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Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk

2012, Historia.scribere

The Apprentice-system in the Guild of Craftsmen The following seminar-paper is about the apprentice system in the guild of craftsmen. After discussing the research-resources it describes the progress from admission, including the terms of admission, the probation period, the formal enrollment, the apprenticeship contract, the proper apprenticeship and its conditions, and finally the suspension of the guild coercion. Einleitung Der Ausspruch Johann Wolfgang von Goethes "Geselle ist, der etwas kann, Meister ist, der etwas ersann, Lehrling ist jedermann" birgt neben einer treffend formulierten Lebensweisheit auch noch einen Hinweis auf die klassische Dreiteilung der zünftigen Handwerker in Lehrling, Geselle und Meister. Die erste und niedrigste Stufe der zunftinternen Karriereleiter, die des Lehrlings und seiner Ausbildung, wird in dieser Arbeit behandelt. Mit dem Ziel, einen Überblick über das Lehrlingswesen vor der Aufhebung des Zunftzwanges zu geben, stellt sie den Ablauf einer Lehre nach und be-Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk 138 historia.scribere 4 (2012) schreibt den Werdegang eines Lehrjungen,-knaben bzw.-knechts, 1 wie der Lehrling u. a. genannt wurde, von seiner Aufnahme in die Zunft, genannt Aufdingung, über die Lehrzeit mit den jeweils für Lehrling und Lehrmeister genau definierten Rechten und Pflichten, bis hin zum Abschluss der Lehre, der sogenannten Freisprechung. Diese Arbeit stützt sich nicht auf Primär-, sondern Sekundärliteratur verschiedenster AutorInnen, welche in ihren Werken das Lehrlingswesen einer bestimmten Epoche bzw. einer bestimmten Region oder auch nur einer bestimmten Zunft anhand von Handwerksordnungen und dergleichen untersucht haben. Dennoch werden die Primärquellen, aus denen Erkenntnisse über das Lehrlingswesen gewonnen werden können, im Folgenden kurz vorgestellt. Literatur über das Zunftwesen allgemein oder auch nur über das gesamte Lehrlingswesen ist nicht vorhanden und erscheint auch aufgrund der Vielfalt an unterschiedlichen Regelungen unmöglich. Kleinräumigere Untersuchungen sind daher sinnvoller. So liegen dieser Arbeit verschiedene Abhandlungen über das Lehrlingswesen zu Grunde. Sie beziehen sich vor allem auf den österreichischen Raum, wie etwa Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark und Kärnten, Innsbruck oder Linz, aber auch auf verschiedene deutsche und Schweizer Gebiete, wie Augsburg, Eferding, Freiburg i. Ue., das mittlere Rheingebiet oder Hessen. Diese Arbeit versucht nun, die unterschiedlichen Regelungen der Zunftordnungen, die das Lehrlingswesen betreffen, zusammenzubringen und gegenüber zu stellen, gleichzeitig aber auch die historische Entwicklung mit zu berücksichtigen. Dadurch soll eine möglichst allgemeine Darstellung geschaffen werden. Spezifische Ausprägungen oder Besonderheiten, die nur lokal oder in einer bestimmten Zunft vorhanden sind, werden vernachlässigt. Generell gilt es dabei, den Unterschied zwischen Gesetz und Wirklichkeit zu beachten. Die Zunftordnungen schreiben den Regelfall, einen Wunschzustand vor, der für alle Individuen gelten sollte. Ob diese Regelungen dann wirklich so ausgeführt worden sind, kann selten verifiziert werden. Zudem gibt es immer wieder dokumentierte Einzelfälle, die Ausnahmen von der Regel bestätigen. historia.scribere 4 (2012) 139 Mitte des 15. Jahrhunderts, erschienen Zunftvorschriften in diesen Bereichen notwendig, einerseits wegen der zunehmenden Schriftlichkeit und dem wachsenden Kodifizierungsbedürfnis der Gesellschaft, andererseits weil durch wirtschaftliche Entwicklungen das Verhältnis zwischen Meister, Gesellen und Lehrling zunehmend schwieriger wurde. 2 Zur Erforschung der Lehrlingsgeschichte können verschiedene Quellen verwendet werden, von denen zwei hier kurz erwähnt werden: Die wohl wichtigste Quellengattung sind die Zunftakten, welche Georg Emig, der einen genauen Überblick über die Quellenlandschaft gibt, als "Urkunden und andere Schriftstücke, die sich im Besitz einer Zunft befanden und gewöhnlich in der Zunftlade aufbewahrt wurden" 3 definiert. Diese Zunftakten bestehen vor allem aus den sogenannten Zunftbriefen oder Zunftartikeln, den Statuten einer Zunft. Sie enthalten genaue Informationen über die Aufnahmebedingungen, die Probezeit, die Kosten der Aufdingung, die Dauer der Lehre, die Höhe des Lehrgeldes oder die Kosten der Freisprechung. Allerdings werden keine Aussagen über das Zeremoniell der Aufdingung und der Freisprechung, über die Unterweisung des Lehrlings, seine Arbeitszeit und seinen Lohn, sowie Verhaltensvorschriften gemacht. Dennoch gab es mit Sicherheit auch dazu verbindliche Regelungen. Da diese Punkte aber meist selbstverständlichen, althergebrachten Traditionen unterlagen, brauchten sie keine schriftliche Fixierung. Das Problem der Zunftbriefe ist ihr Soll-Charakter. Die Zünfte konnten diese Bestimmungen teilweise oder gar nicht beachten. Die Realität spiegeln sie nicht wider. 4 Einen Teilbereich der Zunftakten bilden die Zunftbücher. Während kleinere Zünfte meistens nur ein Buch führten, hatten größere ein eigenes Meister-, Lehrlings-, Protokoll-, Rechnungs-, oder auch Gesellenbuch. Da in den Zunftbüchern verschiedene Geschehnisse und Tatbestände nachträglich aufgezeichnet wurden, stellen sie keine Soll-Texte dar. Sie zeigen daher, ob und wie weit die Zunftordnungen beachtet wurden und liefern Angaben über Tatbestände, für die in Zunftbriefen keine Regelungen vorgesehen sind. 5 Zweitens soll noch die Gruppe der Briefe genannt werden, einerseits die, welche die Zunft erhielt und andererseits Kopien jener Briefe, die sie verschickte. Solche Briefe sind zumeist Korrespondenzen der Meister mit den Behörden in Form von Bittschriften 2

Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk Barbara Denicolo Kerngebiet: Wirtschafts- und Sozialgeschichte eingereicht bei: ao.Univ.-Prof. Dr. Helmut Alexander eingereicht im Semester: WS 2009/10 Rubrik: SE-Arbeit Benotung dieser Arbeit durch LV-LeiterIn: sehr gut Abstract The Apprentice-system in the Guild of Craftsmen The following seminar-paper is about the apprentice system in the guild of craftsmen. After discussing the research-resources it describes the progress from admission, including the terms of admission, the probation period, the formal enrollment, the apprenticeship contract, the proper apprenticeship and its conditions, and finally the suspension of the guild coercion. Einleitung Der Ausspruch Johann Wolfgang von Goethes „Geselle ist, der etwas kann, Meister ist, der etwas ersann, Lehrling ist jedermann“ birgt neben einer treffend formulierten Lebensweisheit auch noch einen Hinweis auf die klassische Dreiteilung der zünftigen Handwerker in Lehrling, Geselle und Meister. Die erste und niedrigste Stufe der zunftinternen Karriereleiter, die des Lehrlings und seiner Ausbildung, wird in dieser Arbeit behandelt. Mit dem Ziel, einen Überblick über das Lehrlingswesen vor der Aufhebung des Zunftzwanges zu geben, stellt sie den Ablauf einer Lehre nach und be- historia.scribere 4 (2012) 137 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk schreibt den Werdegang eines Lehrjungen, -knaben bzw. –knechts,1 wie der Lehrling u. a. genannt wurde, von seiner Aufnahme in die Zunft, genannt Aufdingung, über die Lehrzeit mit den jeweils für Lehrling und Lehrmeister genau definierten Rechten und Pflichten, bis hin zum Abschluss der Lehre, der sogenannten Freisprechung. Diese Arbeit stützt sich nicht auf Primär-, sondern Sekundärliteratur verschiedenster AutorInnen, welche in ihren Werken das Lehrlingswesen einer bestimmten Epoche bzw. einer bestimmten Region oder auch nur einer bestimmten Zunft anhand von Handwerksordnungen und dergleichen untersucht haben. Dennoch werden die Primärquellen, aus denen Erkenntnisse über das Lehrlingswesen gewonnen werden können, im Folgenden kurz vorgestellt. Literatur über das Zunftwesen allgemein oder auch nur über das gesamte Lehrlingswesen ist nicht vorhanden und erscheint auch aufgrund der Vielfalt an unterschiedlichen Regelungen unmöglich. Kleinräumigere Untersuchungen sind daher sinnvoller. So liegen dieser Arbeit verschiedene Abhandlungen über das Lehrlingswesen zu Grunde. Sie beziehen sich vor allem auf den österreichischen Raum, wie etwa Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark und Kärnten, Innsbruck oder Linz, aber auch auf verschiedene deutsche und Schweizer Gebiete, wie Augsburg, Eferding, Freiburg i. Ue., das mittlere Rheingebiet oder Hessen. Diese Arbeit versucht nun, die unterschiedlichen Regelungen der Zunftordnungen, die das Lehrlingswesen betreffen, zusammenzubringen und gegenüber zu stellen, gleichzeitig aber auch die historische Entwicklung mit zu berücksichtigen. Dadurch soll eine möglichst allgemeine Darstellung geschaffen werden. Spezifische Ausprägungen oder Besonderheiten, die nur lokal oder in einer bestimmten Zunft vorhanden sind, werden vernachlässigt. Generell gilt es dabei, den Unterschied zwischen Gesetz und Wirklichkeit zu beachten. Die Zunftordnungen schreiben den Regelfall, einen Wunschzustand vor, der für alle Individuen gelten sollte. Ob diese Regelungen dann wirklich so ausgeführt worden sind, kann selten verifiziert werden. Zudem gibt es immer wieder dokumentierte Einzelfälle, die Ausnahmen von der Regel bestätigen. 1. Quellen zur Geschichte des Lehrlingswesens Aus der sogenannten „Früh- und Blütezeit“ des zünftigen Handwerks im Mittelalter ist nur wenig überliefert, und die Rolle der Lehrlinge liegt weitgehend im Dunkeln. Daher sind der Geschichtswissenschaft auch kaum exakte Aussagen, sondern vielfach nur Rückschlüsse und indirekte Vermutungen möglich. Denn Sachverhalte, die Gesetz und Brauch waren, und über die allgemeiner Konsens herrschte, waren kein Anlass für öffentliche Diskussionen und bedurften auch keiner schriftlichen Regelung. Erst seit der 1 H. Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien. Von den Anfängen bis zur Erteilung der Gewerbefreiheit im Jahre 1859, Wien 1949, S. 153–157. 