Reinmann-Rothmeier, Gabi; Mandl, Heinz
Lernen in Unternehmen
Unterrichtswissenschaft 21 (1993) 3, S. 233-260
urn:nbn:de:0111-opus-81902
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Unterrichtswissenschaft
Zeitschrift für
21.
Lernforschung
Jahrgang/1993/Heft 3
Thema:
Lernen in Unternehmen
Verantwortlicher
Herausgeber:
Heinz Mandl
Heinz Mandl:
Einführung
194
Gabriele
Beitinger, Heinz Mandl, Alexander Renkl:
eine empirische Untersuchung
Suggestopädischer Unterricht
zu kognitiven, motivational-emotionalen und sozialen
Auswirkungen
195
Geyken, Heinz Mandl:
Unterstützung des selbstgesteuerten
Tele-CBT Umgebung
214
—
Alexander
Gabi
Lernens in einer
Reinmann-Rothmeier, Heinz Mandl:
Lernen in Unternehmen
Allgemeiner
233
Teil
Haymo Mitschian:
Objektorientierte Programmierung: Perspektiven für
computergestützte Lern- und Lehrprogramme DaF
261
Buchbesprechungen
281
Berichte und
286
Mitteilungen
193
Gabi
Reinmann-Rothmeier,
Heinz Mandl
Lernen in Unternehmen
Learning
in
organizations
Nach einer
Erläuterung der wachsenden Bedeutung des Lernens in Unternehmen wird
zwei
auf die Konzepte Organisationsentwicklung und Lernkultur eingegangen
Konzepte, die einen Rahmen für das Lernen in Unternehmen und für die Entwicklung zu
einem lernenden Unternehmen bilden. Dabei wird die Integration der Mitarbeiter in
eine Community of practice als wichtiger Faktor zur Förderung des Lernens
herausgestellt. Eine Lernkultur umfaßt neben der positiven Einstellung zum Lernen zwei
verschiedene Lernformen: das implizite und das explizite Lernen. Die Tragweite und
Wirksamkeit des impliziten Lernens sowie dessen Voraussetzungen im Unternehmen
und bei den Mitarbeitern wird am Beispiel von Gruppen- und Teamarbeit näher
ausgeführt. Explizites Lernen dagegen erfolgt in spezifischen Lernumgebungen. Infolge
der zunehmenden Bedeutung des Medieneinsatzes in der beruflichen Weiterbildung
werden die Möglichkeiten und Vorteile multimedialer Lernumgebungen sowie die dabei
zu berücksichtigenden Kontextfaktoren beschrieben und diskutiert. Diese beiden
Lernformen stellen keine sich ausschließenden Alternativen dar, sondern ergänzen
einander und können nur in einer gemeinsamen Realisierung zur Schaffung einer
Lemkultur im Unternehmen beitragen.
näher
—
After illustrating
the importance of learning in organizations, the concepts of leaming
organizational development are considered. These concepts form a
theoretical frame for leaming in organizations and for the development ofa learning
Organization. Thereby, the Integration ofthe employees in a Community of practice is
emphasizedas an important factor topromote learning. In addition to positive attitudes
towards leaming, a learning culture includes two forms of leaming: implicit andexplicit
learning. The importance and effectiveness of implicit leaming as well as its
preconditions in the Organization are explained in detail on the examples of group work
and team work. Explicit learning, however, takesplace in specific leaming environments.
Due to the increasing importance ofusing media in continued education we describe and
discuss the potentials and advantages ofmultimedia learning environments as wellas the
context factors to be considered Both forms of learning do not represent mutually
exclusive alternatives but rather are complementary and contribute to the creation ofa
learning culture only ifthey arejointly realized.
culture and
Einleitung
Organisationsentwicklung, Teambildung, Gruppenarbeit, Weiterbil¬
diese Liste von Schlagworten, die in
dung, Training, Medienverbund
Zusammenhang mit der Qualifikation des Personals und der
Weiterentwicklung von Unternehmen häufig genannt und diskutiert
werden, ließe sich noch weiter fortsetzen. Den Begriffen gemeinsam ist
der Grundgedanke, sich verändernden Bedingungen im wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Bereich anzupassen, konkurrenzfähig zu bleiben
—
und Innovationen
aus
anderen Bereichen wie auch anderen Ländern
233
diesbzüglich eine Vorreiterrolle zu übernehmen.
aUerdings auf, daß insbesondere die Organisations- und
Wirtschaftspsychologie, die sich für diesen Bereich für zuständig erklärt
und auch entsprechend etabhert hat, den Begriff des Lernens aUenfaUs
als zusätzliches Attribut im Rahmen organisationsorientierter Konzepte
thematisiert. Auch in pädagogisch-didaktischen Ansätzen, die sich
schwerpunktmäßig mit der Weiterbüdung beschäftigen, kommt noch
häufig die Bedeutung des Lernens zugunsten des Lehrens zu kurz.
Das Lernen in den Vordergrund der Überlegungen und Konzeptionen
zur Weiterentwicklung von Unternehmen und deren Mitgliedern zu
stellen, ist Anliegen dieses Beitrags. Organisatorische und didaktische
Perspektiven bedürfen einer pädagogisch-psychologischen Ergänzung,
die sich auch als sinnvolle und praktikable Integrationsmöglichkeit
verschiedener Perspektiven erweist, die alle ihre Berechtigung und
Notwendigkeit haben, aber nur in ihrer gemeinsamen Berücksichtigung
der tatsächlichen Weiterentwicklung von Unternehmen und ihren
nicht nachzustehen oder
Dabei fäUt
Mitarbeitern dienen.
folgenden soUen verschiedene Überlegungen und Konzepte
dargestellt und erläutert werden, die zur Optimierung von Lernprozessen
in Unternehmen von Bedeutung sind. Dazu ein kurzer Überblick:
Nach einer einführenden Betrachtung der Bedeutung des Lernens in
Unternehmen wird zunächst näher auf die Konzepte Organisationsent¬
wicklung und Lernkultur eingegangen
Konzepte, die so grundlegend
dieses
vielen
Stellen
daß
weiteren
an
Beitrags auf sie zurückgegriffen
sind,
wird. Insbesondere die Idee der Schaffung einer Lernkultur büdet
sozusagen den roten Faden, der sich durch die folgenden Ausführungen
zieht. Eng verknüpft mit der Vorstellung des permanenten Lernens im
Unternehmen ist der Community of practice-Ansatz, der eine andere und
wichtige zusätzliche Perspektive des Lernens in der Arbeitstätigkeit
darsteUt. Es liegt nahe, im Rahmen von Lernkultur implizites und
explizites Lernen als Kontinuum zu betrachten. Implizites Lernen
umfaßt dabei vor allem die Ideen von Gruppen- und Teamarbeit,
während explizites Lernen auf die Gestaltung spezifischer Lernumge¬
bungen verweist. Letzteres stößt vor allem in Hinblick auf den Einsatz
Im
—
verschiedener Medien auf wachsendes Interesse. Beide Lernformen
nur deren gemeinsame
wichtig und zukunftsträchtig
Betrachtung und Realisierung führt zu dem, was zu Beginn dieses
Beitrags als bedeutender Entwicklungsfaktor beschrieben wurde: zu
erweisen sich als
—
einer Lemkultur im Unternehmen, die das Unternehmen
lernenden
1. Die
zu
einer
Organisation macht.
