keine mittelalterlichen Inhalte auf.
Für die 7./8. Jahrgangsstufe des Lernfeldes verhält es sich ähnlich. Da hier zum
Zeitpunkt des Druckes noch keine Themenstichworte ausgearbeitet waren, wird darauf
hingewiesen, dass es sich „vor allem ausgehend von den im Lernfeld II [Wirtschaft] für
diese Jahrgangsstufe vorgesehenen Themenstichworten“ anböte, „die Veränderung der
206
Ebd., S. 28. Die Autor/innen bemerken dabei selbstkritisch, dass die Gewöhnung der Schülerinnen und
Schüler an diese neue strukturbezogene Anlage des Unterrichts, „in der unter gegenwartsorientierten
Fragestellungen verschiedene historische Phänomene sowohl zu verschiedenen Zeiten als auch unter
dem Gesichtspunkt der Gleichzeitigkeit miteinander in Beziehung gesetzt werden“, selbst erst als das
Ergebnis eines Lernprozesses gesehen werden müsse, vgl. ebd.
207
Ebd., S. 143
208
Vgl. ebd., S. 149-151; Zitat, ebd., S. 149.
209
Ebd., S. 153.
210
Vgl. die Ausführungen ebd., S. 157-159.
211
Vgl. zur inhaltlichen und thematischen Ausrichtung dieser Lernzielschwerpunkte ebd., S. 203-217.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Funktion öffentlicher Einrichtungen in Zusammenhang zu sehen mit der Veränderung
der wirtschaftlichen Verhältnisse“
212
. Vor diesem Hintergrund würde sich die Behand-
lung des Lehnswesens als herrschaftlichem Ordnungsprinzip in Bezug zur Grundherrschaft als agrarwirtschaftlicher Organisationsform in der 7./8. Klasse also durchaus anbieten. Ein Blick in die Ausführungen zeigt jedoch, dass sich die Autor/innen auch hier
unter den genannten Lernzielschwerpunkten „demokratische Kontrolle öffentlicher
Aufgaben und partikulare Interessen“, „öffentliche Aufgaben und gesellschaftspolitische Ziele“ und „Aufbringung und Verteilung öffentlicher Haushaltsmittel“
213
– zu-
mindest keine offensichtliche – Verbindungen zu mittelalterlichen Beispielen vorstellten.
Insgesamt findet sich das Lehnswesen nur ein einziges Mal im Lehrplan. Zu Beginn
wird in einer allgemeinen Einführung in die neuen Struktur als Beispiel für mögliche
thematische Verknüpfungen und querverweise das Beispiel „Herrschaftsverhältnisse
und Siedlungs- und Wohnformen (z. B. mittelalterlicher Lehensstaat – Fronhof, Burg,
Pfalz, Absolutismus – Stadt; Residenz)“
214
aufgeführt. In den unterrichtspraktischen
Überlegungen sucht man dieses Beispiel dann jedoch vergebens.
Kann es also sein, dass das Lehnswesen für knapp ein Jahrzehnt aus dem Schulunterricht und damit aus den Schulbüchern verschwand? Dass dies nicht der Fall war,
zeigt sich bereits darin, dass der Lehrplan sich hinsichtlich einer Erneuerung der Arbeitsmaterialien pragmatisch zeigt, wenn er feststellt „die […] zur Verfügung stehenden
Lehr- und Lernmittel“ seien „auf einen Unterricht hin konzipiert, der sich an einem für
die einzelnen Jahrgangsklassen festgelegten Stoffpensum orientiert“
215
. Die vorgegebe-
nen Themenstichworte sollten daher „wenn auch unter anderen Fragestellungen“
216
die
Nutzung der vorhandenen Schulbücher noch ermöglichen. Gleichzeitig wird jedoch die
Annahme geäußert, „daß in absehbarer Zeit auf der Grundlage der neuen Rahmenrichtlinien neue Arbeitsmaterialien entwickelt werden“, die vermehrt als Loseblattsammlungen, Arbeitsbögen oder Bild- und Tonmaterialien konzipiert sein sollen, durch die eine
„möglichst selbstständige Erarbeitung von Einsichten und Erkenntniszusammenhängen
212
Ebd., S. 219.
Ebd., S. 219-232.
214
Ebd., S. 24.
215
Ebd., S. 42, Zitat ebd.
216
Ebd.
213
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
durch die Schüler“
217
gewährleistet werden sollen. Auch die Rahmenrichtlinien von
1973 führen diese Anmerkungen unverändert fort, ergänzen sie jedoch um die Feststellung, dass sich „die in der Ersten Auflage geäußerte Erwartung, ein Ergebnis der Diskussion des Entwurfs werde die Ergänzung und Verbesserung der Materialhinweise
sein, […] bisher kaum erfüllt“
218
habe.
Ein Erlass vom 5. November 1973, der noch bis 1982 sämtlichen Schulbücherkatalogen beigegeben ist, weist zudem darauf hin, dass es „aus finanziellen und haushaltstechnischen Gründen“ nicht möglich sei, „an den Schulen vorhandene Lehrbücher unter
Berufung auf die Rahmenrichtlinien auszusondern“
219
. Weiter heißt es „die Bestände
sind zunächst – wenn auch gegebenenfalls unter neuen Fragestellungen – zu nutzen und
nach Maßgabe der geltenden Bestimmungen zu gebrauchen“
220
. Es sei zudem davon
auszugehen, „daß die Entwicklung neuer Materialien […] in einem mehrjährigen Prozeß erfolgen wird […]. Während dieser Übergangsphase sollten die Schulen Beschlüsse
über die Einführung neuer Lehrwerke sorgfältig vorbereiten, um Fehlinvestitionen zu
vermeiden“
221
.
Doch offensichtlich führte der Wunsch des Ministeriums nach „flexibleren Arbeitsmaterialen“ nicht zu einer Abschaffung des klassischen Geschichtsschulbuches, wie
sich anhand der entsprechenden Schulbuchkatalogen zeigen lässt. Auch nach neu eingeführten Materialien im Sinne der geforderten Loseblattsammlungen, Arbeitsbögen oder
Bild- und Tonmaterialien sucht man vergeblich. Letztlich bildet sich in den Listen nicht
einmal die Zusammenlegung der Fächer zur Gesellschaftslehre ab, die die drei Fächer
nicht nur weiterhin getrennt voneinander, sondern nicht einmal zusammenhängend auf222
führen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Rahmenrichtlinien die Behandlung des
Lehnswesens zwar nicht direkt vorschrieben, dass jedoch aufgrund der fortlaufenden
Nutzung alter Lehrwerke von einer Behandlung des Themas innerhalb der in den Schulbüchern vorgegebenen Struktur auszugehen ist, wenn davon ausgegangen wird, dass
„eine quantitativ nicht zu unterschätzende Anzahl von Lehrkräften unabhängig vom
217
Ebd.
Ebd., S. 55.
219
ABl-KM-HE 33.1980, Sondernummer, S. 7.
220
ABl-KM-HE 33.1980, Sondernummer, S. 7.
221
ABl-KM-HE 33.1980, Sondernummer, S. 7.
222
Zum gesamten Absatz vgl. SBK 1972/1973, 1973/1974, 1976/1977–1982/1983.
218
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
jeweils gültigen Lehrplan ein Kapitel nach dem anderen so durchnimmt, wie es im
Schulbuch steht“
223
.
3.2.4 Die Rahmenrichtlinien von 1982
Trotz verschiedener Modifikationen führen die Rahmenrichtlinien von 1982 weitgehend
die Ansätze ihrer Vorgänger der 1970er Jahre fort, wie sich unter anderem an den all224
gemeinen Lernzielen des Lernbereichs zeigt.
Seit ihrem ersten Erscheinen 1972 wa-
ren die Richtlinien teilweise mehrmals jährlich überarbeitet und angepasst worden, sodass 1979 bereits eine 18. Fassung erschienen war.
Als „nicht einfach“ bezeichnete es daher auch der hessische Kultusminister Hans
Krollmann, die neuen Rahmenrichtlinien „unter Berücksichtigung der vielfältigen, oft
kontroversen Ansichten der gesellschaftlichen Gruppen zu formulieren“. Als deren
Grundlage dienten neben den vielen früheren Entwürfen, „zahlreiche Gutachten und
Stellungnahmen verschiedener Verbände und Institutionen“
225
. Auch der Lernbereich
Gesellschaftslehre und damit die „grundsätzliche Entscheidung für eine ständige Ko226
operation dieser Fächer [Geschichte, Erdkunde, Sozialkunde]“
blieb im Lehrplan von
1982 bestehen.
Bereits im Aufbau fällt jedoch als zentraler Unterschied zu den Rahmenrichtlinien
von 1972 auf, dass die Strukturierung des Lehrplans nach Lernfeldern nicht fortgeführt
wird. Stattdessen werden „didaktische und methodische Fragen“ sowie „Themenbereiche und Einzelfragen“ wieder den Einzelfächern zu- und untergeordnet. Überhaupt fällt
auf, dass der in den Lehrplänen der 1970er Jahre so dominante Begriff des Lernfeldes
im gesamten Inhaltsverzeichnis des neuen Lehrplans nicht mehr vorkommt.
227
Auch für das Fach Geschichte offenbaren sich Unterschiede zum Lehrplan von
1972. So enthält der Lehrplan wie in den Jahren zuvor eine Liste mit „verbindlichen
Themenbereichen“, die zwar im Rahmen eines „offenen Curriculums“ verstanden wer-
223
Schinkel (2014), S. 485, die jedoch vermerkt, dass es bisher noch an Forschungsarbeiten fehlt, die
diese These untermauern; vgl. auch Wiater (2005), S. 51; Schönemann/Thünemann (2010), S. 104f.
224
LE-HE-1982, S. 15.
225
Ebd., S. 5.
226
So zu lesen im Vorwort der Rahmenrichtlinien von 1982, LP-HE-1982, S. 5.
227
Vgl. das Inhaltsverzeichnis des Lehrplans, ebd., S. 3f.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
den, jedoch einer „Beliebigkeit und Gleichgültigkeit der Unterrichtsinhalte“ entgegen228
wirken sollten.
In diesem Zuge findet auch das Lehnswesen wieder Einzug in den Lehrplan, genauer
in den Themenbereich „Spätantike/frühes Mittelalter (ca. 1. bis 9. Jahrh.). Zusammenhang zwischen feudaler Wirtschafts-, Gesellschafts- und Herrschaftsordnung im Mittel229
alter“
. Unter den „Einzelfragen“ erscheint dort der Punkt: „Geburtsständische Gesell-
schaft, Grundherrschaft und Lehenswesen“ mit den dazugehörigen „Unterrichtsgegenständen“ „Eigentum an Grund und Boden als Herrschaftsgrundlage; Entstehung der
mittelalterlichen Stände und Veränderungen ihrer Lebensbedingungen in Abhängigkeit
von der Entwicklung der Produktionsverhältnisse“
230
. In der Themenliste führt der
Lehrplan nach dem genannten Oberthema „Spätantike/frühes Mittelalter“ die Themenfelder „Hohes Mittelalter (Anfang 10. bis Mitte 13. Jahrhundert). Staat und Gesellschaft
im Mittelalter“ und „Spätes Mittelalter (13. bis 15. Jahrhundert). Entwicklung von Städten als Folge und als Triebkraft gesellschaftlichen Wandels im Mittelalter und zu Be231
ginn der Neuzeit“ auf.
Thematisch wird das Lehnswesen also wieder ausschließlich in
seinem karolingischen Entstehungskontext verortet.
Auf den ersten Blick scheint der Lehrplan mit dieser Anordnung wieder einen chronologischen Gang durch die Geschichte zu verordnen, wie er sich bereits im Lehrplan
von 1956/57 wiederfindet,
232
und wie er von den Autor/innen der 1972er Richtlinien
233
noch scharf kritisiert worden war.
Doch obwohl der neue Lehrplan festschreibt, dass
„Geschichte als Wirkungs-, Sinn- und Problemzusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ auch „Einsicht in den chronologischen Zusammenhang“ ver234
langt,
steht er auch bei der grundsätzlichen Beurteilung von Ziel und Wesen des Ge-
schichtsunterrichts im Wesentlichen in der Tradition seiner Vorgängerrichtlinien. Bei
genauerem Hinsehen wird klar, dass sich die Nummerierung der Themenbereiche weder
auf den Zeitpunkt, noch auf die Reihenfolge bezieht, in der die aufgeführten Inhalte im
228
Vgl. hierzu die Ausführungen in ebd., S. 26.
Ebd., S. 27f. sowie ausführlicher S. 42f.
230
Ebd., S. 42f.
231
Vgl. ebd., S. 27f. sowie ausführlicher S. 42–45.
232
Vgl. Kap. 3.2.2.
233
Vgl. hierzu die Ausführungen in LP-HE-1972, S. 21-23.
234
LP-HE-1982, S. 34.
229
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Unterricht behandelt werden sollen, sondern nur einen Überblick über die zu behandelnden Themen vermitteln soll.
Die Verteilung auf die einzelnen Jahrgangsstufen erfolgt dann in einem anderen Ab235
schnitt des Lehrplans.
Ganz im Sinne des fächerübergreifenden Lernbereichs Gesell-
schaftslehre, und gegen „beziehungsloses enzyklopädisches Einzelwissen“
236
, fasst der
Lehrplan dort verschiedene verbindliche Themenbereiche der drei Einzelfächer zu sogenannten Unterrichtseinheiten zusammen, die wiederum bestimmten Jahrgangsstufen
zugeordnet werden. Dass die drei mittelalterlichen Themenkomplexe dabei nicht unbedingt hintereinander behandelt werden sollen, überrascht vor diesem Hintergrund nicht.
Durchaus überraschend ist hingegen die Entscheidung der Autor/innen, den frühmittelalterlichen Themenblock nicht zusammen mit den anderen beiden Mittelalterkomplexen
in den Jahrgangstufen 7./8. behandeln zu wollen, sondern seine Behandlung für die
237
Jahrgangsstufe 9./10. vorzusehen.
Das Frühmittelalter soll hier gemeinsam mit den
zwei Sozialkunde-Themenfeldern „Ursachen und Erscheinungsformen der Gesellschaftlichen Struktur, […] Gruppen, Schichten Klassen […]“ und „Möglichkeiten und Bedingungen des politisch-gesellschaftlichen Interessensausgleichs“ unterrichtet werden.
Dadurch wird einerseits die klare Verortung des Lehnswesens als Modell innerhalb
gesellschaftlicher Fragestellungen deutlich, andererseits das Thema von anderen mittelalterlichen Phänomenen isoliert, da sich das vorherige historische Themenfeld mit der
geschichtlichen Entwicklung im nahen und fernen Osten und der Begründung der modernen Staatenwelt im 20. Jahrhundert befasst, das nachfolgende hingegen mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen in der Weimarer Republik und dem
238
Drittem Reich.
Dies steht nicht nur im Gegensatz zu der von den Schülerinnen und
Schülern verlangten „Einsicht in den chronologischen Zusammenhang“,
239
es bleibt
zudem abzuwarten ob sich die neue Struktur auch in den traditionell chronologisch und
nach Jahrgangsstufen ausgerichteten Schulbüchern wiederfindet.
235
Bei der ersten Lektüre kann diese unterschiedliche Anordnung auf den Leser verwirrend wirken, da die
Darstellung der Themen sowohl in Kapitel 3 als auch in Kapitel 4 chronologisch und in einer Form erscheint, die derjenigen heutiger Lehrpläne – die allerdings damit auch die chronologische Behandlung
der Themen vorschreiben, sehr ähnelt; vgl. LP-HE-1982, S. 27f. sowie S. 39–52.
236
Ebd., S. 33.
237
Ebd., S. 97f. u. 101.
238
Ebd., S. 100f.
239
Ebd., S. 34.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
3.2.5 Der Rahmenplan Geschichte von 1995
Vom fächerübergreifenden Lernbereich Gesellschaftslehre bleibt nach über zwei Jahrzehnten im Rahmenplan von 1995 nur noch die Formulierung, das Fach Geschichte
trage „zusammen mit den Fächern Sozialkunde und Erdkunde zur politischen Bildung
bei“
240
. Ein Konzept zur direkten Zusammenlegung der drei Fächer wird nicht mehr
verfolgt. Der Lehrplan beinhaltet demnach nur noch Verordnungen zum Fach Geschichte, in dem sich jedoch einige Ansätze der 1970er und 1980er Jahre im Lehrplan erhalten
haben. So gibt der Lehrplan nur solche Unterrichtsthemen vor, „die in besonderer Weise
geeignet scheinen, die historischen Voraussetzungen der gegenwärtigen Gesellschaft
[…] zu erhellen“
241
. Die verschiedenen Themenbereiche sollen dabei durch Kategorien
erschlossen werden, „deren analytische Perspektiven grundlegende Probleme menschlichen Zusammenlebens in Geschichte, Gegenwart und Zukunft bilden“
242
. Auch diese
Einteilung in die Kategorien wie „Herrschaft“, „Alltag und Zivilisation“ „Zwischengesellschaftliche Konflikte und Beziehungen“, „Ideologien und Interessen“ sowie „Geschichtsbilder“
243
, erinnern noch grob an die Einteilung nach Lernfeldern der 1970er
Jahre.
Jedoch gibt es strukturelle Unterschiede im Aufbau der Unterrichtsinhalte, denn der
neue Lehrplan schreibt von der 7. bis zur 10. Jahrgangsstufe die chronologische Behandlung europäischer Geschichte von der neolithischen Revolution bis zur Französischen Revolution (7./8. Klasse) und von dieser bis zur Gegenwart (9./10. Klasse) an244
hand von festgelegten Themenabschnitten vor.
Die unter den Oberthemen befindli-
chen Einzelthemen, sind jedoch im Gegensatz zum Lehrplan von 1956/57 nicht
245
chronologisch sortiert,
sondern lediglich den oben genannten Kategorien zugeordnet.
Innerhalb dieser finden sich wiederum ausschließlich strukturgeschichtlich gehaltene
Themen, die nicht um konkrete Vorgaben zu einzelnen ereignisgeschichtlichen Inhalten
ergänzt sind.
Das Lehnswesen erscheint innerhalb des Oberthemas „Mittelalterliche Lebenswelten“ in der Kategorie „Herrschaft“, wo es unter dem Stichwort „Grundlagen mittelalter240
LP-HE-1995, S. 1.
Vgl. ebd., S. 12f.; Zitat ebd., S. 13.
242
Vgl. ebd.
243
Vgl. ebd.
244
Vgl. die Ausführungen ebd., S. 23–36.
245
Vgl. hierzu ebd., S. 23.
241
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
licher Macht“ gemeinsam mit der Grundherrschaft aufgeführt wird.
246
Es wird somit
zwar als strukturgeschichtliches Phänomen betrachtet und nicht explizit einem fränkischen Zusammenhang zugeordnet, da sich in derselben Kategorie neben „Kirchen und
Klöster“ und der „Stadt im Mittelalter“ jedoch auch das Stichwort „das Frankenreich –
ein europäisches Großreich“ wiederfindet, wäre eine Verbindung der beiden Themen im
247
Sinne eines karolingischen Lehnswesens jedoch durchaus vorstellbar.
3.2.6 Die Lehrpläne seit den 2000er Jahren
Die Lehrpläne von 2003 folgen in ihrem inhaltlichen und didaktisch-methodischen
Grundkonzept weitgehend dem Rahmenplan Geschichte von 1995, wobei einige Passa248
gen sogar wörtlich übernommen werden.
Hinsichtlich des 1995 (wieder)eingeführten
chronologischen Aufbaus des Geschichtsunterrichts sahen die Autor/innen von 2003
jedoch Bedarf darauf hinzuweisen, dass sich der Geschichtsunterricht „obwohl der Abfolge der Unterrichtsinhalte in den einzelnen Jahrgangsstufen […] das Prinzip der
Chronologie zu Grunde liegt, […] nicht als ‚chronologischer Durchgang durch die Geschichte‘, sondern als problemorientiertes Arbeiten an ausgewählten Inhalten unter Beachtung ihrer jeweils spezifischen Form historischer Zeitlichkeit“
249
vollziehen solle.
Neu ist hingegen die Präsentation des unterrichtspraktischen Teils, in dem die verschiedenen Oberthemen, die dazugehörigen verbindlichen Unterrichtsinhalte sowie die
neu hinzugekommenen „Fakultative[n] Unterrichtsinhalte“, inklusive der jeweils veranschlagten Unterrichtsstunden, nach Schuljahren geordnet, präsentiert werden.
250
Das
Mittelalter wird demnach in der 8. Jahrgangsstufe in den zwei Unterrichtsabschnitten
„Leben und Wirtschaften im Mittelalter“ und „Kampf um geistliche und weltliche Herr251
schaft“ in jeweils 11 Schulstunden behandelt.
Als weiterer Unterschied zum Lehrplan
246
Vgl. ebd., S. 28.
Auch der Lehrplan selber gibt hinsichtlich der Stichworte vor „Die den Erschließungskategorien zugeordneten Inhalte beschreiben jeweils den Bearbeitungshorizont des Themas. Sie verstehen sich als didaktischer Leitfaden für die Unterrichtsplanung und sind damit Grundlage einer Schwerpunktsetzung“, LP-HE-1995, S. 21.
248
Hierbei handelt es sich vor allem um Formulierungen aus dem allgemeinen Teil, in dem die allgemeinen Aufgaben, Ziele und Inhalte sowie die methodisch-didaktischen Grundlagen des Faches erläutert
werden. Vgl. die allgemeinen Grundlagen des Faches, die dem unterrichtspraktischen Teil vorgestellt
sind, LP-HE-1995, S. 5–15 und LP-HE-2003, S. 2–6c.
249
Vgl. LP-HE-2003, S. 4 sowie diese Formulierung übernehmend LE-HE-2008 (G8), LE-HE-2008 (G9),
LE-HE-2010 (G8), LE-HE-2010 (G9), jeweils S. 4.
250
Vgl. LP-HE-2003, S. 7a–38.
251
Vgl. ebd., S. 14–17.
247
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
von 1995 offenbart sich hier, dass der neue Lehrplan in den verbindlichen Unterrichtsinhalten zusätzlich zu strukturbezogenen vereinzelt wieder ereignisgeschichtliche The252
men und Personen nennt.
Das Lehnswesen befindet sich im ersten der beiden genannten Themenbereiche im
Abschnitt „König, Adel und Rittertum“ und wird dort im Zusammenhang mit den Themen „Reisekönigtum, Pfalzordnung, Lehnswesen, Königsboten, Marken, Ministeriale,
Fehde und Leben auf der Burg“
253
genannt. Obwohl es damit offensichtlich weiterhin
strukturgeschichtlich verstanden wird, zeigt sich über die Nachbarbegriffe „Reisekönigtum“, „Pfalzordnung“, „Königsboten“ und „Marken“ auch hier eine semantische Nähe
zur Karolingerzeit.
Die G9-Lehrpläne der Jahre 2008 und 2010 übernehmen diese Struktur, während bei
den seit 2008 parallel erscheinenden Lehrplänen für die verkürzte Gymnasialzeit G8 die
beiden mittelalterlichen Themenblöcke hier zur neuen Unterrichtseinheit „Lebensbedingungen der Menschen im Mittelalter“ zusammengezogen wurden. Dabei wurde auch die
Behandlung des Mittelalters auf die 7. Jahrgangsstufe vorgezogen und die Gesamtstun254
denzahl auf 15 reduziert.
Die Inhalte der Unterrichtseinheit ergeben sich im Wesent-
lichen aus einer Zusammenfassung der ursprünglich auf die zwei genannten Abschnitte
des Lehrplans von 2003 verteilten Themen. Das Lehnswesen wird im Abschnitt „Die
Herausbildung des Frankenreichs und die Lebens- und Herrschaftsformen im Mittelalter“ behandelt und erscheint dort in einem Themengemisch ereignis-, und strukturgeschichtlicher Ansätze, das vom 5. bis zum 14. Jahrhundert reicht. Über die Nachbarthemen ist auch hier eine inhaltliche Zuordnung zu den Karolingern zu erkennen.
3.2.7 Zusammenfassung der Lehrplananalysen
Es konnte gezeigt werden, dass sich Veränderungen innerhalb der Lehrpläne vor allem
auf zwei Ebenen vollziehen. Zum einen hinsichtlich der grundlegenden konzeptionellen
Ausrichtung des Geschichtsunterrichts. Hierbei wurde herausgestellt, dass bereits seit
den 1950er Jahren die „gesellschaftlichen“ Aspekte des Geschichtsunterrichts im Verbund mit Erd- und Sozialkunde im Vordergrund stehen. Die Verbindung dieser drei
252
Dies ist beispielsweise im Themenbereich „Kampf um geistliche und weltliche Herrschaft“ der Fall,
vgl. LP-HE-2003, S. 16, sowie in den beiden G8 Lehrplänen der Jahre 2008 und 2010, vgl. LE-HE2008 (G8), S. 16 und LE-HE-2010 (G8), S. 15.
253
LP-HE-2003, S. 14; LE-HE-2008 (G9), S. 14, LE-HE-2010 (G9), S. 17.
254
Vgl. LE-HE-2008 (G8), S. 16f. und LE-HE-2010 (G8), S. 15f.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Fächer fand ihren Höhepunkt in den 1970er und 1980er Jahren, als das Fach Geschichte
im neuen Fächerverbund „Gesellschaftslehre“ aufging und offiziell nicht mehr als
selbstständiges Fach bestand. Gleichzeitig wurde in dieser Zeit der Grundstein für einen
modernen Geschichtsunterricht gelegt, in dem das Erlernen quellenkritischer Verfahren
255
im Mittelpunkt steht
256
– ein Grundsatz, der sich bis heute nicht geändert hat.
Die zweite Ebene betrifft die Organisation und Verteilung der vorgegebenen Unterrichtsinhalte. Hier kann von Beginn an eine Kombination aus verlaufs- und strukturgeschichtlichen Ansätzen beobachtet werden. Die 1970er und 1980er Jahre markieren
wiederum einen Einschnitt, indem auf jegliche Chronologie verzichtet wurde, zugunsten
der fächerübergreifenden Strukturierung der Themen nach Lernfeldern. Trotz der Rückkehr zur chronologischen Menschheitsgeschichte überwiegen auch in den Lehrplänen
seit den 1990er Jahren noch strukturgeschichtliche Ansätze, innerhalb derer die Inhalte
jedoch häufig verlaufsgeschichtlich sortiert sind.
Innerhalb der Organisation der Unterrichtsthemen weist das Lehnswesen jedoch weniger „örtliche“ und „zeitliche“ Konstanz auf, als sich dies aufgrund des ausbleibenden
wissenschaftlichen Inputs von außen vermuten ließe. Während die Lehrpläne 1945 und
1982 das Lehnswesen klar dem Frankenreich zuordnen, findet sich 1956/57 ein strukturgeschichtlicher Ansatz ohne frühmittelalterliche Verbindung. Die Lehrpläne von
1972 und 1973 streichen das Lehnswesen scheinbar ganz aus ihren Unterrichtsinhalten.