138 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Mitte des 15. Jahrhunderts, erschienen Zunftvorschriften in diesen Bereichen notwendig, einerseits wegen der zunehmenden Schriftlichkeit und dem wachsenden Kodifizierungsbedürfnis der Gesellschaft, andererseits weil durch wirtschaftliche Entwicklungen das Verhältnis zwischen Meister, Gesellen und Lehrling zunehmend schwieriger wurde.2 Zur Erforschung der Lehrlingsgeschichte können verschiedene Quellen verwendet werden, von denen zwei hier kurz erwähnt werden: Die wohl wichtigste Quellengattung sind die Zunftakten, welche Georg Emig, der einen genauen Überblick über die Quellenlandschaft gibt, als „Urkunden und andere Schriftstücke, die sich im Besitz einer Zunft befanden und gewöhnlich in der Zunftlade aufbewahrt wurden“3 definiert. Diese Zunftakten bestehen vor allem aus den sogenannten Zunftbriefen oder Zunftartikeln, den Statuten einer Zunft. Sie enthalten genaue Informationen über die Aufnahmebedingungen, die Probezeit, die Kosten der Aufdingung, die Dauer der Lehre, die Höhe des Lehrgeldes oder die Kosten der Freisprechung. Allerdings werden keine Aussagen über das Zeremoniell der Aufdingung und der Freisprechung, über die Unterweisung des Lehrlings, seine Arbeitszeit und seinen Lohn, sowie Verhaltensvorschriften gemacht. Dennoch gab es mit Sicherheit auch dazu verbindliche Regelungen. Da diese Punkte aber meist selbstverständlichen, althergebrachten Traditionen unterlagen, brauchten sie keine schriftliche Fixierung. Das Problem der Zunftbriefe ist ihr Soll-Charakter. Die Zünfte konnten diese Bestimmungen teilweise oder gar nicht beachten. Die Realität spiegeln sie nicht wider.4 Einen Teilbereich der Zunftakten bilden die Zunftbücher. Während kleinere Zünfte meistens nur ein Buch führten, hatten größere ein eigenes Meister-, Lehrlings-, Protokoll-, Rechnungs-, oder auch Gesellenbuch. Da in den Zunftbüchern verschiedene Geschehnisse und Tatbestände nachträglich aufgezeichnet wurden, stellen sie keine Soll-Texte dar. Sie zeigen daher, ob und wie weit die Zunftordnungen beachtet wurden und liefern Angaben über Tatbestände, für die in Zunftbriefen keine Regelungen vorgesehen sind.5 Zweitens soll noch die Gruppe der Briefe genannt werden, einerseits die, welche die Zunft erhielt und andererseits Kopien jener Briefe, die sie verschickte. Solche Briefe sind zumeist Korrespondenzen der Meister mit den Behörden in Form von Bittschriften 2 Albrecht Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen im städtischen Handwerk in Westdeutschland bis 1800, Köln 1938, S. 2–5; Odilo Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten vom Mittelalter bis 1850. I. Von der Aufdingung bis zur Erlangung der Meisterwürde (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 20), Graz 1962, S. 13. 3 Zit. nach Georg Emig, Die Berufserziehung bei den Handwerkerzünften in der Landgrafschaft HessenDarmstadt und im Großherzogtum Hessen vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zur Einführung der Gewerbefreiheit 1866, Frankfurt am Main 1969, S. 39. 4 Emig, Berufserziehung, S. 38–42. 5 Ebd. historia.scribere 4 (2012) 139 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk oder Erteilung von Auskünften. Schreiben an die Zünfte enthalten hingegen hauptsächlich Zurechtweisungen über Zustände und Praktiken, die nicht mit der öffentlichen Ordnung vereinbar sind. Sie lassen Missstände erkennen, die sonst nirgends Erwähnung finden.6 2. Entstehung des Lehrlingswesens Der Entstehungszeitpunkt eines geordneten Lehrlingswesens lässt sich nicht genau definieren. Die Forschung setzt das erste Auftreten einer geregelten Lehre in der Mitte des 15. Jahrhunderts fest, denn davor finden sich in den Zunftordnungen diesbezüglich kaum Erwähnungen. Einzelne Urkundenbeispiele stammen zwar bereits aus dem 12. und 13. Jahrhundert, aber erst die Ordnungen aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts enthalten tiefergehende Regelungen zum Ausbildungshergang.7 Zu Beginn des städtischen Handwerks existierte die klassische Dreiteilung der Handwerkerlaufbahn noch nicht. Wer ein Handwerk offensichtlich beherrschte, war zu dessen Ausübung auch zugelassen. Mit der Zeit entstanden in den einzelnen Gewerben aber Traditionen, in die der Lehrling erst eingeführt werden musste. Zudem sollte die Qualität der Ware keinen Schwankungen mehr unterliegen, denn die Kunden wurden anspruchsvoller. Drittens wollte sich die Zunft zunehmend gegenüber niedrigeren Schichten abschotten.8 3. Allgemeine Voraussetzungen für die Aufnahme Im Mittelalter endete die große Expansionsphase des Handwerks. Die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten sich, und die Zugangsvoraussetzungen wurden daraufhin verschärft. Die Erlangung einer Arbeitserlaubnis wurde nun zunehmend von den zünftigen Interessensverbänden geregelt und beschränkt. Auch die Aufnahme eines Lehrlings unterlag immer genaueren Bedingungen. Nun reichten nicht mehr nur 6 Ebd. Kurt Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein. Ihre soziale Lage und ihre Organisation vom 14. bis ins 17. Jahrhundert (Studien zur Frankfurter Geschichte 18), Frankfurt am Main 1985, S. 51 f.; Harald Uhl, Handwerk und Zünfte in Eferding. Materialien zum grundherrschaftlichen Zunfttypus (Fontes rerum Austriacum. Österreichische Geschichtsquellen. Dritte Abteilung, Fontes Iuris Band 3), Wien 1973, S. 83 ff. 8 Gerhard Danninger, Das Linzer Handwerk und Gewerbe vom Verfall der Zunfthoheit über die Gewerbefreiheit bis zum Innungszwang (Linzer Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 4), Linz 1981, S. 23 ff., 78; Odilo Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert (Kleine Schriften für Geschichte und Volkskunde der innerösterreichischen Alpenländer 1), Graz 1958, S. 8 f.; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 50. 7 140 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Eignung und Neigung, sondern auch der soziale und finanzielle Status des Anwärters, sowie politische, wirtschaftliche und religiöse Faktoren wurden wichtig.9 Hauptsächliches Ziel dieser über die Jahrhunderte zunehmend strenger werdenden Kontrolle der Lehrlingsaufnahme war wohl nicht die Sorge vor einer drohenden Überfüllung des Handwerks, wie die Zünfte selbst oft angaben, sondern die Erhaltung der Ehrbarkeit, denn die Angst vor dem Verruf, der im Mittelalter den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Tod bedeutete, war groß. Die Zunft sah sich als Trägerin alter Traditionen und als Bewahrerin der sittlichen Ordnung. Die Nachwuchsauslese und Abgrenzung gegenüber niedrigeren sozialen Schichten sollten das Ansehen der Zunft wahren und die beruflichen Leistungen auf einem hohen Niveau halten.10 Laut Kurt Wesoly trug auch „das Erreichen der Grenze des Nahrungsspielraumes“ zur Abschottung bei.11 3.1 Anforderungen ideeller Art Seit Beginn der schriftlichen Handwerksordnungen wurde so gut wie immer eine eheliche, ehrliche und freie Geburt verlangt, die der Zunftmeister im Vorfeld der Aufdingung genauestens zu überprüfen hatte. Bei Nichtbeachtung dieser Bedingungen drohten den Lehrmeistern hohe Geldstrafen. Erste Spuren solcher Anforderungen lassen sich im Mittelrheinischen Raum bis in das 13 Jahrhundert zurückverfolgen, im österreichischen Raum treten sie ab der Mitte des 15. Jahrhunderts auf.12 3.1.1 Die ehrliche Geburt Die erste und zu Beginn einzige Bedingung war die der ehrlichen Geburt. Somit wurde Angehörigen verschiedener Berufe, die als unehrlich galten, sowie deren Nachkommen eine Aufnahme in die Zunft verwehrt: Unehrlich waren Berufe, die im weitesten Sinne mit toten Materialien bzw. Lebewesen oder mit Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen wie Leder, Häuten oder Wolle in Kontakt kamen, so z. B. Abdecker, Schinder, Scharfrichter, Gerichtsdiener, Fronvogt und Stadtbüttel, Bader und Prostituierte. Aber auch vermeintlich anerkannte Berufe wie Schäfer, Leinweber, Müller, Zimmermann, Gerber, Zöllner, Pfeifer und Trompeter waren in bestimmten Gebieten und zu früheren Zeiten unehrlich. Erst der Erlass des Reichstages von Augsburg 1548 machte diese Berufsgruppen ehrlich. Ebenfalls unehrlich waren Angehörige bestimmter „Fremdvölker“ wie Juden, „Zigeuner“, Türken, sowie die Fahrenden, deren Herkunft 9 Gustav Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, St. Pölten/Wien, 1989, S. 44; Konrad Gatz, Das alte deutsche Handwerk, Essen 1934, S. 69 f.; Heinz Moser, Die Steinmetz- und Maurerzunft in Innsbruck von der Mitte des 15. bis zu Mitte des 18. Jahrhunderts, Diss. Innsbruck 1973, S. 134. 10 Ebd. 11 Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 56–62. 12 Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 56–62; Emig, Berufserziehung, S. 144– 148. historia.scribere 4 (2012) 141 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk meist unbekannt war. Zu Beginn galten aber auch Unfreie und Leibeigene von Geburt an als unehrlich und waren daher von einer Lehre ausgeschlossen. In manchen Ordnungen findet sich auch ausdrücklich die Bedingung einer freien Geburt.13 Die Ehrlichkeit konnte man auch verlieren, z. B. durch den Umgang mit unehrlichen Personen und Störern, durch das Töten von Tieren oder den Kontakt mit toten Materialien. Auch Zunftmitgliedern drohte der Verlust der Ehrlichkeit, wenn sie ein Verbrechen oder einen Verstoß gegen die Zunftordnung begangen hatten, oder ein Mitglied ihrer Familie öffentlich eines Verbrechens beschuldigt worden war.14 Diese Bedingungen wurden zunehmend verschärft, bisweilen wurde die Ehrlichkeit bis zu vier Generationen zurückverfolgt, sodass im 18. Jahrhundert verschiedene obrigkeitliche Verordnungen gegen die allzu strengen Ehrlichkeitsanforderungen einschritten.15 3.1.2 Die eheliche Geburt Ebenso erforderlich war ab dem 14. Jahrhundert die eheliche Geburt. Der Bewerber musste also von frommen, verheirateten Eltern in ordentlicher Ehe gezeugt worden und in intakten Familienverhältnissen aufgewachsen sein. Auch zu früh geborene Kinder wurden trotz gegenteiliger Ansicht der Kirche bis weit in die Neuzeit hinein nicht zugelassen.16 Die eheliche wurde zusammen mit der ehrlichen Geburt in der Regel durch einen Geburtsbrief nachgewiesen, welcher vom Richter, der Stadtverwaltung oder der Grundherrschaft ausgestellt sein konnte. Konnte dieses Dokument nicht aufgebracht werden, waren mehrere angesehene Handwerker als Zeugen nötig. Anfangs sollte diese Klausel vor allem die Ehrbarkeit der Zunft gewährleisten, doch schon bald wurde auch sie als Mittel der Zugangsbeschränkung missbraucht. Bereits Kaiser Friedrich III. versuchte 1484 bei den Zimmerleuten von Graz diese Bedingung abzuschaffen, doch er scheiterte ebenso wie Erzherzog Ferdinand I. im Jahre 1527.17 Zwei kaiserliche Privilegien schufen 1671 die Möglichkeit, unehelich Geborene mittels eines Legitimationsbriefes durch den berechtigten Pfalzgrafen zu vollen Rechten zu bringen. Auch mit einer päpstlichen, bischöflichen, kaiserlichen oder landesfürstlichen 13 Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 153–157; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 44; Gatz, Das alte deutsche Handwerk, S. 69 f. 14 Josef Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister. Im alten Schneiderhandwerk Oberösterreichs (Vom Mittelalter bis zur Gewerbeordnung 1859) (Linzer Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 10), Linz 1984, S. 16–20; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 12. 