FÖ • Band 54 • 2015
Fachgespräch
»Computertomografie
und Archäologie«
7. April 2016, Graz
(Steiermark)
Sonderdruck aus: Fundberichte aus Österreich, Band 54, 2015
Alle Rechte vorbehalten
© 2017 by Verlag Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn
http://www.verlag-berger.at
Herausgeber: Mag. Nikolaus Hofer
Bundesdenkmalamt, Abteilung für Archäologie
Hofburg, Säulenstiege, 1010 Wien
[email protected]
http://www.bda.at
ISSN: 0429-8926
Redaktion: Mag. Nikolaus Hofer
Bildbearbeitung: Stefan Schwarz
Satz und Layout: Berger Crossmedia
Layoutkonzept: Franz Siegmeth
Covergestaltung Sonderdruck: Martin Spiegelhofer
Coverbild Sonderdruck: Brandgräberfeld Kainach, Grab 42. Urne in situ
(links) und virtuelle Freistellung des Urneninhaltes auf Basis der 3DDokumentation. Fotos und Grafik: Kulturpark Hengist, Wildon.
Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H.
Fachgespräch »Computertomograie und Archäologie«
am 7. April 2016 in Graz
Eva Steigberger
Am 4. April 2016 fand in der Abteilung für Steiermark des
Bundesdenkmalamtes auf Einladung der Abteilung für Archäologie ein Fachgespräch zum Thema »Computertomograie und Archäologie« statt. Rund 40 Besucher – darunter
KollegInnen aus dem Bundesdenkmalamt, der Karl-Franzens-Universität Graz, dem Universalmuseum Joanneum
und von archäologischen Grabungsirmen – konnten begrüßt werden.
Anlass für dieses Fachgespräch war das Erreichen einer
wesentlichen Projektetappe eines an der Abteilung für Archäologie beheimateten Projektes, das sich anhand einer
wichtigen steirischen Fundstelle mit den Möglichkeiten der
Computertomograie und ihrer Anwendung in der Archäologie beschäftigt.
Forschungsgegenstand des seit 2012 laufenden Pilotprojektes ist das übernational bedeutende Gräberfeld auf
den Herrschaftsäckern (Weitendorf bei Wildon, Gst. Nr. 550,
365/4; KG Kainach, MG Wildon), das sich durch eine Vielzahl
bedeutender und restauratorisch anspruchsvoller Grabbeigaben auszeichnet. Als Kooperationspartner des Forschungsprojektes konnten ab 2013 die Firmen ASFiNAG und
Siemens Österreich gewonnen werden, deren inanzielle
Unterstützung für den Fortgang ganz wesentlich war und
nach wie vor ist. Ausgegraben wurde das Gräberfeld durch
den Verein Kulturpark Hengist in den Jahren 2004 bis 2007
(Grabungsleitung 2004: M. Roscher, Grabungsleitung 2005
bis 2007: Ch. Gutjahr). Insgesamt konnten 280 Objekte als
Gräber angesprochen werden. Sie weisen häuig ein umfangreiches Keramikinventar auf und bei einer größeren Anzahl von Gräbern wurden auch Metallfunde wie Bronzemesser, -nadeln etc. gefunden. Die meisten Keramikgefäße, zum
Teil aber auch vollständige Grabbefunde wurden en bloc geborgen; insgesamt werden derzeit etwa 350 Blöcke gelagert.
Proberestaurierungen hatten das Potenzial und die konservatorischen Herausforderungen rasch aufgezeigt, sodass
anhand von ausgewählten Blockbergungen mittels des
Projektes versucht wird, neue Maßstäbe in einer auf die Authentizität der Objekte ausgerichteten Restaurierung zu setzen. Mit diesem Pilotprojekt soll eine erste konkrete Überprüfung der Auswertbarkeit von virtuellen 3D-CT-Daten von
im Block geborgenen Grabbefunden für die Restaurierung
und Konservierung, die Anthropologie sowie die Archäologie erfolgen. Anhand einer Auswahl von vier Grabbefunden
wurden die Möglichkeiten und Grenzen der Auswertung virtueller Daten im Vergleich zu einer herkömmlichen Bearbeitung untersucht und für die archäologische Auswertung der
virtuellen Bilddateien konkrete Methoden der praktischen
Umsetzung erarbeitet, die sich im Ergebnis an herkömmlichen archäologischen Zeichnungen orientieren. Auch der
Aufwand sowie die Grenzen dieser neuen Methode der anthropologischen (Vor-)Auswertung wurden näher betrachtet.
Von der vierstuigen Projektgliederung (siehe dazu die
Fachbeiträge) konnten bisher drei Phasen abgeschlossen
werden, sodass ein Zwischenergebnis im Zuge des Fachgespräches präsentiert werden sollte – nicht zuletzt auch, um
FÖ 54, 2015
die Fachwelt möglichst rasch an den international bedeutsamen Ergebnissen teilhaben zu lassen. Aktuell läuft Phase
4 des Projektes, die manuelle Restaurierung, die 2017 abgeschlossen werden soll. Durch CT-Untersuchungen ergeben
sich neue Fragestellungen und Probleme in der Freilegung
des Befundes Hand in Hand mit besserer Auswertungsqualität und mehr Information vorab sowie neuen Zugängen
bei der Konservierung. Seitens der Bodendenkmalplege
sind – neben diesen bedeutenden Erkenntnissen zu neuen
Abläufen in der Restaurierung, die sich aus den Ergebnissen
einer computertomograischen Untersuchung ergeben –
insbesondere auch die Möglichkeiten einer Auswertung (sowohl archäologisch als auch anthropologisch), die vor allem
für sehr große Befundkomplexe eine möglicherweise nicht
inanzierbare Komplettfreilegung und Restaurierung ersetzen können, von großem Interesse.
Die Untersuchungen des Pilotprojektes zeigen das Potenzial und die Unsicherheiten einer rein virtuellen Freilegung
auf und wurden im Anschluss an die Präsentation auch vom
Fachpublikum angeregt diskutiert. Abgerundet wurde das
Fachgespräch durch Vorträge aus ähnlich gelagerten Untersuchungen, die einen breiteren Einblick in die Materie vermitteln sollten und weitere Anwendungsmöglichkeiten von
Computertomograie in Restaurierung und archäologischer
Auswertung aufgezeigt haben.
Literaturverzeichnis
Christoph Gutjahr, Das urnenfelderzeitliche Gräberfeld Kainach bei Wildon.
Ein Zwischenbericht, Hengist-Magazin. Zeitschrift für Archäologie, Geschichte
und Kultur der Mittelsteiermark 2005/2, 7.
Christoph Gutjahr, Mittel- bis frühspätbronzezeitliche Gruben aus dem
Bereich des Gräberfeldes Kainach bei Wildon, Gem. Weitendorf, Stmk. In:
Christoph Gutjahr und Georg Tiefengraber (Hrsg.), Beiträge zur Mittel- und
Spätbronzezeit sowie zur Urnenfelderzeit am Rande der Südostalpen. Akten
des Internationalen Symposiums am 25. und 26. Juni 2009 in Wildon/Stmk.,
Hengist-Studien 2, Rahden 2011, 141–206.
Christoph Gutjahr, Ein frühurnenfelderzeitliches Brandgrab aus dem Gräberfeld Kainach bei Wildon, Gem. Weitendorf, Stmk. In: Christoph Gutjahr und
Georg Tiefengraber (Hrsg.), Beiträge zur Mittel- und Spätbronzezeit sowie
zur Urnenfelderzeit am Rande der Südostalpen. Akten des Internationalen
Symposiums am 25. und 26. Juni 2009 in Wildon/Stmk., Hengist-Studien 2,
Rahden 2011, 207–218.
Christoph Gutjahr und Martina Trausner, Das älteste Grab der Steiermark?
Eine frühurnenfelderzeitliche Bestattung aus Weitendorf, Hengist-Magazin.
Zeitschrift für Archäologie, Geschichte und Kultur der Mittelsteiermark
2009/1, 4–5.
Bernhard Hebert, Projekt »Computertomograie und Archäologie«. In: Bernhard Hebert und Nikolaus Hofer, Archäologie im Bundesdenkmalamt 2013,
FÖ 52, 2013, 36–38.
Autorin
Dr. Eva Steigberger
Bundesdenkmalamt
Abteilung für Steiermark
Schubertstraße 73
8010 Graz
[email protected]
D55
CT und archäologische Keramik
»Darf es auch etwas mehr sein?«
Kamil S. Kazimierski und Stephan Karl
Die Computertomograie (CT) hat sich seit den 1970er-Jahren zu einer nicht mehr wegzudenkenden bildgebenden
Methode in der medizinischen Diagnostik, aber auch in der
zerstörungsfreien Prüfung der Industrie (ZfP) entwickelt.1
Neben Magnetresonanztomograie (MRT) und PositronenEmissions-Tomograie (PET) ist die Bezeichnung Tomograie
in der Radiologie generell mit der die Röntgen- oder Neutronenstrahlung nutzenden Computertomograie (CT) assoziiert. In der Medizin wie in der Industrie wird dafür zumeist
die Röntgenstrahlung eingesetzt, da sie kaum einer Streuung unterliegt und dicke organische wie auch metallische
Objekte durchleuchten kann.