Ab 1995 ordnen die Lehrpläne das Thema schließlich nur noch strukturgeschichtlich
ein, allerdings mit deutlichen inhaltlichen Bezügen zu den Karolingern. Insgesamt lässt
sich damit festhalten, dass es für Lehrplanautor/innen immer wieder eine Grundsatzentscheidung zu sein scheint, innerhalb welcher mittelalterlichen Themenfelder das
Lehnswesen am besten zu verorten sei. Außer über die makrostrukturelle Einordung
finden Zuordnungen dabei auch auf der Ebene der Kontextualisierung zu bestimmten
Personen und Ereignissen statt.
Aus den beobachteten Veränderungen in den Lehrplänen ergeben sich somit zwei
Arten von Fragen an die Schulbücher, die im folgenden Kapitel noch genauer auszuführen sein werden: Zum einen Fragen nach der konzeptionellen Umsetzung sich wandelnder Vorstellungen von Geschichtsunterricht, zum anderen Fragen nach der thematischen
Einbindung des Lehnswesens auf Grundlage der vorgegebene Themenstruktur der
255
256
Vgl. LP-HE-1972, S. 20; siehe auch die Ausführungen in Kap. 3.2.3.
Vgl. Sauer (20087), S. 109–120.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Lehrpläne. Beiden Fragekomplexen liegt dabei die Frage zugrunde, ob und wie die
Schulbuchverlage die Vorgaben aus dem Kultusministerium zu den verschiedenen Zeiten umsetzten und ob es sich dabei immer schon um eine beinahe passgenaue Übernahme der Lehrplanthemen handelte, wie dies bei aktuellen Schulbüchern der Fall zu sein
257
scheint.
4 Das Lehnswesen im Geschichtsschulbuch
Das Schulbuch gilt bis heute als „Leitmedium des Geschichtsunterrichts“.
258
In ihm
erfahren die Intentionen der Lehrpläne „eine weitreichende Interpretation und Präzisie259
rung.“
Da Lehrkräfte wissen, dass Schulbücher kultusministeriell zugelassen sind und
somit „als geeignete und legitime Lehrplaninterpretation“ gelten können, finden sie im
Unterrichtsalltag häufig mehr Beachtung als die ihnen unterliegenden bildungspoliti260
schen Vorgaben.
ersatz“
261
Damit werden Schulbücher bisweilen sogar zu einer Art „Lehrplan-
. Berücksichtigt man zudem, dass Schulbücher in ihrem Entstehungsprozess
vielfältigen Einflüssen verschiedener Akteure aus Politik, Wissenschaft, Verlagswirtschaft sowie anderer gesellschaftlicher Gruppen unterliegen,
komplexe Konstruktionen angesehen werden.
263
262
müssen diese als sehr
Über Ihre weite Verbreitung und häufi264
ge Nutzung, besonders im Geschichtsunterricht
können sie als „Konstruktionen und
zugleich auch Konstrukteure sozialer Ordnungen und gesellschaftlichen Wissens“
265
gel-
257
Vgl. Clauss/Seidenfuß (2007a), S. 13–15; Clauss (2007), S. 19f.; vgl. auch die Ergebnisse bei Bühler
(2011), S. 245–254; etwas zurückhaltender auch Biener (2014), S. 68.
258
Diese Bezeichnung kann als geflügeltes Wort der Schulbuchforschung gelten. Von den unzähligen
Nennungen seien hier exemplarisch genannt: Schönemann/Thünemann (2010), S. 7, 9–20; Schinkel
(2014), S. 482; Sauer (20087), S. 260; Becher (20074), S. 45; Clauss/Seidenfuß (2007a), S. 7; Buck
(2008), S. 389.
259
Wiater (2005), S. 41 (Zitat ebd.), der sich dabei bezieht auf Vollstädt, Witlof u. a.: Lehrpläne im
Schulalltag, Opladen 1999.
260
Vgl. Wiater (2005), S. 41 u. 51, Zitat ebd., S. 51
261
Vgl. ebd., S. 51; zu Schulbüchern als heimlichen Lehrplan vgl. auch Schönemann/Thünemann (2010),
S. 104f.; Lässig (2010), S. 202.
262
Höhne (2002) S. 19, 61–65 fasst die verschiedenen Einflussfaktoren mit dem Begriff der „Diskursarena“ zusammen.
263
Vgl. Höhne (2002), insb. S. 18 sowie Lässig (2010), S. 200–203.
264
Im Forschungsprojekt „Competence and Academic Orientation in History Textbooks (CAOHT)“
(Laufzeit: 2015-2018) wird dieser in der Literatur häufig anzutreffenden Annahme anhand quantitativer und qualitativer Erhebungen an österreichischen Schulen mittlerweile (Stand 2017) empirisch
nachgegangen.
265
Lässig (2010), S. 203.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
ten. Ihre Bedeutung für den Geschichtsunterricht und für das einem Großteil der Bevölkerung zugrundeliegenden Geschichtsbild kann also kaum überschätzt werden.
Bei der folgenden Analyse wird innerhalb der Bücher jeweils nur derjenige Abschnitt berücksichtigt, der sich explizit mit dem Lehnswesen als mittelalterlichem Ordnungssystem beschäftigt, unabhängig von dessen Zuordnung zu einem bestimmten thematischen Kapitel und von sonstigen inhaltlichen Bezügen zum Thema.
266
Da beim
Medium Schulbuch historischer Sinn erst über das Zusammenspiel verschiedener Ele267
mente konstituiert wird,
werden innerhalb des definierten Bereichs wiederum sämtli-
che für Geschichtsschulbücher als konstitutiv geltende Medienbausteine hinsichtlich
ihrer Darstellungen vom Lehnswesen in die Analyse mit einbezogen, also Verfasserbzw. Autorentexte, Fremdtexte – also z. B. schriftliche Quellen und historische Darstellungen, die von anderen Autor/innen verfasst worden sind – sowie sämtliches visuelles
Material, inklusive Bildquellen, Illustrationen, Modelle und Schemata etc. Da es sich
nicht um eine Untersuchung unter fachdidaktischen Gesichtspunkten handelt, werden
die in der fachdidaktischen Literatur eine wichtige Position einnehmenden Arbeitsaufträge nur dann in die Analyse einbezogen, wenn sich aus ihnen wichtige Aspekte hinsichtlich der Fragestellung ergeben. Ebenso werden weitere erst in neueren Schulbüchern zu findende Präsentationsbausteine, wie Auftaktdoppelseiten und Kapitelzusammenfassungen nicht berücksichtigt, da sie in keinem der untersuchten Fälle explizit das
Unterkapitel zum Lehnswesen einleiten und auch sonst keinen erkennbaren Einfluss auf
die konkrete Darstellung des Lehnswesens haben. Auch andere paratextuelle Elemente,
wie Glossare, Register und die sich seit den 2000er Jahren etablierenden kapiteleigenen
268
Methodenteile werden nicht berücksichtigt.
Unter den in die Analyse einbezogenen Elementen nehmen die überblicksartig konzipierten Verfassertexte eine herausragende Position ein, da sie als „Kernbausteine des
Darstellungsteils“
269
einen – in älteren Schulbüchern sogar den einzigen – Orientie-
rungsrahmen für das behandelte Thema darstellen. Sie sind außerdem die einzigen Me266
Wenn nicht explizit anders angegeben, beziehen sich daher auch die Verweise auf die untersuchten
Schulbücher in den Fußnoten daher immer auf die Seiten des jeweiligen Abschnittes, die den Übersichtstabellen des jeweiligen Abschnittes entnommen werden können.
267
Pandel (20112); 16; Kühberger (2010), 43f.; Schönemann/Thünemann (2010), 81.
268
Zu den in diesem Absatz genannten verschiedenen Präsentationsbausteinen vgl. exemplarisch die
erläuternden Auflistungen bei Sauer (20087), S. 260–267; Schönemann/Thünemann (2010), S. 81–98,
insb. 82 sowie Pandel (20112), S. 18.
269
Schönemann/Thünemann, S. 84. Zu Aufgaben und damit verbundenen Problemen dieses Texttyps,
vgl. ebd., S. 84–86, sowie Sauer (20087), S. 260f.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
dienbausteine, die – bis auf eine Ausnahme
270
– in allen Schulbüchern vorkommen.
Umfang und Art der Darbietung können innerhalb der untersuchten Zeitspanne und von
Schulbuch zu Schulbuch stark variieren. Durch ihren argumentativen Aufbau, durch den
sich am offenkundigsten die individuellen gestalterischen und wertenden Freiheiten des
Schulbuchautors im Sinne einer historischen Meistererzählung widerspiegeln, bieten sie
dem Leser ein suggestives Deutungsangebot, nicht nur für das behandelte Thema, sondern auch für eventuell vorhandene Arbeitsmaterialien und sonstige visuelle Elemente.
271
Da sich die Medienbausteine „im Prozess historischer Sinnbildung“ gegenseitig
beeinflussen“
272
, können jedoch auch Text- und Bildquellen „alternative Möglichkeiten
273
der Vergangenheitsdeutung
“ aufzeigen.
Auf Grundlage der in Kapitel 3 und 4 beschriebenen Vorgaben und Vorstellungen
der Lehrpläne und der Mediävistik wird im Folgenden ein Fragenkatalog entwickelt, der
sich wiederum in verschiedene Untersuchungskategorien unterteilen lässt. Aus den
274
Lehrplänen ließen sich dabei zwei Arten von Fragen an die Bücher ableiten.
Die ers-
ten betreffen vor allem Vorstellungen von Geschichtsunterricht und dessen Umsetzung:
Wie macht sich der aufgezeigte Paradigmenwechsel von einem beschreibenden hin zu einem entdeckenden Geschichtsunterricht, in dessen Zentrum die Arbeit mit historischen Quellen steht, in den Büchern bemerkbar?
Seit wann und in welcher Form lassen sich diesbezüglich Text- und Bildquellen oder andere Schemata in den Schulbüchern finden?
Inwiefern werden diese nur illustrativ eingesetzt oder dienen sie tatsäch275
lich zur selbstständigen Erarbeitung des Sachverhalts?
Die zweite Kategorie betrifft die strukturelle Einbindung des Lehnswesens in das Thema Mittelalter:
270
Ausnahme bildet das reine „Arbeitsbuch“ Fragen an die Geschichte (1975), das aufgrund seiner ausschließlichen Beschränkung auf Quellen in der Schulbuchforschung auch als Paradebeispiel für diesen
Schulbuchtypus gilt, vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 92–96. Siehe auch die entsprechenden
Ausführungen in Kap. 4.2.1 dieser Arbeit.
271
Vgl. Sauer (20087), S. 260f.
272
Vgl. Pandel (20112) S. 16; Kühberger (2010), S. 43f.; Schönemann/Thünemann (2010), S. 81.
273
Vgl. ebd., S. 86.
274
Siehe die Ausführungen in Kap. 3.2.7.
275
Zu dieser verschiedenen Verwendung von Quellen in Geschichtsbüchern vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 70.
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Eckert. Working Papers 2017/2
54
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Folgen die Schulbücher zwischen 1956/57 und 1972 der Einbindung des Lehnswesens in einen gesamtmittelalterlichen Kontext – also ohne direkten karolingischen Bezug?
Wie verhalten sich die Schulbücher in Bezug auf die strukturgeschichtliche Einbindung des Lehnswesens mit thematischer Nähe zum Frankenreich ab den Lehrplänen 1995?
Spiegeln sich in diesem Zusammenhang auch das „Abschaffen“ des Lehnswesens
(1972–1982) oder die Änderungen in der Jahrgangsstufe (1982–1995) in den
Schulbüchern wider?
Inwiefern richten sich die Schulbücher bei der thematischen Einbindung des
Lehnswesens überhaupt nach den Lehrplänen?
Von fachwissenschaftlicher Seite werden die Darstellungen zum Lehnswesen vor allem
auf ihre Übereinstimmung mit dem jeweils etablierten Forschungsstand hin untersucht.
Dabei wird unter anderem darauf geschaut, welche Aspekte des Lehnswesens die
Schulbücher hervorheben:
Lassen sich in den Darstellungen insgesamt oder innerhalb eines Untersuchungszeitraums einheitliche Erzählkonzepte vom Lehnswesen erkennen?
Inwiefern spielen in diesem Zusammenhang – auch über die Auswahl der
Quellen – inhaltliche Zuordnungen zum Frühmittelalter (Franken),
Hochmittelalter oder Spätmittelalter (Sachsenspiegel) eine Rolle?
Die wichtigsten Fragen ergeben sich jedoch aus erkennbaren Veränderungen und Neubewertungen innerhalb der Mediävistik:
Wird die bereits ab 1962 erfolgte Anzweiflung des hochmittelalterlichen
Leihezwangs in den Büchern berücksichtigt?
Wird die Forschungsdiskussion seit den 1990er Jahren in den Büchern
rezipiert?
Spiegeln aktuelle Schulbücher in diesem Zusammenhang auch den aktuellen Stand der Wissenschaft wider?
Zusätzlich zu den Lehrplänen und der Fachwissenschaft wird noch ein dritter Einflussfaktor auf Schulbuchinhalten angenommen: das unternehmerische Interesse vonseiten
der Bildungsverlage. Zu diesem gehört auch das Interesse der individuellen Marktpositionierung und der Abgrenzung zur Konkurrenz. Nach der Bearbeitung des entwickelten
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Eckert. Working Papers 2017/2
55
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Fragekatalogs wird daher zusätzlich untersucht, ob sich anhand der Analyse der verschiedenen Darstellungen eines Abschnittes auch bestimmte Verlags- und Reihenspezifika erkennen lassen.
Inwiefern lässt sich innerhalb einer Reihe die Wiederverwendung von
bereits vorhandenen Inhalten, wie Texten und Bildern feststellen?
Wann und wie werden diese überarbeitet?
Lassen sich außerdem Parallelen zwischen den Verlagen/Reihen innerhalb eines Abschnittes feststellen?
Der vorgestellte Fragenkatalog bildet die Basis für die folgende Analyse der über die
Korpusbildung definierten Schulbuchkapitel zum Lehnswesen. Der Einteilung des Katalogs entspricht die Gliederung der jeweiligen Untersuchungsabschnitte. Um ein anachronistisches Vorgehen zu vermeiden, werden dabei nicht immer alle Fragen in jedem
der Zeitabschnitt angewendet, auch wenn es dadurch zu einer unterschiedlichen Gewichtung der einzelnen Unterkapitel innerhalb der verschiedenen Untersuchungszeiträume kommt.
4.1 Untersuchungszeitraum I (1950er – 1970er Jahre)
Der erste Untersuchungszeitraum umfasst die Zeit von der Gründung der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre, auch wenn eine der Reihen noch bis 1983 zugelassen war.
276
Die Reihe Wege der Völker
277
bzw. ihr direkter Nachfolger Spiegel der Zeiten
ist mit
insgesamt 35 Jahren (1948–1983) unter allen Büchern für die gymnasiale Mittelstufe
am längsten in den Schulbuchlisten verzeichnet. Zuerst erschienen im Pädagogischen
Verlag Berthold Schulz wurde die Reihe ab 1953 bei Diesterweg weiterverlegt und
276
Wege der Völker. Geschichtsbuch für deutsche Schulen, Bd. II (für das sechste Schuljahr): Aufstieg.
Geschichte des Altertums und des Mittelalters, bearb. v. Waldemar Hoffmann, Georg Schulz, Berlin:
Pädagogischer Verlag Berthold Schulz 1948; Wege der Völker – Ausg. B, Bd. II: Aufstieg. Geschichte
des Altertums und des Mittelalters, bearb. v. Waldemar Hoffmann, Georg Schulz, Berlin: Pädagogischer Verlag Berthold Schulz 1950; Wege der Völker – Ausg. A/B, Bd. II: Geschichte des Altertums
und des Mittelalters, hrsg. von einer Arbeitsgruppe deutscher Geschichtslehrer, Leiter Fritz Wuesing,
Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag Moritz Diesterweg 1953. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe Tabelle 1.
277
Spiegel der Zeiten. Geschichtsbuch für deutsche Schulen, Bd. III: Vom Mittelalter zur Neuzeit, bearb.
v. Georg Lange, Otto Röthig, Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag Moritz Diesterweg 1958; Spiegel der
Zeiten, Bd. III: Vom Mittelalter zur Neuzeit, bearb. v. Georg Lange, Otto Röthig, Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag Moritz Diesterweg 1964; Spiegel der Zeiten – Ausgabe A, Bd. III: Vom Mittelalter zur Neuzeit, bearb. v. Georg Lange, Otto Röthig, Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag Moritz Diesterweg 1966; Spiegel der Zeiten. Lehr- und Arbeitsbuch für den Geschichtsunterricht – Ausg. B., Bd.
2: Vom Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden, bearb. Hejo Busley, Franz Bahl, Frankfurt/Berlin/München: Verlag Moritz Diesterweg 1969. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe Tabelle 1.
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Eckert. Working Papers 2017/2
56
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
1958 umbenannt. Auch die beiden anderen untersuchten Reihen Grundzüge der Geschichte
278
und Geschichtliche Unterrichtswerk für die Mittelklassen
279
zählen zu den
am längsten zugelassenen Geschichtsbüchern Hessens. Bei der ersten Ausgabe des Geschichtlichen Unterrichtswerks für die Mittelklassen, erschienen noch im LehrmittelVerlag Offenburg, handelt es sich dabei um die Neubearbeitung eines Unterrichtswerkes, das bereits Ende der 1920er Jahre „im Unterricht der Höheren Schulen und Mittelschulen weithin Verbreitung und Anerkennung gefunden“
280
hatte. Nach der Übernah-
me durch den Klett Verlag erfolgte ab 1953 eine Umbenennung in Kletts Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen. Inklusive der verschiedenen Neuauflagen
und Ausgaben wurden damit im ersten Untersuchungsabschnitt 16 Schulbücher einbezogen (Tab. 1).
278
Grundzüge der Geschichte, Bd. 2: Vom Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden, bearb. v. O.
Ebding, K. Sigrist, Frankfurt/Bonn: Verlag Moritz Diesterweg 1950; Grundzüge der Geschichte, Bd.
2: Vom Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden, bearb. v. M. Plocher, H. Schneider, K. Sigrist,
Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag Moritz Diesterweg 1956; Grundzüge der Geschichte, Bd. 2: Vom
Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden, bearb. v. H. Schneider, Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag
Moritz Diesterweg 1960; Grundzüge der Geschichte. Sekundarstufe I (Gymnasium), Bd. 2: Vom
Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden, hrsg. v. Eugen Kaier, Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag
Moritz Diesterweg 1975. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe Tabelle 1.
279
Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen, Bd. II: Geschichte des Abendlandes von der
germanischen Frühzeit bis 1648, bearb. v. Karl Krüger, Offenburg: Lehrmittelverlag 1951; Kletts Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen – Ausg. A, Bd. II: Geschichte des Abendlandes
von der germanischen Frühzeit bis 1648, bearb. v. Karl Krüger, Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1954;
Kletts Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen – Ausg. B, Bd. II: Aus Mittelalter und
Neuzeit, bearb. v. Karl Krüger, Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1955; Kletts Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen – Ausg. C, Bd. 2: Mittelalter und frühe Neuzeit, bearb. v. Karl Krüger,
Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1966. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen
siehe Tabelle 1.
280
Gemeint ist das Schulbuch „Deutsche Geschichte von den Anfängen bis zum Westfälischen Frieden“,
das in den Jahren 1926 und 1932 im B. G. Teubner Verlag erschienen war. Vgl. die Ausführungen im
Vorwort von Geschichtl. Unterrichtswerk (1951), Zitat ebd.
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Eckert. Working Papers 2017/2
Tab. 1: Die Schulbücher des Untersuchungsabschnitts I inklusive ihrer Einbindung des Lehnswesens
Band
Verlag
Buchtitel
Makro
Kapitel
Unterkapitel
Abschnitt
Seiten*
Kap. vorher
Kap. nachher
2
Diesterweg
Vom Frankenreich bis zum
westfälischen
Frieden
Erster Teil: Das
Reich der Franken
I. Die Ausbreitung der Westgermanen
3. Das Lehnswesen
10-12
(11-12)
2. Vorherrschaft
der Franken
4. Karolingische
Hausmeier
Grundzüge der
Geschichte
(1956)
2
Diesterweg
Vom Frankenreich bis zum
westfälischen
Frieden
Erster Teil: Das
Reich der Franken
IV. Karl der
Große. Vom
Frankenreich
zum abendländischen Kaisertum
4. Das Lehnswesen
15-17
3. Festigung des
Reiches
V. Die karolingischen Nachfolge-staaten
Grundzüge der
Geschichte
(1960)
2A
Diesterweg
Vom Frankenreich bis zum
westfälischen
Frieden
Erster Teil: Das
Reich der Franken
IV. Karl der
Große. Vom
Frankenreich
zum abendländischen Kaisertum
4. Das Lehnswesen
15-17
3. Festigung des
Reiches
V. Die karolingischen Nachfolgestaaten
Grundzüge der
Geschichte
(1964)
2B
Diesterweg
Vom Frankenreich bis zum
westfälischen
Frieden
Erstes Kapitel:
Vom fränkischen Königtum
zum abendländischen Kaiserreich
III. Lehnswesen
und Grundherrschaft
1. Lehnsmannen als Krieger
und Beamte
25-28
II./4. Das Kaisertum Karls des
Großen
2. Grundherren,
freie Bauern,
Hörige und
Leibeigene
Grundzüge der
Geschichte
(1975)
2
Diesterweg
Vom Frankenreich bis zum
westfälischen
Frieden
Erstes Kapitel:
Vom fränkischen Königtum
zum abendländischen Kaiserreich
III. Lehnswesen
und Grundherrschaft
1. Lehnsmannen als Krieger
und Beamte
25-28
II./4. Das Kaisertum Karls des
Großen
2. Grundherren,
freie Bauern,
Hörige und
Leibeigene
Geschichtl.
Unterrichtswerk (1951)
II
Klett
Geschichte des
Abendlandes
von der germanischen Frühzeit
B. Vom Altertum zum Mittelalter
V. Das Frankenreich
5. Grundherrschaften und
Lehnswesen
52-53
(53)
4. Das Bauerntum
6. Der Verfall
des Reiches
Geschichtl.
Unterrichtswerk (1954)
II A
Klett
Geschichte des
Abendlandes
von der germanischen Frühzeit
B. Vom Altertum zum Mittelalter
V. Das Frankenreich
5. Grundherrschaften und
Lehnswesen
51-52
(52)
4. Das Bauerntum
6. Der Verfall
des Reiches
57
* Falls von den Seitenzahlen der Kapitel abweichend, stehen In Klammern die Seiten in denen das Lehnswesen explizit behandelt wird.
Christoph Bramann
Eckert. Working Papers 2017/2
Grundzüge der
Geschichte
(1950)
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
urn:nbn:de:0220-2017-0228
Kurztitel
(Fortsetzung Tabelle 1)
Band
Verlag
Buchtitel
Makro
Kapitel
Unterkapitel
Abschnitt
Seiten*
Kap. vorher
Kap. nachher
II B
Klett
Aus Mittelalter und
Neuzeit
B. Vom Werden
des Abendlandes
V. Das Frankenreich
5. Grundherrschaften und Lehnswesen
55-56
(56)
4. Das Bauerntum
6. Der Verfall
des Reiches
Geschichtl.
Unterrichtswerk (1966)
II C
Klett
Mittelalter und
frühe Neuzeit
A. Das Abendland im Mittelalter
I. Das Reich der
Franken
3. Die Bauern, die
Grundherrschaft,
das Lehnswesen
11-14
(13)
2. Die ersten
Karolinger
4. Karl der
Große und seine
Zeit
Wege der
Völker (1948)
II
Schulz
Aufstieg: Geschichte des Altertums
und des Mittelalters
II.
Mittelalter
3. Der Feudalismus
Der Feudalismus ein Bürge für Ordnung in einer ungeordneten Welt
162-164
(162-163)
Die germanischen
Staaten auf römischem Boden
Die wirtschaftliche Seite des
Feudalismus
Wege der
Völker (1950)
II B
Schulz
Aufstieg: Geschichte des Altertums
und des Mittelalters
II.
Das Mittel-alter
8. Das Lehnswesen
70-71
7. Der Bauer und
der Gutsherr
9. Das Rittertum
Wege der
Völker (1953)
II A/B
Diesterweg
Geschichte des
Altertums und des
Mittelalters
II.
Das Mittelalter
8. Das Lehnswesen
72-73
7. Der Bauer und
der Gutsherr
9. Das Rittertum
Spiegel der
Zeiten (1958)
III
Diesterweg
Vom Mittelalter zur
Neuzeit
II. Fürsten,
Bauern und
Bürger im Mittelalter
1. Lehnswesen,
Grundherrschaft
und Bauerntum
25-29
(25-27)
I/4. Blüte und
Untergang des
staufischen
Adelsgeschlechts
2. die Mittelalterliche Stadt
Spiegel der
Zeiten (1964)
III
Diesterweg
Vom Mittelalter zur
Neuzeit
II. Fürsten,
Bauern und
Bürger im Mittelalter
1. Lehnswesen,
Grundherrschaft
und Bauerntum
25-29
(25-27)
I/4. Blüte und
Untergang des
staufischen
Adelsgeschlechts
2. die Mittelalterliche Stadt
Spiegel der
Zeiten (1966)
III A
Diesterweg
Vom Mittelalter zur
Neuzeit
II. Fürsten,
Bauern und
Bürger im Mittelalter
1. Lehnswesen,
Grundherrschaft
und Bauerntum
25-29
(25-27)
I/4. Blüte und
Untergang des
staufischen
Adelsgeschlechts
2. die Mittelalterliche Stadt
Spiegel der
Zeiten (1969)
2B
Diesterweg
Vom Frankenreich
bis zum Westfälischen Frieden
II. Das Reich
Karls des Großen
3. Lehnsherr und
Lehnsmann
13-15
2. Grenzen, Grafen Königsboten
4. Die bäuerliche Welt
Christoph Bramann
* Falls von den Seitenzahlen der Kapitel abweichend stehen In Klammern die Seiten, in denen das Lehnswesen explizit behandelt wird.
58
Eckert. Working Papers 2017/2
Geschichtl.
Unterrichtswerk (1955)
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
urn:nbn:de:0220-2017-0228
Kurztitel
59
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
4.1.1 Konzeptionelle Gestaltung
Während es sich bei aktuellen Schulbüchern klassischerweise um kombinierte Lernund Arbeitsbücher handelt, in denen verschiedene textliche und bildliche/grafische
281
„Bausteine“ miteinander kombiniert werden,
handelt es sich beim Schulbuchtyp die282
ses Untersuchungszeitraums größtenteils um den „klassischen Leitfaden“.
Die Dar-
stellungen bestehen vorwiegend aus Verfassertexten, die in manchen Fällen ergänzt
werden „durch anschauliche Geschichtserzählungen die dem Lernenden Vergangenes
283
vergegenwärtigen sollten“.