Bedeutung des Lernens
im Unternehmen
längst nicht mehr auf Schule und Ausbüdung beschränkt.
Gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Entwicklungen
Lernen ist
234
machen das Lernen auf nahezu allen Ebenen
unseres
Lebens
zu
einem
permanenten Prozeß. Dieser zunehmende Lernbedarf spiegelt sich auch
in den Unternehmen wider, die bei der Konzeption ihrer Weiterbüdungs¬
aktivitäten wachsenden und auch
neuen
Lernanforderungen gegenüber¬
stehen.
Wie kann
gerecht
zu
man
dem
quahtativ
und
quantitativ gestiegenen Lernbedarf
werden? Traditionelle Lehrformen scheinen hier
geraten: Es fehlt
an
ihre Grenzen
Zeit, Personal, Geld und Motivation,
an
um
mit
Weiterbüdung im klassischen Kurssystem die erforderlichen Lernprozes¬
se und -ergebnisse zu erreichen. Träges Wissen (Bransford, Sherwood,
Hasselbring, Kinzer & WiUiams, 1990) und mangelnder Transfer in der
traditionellen Weiterbüdungspraxis treten als weitere erschwerende
Faktoren hinzu.
Gefordert
sind
daher
selbstgesteuerten
Lernen
Formen
des Lernens, wobei dem
Bedeutung zukommt. Sowohl aus
betrieblicher als auch aus psychologischer und didaktischer Sicht
erscheint es notwendig und sinnvoll, der Selbststeuerung beim Lernen
einen wachsenden Stellenwert einzuräumen. Selbstgesteuertes Lernen
muß aUerdings oft erst gelernt werden (Beitinger & Mandl, 1992;
Friedrich & Mandl, 1990), eröffnet dann aber vielfältige Chancen für das
Lernen in Unternehmen. Eine solche Selbststeuerung impliziert, daß der
Lernende sein Lernen eigenständig und eigenverantwortlich plant,
organisiert, steuert und kontrolliert (Mandl & Fischer, 1982; Simons,
1992). Dies erfordert zum einen Lernumgebungen, die hierzu den
erforderlichen Handlungsspielraum gewähren, und zum anderen
entsprechende Kompetenz und Motivation auf Seiten der Lernenden.
Neben dem selbstgesteuerten Lernen wächst auch die Bedeutung des
kooperativen Lernens: Es ist für die Weiterentwicklung von Unternehmen
wichtig, daß ihre Mitarbeiter mit- und voneinander lernen, teamorien¬
tiert zusammenarbeiten und sich in gemeinsamen Lernprozessen neuen
Entwicklungen und Veränderungen im Unternehmen steUen bzw. diese
vorantreiben. Kooperation ist auch ein Weg, um das bereits existierende
Wissen der Mitarbeiter
Unternehmen
neue
besondere
zu
mobüisieren und für andere wie auch für das
insgesamt nutzbar
zu
machen
(Grant, 1992).
Lernen ist dabei stets ein aktiver und konstruktiver Prozeß: Beim Erwerb
Wissen und
Fertigkeiten ist der Lernende keineswegs passiv¬
Lernprozeß kann vielmehr nur unter seiner aktiven
rezeptiv;
entstehen.
Lernen ist eine konstruktive Tätigkeit, bei der
Beteiligung
von
ein
Inhalte
unter
verarbeitet und
dem
Einfluß
interpretiert
verschiedener
individueUer
Faktoren
werden.
Lernen ist in vieler Hinsicht auch ein sozialer Prozeß: Wissen und
Fertigkeiten erwirbt und erweitert man von und mit anderen, wobei diese
Interaktion und Kooperation unterschiedlich direkt und unmittelbar
ablaufen kann.
Lernen im Unternehmen kann also als zentraler Faktor betrachtet
werden, der sich nicht auf isolierte und zeitlich begrenzte Aus- und
235
Weiterbüdungsaktivitäten beschränkt, sondern für die gesamte
Organisation von Bedeutung ist und die Entwicklung einer Lemkultur
(Meyer-Dohm, 1991a) nahelegt. Die Lernfähigkeit des Unternehmens
und seiner Mitarbeiter ist die notwendige Voraussetzung dafür, eine
lernende Organisation zu werden (Grant, 1992).
2. Lernkultur und
Organisationsentwicklung
2.1 Lernkultur
zum Ausdruck bringen, daß Lernen in
Organisationen (beide Begriffe sind hier synonym zu
verstehen) zum ständigen Faktor, zum überdauernden Prozeß wird
(Meyer-Dohm, 1991b). Lemkultur impliziert, daß sich auf allen Ebenen
der Organisation, von den Mitarbeitern über Management bis zur
Unternehmensleitung, eine entsprechende Änderung der Einstellung und
Bereitschaft zum Lernen ergibt und letztlich etabliert. Einstellungen
umfassen kognitive, affektive und konative (Antriebs-) Komponenten
und können als weitgehend erlernte Dispositionen zum Handeln
betrachtet werden (Fishbein & Ajzen, 1975; Meinefeld, 1992). Eine
positive EinsteUung zum Lernen umschreibt somit die affektiv-kognitive
Bereitschaft, sich auf Lernprozesse einzulassen und sich neuen
Erfahrungen zu öffnen.
Der
Begriff
der Lemkultur soll
Unternehmen oder
Begriff der Lernkultur darf sich allerdings nicht auf die Ebene der
EinsteUung und Haltung gegenüber dem Lernen in Unternehmen
beschränken. Vielmehr müssen infolge (bzw. auch paraUel zu) der
Schaffung einer Lernkultur konkrete Veränderungen im Unternehmen
initiiert und realisiert werden. Neben einer generellen Bereitschaft und
Motivation zum Lernen bei allen Organisationsmitgliedern muß die
Organisation Bedingungen schaffen, die sowohl nicht unmittelbar
geplantes Lernen in der Arbeitstätigkeit als auch explizit organisiertes
Lernen ermöglichen und fördern. Wenn in diesem Sinne Lernbereit¬
schaft sowie implizites und explizites Lernen gefördert und diese
Förderung als entscheidende Ressource für das Unternehmen erkannt
wird, ist das Unternehmen auf dem Weg, zu einer lernenden Organisation
Der
zu
werden.
Eine
Förderung
der Lernkultur ist sowohl im Sinne der Mitarbeiter als
auch im Sinne des Unternehmens erstrebenswert und
eignet sich daher
Ausgangspunkt für eine (zumindest partielle) Überwindung des
Spannungsverhältnisses zwischen Organisation und Individuum.
als ein
Diese
Charakterisierung des Begriffs Lernkultur deutet bereits darauf
hin, daß sich die Lernkultur als ein Element der Organisationsentwick¬
lung interpretieren läßt. Die nachfolgenden Erläuterungen lassen
erkennen, daß die Förderung der Lernkultur ein, wenn nicht gar der
wesentliche Aspekt von Organisationsentwicklung ist.
236
2.2
Organisationsentwicklung
Begriff der Organisationsentwicklung gibt es keine aUgemein
(Neuberger, 1991; von Rosenstiel, 1987a).
Organisationsentwicklung bezeichnet eher ein Konzept, eine Idee, die
eine charakteristische Sichtweise von Organisationen und deren Struktur
und Funktionen zum Ausdruck bringen und realisieren wül.