CT stellt bei Sub- beziehungsweise Objekten, deren Körper- beziehungsweise Materialeigenschaften zudem ein
Durchdringen der eingesetzten Strahlung erlauben, ein Verfahren dar, überlagerungsfreie Schnittbilder aus dem sonst
nicht einsehbaren Inneren zu gewinnen. CT ist ein bildgebendes Verfahren, das folgendes zentrales Problem löst:
»Reconstruct an object from its shadows or, more precisely,
from its projections.«2 Mathematisch gesprochen handelt es
sich um ein inverses Problem. Die uns heute noch zumeist
in Erstaunen versetzende, dreidimensionale Visualisierung
solcher CT-Daten stellt daher nicht ein direkt gewonnenes
Abbild des Körpers oder Gegenstandes dar, sondern beruht
auf der Rekonstruktion der Volumendaten aus den Einzelprojektionen. Das Wissen über das Entstehen einer solchen
am Ende der gesamten Prozesskette zu betrachtenden Visualisierung ist deswegen von wesentlicher Bedeutung für
darauf beruhende Aussagen.
Sieht man von einzelnen Untersuchungen ägyptischer
Mumien, Blockbergungen und Sammlungsgegenständen
ab3, setzt eine systematische, an Fragestellungen orientierte
Anwendung der CT im Bereich der Archäologie relativ spät
ein4. Vor allem zwei Gebiete sind zu nennen:
Einerseits – und die Vorträge dieses Fachgespräches widmeten sich größtenteils diesem Thema – handelt es sich um
den Einsatz der CT bei im Block geborgenen Funden und
der damit verbundenen Perspektive, große Fundmassen an
Blockbergungen ungeachtet der momentanen (inanzierbaren) restauratorischen Freilegung der Befunde zu bewältigen und einer ersten archäologischen und anthropologischen Auswertung zuzuführen. Eine von der DFG geförderte
Pilotstudie zu über 275 unbearbeiteten Blockbergungen aus
dem frühmittelalterlichen Reihengräberfeld von Lauchheim
im Ostalpkreis (Baden-Württemberg) der Jahre 2007 und
2008 schuf dazu erste Grundlagen zu den Möglichkeiten
und Grenzen solcher digitaler Untersuchungsmethoden.5
Für uns wesentlicher ist ein zweites Anwendungsgebiet
der CT, in welchem der Mehrwert dieser Methode stärker
1
2
3
4
5
Buzug 2004.
Buzug 2010, 2.
Applbaum und Applbaum 2005. – Casali 2006.
Karl u. a. 2013.
Peek u. a. 2009. – Ebinger-Rist u. a. 2010.
FÖ 54, 2015
im Fokus der Forschung steht. Es ist das Ausnutzen des zerstörungsfreien, vielleicht besser »nicht-invasiv« genannten
Charakters einer CT bei der Beantwortung archäologischer
Fragestellungen in der Keramikforschung. Schon allein die
möglichst exakte Darstellung des Gefäßproils (vor allem
der inneren Kontur bei Gefäßen mit enger Mündung) ermöglicht Aussagen zur Herstellungstechnik bis hin zum
Erkennen individueller Züge des Töpfers. Mit keiner anderen Methode ist dieser Mehrwert zu erhalten, außer man
würde das Gefäß zerschlagen. Es wundert nicht, dass gerade
in Amsterdam, einem führenden Zentrum der archäologischen Keramikforschung, seit der Mitte der 1990er-Jahre
erste Pilotprojekte entstanden, die CT, in diesem Fall die
medizinische CT, für das Studium griechischer Keramik anzuwenden.6 Dabei entstanden wegweisende Ansätze, die
Häuigkeitsverteilung der Grauwerte, gemessen in sogenannten Hounsield units, in den CT-Schnittbildern für die
Diferenzierung der Keramikarten statistisch-vergleichend
auszuwerten.7 Im Jahr 1996 resümierte Winfred Van de Put:
»The chief problem now is to ind the key that transforms
the generated data into a means of identifying the work of
individual potters.«8
Seit 2006 werden bei allen Gefäßen des Allard Pierson
Museums (APM) der Universität Amsterdam im Rahmen der
Publikationsreihe des Corpus Vasorum Antiquorum (CVA)
die herkömmlichen Proilzeichnungen systematisch durch
CT-Schnittbilder ersetzt9; die CT-Scans wurden dabei am Department of Radiology, Academic Medical Centre der Universität Amsterdam durchgeführt.
Anwendungsgebiete der CT in der
archäologischen Keramikforschung
Die Anwendungsgebiete der CT in der archäologischen Keramikforschung sind grundsätzlich dieselben wie bei der
Digitalen Radiograie (DR), die unter anderem in Projekten
zur Untersuchung der außereuropäischen beziehungsweise
prähistorischen Keramik eingesetzt wird.10 Die Möglichkeit,
das eigentliche Untersuchungsobjekt im Rekonstruktionsverfahren der CT auch in seiner räumlichen Erstreckung, also
in seinen drei Dimensionen, maßstabsgetreu zu erfassen,
erweitert die radiograische Auswertung ›maßgeblich‹ um
den möglichen quantitativen Aspekt solcher Analysen. Da
bereits an anderer Stelle ausführlich beschrieben11, sollen
hier nur kurz die wesentlichsten Einsatzmöglichkeiten der
CT, gruppiert in drei Anwendungsgebiete, genannt werden,
ohne dabei auf aufnahme- und rekonstruktionsbedingte
6
7
8
9
10
11
Jansen und Koens 1996. – Van de Put 1996. – Jansen u. a. 2001.
Koens und Jansen 1999. – Van Duivenvoorde 2000.
Van de Put 1996, 204.
CVA Amsterdam Allard Pierson Museum 3–6.
Middleton 2005. – Berg 2008. – Berg 2009. – Greene und Hartley 2007.
Karl u. a. 2013, 101–113.
D63
Kamil S. Kazimierski und Stephan Karl
Abb. 2: Ostgriechische Granatapfelgefäße: (a): Graz, Universität G 56; CTSchnitt. (b): Amsterdam Allard Pierson Museum 3403; CT-Schnitt (medizinischer Scan). Visualisierung: Stephan Karl; (b) nach CVA Amsterdam, Allard
Pierson Museum 6, Abb. 37.
Herstellungstechnische Analyse
Abb. 1: Korinthische Alabastra des Malers von Brüssel R 224. (a): Graz, Universität G 28; orthogonale CT-Ansicht samt Schnitt. (b): St. Petersburg, Eremitage B.1391; konventionelle Dokumentation. Visualisierung: Stephan Karl;
(b) nach CVA St. Petersburg, State Hermitage Museum 9, Abb. 93.
Bildartefakte wie Strahlaufhärtungsefekte (beam hardening) einzugehen, die bei Verwendung einer konventionellen Röntgenquelle die Bildqualität und damit eine quantitative Analyse sowohl in 2D als auch in 3D beeinträchtigen
können. Zwei-Spektren-CT beziehungsweise dual-energy CT
(DECT) könnte derartige Analysen erheblich erleichtern.12 Die
folgenden Beispiele, an denen der Mehrwert der CT demonstriert werden soll, wurden im CVA der Originalsammlung
des Instituts für Archäologie der Karl-Franzens-Universität
Graz publiziert.13
Formanalyse
Mit einer CT kann eine ›ziemlich akkurate‹ (gegenüber anderen Methoden wie optisches Oberlächen-Scanning), komplette 3D-Dokumentation eines Objektes mit allen äußeren,
aber auch inneren Strukturen erreicht werden. Orthogonale
Ansichten wie auch Schnitte (zum Beispiel für Gefäßproile)
können an jeder beliebigen Stelle erzeugt werden; sogar
feine Details wie Ritzungen des schwarzigurigen Stiles
können aufgrund der hohen Aulösung der CT dargestellt
werden (Abb. 1). Durch das mathematische Bestimmen der
Rotationsachse können grundsätzlich Schnittbilder zu dieser Rotationsachse bei manueller Angabe nur eines einzigen
Punktes dieser Ebene automatisch erstellt, orientiert und
zum Beispiel für Druckvorlagen extrahiert werden. Weiters
ermöglicht die dreidimensionale Erfassung des Objektes
eine exakte Berechnung des Keramikvolumens (zum Beispiel für die Bestimmung der Rohdichte) oder des Füllvolumens eines Gefäßes14, Maße können an beliebiger Stelle entnommen werden, und vieles mehr.