Entstanden war dieser Schulbuchtypus im 19. Jahrhundert
vor dem Hintergrund des sich neu entwickelnden Historismus, der die Geschichte als
„ein Bildungs- und Gesinnungsfach zur Förderung des historischen Verständnisses und
zur Stiftung nationaler Identität“ auffasste und damit im Gegensatz stand zur utilitaristischen Geschichtsauffassung der Aufklärung, nach der Geschichte „ein Memorierfach
284
mit direktem Nutzen für die persönliche Lebensbildung“ gewesen war.
Dieser natio285
nalidentitätsstiftende Stil blieb teilweise noch bis in die 1960 Jahre maßgeblich.
Die lange „aktive“ Zeitspanne der Reihen bedingt, dass sich in ihr verschiedene Stadien der Themenpräsentation erkennen lassen. Die Texte der späten 1940er und frühen
1950er Jahre folgen dabei noch einem „literarischen“ Erzählstil, wie er sich anschaulich
in Formulierungen, wie „Die Wogen der germanischen Völkerwanderung waren verebbt. Da bedrängten die Fluten arabischer Stämme die Grenzen des Abendlandes“
286
zeigt. In Wege der Völker werden Schülerinnen und Schüler sogar durch Zusätze wie
287
„Ihr wißt, daß (…)“ oder „Wie ihr wißt, (…)“ direkt angesprochen.
Bereits ab Ende der 1950er Jahre lässt sich jedoch beobachten, dass der erzählerische Charakter der Texte in allen Reihen abnimmt zugunsten eines sachlicheren Stils.
Jedoch bietet eine Reihe zu diesen Texten noch bis Mitte der 1960er Jahre zusätzlich
281
Vgl. ausführlich Schönemann/Thünemann (2010), S. 81–98; Sauer (20087), S. 260–262.
Zur Definition und Geschichte dieses Schulbuchtyps vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 55–62;
sowie Becher (20074), S. 47–50.
283
Becher (20074), S. 50.
284
Vgl. Schönermann/Thünemann (2010), S. 59–61. Zitate, S. 61.
285
Vgl. die Ausführungen bei Becher (20074), S. 50 sowie Schönemann/Thünemann (2010), S. 59.
286
Grundzüge der Geschichte (1950), S. 13.
287
Vgl. Wege der Völker (1948), S. 161 u. 162. Hier spiegelt sich allerdings zusätzlich die ursprüngliche
Konzeption des Werkes auf das 6. Schuljahr wieder.
282
urn:nbn:de:0220-2017-0228
Eckert. Working Papers 2017/2
60
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Geschichtserzählungen an, die „den Schülern […] das Verständnis für diesen manchmal
schwer zugänglichen Zeitraum“
288
erleichtern sollen.
Entwicklungen in den Darstellungskonzepten zeigen sich in erster Linie in der allmählichen Ergänzung der Texte durch zusätzliche Präsentationsbausteine. Vor allem im
Bildgebrauch lassen sich Veränderungen feststellen, die jedoch bei den untersuchten
Werken durchaus unterschiedlich ausfallen. Die ersten Ausgaben zeigen dabei entweder
289
gar keine Abbildungen,
290
wenige Zeichnungen
oder bereits schwarz-weiß Fotos his-
torischer Orte und vereinzelte Rekonstruktionszeichnungen.
291
Nach Inkrafttreten der
Bildungspläne von 1956/1957, die den Arbeitsunterricht als „wesentliches Verfahren
jeder Schule“
292
vorschrieben, finden ab Ende der 1950er Jahre auch vermehrt „histori-
sche“ Abbildungen wie Federzeichnungen und Kupferstiche Einzug in die Darstellungen,
293
die ab Mitte der 1960er Jahre dann auch farbig werden.
294
Hierbei finden sich
auch Beispiele für einen zur reinen Illustration gebräuchlichen dokumentierenden Bebilderungsstil, für den das Abgebildete nur „irgendwie alt“ sein musste, um den Ein295
druck historischer Authentizität zu vermitteln.
Direkt zum Lehnwesen finden sich keine solchen illustrativen Bilder, auch wenn
296
diese manchmal innerhalb der Darstellung abgebildet sind.
Es handelt sich also ver-
mehrt um eine illustrative Bebilderung angrenzender Themen.
297
Allerdings beginnen
die jeweils letzten Neuauflagen der Reihen in den 1960er Jahren bereits auch vermehrt
Bildquellen zu verwenden – jedoch nicht zum Lehnswesen –, sodass sie in ihrem äuße-
288
Spiegel der Zeiten I/II (1959), Vorwort. Solche Erzähltexte finden sich vor allem noch in Spiegel der
Zeiten (1958, 1964, 1966).
289
Grundzüge der Geschichte (1950).
290
Wege der Völker (1948, 1950, 1953).
291
Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955); Grundzüge der Geschichte (ab 1956).
292
LP-HE-1956 (I), S. 105.
293
Spiegel der Zeiten (1958); Grundzüge der Geschichte (ab 1964).
294
Geschichtl. Unterrichtswerk (1966); Spiegel der Zeiten (1969); Grundzüge der Geschichte (1975).
295
Auffälligstes Beispiel ist die Abbildung eine Gemäldes Albrecht Dürers „Kaiser Karl der Große“ von
1511/12, abgedruckt in schwarz-weiß, in Geschichtl. Unterrichtswerk (1955), S. 55. Zu diesem Bebilderungsstil im Allgemeinen, vgl. Jussen (2013), S. 275.
296
Z. B. ein Foto der „Königshalle in Lorsch“ in Grundzüge der Geschichte (1956), S. 16, und Albrecht
Dürers „Kaiser Karl der Große“, in Geschichtl. Unterrichtswerk (1955), S. 55.
297
Bespiele hierfür sind Illustrationen der „Burg Steinsberg“ und von „Rittern im 12. Jhdt.“, in: Wege der
Völker (1948); Holzschnitte und Kupferstiche zur Grundherrschaft aus dem 15./16. Jhdt., in: Spiegel
der Zeiten (1958, 1964 und 1966) oder auch Dürers „Kaiser Karl der Große“, in: Geschichtl. Unterr. f.
Mittelklassen (1955), S. 55.
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Eckert. Working Papers 2017/2
61
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
298
ren Erscheinungsbild durchaus bereits modernen Schulbüchern ähneln.
In der letzten
Ausgabe von Grundzüge der Geschichte 1975 wird schließlich sogar darauf verwiesen,
dass „das umfangreiche zeitgenössische Bildmaterial […] nicht nur die Anschaulichkeit
des Dargestellten illustrativ erhöhen, sondern auch das arbeitsunterrichtliche Verfahren
erleichtern“
299
soll – eine Formulierung, die wohl auf die neuen Lehrpläne von
300
1972/1973 und die darin geforderte Quellenarbeit zurückzuführen ist.
Zusätzlich zu diesen Abbildungen hält in diesem Untersuchungsabschnitt erstmals
301
ein Schema Einzug in die Schulbücher,
das bis heute wie kein anderes das öffentliche
302
Bild vom Lehnswesen prägt: Die Lehnspyramide.
Das Schaubild geht auf die soge-
nannte Heerschildordnung des Sachsenspiegels zurück, die in diesem als adlige „Rangordnung […] unter Gesichtspunkten des Lehnsrechts“
Darstellung kann dabei sowohl mit,
304
als auch ohne
303
305
entworfen worden war. Die
einer untersten Bauernschicht
erfolgen, die die Lehnspyramide mithin zu einer Art Gesellschaftspyramide der Feudal306
zeit werden lässt.
Die Pyramiden unterschieden sich von Beginn an hinsichtlich ihrer Komplexität,
Beschriftung und grafischen Ausgestaltung. Das Spektrum reicht von einem einfachen
schematischen Dreieck, das in die Bereiche König, Königsvasallen und Unter307
(After)Vasallen unterteilt ist,
über eine mit einzelnen Figuren „bestückte“, aber unbe308
schriftete vierstufige Darstellung,
bis hin zu bebilderten und beschrifteten Pyramiden
mit Volks- oder Bauern-„Sockel“ und der spätmittelalterlichen Kaiserkrone als Spit-
298
Grundzüge der Geschichte (1964); Geschichtl. Unterrichtswerk (1966; Spiegel der Zeiten (1969).
Grundzüge der Geschichte (1975), Vorwort.
300
In der ersten, von der Bildauswahl her deckungsgleichen – der Unterschied beläuft sich auf schwarzweiß gegen farbig – Ausgabe von 1964 findet sich der entsprechende Passus im Vorwort noch nicht.
301
Im Untersuchungskorpus erstmals in Geschichtl. Unterrichtswerk f. d. Mittelklassen B II (1955), S. 56.
302
Vgl. grundlegend Boockmann (1992).
303
Vgl. Boockmann (1992), S. 362f. (Zitat ebd., S. 362); Patzold (2012), S. 107f.; Spieß (2002), S. 25–
27, der gleichzeitig den Versuch einer „korrekten“ Visualisierung des Heerschilds unternimmt, vgl.
ebd., S. 27.
304
Geschichtl. Unterrichtswerk (1955 u. 1966), Grundzüge der Geschichte (1964 u. 1975).
305
Spiegel der Zeiten (1969).
306
Vgl. Boockmann (1992), S. 365f. Zur Kritik an dieser Art der Darstellung siehe die entsprechende
Ausführungen in Kap. 4.3.1.
307
Spiegel der Zeiten (1969).
308
Geschichtl. Unterrichtswerk (1966). Einige der Figuren können dabei stilistisch den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels zugeordnet werden.
299
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Eckert. Working Papers 2017/2
62
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
309
ze.
Bei den bebilderten Versionen ist es dabei häufig so, dass den dargestellten Figür-
chen zeichnerische Vorbilder zugrunde liegen, die auf tatsächliche historische Gegen310
stände, Buchzeichnungen oder Gemälde zurückgehen.
Ein weiterer Medienbaustein, der sich jedoch nur in Kletts Geschichtlichem Unterrichtswerk wiederfindet – und dort bereits seit 1951 – ist die Textquelle. An dieser Stelle sei dazu angemerkt, dass es sich bei sämtlichen dieser „Textquellen“ in den untersuchten Schulbücher aller Untersuchungsabschnitte, niemals um vollständige Wiedergaben – oder gar Faksimiles – der Originalquellentexte handelt, sondern ausschließlich
um gekürzte, übersetzte und diesem Zuge auch häufig sprachlich angepasste Versionen
der mittelalterlichen Originaltexte.
Während in den ersten Ausgaben nur eine Quelle – eine sprachlich angepasste und
stark gekürzte Übersetzung eines Briefes Karls des Großen an den Abt Fulrad – ver311
wendet wird,
312
zu.
kommt ab der letzten Ausgabe sogar noch eine zweite Textquelle hin-
Unter anderem in fehlenden Arbeitsaufträgen zeigt sich jedoch, dass ihr innerhalb
der Darstellung ganz offensichtlich nicht wirklich eine – vom Lehrplan intendierte –
„methodisch-erarbeitende“, sondern ausschließlich eine illustrierende Funktion zukommt. Ähnlich wie bei den Abbildungen handelt es sich daher nicht um einen Baustein
zur Methoden- und Quellenarbeit, sondern um eine bloße „Veranschaulichung“ von
bereits Gesagtem.
309
Geschichtl. Unterrichtswerk (1955), Grundzüge der Geschichte (1964 u. 1975).
Zu der Annahme dass vor allem neuere Schulbücher aus einem „verlagstypischen Materialpool“
schöpfen, vgl. Biener (2014), S. 66.
311
Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955). Bei dieser ersten Textquelle handelt es sich um einen
„Brief Karls an einen Abt“, der den Autorentext illustrieren soll und dabei ebenso so umfangreich ist
wie dieser selbst, vgl. Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955, 1966). Es handelt es sich um
eine sprachlich angepasste und stark gekürzte Übersetzung eines Briefes Karls des Großen an den Abt
Fulrad des Klosters Altaich aus der Zeit zwischen 804 und 811, in welchem dem Abt befohlen wird,
sich mit seinen Leuten an einem Kriegszug Karls zu beteiligen. Der Text ist im lateinischen Original
in den MGH ediert, vgl. Karoli ad Fulradum Abbatem epistola, in: MGH, Capitularia regum Francorum I, Hannover 1883, S. 168.
312
Geschichtl. Unterrichtswerk (1966). Die Quelle beschreibt wie bei Spiegel der Zeiten (1969), einen
Treueeid, der diesmal jedoch karolingerzeitlich ist und ebenfalls aus einem Kapitular Karls des Großen, diesmal aus dem Jahr 802, stammt. Der Eid findet sich auch bei Ganshof, hier jedoch mit der
Anmerkung, es handele sich um einen Eid, „den er [der Kaiser] von allen Untertanen verlangte“, vgl.
Ganshof (19836), S. 30.
310
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Eckert. Working Papers 2017/2
63
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
4.1.2 Strukturelle Einbindung
313
314
Die Größe des Untersuchungszeitraumes bedingt, dass den untersuchten Reihen zwei,
in einem Fall sogar von drei
315
verschiedene Lehrpläne unterliegen. Dabei lassen sich
zwar durchaus Neubearbeitungen der Reihen nach dem Erscheinen neuer Lehrpläne
316
feststellen, in zwei von drei Fällen erschienen diese jedoch erst fast zehn Jahre später.
317
Die Änderungen sind zudem vor allem grafisch-visueller Natur.
Der Doppeleinteilung des Lehrplans von 1945, der das Lehnswesen sowohl Karl
318
dem Großen als auch einem „staatsbürgerlichen“ Kapitel zuordnete,
entspricht keine
der Reihen. Stattdessen wurde sich uneinheitlich für eine der beiden Einteilungen ent319
schieden.
Auch die nach dem Lehrplan 1956/57 erschienenen Bücher zeigen keine
einheitliche Umsetzung der vorgegeben – jetzt nur noch gesamtstrukturellen – Einbettung des Lehnswesen, das laut Lehrplan sogar in einer anderen Klasse (8. Klasse) unter320
richtet werden soll als das Thema Karolinger (jetzt 7. Klasse).
Stattdessen erscheinen
von zwei der Reihen erst 1964 und 1966 Neubearbeitungen, die sich nicht nach den
Vorgaben richten, sondern das Lehnswesen weiterhin innerhalb des Kapitels zum Fran321
kenreich behandeln.
322
Nur die Spiegel der Zeiten-Ausgabe von 1958
plankonforme Einordnung des Themas
324
als Grund für die Umgestaltung.
323
zeigt eine lehr-
und nennt die neuen Vorgaben sogar explizit
Anschaulich zeigt sich dies auch an der Streichung
313
Siehe zu diesem Kapitel auch die Ergebnisse in Tab. 1, S. 42–43.
Geschichtl. Unterrichtswerk; Wege der Völker // Spiegel der Zeiten.
315
Grundzüge der Geschichte.
316
Grundzüge der Geschichte (1964); Geschichtl. Unterrichtswerk (1966).
317
Die ist wiederum bei allen drei Neuerscheinungen der 1960er Jahre der Fall.
318
Siehe Kap. 3.2.1.
319
Strukturgeschichtliche Einordnung: Wege der Völker (1948, 1950, 1953). Zuordnung zum Frankenreich: Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955), Grundzüge der Geschichte (1950, 1956).
320
Siehe Kap. 3.2.2.
321
Grundzüge der Geschichte (1964); Geschichtl. Unterrichtswerk (1966).
322
Spiegel der Zeiten (1958). Die Folgeversionen Spiegel der Zeiten (1964) und Spiegel der Zeiten
(1966) verhalten sich zur Fassung von 1958 redundant.
323
Wurde das Mittelalter bisher als Ganzes in einem Buch behandelt, teilte es sich nun zwischen dem
Doppelband I/II „Aus Altertum und Mittelalter“ (bis einschließlich Investiturstreit) und Band III „Vom
Mittelalter zur Neuzeit“ (ab den Kreuzzügen) auf. Ähnlich den Bestimmungen der hessischen Bildungspläne von 1956/57, die das Lehnswesen im Lehrabschnitt „Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft
im mittelalterlichen Reich“ verorten, befindet es sich auch im Buch unter dem Kapitel „Fürsten, Bauern und Bürger im Mittelalter“, vgl. Spiegel der Zeiten (1958), S. 25-29.
324
Zur Begründung heißt es: „Gemäß den von der Ständigen Konferenz der Kultusminister veröffentlichten Empfehlungen für den Geschichtsunterricht in den Ländern der Bunderepublik und in Berlin umfaßt der vorliegende Band den Zeitraum von den Kreuzzügen und der Stauferzeit bis zum ausgehenden
314
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64
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
eines vorher aufgeführten Absatzes dazu „wie Karl der Große mit Hilfe des Lehnswesens die Verwaltung seines weiten Reiches meistert“, welcher wohl aufgrund der jetzt
325
großen räumlichen Trennung zum Frühmittelalter gestrichen wurde.
Umso verwun-
derlicher erscheint es, wenn 1969 – wohl vor dem Hintergrund der Neubearbeitungen
der anderen Reihen – eine erneute Neukonzeption der Reihe erscheint, die von denselben immer noch geltenden Lehrplänen wiederum abweicht und das Lehnswesen zurück
326
in ein Kapitel mit Karl dem Großen verschiebt.
Vor diesem Hintergrund ist zu be-
merken, dass alle Neuauflagen der 1960er Jahre in dieser Form auch noch bis zum Ende
der 1970er Jahre zugelassen waren, trotz der der gravierenden Änderungen im Lehrplan
327
1972/73.
Noch auffälliger ist nur der Fall der Reihe Grundzüge der Geschichte. Hier entschied sich der Verlag selbst nach Veröffentlichung der neuen Lehrpläne noch im Jahr
328
1975 für eine farbige und sonst redundante Neuauflage der Ausgabe von 1964,
die
noch bis 1983 – also sogar noch bis nach einer weiteren Lehrplan – zur Anschaffung
zugelassen war.
4.1.3 Inhaltliche Darstellung
Hinsichtlich ihrer inhaltlichen Darstellung des Lehnswesens folgen die Darstellungen
im Allgemeinen der Erzählung eines unter den Karolingern aus kriegs- und verwaltungstechnischen Gründen zur Entlohnung von Gefolgsleuten entstandenen Lehnswe329
sens und dessen Einfluss auf die „politische und soziale Ordnung des Mittelalters“ .
Bis auf wenige Ausnahmen
330
werden dabei auch die vermeintlich negativen Auswir331
kungen des Lehnswesens auf das deutsche Königtum thematisiert.
Unterschiede finden sich generell eher auf Detailebene. Während beinahe alle Werke die Erblichkeit von Lehen erwähnen, wird die Verdinglichung des Lehnswesens nur
Absolutismus“, Spiegel der Zeiten (1958), Vorwort. Vgl. auch die Anmerkungen im Vorwort von
Spiegel der Zeiten (1959).
325
Vgl. Wege der Völker (1953) und Spiegel der Zeiten (1958).
326
Spiegel der Zeiten (1969).
327
Siehe Kap. 3.2.3.
328
Siehe die Ausführungen in Kap. 4.1.4.
329
Grundzüge der Geschichte (1964), S. 26.
330
Wege der Völker (1948) u. Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955). In letzteren wird sogar
überhaupt keine Entwicklung genannt.
331
Wege der Völker (1950, 1953), Spiegel der Zeiten (1958, 1964, 1966, 1969), Grundzüge der Geschichte (1950, 1956, 1960, 1964, 1975). Siehe auch die Ausführungen in Kap. 3.1.1.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
fünf Mal thematisiert.
332
Ein Bezug zum Treuevorbehalt und zum Leihezwang stellt
sogar nur Spiegel der Zeiten her, wo in diesem Zusammenhang auch ein kurzer Vergleich zu England und Frankreich gezogen wird.
333
Die Mehrfachvasallität hingegen
erwähnt keine der Reihen.
Direkte Verweise auf das klassische, hochmittelalterliche Lehnswesen werden dabei
zwar in keiner der Reihen explizit gezogen, zeigen sich jedoch implizit über die dargestellten Entwicklungen. Spiegel der Zeiten von 1969 verwendet in diesem Zusammenhang einen durch Anführungszeichen innerhalb des Autorentextes hervorgehobenen
Textabschnitt, bei dem es sich um die sehr freie Übersetzung eines Eides aus dem Jahr
1041 handeln könnte, den Bretislav I. von Böhmen gegenüber König Heinrich III. ablegte.
334
Die einzigen beiden Textquellen, die sich als solche klar vom übrigen Text
abheben, stammen hingegen vom Anfang des 8. Jahrhunderts, auch wenn hier keine
zeitliche Einordung oder sonstige Quellenangabe geboten wird.
335
Unter Berücksichtigung ihrer medialen Eigenlogik folgen die Bücher jedoch insgesamt den ihrer Zeit zugrundeliegenden wissenschaftlichen Vorstellungen vom Lehnswesen. Erwähnenswert problematische Darstellungen finden sich nur in zwei Büchern.
Dabei handelt es sich zum einen um die Darstellung, das Lehnswesen habe zur Zeit der
Karolinger eine Art schnelle militärische Eingreiftruppe hervorgebracht, „die sofort zur
336
Stelle war, wenn sich in ihrem Bereich ein Feind zeigte“.
Abgesehen davon, dass sich
diese Kausalität nicht in der einschlägigen Literatur zum Lehnswesen wiederfindet, erscheint eine solche Annahme auch vor dem Hintergrund der zahlreichen Wikingerüberfälle auf das Frankenreich des 9./10. Jahrhunderts problematisch, bei denen eine solche
„örtliche Schutzgemeinschaft“
337
auf der Grundlage des Lehnswesens sicherlich zur
332
Grundzüge der Geschichte (1956, 1960, 1964, 1975) und Spiegel der Zeiten (1969).
Spiegel der Zeiten (1969).
334
Es handelt sich um die Wiedergabe eines Treueeids in wörtlicher Rede ohne Zeit- oder Quellenangabe.
Der beschriebene Eid lautet „Deine Feinde sind meine Feinde, deine Freunde sind meine Freunde. Ich
will dir allzeit treu zugetan und gegenwärtig sein, wenn du mich brauchst“, vgl. Spiegel der Zeiten
(1969). Es stellt sich als schwierig heraus, den Ursprung dieses Eides heraus zu finden. Es könnte sich
um eine sehr freie Übersetzung eines Eides handeln, den Bretislav I. von Böhmen im Jahr 1041 gegenüber König Heinrich III. leistete und der unter anderem die Textstelle enthält […] omnibus amicis
eius fore se amicum, inimicus inimicum. Zit. nach Ganshof (19836), S. 78. Da das entsprechende Unterrichtswerk erst Jahre nach Ganshofs „Klassiker“ erschien, wäre es durchaus möglich, dass der
Schulbuchautor die Quelle von Ganshof übernahm und umgestaltete.
335
Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955, 1966),. Siehe dazu die ausführlichen Informationen in
Kap 5.1.1 in den Anmerkungen 306 und 307.
336
Wege der Völker (1948), S. 163.
337
Ebd., S. 163.
333
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
besseren Verteidigung hätte beitragen können. Der zweite Fall betrifft die Neuaufnahme
des Leihezwangs in Spiegel der Zeiten von 1969, die vor dem Hintergrund, dass dessen
Verabsolutierung als genereller rechtlicher Zwang bereits 1962 widerlegt wurde, den
338
damaligen Forschungsstand nicht korrekt abbildet.
4.1.4 Verlags- und Reihenspezifika
Während die Abschnitte zum Lehnswesen in den Auflagen der 1950er Jahre zwischen
den Reihen noch eine große Varianz im Argumentationsaufbau aufweisen, lässt sich ab
den Neubearbeitungen der 1960er Jahre eine Annäherung der Reihen untereinander
feststellen – und zwar nicht nur hinsichtlich der Planung der Neuauflagen, sondern auch
bezüglich ihrer inhaltlichen Struktur. So scheinen sich die Neubearbeitungen der 1960er
Jahre in ihrer Kapitelstruktur anzugleichen – und zwar unabhängig von den Lehrplan339
vorgaben.
Spiegel der Völker übernimmt dabei sogar den Bandtitel der – allerdings
340
ebenfalls bei Diesterweg erschienenen – Konkurrenzreihe Grundzüge der Geschichte.
Nicht nur, dass sich spätestens am Ende der 1960er Jahre in jeder der Reihen eine
341
Lehnspyramide findet,
auch die inhaltliche Gliederung der Verfassertexte scheint sich
342
anzugleichen. Nach einem Abschnitt zur Entstehung,
wird mit unterschiedlichen Er-
weiterungen die inhaltliche Ausgestaltung des Modells erklärt,
343
bevor optional die
negativen Auswirkungen des Lehnswesens für das (deutsche) Königtum und damit eine
deutsche „Zentralstaatlichkeit“ thematisiert wird.
344
Ebenso zeigen sich innerhalb der
Reihen häufige, teils wörtliche Übernahmen von Textbausteinen einer direkten Vorgän-
338
Vgl. Goez (1962), S. 254 seine Ergebnisse zusammenfassend; siehe auch Ganshof: (19672), S. 179.
Siehe die Befunde in Kap. 4.1.2.
340
Der Titel lautet „Vom Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden“, vgl. Spiegel der Zeiten (1969);
Grundzüge der Geschichte (1950, 1956, 1960, 1964, 1975).
341
Geschichtl. Unterrichtswerk (ab 1955); Grundzüge der Geschichte (ab 1964); Spiegel der Zeiten (ab
1969).
342
Grundzüge der Geschichte (1964): „Vom Gefolgsmann zum Lehnsmann“; Geschichtl. Unterrichtswerk
(1966): „Die Anfänge des Lehnswesens“; Spiegel der Zeiten (1969): „Krieger und Beamte“.
343
Spiegel der Zeiten (1958, 1964, 1966): „Lehnsherr und Vasall“; Grundzüge der Geschichte (1964):
„Ausbreitung des Lehnswesens“: Geschichtl. Unterrichtswerk (1966): „Die hohen Lehnsträger“; Spiegel der Zeiten (1969): „Kronvasallen“.
344
Wege der Völker (1950 u. 1953) sowie Spiegel der Zeiten (1958, 1964, 1966): „Wie das Lehnswesen
die Macht des Königs gefährdete“; Grundzüge der Geschichte (1950, 1956, 1960): „Gefahren für das
Reich“; Grundzüge der Geschichte (1964): „Der Lehnsstaat“; Spiegel der Zeiten (1969): „Die Mittelalterliche Ordnung“.
339
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
345
gerversion
oder sogar das Wiederaufnehmen älterer Passagen, die bereits gestrichen
worden waren.
346
Auffällig ist hier wiederum die Reihe Grundzüge der Geschichte, bei
der für die Neuauflage 1964 weite Teile der Texte aus den früheren Auflagen der
347
1950er Jahre übernommen wurden.