Entscheidendes Merkmal der Organisationsentwicklung ist eine
langfristige und dynamische Veränderungsperspektive: Organisationen
befinden sich in einem ständigen Wandel. Das Ziel einer flexiblen
Anpassung der Organisation an Veränderungen der Umwelt macht
diesen Wandel wie auch eine Steigemng der Problemlösefahigkeit der
Organisation erforderlich. Im Fokus von Organisationsentwicklung
stehen Organisation und Person: Im Rahmen der Organisationsentwick¬
lung wird versucht, individuelle Entwicklungen und Bedürfnisse der
Mitarbeiter einerseits und Ziele und Strukturen der Organisation
andererseits zu integrieren; damit verbunden ist der Versuch einer
Versöhnung von Humanität und Effektivität (Neuberger, 1991). Ein
wichtiges Postulat der Organisationsentwicklung ist die aktive
Mitwirkung an Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen sowie das
gemeinsame Lernen aller Betroffenen. Hierzu ist die Verwirklichung
demokratischer und partizipativer Prinzipien auf aUen Ebenen eine
notwendige Voraussetzung (von Rosenstiel, 1987b).
Für den
verbindliche Definition
Lernen kann damit als der entscheidende Prozeß im Rahmen einer
Organisationsentwicklung betrachtet werden: Organisationsentwick¬
lung impliziert Lernen in Form von Weiterentwicklung und Anpassung
an veränderte äußere und innere Bedingungen.
Das Konzept der Organisationsentwicklung ist zu verstehen als ein
dialektischer Zusammenhang zwischen Veränderungen der Organisation
und Veränderungen der Mitarbeiter (auf allen Ebenen).
X
Veränderung
Organisation
der
Veränderung der
Mitarbeiter
t:
In
ähnlicher
Weise
gilt
dies
bei
dem
der
spezifischeren Konzept
Lernkultur.
A.
Veränderung der Haltung
zum
und der konkreten
Auseinandersetzung mit
Lernen in der Organisation
Veränderung der Haltung
zum
Lernen und der
Nutzung
von
Lernangeboten
bei den Individuen
1
237
Organisationsentwicklung und die Schaffung einer Lemkultur können
wesentliche Grandlage dafür gelten,
spezifischen Lernumgebungen
daß neben
als
Lernen in
organisiertem
Arbeitstätigkeit und in
auch Lernen in der
der Zusammenarbeit mit anderen stattfindet. Daß diese Form des Lernens
für die Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnt, wurde bereits
erläutert.
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Darstellung des Zusammenhangs zwischen Organisationsentwicklung
und Lernkultur
238
pädagogisch-psychologischer Sicht wird funktionales
(implizites)
kooperatives Lernen thematisiert und in handlungs¬
orientierten Ansätzen auf aUe Lernvorgänge im Leben eines Menschen
bezogen. Einer diese Ansätze beinhaltet das Konzept der Community of
ein Konzept, das insbesondere für das Lernen in
practice
Unternehmen wichtige Implikationen bietet und im nächsten Abschnitt
vorgesteUt wird.
Abbüdung 1 veranschaulicht noch einmal den Zusammenhang zwischen
Organisationsentwicklung und Lemkultur und verweist auf den
Kontext, in dem diese Konzepte eingebettet sind. Auf die einzelnen
Kontextfaktoren wird an späterer Stelle genauer eingegangen.
Auch
aus
und
—
3. Die
Bedeutung der Community ofpractice beim
Lernen
Lernen kann in vielerlei Hinsicht als
Entwicklung vom Novizen zum
Experten betrachtet werden (Bedard & Chi, 1992; Dreyfus & Dreyfus,
1987; Kozma, 1992). Die Gestaltung und BereitsteUung von
Lernumgebungen, in denen Lernen in geplanter und weitgehend
organisierter Form stattfindet, ist ein entscheidender Baustein zur
Förderung des Lernens in Unternehmen. Doch die Entwicklung zum
Experten auf einem Gebiet erfolgt nicht automatisch mit der Schaffung
von Voraussetzungen für eine Lernkultur oder mit der Einführung und
Gestaltung von spezifischen Lemumgebungen. Für diesen Anspruch ist
zusätzlich die Integration von Lernenden in eine Expertengemeinschaft,
in eine Community ofpractice erforderlich (Lave, 1991; Pea, 1992). Der
Community of practice-Ans&tz stellt eine sozial-konstruktivistische
Perspektive dar, die zwar über das Lernen in Unternehmen hinausgeht,
aber hierfür grundlegende Hinweise bietet. Konstruktivistisch ist dabei
vor allem die Grundannahme, daß jedes Ereignis viele Bedutungen oder
eine einzig richtige Bedeutung gibt es nicht. Reahtät
Perspektiven hat
ist danach das Ergebnis eines konstruktivistischen Prozesses (Bednar,
Cunningham, Duffy & Perry, 1991).
—
In
einem
Exkurs
seien
in
vereinfachter
Form
die
für
unseren
Zusammenhang wesentlichen Grundüberlegungen dieses Ansatzes
zusammengefaßt.
Um die Welt (oder einzelne Ausschnitte aus der realen Welt) verstehen zu
können, sind Konzepte erforderlich, also irgendeine Form grundlegen¬
den «Wissens. Dieses Wissen ist das Ergebnis von Kooperation und
Austausch zwischen miteinander in Beziehung stehenden Menschen in
Situationen.
sozialen
Symbole dienen zur Verständigung und
Weiterentwicklung dieses Wissens. Symbole erhalten ihre Bedeutung
jedoch erst, wenn sie in sozialen Kontexten verwendet und von den
Beteüigten in der Situation interpretiert werden. Um Symbole
vollständig verstehen und mit ihnen umgehen zu können, müssen sie
(nach Wygotski, 1934/1986) internalisiert werden. Dabei ist auch die
239
Internalisierung von Symbolen und deren Bedeutung ein sozialer Prozeß:
Die Art und Weise, wie andere Mitglieder der sozialen Umwelt die
Symbole verwenden, dient als Modell für die internale Anwendung
derselben. Interpersonale Prozesse werden nach dieser Sichtweise in
intrapersonale Prozesse transformiert.
Expertengemeinschaft ist das Wissen immer sozial
konstruiert. In Abhängigkeit von diesem sozial konstruierten Wissen
entstehen spezialisierte Symbolsysteme, die es ermöglichen, daß sich die
Mitglieder der Gemeinschaft untereinander verständigen, verstehen und
neues Wissen aufbauen. Es ist daher zum Erwerb der Mitgliedschaft in
einer Gemeinschaft der erste und notwendige Schritt, die symbolischen
Auch
in
einer
Ausdrücke und rhetorischen Konventionen dieser Gemeinschaft
zu
erwerben, anwenden zu lernen und schließlich zu internalisieren. Es liegt
auf der Hand, daß dies dann problematisch bzw. nahezu unmöglich ist,
wenn der Lernende oder Novize nur das „Handwerkszeug" erwirbt, aber
der Community of practice steht. Die symbolischen
Fertigkeiten und das konzeptueUe Wissen sowie das Handeln eines
Experten erlernt der Novize nur, wenn er in die Community of practice
integriert ist (Kozma, 1992).
außerhalb
der BereitsteUung von Strukturen, die eine Lernkultur
ermögUchen, und der Gestaltung von Lernumgebungen ist es daher auch
in Unternehmen wichtig, das Lernen in einer Community ofpractice zu
situieren: Nur durch Kooperation mit Experten und Integration in ihre
Tätigkeiten sowie durch Interaktion mit anderen Lernenden kann
gewährleistet werden, daß neue Fertigkeiten auch eingesetzt und Teü des
eigenen Handelns werden, daß neues Wissen internalisiert und mit der
gleichen Bedeutung versehen ist, wie sie in der Expertengemeinschaft
geteüt wird. Das Lernen von und mit Kollegen und Vorgesetzten, die
zusammen eine Expertengemeinschaft bilden, wird mancherorts auch als
Erfahrungslernen bezeichnet. Diese Form des Lernens durch Tätigsein in
relevanten Aufgaben, durch gegenseitige Unterstützung und Erfahrungs¬
austausch stellt eine der entscheidensten Qualifizierungsformen dar
(Kloas & Puhlmann, 1992).