12 McKenzie-Clark und Magnussen 2014.
13 CVA Graz Universität 1.
14 Jungblut u. a. 2013. – Karl u. a. 2014.
D64
Durch die Sichtbarmachung charakteristischer primärer
Herstellungsspuren an der Oberläche, die sich zumeist nur
im Inneren geschlossener Gefäße vor dem sekundär erfolgten Abdrehen und Glätten im lederharten Zustand bewahrt
haben, und durch die Darstellung speziischer Gefügestrukturen in der Keramik selbst ergeben sich in den meisten Fällen ausreichende Erkenntnisse, um den Fertigungsprozess
des jeweiligen Gefäßes nachvollziehen zu können.15 Während die Formung des Tones auf der Drehscheibe sich in der
CT über die spiralförmige Orientierung der Poren und der
Einschlüsse bis hin in Bereiche mit geringster Wandstärke
wie die Lippe von Gefäßen eindeutig erschließt, sind angesetzte Gefäßteile trotz der zum Teil perfekten Ausführung
der Angarnierungen am Wechsel dieses Gefügebildes deutlich zu erkennen. Die CT ofenbart auch ganz unerwartete
Herstellungstechniken bei Gefäßen, die nur von außen betrachtet – mit den entsprechenden Parallelen – wohl der
Drehscheibenkeramik zugewiesen worden wären (Abb. 2).
Weiters lassen sich in der CT Spuren der Verwendung von
Hilfsmitteln des Töpfers, Reparaturen während der Herstellung oder danach (auch moderne Eingrife und Ergänzungen; zum Beispiel aus Gips) und vieles mehr feststellen.
Strukturanalyse
Ein Alleinstellungsmerkmal der CT gegenüber allen anderen
Methoden in der Archäologie ist die Tatsache, dass die CT in
das Material schaut, ohne es dafür ›aufschneiden‹ zu müssen. Abhängig von der Genauigkeit des Scans ermöglicht die
CT, die Keramik (auch »der Scherben« genannt) hinsichtlich
der Tonmatrix, der darin enthaltenen Luftporen und der Einschlüsse zu detektieren und morphometrisch (Größe, Form,
Anteil) zu analysieren.16 Dabei wird unter der Tonmatrix die
Grundsubstanz der Tonmineralien verstanden, während die
Einschlüsse sogenannte nicht-plastische Bestandteile sind.
Dass überhaupt innere Strukturen des Materials sichtbar
werden, hängt mit der komplexen Mischung und Verbindung von Mineralien in der Keramik zusammen, die neben
der Porosität Bestandteile von Partikeln unterschiedlich
speziischer Dichte umfassen, darunter neben den Ton-
15 Schreiber 1999.
16 Kahl und Ramminger 2012.
FÖ 54, 2015
CT und archäologische Keramik
Abb. 3: Attisch-spätgeometrische
Scherbe des Malers von Louvre A
517 (Graz, Universität G 741). (a):
optischer 3D-Scan. (b): CT-Schnitt,
Blickrichtung wie (a). Visualisierung: Stephan Karl; optischer
3D-Scan gescannt von Bernd
Breuckmann.
Abb. 4: Prozesskette der CT von
Keramik. Graik: Stephan Karl und
Kamil S. Kazimierski.
mineralen unter anderem Quarze, Feldspate oder Eisenoxide (Abb. 3). Eine Charakterisierung der Keramik anhand
quantiizierter Eigenschaften ist in der archäometrischen
Keramikforschung gleichermaßen für Fragen der Herstellungstechnik wie auch für die Lokalisierung des Produktionsortes beziehungsweise der Werkstatt wesentlich. Bestes
Vergleichsbeispiel zu diesem Ansatz bietet die in der Keramikforschung mit Erfolg angewendete optische Scherbentypklassiikation.17 Im Vergleich zu allen anderen naturwissenschaftlichen Methoden, wie den chemischen und
mineralogischen Beprobungen, ist eine CT nicht auf eine
kleine Probenmenge beschränkt, sondern ermöglicht erstmalig die Analyse des gesamten Gefäßes in der Genauigkeit
des jeweiligen CT-Scans.
Prozesskette
Der Einzug der CT in die Archäologie ist ein spannender,
neuer Aspekt der wissenschaftlichen Einordnung und Interpretation archäologischer Artefakte. Insoweit ist die Arbeit
an und mit Daten, welche mittels der CT gewonnen wurden,
eine weitere Facette der ›Ära der Digitalisierung‹ der wissenschaftlichen Arbeit.
Die Verarbeitung digitaler Daten keramischer Objekte ist
erfolgreich, wenn zwei Faktoren zusammenkommen: Zum
einen müssen die erhobenen Daten geeignet sein, die partikuläre, zu dem jeweiligen Objekt gehörige Fragestellung
zu beantworten. Zum anderen müssen die zur Verfügung
stehenden digitalen Werkzeuge in der Lage sein, den gewünschten wissenschaftlichen Mehrwert aus diesen Daten
herauszuarbeiten. In anderen Worten, es reicht nicht, dass
die Antwort in den Daten steckt, es müssen auch an die Bedürfnisse der archäologischen Forschung zugeschnittene
digitale Frameworks verfügbar sein, welche diese Antwort
zugänglich machen.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, genauer hinzusehen, welche Daten überhaupt die CT erhebt; welche weitere abgeleitete Information sich daraus gewinnen lässt;
inwieweit kommerzielle Standardansätze den Bedürfnissen der archäologischen Gemeinde entgegenkommen und
welche wissenschaftlich fundierten, alternativen Ansätze
zudem verfügbar sind. Hierzu skizzieren wir nachfolgend
die gesamte Prozesskette für die CT der Keramik (Abb. 4). Die
computergestützte Erfassung eines keramischen Objekts
geschieht in einer Reihe von Prozess-Schritten. In jedem
dieser Schritte wird eine digitale Darstellung des Objekts in
die nächstfolgende übergeführt. In diesem Sinne indet eine
digitale Verarbeitung des Objekts statt. Jeder dieser Verarbeitungsschritte kann einer wissenschaftlichen Domäne zugeordnet werden. Weiter wird jeder Schritt durch die Form
der zugehörigen Darstellung des Objekts charakterisiert. Der
Prozess selbst wird durch die gegebenen Protokolle, Prinzipien und Parameter der Verarbeitung konkretisiert.
17 Gassner 2003, 25–36. – http://facem.at.
FÖ 54, 2015
D65
Kamil S. Kazimierski und Stephan Karl
Abb. 5: Abfolge von acht Projektionen einer halben Umdrehung; die im unteren Bereich sichtbaren Kugeln dienten ersten Kalibrierungsversuchen. Projektionsdaten: ÖGI Leoben; Zusammenstellung: Kamil S. Kazimierski.
Projektionsdaten
Am Anfang der Verarbeitung steht natürlich das keramische Objekt selbst. Dieses wird in einem Computertomografen gescannt. Dabei werden mehrere Röntgenaufnahmen
des Objekts aus unterschiedlichen Winkeln erstellt.18 Es ist
wichtig, sich an dieser Stelle zu verdeutlichen, dass die gemachten Röntgenaufnahmen genau die gleichen sind wie
zum Beispiel beim Röntgen von gebrochenen Knochen. Der
Hauptunterschied ist, dass ein gebrochener Knochen in aller
Regel nur aus einem oder zwei Winkeln erfasst wird, wohingegen in der CT oft mehrere hundert Winkel aufgenommen
werden. In der Sprache der Computertomograie werden
diese Aufnahmen »Projektionen« genannt (Abb. 5).19 Als
weiterer Unterschied zum klassischen Röntgen werden die
zugehörigen Aufnahmen bei der CT nicht auf einen fotograischen Film aufgetragen, sondern mit einem digitalen Sensor erfasst. Die zugehörigen digitalen Daten heißen dann
Projektionsdaten.
Zwei Visualisierungen der Daten sind üblich (Abb. 6). Die
erste zieht eine Parallele zum klassischen Röntgen. Das Objekt erscheint hell gegen den schwarzen Kontrast der Luft.
Bei der anderen Visualisierung wird auf die Tatsache Bezug
genommen, dass der digitale Sensor im Wesentlichen die
gleiche Funktion wie der Sensor einer Fotokamera hat. In
einem Foto sind helle Stellen genau jene Bereiche, in denen
viel Licht auf den Sensor iel. In Analogie werden bei den Projektionsdaten genau die Bereiche hell dargestellt, bei denen
viel Röntgenstrahlung auf den Sensor iel. Umgekehrt werden Bereiche, auf die wenig Röntgenstrahlung iel, dunkler dargestellt. Beide Visualisierungen deuten an, dass das
untersuchte keramische Objekt in der CT so erscheint, wie
ein Objekt aus getöntem Glas in der Fotograie erscheinen
würde. Dies ist der Fall, da die CT von den gleichen physikalischen Gesetzen beherrscht wird wie die Fotograie von halbdurchlässigen Objekten. Da die wichtigsten Parameter der
CT von der Physik diktiert werden, ist es nicht erstaunlich,
dass diese starke Parallelen zur Fotograie aufweisen.