15 Josef Schwarzlmüller, Die Berufslaufbahn Lehrling – Geselle – Meister in den Handwerkszünften Oberösterreichs (Dissertationen der Johannes Kepler-Universität Linz 15), Wien 1979, S. 9–13. 16 Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 56–62. 17 Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 11. 142 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Dispens konnte man theoretisch diese Bedingung umgehen. Doch solche Ausnahmen und Sonderbehandlungen wurden nicht gerne gesehen und oft in der Praxis nicht anerkannt.18 1732 wurden durch die Generalhandwerksordnung von 1732 (im Folgenden GHWO genannt) mit einigen Ausnahmen unehrliche und uneheliche Kinder theoretisch gleichgestellt. Die volle Gleichstellung aller erfolgte definitiv aber erst 1785 mit dem Patent Kaiser Josephs II., laut dem ein Geburtsbrief nicht mehr für eine Aufdingung erforderlich war.19 3.1.3 Das Alter der Lehrlinge Zum Alter bei der Aufdingung finden sich in der Literatur unterschiedliche Angaben. Daher ist eine allgemeine Aussage unmöglich. Genaue Altersvorgaben scheinen in den Ordnungen äußerst selten auf, die Entscheidung war wohl dem Meister überlassen. Auch Aufdingbücher, Christenlehr- und andere Schulzeugnisse liefern nur wenige Informationen.20 Das Mindestalter lag zwischen zwölf und vierzehn Jahren. Bei größerem Kraftaufwand (wie bei Maurern, Zimmerleuten, Goldschlägern oder Brauern) oder bei besonderen Erfordernissen an Bildung und geistiger Reife waren die Lehrlinge wohl nicht jünger als vierzehn oder sechzehn. Bei manchen Zünften, wie den Buchdrucken konnten sogar Erwachsene zugelassen werden, weil Kenntnisse in Lesen, Schreiben, Rechnen und Fremdsprachen hilfreich und sehr geschätzt waren. Der Grund für ein Mindestalter bei der Aufdingung war nicht der Jugendschutz, sondern ein wirtschaftlicher, da ein zu schwacher Lehrling eher hinderlich denn hilfreich war. Eine Ausnahme bildeten die Meistersöhne, bei denen kein Mindestalter galt. Den Meistern war es erlaubt, ihre Söhne bereits in der Wiege, also jederzeit aufzudingen und freizusagen.21 3.1.4 Nationale Nachweise, sowie Geschlecht der Lehrlinge Der Großteil der Lehrlinge waren Meistersöhne oder stammten aus dem Ort und der näheren Umgebung. Dennoch war vor allem in den südlichen Reichsteilen sowie in den östlichen Kolonisationsstädten, wo mehr Kontakt mit Fremden stattzufinden schien, die Zugehörigkeit zur „Teutschen Nation“ oder der deutschen Sprache notwendig. 18 Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 13–17; Moser, Steinmetz- und Maurerzunft in Innsbruck, S. 134; Gustav Otruba/J. A. Sagoschen, Gerberzünfte in Österreich. Organisation und Verbreitung, Recht und Brauchtum in sieben Jahrhunderten, Wien 1964, S. 49. 19 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 22 ff. 20 Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 153–157. 21 Uhl, Handwerk und Zünfte in Eferding, S. 85 ff.; Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 16 ff.; Reinhold Reith, Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk. Zur Sozialgeschichte Augsburger Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert (1700–1806) (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 14), Göttingen 1988, S. 101 f.; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 10. Emig, Berufserziehung, S. 149 f. historia.scribere 4 (2012) 143 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk „Wellschen“ oder Slawen blieb eine Lehre versagt. Bewiesen wurde dies ebenfalls durch den Geburtsschein.22 In den Anfängen des zünftigen Handwerks konnten wahrscheinlich auch Mädchen eine Lehre beginnen. Doch im 14. Jahrhundert tauchte in den Ordnungen, vermutlich wegen eines Überangebotes an Lehrlingen, die Beschränkung auf männliche Anwärter auf. Dennoch blieb die Mitarbeit von Frauen hoch.23 3.1.5 Die Schulbildung der Lehrlinge Anhand der Aufzeichnungen in den Zunftbüchern ist anzunehmen, dass die meisten Lehrlinge keine Schulbildung bzw. nur mangelhafte Schreibkenntnisse hatten. Gesicherte Auskünfte gibt es dazu aber nicht.24 Derartige Kenntnisse waren auch nicht verpflichtend, wurden jedoch sicher bevorzugt. Nur die Apotheker und Bader forderten bereits im 16. Jahrhundert Lateinkenntnisse und eine fundierte Allgemeinbildung.25 Ab 1759 war der Besuch der Katechese vorgeschrieben, welcher nach einer Prüfung beim Ortskatecheten durch ein sogenanntes Christenlehrzeugnis bestätigt wurde. 1776 wurde unter Kaiserin Maria Theresia durch die Allgemeine Schulordnung die Pflichtschule eingeführt. Es galt nun ein allgemeiner Schulzwang in Form von Wiederholungsunterricht, bestehend aus Christenlehre, Schreiben, Lesen und Rechnen. Kaiser Joseph II. richtete dazu Anfang des 19. Jahrhunderts die Sonn- und Feiertagsschulen nach dem Kirchgang ein. Von nun an war ein Pflichtschulzeugnis für einen Abschluss notwendig. 1816 wurde die Schulpflicht bis zum 15. Lebensjahr bzw. bis zum Ende der Lehre ausgedehnt. 1872 kamen schließlich die Gewerbeschulen, welche im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden waren, unter staatliche Leitung. Der erfolgreiche Besuch einer solchen Schule war von nun an Vorrausetzung für die neu eingeführte Gesellenprüfung.26 3.1.6 Religiöse Nachweise In Zeiten der Reformation bzw. Gegenreformation war auch die Religionszugehörigkeit entscheidend. Besonders in katholischen Gebieten finden sich in vielen Ordnungen Hinweise dazu. Der rechte Glaube wurde meist durch das Vorweisen eines Beichtzettels oder durch Augenzeugen, die eine aktive Glaubenspraxis bestätigen konnten, bewiesen. Wurde diese Bestimmung nicht eingehalten, drohten dem Meister hohe Geldstrafen, der betreffende Lehrling wurde als Störer verrufen. Doch auch während 22 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 15 f.; Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 13–17. Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 16–20; Gatz, Das alte deutsche Handwerk, S. 69 f. 24 Emig, Berufserziehung, S. 150 ff. 25 Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 44 f. 26 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 19 f.; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 49; Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–27, 33. 23 144 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo der Lehre war religiöse Erziehung sehr wichtig. Ab dem 19. Jahrhundert bis zur Gewerbeordnung von 1859 mussten in manchen Zünften die Lehrlinge auch während ihrer Ausbildung einen Christenlehrgang besuchen, dessen Abschlusszeugnis dann für die Freisprechung verlangt wurde. Zudem hatten sie selbstverständlich die Pflicht, an Prozessionen, Sonntagsmessen und Begräbnissen teilzunehmen.27 3.1.7 Anforderungen an den Meister Auch seitens des künftigen Lehrmeisters mussten einige Bedingungen erfüllt werden. Die eigenen Söhne der Meister waren hiervon wiederum nicht betroffen. Eine Lehre war nur bei einem untadeligen, ehrlichen und zünftigen Meister mit einem stets vorbildhaften, redlichen Verhalten gültig, der zudem keine ausständigen Zahlungen bei der Zunftkasse zu tilgen hatte. Weiters musste er einen ehelichen, gut funktionierenden Haushalt besitzen, um eine angemessene Versorgung des Lehrlings gewährleisten zu können. Traf etwas davon auch ohne Wissen des Lehrlings nicht zu, konnte er die Ehrlichkeit verlieren und seine Ausbildung auch nachträglich für ungültig erklärt werden.28 Weiters konnte durch Auferlegung von Wartezeiten und Stillstandregelungen an die Meister der Arbeitsmarkt gezielt von den Zünften gesteuert werden, da das Arbeitskräfteangebot und der Umfang des Handwerks vom Ausmaß der Lehrlingsrekrutierung abhingen. In den meisten Zünften war aus diesem Grund bereits ab dem 14. Jahrhundert nur ein Lehrling pro Meister erlaubt, in seltenen Fällen zwei. Ausnahmen bildeten diesbezüglich nur die Maurer, Steinmetzen und Zimmerleute, bei denen die Zahl der Lehrlinge von der Auftragslage abhing. Ursprünglich sollte diese Regelung eine möglichst individuelle und sorgfältige Erziehung eines jeden Jungen garantieren, doch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verkam sie zunehmend zu einer Zugangsbeschränkung. Erst Kaiser Joseph II. hob diese Beschränkung auf und erlaubte eine unbeschränkte Zahl von Lehrlingen pro Meister.29 Manche Zünfte schrieben nach der Freisagung eines Lehrlings dem Meister auch eine Wartezeit von bis zu zwei, bei geringem Lehrlingsbedarf bis zu acht Jahren vor, bevor er einen neuen Lehrling aufnehmen durfte. Andere Ordnungen waren diesbezüglich jedoch weniger streng und erlaubten, bereits bis zu einem Jahr bevor der Lehrling freigesprochen wurde, einen weiteren aufzudingen. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden diese Wartezeiten allgemein verlängert, manchmal sogar bis hin zu einer 27 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 16–20; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 12. 28 Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 47. 