Neben
Diese
Erkenntnis
des Community of practice-Ansatzes kann als
Grundlage für die Förderung des impliziten Lernens
betrachtet werden, die insbesondere durch Team- und Gruppenarbeit zu
theoretische
realisieren ist.
4.
Implizites
Lernen und
explizites
Wie bereits erläutert, umfaßt der
Lernen
Begriff Lernkultur eine positive Ein¬
stellung zum Lernen verbunden mit einer lebenslangen Lernbereitschaft
der Organisation und ihrer Mitglieder sowie Lernen in einem impliziten
und expliziten Sinne (vgl. Abbüdung 2).
240
Organisationsentwicklung
Lernkultui
^7
instellung
implizites
Lernen
zum
Lernen
£> explizites
i
Abbildung
2:
Komponenten
Lernen
der Lernkultur
Während Lernen im expliziten Sinne ein organisiertes Lernen in
geplanten Lernumgebungen meint, bedeutet Lernen im impliziten Sinne
ein eher inzidentelles, nicht unmittelbar intendiertes Lernen: Lernen in
der Arbeitstätigkeit; Lernen durch Zusammenarbeiten mit anderen
(kooperatives Lernen), Lernen von anderen am Arbeitsplatz. Implizites
Lernen kann verstanden werden als Veränderungsprozeß von Wissen
und Fertigkeiten durch das Tätigsein mit anderen. Grundlage dieser
Interpretation des Lernens ist der bereits erläuterte Community of
practice-Ansatz, demzufolge die aktive Mitgliedschaft und Teühabe an
einer tätigen Gemeinschaft Kern und Voraussetzung aUen Lernens ist.
Möglichkeit zum impliziten Lernen in diesem Sinne ist allerdings an
von Voraussetzungen auf Seiten des Unternehmens und ihrer
Mitglieder gebunden.
Die
eine Reihe
muß zunächst die notwendigen Voraussetzungen
organisatorischer Art schaffen, um ein beständiges
Lernen aller Organisationsmitglieder erst zu ermöglichen. Hierzu
gehören vor allem folgende Komponenten.
Das
Unternehmen
struktureller und
—
Abbau
starrer
Hierarchien
Unternehmen, Förderung eines
bei allen, die Führungsaufgaben
im
Führungsstils
(Fischer, 1990), und insbesondere Partizipation
der Mitarbeiter an wichtigen Entscheidungen und Geschehnissen,
kooperativen
übernehmen müssen
vor
allem dann,
wenn
die Mitarbeiter selbst direkt oder indirekt
davon betroffen sind.
—
—
Gewährung von Zugang zu Information für alle Organisationsmit¬
glieder, d.h. ungehinderter Informationsfluß auf allen Ebenen des
Unternehmens, denn nur Mitarbeiter, die informiert sind, können
und wollen sich auch aktiv einbringen.
Förderung
von
Kooperation
und Informationsaustausch auf zwei
Ebenen: Austausch innerhalb der
Organisation
durch Kommunika¬
tion, Gesprächsrunden, Foren, Qualitätszirkel usw. sowie Austausch
241
Organisationen, z.B. durch Diskussions- und Informa¬
tionsrunden, gemeinsame Trainings- oder auch Forschungsvorhaben
mit anderen
usw.
Gestaltung von Arbeitstätigkeiten, die Partizipation und aktive
Auseinandersetzung mit den Arbeitsinhalten ermöglicht (Qualifizie¬
rung durch Arbeitsgestaltung; Ulich, 1992).
Kurz: Die Organisation muß Bedingungen schaffen, die ein miteinander
und voneinander Lernen möglich und erstrebenswert machen.
Auf der Seite der Mitarbeiter ist die Bereitschaft, sich auf implizites wie
auch explizites Lernen einzulassen, eine entscheidende Voraussetzung.
Dies impliziert Eigeninitiative, Offenheit gegenüber neuen Inhalten und
aktive Beteüigung an der Aneignung, Erprobung und eventuell auch
Veränderung dieser neuen Inhalte.
In den Vordergrund des impliziten Lernens tritt insbesondere der Aspekt
der Kooperation: Gruppen- und Teamarbeit sind Konzepte, die sowohl
kooperatives als auch selbstgesteuertes Lernen in der Arbeitstätigkeit
ermöglichen und fördern, einen wesentlichen Beitrag zur Organisations¬
entwicklung leisten und entsprechend die oben genannten strukturellen
Veränderungen voraussetzen. Im nächsten Abschnitt wird auf diese
Form des Lernens und ihre Vorteüe näher eingegangen.
Mit explizitem Lernen ist gemeint, was traditionellerweise unter
Förderang des Lernens in Unternehmen verstanden wird: die Planung,
Gestaltung und Evaluation von Lernumgebungen, in der Regel
bestehend aus unterschiedlichen Lernmodi (z.B. Selbstlernphasen,
kooperative Phasen, Präsenzphasen) und verschiedenen Medien bzw.
Medienkombinationen (Medienverbundsysteme).
Für die Gestaltung von Lernumgebungen werden eine Reihe von
Prinzipien postuliert, so vor aUem die Problemorientierung, Sinnesorien¬
tierung und der Arbeitsplatzbezug. Lernumgebungen sollten dabei
prinzipiell so gestaltet sein, daß aktives, konstruktives, selbstgesteuertes
und kooperatives Lernen möglich ist bzw. unterstützt wird.
Den Potentialen und der Gestaltung multimedialer Lernumgebungen
wird ein eigener Abschnitt gewidmet.
—
5.