Die Röntgenstrahlen im Tomografen werden in aller
Regel elektrisch erzeugt. Daher sind Stromstärke und Spannung an der Röntgenquelle zwei wichtige Parameter, welche die Eigenschaften der erzeugten Röntgenstrahlung
beeinlussen. In der Fotograie würden die zugehörigen Eigenschaften der Helligkeit und der Farbe beziehungsweise
Farbwärme einer Lichtquelle entsprechen. Ein weiterer
Parameter der Röntgenquelle sind die eingesetzten Filter.
Dies sind kleine Metallplättchen, die vor die Quelle gesetzt
werden und so die Eigenschaften der eingesetzten Röntgenstrahlung weiter beeinlussen. In der Fotograie entsprechen
diese den Farbiltern. In Allgemeinen ist man bei der Wahl
18 Vgl. Karl u. a. 2013, 80–81.
19 imsc.uni-graz.at/kazimier/research/alabastron.mp4.
D66
Abb. 6: Zwei Varianten der Visualisierung der Projektionsdaten. Projektionsdaten: ÖGI Leoben; Zusammenstellung: Kamil S. Kazimierski.
von guten Parametern für die Röntgenquelle auf den Erfahrungsschatz des Technikers, der den Tomografen bedient,
angewiesen.
Zusätzlich zu den Parametern der Quelle beeinlussen die
Parameter des Sensors die Qualität der Projektionsdaten.
Aus Kostensicht sind die wichtigsten unter ihnen die Beleuchtungsdauer pro Projektion und die Anzahl der Projektionen, also die Anzahl der aufgenommenen Objektwinkel.
Je länger die Beleuchtungsdauer und je mehr Projektionen,
desto länger die Zeit ›am Gerät‹ und damit kostspieliger der
Scan. Für die Beleuchtungsdauer gibt es in aller Regel einen
idealen Wert. Dieser hängt von den Materialeigenschaften
des gescannten Objekts und der Empindlichkeit des Sensors ab. Insbesondere Letztere ist hochgradig von dem jeweiligen Hersteller und dem Gerätealter abhängig. Insoweit ist
man auch für die Wahl dieses Parameters auf das Vorwissen
eines Technikers angewiesen. Glücklicherweise ist die Wahl
der Anzahl der Projektionen leicht, da hier im Allgemeinen
der Grundsatz »mehr ist besser« gilt.
Zusätzlich zu den obigen beiden Parametern ist der dynamische Bereich des Sensors wichtig. In der Fotograie
entspricht dieser Parameter grob dem ISO-Wert oder der
Filmempindlichkeit. Wird dieser Wert falsch eingestellt, so
sind die Projektionsdaten unter- oder überbelichtet. Insbesondere muss dieser Wert passend zur Beleuchtungszeit
und der Sensitivität des Sensors gewählt werden.
Zusätzlich zu den Partikulareigenschaften der Röntgenquelle und des Sensors hat der Scan als Ganzes eine Reihe
von Parametern. Als erstes ist es die sogenannte Geometrie
des Scans. Darunter werden bestimmte Längenmaße wie
der Abstand der Quelle zum Sensor und zur Rotationsachse
des Scans wie auch die Abmessungen des Sensors und seiner Pixel zusammengefasst.
Weiter stehen auch unterschiedliche Scan-Modi zur Verfügung. Der bis jetzt besprochene Fall, bei dem die gesamte
Sensorläche ausgenutzt wird, heißt Kegelscan (cone beam
scan). Grundsätzlich steht daneben auch ein Zeilenscan (fan
beam scan), bei dem nur eine Zeile des Sensors aktiv zur
Auswahl steht. Im Gegensatz zum Kegelscan, bei dem nach
einer Rotation das gesamte Objekt erfasst ist, wird beim
FÖ 54, 2015
CT und archäologische Keramik
Abb. 7: Verbesserung der Rekonstruktionsgüte (zur besseren Sichtbarkeit
ist die Zahl der Projektionen auf ein Zehntel reduziert). (a): Variationelle
Methode. (b): Ground truth. (c): Standardmethode. Visualisierung: Kamil S.
Kazimierski.
Zeilenscan nur eine Höhenschicht des Objekts pro Rotation
erfasst. Um das gesamte Objekt zu erfassen, werden beim
Zeilenscan mehrere Rotationen über die gesamte Höhenerstreckung des Objektes durchgeführt. Das führt dazu, dass
Zeilenscans erheblich länger als Kegelscans dauern. Damit
sind sie auch entsprechend teuer. Dafür gilt ein Zeilenscan,
falls alle anderen Parameter ideal eingestellt wurden, im Allgemeinen als exakter als ein Kegelscan.
Volumendaten
Nachdem die Projektionsdaten aufgenommen worden sind,
ist der nächste Prozessschritt die Berechnung der Volumendaten. In aller Regel wird dieser Schritt mit Hilfe eines an den
Tomografen angeschlossenen Computers ausgeführt, daher
auch der Name Computertomograie. Da die bereits besprochenen Projektionsdaten üblicherweise nicht dargestellt
werden, sind die Volumendaten die ersten Daten, die ein
Endbenutzer standardmäßig zu Gesicht bekommt. Daher
wird der Begrif »Volumendaten« oft synonym mit »CTDaten« verwendet. Diese Krücke ist für den Alltagsgebrauch
zulässig, trotzdem sollte immer im Hinterkopf behalten
werden, dass die Volumendaten aus den Projektionsdaten
berechnet und damit schon digital verarbeitete Daten sind.
Wie jede andere Berechnung oder Verarbeitung, so kann
auch diese auf unterschiedliche Arten erfolgen. Die von den
Herstellern der Tomografen angebotenen Standardmethoden sind so konzipiert, dass sie für jedes beliebige scannbare
Objekt zufrieden stellende Volumendaten liefern.
Folgerichtig liefern diese »one-its-all«-Methoden nicht
immer das bestmögliche Ergebnis. Zum Beispiel kann bei der
Berechnung von Volumendaten keramischer Gefäße mitberücksichtigt werden, dass das Innere dieser Objekte leer
ist und dass das Material (die Keramik) vermutlich durchgehend die gleichen Eigenschaften hat. Um nachzuvollziehen, wie dies geschehen kann, müssen wir nochmals einen
Schritt zurücktreten und uns genauer ansehen, wie die Projektionsdaten zustande kommen. Wie im letzten Abschnitt
beschrieben, wird dazu Röntgenstrahlung erzeugt, welche
sich im Raum solange ausbreitet, bis sie auf einen Punkt des
Tomografen-Sensors trift. Auf ihrem Weg durch den Raum
verliert die Strahlung an Intensität. Dabei wird angenommen, dass dies hauptsächlich aufgrund von Absorption geschieht und alle anderen physikalischen Phänomene dem-
FÖ 54, 2015
gegenüber vernachlässigbar sind. Damit wird die Strahlung,
die auf einen Punkt des Sensors auftrift, einzig entlang einer
Geraden zwischen der Röntgenquelle und dem Sensorpunkt
abgeschwächt. Anders gesagt, diese Strahlung hat nur diese
Gerade ›gesehen‹ und konnte damit nur die Information
entlang dieser Geraden sammeln.
Welche Beziehung besteht zwischen der erzeugten und
der in einem einzelnen Sensorpunkt gemessenen Strahlungsintensität? Das Lambert-Beer’sche Absorptionsgesetz
(für Strahlung) besagt, dass der Anteil der Strahlung, der
beim Durchlaufen einer bestimmten Länge eines Materials
absorbiert wird, proportional zu der einkommenden Strahlungsintensität ist. Weiter besagt es, dass der Anteil von
einer Materialkonstanten abhängt. Und zuletzt, dass pro
Längeneinheit der gleiche Anteil der Strahlung absorbiert
wird. Wenn also bei einem 1 cm dicken Objekt die Hälfte
der ursprünglichen Strahlung durchkommt, so kommt bei
einem 2 cm dicken Objekt gleichen Materials nur ein Viertel
der Strahlung durch, bei 3 cm nur ein Achtel, bei 4 cm nur ein
Sechszehntel etc. Jeder zusätzliche Zentimeter halbiert den
vorherigen Wert. Grob gesagt heißt das, dass der Faktor, um
den die gemessene von der erzeugten Intensität abweicht,
das Produkt der Materialkonstanten aller Punkte auf der Geraden zwischen der Quelle und dem Sensorpunkt ist.
Ohne im Detail auf die Einzelheiten einzugehen, erweist
sich das Arbeiten mit dem Produkt der Materialkonstanten
an dieser Stelle als problematisch. Als hilfreich stellt sich die
Durchführung der obigen Überlegung in logarithmischen
Einheiten heraus, da »im Logarithmus Produkte in Summen
übergehen«. Daraus folgt, dass in logarithmischen Einheiten
der Unterschied zwischen der erzeugten und der gemessenen Intensität (die sogenannte Extinktion) die Summe der
logarithmischen Materialkonstanten aller Punkte entlang
der Geraden zwischen der Quelle und dem Sensorpunkt ist.
Die logarithmische Materialkonstante wird Absorptionskoeizient genannt.