29 Emig, Berufserziehung, S. 172–175; Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 167 f. historia.scribere 4 (2012) 145 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk völligen Aufnahmesperre. In vielen Ordnungen mussten junge Meister eine Wartezeit von bis zu drei Jahren einhalten, bevor sie ihren ersten Lehrling aufdingen durften.30 Derartige Einschränkungen dienten vor allem der Gerechtigkeit. Ein reicher Meister sollte sich nicht mehr arbeitende Lehrlinge leisten können als ein ärmerer. Genau aus diesem Grund aber setzten sich viele über diese Regelungen hinweg, denn Lehrlinge garantierten aufgrund ihrer billigen Arbeitskraft Einkommen und Prestige.31 3.2 Anforderungen materieller Art 3.2.1 Die Bürgen des Lehrlings und das Bürgschaftsgeld Zur Aufdingung brauchte es zwei Bürgen oder auch Gerhaben, die für den Lehrling einstanden und das Bürgschaftsgeld von ca. 32 Gulden stellten. Sie mussten ehrbare Männer sein, wenn möglich Handwerksmeister aus der eigenen oder einer anderen ansässigen Zunft und natürlich ausreichend bemittelt. Der hohe Geldbetrag sollte den Lehrling an den Meister binden. Weiters diente er auch als Kaution bei Veruntreuung durch den Lehrling oder möglichen Schäden in Haus oder Werkstatt. Brach der Lehrling die Ausbildung ab, erhielt der Meister das Geld als Entschädigung für die vergebene Mühe und die entgangene Leistung. Die Aufgabe der Bürgen bestand aber auch darin, für das richtige Verhalten des Lehrlings zu sorgen, gegen Völlerei, Üppigkeit, Faulheit, Liederlichkeit, Übermut und Unzucht vorzugehen und ihn, wenn nötig zu strafen und zu maßregeln. Wenn der Junge entlief, mussten die Bürgen den Entlaufenen suchen und zurückbringen. Herrschte Streit, hatten sie die Sache zu prüfen und die Schuldfrage zu klären. Andererseits vertraten sie aber auch die Rechte des Lehrlings und hatten ihn vor einem allzu strengen Meister sowie vor zu starker Züchtigung und anderen Missständen zu bewahren, indem sie der Zunft Meldung erstatteten. Durch die GHWO traten 1732 einige Erleichterungen in Kraft. So mussten die Bürgen den Betrag nicht mehr vorstrecken, sondern nur mehr garantieren. Auch bestand bei Armut nun die Möglichkeit, die Summe zu verringern oder ganz zu erlassen.32 30 Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen, S. 25; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 14 f.; Emig, Berufserziehung, S. 98–143; Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 41–47. 31 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 16–20; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 48; Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 19 f.; Reith, Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk, S. 102 ff., 173 f. 32 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 27 ff.; Otruba/Sagoschen, Gerberzünfte in Österreich, S. 48; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 13 f. 146 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo 3.2.2 Das Lehrgeld Die Zahlung von Lehrgeld, jener Gebühr, die der Lehrling dem Meister für die Unterweisung im Handwerk entrichten musste, ist ab dem 16. Jahrhundert in den Ordnungen belegt. Sie dürfte aber in manchen Fällen schon vorher existiert haben.33 Ursprünglich war es vermutlich als Ausgleich für Verköstigung, Unterkunft und guten Unterricht durch den Meister gedacht. Mit der Zeit entwickelte es sich aber immer mehr zu einer Zugangsbeschränkung, einer ökonomischen und sozialen Barriere, die ärmere Schichten ausschloss oder benachteiligte. Denn je mehr Lehrgeld ein Junge zahlen konnte, desto eher kam er zu einem hochqualifizierten Meister. Herrschte in einem Gewerbe allerdings Lehrlingsmangel, war das Lehrgeld meist bedeutend geringer oder wurde sogar abgeschafft.34 Die genaue Höhe des Lehrgeldes scheint in den Ordnungen nur selten auf, manche geben Richtwerte vor, andere nennen überhaupt keine Beträge. Denn üblicherweise einigten sich Meister und Eltern darüber in einem privaten, meist mündlichen Lehrvertrag. Daher gibt es viele Unterschiede und Verallgemeinerungen sind nur schwer möglich. In manchen Ordnungen hing die Höhe des Lehrgeldes von der Geschicklichkeit und der Körperkraft des Lehrlings, sowie von seinem Beitrag zum Verdienst der Werkstatt ab. Wenn ein höheres Lehrgeld bezahlt wurde, konnte sich die Lehrzeit verkürzen. Konnte hingegen keines bezahlt werden, musste der Lehrling bis zu einem Jahr länger lernen. Nicht nur die Familie hatte dadurch Vorteile, auch der Meister. Er hatte danach für mindestens ein Jahr eine kostenlose, voll ausgebildete Arbeitskraft zur Verfügung. Dennoch waren Lehren ohne Lehrgeld sehr selten, und betrafen wohl nur die engere Bekanntschaft oder Verwandtschaft.35 Auch der Meisterin stand laut manchen Ordnungen ein „ehrbares Trinkgeld“ zu, ein symbolischer Betrag für ihre Mühen und ihre Fürsorge. Zudem musste der Lehrling meist sein eigenes Bettzeug und Nachtgewand mitbringen, welches dann im Besitz des Hauses verblieb.36 Der Zeitpunkt und die Zahlungsweise des Lehrgeldes wurden ebenfalls meist im Lehrvertrag geregelt, daher finden sich in den Ordnungen kaum Hinweise darauf. Meistens aber wurde die erste Hälfte bei der Aufdingung bezahlt, die andere nach Ablauf der 33 Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S 64–71. Emig, Berufserziehung, S. 179 ff. 35 Haberleitner, Handwerk Steiermark und Kärnten, S. 21–27; Reith, Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk, S. 104 f. 36 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 29–32; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 76 ff.; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 12 f. 34 historia.scribere 4 (2012) 147 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk halben Lehrzeit, oder bei der Freisprechung. Auch Ratenzahlungen von einer bis drei Raten waren möglich.37 3.3 Die Probezeit Die Probezeit diente dazu, die Neigung und Eignung des Bewerbers festzustellen. Innerhalb dieser Zeit konnten beide Seiten ohne Angabe von Gründen das Verhältnis kündigen. Erste Erwähnungen in den Zunftordnungen stammen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, zur Regel wird sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.38 Ihre Dauer betrug meistens etwa vierzehn Tage, konnte aber in seltenen Fällen auch bis zu einem halben Jahr dauern. Ob die Probezeit auf die Lehrzeit angerechnet wurde, war unterschiedlich. Doch in den meisten Zünften, besonders in jenen, die nur eine kurze Probezeit verlangten, wurde sie weder vergütet noch angerechnet. Lange Probezeiten waren allerdings nicht gerne gesehen, da die Lehrlinge sich dabei bereits zu viele Kenntnisse aneignen und sie dann als Störer verwenden konnten. Hielt ein Meister einen Jungen daher länger auf Probe als vorgesehen, konnte er bestraft werden. Wurde der Bewerber für untauglich befunden, musste es der Meister der Zunft melden, sonst waren alle Hürden zur Erlernung des Handwerks gemeistert.39 3.4 Die Aufdingung des Lehrlings Die Aufdingung war der feierliche Akt zur Aufnahme in die Zunft. Denn nicht der Meister nahm einen Lehrling auf, sondern die Zunft als Kollektiv. Sie entschied, den Jungen in ihre Mitte aufzunehmen und ihn einem Lehrmeister ihrer Wahl zur Ausbildung zu übergeben. Die frühestens Zeugnisse in den Zunftartikeln darüber stammen aus dem 15. Jahrhundert.40 3.4.1 Zeit und Ort der Feierlichkeiten In kleineren Zünften wurde die Aufdingung meist bei Gelegenheit durchgeführt und in vielen Ordnungen ist daher auch kein Ort und Tag festgelegt. Manche Zünfte schrieben aber eigens dazu ausersehene Tage vor. Besonders beliebt waren hierzu die Namenstage der Zunftpatrone oder anderer wichtiger Heiliger, wie der Johannes- oder Michaelstag, weiters hohe Festtage, wie Ostern und Weihnachten, oder die 37 Hellmut Gutzwiller, Das Handwerks-Lehrlingswesen in Freiburg i. Ue. Im Ausgang des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts, in: Freiburger Geschichtsblätter, 1955/1956, S. 14–34, hier S. 26 f.; Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 26–32. 38 Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 153–157. 39 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 20 ff.; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 44; Haberleitner, Handwerk Steiermark und Kärnten, S. 13–17; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 72–76; Otruba/Sagoschen, Gerberzünfte in Österreich, S. 49; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 10; Emig, Berufserziehung, S. 166 f. 40 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 22 ff.; Gatz, Das alte deutsche Handwerk, S. 71. 148 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Jahresvollversammlungen an den sogenannten Quatembertagen, an welchen die Zunft zusammenkam, um über wichtige Dinge zu beraten. Der Ort der Aufdingung war anfangs das Haus des Lehrmeisters, ab dem 17. Jahrhundert meist die Herberge oder der Aufbewahrungsort der Zunftlade. Für einige Zünfte war eine Aufdingung nur vor dem versammelten Handwerk rechtskräftig, andere schrieben neben dem Zunft- und Lehrmeister nur wenige Meister als Zeugen vor.41 3.4.2 Ablauf der Aufdingung Die Aufdingung wurde sehr festlich begangen und im Laufe der Zeit zunehmend ritualhafter. Zu Beginn der Zeremonie wurde durch Zeugnisse der Bürgen und der Frage an die Versammelten, ob jemand etwas gegen den Bewerber einzuwenden habe, die Eignung des Bewerbers festgestellt. Der Geburtsbrief sowie andere Bescheinigungen wurden vorgelegt und dann in der Zunftlade aufbewahrt. Anschließend musste der Junge bei geöffneter Zunftlade feierlich geloben, die Lehre treulich und ordnungsgemäß zu vollenden, nicht zu entlaufen, die Zunftordnung einzuhalten und die Geheimnisse der Werkstatt nicht zu verraten. Auch dem Stören musste er abschwören. Die erfolgte Aufdingung wurde in das Zunftbuch eingetragen. Vor allem bei größeren Zünften entstanden dazu im 17. Jahrhundert eigene Aufdingbücher oder Lehrverzeichnisse. Dort wurden der Vor- und Nachname des Lehrlings, sein Geburtsort, der Name seines Vaters oder beider Eltern, der Tag der Aufdingung, die vereinbarte Lehrzeit, die Namen der Bürgen und des künftigen Lehrmeisters, sowie die Höhe der Aufdinggebühr vermerkt. Das Alter des Jungen, weitere Vereinbarungen über Kaution, Bürgen, Unterkunft, Kost, Kleidung und Lohn wurden nur selten festgehalten. Der protokollführende Zunftmeister und die Zeugen unterschrieben den Eintrag, seltener auch der Vater des Jungen und der Lehrmeister. In diesen Verzeichnissen wurde auch die Freisprechung mit den Namen aller Beteiligten, der Höhe des Freisprechgeldes, sowie Anmerkungen zum Verhalten des Jungen während der Lehre verzeichnet, ebenso wie ein eventueller vorzeitiger Abbruch. Dadurch hatten die Zünfte eine Möglichkeit der Kontrolle und des Überblicks.42 41 Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 44 f.; Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 13–17; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 72–76; Emig, Berufserziehung, S. 167–171. 