Implizites
5.1
Lernen:
Gruppen-
und Teamarbeit
Gruppenarbeit
Ein bereits genanntes wichtiges Merkmal von Lernen in Unternehmen ist
Kooperation mit anderen (Huber, 1987). Nichts liegt diesbezüglich
die
näher, als das Lernen in die Guppe zu verlagern und in den Arbeitsprozeß
ein Konzept, das als Grappenarbeit bezeichnet wird
zu integrieren
(Stürzl, 1992). Durch Lernen in der Gruppe können Mitarbeiter in der
Arbeitstätigkeit gegenseitig vom Wissen und Erfahrungsschatz der
anderen profitieren sowie gemeinsam neues Lernen bewirken. Man
—
242
spricht
kation
Zusammenhang auch von kooperativer Selbstqualifi¬
(Heidack, 1989), die in verschiedenen Varianten realisierbar ist.
in diesem
Gruppenarbeit
anderen
kann
zum
einen als besonders effektiver Lernfaktor,
zum
Erfolgsfaktor auf dem Weg zu einer lean
betrachtet werden. Lean production meint den Versuch, mit
aber auch
als
production
weniger Personal, Produktionsfläche, Werkzeuginvestition u.a. fehler¬
freier und vielfältiger zu produzieren (Stürzl, 1992). Mit dieser
Doppelfunktion der Gruppenarbeit sind Vorteüe wie auch Gefahren
verbunden. Die Gefahr besteht darin, daß im Gruppenarbeitskonzept
einseitig ein Mittel zur Effektivitätssteigerung des Unternehmens gesehen
und Gruppenarbeit entsprechend als „mitarbeiterfeindlich" abgelehnt
wird. Die Vorteüe ergeben sich aus dem Versuch, in ähnlicher Weise wie
beim Lernkultur-Konzept die Gruppenarbeit als Integrationsmöglich¬
keit einer verbesserten Arbeitsqualität und Lernchance der Mitarbeiter
einerseits und einer erhöhten Effektivität und Konkurrenzfähigkeit des
Unternehmens andererseits
ist
Gruppenarbeit
Gruppen", bei der
streng
zu
zu
Mitarbeiter
nutzen.
unterscheiden
nur
von
einer
räumlich betrachtet
„Arbeit in
zusammen
bzw.
spezifischen Gruppenvorteüe
(Frey & Irle, 1985) genutzt werden. Gruppenarbeit dagegen meint ein
gemeinsames Arbeiten an einem gemeinsamen Arbeitsort zur ErsteUung
eines gemeinsamen Produkts (im weitesten Sinne).
nebeneinander arbeiten,
ohne daß die
Gruppenarbeitskonzepts waren teilautonome Arbeitsgruppen
Gruppenarbeit, bei
der die Interessen des Unternehmens und der Mitarbeiter gleichrangig
berücksichtigt werden, zeichnet sich durch folgende Merkmale auf den
Dimensionen Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation und Gruppenstruk¬
Vorbüd des
in der Atuomobüindustrie skandinavischer Länder.
tur aus.
Arbeitsgruppe wird jeweüs in einem bestimmten
gebildet, in dem verschiedene Teüaufgaben existieren,
die üblicherweise arbeitsteilig ausgeführt werden. Diese Teüaufgaben
werden (re-)integriert zu einer Gesamtaufgabe, für die die ganze
Gruppe verantwortlich ist. Wichtig dabei ist, daß planerische,
a) Arbeitsaufgabe.
Eine
Arbeitsbereich
ausführende und kontrollierende Aktivitäten wieder zusammenge¬
führt und in ihrer Ganzheit von allen Gruppenmitgliedern überblickt
und übernommen werden können. Die
Freiheitsgrade (Hacker, 1986),
durch
Aufgabe bietet dadurch
Tätigkeit für die
die die
Mitarbeiter beeinflußbar und kontrollierbar wird. Dieses Merkmal
Förderung von Selbstregula¬
Arbeitstätigkeit. Neben der
Handlungskontrolle
und einseitiger Belastungen
Arbeitsabläufe
monotoner
Vermeidung
führen derartige abwechslungsreiche Aufgaben zu mehr Motivation
ist
u.a.
ein entscheidender Faktor
zur
in der
tion und
und Kreativität bei den Mitarbeitern. Dies aUes kann
zusammen
als
persönlichkeitsfördemden Arbeitsge¬
staltung (Hacker, 1986) betrachtet werden.
wesentlicher Schritt
zu
einer
243
b) Arbeitsorganisation. Die Gruppe kann selbst bestimmen, wie sie die
Aufgabenplanung, Arbeitszuweisung, Arbeitsverteüung u.a. organi¬
siert; vorgegeben sind im allgemeinen das Ziel (Produkt) sowie die
Produktionsmethoden. Die Gruppe wird daher auch als teüautonom
bezeichnet. Insgesamt gewährt eine solche Arbeitsstruktur den
Grappenmitgliedern einen im Vergleich zu herkömmlichen Struktu¬
ren größeren Handlungsspielraum, der wiederum Voraussetzung für
eine selbstgesteuerte Form des Arbeitens und Lernens in der
Arbeitstätigkeit ist. Job rotation innerhalb der Gruppe bietet einen
zusätzlichen Weg, neue Qualifikationen unmittelbar bei der Arbeit zu
erwerben und dabei von anderen Grappenmitgliedern effektiv
unterstützt zu werden (von Rosenstiel, 1987a).
c) Gruppenstruktur. Eine Arbeitsgruppe arbeitet dauerhaft zusammen.
AUe Mitglieder der Gruppe sind gleichberechtigt; hierarchische
Strukturen gibt es nicht. Die Gruppenmitglieder sind an allen
wesentlichen Entscheidungen
beteüigt, was wiederum einen
wichtigen Motivationsfaktor darstellt (von Rosenstiel, 1987b). Eine
derartige, demokratisch zu nennende Gruppenstraktur bietet den
Mitarbeitern die besten Voraussetzungen, um soziale Kompetenzen
zu erwerben und einzuüben. Das partnerschaftliche Miteinanderumgehen gilt auch zwischen verschiedenen Gruppen sowie zwischen
Gruppen(vertretern) und Vorgesetzten, was einen kooperativen
Führungsstü als grundlegendes Prinzip im Unternehmen erforderlich
macht.
Die Idee der
Gruppenarbeit kann auch für die (Erst-) Ausbildung neuer
gemacht werden. In diesem Fall spricht man von
Lerninseln, die analog zu teüautonomen Arbeitsgrappen gestaltet werden
(Bittmann, Erhard, Fischer & Novak, 1992). Der Meister oder
Facharbeiter übernimmt entsprechend der Gruppenstruktur dieses
Konzepts dabei die Funktion eines Begleiters oder Beraters, der die
Auszubüdenden bei ihren ansonsten selbstgesteuert durchgeführten
Aufgaben im BedarfsfaU unterstützt.
Es wurde bereits erwähnt, daß die Einführung des Grappenarbeitskonzepts strukturelle Voraussetzungen wie z.B. Abbau von Hierarchien,
Partizipation der Mitarbeiter, räumliche Umstrakturierungsmaßnahmen
u.a. erfordert, die das Unternehmen schaffen muß, bevor Gruppenarbeit
überhaupt eine Erfolgschance haben kann. Ebenso wichtig ist die
ausführliche Information und Vorbereitung der Betroffenen. Die
Mitarbeiter müssen den Grand, die Art und die Vorteüe der
Veränderungen kennen und verstehen sowie die Möglichkeit erhalten,
die zur Gruppenarbeit erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu
Mitarbeiter nutzbar
erlernen
und
einzuüben.
Sowohl
das
Mitarbeiter müssen sich darüber im klaren
Unternehmen
als
auch
die
sein,
Einführung und
Entwicklung von Gruppenarbeit ein langfristiger Prozeß ist, bei dem sich
strukturelle Veränderungen und kooperative Zusammenarbeit in der
Arbeitstätigkeit wechselseitig bedingen. Ähnlich wie beim Konzept der
244
daß die
Organisationsentwicklung sind die Veränderungen in Struktur und
Arbeitsorganisation einerseits und in der gruppenbezogenen Arbeits¬
und Lernform andererseits dialektisch zu verstehen. Nicht kurzfristige
Erfolge, sondern langfristige Entwicklungsprozesse sind mit dem
Gruppenarbeitsprozeß zu verbinden.