Generell kann bei den untersuchten Reihen auf-
grund der Übernahme vieler Texte aus Vorgängerauflagen eine inhaltliche Überarbeitung nicht beobachtet werden – vielmehr finden sich die gleichen Narrative in neuem
visuellen Gewand.
4.2 Untersuchungszeitraum II (1970er – 1980er Jahre)
Der zweite Untersuchungszeitraum umfasst in seinem Kern die 1970er und 1980er Jahre, also die Zeit in der die seit den 1960er Jahren einsetzenden Reformbewegungen ih348
ren Höhepunkt erreichten und in vielerlei Hinsicht eine Umsetzung erfuhren.
Unter-
349
sucht wurden zwei Ausgaben von Kletts Menschen in ihrer Zeit , insgesamt vier Aus350
gaben der Geschichtliche Weltkunde aus dem Verlag Moritz Diesterweg
sowie zwei
345
Vgl. generell Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955). Oder die Verwendung des Satzes: „So
wurde aus dem altgermanischen Stammesstaat, in dem alle Freien gleich und der König nur der Erste
der Freien war, der Lehnsstaat des Mittelalters“ in allen Ausgaben von Grundzüge der Geschichte
(1950, 1956, 1960, 1964, 1975).
346
Die in Wege der Völker (1948) erzählte Entstehung des Lehnswesens in einem von 400 bis 800 andauernden „dunklen Zeitalter“, findet sich beinahe wörtlich einer Passage der ersten Auflage von
Spiegel der Zeiten (1958) wieder, nachdem diese bereits in Wege der Völker (1950 u. 1953) gestrichen worden war.
347
Unter der Überschrift „Lehnsmannen als Krieger und Beamte“ finden sich drei Abschnitte, die sich
sowohl inhaltlich als auch sprachlich stark an ihren Vorgängerversionen orientieren, vgl. Grundzüge
der Geschichte (1964 u. 1975), S. 25–28. Als Beispiel sei hier die unveränderte Übernahme des Satzes: „So wurde aus dem altgermanischen Stammesstaat, in dem alle Freien gleich und der König nur
der Erste der Freien war, der Lehnsstaat des Mittelalters“ seit der ersten Auflage 1950 genannt.
348
Vgl. u. a. Führ (1998), S. 14–21.
349
Menschen in ihrer Zeit, Bd. 1: Im Altertum und frühen Mittelalter, bearb. v. Richard Freyh, Joachim
Volkmer, Wolfgang Hug u. Erhard Rumpf, mit einem Anhang: Damals – Heute – Morgen v. Wolfgang Hilligen, Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1968; Menschen in ihrer Zeit, Bd. 1: Im Altertum und frühen Mittelalter, bearb. v. Richard Freyh, Joachim Volkmer, Wolfgang Hug u. Erhard Rumpf, Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1976. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe
Tabelle 2.
350
Geschichtliche Weltkunde – 3-bändige Ausg., Bd. 1: Von der frühen Zeit der Menschen bis zum Beginn der Neuzeit, hrsg. v. Wolfgang Hug u. Hejo Busley, Frankfurt/Berlin/München Verlag Moritz
Diesterweg 1974; Geschichtliche Weltkunde – 3-bändige Ausg., Bd. 1: Von der frühen Zeit der Menschen bis zum Beginn der Neuzeit, hrsg. v. Wolfgang Hug u. Hejo Busley, Frankfurt/Berlin/München
Verlag Moritz Diesterweg 1979; Geschichtliche Weltkunde – 4-bändige Ausg., Bd. 2: Vom Kaisertum
der Karolinger bis zur Zeit des Absolutismus, hrsg. v. Wolfgang Hug und Hejo Busley, Frankfurt/Berlin/München Verlag Moritz Diesterweg 1981; Geschichtliche Weltkunde – 4-bändige Sonderausg., Bd. 2: Vom Kaisertum der Karolinger bis zur Zeit des Absolutismus, hrsg. v. Wolfgang Hug
und Hejo Busley, Frankfurt/Berlin/München Verlag Moritz Diesterweg 1991.Von 1982/83–1995/96
war die Reihe sowohl in der drei- als auch in der vierbändigen Version zugelassen. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe Tabelle 2.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Ausgaben der Reihe Fragen an die Geschichte des Hirschgraben Verlags
351
, also insge-
samt acht Schulbücher (Tab. 2).
4.2.1 Konzeptionelle Gestaltung
Spätestens seit den 1970er Jahren sollten historische Quellen, als „Formen der Überlieferung gesellschaftlicher Wirklichkeit“
darstellen.
353
352
den Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts
In einem damals entstandenen Quellenband, aus dem auch heute noch
Quellenausschnitte für Schulbücher zitiert werden, heißt es, Geschichtsquellen sollten
den „Vorgang des eigenen Entdeckens ermöglichen, aus dem nur lernenden, nur auf354
nehmenden den suchenden und findenden Schüler machen“.
Das Konzept, Geschich-
te nicht als Belehrung sondern als Erfahrung zu begreifen, führte auch in der Schulbuchkonzeption zu tiefgreifenden Veränderungen. Die Reihe Menschen in ihrer Zeit
wurde in diesem Zusammenhang als „Prototyp“ des neuen kombinierten Lern- und Arbeitsbuches
355
356
oder sogar als „Mutter aller modernen Schulbücher in Deutschland“
bezeichnet, indem dem Verfassertext zusätzliche Bausteine, wie Text- und Bildquellen,
wissenschaftliche Texte, Schemata, Karten und andere Materialien in ähnlicher Form
zur Seite gestellt wurden.
357
In der Reihe wurde damit erstmals „der Logik der Ge-
schichtswissenschaft […] die Logik der Geschichtsdidaktik“ gegenübergestellt, indem
die einzelnen Bände derart gestaltet waren, „daß sie Schülern und Schülerinnen eine
denkende Auseinandersetzung mit vergangenen menschlichen Erfahrungen ermöglichen, aus der sie eigene Schlußfolgerungen ziehen konnten“
358
.
351
Fragen an die Geschichte. Geschichtliches Arbeitsbuch für Sekundarstufe I im gymnasialen Bereich,
Bd. 2: Die europäische Christenheit, hrsg. v. Heinz Dieter Schmid, Frankfurt: Hirschgraben-Verlag
1975; Fragen an die Geschichte. Geschichtliches Arbeitsbuch für Sekundarstufe I im gymnasialen Bereich, Bd. 2: Die europäische Christenheit, hrsg. v. Heinz Dieter Schmid, Frankfurt HirschgrabenVerlag 1980. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe Tabelle 2.
352
LP-HE-1972, S. 19.
353
Vgl. allgemein Sauer (20087), S. 109.
354
Vgl. Lautemann (1970), S. 5.
355
Ursula Becher wählt zwar die Bezeichnung „Prototyp des neuen Arbeits- und Lesebuches“, meint aber
offensichtlich denselben Buchtypus, vgl. Becher (20074), S. 51.
356
Schönemann/Thünemann (2010), S. 70, die sich beziehen auf Pandel, Hans-Jürgen: Bildinterpretation.
Die Bildquelle im Geschichtsunterricht. Bildinterpretation I. Schwalbach/Ts. 2008, S. 105.
357
Diese Klassifizierungen beziehen sich zwar auf die 6-bändige Vorgängerreihe von Menschen in ihrer
Zeit, die außerdem nur für Realschulen zugelassen war. Es ist jedoch anzunehmen, dass sich die Konzeption der hier untersuchten 4-bändigen Nachfolgereihe in konzeptioneller Sicht nicht zum Negativen entwickelt hat. Zur Reihe allgemein vgl. die Ausführungen bei Schönemann/Thünemann (2010),
S. 69f. und Becher (20074), S. 51–54.
358
Vgl. Becher (20074), S. 51, Zitat ebd.
urn:nbn:de:0220-2017-0228
Eckert. Working Papers 2017/2
Kurztitel
Band
Verlag
Buchtitel
Makro
Kapitel
Abschnitt
Seiten*
Kap. Vorhe
Kap. nachher
2
Hirschgraben
Die europäische
Christenheit
I. Das europäische Mittelalter
5. Die Staufferzeit
F. Lehensherr
und Lehensmann
85-86
Karl der Große "Vater Europas"
Karl der Große der allerchristlichste Kaiser
Fragen an die
Geschichte
(1981)
2
Hirschgraben
Die europäische
Christenheit
I. Das europäische Mittelalter
5. Die Staufferzeit
F. Lehensherr
und Lehensmann
91-93
Welche Entwicklung das Frankenreich nahm
Vom Weltbild
der Menschen im
Mittelalter ???
Geschichtliche
Weltkunde,
3 Bde (1974)
1
Diesterweg
Von der frühen
Zeit der Menschen
bis zum Beginn der
Neuzeit
10. Die Gesellschaft im Mittelalter
10.3 Das
Lehnswesen
Geschichtliche
Weltkunde,
3 Bde (1979)
1
Diesterweg
Von der frühen
Zeit der Menschen
bis zum Beginn der
Neuzeit
11. Politische
Kräfte und Gegensätze
Geschichtliche
Weltkunde,
4 Bde (1981)
2
Diesterweg
Vom Kaisertum
der Karolinger bis
zur Zeit des Kapitalismus
Geschichtliche
Weltkunde,
4 Bde (1991)
2
Diesterweg
Menschen in
ihrer Zeit
(1968)
1
Klett
117-119
Leben und arbei- Die Welt der
ten auf dem Land Ritter und Edelfrauen
11.2 Das
Lehnswesen:
Die Grundlage
der politischen
Ordnung
170-173
(170-172)
Leben und arbei- Die Welt der
ten auf dem Land Ritter und Edelfrauen
3. Politische
Kräfte und Gegensätze
3.2 Das Lehnswesen: Die
Grundlage der
politischen
Ordnung
40-43
(40-42)
4. Der Herrscher
regiert reisend
das Reich
6. Bauern und
Grundherren
Vom Kaisertum
der Karolinger bis
zur Zeit des Kapitalismus
3. Politische
Kräfte und Gegensätze
3.2 Das Lehnswesen: Die
Grundlage der
politischen
Ordnung
40-43
(40-42)
2. Nicht jeder
König kann
Kaiser werden
4. Das Frankenreich - ein Großreich entsteht
und zerfällt
Im Altertum und
frühen Mittelalter
IV. Karl der
Große will das
Römische Reich
erneuern
3. Wie wird das
Reich regiert?
149-151
(150-151)
4. Wie lebt und
regiert der König?
6. In der Nachfolge der Karolinger: Die Ottonen
149-151
(150-151)
1. Wie lebt und
regiert der König?
3. Otto der Große begründet das
deutsche Kaisertum
1
Klett
Im Altertum und
frühen Mittelalter
69
3. Wie wird das
IV. Karl der
Reich regiert
Große will das
Römische Reich
erneuern
* Falls von den Seitenzahlen der Kapitel abweichend, stehen In Klammern die Seiten in denen das Lehnswesen explizit behandelt wird.
Menschen in
ihrer Zeit
(1976)
Christoph Bramann
Eckert. Working Papers 2017/2
Fragen an die
Geschichte
(1975)
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
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Tab. 2: Die Schulbücher des Untersuchungsabschnitts II inklusive ihrer Einbindung des Lehnswesens
70
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Hinsichtlich ihrer Vorreiterrolle ist die Reihe in der Schulbuchforschung jedoch
nicht unumstritten. Zusammen mit der hier ebenfalls untersuchten Reihe Geschichtliche
Weltkunde kann Menschen in ihrer Zeit daher auch zurückhaltender als „Zwischenform
und Übergangserscheinung“ vom reinen Arbeitsbuch zum kombinierten Lern- und Arbeitsbuch verstanden werden.
359
Die größte Kritik der modernen Schulbuchforschung
am konzeptionellen Aufbau dieser Reihen bezieht sich dabei lediglich auf den konkreten Umgang mit dem eingefügten „Arbeits-“Material und seiner häufig nur illustrativen
Funktion.
360
Zu Überwindung dieses Problems wurde in den 1970er Jahren – also parallel zu den
bereits vorgestellten Reihen – ein neuer Schulbuchtypus entwickelt: das reine Arbeits361
buch, als dessen bekanntestes Beispiel die Reihe Fragen an die Geschichte gilt.
Die
Reihe gilt dabei als „kompetente und beeindruckende Konsequenz der [damaligen] geschichtsdidaktischen Forschung und Diskussion“
362
. Hervorstechendstes Merkmal des
neuen Schulbuchtyps ist der komplette Verzicht auf Verfassertexte mit dem Ergebnis
eines „fragmentierten Bild-Text-Materialkonvoluts“, das in der Konsequenz „alles mögliche enthält, nur keine zusammenhängende Narration“
363
. Zur Begründung dieses
Schrittes heißt es in dem jedem Band der Reihe anstatt eines Vorwortes vorangestellten
Abschnitt „An die Benutzer“:
„Dieses Buch ist kein Lehrbuch, in dem die Geschichte früherer Zeiten aus der Sicht von
heute erzählt und gedeutet wird; es ist vielmehr ein Arbeitsbuch, mit dessen Hilfe die Benutzer Geschichte selbst entdecken und rekonstruieren können. […]. So erhält der Benutzer
einen unmittelbaren Eindruck früherer Zeiten, ohne daß sich ein Geschichtserzähler unserer
364
Tage dazwischendrängt.“
Auch die geschichtstheoretische Position von der dieser neue Schulbuchtyp ausgeht
unterschied sich von einem auf nationale Bildungs- und Identifikationswerte ausgerichteten Historismus, wie er noch den Schulbüchern im Stil des klassischen Leitfadens
zugrunde lag. Dem reinen Arbeitsbuch liegt die Idee zugrunde, das Geschichte „nicht
359
Vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 71.
Ebd., S. 70, vgl. auch Becher (20074), S. 54. Siehe auch die Ausführungen in Kap. 4.3.1.
361
Zu diesem Schulbuchtyp allgemein sowie zur Reihe Fragen an die Geschichte im Speziellen, vgl.
Schönemann/Thünemann (2010), S. 62–69 und Becher (20074), S. 54.
362
Ebd. Für eine sehr knappe Zusammenfassung dieser Diskussion, auf die hier nicht näher eingegangen
werden kann, vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 67f.
363
Schönemann/Thünemann (2010), S. 63.
364
Die Autor/innen bemerken dabei jedoch selbstkritisch, dass „die Bearbeiter dieses Buches aus den
unzähligen Dokumenten auch eine Auswahl getroffen [haben]“, Fragen an die Geschichte (1974), „An
die Benutzer“, Absatz „Arbeitsbuch und Dokumentation“.
360
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
objekthaft verfügbar [ist], sondern ein retrospektives Konstrukt, das erst und nur dann
entsteht, wenn man aus der je eigenen Gegenwart heraus, Fragen an eine Vergangenheit
365
stellt, […].“
In der Reihe selbst heißt es dazu verkürzt: „‘Fragen an die Geschichte‘
will – in vereinfachter Weise natürlich – lehren, wie der Wissenschaftler Geschichte
366
entdeckt und erschließt“, und somit „lehren, wie man eigentlich Geschichte lernt.“
Obwohl Fragen an die Geschichte bei Lehrkräften „große Resonanz“ fand und „in
367
vielen Schulen eingeführt“ wurde,
hatte die Reihe „mit erheblichen Akzeptanzprob-
lemen zu kämpfen“, die sich vor allem in der sehr zeitaufwändigen Planung und Durchführung eines Unterrichts, der „entdeckendes Lernen im Medium des reinen Arbeits368
buch“ zum Ziel hat, begründete.
Das reine Arbeitsbuch konnte damit „noch weniger
als das erzählende Lehrbuch gedankenlos von vorne bis hinten durchgenommen werden“, sondern setzte voraus, „daß der Lehrer sich zunächst einen Überblick über die
Thematik verschafft und sich mit der Art der Materialien vertraut gemacht hat, bevor er
sie in vielfältiger Weise nach dem Baukastensystem einander zuordnen kann“.
369
Auch
ein schnelles Nachholen von Stoff war mit einem Buch, das ausschließlich Rekonstruk370
tionsmaterialien zur Verfügung stellt, nicht mehr möglich.
Diesem Umstand versuchte die Reihe in ihrer zweiten Auflage von 1980 gerecht zu
werden, indem einige Verfassertexte ergänzt wurden, die „das Grundwissen, den Zusammenhang und die Einordnung der Materialien […] in aller Kürze“ erläutern soll371
ten.
Doch auch nach dieser Erweiterung bestand die größte Schwachstelle von Fra-
gen an die Geschichte – neben den genannten unterrichtsspezifischen Nachteilen – in
der Verabsolutierung der Rekonstruktion von Geschichte weiter fort. Das ebenfalls
365
Zu diesem Geschichtsbild, das die Autor/innen wiederum auf Johann Gustav Droysens »Historik«
zurückführen, vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 64f.; Zitat Ebd, S. 64.
366
Fragen an die Geschichte (1974), „An die Benutzer“, Absatz „Lernziele“. Viele der dafür nötigen Operatoren nennen die Autor/innen dabei an gleicher Stelle selber: „genau lesen, untersuchen, beschreiben, vergleichen, nachdenken, von der einen und der anderen Seite prüfen, über Beobachtungen sprechen, urteilen und die Urteile begründen“
367
Becher (20074), S. 54. Die Autorin gibt jedoch keine Informationen darüber, woher insbesondere die
Daten zur Schulanschaffung stammen.
368
Schönemann/Thünemann (2010), S. 68.
369
Ebd., S. 63, die damit aus einen Aufsatz des Autors und Initiators von Fragen an die Geschichte Heinz
Dieter Schmid zitieren: Entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht, in: Geschichtsdidaktische Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung, hrsg. v. Hans Süssmuth, Paderborn u. a. 1980, S.
283–314, hier S. 304.
370
Schönemann/Thünemann (2010), S. 66.
371
Vgl. Fragen an die Geschichte (1980), „An die Benutzer“, Absatz „Wie man mit diesem Buch arbeiten
soll“. Diesen Aspekt der Weiterentwicklung der Reihe erwähnen jedoch weder Becher (20074) noch
Schönemann/Thünemann (2010).
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
wichtige Erlernen der Dekonstruktion bereits vorhandenen Geschichtsbilder und geschichtskultureller Darstellungen, wie sie Schülerinnen und Schülern täglich begegnen,
372
wird dabei nämlich nicht berücksichtigt.
Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass
sich in allen untersuchten Reihen eine starke – oder im Fall von Fragen an die Geschichte (1974) sogar die alleinige – Quellenzentrierung und damit den Versuch einer
Umsetzung der sich auch in den Lehrplänen widerspiegelnden fachdidaktischen Forschung, abzeichnet.
Wie bereits im vorherigen finden sich auch in diesem Untersuchungsabschnitt keine
illustrativen Bilder zum Lehnswesen, obwohl die Reihen generell alle großzügig bebil373
dert sind.
Allerdings finden sich in zwei der drei Reihen wieder Lehnspyramiden, die
in beiden Fällen aus verlagseigenen älteren Reihen stammen. So zeigt Menschen in ihrer Zeit dieselbe vierstufige, unbeschriftete Version einer „Gesellschaftspyramide“, wie
in dem zwei Jahre zuvor erschienenen Geschichtlichem Unterrichtswerk,
374
diesmal
ergänzt durch folgende Erklärung im Text: „So entstand eine Art Pyramide der Herrschaft, an deren Spitze der König, darunter die Bischöfe und Herzöge, auf der nächsten
Stufe die Grafen und niederen Adligen und auf der untersten schließlich die Bauern
375
standen.“
Auch Diesterwegs Geschichtliche Weltkunde übernimmt die Pyramidenversion der
1969er Auflage von Spiegel der Zeiten.
376
Wohl zur weiteren Hervorhebung des im
Text erwähnten Treuevorbehalts als Ausdruck einer typisch deutschen Ausprägung des
Lehnswesens, erklärt der Verfassertext ab 1979 zusätzlich, dass „in dieser Pyramide
[…] der Königsvasall als Zwischenglied zwischen König und Untervasall die einflussreichste Figur“ war.
377
In diesem Zuge wurde außerdem die Bildunterschrift „Das
378
Lehnswesen“ um den Länderzusatz „… in Deutschland“ ergänzt.
Nur Fragen an die Geschichte verwendet nicht direkt eine Lehnspyramide, sondern
ein auf den ersten Blick komplex wirkendes Gebilde mit dem Titel „Schema des
372
Vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 69.
Allerdings auch nicht in einem höheren Maß, als dies in den Neubearbeitungen der 1960er Jahre des
vorherigen Untersuchungsabschnittes der Fall gewesen ist, vgl. Grundzüge der Geschichte (1964);
Geschichtl. Unterrichtswerk (1966; Spiegel der Zeiten (1969).
374
Vgl. Geschichtl. Unterrichtswerk (1966). Siehe auch die Ausführungen zu den Lehnspyramiden in
Kap. 4.1.1.
375
Menschen in ihrer Zeit (1976).
376
Vgl. Spiegel der Zeiten (1969). Siehe auch die Ausführungen zu den Lehnspyramiden in Kap. 4.1.1.
377
Geschichtliche Weltkunde (1979, 1981, 1991).
378
Ebd. (1979, 1981, 1991).
373
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
379
Lehnswesens“,
das bei näherem Hinsehen jedoch ebenfalls eine durch viele Details
kompliziert wirkende Lehnspyramiden-Version darstellt, in der sich das Hauptproblem
dieser Darstellung – die scharfe räumliche Trennung zwischen König und Untervasallen
380
– weiterhin wiederfindet. Der ab 1980 hinzugefügte Verfassertext spricht trotz
dieser „besonderen“ Darstellung so auch von einer Lehnspyramide.
381
Am deutlichsten macht sich die vom Lehrplan vorgeschriebene Quellenarbeit jedoch
in der Anzahl der abgedruckten Text- und Bildquellen bemerkbar. So werden in zwei
der Reihen mit Ausschnitten aus den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels zum ersten Mal auch Bildquellen zum Lehnswesen verwendet, die sich auch heute noch in vielen Büchern finden,
382
auch wenn nur eine der beiden Reihen diese auch mit Arbeitsauf383
trägen oder in sonstiger Weise einbindet.
Die Sachsenspiegeldarstellungen, die sich
384
auch außerhalb des Schulbuchs großer Beliebtheit erfreuen,
entstammen im 13./14.
Jahrhundert angelegten und reich bebilderten Rechtskompilationen und beinhalten neben Regeln für das bäuerlich-adlige Zusammenleben (Landrecht) auch einen großen
lehnsrechtlichen Teil, in dem verschiedene Aspekte des Lehnswesens in jeweils einer
385
Text- und einer Bildspalte lehrhaft erläutert werden.
Grundsätzlich gehören die Bil-
derhandschriften des Sachenspiegels daher in die Kategorie spätmittelalterlicher Rechtssammlungen denen die jüngere Forschung eine tragende Rolle bei der juristischen Konstatierung des Lehnswesens zuspricht.
386
Bei den Abbildungen in den Schulbüchern
handelt es sich ausschließlich um einzelne Ausschnitte aus der Bildleiste. Während eine
Reihe überhaupt keine Angabe zum Entstehungszeitraum des Bildes macht,
387
datiert
die andere die – offensichtlich aus verschiedenen Handschriften stammenden – Ausschnitte mit der Angabe „13. Jahrhundert“ relativ früh, vor dem Hintergrund, dass der
379
Fragen an die Geschichte (1974, 1981).
Vgl. Patzold (2012), S. 108f.
381
Fragen an die Geschichte (1981).
382
Geschichtliche Weltkunde (1974, 1979, 1981, 1991) verwendet dabei nur den bekannten Ausschnitt, in
dem der König/Kaiser zwei hohe Geistliche (einer davon stellt dabei eine Äbtissin dar) mit dem Zepter und drei Fürsten mit drei Fahnen investiert. Fragen an die Geschichte (1974, 1981) hingegen zeigt
vier Bildausschnitte, die offensichtlich sogar aus verschiedenen Bilderhandschriften stammen (ohne
jedoch dass der Unterschied thematisiert werden wurde).
383
Fragen an die Geschichte (1974, 1981).
384
Vgl. Werner (1989), S. 71.
385
Zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels allgemein sowie zur Heidelberger Handschrift im
Besonderen vgl. die Ausführungen von Walter Koschorreck (1989), S. 95–116.
386
Siehe die Ausführungen in Kap. 3.1.2.
387
Geschichtliche Weltkunde (1974, 1979, 1981, 1991).
380
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
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Großteil der Bilderhandschriften erst aus dem 14. Jahrhundert stammen.
Eine Quel-
lenangabe wird in beiden Fällen nicht gegeben.
Textquellen zum Lehnswesen finden sich hingegen nur im Arbeitsbuch Fragen an
die Geschichte – hier jedoch gleich in Form von sieben verschiedenen Quellenauszügen.
389
Dabei sei darauf hingewiesen, dass sich auch in den anderen zwei Reihen inner390
halb des untersuchten Kapitels Textquellen finden – nur eben nicht zum Lehnswesen.
In einer der beiden Reihen wurde stattdessen mit dem Zitat einer historischen Darstel391
lung eine andere Art des „Fremdtextes“
in die Darstellung integriert, die jedoch wie
die Bildquelle zum Sachsenspiegel nicht weiter durch Arbeitsaufträge oder Ähnliches
392
aufgegriffen wird.
Bemerkenswert ist dabei die Diskrepanz, die zwischen dem neuen Anspruch eines
auf Quellen beruhenden Geschichtsunterrichts auf der einen Seite und dem Umgang mit
Quellen in den Schulbüchern auf der anderen Seite zu liegen scheint. Zumindest in dem
diesbezüglich viel gelobten „Arbeitsbuch“ Fragen an die Geschichte wird nur für eine
der sieben gezeigten Quellen auf eine Quellenedition verwiesen, bei zweien zumindest
auf grundlegende Handbuchliteratur, eine andere nennt nur vage die „Fränkischen
Reichsannalen“ als Quelle und bei drei Abschnitten findet sich sogar gar keine Angabe
388
Fragen an die Geschichte (1974, 1981).
(1) Unter „Q 12: Lehnsgesetzt Konrad II, 1037“ findet sich ein kurzer Ausschnitt aus dem berühmten
Edictum de beneficiis Kaiser Konrads II. Als Quellenangabe erscheint wird die vollständige MGHAusgabe, mit dem Zusatz „gekürzt und vereinfacht“. (2) Unter „Q13: Wie man Lehnsmann wird“
werden dagegen hintereinander sechs teilweise auf einen Satz verkürzte Quellenauszüge genannt, von
denen nicht einmal alle mit einer Quellenangabe versehen sind. (a) Ein Ausschnitt zum Eintreten Tassilos III. in die Vasallität Pippins aus den Annales regni Francorum; Quellenangabe: „Fränkische
Reichsannalen zum Jahr 757“. Zur fachwissenschaftlichen Bewertung siehe Anm. 80 sowie Anm.