Die Hauptbotschaft ist, dass sich die Projektionsdaten
aus der Kenntnis der Absorptionskoeizienten und der
Quellintensität ermitteln lassen. Damit stellt sich die Frage,
ob auch die Umkehrung möglich ist. Können aus den Projektionsdaten und der Quellintensität die zugehörigen
Absorptionskoeizienten ermittelt werden? Dazu gehen
wir zuerst davon aus, dass die Quellintensität bekannt ist.
Mathematisch wird dann die Berechnung der Projektionsdaten aus den Absorptionskoeizienten für den ZeilenscanModus mit Hilfe der sogenannten Radon-Transformation
modelliert. Für den Kegelscan-Modus wird x-ray transform
als Modell benutzt. Die Berechnung der Absorptionskoeizienten aus Projektionsdaten heißt dann die Umkehrung der
jeweiligen Transformation, da dabei aus gemessenen Daten
(Projektionsdaten) physikalische Eigenschaften des untersuchten Objekts rekonstruiert werden. Allerdings wird der
Begrif »Rekonstruktion« in diesem Kontext sowohl für die
Methode der Umkehrung der jeweiligen Transformation als
auch für das Resultat dieser Umkehrung benutzt.
Wir skizzieren kurz die Hauptschwierigkeiten bei der Rekonstruktion. Mathematisch kann der Absorptionskoeizient eines Punktes im Objekt als eine Unbekannte aufgefasst
werden. Die Aufsummierung der Absorptionskoeizienten
entlang einer einzelnen Geraden zu einem Datenpunkt oder
Pixel der Projektionsdaten entspricht einer Gleichung. Da
die Unbekannten in dieser Gleichung nur gegeneinander
aufsummiert werden, spricht man von einer linearen Gleichung. Die Pixel aller Projektionsdaten für alle aufgenom-
D67
Kamil S. Kazimierski und Stephan Karl
menen Winkelpositionen und die zugehörigen Gleichungen
bilden damit ein System von linearen Gleichungen. Um also
alle Absorptionskoeizienten aus allen gemessenen Projektionsdaten zu ermitteln, muss ein System von linearen Gleichungen gelöst werden.
Der einzige Unterschied zwischen diesen Systemen und
linearen Gleichungssystemen, die in der Schule behandelt
werden, ist, dass hier anstelle von zwei oder drei Unbekannten und zwei oder drei Gleichungen Millionen oder Milliarden Gleichungen mit Millionen oder Milliarden von Unbekannten gelöst werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist
es wichtig, sich an den Grundsatz zu erinnern, dass ein lineares Gleichungssystem auf keinen Fall umkehrbar ist, wenn
die Anzahl der Unbekannten nicht genau der Anzahl der
Gleichungen gleich ist. Diese Bedingung ist in der Tomograie im Allgemeinen jedoch nicht erfüllt. Daher stellt also die
Lösbarkeit der Gleichungen ein grundsätzliches Problem dar.
Zusätzlich taucht bei der Lösung der Gleichungen ein
weiteres Problem auf. Eine sehr genaue Betrachtung der
zugrunde liegenden Transformationen ergibt, dass in bestimmten Fällen sehr unterschiedliche Absorptionskoeizienten sehr ähnliche Projektionsdaten erzeugen können. Leider ist die Messung der Projektionsdaten nie exakt, sondern
stets mit einem Messrauschen verbunden. Es gibt also einen
(kleinen) Unterschied zwischen den Projektionsdaten, die
ein Objekt hätte liefern sollen, und den Daten, die tatsächlich gemessen werden. Damit kann aber die Umkehrung der
gemessenen Daten zu einem völlig anderen Ergebnis führen
als die tatsächlichen Absorptionsdaten.
Transformationen, die solche Hindernisse bei der Umkehrung aufweisen, werden in der Mathematik unter dem
Begrif »schlecht-gestellte Probleme« zusammengefasst.20
Dieser Begrif ist insoweit irreführend, als er anzudeuten
scheint, dass das Problem nur anders gestellt, also beschrieben werden muss, um die Hindernisse zu umgehen. Dies
ist nicht der Fall. Ein besserer Begrif wäre »schlecht-umkehrbare« Probleme. Zusätzlich zu den Problemen, die auf
die »Schlecht-Gestelltheit« der Tomograie zurückzuführen
sind, liegt eine weitere Herausforderung der Tomograie in
der Tatsache, dass ein System von Millionen/Milliarden von
Gleichungen mit Millionen/Milliarden von Unbekannten gelöst werden muss. Es ist verständlich, dass dies rechnerisch
sehr aufwändig ist.
Kurz zusammengefasst lassen sich die Hauptschwierigkeiten der Umkehrung mit zwei Worten umschreiben:
Genauigkeit und Geschwindigkeit. Diese Schwierigkeiten
werden in der Praxis umschift, indem zusätzliche Informationen über das untersuchte Objekt in die Rekonstruktionsmethode eingearbeitet werden. Dazu gibt es mehrere
Ansätze. Im Allgemeinen gilt für diese Ansätze: Je genauer
sie arbeiten sollen, desto langsamer sind sie. Zum Beispiel
gehen die Rekonstruktionsverfahren, die standardmäßig in
der CT angeboten werden, davon aus, dass der Endbenutzer die Rekonstruktion schnell verfügbar haben möchte.
Typischerweise wird dabei als zusätzliche Information angenommen, dass bestimmte, fein strukturierte Muster im
untersuchten Objekt nicht vorkommen. Deswegen neigen
diese Methoden dazu, ihre Geschwindigkeit mit für feine
Strukturen geminderter Genauigkeit zu erkaufen. Hauptsächlich ist die schnelle Verfügbarkeit ein Relikt der Übertragung der medizinischen CT in industrielle Anwendungen. In
der Medizin möchte der Patient im Idealfall sofort nach dem
CT-Scan einen Befund erhalten. In der Archäologie ist jedoch
die sofortige Verfügbarkeit der Rekonstruktion nicht der
ausschlaggebende Faktor. Der Schwerpunkt liegt vielmehr
auf der bestmöglichen Genauigkeit, die mit den erhobenen
Projektionsdaten erreicht werden kann.
Dazu ist es notwendig, jede Kombination an Absorptionskoeizienten im Objekt zu untersuchen. Eine sehr erfolgreiche Verfahrensklasse, die dies prinzipiell bewerkstelligt, sind die sogenannten variationellen Verfahren.21 Die
grundsätzliche Idee ist, jede Kombination beziehungsweise
Variante unter zwei Gesichtspunkten zu untersuchen: Wie
genau passt die jeweilige Variante zu den gemessen Daten
und wie genau passt die Variante zu den Vorstellungen, wie
eine gute Rekonstruktion aussehen soll? Aufgrund der vorher beschriebenen »Schlecht-Gestelltheit« gilt im Allgemeinen, dass eine Variante umso schlechter die Vorstellungen
von einer guten Rekonstruktion erfüllt, je besser sie zu den
Daten passt, und vice versa. Als die bestmögliche Rekonstruktion wird unter allen Varianten jene gewählt, welche am
besten die Balance zwischen diesen Gegensätzen hält.
Um ein variationelles Verfahren zu beschreiben, müssen
demnach drei Dinge quantiiziert werden: Zum einen die
Ähnlichkeit zwischen den Projektionsdaten und den tatsächlich gemessenen Daten, die eine gegebene Variante erzeugt,
zum anderen die Ähnlichkeit zum Ideal einer guten Rekonstruktion, und zuletzt die Gewichtung zwischen diesen beiden
Ähnlichkeiten. Die größte interdisziplinäre Herausforderung
im Rahmen der Untersuchung von keramischen Objekten
stellt natürlich die Quantiizierung einer guten Rekonstruktion dar. Aus der Sicht der Mathematik ist es am einfachsten,
dabei auf in der Mathematik genau verankerte Begrife wie
Glattheit, Rundheit, Kantenlänge, Kantenhöhe etc. zurückzugreifen.
Die in variationellen Verfahren eingearbeitete Information über die ideale Rekonstruktion kann aber auch benutzt
werden, um die Anzahl der Projektionen zu senken, die für
eine zufriedenstellende Rekonstruktion nötig sind. Im diesem Sinne ersetzt eine passende Beschreibung eines Ideals
guter Rekonstruktionen die ›fehlenden‹ Projektionsdaten.
Der große Vorteil dabei ist, dass weniger Projektionen auch
weniger Zeit am Gerät und damit weniger Kosten bedeuten. Der Vergleich der Rekonstruktion zeigt, dass die Standardumkehrmethode für reduzierte Daten unannehmbare
Störungen in die Rekonstruktion mit weniger Projektionen
einarbeitet. Im Gegensatz dazu schaft es eine variationelle
Methode, die davon ausgeht, dass das untersuchte Objekt
aus einem homogenen Material mit einer gewissen Porosität und einem gewissen Anteil an Einschlüssen besteht,
auch für verminderte Projektionszahl eine Rekonstruktion
zu berechnen, die von derjenigen der Standardmethode mit
vollen Projektionsdaten kaum zu unterscheiden ist (Abb. 7).