42 Otruba/Sagoschen, Gerberzünfte in Österreich, S. 48; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 9 f.; Emig, Berufserziehung, S. 168–172; Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 157– 163; Gutzwiller, Das Handwerks-Lehrlingswesen in Freiburg, S. 16. historia.scribere 4 (2012) 149 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk 3.4.3 Der Lehrvertrag Belege für einen schriftlichen Lehrvertrag gibt es nicht. Die Dauer der Lehrzeit, die Höhe des Lehrgeldes und der Zahlungsmodus, der Lohn des Lehrlings sowie seine Pflichten und Rechte, Sanktionen für den Fall des Entlaufens, oder das Vorgehen bei Todesfällen wurden mündlich zwischen Eltern und Meister vereinbart. Daher ist hierzu die Informationslage sehr dürftig. Wenn überhaupt, geben die Ordnungen nur Richtlinien in Form von Höchst- oder Mindestmaßen an oder verweisen auf den althergebrachten Brauch. Was innerhalb des Hauses passierte, fiel in die Kompetenz des Meisters. Zunft und Rat griffen erst dann ein, wenn Missstände offenkundig und untragbar wurden.43 3.4.4 Die Kosten der Aufdingung Die mit einer Aufdingung verbundenen Kosten waren, obgleich niedriger als die der Freisprechung, vielfältig und teilweise sehr hoch. Der Umfang und die Höhe waren in den verschiedenen Handwerken unterschiedlich und hingen auch stark von der Existenz von Modeberufen ab. Die Eltern waren daher oft kaum imstande, das Geld aufzubringen, denn nur in wenigen Zünften zahlte der Lehrmeister einen Teil mit. Meistersöhne waren von der Aufdinggebühr in den meisten Fällen ausgenommen. Bis zum Ende des Mittelalters war nur eine Wachsspende für die Kirche oder deren Geldwert üblich, doch im Laufe der Neuzeit wurden die Kosten und Gebühren immer umfangreicher, bis die Obrigkeit mäßigend einschreiten musste.44 Die sogenannte Aufdinggebühr machte den Großteil der Kosten aus. Während manche Zünfte durch ein hohes Aufdinggeld ärmere Schichten dezidiert ausschließen wollten, gaben sich andere etwas sozialer und differenzierten die Höhe nach der Bedürftigkeit des Lehrlings. Finanzschwächere Lehrlinge konnten anstatt zu zahlen länger in die Lehre gehen.45 Auch für die Eintragung in das Aufdingbuch und das Einkaufen in die Zunft konnten Gebühren eingehoben werden, sowie zusätzliche Abgaben an die Zunftbüchse in Form von Geld, Wachs oder Wein. Schließlich kamen noch Kosten für ein feierliches Aufdingmahl, zumindest aber für eine „Jause“ oder einen Umtrunk für die versammelte Gemeinschaft dazu.46 Darüber, ob diese Zahlungen nun gezielt den Zugang erschweren sollten oder nicht, ist sich die Literatur nicht einig. Kurt Wesoly nimmt z. B. an, dass die hohen Beiträge die Eltern sicher belastet, aber nicht den Zugang versperrt haben. Er sieht daher in den 43 Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 72–76; Emig, Berufserziehung, S. 167 f.; Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 22 ff. 44 Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 157–163. 45 Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 17 ff.; Gatz, Das alte deutsche Handwerk, S. 71. 46 Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 44 f.; Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 23–27; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 12 f. 150 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Zahlungen, die der Lehrling zu tätigen hatte, neben der Finanzierung der Zünfte vielmehr eine symbolische Bedeutung. Sie waren ein Zeichen dafür, dass der Lehrling nun ein Mitglied der Zunft wurde, und als ihr „Schutzgenosse“ auf Unterstützung hoffen durfte. Der Umtrunk im Anschluss und der gespendete Wein bestätigten laut Wesoly die Aufnahme in die Gemeinschaft der Zünftigen.47 4. Die Lehrzeit 4.1 Die Dauer der Lehrzeit Ende des 14. Jahrhunderts traten erste Regelungen dazu auf. Ab dem 16. Jahrhundert gab es nahezu überall eine geregelte Lehrzeitdauer, welche bis zum 18. Jahrhundert in fast allen Gewerben verlängert wurde. Wegen großer lokaler Abweichungen und Unterschiede zwischen den Handwerken lassen sich zudem kaum allgemeine Aussagen treffen.48 Die durchschnittliche und auch am häufigsten angegebene Dauer der Lehrzeit betrug drei Jahre, doch schwankten einzelne Ordnungen je nach erforderten Qualifikationen zwischen einem und sechs Jahren. Längere Lehrzeiten wiesen vor allem die spezialisierten Eisen- und Kunsthandwerke, wie Bildhauer oder Goldschmiede auf. Aber auch andere Faktoren konnten, je nach Zunft, Gegend und Zeit, die in den Zunftordnungen vorgegebene Dauer verkürzen oder verlängern, wenn nicht schon von vorneherein in den Regelwerken nur Richtwerte angegeben waren, denen sich eine ordnungsgemäße Lehre einzuordnen hatte. Bei Berufen, die körperliche Kraft abverlangten, wie den Wagnern oder Hufschmieden, war die Dauer der Lehre vom Eintrittsalter und der körperlichen Verfassung abhängig und konnte daher zwischen zwei und vier Jahre betragen.49 Generell war die Lehrzeit umso kürzer, je geringer die Aufwendungen des Meisters waren. Kamen für Kost, Unterkunft und Kleider die Eltern auf und wurde bei der Freisprechung auf das traditionelle Geschenk verzichtet, dauerte die Ausbildung weniger lang. Auch unterschiedliche Lehrgelder konnten eine Ausbildung entweder verlängern oder verkürzen. Im Allgemeinen lernte ein Junge ein Jahr länger, wenn er kein Lehrgeld zahlen konnte. Auch der Meister hatte in manchen Fällen Einfluss auf die Dauer der Lehrzeit. Er konnte die Lehre bei außerordentlichen Fähigkeiten, ausrei- 47 Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 62–64. Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–27; Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen, S. 9 f.; Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 33. 49 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 16 ff.; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 54 f. 48 historia.scribere 4 (2012) 151 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk chender körperlicher und geistiger Reife oder guter Führung abkürzen bzw. bei mangelhaften Kenntnissen auch verlängern.50 Die Meistersöhne hatten ebenfalls andere Lehrzeiten. In manchen Zünften mussten sie die volle Lehre absolvieren, in den meisten Fällen aber war ihre Lehrzeit um einiges kürzer oder entfiel ganz. Es genügte eine Meldung über den Einstieg des Sohnes in den Betrieb, da man eine Übergabe des Betriebes an den Sohn, sowie eine dementsprechende Ausbildung durch den Vater für selbstverständlich hielt. Erst die GHWO machte diesen und anderen Begünstigungen der Meistersöhne ein Ende.51 Die Dauer der Lehrzeit konnte auch zur Arbeitsmarktregulierung benutzt und dementsprechend angepasst werden, um eine weitere Expansion des Handwerks zu verhindern, oder ortsfremde Lehrlinge fernzuhalten. Diese Meinung vertritt Reinhold Reith und begründet damit die im 18. Jahrhundert häufig auftretenden Verlängerungen der Lehrzeit, sowie die verkürzte Lehrzeit für Ortsansässige.52 Gänzlich illegal war der Brauch des Abkaufens, des gezielten Verkürzens der Lehre um bis zu ein Jahr durch Geldzahlungen an den Meister, welcher dann aber trotzdem den Lehrbrief über die volle Zeit ausstellte. In auffallend vielen Ordnungen finden sich Artikel gegen diese offensichtlich nicht allzu seltene Unsitte, welche hohe Strafen, wie Sperrzeiten oder Ausschluss aus dem Handwerk für die käuflichen Meister vorsahen.53 4.2 Die Pflichten und Rechte des Lehrmeisters Der Lehrling zog mit dem Beginn der Lehre in das Haus des Meisters und begab sich damit in dessen väterliche Obhut. Im Idealfall wurde er somit ein vollwertiges Mitglied der Hausgemeinschaft und den Kindern des Meisters gleichgestellt. Eine Unterbringung und Verköstigung des Lehrlings im Haus des Meisters ist seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts üblich. Allerdings enthalten die Ordnungen nur wenig konkrete Angaben, denn es galt als selbstverständlich, dass der Junge „standesgemäß“ behandelt werden sollte. Nur selten finden sich daher Bestimmungen über die Form und die Qualität der Versorgung, z. B. wie viel Fleisch, Brot oder Wein einem Lehrling zustanden, welchem Geldwert eine ausreichende Verpflegung entsprechen, oder wie oft seine Wäsche gewechselt werden musste. Einige Autoren berichten in ihren Studien, dass auch die Einkleidung des Lehrlings Aufgabe des Meisters gewesen sei. Auch hier enthalten die 50 Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen, S. 10; Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 34–35; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 44 f.; Emig, Berufserziehung, S. 175–178. 51 Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–27; Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen, S. 18 f.; Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 35–41. 52 Reith, Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk, S. 101 f.; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 15 f.; Emig, Berufserziehung, S. 98–143. 53 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 32–37; Otruba/Sagoschen, Gerberzünfte in Österreich, S. 49; Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen, S. 16 f. 152 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo meisten Ordnungen nur den Hinweis, der Meister müsse den Jungen angemessen und sittsam kleiden. Nur wenige nennen die Kleidungsstücke bzw. ihren Geldwert, oder geben an, wie oft sie erneuert werden mussten.54 Eine weitere Aufgabe des Meisters als Hausvater war die sittliche und religiöse Erziehung des Lehrlings. Er musste ihn von Gotteslästerung, Völlerei und Unzucht abhalten, für ein angemessenes Verhalten gegenüber der Zunft sorgen und ihn zu einem guten Christen erziehen. Dies war besonders in der Zeit der Glaubenskämpfe wichtig. War dem nicht so, konnte der Lehrling entlassen und der Meister bestraft werden. Als Erziehungsberechtigter besaß der Meister auch das Züchtigungsrecht gegenüber dem Lehrling. Sollte der Lehrling während der Lehrzeit erkranken, musste der Meister für ihn sorgen. Starb er, war dieser verpflichtet, ihm ein Seelenamt singen zu lassen und Kerzen zu spenden.55 Die eigentliche Hauptaufgabe des Meisters aber war es, eine bestmögliche Ausbildung zu bieten. Jede Zunft legte darauf großen Wert, denn davon hing ihr Ansehen ab. Doch so mancher Meister kümmerte sich kaum um die Ausbildung, und missbrauchte seine Lehrlinge als billige Arbeitskräfte. So kam es, dass Lehrlinge oft neben Kinderhüten, Haus-, Feldarbeit und Botendiensten kaum eine handwerkliche Tätigkeit erlernen konnten. Auch Gewalt seitens des Meisters und der Gesellen, sowie Hunger, Kälte und Durst kamen immer wieder vor.56 In einem solchen Fall konnte der Lehrling zumindest theoretisch folgenden Rechtsweg beschreiten. In erster Instanz traten die beiden Bürgen, die Zeugen des Lehrvertrages und Schutzherren des Jungen als Schiedsgericht auf. Entweder sie oder der Lehrling selbst brachten das Problem in einem zweiten Schritt vor die Zunft. Diese konnte den Meister vorladen, sowie sein Erscheinen und seine Aussage im Notfall durch Beugestrafen erzwingen. Die dritte Instanz stellte das Stadtgericht dar, welches vor allem bei Gewalt angerufen wurde. Die Zünfte versuchten daher, durch zahlreiche Verordnungen die Pflichten des Meisters genau zu definieren, und mit verschiedenen Strafen Missbräuche zu vermeiden. Die GHWO verbot ausdrücklich übermäßige Gewalt und verfügte eine gründliche Ausbildung ohne übermäßige Schläge und knechtschaftliche Arbeiten.57 54 Gutzwiller, Das Handwerks-Lehrlingswesen in Freiburg, S. 18 ff.; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 47; Haberleitner, Handwerk Steiermark und Kärnten, S. 21–31; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 76 ff.; Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 163–167. 