Grappenarbeit trägt nicht nur zu einer ökonomischen Effektivitätsstei¬
gerang bei. Es ist sogar davor zu warnen, das Gruppenarbeitskonzept für
ausschließlich wirtschaftliche Interessen (z.B. im Sinne einer lean
production) einseitig zu instrumentalisieren. Grappenarbeit ist vielmehr
ganz entscheidend auch unter dem Humanisierungsaspekt zu verstehen:
Kooperative Zusammenarbeit in Gruppen bietet eine realisierbare Basis
für soziale Lernprozesse ebenso wie für fachliche Qualifikationsprozesse
und ermöglicht zudem, daß Arbeitsinhalte und Handlungsspielräume
erweitert und bereichert werden. Auf diese Weise können Arbeiten und
Bauer &
Vossen, 1992).
Zusammenhang ist die Motivation
der Mitarbeiter. Die gemeinsame Ausführung von Aufgaben, die in dem
Sinne „ganzheitlich" sind, daß sie auch Planung und Kontrolle der
Tätigkeit umfassen, vermittelt den Gruppenmitgliedern nicht nur das
Gefühl, für die übertragene Aufgabe verantwortlich, sondern auch
„Verarsacher" (De Charms, 1968) erzielter Leistungen zu sein. Dies
kommt dem primären Bedürfnis des Menschen entgegen, selbst
Umweltveränderungen zu bewirken und Kontrolle über inneres und
äußeres Geschehen auszuüben (Deci & Ryan, 1987). Grappenmitglieder,
die ihr (Arbeits-)Handeln eigenständig steuern und regulieren können,
sind motivierter (intrinsische Motivation; Deci & Ryan, 1985), fühlen
sich weniger unter Druck gesetzt und zeigen mehr Kreativität und
kognitive Flexibilität (Heckhausen, 1989). Sie werden auch mehr
Vertrauen in ihre eigenen Möglichkeiten und Kompetenzen entwickeln
(Bandura, 1977; Flammer, 1990), was wiederum dem gemeinsamen
Lernen und Arbeiten in der Gruppe zugute kommt.
Lernen verbunden werden
(Herz,
Ein entscheidender Faktor in diesem
5.2 Teamarbeit
Gruppenarbeit finden in der Teamarbeit die
Lernprozesse im allgemeinen außerhalb der
gemeinsamen
eigentlichen Arbeitstätigkeit statt und sind auf einen bestimmten
Zeitrahmen begrenzt. Teamarbeit kann, muß aber nicht in ein
Gruppenarbeitskonzept integriert sein (Breindl & Rachel, 1989; Stürzl,
1992).
Teamarbeit wird je nach betrieblichen Erfordernissen und Zielen in
unterschiedlicher Form realisiert, z.B. als Projektgruppe, Vorschlags¬
gruppe, Qualitätszirkel oder Lernstatt. AUen Formen von Teamarbeit ist
gemeinsam, daß sie vielerorts als entscheidender Faktor zur
Organisationsentwicklung betrachtet und in diesem Sinne in die Praxis
Im
Unterschied
zur
Arbeits- und
245
umgesetzt werden. Ganz im Vordergrund steht dabei das gemeinsame
mit unterschiedlicher Akzentuierang
wechselseitige Lernen, das
der
Entwicklung
beteüigten Mitarbeiter als auch die des
Unternehmens positiv beeinflussen soll.
Die wohl bekanntesten Formen der Teamarbeit sind Qualitätszirkel und
und
—
—
sowohl die
Lernstatt.
Qualitätszirkel wurden nach japanischem Vorbild mit dem
aufgebaut, Wissen und Erfahrung der Mitarbeiter zu nutzen, um die
Gestaltung von Arbeitsprozessen zu optimieren. Neben höherer
Produktqualität wird verbesserte Zusammenarbeit sowie gesteigerte
Motivation und Qualifikation angestrebt (Bungard & Wiendieck, 1986;
Simon, 1983). Qualitätszirkel sind Gruppen von maximal 12 freiwüligen
Mitarbeitern aus einem Arbeitsbereich, die sich während oder nach der
Arbeitszeit in regelmäßigen Abständen treffen, um gemeinsam unter
Leitung eines Moderators an selbstgewählten Problemen oder Aufgaben
zu arbeiten. Neben die ursprünglich stark ergebnisorientierten Ziele der
Qualitätszirkel treten zunehmend auch Ziele, die sich speziell auf die
Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter richten.
Der Ursprung des Lernstatt-Konzents liegt in den Versuchen der
Die ersten
Ziel
deutschen Automobüindustrie in den 70er Jahren, die Kommunikation
mit ausländischen Mitarbeitern
Laufe der Zeit
aUerdings
zu
verbessern. Die Lemstatt wurde im
zunehmend als
Möglichkeit genutzt, bei aUen
Problemlöseprozesse sowie kooperatives und
wechselseitiges Lernen zu aktivieren (Peters, 1992). Doch auch produktivitäts-und qualitätssteigernde Ziele spielten und spielen in der Lemstatt
indirekt eine RoUe, so daß man eine Annäherung zwischen Lernstatt und
Qualitätszirkel beobachten kann (BMW, 1990; Reichart, 1989).
Beide Konzepte
Qualitätszirkel und Lernstatt
ermöglichen und
fördern Teamarbeit und bieten ein Forum, das für unterschiedlichste
Mitarbeitern Lern- und
—
—
Formen des Lernens in Unternehmen genutzt werden kann.
Teamarbeit ermöghcht und unterstützt kreative Ideen
—
—
und
Verbesserungsvorschläge seitens der Mitarbeiter und leistet damit
einen Beitrag sowohl zur Partizipation der Mitarbeiter als auch zur
effizienten Weiterentwicklung des Unternehmens.
Teamarbeit trägt in ähnlicher Weise wie die Gruppenarbeit zu
intrinsisch motiviertem Lernen bei: Die Möglichkeit, einen eigenen
Beitrag zu Verbesserungen im Unternehmen leisten und in
Kooperation mit anderen selbstgewählte Aufgaben angehen und
bewältigen zu können, erhöht Motivation und Verantwortungsbe¬
wußtsein der Mitarbeiter.
—
Teamarbeit stellt ein wesentliches Potential für soziales Lernen dar:
Die Mitarbeiter können kommunikative und kooperative Fertigkei¬
ten
in
der
unmittelbaren
Erfahrung mit sozialen Situationen
erwerben und einüben.
—
246
Teamarbeit bietet
Spielraum für den Erwerb
selbstregulierten Lernens in der Gruppe.
und die
Erprobung
—
Teamarbeit kann schließlich auch ein Forum für
vom
gegenseitige
oder
Moderator initiierte beratende Aktivitäten sein. Diese Funktion
wird
vor
allem
im
Falle
von
Konflikten
und
Problemen
der
untereinander, mit Vorgesetzten oder mit bestimmten
Lern- und Arbeitsprozessen sein.
Auch die Einführung von Teamarbeit ist als ein langfristiger Prozeß zu
verstehen, so daß hier in etwa die gleichen Hinweise gelten wie beim
Gruppenarbeitskonzept: Gruppen- und Teamarbeit sind Neuerungen,
die einen gewissen zeitlichen und organisatorischen Aufwand erfordern
Mitarbeiter
und keine
„Überraschungseffekte"
liefern können.