Bezüglich der Volumendaten muss zunächst betont werden, dass diese die Absorptionskoeizienten des untersuchten Objekts enthalten. Insbesondere ist die Behauptung unzutrefend, die Volumendaten enthielten Information über
die Dichte der untersuchten Objekte. In Fällen, in denen die
Palette und die Dichte der Materialien, aus denen das Objekt
besteht, bekannt sind, kann eine Erkennung dieser Materialien über die zugehörigen Absorptionskoeizienten unter
Umständen erreicht werden. Diese Voraussetzung ist zum
20 Schuster u. a. 2012. – Rieder 2013.
21 Scherzer u. a. 2009.
D68
FÖ 54, 2015
CT und archäologische Keramik
Abb. 8: Direct volume rendering. Visualisierung: Kamil S. Kazimierski.
Beispiel in der medizinischen Anwendung der Tomograie
erfüllt, weshalb in diesem Kontext die Dichteinformation
des Objekts gewonnen werden kann.22 Streng genommen
handelt es sich aber bei solchen Dichtedaten um eine aus
den Volumendaten abgeleitete Information.
Bei der vorangehenden Vorstellung der Berechnung der
Volumendaten aus den Projektionsdaten ist immer davon
ausgegangen worden, dass die Intensität der Röntgenquelle
bekannt ist. Dies ist in der Praxis jedoch so gut wie nie der
Fall. Glücklicherweise stellt sich heraus, dass die obigen Ausführungen immer noch dazu genutzt werden können, eine
Rekonstruktion zu berechnen. Die Unkenntnis der Quellintensität führt aber dazu, dass der »Nullpunkt« als absoluter
Referenzpunkt der berechneten Absorptionskoeizienten
unbekannt bleibt. Das heißt: In den Volumendaten können
zwar quantitative Aussagen über Unterschiede von Absorptionskoeizienten gemacht werden, ohne jedoch die absoluten Werte dieser Koeizienten zu kennen. Der fehlende
absolute Referenzpunkt ist besonders hinderlich, wenn CTScans unterschiedlicher Objekte oder Hersteller verglichen
werden sollen. Kann nicht davon ausgegangen werden, dass
die Quellintensität bei allen Scans gleich war, so kann kein
Vergleich zwischen den Aufnahmen erfolgen.
Es kann weiter vorkommen, dass der im letzten Abschnitt
besprochene, dynamische Bereich der aufgezeichneten Projektionsdaten unbekannt ist. Eine Rekonstruktion von Volumendaten aus solchen Projektionsdaten ist zwar ebenfalls
möglich, führt aber dazu, dass die Einheit der rekonstruierten Absorptionskoeizienten unbekannt bleibt. Mit solchen
Daten können nicht mehr quantitative, sondern lediglich
qualitative Aussagen über die Absorptionseigenschaften
gemacht werden. Sowohl Quellintensität wie dynamischer
Bereich können in einem Gerät durch geeignete Kalibrierung
ermittelt werden. Insbesondere kann also gesagt werden,
dass eine zuverlässige Kalibrierung für die sinnvolle, quan-
22 Link und Heppe 1998.
FÖ 54, 2015
titative Auswertbarkeit von Volumendaten unerlässlich ist.
Insbesondere im Bereich der Anwendung der Tomograie
für die Untersuchung keramischer Objekte besteht in dieser
Hinsicht noch weiter großer Forschungsbedarf.
Für den letzten Aspekt der Diskussion der Volumendaten
kehren wir wieder zu den grundlegenden Voraussetzungen zurück. Wir sind davon ausgegangen, dass die einzige
Interaktion des Objekts und der Röntgenstrahlung die Absorption dieser Strahlung ist. Weiter, ohne dies bis jetzt explizit erwähnt zu haben, sind wir davon ausgegangen, dass
die Röntgenquelle monochromatische Strahlung erzeugt.
Abhängig von dem untersuchten Objekt, seiner Materialbeschafenheit und Positionierung im Tomografen können
beide Voraussetzungen verletzt sein.
Die entsprechenden physikalischen Phänomene, insbesondere Streuung (scattering) und Strahlaufhärtung (beam
hardening), beeinträchtigen in solchen Fällen die Qualität
der berechneten Rekonstruktion erheblich (siehe zum Beispiel Abb. 1–3). Neuere Ansätze, diese Phänomene bei der
Rekonstruktion zu berücksichtigen, basieren auf der Verwendung von polychromatischen Röntgenaufnahmen. Efiziente und zuverlässige Methodologie ist zur Behandlung
dieser Phänomene jedoch nach wie vor Gegenstand aktueller Forschung.
Oberflächendaten
Der Wert der CT in der Archäologie liegt in der Fähigkeit,
wissenschaftlichen Mehrwert anhand des untersuchten
Objekts zu generieren. Diesbezüglich stellen Volumendaten einen Angelpunkt der Prozesskette zur Gewinnung solchen Mehrwerts dar. Als Endprodukt des oben dargestellten
Scan- und Rekonstruktionsteils der CT werden sie nun Ausgangspunkt für jede weitere Auswertung. Der erste Schritt
der wissenschaftlichen Auswertung der Volumendaten ist
in aller Regel deren Sichtung. Damit ist eine angemessene
Visualisierung dieser Daten unerlässlich. Die weitaus bekannteste Methode dabei ist die Darstellung einer Höhen-,
Breiten- oder Längenschicht im Objekt mit Hilfe einer Graustufenskala (siehe zum Beispiel Abb. 1–3). Diese Darstellung
ist so allgegenwärtig, dass sie gemeinhin gleichbedeutend
mit dem Begrif »CT-Schnitt« geführt wird. Der Hauptnachteil dieser Darstellung ist, dass Strukturen, die nicht in Richtung einer der drei Hauptachsen der Volumendaten (Höhe,
Breite, Länge) liegen, in dieser Visualisierung nur unzureichend darstellbar und erkennbar sind.
Eine Alternative ist daher, die gesamten Volumendaten in
einem Bild darzustellen. Die zugehörige Gruppe von Visualisierungsmethoden wird unter dem Begrif »Volumengraik«
(volume rendering) zusammengefasst. Für eine besonders
beliebte Version werden die einzelnen Punkte (Voxel) der
Volumendaten zu Gruppen zusammengefasst. Im allereinfachsten Fall werden diese Gruppen direkt (direct volume
rendering) aus den Werten der Volumendaten generiert
(Abb. 8). Die entsprechenden Gruppen werden dann farblich
codiert. Die Visualisierung modelliert dann die Volumendaten als semitransparentes, lichtdurchlässiges farbiges Medium.
Die Aussagekraft der zugehörigen Visualisierungen
ist stark davon abhängig, wie gut die erkannten Gruppen
wissenschaftlich relevante Eigenschaften abbilden. Die Bestimmung der Gruppen wird Segmentierung genannt. Folgerichtig ist die Wahl einer passenden Segmentierung im
D69
Kamil S. Kazimierski und Stephan Karl
Allgemeinen ein unerlässlicher Vorverarbeitungsschritt für
erfolgreiche Volumengraik-Visualisierung. Die beiden oben
genannten Visualisierungsarten können allgemein für alle
in Volumenform darstellbaren Objekte benutzt werden.
Allerdings können bei der Untersuchung von keramischen Objekten weitere sinnvolle Grundannahmen über
die Beschafenheit des Objekts gemacht werden. So kann
im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass sich ein
Objekt aus dem Material Keramik aus einer Tonmatrix und
den darin enthaltenen Luftporen und Einschlüssen zusammensetzt. Setzt man voraus, dass diese Tonmatrix wie auch
die Einschlüsse homogene Materialeigenschaften, insbesondere Absorptionskoeizienten, aufweisen, so ist deren
Form besonders interessant für weitere Auswertungen des
Objekts. Da die Form durch die Fläche, die diese eingrenzt,
beschrieben wird, ist die Erfassung, Beschreibung und Darstellung von Oberlächen essentiell für die Beschreibung
von keramischen Objekten.
Die Tonmatrix wird von der umgebenden Luft und den
Einschlüssen durch den zugehörigen Absorptionskoeizientenwert in den Volumendaten abgetrennt. Die Fläche, die
einen Wert gegen andere in Volumendaten abtrennt, heißt
Isoläche. Um die Oberläche der Tonmatrix zu erfassen,
werden Algorithmen zur Bestimmung von Isolächen eingesetzt. Der weitaus bekannteste unter ihnen ist die sogenannten Marching-Cubes-Methode.23 Dabei werden die Volumendaten voxelweise durchgegangen und dabei wird die
zugehörige Isoläche konstruiert. Diese Flächen werden in
der Computergraik in aller Regel als Triangularisierungen,
das heißt, als ein Verbund von Dreiecken, beschrieben. Um
feine Strukturen abzubilden, werden dabei feinere, kleinere
Dreiecke verwendet als für grobe oder plane Strukturen.