110. (b) Ein Ausschnitt zur Wahl eines „Notgers“ zum Abt unter Otto I.; ohne Quellenangabe. (c) Ein
Satz unter der Überschrift „König Heinrich bereiste die östlichen Grenzländer“, der von einer Eiderneuerung erzählt; ohne Quellenangabe. (d) Eine Beschreibung, wie Kaiser Heinrich II. seinem
„Schwager Heinrich“ das Herzogtum Bayern mit dem Überreichen einer Fahne übergibt; Quellenangabe: „1004“. (e) Ein Bericht Galberts von Brügge aus dem Jahr 1127, der berichtet, wie Wilhelm von
der Normandie die Vasallen seines Vorgängers Karl empfängt, um ihnen ihre Ämter und Lehen zu bestätigen. Das dazugehörige Ritual der Kommendation mit Kuss, Treueversprechen und Eid auf die Reliquien wird detailliert dargestellt; Als Quellenangabe wird hier nicht auf eine Edition verwiesen, sondern auf Le Goff, Jaques: Das Hochmittelalter (Fischers Weltgeschichte, Bd. 11), Frankfurt 1965, S.
66. (f) Ein Ausschnitt aus einem Brief Fulberts von Chartres an Herzog Wilhelm V. aus dem Jahr
1020, in dem die gegenseitigen Pflichten zwischen Vasall und Herrn erklärt werden; Quellenangabe
ist auch hier keine Edition, sondern die erste Auflage von Ganshofs Klassiker, vgl. (1961), S. 88.
390
Menschen in ihrer Zeit (1968, 1976), z. B. S. 149 u. 151 sowie Geschichtliche Weltkunde (1979), S.
73 und Geschichtliche Weltkunde (1981 u. 1991), S. 43.
391
Zu dieser Bezeichnung vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 87f.
392
Geschichtliche Weltkunde (ab 1979). Es handelt sich um einen kurzen Textabschnitt aus: Le Goff,
Jaques: Das Hochmittelalter (Fischers Weltgeschichte, Bd. 11), Frankfurt 1965, S. 67, in dem verschiedene Möglichkeiten der Investitur beschrieben werden.
389
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393
woher die teilweise sehr kurzen Ausschnitte stammen.
Eine Überprüfung der Quel-
lenauszüge kann somit – wenn überhaupt – nur über zeitaufwändige Recherchen erfolgen.
4.2.2 Strukturelle Einbindung
394
395
Da für nur eine Ausgabe noch die Bildungspläne von 1956/57
396
bereits die Rahmenrichtlinien von 1982
und für eine andere
relevant sind, unterliegen die meisten unter-
suchten Werke den Rahmenrichtlinien 1972/73, die das Lehnswesen nicht explizit ei397
nem bestimmten Lernfeld oder einer bestimmten Jahrgangsstufe zuordnen.
Die Ein-
bindung in die Themenstruktur erfolgte bei den meisten Büchern daher ohne bildungsadministrative Vorgaben.
Die einzige Reihe, die noch den „gesamtmittelalterlichen“ Vorgaben von 1956/1957
398
unterliegt,
richtet sich nicht nach diesen, sondern ordnet das Lehnswesen – wie die in
399
den 1960er Jahren erschienenen Auflagen
– dem fränkischen Reich zu. In den ande-
ren beiden Reihen wird das Lehnswesen hingegen entweder einem gesamtstrukturellem
400
Kapitel zugeordnet,
401
alter – behandelt.
oder in Zusammenhang mit den Staufern – also dem Hochmittel-
Da sich die 1991er Auflage der Geschichtlichen Weltkunde inhalt-
lich redundant zur 3-bändigen Ausgabe von 1979 verhält, kann auch hier ein Bezug zu
den Rahmenrichtlinien von 1982 ausgeschlossen werden.
4.2.3 Inhaltliche Darstellung
Ein einheitliches Erzählkonzept vom Lehnswesen lässt sich im ersten Untersuchungszeitraum zwischen den Reihen nicht feststellen. Zu unterschiedlich sich die Darstellungen vor allem hinsichtlich ihrer thematischen Tiefe. Zwei Reihen behandeln das Lehns393
Vgl. Fragen an die Geschichte (1974, 1980), siehe auch die Ausführungen in Anmerkung 384.
Siehe zu diesem Kapitel auch die Ergebnisse in Tab. 2, S. 52.
395
Menschen in ihrer Zeit (1968).
396
Geschichtliche Weltkunde (1991).
397
Siehe Kap. 3.2.3.
398
Menschen in ihrer Zeit (1968): Kapitel: „Karl der Große will das Römische Reich erneuern“, Abschnitt: „Wie wird das Reich regiert?“.
399
Vgl. Grundzüge der Geschichte (1964); Geschichtl. Unterrichtswerk (1966; Spiegel der Zeiten (1969).
400
Geschichtliche Weltkunde (1974, 1979, 1981, 1991): Kapitel: „Die Gesellschaft im Mittelalter“, Abschnitt: „Das Lehnswesen“.
401
Fragen an die Geschichte (1974, 1980): Kapitel: „Die Stauferzeit“, Abschnitt: „Lehnsherr und Lehnsmann“.
394
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wesen als statisches mittelalterliches Verwaltungs- und Herrschaftssystem, einmal sehr
402
verkürzt in seiner rudimentärsten Form nur unter Erwähnung einer Lehnserblichkeit,
ein anderes Mal hingegen inklusive sämtlicher „Erweiterungen“ außer der Mehrfachvasallität, die dabei als zum System zugehörig ohne Entwicklungsschritte hintereinander
403
aufgeführt werden.
Nur eine Reihe erzählt eine zusammenhängende Geschichte vom
im Frankenreich entstehenden Lehnswesen, dass sich mit der Zeit durch Erblichkeit,
404
Verdinglichung, dem fehlenden Treuevorbehalt und dem Leihezwang verändert habe.
Die bewusste Hervorhebung der negativen Konnotation der verschiedenen Entwicklungen für das „deutsche“ Königtum wird nur noch in dieser Reihe vollzogen.
405
Alle Reihen stellen einen zeitlichen Bezug zum Frankenreich her, entweder strukturell über das Oberkapitel
406
407
, textlich über die Entstehungsgeschichte,
408
Auswahl karolingischer Quellen.
älteren Reihe
409
Zwei der Reihen verwenden den bereits aus einer
bekannten Lehnseid im Fließtext, der auf das 11. Jahrhundert zurück-
410
gehen könnte.
oder über die
Durch eine Abbildung aus dem Sachsenspiegel stellt eine der beiden
411
Reihen zudem implizit eine Verbindung ins späte 13. Jahrhundert her.
Die dritte Rei-
he zeichnet mit ihrer Vielzahl an Textquellen aus dem 8., 10., 11., 12. und 13. Jahrhun412
dert hingegen tatsächlich ein gesamtmittelalterliches Bild des Lehnswesens.
Im Unterschied zum ersten Untersuchungsabschnitt erscheinen die Darstellungen –
zumindest in zwei Reihen – jedoch insgesamt detaillierter und orientieren sich auch
sprachlich zunehmend an einem sachlicheren, wissenschaftlicheren Sprachstil.
Gemessen am damaligen Stand der Forschung entsprechen die Reihen damit dem
fachwissenschaftlichen Bild vom Lehnswesen bzw. widersprechen diesem nicht. Einzige Ausnahme stellt auch hier die Behandlung des Leihezwangs dar. Die entsprechende
402
Menschen in ihrer Zeit (1968, 1976). Vgl. bereits Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955).
Fragen an die Geschichte (1980).
404
Geschichtliche Weltkunde (1974, 1979, 1981, 1991). Bezeichnenderweise wurde diese jedoch weitestgehend aus Spiegel der Zeiten (1969) übernommen.
405
Geschichtliche Weltkunde (1974, 1979, 1981, 1991).
406
Menschen in ihrer Zeit (1968, 1976): Kapitel: „Karl der Große will das Römische Reich erneuern“,
Abschnitt: „Wie wird das Reich regiert?“.
407
Geschichtliche Weltkunde (1974, 1979, 1981, 1991).
408
Fragen an die Geschichte (1974, 1980).
409
Spiegel der Zeiten (1969).
410
Menschen in ihrer Zeit (1968, 1976), Geschichtliche Weltkunde (1974, 1979, 1981, 1991). Siehe auch
die Ausführungen in Kap. 4.1.3, dort vor allem die Ausführungen in Anmerkung 329.
411
Geschichtliche Weltkunde (1974, 1979, 1981, 1991).
412
Fragen an die Geschichte (1980). Siehe auch die Ausführungen in Anm. 389.
403
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Passage der Reihe Geschichtlichen Weltkunde war dabei aus dem Band einer älteren
413
Reihe
übernommen worden, obwohl bereits bei dessen Erscheinung der Leihezwang
414
wissenschaftlich „abgeschafft“ war.
4.2.4 Verlags- und Reihenspezifika
Eine Annäherung der Reihen hinsichtlich ihres strukturellen Aufbaus kann in diesem
Zeitraum nicht mehr festgestellt werden, da die jeweils verschiedenen Schulbuchtypen
auch andere Darstellungsformen fokussieren.
415
Im Gegensatz zum ersten Untersu-
chungsabschnitt zeigt sich, dass einige Verlage sich vor dem Hintergrund des Inkrafttretens der neuen Rahmenrichtlinien nicht für das Neubearbeiten, sondern das Auslaufen416
lassen alter und die Entwicklung neuer Reihen entschieden haben.
Auch die ersten
417
Neuauflagen der beiden „neuen“ Reihen erscheinen parallel.
Aufgrund der verschiedenen Darstellungen, die von einem kurzen Verfassertext,
über verschiedene Abschnitte mit ergänzten Wissenschaftstexten bis hin zu einem reinen Baukastenprinzip reichen, lassen sich auch keine Gemeinsamkeiten in der inhaltlichen Strukturierung feststellen. Wohl aber fällt auf, dass sich im Verfassertext von
418
Kletts Menschen in ihrer Zeit der „Eid“
findet, der bereits aus der letzten Auflage von
Spiegel der Zeiten (1969) im ersten Untersuchungsabschnitt vorkam und auch in der
neuen Diesterweg-Reihe Geschichtlichen Weltkunde (ab 1974) weiter integriert ist. Da
die Erstauflage von Menschen in ihrer Zeit jedoch bereits 1968 veröffentlicht wurde,
419
könnte sich der Diesterweg-Verlag hier bei der Konkurrenz bedient zu haben.
Mehr noch als im vorherigen Untersuchungsabschnitt lassen sich allerdings Wiederverwendungen von Text- und Bildbausteinen verlagseigener Vorgängerreihen feststellen. Obwohl sich Menschen in ihrer Zeit und Geschichtliche Weltkunde in ihrem Aufbau tatsächlich bereits modernen Geschichtsbüchern ähneln zeigt sich anhand der in413
Spiegel der Zeiten (1969).
Siehe die Ausführungen in Kap. 4.1.3.
415
Siehe die Ausführungen in Kap. 4.2.1.
416
Geschichtliche Weltkunde (ab 1974), Fragen an die Geschichte (ab 1975). Die Neuauflage von Menschen in ihrer Zeit (1976) ist redundant zur ersten Auflage von 1968 und damit nicht in Zusammenhang mit den neuen Lehrplänen zu sehen. Siehe auch Abb. 1.
417
Geschichtliche Weltkunde (1979 u. 1980), Fragen an die Geschichte (1980).
418
Siehe auch die Ausführungen in Kap. 4.1.3, dort vor allem die Ausführungen in Anmerkung 329.
419
Auffällig ist hierbei, dass der Eid weder bei den Klett- noch bei den Diesterweg-Reihen als Quelle
gekennzeichnet wird. Es bleibt die Vermutung, dass eine klare Zuordnung den Autor/innen entweder
selber nicht möglich war, oder dass eine solche bewusst vermieden werden sollte.
414
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haltlichen Ausgestaltung der untersuchten Abschnitte, dass die beiden Reihen dieses
Gewand in weiten Teilen nur übernommen haben.
So ähnelt Menschen in ihrer Zeit in seiner Gesamtoptik im Wesentlichen der erst
zwei Jahre vorher erschienenen letzten Version des Geschichtlichen Unterrichtswerks
420
. Auch weite Teile des Bildmaterials inklusive der Lehnspyramide wurden
übernommen. Zwar bemerkt Ursula Becher zu Recht, dass das ausgewählte Bildmaterial
421
„konstruktiv, nicht allein illustrativ“ verwendet werden konnte,
was auch die ausführ-
lichen Bildunterschriften und -beschreibungen nahelegen. Sowohl Bildauswahl als auch
-unterschriften treten jedoch – zumindest in dem hier untersuchten Abschnitt, mit Blick
in die Nachbarbereiche – in sehr ähnlicher Form bereits in der genannten älteren KlettReihe auf. Allerdings wurde die Gesamtdarstellung auf einen Absatz reduziert, der anscheinend neu verfasst wurde. Obwohl der Reduzierung auch die Textquelle
422
zum
Opfer fiel, erinnert die extrem verkürzte Darstellung ebenfalls an das Geschichtliche
423
Unterrichtswerk – diesmal an die Auflagen der 1950er Jahre.
Die Texte und die Lehnspyramide der neuen Reihe Geschichtlichen Weltkunde
424
aus dem Verlagshaus Diesterweg wurden inklusive der Arbeitsvorschläge mit nur mi425
nimalen Änderungen
426
aus der letzten Ausgabe von Spiegel der Zeiten
übernommen.
Auch zur Neuauflage 1979 hin änderten sich die Texte bis auf kleine Ergänzungen zur
genaueren Erläuterung des Treuevorbehalts als Unterschied zwischen Deutschland,
England und Frankreich sowie kleineren Ergänzungen nur unwesentlich.
427
Für die
vierbändigen Ausgaben 1980 und 1991 wurde wiederum die Darstellung der dreibändigen Fassung übernommen. Fasst man die Entwicklung der Texte zusammen heißt das,
dass die meisten der Texte der Geschichtlichen Weltkunde aus dem Jahr 1991 zum
Lehnswesen noch aus dem Jahr 1969 stammten und nur durch zusätzliche Medienbau-
420
Vgl. Geschichtl. Unterrichtswerk (1966).
Vgl. Becher (20074), S. 54.
422
Siehe die Ausführungen in Anm. 311.
423
Vgl. Geschichtl. Unterrichtswerk (1950, 1954, 1955).
424
Geschichtliche Weltkunde (ab 1974).
425
Bis auf kleinere Formulierungen wurden unter anderem zwei Sätze gestrichen, die besagten, dass auch
Bischöfe und Äbte „Panzerreiter“ stellen mussten, und die die genaue „Hufen“-Größe eines „(Reiter-)lehens“ erklärten, vgl. Spiegel der Zeiten (1969), S. 14.
426
Spiegel der Zeiten (1969).
427
Geschichtliche Weltkunde (1979).
421
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428
steine ergänzt wurden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Bezeichnung „Prototyp“
für die beiden Reihen aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit zu verlagseigenen Vorgängerreihen problematisch. Tatsächlich sprechen mehr Argumente dafür, sie zusammen mit
anderen in den 1960er Jahren erschienenen Neubearbeitungen als Übergangs- oder Zwischenstufen zwischen dem „klassischen Leitfaden“ und dem modernen Lern- und Arbeitsbuch anzusehen.
4.3 Untersuchungszeitraum III (1980er – 2010er Jahre)
Der dritte Untersuchungszeitraum beginnt noch in den 1980er Jahren, hat seinen Fokus
aber in den 1990er Jahren und strahlt von da aus in die Gegenwart. Die Definition des
Untersuchungskorpus anhand der absoluten Listenjahre bewirkt dabei, dass mit Geschichte und Geschehen nur eine der drei untersuchten Reihen auch aktuell noch zum
Erwerb durch die Schulen zugelassen ist. Untersucht wurden drei Ausgaben der Reihe
429
430
Geschichtsbuch von Cornelsen , die Reihe Anno aus dem Westermann Verlag
431
wie sechs Ausgaben von Kletts Geschichte und Geschehen
so-
. Insgesamt umfasst der
dritte Untersuchungsabschnitt damit zehn Werke (siehe Tab. 3)
428
Vgl. Becher (20074), S. 51.
Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten – Ausg. A, Bd.
2: Das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, hrsg. v. Hans-Georg Hofacker, Thomas Schuler, Berlin:
Cornelsen-Velhagen & Klasing Hirschgraben-Verlag 1986; Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre
Geschichte in Darstellungen und Dokumenten – neue Ausg. B, Bd. 2: Das Mittelalter und die Frühe
Neuzeit, hrsg. v. Hans-Georg Hofacker, Thomas Schuler, Berlin: Cornelsen Verlag 1994; Geschichtsbuch Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten – neue Ausg., Bd. 2: Das
Mittelalter und die Frühe Neuzeit, hrsg. v. Hans-Georg Hofacker, Thomas Schuler, Berlin: Cornelsen
Verlag 1994. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe Tabelle 3.
430
Anno, Bd. 2: Vom Mittelalter bis zum Ende des Absolutismus, hrsg. v. Bernhard Askani und Elmar
Wagener, Braunschweig: Westermann 1995. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe Tabelle 3.
431
Geschichte und Geschehen II, hrsg. v. Ludwig Bernlochner, Peter Furth, Peter Hilsch, Friedrich Jahr,
Erhard Rumpf, Eberhardt Schwalm, Gottfried Till, Maria Würfel, Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1987;
Geschichte Geschehen – Ausg. A, Bd. 2, bearb. v. u. a. Giselher Birk, Stuttgart/Düsseldorf/Leipzig:
Ernst Klett Verlag 1995; Geschichte Geschehen, Bd. 2, hrsg. v. Asmut Brückmann, Rolf Brütting, Peter Gautschi, Edith Hambach, Gerhard Henke-Bockschatz, Uwe Horst, Georg Langen, Peter Offergeld,
Volker
Scherer,
Susanne
Thimann-Verhey,
Franz-Josef
Wallmeier,
Leipzig/Stuttgart/Düsseldorf: Ernst Klett Verlag 2004; Geschichte und Geschehen – Ausg. H, Sek. I,
Bd. 2, bearb. v. u. a. Werner Abelein, Stuttgart/Leipzig: Ernst Klett Schulbuchverlage 2006; Geschichte und Geschehen, Bd. 2, hrsg. v. Michael Sauer, Stuttgart/Leipzig: Ernst Klett Verlag 2012;
Geschichte und Geschehen – Ausgabe Hessen (G8/9), Bd.2, hrsg. v. Michael Sauer, Stuttgart/Leipzig:
Ernst Klett Verlag 2014. Für die untersuchten Abschnitte und die jeweiligen Seitenzahlen siehe Tabelle 3.
429
urn:nbn:de:0220-2017-0228
Eckert. Working Papers 2017/2
Kurztitel
Verlag
Buchtitel
Kapitel
Abschnitt
Anno (1995)
2
Westermann
Vom Mittelalter bis zum
Ende des Absolutismus
Herrschaft und
Kirche im
Mittelalter
Lehnswesen und
Grundherrschaft
Geschichtsbuch
(1986)
2A
Cornelsen
Das Mittelalter
und die Frühe
Neuzeit
1. Vom Leben
im Frankenreich
Geschichtsbuch
(1994)
2
Cornelsen
Das Mittelalter
und die Frühe
Neuzeit
Geschichtsbuch
(1994)
2B
Cornelsen
Das Mittelalter
und die Frühe
Neuzeit
Geschichte und
Geschehen (1987)
II
Geschichte und
Geschehen (1995)
Seiten*
12-16
(12-13)
Kap. vorher
Kap- nachher
Karl der Große - der allerchristlichste Kaiser
Welche Rolle Adel und 17-18
Kirche im Frankenreich
spielten
Welche Entwicklung das
Frankenreich nahm
Vom Weltbild der Menschen im
Mittelalter ((?))
1. Bauern und
Adlige im
Mittelalter
Adel und Lehnswesen
19-20
(19)
Leben und arbeiten auf
dem Land
Die Welt der Ritter und Edelfrauen
3. Bauern und
Adlige im
Mittelalter
Adel und Lehnswesen
19-20
(19)
Leben und arbeiten auf
dem Land
Die Welt der Ritter und Edelfrauen
Klett
Das Frankenreich
5. Vasallen und Lehens- 24-27
herren
4. Der Herrscher regiert
reisend das Reich
6. Bauern und Grundherren
2A
Klett
Wer herrscht,
wer wird beherrscht?
3. Rat und Tat für ein
Lehen
2. Nicht jeder König kann
Kaiser werden
4. Das Frankenreich - ein Großreich entsteht und zerfällt
Geschichte und
Geschehen (2004)
2
Klett
Wer herrscht
in Europa?
5. Der König vergibt
Lehen
Geschichte und
Geschehen (2006)
2
Klett
Herrschaft und
Konflikte im
mittelalterlichen Europa
2. Der König vergibt
Lehen
114-116
1. Wie lebt und regiert der 3. Otto der Große begründet das
König?
deutsche Kaisertum
Geschichte und
Geschehen (2012)
2
Klett
2 Herrschaft
im mittelalterlichen Europa
Wie lebt und regiert der
König?
64-66
(65-66)
Ein neuer Kaiser wird
gekrönt
Das deutsche Reich entsteht
Geschichte und
Geschehen (2014)
2
Klett
1 Herrschaft
im mittelalterlichen Europa
Wie lebt und regiert der 16-19
(18-19)
König?
Ein neuer Kaiser wird
gekrönt
Das deutsche Reich entsteht
42-45
54-55
4. Wie lebt und regiert der 6. In der Nachfolge der KarolinKönig?
ger: Die Ottonen
* Falls von den Seitenzahlen der Kapitel abweichend. stehen In Klammern die Seiten in denen das Lehnswesen explizit behandelt wird.
80
Eckert. Working Papers 2017/2
Karl der Große - "Vater
Europas"
Christoph Bramann
Band
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
urn:nbn:de:0220-2017-0228
Tab. 3: Die Schulbücher des Untersuchungsabschnitts III inklusive ihrer Einbindung des Lehnswesens
81
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
4.3.1 Konzeptionelle Gestaltung
Nach den beschriebenen Übergangstypen der 1960er und 1970er Jahre tritt uns ab den
1980er Jahren der klassische Schulbuchtyp des kombinierten Lern- und Arbeitsbuches
entgegen, der in seinen Grundzügen bereits im vorherigen Untersuchungsabschnitt vorgestellt worden ist
432
und der heute „eine unbestrittene Monopolposition“
433
in der
Schulbuchlandschaft einnimmt.
Während die beschriebenen Übergangsformen noch einen Kompromiss zwischen
erzählendem Leitfaden und – wenn auch meist nur illustrativem – Materialinserat dargestellt hatten, versuchte sich der neue Schulbuchtyp erneut des Problems des fließenden Übergangs von Darstellung und Quellenmaterial anzunehmen. Dies geschah jedoch
weniger aus einem neuen Reformgedanken gegen die klassische Leitfadenerzählung,
sondern eher „als Reaktion auf das reine Arbeitsbuch und die Verabsolutierung der
Quellenarbeit“
434
. So zeigt sich im kombinierten Lern- und Arbeitsbuch die geschichts435
didaktische Entwicklung in der Schulbuchkonzeption seit Fragen an die Geschichte.
Im Kern steht dabei die Frage, inwiefern „mit Hilfe des Materials eigenständige Erkenntnis in einem heuristischen Sinne möglich“ ist, oder ob dieses vorwiegend dem
Zweck dient, „die erzählende Darstellung zu bestätigen oder auszumalen“. Eine Lösung
436
für dieses Problem besteht bis heute letztlich nicht.
Auch wenn einige Schulbuchrei437
hen eine räumliche Trennung von Darstellungs- und Arbeitsteil vornehmen,
findet bei
438
allen Reihen weiterhin illustrative Bebilderungen der Darstellungsteile statt.
Bei aktuellen Schulbüchern handelt es sich um regelrechte „Multi-Media-Pakete“, in
denen verschiedene textliche und bildliche/grafische „Bausteine“ miteinander kombiniert werden.
439
Obwohl die Schulbuchreihen immer noch Unterschiede zueinander
aufweisen, manifestiert sich zunehmend ein einheitlicher Aufbau der Bücher, der sich
grob unterteilen lässt in die Bestandteile (1) Auftaktdoppelseite, (2) Verfassertext, (3)
432
Siehe 5.2.1.
Schönemann/Thünemann (2010), S. 77. Zu diesem Schulbuchtyp allgemein vgl. ebd., S. 69–77.
434
Vgl. ebd., S. 71f.; Zitat, S. 72.
435
Vgl. Becher (20074), S. 56.
436
Vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 70–76.
437
Beispiel hierfür ist Geschichtsbuch (1986, 1994, B 1994), hier werden innerhalb der verschiedenen
Auflagen sogar verschiedene Trennkonzepte ausprobiert.
433
438
439
Vgl. ausführlich Schönemann/Thünemann (2010), S. 81–98; Zitat ebd., S. 81.
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Eckert. Working Papers 2017/2
82
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Arbeitsteil, (4) Methodenteil (ab 1990er), (5) Kapitelzusammenfassungen, (6) Glossare
440
und Register.
Augenfälligste Eigenschaft des neuen Schulbuchtyps bleibt jedoch das bunte und
vielgestalterische Layout der Bücher, das geradezu den Eindruck erweckt „dass ihre
Verleger […] (fast) alles unternehmen, um dem Eindruck der Monotonie entgegenzuwirken“
441
. Die Folge ist ein durchaus ambivalenter Eindruck zwischen dem immer
noch vorhandenen Stereotyp vom finsteren Mittelalter und dessen „bunter bis greller“
442
Präsentation.
Dabei ist auch in den hier untersuchten Reihen eine klare Trennung zwischen der
Bebilderung zu Illustrationszwecken und ihrer eindeutigen Identifizierung als Arbeitsmaterial häufig nicht möglich. Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass Geschichte und
Geschehen seit Ende der 1980er Jahre die Abbildungen explizit als Arbeitsmaterial –
443
444
anfangs noch durch Nummern , später dann mit einem „Q“
– ausweist, da sich diese
Kennzeichnungen inhaltlich häufig nicht von den bereits seit den 1960er Jahren üblichen Bildunterschriften unterscheiden.
445
Allerdings lässt sich seit den 1990er Jahren
eine zunehmende Eigenständigkeit der Quellen feststellen, indem diese auch Aspekte
446
aufgreifen, die nicht im Verfassertext genannt werden.
Zudem unterscheiden sich die untersuchten Reihen teilweise erheblich hinsichtlich
der Anzahl der gezeigten Abbildungen im Lehnswesenkapitel. Cornelsens Geschichtsbuch verwendet dabei nur in seiner ersten Auflage einen wohl ausschließlich zur Illustration gedachten Ausschnitt aus einer Wandmalerei der St. Benedikt-Kirche von Mals
447
(Südtirol) aus dem 8./9. Jahrhundert, der einen Geistlichen zeigt.