55 Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 21. 56 Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 79–82. 57 Uhl, Handwerk und Zünfte in Eferding, S. 88–91; Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 26– 32; Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–31. historia.scribere 4 (2012) 153 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk 4.3 Entlaufen Falls ein Meister seine Pflichten derart vernachlässigte, dass die Verhältnisse untragbar wurden, flüchteten viele Lehrlinge, weil sie die schlechte Verpflegung, die langen Arbeitszeiten, die handwerksfremden Tätigkeiten oder die menschenunwürdige Behandlung nicht mehr ertragen konnten und auch von den Bürgen keine Hilfe bekommen hatten. Das sogenannte „Entlaufen“ sowie entsprechende Regelungen und Maßnahmen kommen in den Zunftordnungen auffallend oft vor.58 Die Strafen dafür waren hoch, sowohl für den Lehrling, als auch für den Meister und die Bürgen. Die Hauptschuld trug natürlich der Lehrling selbst. Für ihn konnten die Konsequenzen je nach Zunftordnung bis zum Verruf führen. Dieser bedingte den totalen Ausschluss aus der Zunft, sodass kein anderer Meister den Jungen mehr aufnehmen durfte und er ohne rechtmäßigen Lehrbrief als Störer gebrandmarkt war. Weiters konnte die Lehre annulliert werden, wobei sie aber bei einem anderen Meister neu begonnen werden konnte. Manche Ordnungen verlangten nur Geldstrafen. Die Bürgen verloren ihre Kaution, die dem Meister als Schadensminderung zugesprochen wurde.59 Bei ersichtlicher Schuld des Meisters wurde der Lehrling einem anderen Meister zugewiesen und konnte dort seine Lehre ohne Verzögerung weiterführen. Fand sich kein freier Meister, wurde er dem jüngsten zugesprochen, der ihn neben seinem regulären Lehrling weiter ausbilden konnte. Der schuldige Meister musste die restliche verbliebene Lehrzeit des Entlaufenen abwarten, bevor er einen neuen aufnehmen konnte. Meister, denen bereits mehrmals ein Lehrling entlaufen war, wurden von der Ausbildung ausgeschlossen.60 4.4 Die beruflichen Pflichten des Lehrlings Während die Arbeitszeit eines Gesellen bis ins Kleinste geregelt war, wird eine geregelte Arbeitszeit für Lehrlinge nirgends erwähnt, denn die Zeit an der Werkbank galt als Selbstverständlichkeit. Der Meister konnte über die Zeit des Jungen frei verfügen, also entsprach die tägliche Arbeitszeit bis zum 19. Jahrhundert dem Sonnentag. Man arbeitete von Montag bis Freitag, im Winter von 5.00 bis 22.00 Uhr und im Sommer von 4.00 bis 21.00 Uhr. An Samstagen wurde am frühen Nachmittag die Arbeit niedergelegt, Sonn- und Feiertage waren frei. Bei Dringlichkeit konnte auch an diesen Tagen vor dem Hochamt noch einige Stunden gearbeitet werden. Im Mittelalter herrschte wegen der vielen Feiertage durchschnittlich eine Fünftagewoche. In der 58 Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 79. Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 17 ff. 60 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 35–41; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 44 f.; Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–27. 59 154 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Reformationszeit wurden die arbeitsfreien Tage auf die Hochfeste und die monatlichen Fasttage, an denen am Vormittag nicht gearbeitet werden durfte, beschränkt. Aber auch in den katholischen Gebieten gab es im Absolutismus Bestrebungen, die Zahl zu verringern. Daher herrschte im 18. Jahrhundert durchschnittlich eine Sechstagewoche.61 Der Lehrling war dazu verpflichtet, alle Arbeiten im Haus zu verrichten, die ihm aufgetragen wurden. Das bedeutete neben dem eigentlichen Handwerk auch das Aufräumen der Werkstatt und die Pflege der Geräte. Er musste morgens als erster in der Werkstatt alles vorbereiten und am Abend als letzter sauber machen, weiters das Licht und das Feuer hüten, den Gesellen Dienste erweisen, sowie im Haushalt und auf dem Feld mithelfen. Wenn er etwas verlor, kaputt machte, oder verwahrlosen ließ, musste er dafür aufkommen.62 4.5 Verhaltensnormen für Lehrlinge Ebenso selten wie Angaben zu den beruflichen Pflichten des Lehrlings sind Normen bezüglich seines Verhaltens. Dennoch kann angenommen werden, dass solche Regelungen durchaus existierten. Jedoch wurden sie nicht in den Ordnungen festgehalten, weil es selbstverständlich war, dass sich Lehrlinge allgemein bekannten Verhaltensregeln zu beugen hatten. Traten gewisse Unsitten häufiger auf, wurden sie allerdings in den Zunftartikeln geregelt.63 Bereits bei der Aufdingung musste der Lehrling vor der Zunft versprechen, sich an bestimmte Grundregeln zu halten, um sich selbst und vor allem der Zunft Ehre zu machen. Er gelobte unter anderem gottesfürchtig, ehrbar, ehrlich, züchtig, treu, fleißig und folgsam zu sein. Oft hatte er auch Liebe zum Handwerk sowie Streben nach Ehre und guten Kenntnissen zu versprechen.64 Die meisten Regeln erklärten sich aber aus dem Mitleben des Lehrlings in der Hausgemeinschaft. Hierbei übernahmen der Meister die Vater- und seine Frau die Mutterrolle. Sie waren neben der Ausbildung für eine gute Erziehung des Jungen verantwortlich. Ihnen allein hatte der Lehrling zu gehorchen. Außer Haus durfte er nicht über die Familie tratschen oder Gerüchte von der Straße nach Hause bringen. Er war dazu verpflichtet, Regelwidrigkeiten und Verstöße des Gesindes oder der Gesellen dem Meister umgehend zu melden. Ein Lehrling durfte das Haus auch an Feiertagen 61 Haberleitner, Handwerk Steiermark und Kärnten, S. 21–31; Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 37–40. 62 Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen, S. 37–40; Emig, Berufserziehung, S. 183 ff.; Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 49 ff.; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 22 f. 63 Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 163–167; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 24 f. 64 Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 22 f. historia.scribere 4 (2012) 155 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk ohne Erlaubnis nicht verlassen. Um ins Wirtshaus zu gehen, oder um sich mit jemandem zu treffen, brauchte er eine Erlaubnis der Meisterleute und musste zur verabredeten Zeit, spätestens aber bei Torschluss wieder im Haus sein. Ein Zuspätkommen oder Ausbleiben über Nacht konnte ihn den Lehrplatz kosten. Der Hausgemeinschaft sowie allen Menschen auf offener Straße gegenüber sollte er sich bescheiden und ordentlich verhalten, stets Respekt und Gehorsam zeigen und vor allen Geistlichen, hohen Damen und Herren, Handelsleuten, sowie ehrbaren Knechten und Gesellen, denen er begegnete, als erster den Hut ziehen.65 Darum durfte ein Lehrling auch nie ohne Hut und Mantel aus dem Haus gehen. In manchen Ordnungen finden sich sogar detaillierte Kleidervorschriften für Lehrlinge. Selbst Anzahl und Art der erlaubten Kleidungsstücke wurden dort genauestens festgehalten. Jeder Lehrling war verpflichtet, sich ehrbar und standesgemäß zu kleiden. Bescheidenheit und Ordentlichkeit waren dabei oberstes Gebot. Lange, verfilzte oder wirre Haare waren ebenso verboten wie ein untergeschlagener Mantel, Federn oder Sträuße auf dem Hut, Kleider aus Samt und Seide, Hemde aus wertvoller Leinwand, Ringe aus Gold oder Silber an den Fingern, Dolche und Degen an der Seite oder seidene Bänder unter den Knien oder in den Schuhen. Zudem sollte er auf offener Straße weder essen noch mit anderen Jungen schwätzen, trödeln, Tiere quälen oder in Pfützen springen, sondern sich immer eifrig und arbeitsam zeigen. Manche Zünfte verlangten auch, dass die Lehrlinge bei jedem Ausgang ein sichtbaren Zeichen des jeweiligen Handwerks trugen.66 Einem Lehrling war es weiters nicht erlaubt, seine Habseligkeiten und seinen Lohn, sofern er einen bezog, selbst zu verwahren und zu verwalten. Generell war jedes unanständige Verhalten und ungebührliches Gerede, wie Fluchen oder Gotteslästerlichkeiten, sowie Üppigkeit bei Essen, Trinken und Kleidung untersagt. Ebenso wurden der Genuss von Wein und Branntwein, sowie Karten-, Würfel- und Kegelspielen geahndet. Sexuelle Kontakte wurden besonders streng bestraft. Ein Lehrling durfte nur mit einem Mädchen tanzen, wenn er in Gegenwart der Meistersleute dazu aufgefordert worden war. Jeglicher Kontakt mit leichten Mädchen war verboten. Genauso war unzüchtiges Benehmen gegenüber weiblichen Kunden oder Frauen der Hausgemeinschaft untragbar. Zeugte er ein Kind, verlor er in den meisten Fällen seine Lehrstelle und die bereits absolvierte Ausbildung.67 Der Lehrling durfte seine religiösen Übungen nicht vernachlässigen, musste regelmäßig zur Messe und zur Beichte gehen, sowie die Sakramente empfangen. Besonders in der 65 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 32–37; Otruba/Sagoschen, Gerberzünfte in Österreich, S. 49; Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–31. 66 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 53. 67 Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–31; Otruba/Sagoschen, Gerberzünfte in Österreich, S. 50. 