Wir möchten an dieser Stelle zwei Probleme bei dieser
Methode der Erfassung und Beschreibung der Flächen ansprechen. Die mit der Marching-Cubes-Methode gewonnene
Oberläche besteht aus Dreiecken, die etwa so groß sind wie
die Voxel der zugehörigen Volumendaten. Gleichzeitig ist
klar, dass zur genauen Beschreibung von nicht planen, glatten Oberlächen mithilfe der Triangularisierung sehr feine
Dreiecke verwendet werden müssen. Damit führt die starre
Größe der Dreiecke bei der Marching-Cubes-Methode dazu,
dass Teile der Oberläche treppenartige Störungen (Abb. 9)
aufweisen können. Diese können nachträglich mit einem
Glättungsschritt zum Teil entfernt werden. Ist bereits im
Vorfeld klar, dass die zu berechnende Oberläche glatt ist,
können auch alternative Methoden eingesetzt werden, die
diese Information bei der Bestimmung der Oberlächendaten mitberücksichtigen.24
Unabhängig von der verwendeten Methode sollte stets
die bei der Erfassung der Oberlächendaten erreichbare Genauigkeit in die Überlegungen eingehen, denn obwohl die
physikalische Keramik und die umgebende Luft eine klare
Grenzoberläche besitzen, erstreckt sich diese abhängig vom
Verfahren, mit dem die Volumendaten aus den Projektionsdaten berechnet worden sind, über eine gewisse Breite von
Voxeln der Volumendaten (Abb. 10). Diese ›Verschmierung‹
der Grenze lässt sich nicht vollständig verhindern. Folgerichtig muss also festgehalten werden, dass die Erkennung
der Oberlächen mit einer ›Unsicherheit‹ verbunden ist,
die in der Regel größer ist als die nominelle Aulösung der
23 Lorensen und Cline 1987.
24 Crozier u. a. 2016. – Huber u. a. 2016.
D70
Abb. 9: Triangularisierungs-Artefakte bei Visualisierung durch die MarchingCubes-Methode. Visualisierung: Kamil S. Kazimierski.
Volumendaten. Der exakte Faktor zwischen der Aulösung
der Volumendaten und der Genauigkeit der Oberlächenbestimmung hängt von den Parametern der vorherigen
Prozessschritte ab. Quantitative Schätzung dieser Genauigkeiten wie auch empirische Protokolle zur Bestimmung der
bestmöglichen Kombination der Parameter für Oberlächenbestimmung sind nach wie vor ein herausforderndes Gebiet
der CT-Forschung.
Unabhängig von der erreichbaren Genauigkeit bei der
Bestimmung der Oberlächendaten aus den CT-Volumendaten muss grundsätzlich die Frage gestellt werden, wie diese
in Beziehung zu alternativen Methoden der Bestimmung
der Oberläche zu sehen sind. Besonders hervorzuheben
sind hier optische 3D-Scans mit einem Streifenlichtscanner.25
Diese erfassen zusätzlich zur Geometrie der Oberläche auch
die Textur, also die Farbinformation. Bei der wissenschaftlichen Untersuchung von archäologischen Objekten ist die
Farbinformation oftmals eine wichtige Informationsquelle
(siehe Abb. 3). Wie jede andere Erfassungsart sind auch
Streifenlichtscans methodenbedingt mit eigenen Herausforderungen verbunden. Diese können selbst bei optimaler
Verwendung des Scanners zu fehlenden oder korrupten
Oberlächenteilen führen. Die Erfassung der Oberläche aus
den CT-Volumendaten und die optische Erfassung sind demnach als komplementäre Vorgänge zu sehen.
Eigenschaften
Zurückblickend wird ersichtlich, dass man innerhalb der bis
jetzt vorgestellten Prozesskette einzig für die Aufnahme
der Projektionsdaten auf die Hardware- und Softwarewerkzeuge der CT-Hersteller und auf die Erfahrung des diese Anlagen bedienenden Technikers angewiesen ist. Sowohl für
die Bestimmung der Volumendaten aus den Projektionsdaten als auch für die Bestimmung der Oberlächendaten aus
den Volumendaten stehen Alternativen bereit, welche auf
die Untersuchung keramischer Objekten angepasst sind. In
diesen Schritten haben Archäologen als Endbenutzer der CT
vollständige Kontrolle über die Daten, deren Verarbeitung,
Darstellung und Speicherung.
Die Kontrolle über die Daten erlaubt der Prozesskette
zusätzliche, neue Schritte anzuschließen. Dies ist besonders
interessant im Hinblick auf Schritte, welche die wissenschaftliche Beschreibung, Einordnung und Interpretation
der keramischen Objekte erleichtern. Das Ziel ist, damit
25 Mara und Portl 2012.
FÖ 54, 2015
CT und archäologische Keramik
Abb. 10: ›Unsicherheiten‹ der Oberlächen-Erkennung durch ›Verschmierung‹ der Grenze. Im vergrößerten Ausschnitt reicht diese über eine Breite
von drei bis fünf Voxeln der Volumendaten. Visualisierung: Kamil S. Kazimierski.
Werkzeuge für die Archäologie anzubieten, welche eine
Auswertung der erhobenen oder errechneten Volumen- und
Oberlächendaten jenseits der rein visuellen, also grundsätzlich subjektiven, Inspektion ermöglichen.
Für eine solche Auswertung stehen in der Mathematik
eine ganze Anzahl von Mess-, Analyse- und Statistikverfahren zur Verfügung26, die Eigenschaften der untersuchten
Objekte für eine Objekt- und Materialcharakterisierung und
damit für vergleichende Studien herausarbeiten können.
Nur kurz sollen hier zum Abschluss diese Möglichkeiten,
zusammengefasst in Gruppen, aufgezeigt werden – unter
der Voraussetzung, dass die oben beschriebenen, technischund rekonstruktionsbedingten Artefakte und andere Störfaktoren bestmöglich gelöst wurden:
Mit den Oberlächendaten, sowohl des Objektes als
Ganzes wie auch der inneren Strukturen wie Poren und
Einschlüsse, können Volumina und Oberlächenmaße berechnet werden, womit Eigenschaften wie Objektmaße,
Keramikvolumen, Füllvolumen der Gefäße oder auch die Gesamtmenge und der Anteil der Porosität und der Einschlüsse
zum Ganzen gewonnen werden können.
Weiters kann die Oberläche per se quantiiziert werden,
wie nach dem Grad der Rauheit beziehungsweise Glattheit
der Fläche oder auch nach der Charakteristik der Drehrillen
(zumeist im Inneren von Gefäßen) mit ihrer objektspeziischen Abfolge von dickeren und dünneren Rillen und Wülsten. Diese herstellungsbedingten Drehrillen können noch
zusätzlich räumlich zur Rotationsachse in Bezug gestellt
werden. Aber auch die Genauigkeit des Rotationskörpers
selbst kann ausgewertet und visualisiert werden (Abb. 11).
Weiters können die in der Keramik detektierbaren Poren
und Einschlüsse in sich noch quantiiziert werden, nämlich
nach der Diversität ihrer Größe (jeweilige Anteile, minimale/
maximale Größe etc.) und ihrer Form (röhrenförmig, kugelförmig etc.) oder – noch weiter untergliedert – das Verhältnis der Einschlüsse nach ihrer jeweiligen Einheit des rekonstruierten Absorptionskoeizienten (in etwa entspricht dieser
der Dichteinformation des Materials des Einschlusses).
Es liegt an der Archäologie, sich hier die für ihre jeweilige
Fragestellung geeignetsten Wege zu überlegen und in Zusammenarbeit mit der Mathematik zu entwickeln.
Abb. 11: Bestimmung der Genauigkeit eines Rotationskörpers. Berechnung
der Rotationsachse aus den Oberlächendaten. Visualisierung: Kamil S.
Kazimierski.
Literaturverzeichnis
Applbaum und Applbaum 2005: Nachum Applbaum und Yaakov H. Applbaum, The Use of Medical Computed Tomography (CT) Imaging in the Study
of Ceramic and Clay Archaeological Artifacts from the Ancient Near East. In:
Masayuki Uda u. a. (Hrsg.), X-rays for Archaeology, Dordecht 2005, 231–245.
Berg 2008: Ina Berg, Looking through pots. Recent advances in ceramics
X-radiography, Journal of Archaeological Science 35, 2008, 1177–1188.
Berg 2009: Ina Berg, X-radiography of Knossian Bronze Age vessels. Assessing
our knowledge of primary forming techniques, Annual of the British School at
Athens 104, 2009, 137–173.
Buzug 2010: Thorsten M. Buzug, Computed Tomography. From Photon
Statistics to Modern Cone-Beam CT, Berlin-Heidelberg 2010.
Casali 2006: Franco Casali, X-ray and Neutron Digital Radiography and
Computed Tomography for Cultural Heritage. In: Dudley Bradley und David
Creagh (Hrsg.), Physical Techniques in the Study of Art, Archaeology and
Cultural Heritage, Amsterdam 2006, 41–123.