Dabei ist Anzumer-
ken, dass sich ein anderer Ausschnitt derselben Wandmalerei, der einen Mann mit
440
Zum Schulbuchaufbau vgl. Sauer (20087), S. 260–262 sowie Schönemann/Thünemann (2010), S. 81–
98. Siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 4.
441
Schönemann/Thünemann (2010), S. 95.
442
Vgl. Clauss/Seidenfuß (2007a), S. 10 sowie (2007b), S. 353. Zur Präsentation vgl. auch Becher
(20074), S. 61. Frühe Beispiele mit einladenden Auftaktdoppelseiten wären Geschichte und Geschehen (1987) und Geschichtsbuch (1986).
443
Geschichte und Geschehen (1987, 1995).
444
Ebd. (2004, 2006, 2012, 2014).
445
Die anderen beiden Reihen bleiben hingegen beim Typ der gewöhnlichen Bildunterschrift, Geschichtsbuch (1987, 1994, B 1994), Anno (1995).
446
Geschichte und Geschehen (1995, 2004, 2006, 2012, 2014).
447
Geschichtsbuch (1986), Bildunterschrift „Ein fränkischer Bischof“.
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Eckert. Working Papers 2017/2
83
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Schwert zeigt, auch in den ersten zwei Auflagen von Geschichte und Geschehen wie448
derfindet, dort allerdings durch eine Markierung als Quelle gekennzeichnet.
Eine ganz neue Art der illustrativen Bebilderung haben sich die Autor/innen der
Reihe Anno ausgedacht. Auf einer ganzen Seite ist hier ein großes, aus einzelnen Personendarstellungen pyramidenförmig zusammengesetztes und aus drei Stufen bestehendes
Schema zu sehen, das nicht als Lehnspyramide bezeichnet wird, sondern den Titel „Das
Lehnswesen (nach Bildern des 9. Jh.)“ trägt.
449
Die verschiedenen Nachzeichnungen
gehen dabei ganz offensichtlich auf historische Vorbilder zurück, ohne dass ihre Herkunft genauer angegeben würde. Die Spitze bildet beispielswiese die Nachzeichnung
eines Bildnisses Karls II. auf dem Thron aus dem sogenannten Codex Aureus von St.
Emmeram, wobei Karls Hand, die im Original in Richtung einer Darstellung des Lamm
Gottes auf der gegenüberliegenden Buchseite weist, hier den Eindruck eines „royalen
Winkens“ erweckt. Auch eine Nachzeichnung des beschriebenen fränkischen Kriegers
450
aus der Südtiroler Wandmalerei
findet sich im Schema wieder. Abgesehen von dieser
finden sich „normale“ dreistufige Lehnspyramiden auch in den anderen beiden Reihen,
hier jedoch nicht in allen Auflagen.
451
Text- und Bildquellen zum Lehnswesen bietet nur Geschichte und Geschehen.
452
Seit ihrer ersten Auflage 1987 wurden in der Reihe insgesamt fünf verschiedene Textquellen und sechs verschiedene Bildquellen zum Lehnswesen verwendet. Nur einer der
Texte, wird dabei von mehreren Auflagen verwendet und findet sich auch noch in der
aktuellen Ausgabe – bemerkenswerterweise handelt es sich dabei um die erste im ge453
samten Untersuchungskorpus vorkommende Textquelle.
Die übrigen vier Textquellen
448
Geschichte und Geschehen (1987, 1995). Die erste Auflage benutzt die Abbildung dabei tatsächlich als
Quelle, indem sie in der Bildunterschrift ergänzt, dass das Wandbild „eines der wenigen zeitgenössischen Zeugnisse“ dafür darstelle, „wie die fränkische Oberschicht auftrat“. Bei der zweiten Auflage
entfällt dieser Zusatz jedoch, was wieder eine rein illustrative Funktion der Abbildung bewirkt.
449
Anno (1995).
450
Wie in Geschichte und Geschehen (1987 u.1995) abgebildet.
451
Geschichtsbuch (1994, B 1994), Geschichte und Geschehen (1987).
452
Zwar zeigt auch Anno (1995) die Nachzeichnung der Darstellung eines Handgangs aus dem Sachsenspiegel, diese als „Quelle“ gelten zu lassen erscheint jedoch aufgrund ihres zeichnerischen Charakters
und zudem ohne Textbezug problematisch.
453
Geschichte und Geschehen (1987, 1995, 2006, 2012, 2014). Es handelt sich um übersetzte Ausschnitte
eines Briefs Karls des Großen an einen Abt Fulrad. 1987 noch mit der Quellenangabe „Einberufung
des Abtes Fulrad, nach 804“ ist ab der Auflage von 1995 die Quellensammlung Lautemann (1970), S.
76f. als Quellennachweis angegeben. In einer sehr freien und sprachlich geglätteten Übersetzung findet sich bereits in der ersten Auflage von Geschichtl. Unterrichtswerk (1951). Siehe auch die Ausführungen in Anm. 311.
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Eckert. Working Papers 2017/2
84
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
verteilen sich auf drei verschiedene Ausgaben.
454
Bei den verwendeten Bildquellen hin-
gegen sticht ein fast ganzseitiger Abdruck der Bildspalte aus der Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels hervor, der inklusive mehrerer Erläuterungen und Fra455
gestellungen seit der Auflage von 1995 bis heute in den Büchern abgedruckt ist.
Von den anderen von verschiedenen Auflagen verwendeten Abbildungen zeigen drei
456
verschiedene Buchmalereien zum Handgang,
schen Panzerreiters“,
457
zwei eine Buchmalerei eines „Fränki-
und eine weitere eine Buchmalerei, die von den Autor/innen
wohl zur Illustration eines Handgangs ausgewählt worden sein dürfte, wahrscheinlicher
458
jedoch die Geste der „Handreichung“ zeigt.
454
(1) Geschichte und Geschehen (1987): Mehrere Zusammenhängende Ausschnitte aus den „Fränkischen Reichannalen“, die in verschiedenen Schritten den Fall Tassilos III. von seiner Unterwerfung
unter Pippin bis zu seiner Todesstrafe durch Karl dem Großen erzählen; Quellenangabe: „Jahrbücher
des fränkischen Reichs, zu den Jahren zu den Jahren 748, 757, 763, 781, 788, Leipzig 1888“. Der erste Teil der Ausschnitte findet sich in einer anderen Übersetzung auch in Fragen an die Geschichte
(1975, 1981), siehe Kap. 4.2.1, v.a. die Ausführungen in Anm. 389. Zur fachwissenschaftlichen Bewertung siehe Anm. 80. (2) Geschichte und Geschehen (1995): (a) Eine Regelung Königs Albrecht I.
zur Frage der Erblichkeit eines Lehen durch die Tochter; Quellenangabe: „Reichsweistum über die
weibliche Erbfolge vom 20.02.1299, zit. n.: P. Ketsch, Die Frauen im Mittelalter. 2. Aufl., Bd. 2, 1984,
S. 370“; (b) Zwei sehr kurze Textausschnitte, die einen Versuch des westfränkischen König Ludwigs
VI. beschrieben sollen, „eine verliehene Burg wieder zurück zu bekommen, indem er seinen Sohn mit
der Tochter des Burgherren verheiratete“; Quellenangabe: „Zit. nach: Europäisches Geschichtsbuch,
Stuttgart 1992, S. 155“. (3) Geschichte und Geschehen (2006): Eine tabellarische Kostenaufstellung
für die „Rüstung eines Panzerreiters“; Quellenangabe: „Nach einer Urkunde zur Zeit Karls des Großen, aus W. Tarnowski, Ritter, Nürnberg 1990, S. 9“.
455
Geschichte und Geschehen (1995, 2004, 2006, 2012, 2014). Dass es sich dabei um die Wolfenbütteler
Bilderhandschrift handelt lässt sich anhand der Figuren erkennen. Das Manuskript ist online einsehbar
unter http://www.sachsenspiegel-online.de/cms/ [letzter Zugriff: 18.05.2015]. Siehe auch die allgemeinen Ausführungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels in Kap. 4.2.1.
456
(1) Geschichte und Geschehen (1987): Ein Bildausschnitt aus dem Wolfenbütteler Sachsenspiegel mit
der Bildunterschrift: „Handgang zwischen König und Vasall. Das Bild stammt aus wesentlich späterer
Zeit (14. Jh.)“; eine Quellenangabe erfolgt nicht. (2) Geschichte und Geschehen (1995): Ein Ausschnitt aus einer Buchmalerei aus Frankreich aus dem 13. Jhdt.; ohne weitere Quellenangabe. (3) Geschichte und Geschehen (2004, 2006): Ein Ausschnitt aus einer Buchmalerei aus dem 13. Jahrhundert;
ohne weitere Quellenangaben. Ein etwas größerer Ausschnitt derselben Darstellung ziert auch das
Buchcover von Reynolds (1994).
457
Geschichte und Geschehen (2004, 2006): Die Bildunterschrift lautet „Buchmalerei, 9. Jahrhundert“,
eine Quellenangabe wird nicht genannt. Der künstlerische Stil ist jedoch sehr prägnant und kann daher
dem Stuttgarter Bilderpsalter zugeordnet werden, der online einsehbar ist unter: http://digital.wlbstuttgart.de/sammlungen/sammlungsliste/werksansicht/?no_cache=1&tx_dlf[id]=1343&tx_dlf[page]=1
[letzter Zugriff 18.05.2015).
458
Geschichte und Geschehen (1995): Die Abbildung trägt die Bildunterschrift „Graf Raymond Bérengar
d.Ä. (1115–1162) mit Gemahlin und Vasallen. Er ließ in Europa das erste Gesetzbuch zum Lehnswesen abfassen“. Zur Identifizierung der dargestellten Geste als Handreichung vgl. die bis heute grundlegende Untersuchung des Rechtshistorikers AMIRA (1905), S. 239f.
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Eckert. Working Papers 2017/2
85
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Im Gegensatz zum vorherigen Untersuchungsabschnitt sind zumindest ab 1995 alle
459
Textquellen mit Quellenangaben versehen,
die jedoch in den meisten Fällen nicht auf
die Quellenedition verweisen, sondern lediglich die Sekundärliteratur nennen aus der
der Text stammt. Anders verhält es sich bei den Bildquellen, für die nicht einmal zu den
großen ganzseitigen Sachsenspiegelbilderhandschriften Angaben zu Ausgabe oder Foliant gemacht werden. Da aufgrund des Darstellungsstils offensichtlich ist, dass es sich
um die Wolfenbütteler-Handschrift aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts handelt, ist
hier die Jahresangabe, die sich mit dem 13. Jahrhundert anscheinend an der ersten
Textfassung des Sachsenspiegels orientiert, hinsichtlich der gezeigten Bilderhandschrift
460
nicht einwandfrei angegeben.
4.3.2 Strukturelle Einbindung
461
Obwohl für diesen Untersuchungsabschnitt theoretisch sieben verschiedene Lehrpläne
relevant sind, lassen sich aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeiten der Vorgaben hinsichtlich des Lehnswesens ab 1995 die Bücher vor allem zwei Lehrplan-„Bereichen“
zuordnen: Den Rahmenrichtlinien von 1982, die das Lehnswesen explizit in einem
462
frühmittelalterlichen Zusammenhang verorten,
und den Lehrplänen ab 1995, die zwar
eine strukturgeschichtliche Einordnung vorsehen, jedoch inhaltliche Bezüge zum Fran463
kenreich herstellen.
Im Gegensatz zu den bisherigen Untersuchungsabschnitten fällt auf, dass die Schulbücher dieses Abschnittes weitgehend den Vorgaben aus dem Ministerium folgen. Zwar
macht sich die vom Lehrplan 1982 vorgenommene Verschiebung des Lehnswesens auf
die Behandlung in den Jahrgangsstufen 9/10
merkbar,
465
464
in keinem der relevanten Bücher be-
jedoch verorten beide Erstauflagen das Lehnswesen klar im Franken-
459
Eine Ausnahme stellt das Buch Geschichte und Geschehen (1987) dar, in dem der Brief Karls des
Großen an seinen Abt Fulrad nicht belegt wird.
460
Geschichte und Geschehen (1995, 2004, 2006, 2012, 2014). Zur Datierung vgl. Werner (1989), S. 73f.
Siehe auch die Informationen auf der unter anderem von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
und der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel betreuten Website http://www.sachsenspiegelonline.de/export/ssp/ssp.html [letzter Zugriff: 19.05.2015].
461
Siehe zu diesem Kapitel auch die Ergebnisse in Tab. 3, S. 61.
462
Siehe Kap. 3.2.4.
463
Siehe die Kap. 3.2.5 und 3.2.6.
464
Siehe die Ausführungen in Kap. 3.2.4.
465
Geschichte und Geschehen (1987), Geschichtsbuch (1986, 1994, B 1994)
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
reich.
466
Die beiden kurz vor dem Erscheinen der neuen Lehrpläne 1994 parallel er-
schienenen Neuauflagen des Geschichtsbuchs scheinen sich ihrem konsequent struktur467
geschichtlichen Aufbau nach bereits an den neuen Vorgaben zu orientieren.
Auch für die Schulbücher des zweiten Zeitabschnitts ab 1995 zeigt sich deutlich,
dass diese der curricularen Struktur der Lehrpläne in weiten Teilen folgen, was sich
konkret in einer Mischung aus verlaufs- und strukturgeschichtlichen Ansätzen bei der
Präsentation der Inhalte äußert.
468
4.3.3 Inhaltliche Darstellung
Wie im zweiten Untersuchungszeitraum lassen sich auch hier keine einheitlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen in den Darstellungen feststellen. Während in zwei Reihen
469
nur die Lehnserblichkeit thematisiert wird,
führt Geschichte und Geschehen ab 1995
alle Entwicklungsschritte erstmals auch inklusive der Mehrfachvasallität auf.
470
Die
vermeintlich negativen Auswirkungen dieser Entwicklungen in Bezug auf eine „deutsche Zentralstaatlichkeit“ werden nicht mehr dargestellt. Erstmals im Untersuchungskorpus wird in einer der Auflagen auch die Erblichkeit von Lehen durch Frauen – sogar
inklusive einer Textquelle – behandelt.
471
Dennoch liegt diesmal allen Texten unabhängig von ihrer thematischen Einbindung
in die Buchstruktur das Narrativ eines in fränkischer Zeit entstandenen Lehnswesens
zugrunde. Bezüge dazu finden sich auch über die Auswahl der Abbildungen und Arbeitsmaterialien.
472
Jedoch werden vor allem über die Verwendung von Abbildungen
aus den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels
473
474
oder anderen Darstellungen
häu-
fig Bezüge zum 13./14. Jahrhundert hergestellt. Inhaltliche Verweise zum Hochmittelal-
466
Geschichte und Geschehen (1987), Geschichtsbuch (1986).
Geschichtsbuch (1994, B 1994).
468
Vgl. ähnliche Befunde bei Clauss (2007), S. 26f. oder Bühler (2011), S. 246.
469
Anno (1995); Geschichtsbuch (1994, B 1994). Im Geschichtsbuch (1986) wird nicht einmal die Erblichkeit von Lehen thematisiert.
470
Geschichte und Geschehen (1995, 2004, 2006, 2012, 2014). Ebd. (1987) thematisiert hingegen nur die
Erblichkeit.
471
Geschichte und Geschehen (1995). Siehe auch die Ausführungen in Anm. 448.
472
Anno (1995), Geschichtsbuch (1986, 1994), Geschichte und Geschehen (1987, 1995, 2004, 2006,
2012, 2014).
473
Anno (1995), Geschichte und Geschehen (1987, 1995, 2004, 2006, 2012, 2014).
474
Geschichte und Geschehen (1987, 1995, 2004, 2006).
467
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87
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
475
ter finden sich hingegen nur in einer Ausgabe.
Bemerkenswerterweise verweist eine
Reihe bei der Abbildung des Handgangs aus dem Sachsenspiegel explizit darauf, dass
das Bild „aus wesentlich späterer Zeit (14. Jhdt.)“ stamme und zeigt damit als einziges
untersuchtes Werk ein Bewusstsein für die Problematik der zeitlichen Diskrepanz von
476
Verfassertext und Bebilderung.
477
Obwohl sich ab 1995 in keiner der Reihen ein Bezug zum Leihezwang findet,
zeigen sich in diesem Untersuchungsabschnitt andere Darstellungen, die vor fachwissenschaftlichem Hintergrund problematisch erscheinen. So wird beispielsweise in der
ersten Auflage der Reihe Geschichtsbuch das Lehnswesen als System erklärt, mit dem
der König nur die weltlichen Großen an sich band.
Stützen seiner Herrschaft“
479
478
Geistliche als „die wichtigsten
, werden explizit davon ausgenommen. Diese mit dem
Lehnswesenbild des nur wenige Jahre vorher in die sechste Auflage gegangenen Ganshof-Klassikers nur schwer vereinbare Darstellung, wurde dann in der zweiten Auflage
durch eine Lehnspyramide, die unter den „Kronvasallen“
480
auch Bischöfe und Äbte
aufführt, wieder entschärft.
Zum ersten Mal muss in diesem Untersuchungsabschnitt – zumindest für einen Teil
der Auflagen – die Verwendung dieses Pyramiden-Schemas allerdings als problematisch gelten, denn im Jahr 1992 hatte der Mediävist Hartmut Boockmann in einem vielbeachteten Aufsatz die Lehnspyramide als „Topos in den Mittelalter-Darstellungen der
Schulbücher“
481
bezeichnet. Obwohl das Schaubild auf die Heerschildordnung des
Sachsenspiegels zurückgehe, die „nur“ regelte, wer von wem Lehen empfangen durfte,
482
präsentiere sich dieses in den Schulbüchern hingegen als Darstellung einer ge483
samtmittelalterlichen Verfassungs- und Sozialordnung.
Da damit zusätzlich versucht
475
Geschichte und Geschehen (1995).
Geschichte und Geschehen (1987).
477
Das scheint jedoch auch damit zusammenzuhängen, dass im dritten Untersuchungsabschnitt keine
Reihe aus dem Diesterweg Verlag, in denen der „Leihezwang“ immer behandelt wurde, mehr untersucht wurde. Auch bei der Diesterweg-Reihe Unsere Geschichte, Bd. 1: Von der Steinzeit bis zum
Ende des Mittelalters, hrsg. v. Wolfgang Hug, Diesterweg: Frankfurt 1984, wurde dieser Bezug zum
Leihezwang noch festgestellt, vgl. Clauss (2007), S. 34f.
478
Geschichtsbuch (1986).
479
Ganshof (19836), vgl. ebd. u. a. S. 53f.
480
Geschichtsbuch (1994 u. B 1994).
481
Vgl. den Titel von Boockmann (1992).
482
Vgl. Boockmann (1992), S. 362f. (Zitat ebd., S. 362) sowie Patzold (2012), S. 107f.
483
Vgl. Boockmann (1992), S. 363. In Grundzüge der Geschichte (1964) heißt es sogar wörtlich „Diesen
Aufbau der Gesellschaft können wir als Lehnspyramide darstellen“.
476
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Eckert. Working Papers 2017/2
88
Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
werde, Schemata neuzeitlicher Staats- und Regierungssysteme auf die vielgestaltigen
mittelalterlichen Verhältnisse zu übertragen, sei seine Verwendung in den Büchern anachronistisch.
484
Vor diesem Hintergrund macht Boockmann zwar einige andere Vor-
schläge, wie mittelalterliche Herrschaft grafisch gestaltet werden könnte,
485
plädiert
jedoch letztlich für die Abschaffung eines solchen Schemas für das Mittelalter, indem er
die Frage aufwirft, „ob der traditionelle Abbildungs-Zwang, dem sich Autor/innen und
Verlage von Schulbüchern unterwerfen, nicht gelegentlich dazu führt, daß Diagramme
486
auch dort geboten werden, wo man sich besser auf Worte beschränkte“
. Vor diesem
Hintergrund lässt sich beobachten, dass die Reihe Geschichte und Geschehen ab der
487
1995er Auflage tatsächlich keine Lehnspyramide mehr zeigt,
obwohl es so aussieht
als ob die Reihe erst für ihre erste Auflage 1987 eine „neue“ Pyramide entworfen hat488
te.
Bei den anderen beiden Reihen erfreuen sich Lehnspyramiden jedoch weiterhin
großer Beliebtheit. Während bei Cornelsens Geschichtsbuch die erste Auflage von 1986
489
noch keine Pyramide enthält,
kommt diese sogar erst nach ihrer „Problematisierung“
490
durch die Fachwissenschaft 1994 hinzu.
491
Auch Annos Bildchenpyramide
erscheint
erst drei Jahre nach Boockmanns Aufsatz.
Doch wie verhält es sich schließlich mit der Rezeption der fachwissenschaftlichen
Neubewertungen seit Mitte der 1990er Jahre? Geht man davon aus, dass gerade in modernen Schulbüchern die Rezeption fachwissenschaftlicher Forschungsergebnisse nicht
nur unkommentiert in Verfassertexten, sondern auch über die Auswahl von Arbeitsma492
terialien stattfinden kann,
könnten sich Anhaltspunkte hierfür immerhin in noch vier
493
untersuchten Auflagen der Reihe Geschichte und Geschehen
ab dem Jahr 2004 finden
lassen. Eine Rezeption der Fachdiskussion findet allerdings nicht statt, was sich sowohl
am Narrativ der Verfassertexte als auch an der Auswahl der Quellen zeigt. Obwohl im
484
Vgl. Boockmann (1992), S. 370f.
Vgl. ebd., S. 369–371.
486
Ebd.‚ S. 372.
487
Geschichte und Geschehen (1995, 2004, 2006, 2012, 2014).
488
Ebd. (1987). Die Annahme einer Neuentwicklung der Pyramide beruht auf der Beobachtung, dass die
bereits in den Klett-Reihen Geschichtliches Unterrichtswerk (1966) und Menschen in ihrer Zeit (1968
u. 1976) verwendete Pyramide nicht mehr verwendet wurde.
489
Geschichtsbuch (1986).
490
Geschichtsbuch (1994 u. B 1994).
491
Anno (1995). Siehe die Ausführungen in Kap. 4.3.1.
492
Vgl. ähnlich auch Clauss (2007), S. 24f.
493
Geschichte und Geschehen (2004, 2006, 2012, 2014).
485
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Zuge der Neuauflage die Texte der 1995er Auflage – bis auf einen Absatz zur Lehnserblichkeit – weitgehend neu verfasst worden waren, und somit eine Rezeption durchaus
möglich gewesen wäre, kamen sogar Darstellungen der älteren Forschungsansätze neu
hinzu. Bestes Beispiel hierfür ist der Satz „Zu Beginn des 9. Jahrhunderts hatte der König etwa 2000–4000 Kronvasallen, die […] wiederum 30–40000 Untervasallen hatten“,
der sich erst ab 2004 in der Reihe wiederfindet und der ganz offensichtlich direkt auf
494
Zahlen der älteren Forschung rekurriert.
Auch die Auswahl, oder besser gesagt die Beibehaltung der Textquelle bestätigt die
Nicht-Berücksichtigung der neuen Forschungsansätze. In dem bereits seit den frühen
495
1950er Jahren in Schulbüchern zu findenden
496
rad des Klosters Altaich
497
ausgerüsteten Leuten
Brief Karls des Großen an den Abt Ful-
wird Fulrad befohlen sich mit seinen gut bewaffneten und
nach Staßfurt (im heutigen Sachen-Anhalt) zu begeben. Obwohl
der Brief an sich keine Informationen über Vasallen oder Lehen – nicht einmal zu beneficia – enthält, bekommt er in den Schulbüchern eine klare lehnsrechtliche Interpretation. Dies geschieht nicht einmal durch eine unvorsichtige Übersetzung von homines
mit „Vasallen“
lenheer ein“
499
498
, sondern direkt über die Überschrift „Karl der Große ruft das Vasal-
, oder entsprechende Arbeitsaufträge
500
. Die lehnsrechtliche Auslegung
der Quelle ist sogar zusätzlich problematisch, da nach den jüngeren Forschungsansätzen
501
der Eintritt Geistlicher in die Vasallität generell nicht nachgewiesen werden kann.
Ein kurzer Blick in die anderen aktuell in Hessen zugelassenen Geschichtsbücher für
die gymnasiale Mittelstufe
502
zeigt, dass Geschichte und Geschehen bei der Nicht-
494
Vgl. u. a. Kienast (1990), S. 208 sowie zusammenfasend Patzold (2012), S. 24f. Siehe dazu auch die
Ausführungen in Kap. 3.1.1, v.a. in Anmerkung 81.
495
Siehe hierzu weiter unten die Ausführungen in Kap. 4.3.4.
496
Karoli ad Fulradum Abbatem epistola, in: MGH, Capitularia regum Francorum I, Hannover 1883, S.
168.
497
cum hominibus tuis bene armatis ac preparatis […], ebd.
498
Die homines des Abtes werden als „Leute“ übersetzt. Vgl. die Quellensammlung aus der der Textausschnitt stammt: Lautemann (1970), S. 76f.
499
Geschichte und Geschehen (2006).
500
Geschichte und Geschehen (2012, 2014): „Erläutere das Verhältnis zwischen Abt Fulrad und Kaiser
Karl. Ziehe dazu auch die Informationen über das Lehnswesen heran“.
501
Vgl. knapp Patzold (2012), S. 37f.; Bereits Walter Kienast bemerkte dazu, dass hohe Geistliche in den
Quellen nie als Vasallen bezeichnet werden, vgl. Kienast (1990), S. 557.
502
Im Einzelnen sind dies: Das waren Zeiten – Neue Ausgabe Hessen (G9), Bd. 2: Mittelalter und Neuzeit, hrsg. v. Dieter Brückner und Harald Focke, Bamberg: C.C. Buchner 2014; denk|mal Geschichte –
Hessen (G9 u. Realschule), Bd. 2, Braunschweig: Schroedel (Bildungshaus Schulbuchverlage) 2011;
Forum Geschichte – Ausgabe Hessen (G8), Bd. 2: Vom Römischen Reich bis zur Reformation, hrsg.
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Eckert. Working Papers 2017/2
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Rezeption der neuen Forschungen keine Ausnahme darstellt, denn auch die meisten
503
anderen Reihen nehmen entweder über den Verfassertext
lenmaterials
504
oder die Auswahl des Quel-
einen direkten Bezug auf das Frühmittelalter. Ausnahmen stellen die
Reihen Mosaik aus dem zu Cornelsen gehörenden Oldenbourg Schulbuchverlag und
Horizonte der Westermann-Gruppe dar, die zwar sowohl im Text als auch über die
Auswahl der Text- und Bildquellen keine direkten Bezüge zur Zeit vor dem 12. Jahr505
hundert herstellen, die neuen Forschungsansätze jedoch trotzdem nicht rezipieren.
4.3.4 Verlags- und Reihenspezifika
Bedingt durch die weitgehende Konformität der Reihen zu den Lehrplänen, lassen sich
Annäherungen der Reihen untereinander nicht ausmachen.