Wenn die
Erprobung und Etablierang neuer Konzepte in diesem Sinne
mit der Mobüisierung unterschiedlichster Ressourcen im Unternehmen
verbunden ist, erscheint es sinnvoU und ökonomisch, diese Neuerungen
begleitend und abschließend zu evaluieren. Die Ergebnisse von
Evaluationen geben Hinweise und Impulse für Korrekturen und
Weiterentwicklungen verschiedener Konzepte zur Förderung des
impliziten Lernens.
Gruppen- und Teamarbeit sollten exemplarisch die Bedeutung und
Potentiale des impliziten Lernens in Unternehmen verdeutlichen. Im
folgenden wird der zweite Aspekt des Lernens in Unternehmen näher
betrachtet, das explizite Lernen. Beim expliziten Lernen treten
Lernprozesse stärker in ihrer organisierten Form im Rahmen
spezifischer Lernumgebungen in den Vordergrund.
Explizites Lernen:
Die Gestaltung mulitimedialer Lernumgebungen
6.
6.1 Multimediale
Lernumgebungen:
Eine
der traditionellen Idee
Erweiterung
Der klassische „Medienverbund"
—
ein
vom
Medienverbund
Begriff,
der sowohl in der
Erwachsenenbildung als auch in vielen Unternehmen oft benutzt wird
ein erster Schritt zur Realisierung eines in großen Teüen
war
selbstgesteuerten Lernens. Die Bezeichnung Medienverbund impliziert,
—
daß mehrere Medien
zum
Zwecke des Lernens miteinander verbunden
jedoch relativ einseitig mit den
Aspekten einer Kursgestaltung assoziiert und beschränkt
sich weitgehend auf die Planung und Durchführung von Lehrprozessen.
Die Konzeption von Lernen als aktiver und konstruktiver Prozeß
verträgt sich nur schwer mit dieser Betonung des Lehrens und seiner vor
allem technisch verstandenen Ausgestaltung mit verschiedenen Medien.
Der Begriff der Lernumgebung wird der oben skizzierten Vorstellung von
und den Anforderungen an Lernen weitaus besser gerecht, weshalb es
sinnvoll erscheint, den alten Begriff des Medienverbunds durch den
neuen Begriff und die erweiterte Idee der multimedialen Lernumgebung zu
werden. Der Verbund-Gedanke wird
technischen
ersetzen.
247
„Lernumgebung" meint kerne physikalische Umgebung, sondern ist im
von
Arrangements zu interpretieren, die unterschiedliche
Materialien, Informationsträger und Hilfen aufeinander abgestimmt mit
dem Ziel anbieten, Lernprozesse anzuregen und zu unterstützen.
„Multimedial" ist dagegen eher wörtlich im Sinne des Einsatzes mehrerer
Sinne
Medien
zu
verstehen, ohne daß damit die Art oder Neuheit dieser Medien
festgelegt wäre. Mit anderen Worten: Multimedial impliziert nicht
zwingend, das Repertoire neuester Technologien wie interaktives Video,
Computer usw. auszuschöpfen, sondern bezieht auch traditionelle
Medien wie Textunterlagen, IUustrationen, Tonbandkassetten u.a. ein.
Lernumgebungen haben den Vorzug, daß nicht so sehr das Lehren,
sondern vielmehr das Lernen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
rückt. Im Blickpunkt stehen hier Prozesse des Lernens, zu deren
Optimierung die Lernumgebung durch geeignete Anregungen, Anleitun¬
gen und Unterstützungen beitragen soll.
In einer multimedialen Lernumgebung werden verschiedene Medien
miteinander kombiniert und aufeinander abgestimmt sowie mit Präsenz¬
bzw. Sozialphasen verknüpft. Von den Präsenzphasen zu unterscheiden
sind Verhaltenstrainings, die einen weiteren Baustein in multimedialen
Lernumgebungen darsteUen können. Auch derartige Trainingsmaßnah¬
men zur Verbesserung unterschiedlicher Kompetenzen und Fertigkeiten
lassen sich mit muütmedialen Elementen (z.B. Video oder interaktives
Video) ausstatten.
Die in einer Lernumgebung eingesetzten Medien ergänzen einander und
werden danach ausgewählt, inwieweit sie helfen können, spezifische
Inhalte und Ziele optimal zu realisieren.
Bei der Gestaltung solcher Lernumgebungen gilt es, aUgemeine
Prinzipien anzuwenden, die es den Lernenden ermöglichen, sich mit den
zu vermittelnden Inhalten aktiv und konstruktiv auseinanderzusetzen,
Eigeninitiative und Selbststeuerung zu realisieren sowie gemeinsam mit
und
auch
von
anderen
zu
lernen.
Neue
Ansätze
wie
cognitive
apprenticeship (Brown, CoUins & Duguid, 1989; Collins, Brown &
Newman, 1989) und anchored instruction (Bransford et al., 1990) gehen
genau in diese Richtung (Mandl & Prenzel, 1992).
Zu diesen Gestaltungsprinzipien gehört auch der Anwendungs- und
Arbeitsplatzbezug (Mandl, Prenzel & Gräsel, 1992). Dies impliziert zum
einen eine Gestaltung von Lernumgebungen, die den Transfer und die
Umsetzung des Gelernten in der Arbeitstätigkeit möglichst effektiv
fördert, und zum anderen eine Gestaltung von Arbeitsplätzen, die
sowohl die Anwendung des Gelernten erlaubt und unterstützt als auch zu
implizitem Lernen in der Arbeitstätigkeit anregt.
In diesem Rahmen ist auch der Einsatz verschiedener Medien
Medien werden mit der
Erwartung und Absicht eingesetzt,
oben erläuterten Sinne
zu
fördern und
effektiv miteinander kombinieren
über die
248
Möglichkeiten
zu
zu
zu
sehen:
Lernen im
unterstützen. Um Medien
können, ist
es
erforderlich, sich
Anregung
und Grenzen eines Mediums für die
und
Unterstützung von Lernprozessen im klaren zu sein. In diesem
Zusammenhang hat es sich als sinnvoll erwiesen, verschiedene Aspekte
eines Mediums
zu
unterscheiden.
In der
Alltagssprache wird häufig nur ein Aspekt zur Kennzeichnung
eines Mediums herangezogen, nämlich der Aspekt der „Stofflichkeit"
bzw. der technischen Realisierung: also etwa Computer, Fernseh- oder
Videogerät, Radio oder Tonband, Textunterlagen usw. Ebenso wichtig,
wenn nicht gar wichtiger aus psychologischer Sicht, ist aUerdings der
Aspekt des Symbolsystems: Hier sind vor allem das sprachliche, visueUe
und auditive Symbolsystem zu nennen. Eng damit verknüpft sind die
verschiedenen Verarbeitungsmöglichkeiten eines Mediums, die durch
dessen jeweüige Technologie ermöglicht bzw. begrenzt werden. Das von
einem Medium verwendete Symbolsystem erfordert bzw. bewirkt
unterschiedliche mentale Repräsentationen und Verarbeitungsprozesse,
die ihrerseits das Lernen entscheidend beeinflussen (Clark & Salomon,
1986).