156 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Zeit der Gegenreformation konnte es fatale Folgen haben, in den Verdacht der Ketzerei zu geraten. Schließlich war auch noch ein anständiges Benehmen vor der Zunft von großer Wichtigkeit. Jeder Lehrling war verpflichtet, abwechselnd sonntags von zwölf bis eins „Dienst an der Lade“ zu leisten, das heißt nahende Zunftmitglieder beim Zunftmeister anzumelden.68 Kurzum, all diese Regelungen sollten dafür sorgen, dass das „Leben der Lehrlinge in gesitteten, Gott und dem Menschen wohlgefälligen Bahnen“ ablief und sie sich an die Ordnung des Handwerks und des Meisters hielten und ihre Werksarbeit fleißig verrichteten.69 Der Meister musste im Sinne des Lehrlings und der Zunft streng gegen alle Verfehlungen vorgehen. Bei Zuwiderhandeln konnten verschiedene Strafen verhängt werden. Leichtere Vergehen hatten meist Geldstrafen zugunsten der Zunftlade, bzw. zugunsten des geschädigten Lehrmeisters zur Folge. Auch das Bürgschaftsgeld konnte zur Tilgung des Schadens herangezogen werden. Eine Annullierung der Lehrzeit bzw. eine Verlängerung um mehrere Jahre bis hin zum Verlust der Lehrstelle waren ebenfalls möglich. Die strengste Strafe war der Verstoß aus der Zunft. Bei allzu groben Vergehen konnten auch die Obrigkeit, Bürgermeister oder Richter eingreifen, die dann Arrest, Fasten oder Stockschläge verhängten. Bei schweren Delikten durfte der Meister den Lehrling sofort entlassen, sonst musste er die Angelegenheit vor die Zunft bringen, die dann darüber entschied.70 4.6 Der Lohn des Lehrlings Abgesehen von Unterkunft und Kost erhielt ein Lehrling in den meisten Fällen auch einen kleinen Lohn. Die Höhe war je nach Zunft, Gegend und Arbeitsmarktverhältnissen sehr unterschiedlich, aber gemessen an den erbrachten Leistungen eines Lehrlings immer zu niedrig. Nur in wenigen Fällen wurde der Betrag in der Zunftordnung klar definiert. Weit häufiger wurden Höhe und Zahlungsweise vom Zechbzw. Lehrmeister im Zuge des mündlichen Lehrvertrages mit den Eltern festgelegt. Auch eine Erhöhung bei fortschreitender Lehre oder durch Mehrarbeit und besonderen Fleiß waren möglich. Nicht immer wurde der Lohn in Form eines fixen Geldbetrages ausbezahlt. Auch Sachleistungen, wie Kleidungsstücke, ein Stücklohn für gefertigte Produkte, oder ein Anteil am Erlös der Werkstatt bzw. am erwirtschafteten Trinkgeld waren üblich. Die gängige Form der Auszahlung war der Wochenlohn, möglich war aber auch ein Jahreslohn oder in seltenen Fällen die Auszahlung des gesamten Betrages am Ende der Lehre. Nur beim Baugewerbe wurde tageweise bezahlt. Von diesem 68 Ebd. Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 24 f. 70 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 51–54; Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen, S. 21, 43–46. 69 historia.scribere 4 (2012) 157 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk erarbeiteten Geld musste der Lehrling regelmäßig einen bestimmten Betrag für soziale Zwecke in die Zunftlade zahlen.71 4.7 Tod des Lehrmeisters während der Lehrzeit Starb der Lehrmeister während der Lehrzeit, so finden sich in fast allen Ordnungen auch Regelungen für die Weiterführung der Lehre. Normalerweise wurde der Lehrling einem anderen freien Meister, oder jenem mit dem dienstältesten Lehrling übergeben. Führte die Witwe den Betrieb weiter und hatte einen qualifizierten Gesellen im Haus, konnte der Lehrling bleiben. Frauen durften allerdings keine Freisprechung durchführen, daher musste der Lehrling mindestens einige Monate vorher zu einem anderen Meister wechseln und dort seine Lehre beenden. Besonders schlimm war ein solcher Todesfall für die Meistersöhne, die so all ihre Privilegien verloren und bei einem anderen Meister ganz normal in die Lehre gehen mussten. Aus diesem Grund wurden sie daher von ihren Vätern meist schon bei der Geburt aufgedingt und zugleich freigesprochen.72 5. Die Freisprechung Die Freisprechung, auch Freisagung, Ledigzählung oder Müßigsprechung genannt, war der feierliche Abschluss der Lehre vor geöffneter Zunftlade und vor mindestens einigen Meistern oder der ganzen Zunft als Zeugen. Die ersten Erwähnungen einer Freisprechung in den Zunftordnungen stammen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Wie die Aufdingung wurde sie entweder bei Gelegenheit oder an Kirchenfesten bzw. Jahresversammlungen vollzogen. Die Meistersöhne waren auch von dieser Regelung nicht betroffen und brauchten nur bei der Zunft gemeldet werden.73 Doch auch nach erfolgter Freisprechung war ein Lehrling noch nicht automatisch frei und konnte auf Wanderschaft gehen. Manche Ordnungen verlangten, dass der junge Geselle noch bis zu einem Jahr bei seinem Lehrmeister zu einem niedrigeren Lohn arbeitete. Zu den Gründen dafür gibt es verschiedene Ansätze: Entweder sollte der frischgebackene Geselle noch nicht den Gefahren der Wanderschaft ausgesetzt werden, oder die Meister wollten sich die billige Arbeitskraft noch eine Weile sichern. Möglicherweise musste der ehemalige Lehrling auf diese Weise dem Meister auch noch 71 Emig, Berufserziehung, S. 185 f.; Bruns, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen, S. 28 ff.; Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 37–40; Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–27; Reith, Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk, S. 104 f.; Gutzwiller, Das Handwerks-Lehrlingswesen in Freiburg, S. 14–34, hier S. 21 f. 72 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 32–37; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 47; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 78 f.; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 19. 73 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 58 f.; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 27–30. 158 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Unkosten abdienen, die diesem durch Schadensfälle oder Krankheit seitens des Lehrlings entstanden waren.74 5.1 Die Prüfung des Lehrlings Eine Prüfung der Lehrlinge durch die Zunft oder die Obrigkeit existierte vor dem 16. Jahrhundert nur äußerst selten. Auch die Belege für die Vorlage eines Werkstückes beschränken sich nur auf wenige Zünfte. Die strengen Aufnahmekriterien, die Probezeit und die Gewähr des Meisters garantierten für die Qualität. Vor allem der Meister bürgte mit seiner Ehre für die ausreichenden Kenntnisse seines Lehrlings. Gab er vor der Versammlung einen positiven Bericht über das Verhalten des Lehrlings ab, wurde dieser freigesprochen. Erst die Gewerbeordnung von 1859 führte eine verpflichtende Gesellenprüfung ein.75 5.2 Die Ausstellung des Lehrbriefes Der Lehrbrief war die Voraussetzung für eine lebenslange ehrliche Berufsausübung. Die Ausstellung eines Lehrbriefes, auch Kundschafts-, Freisprech- oder Gesellenbrief genannt, trat erstmals Anfang des 16. Jahrhunderts auf. Dennoch erfolgten bis weit in das 18. Jahrhundert hinein die meisten Freisprechungen ohne diese Bestätigung. Denn ein Lehrbrief war erst bei der Erlangung der Meisterwürde notwendig, bis dahin reichte zunächst die Eintragung in das Zunft- bzw. Freisagebuch aus. In vielen Fällen waren aber auch die Kosten für die Ausstellung zu hoch, sodass die Lehrlinge darauf verzichten mussten. Meistersöhne brauchten ohnehin keinen Lehrbrief, weil sie bereits bei der Geburt freigesprochen wurden. Mehrere Verordnungen anfangs des 19. Jahrhunderts versuchten daher, eine flächendeckende Ausstellung des Lehrbriefes zu verankern. Bis dahin erfolgte die Ausstellung meist nur auf Wunsch des Lehrlings. Das prachtvoll gestaltete Original verblieb meist in der Zunftlade, während auf die Wanderschaft eine Abschrift mitgenommen wurde. Am Anfang erfolgte die Ausstellung durch den Lehrmeister allein, erst ab dem 17. Jahrhundert musste ihn die Zunft als Kollektiv bewilligen. Er wurde mit der Unterschrift des Zunftmeisters und dem Zunftsiegel, sowie in manchen Fällen mit mehreren Zeugen beglaubigt.76 Lehrbriefe gaben keine Auskunft über erworbene Kenntnisse oder Fähigkeiten, sie berichteten nur über Ehrlichkeit, Redlichkeit und Wohlverhalten während der Lehre.77 74 Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten, S. 21–27, 34; Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 61–65. 75 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 41; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 82 ff.; Emig, Berufserziehung, S. 195 f. 76 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 41; Emig, Berufserziehung, S. 198 ff.; Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, S. 72–76. 77 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 65–73. historia.scribere 4 (2012) 159 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk 5.3 Die Kosten der Freisprechung Die Freisprechung war mit hohen Kosten verbunden. Meist mussten sie vom Lehrling allein bezahlt werden. Nur in Ausnahmefällen war der Meister dazu verpflichtet, einen bestimmten Anteil beizutragen. Die Zahlungen, welche nach Zeit, Zunft und Ort sehr unterschiedlich sein konnten, umfassten verschiedene Gebühren in die Zunftlade, wie das Freisage- oder Fordergeld und das Einschreibegeld für die Eintragung in das Zunftbuch, weiters das Schreib- und Siegelgeld an den Schreiber für die Ausstellung des Lehrbriefes, sowie Wachsspenden an die Kirche. Meistersöhnen wurden die Gebühren oft bis zur Hälfte erlassen.78 Zudem musste noch das Freisprechmahl gegeben werden, ein mitunter recht üppiges Essen für die Zech- und Beschaumeister, den Lehrherrn und dessen Familie sowie die übrigen Werkstattangehörigen. Je nach Brauch und Vorschrift konnte auch die gesamte Zunft daran beteiligt sein. Dazu kamen noch beträchtliche Mengen an Wein, denn auch den Gesellen bzw. Lehrlingen einer Zunft standen je nach Ordnung Weinspenden zu. 1779 wurden die teils sehr unterschiedlichen Gebühren, die bis dahin ständig angestiegen waren, unter Maria Theresia einheitlich geregelt und den umfangreichen Gelagen durch strenge Verordnungen ein Ende bereitet. Schließlich musste auch für den Eintritt in die Gesellenbruderschaft eine bestimmte Menge an Geld oder Wein der Gemeinschaft gespendet werden und die Eintragung in das Gesellenbuch kostete ein Einschreibegeld.79 Allerdings erhielten in manchen Zünften die Lehrlinge zu ihrer Freisprechung auch von ihrem Lehrmeister ein Lehrkleid, Gebrauchsgegenstände oder Werkzeug geschenkt. Mancherorts wurde der Lehrling sogar vollständig neu eingekleidet. Wenn der Lehrling es wünschte, konnte ihm in manchen Fällen auch der entsprechende Geldbetrag überreicht werden.80 5.4 Die Aufnahme in die Gesellenbruderschaft Durch die Freisprechung wurde aber ein Lehrling noch nicht zu einem Gesellen. Denn wo eine Gesellenbruderschaft bestand, musste er erst durch ein Zeremoniell dort aufgenommen werden. War ein Lehrling freigesprochen, aber noch nicht in der Gesellenbruderschaft aufgenommen, nahm er eine Zwischenstellung ein. Er wurde entweder Mittler oder Halbgeselle, Lohnjunge, Junger, Jünger oder Bursche, Bachant oder Cornutus genannt. Er durfte zwar arbeiten, war aber im Brauchtum einigen 78 Schwarzlmüller, Vom Lehrling zum Meister, S. 41; Otruba, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, S. 49. 