506
Auch Ähnlichkeiten der
Lehnswesen-Darstellungen zwischen den Reihen lassen sich nicht feststellen. Durch die
verschiedenen Schwerpunktsetzungen in den Erzählungen unterschieden sich die Dar507
stellungen sogar individuell stark voneinander.
Während bei der Reihe Geschichts-
buch nur die Übernahme einzelner Sätze und nicht einmal des Bildmaterials, festgestellt
508
werden kann,
lassen sich bei Geschichte und Geschehen sowohl verschiedene Neu-
entwürfe als auch Konstanten in der Darstellung ausmachen. Wurden in der Ausgabe
des Jahres 1995 noch sowohl der Verfassertext als auch das Quellenmaterial hinsichtlich der Erstauflage 1987 komplett überarbeitet, stammt das in den aktuellen Auflagen
verwendete Quellenmaterial komplett aus der Ausgabe des Jahres 1995.
509
Auch die
v. Hans-Otto Regenhardt und Claudia Tatsch, Berlin: Cornelsen 2007; Horizonte 7 – Geschichte
Gymnasium Hessen (G8/9), Braunschweig: Westermann (Bildungshaus Schulbuchverlage) 2006; Mosaik. Der Geschichte auf der Spur – Ausg. F2 Hessen (G8/9), Bd. 2: Von der Römischen Antike bis
zum Zeitalter der Glaubenskriege, hrsg. v. u. a. Herwig Buntz, Joachim Cornelissen, München:
Oldenbourg 2012.
503
Forum Geschichte (2007), S. 84;
504
Hauptquelle ist auch hier der Brief Karls des Großen an Fulrad. denk|mal Geschichte (2011), S. 20;
Das waren Zeiten (2014), S, 59.
505
Mosaik (2012), S. 136f.; Horizonte (2006), S. 130f. Die in diesem Absatz unter der Einbeziehung aller
in Hessen zugelassener Schulbücher erzielten Analyseergebnisse besitzen dabei durchaus große Aussagekraft, vgl. zu dieser Art der Querschnittserhebung Biener (2014), S. 64.
506
Siehe die Ergebnisse in Kap. 4.3.2.
507
Siehe auch Kap. 4.3.3.
508
Obwohl zwischen der ersten und zweiten/letzten Auflage gerade einmal 8 Jahre liegen, Geschichtsbuch (1987, 1994, B 1994).
509
Geschichte und Geschehen (1995, 2012, 2014).
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
aktuell verwendeten Texte stellen nur verkürzte Versionen von bereits 2004 verwende510
ten Darstellungen dar.
Am auffälligsten ist jedoch, dass sich Klett mit dem Brief Karls des Großen an Abt
511
Fulrad von den 1950er Jahren bis heute konstant der gleichen Textquelle bedient,
512
zudem mittlerweile auch von anderen Schulbuchreihen übernommen wurde.
513
schen in ihrer Zeit
die
In Men-
wurde diese zwar nicht verwendet, dafür findet sie sich in der pa514
rallel erschienenen Klett-Reihe Erinnern und Urteilen,
aus der sie wiederum inklusi515
ve der neuen Übersetzung für die erste Auflage von Geschichte und Geschehen
über-
nommen worden war.
4.4 Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Welche Antworten ergeben sich aus der zurückliegenden Untersuchung der Schulbücher hinsichtlich des Eingangs formulierten Fragenkatalogs? Die folgende zusammenfassende Darstellung und Bewertung der erzielten Ergebnisse unterteilt sich dazu in
Aussagen hinsichtlich des untersuchten Einflusses der Lehrpläne einerseits, sowie der
Art und Weise der Umsetzung des mediävistischen Forschungsbildes andererseits. Vor
allem für die Ergebnisse des ersten Teils ist dabei zu berücksichtigen, dass der Themenkomplex zum Lehnswesen in den verschiedenen Schulbuchreihen nicht immer gleichermaßen von den administrativen Änderungen hinsichtlich der allgemeinen Ausrichtung
des Geschichtsunterrichts betroffen war, sodass sich Auswirkungen zwar nicht immer in
den untersuchten Abschnitten, jedoch durchaus in angrenzenden Themen feststellen
ließen, worin sich einmal mehr die Exemplarität solcher Untersuchungen zeigt.
4.4.1 Schulbuchdarstellungen zum Lehnswesen im Spiegel der Lehrpläne
Besonders anhand des konzeptionellen Aufbaus der Lehnswesenkapitel konnte die seit
den 1960er Jahren einsetzende Entwicklung von einem beschreibenden hin zu einem
entdeckenden Geschichtsunterricht mit der vermehrten Einbeziehung von visuellen und
510
Ebd. (2004, 2006, 2012, 2014).
Geschichtl. Unterrichtswerk (1951, 1954, 1955, 1966)
512
denk|mal Geschichte (2011), S. 20; Das waren Zeiten (2014), S, 59. Siehe auch die Ausführungen in
Kap. 4.3.3.
513
Menschen in ihrer Zeit (1968, 1976).
514
Erinnern und Urteilen (1977), S. 31.
515
Geschichte und Geschehen (1987).
511
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
textlichen Arbeitsmaterialien nachvollzogen werden. Bis zum Ende der 1950er Jahre
ließ sich zudem der Wechsel von einem erzählerischen Leitfadenstil, hin zu einem sachlicheren Sprachstil beobachten. In diesem Zug wurde in den 1960er Jahren auch die
spärliche illustrative Bebilderung der Bücher vermehrt durch historische Abbildungen –
allerdings keine zum Lehnswesen – abgelöst und durch Schaubilder bzw. Lehnspyramiden, ergänzt.
516
Ebenfalls ließen sich die ersten klar vom Verfassertext unterscheidbaren
Textquellen in Form von ausschnitthaften Übersetzungen zur Illustration des selbigen
517
feststellen.
Nach der auch von den neuen Rahmenrichtlinien ausgehenden Fokussierung auf die
Quellenarbeit, konnte ab der Mitte der 1970er Jahre eine deutliche Zunahme der Textquellen aufgezeigt werden, für die zwar vereinzelte Quellenbelege beigefügt wurden,
bei denen es sich jedoch bis auf eine Ausnahme um Sekundärliteratur handelt. Auch ein
wissenschaftlicher Textauszug aus einem zeitgenössischen Handbuch befand sich in
einer der untersuchten Reihen. Zusätzlich zu den Lehnspyramiden fanden in den 1970er
Jahren auch die ersten Bildquellen in Form von Ausschnitten aus den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels Einzug in die Darstellungen. Im Gegensatz zu den Textquellen
518
konnten für diese jedoch in keinem Fall Quellenangaben nachgewiesen werden.
In Erscheinungsbild und Umgang mit dem Quellenmaterial bestätigt sich damit die
Annahme, der Schulbuchtyp der 1960er/1970er Jahre stelle eine Vor- oder Zwischen519
stufe zu modernen Lern- und Arbeitsbüchern dar.
Das seit der vermehrten Aufnahme
von Arbeitsmaterialien in den 1960er Jahren bestehende Problem ihrer rein illustrativen
Verwendung besteht dabei in Ansätzen bis heute. Diesem Umstand wurde in den 1970er
520
Jahren durch die Entwicklung eines reinen Arbeitsbuches
ohne Verfassertext versucht
521
entgegenzutreten, ohne dass sich dieser Schulbuchtyp jedoch durchsetzen konnte.
522
den modernen kombinierten Lern- und Arbeitsbüchern
In
seit den 1990er Jahren werden
Verfassertext und Material weiterhin parallel verwendet. Seit den 1980er Jahren konn516
Obwohl sich die erste Pyramide bereits in Kletts Geschichtl. Unterrichtswerk (1955) wiederfindet.
(Eine Version dieser Pyramide findet sich auch online unter
http://www.wmelchior.com/mediaevistik/einfuehrung.html [letzter Zugriff: 29.11.2017]).
517
Zu diesem Absatz siehe Kap. 4.1.1. Auch hier bildet Geschichtl. Unterrichtswerk (1951) mit der frühen Verwendung einer Textquelle eine Ausnahme.
518
Zu diesem Absatz siehe Kap. 4.2.1.
519
Vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 71.
520
In unserem Korpus die Reihe Fragen an die Geschichte (1974, 1980).
521
Siehe Kap. 4.2.1.
522
Vgl. Schönemann/Thünemann (2010), S. 49f.
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
ten zudem verschiedene Versuche festgestellt werden, der Eigenständigkeit des Materials durch eine räumliche oder inhaltliche Trennung vom Verfassertext gerecht zu werden. Dabei finden sich vor allem bei den Nachweisen für die verwendeten Materialien
Ungenauigkeiten. Während für sämtliche Textquellen Quellennachweise – wenn auch
weiterhin mehrheitlich in Form von Sekundärliteraturangaben – belegt werden konnten,
ließen sich für Bildquellen zum Lehnswesen – die zudem ausschließliche Buchmalereien darstellen – keine Angaben finden, die eine Nachverfolgung der gezeigten Aus523
schnitte ermöglichen.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft dabei die Art der Präsentation. Auch vonseiten der
fachdidaktischen Forschung besteht die Kritik, dass zu starke Textkürzungen oder Bildbeschneidungen, ebenso wie die vor allem in älteren Büchern noch zu findenden glatten
Übersetzungen der lateinischen Originale, die Quellen ihrer historischen Authentizität
524
und Alterität berauben.
In diesem Sinne lässt sich bei den Materialien zum Lehnswe-
sen zwar die Überarbeitung einer Quellenübersetzung aus den 1950er Jahren feststel525
len,
aber auch das Abdrucken kleinster „Quellenschnipsel“, die häufig nicht mehr als
526
einen Satz umfassen.
Auch bei der durchaus positiv zu bewertenden Darstellung eines
großen mehrspaltigen Ausschnittes einer Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, verliert
die Quelle durch das komplette Ausblenden der Textspalte viel von ihrem historischen
527
Erscheinungsbild.
Für die seit den 1990er Jahren festgestellten zahlreichen bildlichen Darstellungen
stellt sich weiterhin die Frage nach ihrer rein illustrativen Funktion, da für die meisten
Abbildungen nicht nur fehlende Informationen, sondern auch keine Arbeitsaufträge
nachgewiesen werden konnten. Der meistens darstellte Handgang oder die in zwei Büchern zu findende Darstellung eines „Panzerreiters“ bieten dabei kaum Mehrwert zur
528
Erschließung des Lehnswesens.
Auch wenn „eine angemessene Bildinterpretation ist
523
Zu diesem Absatz siehe Kap. 4.3.1.
Vgl. auch Schönemann/Thünemann (2010), S. 88. Ein Beispiel wäre die ab den 1980er geänderte
Übersetzung eines Briefes Karls des Großen an einen Abt Fulrad, die sich in einer sehr freien Übersetzung bereits seit den 1950er Jahren in einem Schulbuch befand.
525
Geschichtliches Unterrichtswerk (1966) u. Geschichte und Geschehen (1987). Ein Beispiel ist die ab
den 1980er geänderte Übersetzung eines Briefes Karls des Großen an einen Abt Fulrad, die in einer
sehr freien Übersetzung bereits seit den 1950er Jahren verwendet wurde, vgl. Geschichtliches Unterrichtswerk (1951) u. Geschichte und Geschehen (1987). Siehe auch Kap. 4.1.1, 4.3.1 u. 4.3.4.
526
Fragen an die Geschichte (1975, 1980),
527
Geschichte und Geschehen (1995, 2004, 2006, 2012, 2014). Siehe auch Kap. 4.3.1.
528
Zu diesem Absatz siehe Kap. 4.3.1.
524
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
ein anspruchsvolles kulturelles Decodierungsverfahren, das nicht nur die Beschreibung
der Bildkomposition und die Untersuchung des historischen Entstehungskontextes erfasst, sondern auch ausgeprägte ikonographische Kompetenz voraussetzt“ ist,
529
ließe
sich an den seit den 1970er Jahren verwendeten Bilderhandschriften des Sachsenspiegels für Schülerinnen und Schüler sicherlich mehr „entdecken“, als den Handgang und
530
die Übergabe von Investiturgegenständen.
Trotz dieser Kritik zeigen die Darstellungen zum Lehnswesen, dass sich die seit den
1970er Jahren von den Lehrplänen ins Zentrum des Geschichtsunterrichts gerückte
Quellenarbeit auch in den Schulbüchern widerspiegelt. Bemerkenswert ist dabei die
Beobachtung, dass diese Entwicklung offensichtlich jedoch nicht nur auf die Lehrpläne
zurückgeht, denn erste Schritte in diese Richtung unternahmen die Verlage und Autor/innen bereits in den 1960er Jahren – auch ohne ministerielle Vorgaben. Neue fachdidaktische Diskurse scheinen also nicht nur über Lehrpläne Einzug in die Schulbücher
zu erhalten.
Doch inwiefern orientieren sich die Schulbücher auch hinsichtlich der vorgegebenen
thematischen Einbindung des Lehnswesens strukturell an den Lehrplänen? Bezogen auf
die Lehrplanvorgaben von 1956/57 konnte nur für eine Reihe eine Beachtung dieser
festgestellt werden, die dabei nicht nur unmittelbar nach dem neuen Lehrplan erschien,
sondern sich auch in ihrem Vorwort explizit auf diesen bezog. Bei den anderen beiden
Reihen des ersten Abschnittes erfolgte eine Neubearbeitung nicht nur knapp ein Jahrzehnt später, sondern auch dann ohne die vorgegebenen Strukturen zu berücksichtigen.
Stattdessen konnte gezeigt werden, dass auch die Reihe, die sich ursprünglich auf die
Einteilung des Lehrplans bezogen hatte, Ende der 1960er Jahre ihre Struktur den anderen beiden Konkurrenzreihen anpasst – entgegen der geltenden Lehrplanstruktur.
531
Somit verorten sämtliche in den 1960er Jahren erschienene Neuauflagen das Lehnswe532
sen entgegen dem Lehrplan im Frühmittelalter.
Die vor allem hinsichtlich der Bebil-
derung überarbeiteten Neuauflagen erscheinen ohne eine vorherige Lehrplanrevision.
Sie müssen daher vor dem Hintergrund eines generellen fachdidaktischen und medien529
Schönemann/Thünemann (2010), S. 90.
Ansatzpunkte hierfür böten beispielsweise die bei Amira (1905) aufgezeigten Bedeutungen der Handgebärden, vor dem Hintergrund ihrer ikonographischen Vorbilder.
531
Zu diesem Absatz siehe Kap. 4.1.2.
532
Dies betrifft nicht nur, die zum ersten Untersuchungsabschnitt gehörenden Grundzüge der Geschichte
(1964); Geschichtl. Unterrichtswerk (1966) und Spiegel der Zeiten (1969) sondern auch die Reihe
Menschen in ihrer Zeit (1968) des zweiten Untersuchungsabschnittes. Siehe auch Kap. 4.1.2.
530
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Christoph Bramann
Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
konzeptionellen Wandels gesehen werden, der sich erst zu Beginn der 1970er auch in
den Lehrplänen hinsichtlich geänderter methodischer Anforderungen niederschlägt.
Außerdem fällt auf, dass alle diese Reihen trotz der umfassenden Lehrplanänderungen 1972/1973 noch mindestens bis Ende der 1970er Jahre, teilweise sogar noch bis in
die 1980er Jahre hinein zugelassen waren (vgl. Abb. 3). Zwei Reihen veröffentlichten
sogar noch Mitte der 1970er Jahre strukturell unveränderte Neuauflagen. Auch eine
„Abschaffung“ des Lehnswesens findet weder in diesen noch in den beiden erst nach
den Lehrplänen erschienenen neuen Reihen statt. Die neue Einteilung nach Lernfeldern
bewirkt vielmehr, dass sich die Kapitelstruktur dieser Reihen generell strukturellen Ansätzen anpasst. Auffallend ist die von einer Reihe vorgenommene Verschiebung des
Lehnswesens in das Kapitel zu den Staufern im 12. Jahrhundert – eine Einteilung, die
sogar nach dem Stand der jüngeren Forschung heute noch haltbar wäre. Insgesamt lässt
sich jedoch auch in den 1970er Jahren nur bedingt die Umsetzung der vom Lehrplan
533
vorgegebenen inhaltlichen Strukturierung feststellen.
Erst für die beiden neu erschie-
nenen Reihen Ende der 1980er Jahre zeigt sich eine teilweise Umsetzung der Lehrplanvorgaben von 1982, indem beide Reihen das Lehnswesen klar im Frühmittelalter verorten. Die vom Lehrplan ebenfalls vorgegebene Behandlung des Themas in der 9./10.
Jahrgangsstufe in Verbindung mit Themen des 19. und 20. Jahrhunderts berücksichtigen
sämtliche Reihen, beispielsweise durch Verschiebung des Themas in einen anderen
534
Band, nicht.
Ab 1995 folgen hingegen alle untersuchten Schulbücher der neuen strukturgeschichtlichen Vorlage der Lehrpläne. Dabei bestätigte sich die Annahme, dass die
Schulbuchautor/innen auch die in den Lehrplänen zu den jeweiligen Themenfeldern
genannten Themenstichworte in einer ähnlichen Reihenfolge und Gewichtung übernehmen, weshalb die Bücher das Lehnswesen konsequent zur Zeit Karls des Großen
535
oder unmittelbar danach behandeln.
Zusammenfassend konnte damit aufgezeigt werden, dass sich die Schulbücher noch
bis in die 1980er Jahre hinein bezüglich ihrer inhaltlichen Struktur nicht unbedingt an
den Vorgaben des Bildungsministeriums orientierten. Zusätzlich ließ sich feststellen,
dass Schulbücher teilweise über 20 oder 30 Jahre zugelassen gewesen sein konnten,
533
Zu diesem Absatz siehe Kap. 4.2.2.
Siehe Kap. 3.2.4 sowie Kap. 4.2.2 u. 4.3.2.
535
Siehe Kap. 3.2.5 sowie Kap. 4.3.2.
534
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
ohne dass diese in Inhalt oder Struktur den sich ändernden bildungsadministrativen
Vorgaben angepasst worden wären. Die heute zu beobachtende absolute Lehrplankon536
formität
scheint somit eine relativ neue Entwicklung seit der Mitte der 1990er Jahre
zu sein.
4.4.2 Das mediävistische Forschungsbild in den Schulbuchdarstellungen zum
Lehnswesen
Bei einem Thema, das im Mittelalterunterricht eine jahrzehntelange Konstanz aufweist
und zudem lange Zeit vonseiten der Mediävistik kaum Änderungen seines allgemeinen
Narratives erfuhr, ließe sich vermuten, dass sich mit der Zeit auch einheitliche Erzählkonzepte hinsichtlich der ausgewählten Inhalte herausgebildet hätten. Abgesehen von
seiner Kernformel, der Vergabe von Lehen an Vasallen für diverse Dienste, die diese
weiterverleihen, weisen die Darstellungen des Lehnswesens im Detail jedoch durchaus
unterschiedliche Ausgestaltungen auf. Zusammenfassend lässt sich über den gesamten
Untersuchungszeitraum betrachtet eine weitgehende Konformität mit der jeweils geltenden Forschungsmeinung, bei gleichzeitig großer Varianz bei der konkreten Ausgestaltung feststellen.
Dabei sind die Lehnswesen-Darstellungen der 1950er Jahre bedingt durch den vor537
noch chronologisch erzählte „Geschichten“
herrschenden Stil der Leitfadenerzählung
des Lehnswesens mit seinen Anfängen bei den Franken, die sich deutlich hinsichtlich
ihres Umfangs und der thematischen Tiefe unterscheiden. Bei zwei Reihen ließ sich
zudem eine Thematisierung der vermeintlichen negativen Auswirkungen des Lehnswe538
sens auf das deutsche Königtum feststellen,
die im Sinne einer nationalen Identitäts-
bildung ebenfalls auf den damaligen Schulbuchtyp zurückzuführen sein dürfte.
Das Narrativ von der Negativwirkung des Lehnswesens auf die deutsche Staatsbildung findet sich im folgenden Untersuchungsabschnitt folglich auch nur noch in einer
Reihe, die bezeichnenderweise aus einer älteren Reihe desselben Verlags übernommen
wurde. Hierbei zeigt sich sogar, dass das Narrativ noch bis in die letzte Neuauflage
539
1991 übernommen wird.
Bei den anderen beiden Reihen der 1970er Jahre ließen sich
536
Vgl. u. a. Bühler (2011), S. 246.
Siehe Kap. 4.1.1.
538
Siehe Kap. 4.1.3.
539
Zu diesem Fall siehe Kap. 4.2.4.
537
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
hingegen fast neutrale und statische Darstellungen feststellen, auch hier mit erheblichen
Unterschieden in der thematischen Tiefe und unabhängig davon, ob das Lehnswesen bei
540
den Karolingern oder in einem Kapitel mit den Staufern behandelt wird.
Obwohl alle Reihen des dritten Untersuchungsabschnittes das Lehnswesen wieder
wie im ersten Abschnitt explizit in der fränkischen Zeit entstehen lassen, unterscheiden
auch sie sich stark hinsichtlich ihrer inhaltlichen Schwerpunkte und des dem Thema
zugestandenen Umfangs. Mit der Erblichkeit von Lehen durch Frauen zeigen sich dabei
auch Auswirkungen neuer gesellschafts- und geschichtswissenschaftlicher Fokussierungen, wie der Geschlechtergeschichte auf die Schulbuchdarstellungen. Die Mehrfachvasallität wird zwar noch erwähnt, ohne jedoch, dass damit Aussagen hinsichtlich einer
Schwächung des deutschen Königtums getroffen werden.
541
Als Ergebnis lässt sich daher vermuten, dass die konkrete Ausgestaltung des Themas
hinsichtlich Umfang und inhaltlicher Tiefe bis heute vor allem den Autor/innen des Abschnittes und ihren jeweiligen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Hintergründen und Interessen unterliegt,
542
unabhängig von der vorgegebenen Einbindung des
Themas in die Buchstrukturen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Aufnahme des sogenannten Leihezwangs in die Neubearbeitung einer Schulbuchreihe des Jahres 1969 zu
sehen, nachdem dieser bereits 1962 widerlegt worden war. Zwar wird der neue Forschungsstand bereits in der zweiten Auflage von Ganshofs „Lehnswesen“ 1967 berücksichtigt,
543
doch was ist, wenn der beteiligte Autor seiner Überprüfung die ebenfalls
relativ junge erste Auflage von 1961, die den Leihezwang noch als gegeben betrach544
tet,
545
zugrunde legte.
In Hinblick darauf, dass diese erste Auflage auch in Schulbü546
chern von 1975 und 1980 noch zitiert wird,
erscheint diese Vermutung nicht unwahr-
scheinlich. Allerdings kann auch dieser Bezug auf ältere Handbuchliteratur nur bedingt
erklären, warum sich der ältere Forschungsstand noch bis in eine Neuauflage von 1991
540
Siehe Kap. 4.2.2 u. 4.2.3.
Zu diesem Absatz siehe Kap. 4.3.3.
542
Vgl. auch Clauss (2007), S. 46.
543
Vgl. Ganshof (19672), S. 179.
544
Vgl. Ganshof, (1961), S. 179. Tatsächlich wurde bei der Darstellung im Vergleich zur zweiten Auflage
nur ein Satz geändert.
545
Selbstverständlich kann der Autor sich für die Überarbeitung auch an anderen älteren Werken orientiert haben. Das Beispiel „Ganshof“ ist hier nur exemplarisch gewählt für das Übernehmen fachlich
veralteter Informationen aus vermeintlich aktueller Handbuchliteratur.
546
Fragen an die Geschichte (1975, 1980).
541
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547
halten konnte und sich zudem 1984 auch in anderen Reihen des Verlags wiederfindet.
Umgekehrt besteht im Fall der Problematisierung der Lehnspyramide 1992 durchaus
Grund zur Annahme, dass neue Forschungsansätze zumindest teilweise in den Büchern
548
berücksichtigt werden können.
Doch lässt sich auch die mangelnde Rezeption des fachwissenschaftlichen Diskurses
hinsichtlich des Lehnswesens durch die Heranziehung veralteter Handbuchliteratur erklären? Ein Blick in aktuelle Handbücher zum Frühmittelalter zeigt, dass sich diese
Vermutung tatsächlich bestätigen lässt, denn diese hat die neuen Forschungsergebnisse
zum Lehnswesen mehrheitlich nicht in ihr zugrunde liegendes Narrativ aufgenommen.
Stattdessen wird die Debatte weiterhin unter Forschungsdebatten/-kontroversen aufgeführt.
549
Die Schulbuchautor/innen folgen also mit ihren Darstellungen dem grundle-
genden Handbuch- und Lexikonwissen der 2000er Jahre, auch wenn ihnen die neuen
Ansätze bekannt sein könnten.
Dass diese auch nicht über kontrovers gehaltene wissenschaftliche Zitate Einzug in
die Bücher finden, ließe sich mit der Komplexität der Debatte erklären, die ohne eine
tiefergehende zeitliche Beschäftigung mit dem Thema auch noch für Schülerinnen und
Schüler der Oberstufe schwer nachzuvollziehen sein wird. Trotzdem könnte man sich
bei der Darstellung des Themas durchaus – wie in zwei Bänden geschehen – auf die
Zeit ab dem 12. Jahrhundert beschränken, um das Lehnswesen damit zumindest aus
seinem problematischen Frühmittelalterzusammenhang zu lösen.
Unabhängig von diesen Argumenten hat sich gezeigt, dass die für die Darstellung
verwendeten Präsentationsbausteine vorwiegend noch aus Zeiten vor der neuen Debatte
stammen, womit sich die häufig beobachtete Übernahme von Inhalten älterer Schulbücher offenbart. Bereits Erich Kästner schrieb über diesen Zusammenhang zwischen alten und neuen Schulbuchinhalten einen in der Schulbuchforschung gerne und viel zitierten Satz:
„Mißtraut gelegentlich euren Schulbüchern! Sie sind nicht auf dem Berg Sinai entstanden,
[…] sondern aus alten Schulbüchern, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus
547
Vgl. Unsere Geschichte, Bd. 1: Von der Steinzeit bis zum Ende des Mittelalters, hrsg. v. Wolfgang
Hug, Diesterweg: Frankfurt 1984, zit. nach Clauss (2007), S. 34f.
548
Siehe Kap. 4.3.3.
549
Vgl. bspw. Goetz (2003), S. 138–142. Siehe auch die Ausführungen in Abschnitt 3.2.
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alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind. Man nennt
550
das Tradition.“
In der Tat lässt sich dieser Apell anhand unseres Korpus bestätigen und zwar vor allem
hinsichtlich der Übernahme von Präsentationsbausteinen innerhalb eines Verlages –
unabhängig davon, ob sich dabei bei älteren Auflagen derselben Reihe oder bereits eingestellten Reihen bedient wurde.
551
Besonders ausgeprägt konnte diese Praxis für die
Reihen des ersten und zweiten Untersuchungsabschnittes aufgezeigt werden, bei denen
neben einem Großteil des Bildmaterials auch viele Verfassertexte – inklusive fehlerhaf552
ter Darstellungen – übernommen wurden.