Crozier u. a. 2016: Andrew Crozier, Christoph M. Augustin, Aurel-Vasile
Neic, Anton J. Prassl, Martin Holler, Thomas E. Fastl, Anja Hennemuth,
Kristian Bredies, Titus Kuehne, Martin J. Bishop, Steven A. Niederer und
Gernot Plank, Image-Based Personalization of Cardiac Anatomy for Coupled
Electromechanical Modeling, Annals of Biomedical Engineering 44/1, 2016,
58–70.
CVA Graz Universität 1: Maria Christidis, Stephan Karl, Gabriele Koiner
und Gerda Schwarz, Originalsammlung des Instituts für Archäologie der KarlFranzens-Universität. CVA Graz Universität 1, CVA Österreich 6, Wien 2014.
Ebinger-Rist u. a. 2010: Nicole Ebinger-Rist, Christina Peek und Jörg Stelzner, Mehr Durchblick in kürzester Zeit. Befunddokumentation mit 3D-Computertomographie. In: Matthias Knaut und Roland Schwab (Hrsg.), Archäologie im 21. Jahrhundert. Innovative Methoden. Bahnbrechende Ergebnisse,
Archäologie in Deutschland. Sonderheft 2010 PLUS, Stuttgart 2010, 80–91.
Gassner 2003: Verena Gassner, Materielle Kultur und kulturelle Identität in
Elea in spätarchaischer-frühklassischer Zeit. Untersuchungen zur Gefäß- und
Baukeramik aus der Unterstadt, Velia-Studien 2, Wien 2003.
Greene und Hartley 2007: Alan F. Greene und Charles W. Hartley, From
analog to digital. Protocols and program for a systematic digital radiography
of archaeological pottery. In: Katalin T. Biró u. a. (Hrsg.), Vessels. Inside and
outside. Proceedings of the Conference EMAC '07. 9th European Meeting on
Ancient Ceramics. Budapest 24–27 October 2007, Budapest 2007, 5–14.
Huber u. a. 2016: Richard Huber, Martin Holler und Kristian Bredies,
Graph-Laplacian minimisation for surface smoothing in 3D inite element tetrahedral meshes. In: Kurt Niel u. a. (Hrsg.), Vision meets Robotics, Proceedings
of the 1st OAGM & ARW Joint Workshop on »Computer vision and robotics«.
11.–13. Mai 2016 Wels, Wels 2016, 53–60.
26 Russ und Neal 2016.
FÖ 54, 2015
D71
Kamil S. Kazimierski und Stephan Karl
Jansen u. a. 2001: Roel J. Jansen, Hans F. W. Koens, Cornelis W. Neeft und
Jaap Stoker, Scenes from the Past. CT in the Archaeologic Study of Ancient
Greek Ceramics, RadioGraphics 21, 2001, 315–321.
Jansen und Koens 1996: Roel J. Jansen und Hans F. W. Koens, Computer
Tomography. A Tool in the Study of Ancient Ceramics. In: Pieter Heesen, The
J. L. Theodor Collection of Attic Black-F igure Vases, Allard Pierson Series 10,
Amsterdam 1996, 199–201.
Jungblut u. a. 2013: Daniel Jungblut, Stephan Karl, Hubert Mara, Susanne
Krömker und Gabriel Wittum, Automated GPU-Based Surface Morphology
Reconstruction of Volume Data for Archaeology. In: Hans G. Bock u. a. (Hrsg.),
Scientiic Computing and Cultural Heritage. Contributions in Computional
Humanities, Heidelberg 2013, 41–49.
Kahl und Ramminger 2012: Wolf-Achim Kahl und Britta Ramminger,
Non-destructive fabric analysis of prehistoric pottery using high-resolution
X-ray microtomography. A pilot study on the late Mesolithic to Neolithic site
Hamburg-Boberg, Journal of Archaeological Science 39, 2012, 2206–2219.
Karl u. a. 2013: Stephan Karl, Daniel Jungblut und Jördis Rosc, Berührungsfreie und nicht invasive Untersuchung antiker Keramik mittels industrieller
Röntgen-Computertomograie. Mit einem Beitrag von Rudolf Erlach. In: Elisabeth Trinkl (Hrsg.), Interdisziplinäre Dokumentations- und Visualisierungsmethoden, CVA Österreich. Beiheft 1, Wien 2013, 73–114.
Karl u. a. 2014: Stephan Karl, Daniel Jungblut, Hubert Mara, Gabriel
Wittum und Susanne Krömker, Insights into manufacturing techniques of
archaeological pottery: Industrial X-ray computed tomography as a tool in
the examination of cultural material. In: Marcos Martinón-Torres (Hrsg.),
Craft and science. International perspectives on archaeological ceramics. 10th
European Meeting on Ancient Ceramics (EMAC '09) London. 10.–13. 09. 2009,
UCL Qatar Series in Archaeology and Cultural Heritage, Doha 2014, 253–261.
Koens und Jansen 1999: Hans F. W. Koens und Roel J. Jansen, Computed
Tomography and Ancient Ceramics: a new approach. In: Roald F. Docter
und Eric M. Moorman (Hrsg.), Classical Archaeology towards the Third
Millennium. Relections and Perspectives. Proceedings of the XVth International
Congress of Classical Archaeology. Amsterdam July 12–17 1998, Allard Pierson
Series 12, Amsterdam 1999, 223–224.
Link und Heppe 1998: Thomas M. Link und Annelie Heppe, Physikalische und
technische Grundlagen der Radiologie. Fragen und Antworten2, Berlin-Heidelberg 1998.
Lorensen und Cline 1987: William E. Lorensen und Harvey E. Cline, Marching Cubes. A high resolution 3D surface construction algorithm, Computer
Graphics 21/4, 1987, 163–169.
Mara und Portl 2012: Hubert Mara und Julia Portl, Acquisition and Documentation of Vessels using High-Resolution 3D-Scanners. In: Elisabeth Trinkl
(Hrsg.), Interdisziplinäre Dokumentations- und Visualisierungsmethoden, CVA
Österreich. Beiheft 1, Wien 2013, 25–40.
McKenzie-Clark und Magnussen 2014: Jaye McKenzie-Clark und John Magnussen, Dual energy computed tomography for the non-destructive analysis
of ancient ceramics, Archaeometry 56, 2014, 573–590.
D72
Middleton 2005: Andrew Middleton, Ceramics. In: Janet Lang und Andrew
Middleton (Hrsg.), Radiography of Cultural Material2, Burlington 2005,
76–95.
Peek u. a. 2009: Christina Peek, Nicole Ebinger-Rist und Jörg Stelzner, Zur
Bearbeitung frühmittelalterlicher Grabfunde des Friedhofs von Lauchheim
(Ostalbkr.). Möglichkeiten und Grenzen digitaler Untersuchungsmethoden,
Archäologisches Korrespondenzblatt 39, 2009, 559–578.
Rieder 2013: Andreas Rieder, Keine Probleme mit Inversen Problemen. Eine
Einführung in ihre stabile Lösung, Berlin-Heidelberg 2013.
Russ und Neal 2016: John C. Russ und F. Brent Neal, The Image Processing
Handbook7, Boca Raton-London-New York 2016.
Scherzer u. a. 2009: Otmar Scherzer, Markus Grasmair, Harald Grossauer, Markus Haltmeier und Frank Lenzen, Variational methods in imaging,
Applied Mathematical Sciences 167, New York 2009.
Schreiber 1999: Toby Schreiber, Athenian Vase Construction. A Potter's
Analysis, Malibu 1999.
Schuster u. a. 2012: Thomas Schuster, Barbara Kaltenbacher, Bernd Hofmann und Kamil S. Kazimierski, Regularization Methods in Banach spaces,
Radon Series on Computational and Applied Mathematics 10, Berlin 2012.
Van de Put 1996: Winfred D. J. Van de Put, The Use of Computer Tomography
for the Study of Greek Ceramics. In: Pieter Heesen, The J. L. Theodor Collection of Attic Black-F igure Vases, Allard Pierson Series 10, Amsterdam 1996,
203–205.
Van Duivenvoorde 2000: Wendy van Duivenvoorde, Attisch aardewerk gevormd in de CT-scan. Computertomograie in de archeologie: de vervaardiging
van Attisch zwartigurig aardewerk uit de zesde en vijfde eeuw voor Christus,
unpubl. Dipl. Univ. Amsterdam, 2000.
Whitbread 2003: Ian. K. Whitbread, Clays of Corinth. The study of a basic resource for ceramic production. In: Charles K. Williams II. und Nancy Bookidis
(Hrsg.), Corinth. The centenary 1896–1996, Corinth 20, Princeton 2003, 1–13.
Autoren
Dipl.-Math. Dr. Kamil S. Kazimierski
Institut für Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen
NAWI Graz
Karl-Franzens-Universität Graz
Heinrichstraße 36
8010 Graz
Mag. Dr. Stephan Karl
Dr.-Emperger-Weg 14
8052 Graz
FÖ 54, 2015