79 Otruba/Sagoschen, Gerberzünfte in Österreich, S. 50; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 27–30. 80 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 65–73. 160 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo Einschränkungen unterworfen.81 Andererseits gibt es aber auch Belege, dass ein Lehrling bereits vor seiner Freisprechung Mitglied einer Bruderschaft sein konnte. Er war dann ein ungehobelter Geselle, der noch nicht das Aufnahmeritual des „Hobelns“ bzw. „Hänselns“ durchlaufen hatte.82 Alte Bräuche und Rituale kennzeichneten den Übergang vom Lehrling zum Gesellen. Die Aufnahme eines freigesprochenen Lehrlings in die Gemeinschaft der Gesellen wurde „Gesellenmachen“ oder „Gesellenweihe“ genannt, manchmal auch „Taufe“ oder „Entjungferung“. Üblich waren u. a das Begießen des Lehrlings mit Wein oder der symbolische Kauf eines Gesellennamens zusammen mit Sitz und Stimmrecht in der Gesellenvereinigung. Trotz der vielen Ausgestaltungen und Bezeichnungen des Gesellenmachens liegt den Bräuchen laut dem Volkskundler Georg Fischer eine einheitliche Struktur zugrunde, die er folgendermaßen beschreibt: Die Aufnahmezeremonie wurde von einem erfahrenen Gesellen, genannt „Pfaffe“, geleitet. Ihm standen der „Küster“ und der „Glöckner“ zur Seite. Der aufzunehmende Lehrling, welcher „Ziegenschurz“, „Kuhschwanz“ oder „Cornutus“ genannt wurde, wählte einen oder mehrere „Paten“. Sie sprachen für ihn und brachten seine Bitte um Aufnahme vor, weil er selbst im Kreise der Gesellen noch nicht handlungsfähig war. Wurde die Bitte in der geforderten Weise gestellt, und hatte niemand der Anwesenden etwas gegen den Lehrling einzuwenden, konnte er aufgenommen werden. Die eigentliche Aufnahme setzte sich in der Regel aus drei Teilen zusammen: Erstens wurde durch ein Zeremoniell angedeutet, dass der Junge die „Bubenschuhe vertreten“ habe und nun erwachsen sei. Er konnte z. B. zum ersten Mal rasiert werden, aber anstatt mit Seife und Messer mit einem Ziegel und einem Holzstück. Oder er durfte im Kreise der Gesellen erstmals zu Würfeln oder Karten, oder zu Alkohol und Tabak greifen. Im zweiten Schritt wurde dem nun Gleichberechtigten sein ehrlicher Name verliehen, mit dem er von nun an unter den Gesellen angesprochen werden sollte. Mancherorts durfte er ihn auch selbst aussuchen. Dabei kamen auch recht stattliche, wohlklingende Namen zustande. Wenn er von den anderen Gesellen verliehen wurde, fiel er etwas weniger freundlich aus. Auf diesen Namen wurde der Lehrling vom Pfaffen getauft. Bei einigen Handwerken erhielt der Getaufte auch ein Erkennungszeichen, das er auf der Wanderung als eine Art Ausweis dabei haben musste. Mit der Taufe war auch eine Belehrung über die Handwerks- und Gesellenbräuche verbunden. Sie erfolgte durch die „Predigt“, welche der Pfaffe hielt. Meistens enthielt sie eine derbe Schilderung der 81 Georg Fischer, Volk und Geschichte. Studien und Quellen zur Sozialgeschichte und historischen Volkskunde (Die Plassenburg. Schriften für die Heimatforschung und Kulturpflege in Ostfranken 17), Kulmbach 1962, S. 219; Emig, Berufserziehung, S. 200 f. 82 Zatschek, Handwerk und Gewerbe in Wien, S. 168. historia.scribere 4 (2012) 161 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk Wanderschaft und allerlei Ratschläge und Vorschriften, um sich vor Schaden und das Handwerk vor Unehre zu bewahren.83 Bei verschiedenen Handwerken war diese Predigt auch mit einer formelhaften Belehrung über Arbeitsbräuche und -techniken verbunden. Entweder konnte sie in Form einer Prüfung erfolgen, mit der man feststellte, ob der Lehrling auch genug gelernt und alles richtig verstanden hatte. Oder dem Lehrling wurde die Handhabung der verschiedenen Werkzeuge symbolisch am eigenen Leib vorgeführt. Für das „Hobeln“, „Schleifen“, usw. verwendete man aber nicht herkömmliche Geräte sondern eigens für diesen Gebrauch geschaffene, phantasievolle Gerätschaften. Mit der Zeit gingen der eigentliche Zweck und die wahre Bedeutung der Bräuche verloren. Zurück blieb eine willkommene Gelegenheit, ordentlich zu feiern und Unfug zu treiben.84 Wegen der starken Geheimhaltung und so mancher Ausartung wurden diese Feierlichkeiten von der Obrigkeit nicht gerne gesehen. Auch die GHWO versuchte derartige Aufnahmerituale in geordnete Bahnen zu lenken. Die Rede ist darin von lächerlichen, seltsamen, ärgerlichen und unehrbaren Praktiken, von Hobeln, Schleifen, Predigen, Taufen, eigenartige Kleider anziehen müssen, oder die Lehrlinge durch die Gassen jagen. Doch die Gesellen hielten an den alten Bräuchen bis zur Aufhebung der Zünfte fest. Nicht nach alter Tradition freigesprochene Lehrlinge bzw. in die Zunft aufgenommen Gesellen wurden weiterhin auf der Wanderschaft geschnitten. Daher konnte die Obrigkeit auch nur die Form und die Auswüchse der Bräuche regulieren, aber das Gesellenmachen nicht verbieten. Manche dieser Praktiken sind daher, wenn auch in abgemilderter Form, bis heute erhalten geblieben.85 Schluss Ein ordnungsgemäß freigesprochener Lehrling, der zu Beginn alle Voraussetzungen für eine Lehre erfüllen konnte, sich auch während seiner Ausbildung nichts zu Schulden hatte kommen lassen und sein Handwerk ordentlich und fleißig erlernt hatte, konnte nun als redlicher Geselle auf die Wanderschaft gehen. Neben einer erfolgreich und nach allen Regeln abgeschlossenen Lehre war auch die „Walz“, bei der die Kenntnisse und Fertigkeiten erweitert, sowie neue Erfahrungen gesammelt werden konnten, wichtige Voraussetzung für die spätere Erlangung der Meisterwürde. Dies konnte entweder durch eine Neugründung erfolgen, oder aber viel häufiger durch die Heirat mit einer Meisterswitwe oder -tochter.86 83 Fischer, Volk und Geschichte, S. 197–200. Ebd., S. 215–219. 85 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 61–65; Reith, Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk, S. 106; Haberleitner, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten, S. 27–30. 86 Schwarzlmüller, Berufslaufbahn, S. 73. 84 162 historia.scribere 4 (2012) Barbara Denicolo In der eben skizzierten Form könnte eine Lehre im zünftigen Handwerk vor Aufhebung der Zunftordnung abgelaufen sein. Dieser allgemein und überblicksartig gehaltene, idealtypische Verlauf einer Ausbildung entstand aus der Synthese und dem Vergleich der in der Einleitung genannten Abhandlungen über das Lehrlingswesen verschiedener Epochen, Zünfte und Regionen. Die zahlreichen existierenden Variationen und Sonderregelungen, die jede Zunftordnung aufweist, wurden zugunsten der Gemeinsamkeiten vernachlässigt. Literatur Bruns, Albrecht, Die Arbeitsverhältnisse der Lehrlinge und Gesellen im städtischen Handwerk in Westdeutschland bis 1800, Köln 1938. Danninger, Gerhard, Das Linzer Handwerk und Gewerbe vom Verfall der Zunfthoheit über die Gewerbefreiheit bis zum Innungszwang (Linzer Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 4), Linz 1981. Emig, Georg, Die Berufserziehung bei den Handwerkerzünften in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt und im Großherzogtum Hessen vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zur Einführung der Gewerbefreiheit 1866, Frankfurt am Main 1969. Fischer, Georg, Volk und Geschichte. Studien und Quellen zur Sozialgeschichte und historischen Volkskunde (Die Plassenburg. Schriften für die Heimatforschung und Kulturpflege in Ostfranken 17), Kulmbach 1962. Gatz, Konrad, Das alte deutsche Handwerk, Essen 1934. Gutzwiller, Hellmut, Das Handwerks-Lehrlingswesen in Freiburg i. Ue. im Ausgang des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts, in: Freiburger Geschichtsblätter, 1955/1956, S. 14–34. Haberleitner, Odilo, Handwerk in Steiermark und Kärnten vom Mittelalter bis 1850. I. Von der Aufdingung bis zur Erlangung der Meisterwürde (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 20), Graz 1962. Haberleitner, Odilo, Lehrlingswesen in Steiermark und Kärnten vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert (Kleine Schriften für Geschichte und Volkskunde der innerösterreichischen Alpenländer 1), Graz 1958. Heinz Moser, Die Steinmetz- und Maurerzunft in Innsbruck von der Mitte des 15. bis zu Mitte des 18. Jahrhunderts, Diss. Innsbruck 1973. Otruba, Gustav, Gewerbe und Zünfte in Niederösterreich, St. Pölten/Wien 1989. Otruba, Gustav/Sagoschen, J. A., Gerberzünfte in Österreich. Organisation und Verbreitung, Recht und Brauchtum in sieben Jahrhunderten, Wien 1964. historia.scribere 4 (2012) 163 Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk Reith, Reinhold, Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk. Zur Sozialgeschichte Augsburger Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert (1700–1806) (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 14), Göttingen 1988. Schwarzlmüller, Josef, Die Berufslaufbahn Lehrling – Geselle – Meister in den Handwerkszünften Oberösterreichs (Dissertationen der Johannes Kepler-Universität Linz 15), Wien 1979. Schwarzlmüller, Josef, Vom Lehrling zum Meister. Im alten Schneiderhandwerk Oberösterreichs (vom Mittelalter bis zur Gewerbeordnung 1859) (Linzer Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 10), Linz 1984. Uhl, Harald, Handwerk und Zünfte in Eferding. Materialien zum grundherrschaftlichen Zunfttypus (Fontes rerum Austriacum. Österreichische Geschichtsquellen. Dritte Abteilung, Fontes Iuris, 3 ), Wien 1973. Wesoly, Kurt, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein. Ihre soziale Lage und ihre Organisation vom 14. bis ins 17. Jahrhundert (Studien zur Frankfurter Geschichte 18), Frankfurt am Main 1985. Barbara Denicolo studiert Geschichte auf Diplom im 8. Semester und Geschichte/Latein auf Lehramt im 1. Semester an der Universität Innsbruck. [email protected] Zitation dieses Beitrages Barbara Denicolo, Das Lehrlingswesen im zünftigen Handwerk, in: historia.scribere 4 (2012), S. 137–164, [http://historia.scribere.at], eingesehen 1.3.2012 (=aktuelles Datum). © Creative Commons Licences 3.0 Österreich unter Wahrung der Urheberrechte der AutorInnen. 164 historia.scribere 4 (2012)