Jedoch lässt sich auch noch bei aktuellen
Schulbüchern die Übernahme älterer Elemente feststellen. Obwohl jüngere wie ältere
Schulbücher vor allem hinsichtlich der Abbildungen aus einem „verlagstypischen Mate553
rialpool“ zu schöpfen scheinen,
stellt das beeindruckendste Beispiel unseres Korpus
die Übernahme einer Textquelle dar, die sich zwischen 1951 und 2014 konstant in verschiedenen Reihen eines Verlags befindet.
5 Einfluss ist nicht gleich Einfluss – Das Schulbuch zwischen Politik, Wissenschaft
und Verlag
Wie lassen sich die eingangs vorgestellten Erwartungen an die Einflüsse von Lehrplanvorgaben und fachwissenschaftlichem Forschungsstand auf die Schulbücher vor dem
Hintergrund der erzielten Ergebnisse abschließend bewerten?
Zwar lässt sich ein Einfluss der Lehrpläne sowohl auf die konzeptionelle als auch
die strukturelle Gestaltung der Schulbücher feststellen, dieser scheint sich jedoch in den
verschiedenen Jahrzehnten und Bereichen unterschiedlich stark auf die Schulbücher
ausgewirkt zu haben. Vor allem fällt auf, dass der Lehrplan-Einfluss auf die Struktur der
Bücher nicht immer so groß gewesen ist, wie sich sich dieser bei aktuellen Schulbüchern zeigt. Stattdessen zeigte sich, dass Schulbuchreihen auch über Jahrzehnte zugelassen sein konnten, ohne sich in Inhalt oder Struktur den neuen Lehrplänen angepasst zu
haben, dass auch radikale Änderungen, wie die Abschaffung oder Zusammenlegung des
Schulfaches Geschichte mit anderen Fächern von den Schulbuchautor/innen weitgehend
550
Kästner, Erich: Gesammelte Schriften in sieben Bänden, Bd. 5: Vermischte Beiträge, Köln 1959, S.
182.
551
Vgl. hier generell die in den Kap. 4.1.4., 4.2.4 u. 4.3.4 aufgeführten Beispiele.
552
Siehe Kap. 4.1.4 u. 4.2.4.
553
Vgl. Biener (2014), S. 66.
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ignoriert wurden und dass neue Innovationen wie die Verwendung von Textquellen und
Bildern sogar bereits vor dem Erscheinen neuer ministerieller Vorgaben in den Büchern
eingeführt wurden. Die heute weitgehend zu beobachtende Lehrplankonformität
554
stellt
sich damit als relativ neue Entwicklung seit der Mitte der 1990er Jahre heraus.
Auf der Suche nach möglichen Gründen für den steigenden Einfluss der Lehrpläne
stellt sich die Frage nach den Zulassungsverfahren und ob es einen Unterschied macht,
ob eine Reihe bereits nach „alten“ Richtlinien zugelassen war oder sie sich um einen
neuen Listenplatz erst bewerben musste. Vor diesem Hintergrund wurden bereits Ende
der 1980er Jahre die „Schulbuchkommissionen mit ihren gruppendynamischen Prozes555
sen“ kritisiert.
Diese wurden erst ab den 1990er Jahren von „mehreren unabhängigen
Gutachtern“ abgelöst, die dann „in einem oft mehrere Monate dauernden Verfahren“
556
prüfen sollten, ob die Vorgaben der Lehrpläne in den Büchern umgesetzt werden.
Die
in den Ergebnissen zutage getretene unterschiedliche Gewichtung der Lehrplaneinflüsse
könnte damit auf die konkreten geänderten Zulassungsverfahren zurückzuführen sein.
Ob ab den 1990er Jahren durch die angepassten Schulbücher auch ein größerer Einfluss
der Bildungspläne auf die direkte Unterrichtspraxis einherging, wäre an anderer Stelle
sicherlich interessant zu untersuchen.
Der Einfluss der Lehrpläne auf die Schulbücher seit den 1990er Jahren zeigt sich vor
allem in der weitgehenden Übernahme der in den verbindlichen Unterrichtsinhalten
angelegten Themenfeldern. Aus diesen als „Stichworte […] zur inhaltlichen Orientierung“
557
angelegten Themen entsteht durch die ihnen zugrundeliegende Reihenfolge
nämlich zugleich ein dem Unterrichtsabschnitt zugrundeliegendes Erzählnarrativ, das
dann auch bei der Schulbuchproduktion übernommen wird.
558
Im konkreten Fall der
Rezeption der aktuellen Forschungsansätze zum Lehnswesen heißt dies, wenn die Lehrpläne seit den 2000er Jahren die Themenkompilation „Reisekönigtum; Pfalzordnung;
554
Vgl. u. a. Bühler (2011), S. 246.
Schönemann/Thünemann (2010), S. 106, die sich beziehen auf Jeismann, Karl-Heinz: Begutachtung
und Zulassung von Schulbüchern. Ein kritischer Brief, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
38 (1987), S. 105–107, hier 107.
556
So die Ausführungen auf den Internetseiten des Verbands Bildungsmedien e.V. (wie Anm. 48), unter
den Stichwort „Wie werden Schulbücher zugelassen?“. Vgl. Auch die Ausführungen bei Schönemann/Thünemann (2010), S. 106.
557
LP-HE-2003, S. 6c.
558
Zu den verschiedenen Schritten bei der Erstellung der Schulbücher anhand der Lehrplanvorgaben vgl.
auch Wiater (2005), S. 51.
555
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Lehnswesen; Königsboten […]“
559
560
Grundherrschaft; Klöster […]“
und „Kaiserkrönung Karls 800; Lehenswesen und
vorschreiben, wird das darin enthaltene Deutungsan-
gebot des Lehnswesens als Herrschaftssystem zur Zeit Karls des Großen auch in den
Schulbüchern fortgeschrieben. Die hieraus entstehende unterrichtspraktische Relevanz
des Themas kann vor diesem Hintergrund auch erklären, warum auch nach dem Jahr
2008 noch aktuelle Unterrichtsvorschläge zum „karolingischen Lehns- oder Benefizial561
wesen“ erscheinen.
Das bedeutet nicht, dass von Seiten der Fachwissenschaft überhaupt kein Einfluss
auf Schulbuchinhalte zum Lehnswesen möglich wäre. Am Beispiel der Lehnspyramide
konnte gezeigt werden, dass fachwissenschaftliche Kritik durchaus von den Büchern
aufgenommen werden kann, auch wenn es sich in diesem Fall nur um eine zufällige
Rezeption über „verlagsinterne“ Informationen gehandelt haben könnte.
562
Ein Grund
für die Änderung könnte sein, dass Boockmanns Artikel in der Zeitschrift „Geschichte
in Wissenschaft und Unterricht“ erschienen war und diese nicht nur wie die die Reihe
Geschichte und Geschehen in Kooperation mit dem Klett Verlag erscheint – und damit
auf dem Schreibtisch der Schulbuchautorinnen und Schulbuchautoren gelegen haben
könnte –, sondern auch damit, dass der Geschichtsdidaktiker Michael Sauer bei beiden
Publikationen als Herausgeber fungiert und damit direkten Zugang zu den „neuen“ Informationen gehabt haben könnte. Ein anderes Beispiel für die Rezeption fachwissenschaftlicher Diskurse erwähnt Martin Clauss, dem in der Forum Geschichte Ausgabe
von 2001 der Begriff „Spielregeln“ auffiel. Bei diesem handelt es sich um einen zu dieser Zeit relativ neuen Begriff aus dem mediävistischen Fachdiskurs, der auf den Mediä563
vist Gerd Althoff (Spielregeln der Politik im Mittelalter) zurückgeht.
Dass diese Re-
zeption neuerer Fachdiskurse auch wieder rückgängig gemacht werden kann, zeigt sich
559
LP-HE-2010 (G9), S. 17.
LP-HE-2010 (G8), S. 16.
561
Vgl. Buck (2008), S. 186–204, insbes. 194–204; Buck (2009), S. 73–96, insbes. 89–96; Buck (2010),
S. 22–29. Es könnte jedoch kritisch gefragt werden, warum sich der Autor trotz offensichtlicher
Kenntnis der Problematik (Reynolds Studie wird zwei Mal in der angegebenen Literatur aufgeführt)
nicht auf weniger „problematische“ Beispiele zum Lehnswesen aus dem Hoch- oder Spätmittelalter
beschränkt.
562
Siehe die Ausführungen in Kap. 4.3.3.
563
Vgl. Clauss (2007), S. 33f. Zum Begriff der „Spielregeln“ vgl. den vielbeachteten Sammelband von
Gerd Althoff: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt
1997.
560
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daran, dass der Begriff seit der 2007er Ausgabe wieder aus der Reihe verschwunden
564
ist.
Die Rezeption neuerer Forschungsergebnisse erfolgt daher scheinbar „nicht syste565
matisch, sondern offenbar eher zufällig“
und zudem auf Detailebene. Gerade auf die566
ser können sich dann durchaus auch Fehler in die Darstellungen einschleichen.
Doch
in diesem Zusammenhang ist augenfällig, dass sich eine Grafik oder ein Wort schneller
und unverfänglicher ändern lassen, als ein das ganze Mittelalter betreffendes Herrschaftsparadigma wie das Lehnswesen. Dabei trifft es sicherlich auch zu, dass es „weder
die Aufgabe noch das Ziel von Schulbüchern“
567
ist, den aktuellen mediävistischen For-
schungsstand abzubilden, da diese gerade nicht der wissenschaftlichen Ausbildung dienen.
568
Selbst wenn sich also die neuen Forschungsansätze mittlerweile beginnen auch
in deutschen Handbuchdarstellungen niederzuschlagen und dadurch sicherlich auch von
der Schulbuchmediävistik wahrgenommen werden, kann angenommen werden, dass die
in den Lehrplänen vorgegebenen Themenstichworte – auch in ihrer semantischen Zu569
sammensetzung – weiterhin den größeren Einfluss auf die Schulbuchinhalte behalten.
Die Einflüsse von Lehrplan und Fachwissenschaft sind vor diesem Hintergrund also
nicht als gleichwertig zu betrachten, sondern vollziehen sich vielmehr auf verschiedenen Ebenen – auch hinsichtlich der Auswahl der dargestellten Inhalte. Während sich ein
fachwissenschaftlicher Einfluss auf die Schulbücher nur im Detail der Darstellung zeigt,
geben die Lehrpläne – zumindest seit den 1990er Jahren – sowohl die äußerliche und
konzeptionelle Struktur, als auch das inhaltliche Narrativ vor. Für eine Berücksichtigung neuer Forschungsansätze müsste die Mediävistik daher den Weg über das Ministerium gehen, um das frühmittelalterliche Lehnswesen zuerst aus den Lehrplänen entfernen zu lassen, bevor es schließlich auch aus den Schulbüchern verschwinden könnte.
Dabei wäre es sicherlich interessant zu beobachten, wie sich die Schulbuchinhalte vor
dem Hintergrund der Abschaffung der klassischen Lehrpläne mit ihren verbindlichen
564
Forum Geschichte (2007).
Clauss (2007), S. 35.
566
Zum Beispiel der hier aufgezeigte Leihezwang, siehe zusammenfassend die Ausführungen in Kap.
4.4.2. Vgl. auch den von Clauss (2007), S. 35f. aufgeführten Fund hinsichtlich des Geburtsjahrs Karls
des Großen, bei dem mit dem Jahr 742 noch bis in die 2000er-Jahre eine seit den 1970ern überholte
Jahresangabe anzutreffen war.
567
Clauss (2007), S. 45.
568
Vgl. Clauss (2007), S. 46.
569
Vgl. dazu ebd., S. 20.
565
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Unterrichtsinhalten und ihrer Ersetzung durch kompetenzorientierte Bildungspläne und
Schulcurricula – durch die viele Schulen selbstständig über Fachinhalte entscheiden
570
können,
– in Zukunft verändern werden.
Schließlich kommt noch ein weiterer Einflussfaktor auf die Schulbuchinhalte zum
Tragen und zwar derjenige von verlags- und reihenspezifischen Überlegungen bei der
Gestaltung des kommerziellen Produktes „Schulbuch“. Die häufige verlagsinterne
Übernahme teils sehr alter Medienbausteine aus eigenen Reihen oder auch die Übernahme von Bausteinen aus Reihen der Konkurrenz veranschaulicht, dass bei der Produktion von Schulbüchern eben auch Überlegungen hinsichtlich des finanziellen und
zeitlichen Aufwandes im Mittelpunkt stehen. Was nicht unbedingt erneuert werden
muss, wird so erst einmal aus bereits vorhandenen Bausteinen zusammengesetzt. Zwar
kann auch hier seit den 1990er Jahren eine regelmäßigere Überarbeitung der Inhalte
festgestellt werden, die Übernahme einer bereits in den 1950er Jahren (und wohl noch
davor) verwendeten Textquelle zeigt jedoch, dass dieses Schöpfen aus dem verlagseigenen Mediapool weiterhin großen Einfluss auf die Schulbücher hat. In diesem Zusammenhang lässt sich vermuten, dass sich die meisten Schulbuchinhalte trotz der neu geschaffenen Freiheit bei der Themen- und Schwerpunktwahl nicht groß verändern werden und es damit auch noch einige Zeit dauern wird, bis das Lehnswesen als
gesamtmittelalterliches Phänomen zur Beschreibung und Erklärung von Herrschaftsstrukturen der Zeit zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert aus den Büchern verschwindet. Die einst von Erich Kästner vorgetragene Vermutung, dass Schulbücher vor
571
allem aus alten Schulbüchern bestünden,
findet sich hinsichtlich der Lehnswesendar-
stellungen in den untersuchten Büchern in ihrem Kern damit bestätigt. Neben bildungsadministrativen und fachwissenschaftlichen Einflüssen zeigt sich in diesem Zusammenhang auch ein nicht zu vernachlässigender Einfluss verlagswirtschaftlicher Überlegungen auf die Inhalte von Schulbüchern.
570
Zu dem neuen Umgang mit Bildungsstandards, Kerncurricula und Lehrplänen in Hessen, vgl. Bildungshttps://kultusministerium.hessen.de/schule/bildungsstandards-kerncurricula-und-lehrplaene
[6.2.2017].
571
Siehe die Ausführungen in Kap. 4.4.2.
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Anhang
I Tabellen- und Abbildungen
Tab. 1: Die Schulbücher des Untersuchungsabschnitts I inklusive ihrer Einbindung des
Lehnswesens (S. 57f.).
Tab. 2: Die Schulbücher des Untersuchungsabschnitts II inklusive ihrer Einbindung des
Lehnswesens (S. 69).
Tab. 3: Die Schulbücher des Untersuchungsabschnitts III inklusive ihrer Einbindung des
Lehnswesens (S. 80).
Abb. 1: Sämtliche für die gymnasiale Mittelstufe zugelassenen Schulgeschichtsbuchreihen im Zeitstrahl (S. 12).
Abb. 2: Sämtliche für die gymnasiale Mittelstufe zugelassenen Schulgeschichtsbuchreihen in Relation zur Zulassungszeit (S. 13).
Abb. 3: Das Untersuchungskorpus (S. 17).
II Dokumente und Internetquellen
a Amtsblätter
ABl-KM-HE
1.1948–15.1962
Amtsblatt des Hessischen Kultusministeriums (1.1948–
2.1949: Amtsblatt des Hessischen Ministeriums für Kultus
und Unterricht; 3.1950–16.1963,2: Amtsblatt des Hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung).
b Schulbuchkataloge
SBK 1950, 1951,
1956, 1958, 1960–
1969/70, 1972/73–
1973/74, 1976/77–
2014/15
1949–2010: ABl-KM-HE (1949–2010); ab 2011:
https://kultusministerium.hessen.de/schule/weiterethemen/lernmittelfreiheit/schulbuecherkataloge [letzter
Zugriff: 15.03.2015]. Es sind nur die aktuellen Kataloge
abrufbar.
c Lehrpläne
LP-HE-1945: Lehrpläne für die höheren Schulen des Landes Groß-Hessen. Eine Handreichung für die Jahre des Übergangs, Genehmigt durch die Militär-Regierung von
Groß Hessen 25. Nov. 1945.
LP-HE-1949 (5): Lehrpläne für das 5. Schuljahr aller Schulen im Lande Hessen (erschienen in: ABl-KM-HE 2.1949.3, S. 77–86).
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LP-HE-1949 (6): Lehrpläne für das 6. Schuljahr aller Schulen im Lande Hessen (erschienen in: ABl-KM-HE 3.1950,1, S. 1–23).
LP-HE-1956 (I): Bildungspläne für die allgemeinbildenden Schulen im Lande Hessen,
I: Einleitung, Stundentafeln, und Erläuterungen, Wiesbaden, 1956 (erschienen in:
ABl-KM-HE 9.1956, Sondernummer, S. 81–117).
LP-HE-1957 (II, A): Bildungspläne für die allgemeinbildenden Schulen im Lande Hessen, II: Das Bildungsgut, A: Gemeinsame Bildungs- und Erziehungsaufgaben der
allgemeinbildenden Schulen, Wiesbaden, 1957 (erschienen in: ABl-KM-HE 10.1957,
Sondernummer 1, S. 1–67).
LP-HE-1957 (II, D): Bildungspläne für die allgemeinbildenden Schulen im Lande Hessen, II: Das Bildungsgut, D: Das Bildungsgut des Gymnasiums, Wiesbaden 1957 (erschienen in: ABl-KM-HE 10.1957, Sondernummer 4, S. 413–415 u. 465–481 [Einleitung u. Fach Geschichte]).
LP-HE-1964: Bildungspläne für die Gymnasien; hier: Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde (aus: ABl-KM-HE 1964, Sonderdruck)
LP-HE-1972: Rahmenrichtlinien. Sekundarstufe I Gesellschaftslehre S I – GL, Wiesbaden, 1972.
LP-HE-1973: Rahmenrichtlinien. Sekundarstufe I Gesellschaftslehre S I – GL, Wiesbaden, 1973.
LP-HE-1982: Rahmenrichtlinien. Sekundarstufe I Gesellschaftslehre. Unterrichtspraktischer Teil, Wiesbaden, 1982.
LP-HE-1995: Rahmenplan Geschichte. Sekundarstufe I, Wiesbaden, 1995.
LP-HE-2003: Lehrplan Geschichte. Gymnasialer Bildungsgang. Jahrgangsstufen 6 bis
13, Wiesbaden, 2003.
LP-HE-2008 (G8): Lehrplan Geschichte. Gymnasialer Bildungsgang. Jahrgangsstufen
6G bis 12GT, Wiesbaden, 2003.
LP-HE-2008 (G9): Lehrplan Geschichte. Gymnasialer Bildungsgang. Jahrgangsstufen 6
bis 13, Wiesbaden, 2003.
LP-HE-2010 (G8): Lehrplan Hessen Gymnasialer Bildungsgang. Jahrgangsstufen 6G
bis 9G und gymnasiale Oberstufe [G8], Wiesbaden, 2010.
LP-HE-2010 (G9): Lehrplan Hessen Gymnasialer Bildungsgang. Jahrgangsstufen 6 bis
13 [G9], Wiesbaden, 2010.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
https://verwaltung.hessen.de/irj/HKM_Internet?cid=ac9f301df54d1fbfab83dd3a6449
af60 [letzter Zugriff: 26.02.2015].
d Internetquellen
Verband Bildungsmedien e.V.:
http://www.bildungswelten.info/index.php/fragen-antworten
[letzter
Zugriff
16.03.2015].
Verfassung des Landes Hessen: Hessische Verfassung online,
http://www.rv.hessenrecht.hessen.de [letzter Zugriff: 8.3.2015].
III Schulbücher
Anno, Bd. 2: Vom Mittelalter bis zum Ende des Absolutismus, hrsg. v. Bernhard Askani und Elmar Wagener, Braunschweig: Westermann, 1995.
Das waren Zeiten – Neue Ausgabe Hessen (G9), Bd. 2: Mittelalter und Neuzeit, hrsg. v.
Dieter Brückner und Harald Focke, Bamberg: C.C. Buchner, 2014.
denk|mal Geschichte – Hessen (G9 u. Realschule), Bd. 2, Braunschweig: Schroedel
(Bildungshaus Schulbuchverlage), 2011.
erinnern und urteilen. Menschen in ihrer Zeit, Bd. 2, hrsg. v. Friedrich Jahr, Siemer Oppermann, Gottfried Till, Maria Würfel, Stuttgart: Klett, 1977.
Forum Geschichte – Ausgabe Hessen (G8), Bd. 2: Vom Römischen Reich bis zur Reformation, hrsg. v. Hans-Otto Regenhardt und Claudia Tatsch, Berlin: Cornelsen,
2007.
Fragen an die Geschichte. Geschichtliches Arbeitsbuch für Sekundarstufe I im gymnasialen Bereich, Bd. 2: Die europäische Christenheit, hrsg. v. Heinz Dieter Schmid,
Frankfurt: Hirschgraben-Verlag, 1975.
Fragen an die Geschichte. Geschichtliches Arbeitsbuch für Sekundarstufe I im gymnasialen Bereich, Bd. 2: Die europäische Christenheit, hrsg. v. Heinz Dieter Schmid,
Frankfurt Hirschgraben-Verlag, 1980.
Geschichte und Geschehen II, hrsg. v. Ludwig Bernlochner, Peter Furth, Peter Hilsch,
Friedrich Jahr, Erhard Rumpf, Eberhardt Schwalm, Gottfried Till, Maria Würfel,
Stuttgart: Klett, 1987.
Geschichte und Geschehen – Ausg. A, Bd. 2, bearb. v. Giselher Birk et al., Stuttgart:
Klett, 1995.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Geschichte und Geschehen, Bd. 2, bearb. v. Asmut Brückmann, Rolf Brütting, Peter
Gautschi, Edith Hambach, Gerhard Henke-Bockschatz, Uwe Horst, Georg Langen,
Peter Offergeld, Volker Scherer, Susanne Thimann-Verhey, Franz-Josef Wallmeier,
Stuttgart: Klett, 2004.
Geschichte und Geschehen – Ausg. H, Sek. I, Bd. 2, bearb. v. Werner Abelein et al.,
Stuttgart: Klett ,2006.
Geschichte und Geschehen, Bd. 2, hrsg. v. Michael Sauer, Stuttgart/Leipzig: Klett,
2012.
Geschichte und Geschehen – Ausgabe Hessen (G8/9), Bd.2, hrsg. v. Michael Sauer,
Stuttgart/Leipzig: Ernst Klett Verlag 2014.
Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen, Bd. II: Geschichte des Abendlandes von der germanischen Frühzeit bis 1648, bearb. v. Karl Krüger, Offenburg:
Lehrmittelverlag 1951.
Kletts Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen – Ausg. A, Bd. II: Geschichte des Abendlandes von der germanischen Frühzeit bis 1648, bearb. v. Karl
Krüger, Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1954.
Kletts Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen – Ausg. B, Bd. II: Aus
Mittelalter und Neuzeit, bearb. v. Karl Krüger, Stuttgart: Klett, 1955.
Kletts Geschichtliches Unterrichtswerk für die Mittelklassen – Ausg. C, Bd. 2: Mittelalter und frühe Neuzeit, bearb. v. Karl Krüger, Stuttgart: Klett, 1966.
Geschichtliche Weltkunde – 3-bändige Ausg., Bd. 1: Von der frühen Zeit der Menschen
bis zum Beginn der Neuzeit, hrsg. v. Wolfgang Hug u. Hejo Busley, Frankfurt: Diesterweg, 1974.
Geschichtliche Weltkunde – 3-bändige Ausg., Bd. 1: Von der frühen Zeit der Menschen
bis zum Beginn der Neuzeit, hrsg. v. Wolfgang Hug u. Hejo Busley, Frankfurt: Diesterweg, 1979.
Geschichtliche Weltkunde – 4-bändige Ausg., Bd. 2: Vom Kaisertum der Karolinger bis
zur Zeit des Absolutismus, hrsg. v. Wolfgang Hug und Hejo Busley, Frankfurt: Diesterweg, 1981.
Geschichtliche Weltkunde – 4-bändige Sonderausg., Bd. 2: Vom Kaisertum der Karolinger bis zur Zeit des Absolutismus, hrsg. v. Wolfgang Hug und Hejo Busley,
Frankfurt: Diesterweg, 1991.
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten
– Ausg. A, Bd. 2: Das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, hrsg. v. Hans-Georg Hofacker, Thomas Schuler, Berlin: Cornelsen-Velhagen & Klasing HirschgrabenVerlag, 1986.
Geschichtsbuch Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten –
neue Ausg., Bd. 2: Das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, hrsg. v. Hans-Georg Hofacker, Thomas Schuler, Berlin: Cornelsen, 1994.
Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten
– neue Ausg. B, Bd. 2: Das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, hrsg. v. Hans-Georg
Hofacker, Thomas Schuler, Berlin: Cornelsen, 1994.
Grundzüge der Geschichte, Bd. 2: Vom Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden,
bearb. v. O. Ebding, K. Sigrist, Frankfurt: Diesterweg, 1950.
Grundzüge der Geschichte, Bd. 2: Vom Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden,
bearb. v. M. Plocher, H. Schneider, K. Sigrist, Frankfurt: Diesterweg, 1956.
Grundzüge der Geschichte, Bd. 2: Vom Frankenreich bis zum Westfälischen Frieden,
bearb. v. H. Schneider, Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag Moritz Diesterweg 1960.
Grundzüge der Geschichte. Mittelstufe – Ausg. B, Bd. 2: Vom Frankenreich bis zum
Westfälischen Frieden, hrsg. v. Eugen Kaier, Frankfurt/Berlin/Bonn: Verlag Moritz
Diesterweg 1964.
Grundzüge der Geschichte. Sekundarstufe I (Gymnasium), Bd. 2: Vom Frankenreich bis
zum Westfälischen Frieden, hrsg. v. Eugen Kaier, Frankfurt: Diesterweg, 1975.
Horizonte 7 – Geschichte Gymnasium Hessen (G8/9), Braunschweig: Westermann,
2006.
Menschen in ihrer Zeit, Bd. 1: Im Altertum und frühen Mittelalter, bearb. v. Richard
Freyh, Joachim Volkmer, Wolfgang Hug u. Erhard Rumpf, mit einem Anhang: Damals – Heute – Morgen v. Wolfgang Hilligen, Stuttgart: Klett, 1968.
Menschen in ihrer Zeit, Bd. 1: Im Altertum und frühen Mittelalter, bearb. v. Richard
Freyh, Joachim Volkmer, Wolfgang Hug u. Erhard Rumpf, Stuttgart: Klett, 1976.
Mosaik. Der Geschichte auf der Spur – Ausg. F2 Hessen (G8/9), Bd. 2: Von der Römischen Antike bis zum Zeitalter der Glaubenskriege, hrsg. v. Herwig Buntz et al.,
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Das „Lehnswesen“ im Geschichtsschulbuch
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