Anhand der Beispiele Textunterlagen und Fernsehen (in Anlehnung an
Kozma, 1991; Weidenmann, 1986) kann gezeigt werden, daß die
Wirksamkeit und der Nutzen und damit auch die Auswahl eines
Mediums
werden
nicht anhand der Stofflichkeit
können,
Mediums und
sondern
einigen
eines Mediums bestimmt
den oben genannten
von
weiteren Faktoren
abhängig
Aspekten eines
sind.
neben möglichen Bildelementen
das sprachliche
Textunterlagen verwenden
Symbolsystem. Der Lernende, der mit einem Text arbeitet, muß die sprachlichen
Symbole dekodieren und (seriell) verarbeiten. Er wird eine ganz bestimmte mentale
Repräsentation des Textes aufbauen, wobei verschiedene Verarbeitungsstrategien zur
Anwendung kommen können. Das sprachliche Symbolsystem ist vor allem durch
seine Stabilität (Kozma, 1991) gekennzeichnet, die es dem Lernenden erlaubt, die
Geschwindigkeit, Reihenfolge und Intensität bei der Verarbeitung des Textes selbst
zu bestimmen. Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus dem eher geringen ökonomischen
Aufwand für die Beschaffung und den Einsatz von Textunterlagen.
—
—
Das Fernsehen verwendet sowohl visuelle als auch auditive
Symbolsysteme. Als
Darbietung sprachlicher und visueller
Information zu sehen, deren gleichzeitige Verarbeitung relativ hohe Ansprüche an
die Verarbeitungskapazität und -geschwindigkeit des Lernenden stellt. Der Lernende
ist hier ungleich mehr in der Anwendung individueller Verstehens- und Behaltensstrategien eingeschränkt als beim Lernen mit Textunterlagen. Ein Fernsehfilm wird
aufgrund seiner Erfahrungsnähe insbesondere den Aufbau analoger Repräsentatio¬
nen fördern; die Elaboriertheit dieser Repräsentationen ist allerdings von verschie¬
denen kognitiven Voraussetzungen des Lernenden abhängig. Davon unabhängig ist
der mögliche motivierende Charakter eines Fernsehfilms und die damit verbundene
Wirkung auf Aufmerksamkeit und Interesse beim Lernenden.
besonderes Charakteristikum ist die simultane
Die beiden
Beispiele
machen
verkürzter Art und Weise
—
—
wenn
auch in sehr vereinfachter und
zumindest ansatzweise deutlich, daß bei der
Auswahl eines Mediums die vorhandenen finanziellen und technischen
die Ziele und Inhalte des Medieneinsatzes, die
Fähigkeiten zur Repräsentation und Verarbeitung
unterschiedlich symbolisierter
Inhalte und die
kognitiven und
motivationalen Voraussetzungen seitens der Lernenden zu berücksich-
Möglichkeiten,
erforderlichen
249
tigen sind.
Nur in der Zusammenschau dieser Faktoren kann
man
etwas
über die Wirksamkeit und den Nutzen eines Mediums für das Lernen
vorhersagen.
Lernumgebung werden nach bestimmten
ausgewählte Medien untereinander und mit Präsenz- bzw.
Sozialphasen kombiniert sowie aufeinander abgestimmt und ent¬
sprechend aUgemeiner Prinzipien gestaltet, die ein aktives, konstruktives,
selbstgesteuertes und kooperatives Lernen fördern.
Fazit: In einer multimedialen
Kriterien
6.2 Potentiale einer multimedialen
Die
Erläuterung,
verstehen
ist
und
was
wie
unter
sie
Lernumgebung
multimedialen
sich
vom
Lernumgebungen
klassischen
zu
Medienverbund
unterscheiden, enthielt bereits Hinweise auf einige besondere Möglich¬
keiten für die Förderung des Lernens in Unternehmen. In der Tat
besitzen mulitmediale
Lernumgebungen eine ganze Reihe von
Potentialen, die sich auf einer psychologischen, didaktischen und
organisatorischen Dimension anordnen lassen.
Auf der psychologischen Dimension sind vor aUem die von einzelnen
Medien unterschiedlich verwendeten Symbolsysteme hervorzuheben, die
beim Lernenden verschiedene Repräsentationen und Verarbeitungs¬
prozesse bewirken. Verschiedene Symbolsysteme eigenen sich unter
anderem unterschiedlich gut zum Aufbau mentaler ModeUe, wie sie etwa
Experten auf einem bestimmten Gebiet besitzen: Bildliche Symbol¬
systeme zum Beispiel können die mentale Repräsentation von solchen
Phänomenen der realen Welt erleichtem, die dem Lernenden nicht direkt
zugänghch sind. Bewegte repräsentationale Symbolsysteme, wie sie etwa
durch Video realisiert werden, können zusätzlich die erforderliche
Information zur Konstruktion dynamischer Repräsentationen bereit¬
stehen. Besondere Potentiale bietet der Computer: Der Computer
unterscheidet sich von anderen Medien weniger durch spezifische oder
neue Symbolsysteme als vielmehr durch seine, von keinem anderen
Medium zu übertreffenden, Verarbeitungsmöglichkeiten. Mit Hilfe eines
Computers ist es nicht nur möglich, eine riesige Datenmenge zu
speichern und verschiedene Symbolsysteme relativ rasch nacheinander
(oder auch parallel) anzubieten und miteinander zu kombinieren. Über
den Computer läßt sich auch (nach spezifischen Regeln) mit Symbolen
operieren, und Lernende können Symbole zudem manipulieren und die
Konsequenzen ihrer Manipulationen unmittelbar beobachten (Kozma,
1992).
Es ist davon auszugehen, daß die Art der Repräsentation und die
Verarbeitungsmöglichkeiten Einfluß auf den Lernprozeß und das
Lernergebnis haben, was bei der Medienwahl entsprechend zu
berücksichtigen ist. Da es die Kombination verschiedener Medien in
diesem Sinne ermöglicht, bei der Realisierung eines Lernvorhabens
mehrere Sinne anzusprechen, können somit auch mehrere Repräsenta250
tions- und
Verarbeitungsformen beim Lernenden aktiviert werden. Diese
Sinnesorientierung kann neben kogmtionspsychologischen Überlegungen
auch aus motivationaler Sicht als positiv betrachtet werden: Der Einsatz
und die Kombination verschiedener Medien kann Lernende sowohl
Beginn
einer
Lernphase
motivieren
Motivation im weiteren Verlauf des
als
zu
die
beitragen,
Lernprozesses aufrechtzuerhalten.
auch
dazu
Natürlich
hängt die motivierende und aufmerksamkeits- oder interessen¬
Wirkung einer multimedialen Lernumgebung von deren
effektiver Gestaltung und adäquater Abstimmung mit Inhalten, Zielen
und Zielgruppenvoraussetzungen ab. Ähnliches gut für den Beitrag einer
multimedialen Lernumgebung zur Freude am Lernen: Das Lernen mit
Medien kann (unter den oben genannten Voraussetzungen) einen
wesentlichen Beitrag dazu leisten, daß es den Lernenden Spaß macht, sich
neue Inhalte anzueignen und diese auch anzuwenden, was von nicht zu
unterschätzender Bedeutung für Lernprozeß und -ergebnis ist.
Die Kombination verschiedener Medien (einschließlich Präsenz- bzw.
Sozialphasen) bietet auch besondere Potentiale auf der didaktischen
Dimension. Bei der didaktischen Gestaltung einer multimedialen
Lernumgebung können mit Hilfe unterschiedlicher Medien verschiedene
Ziele in je adäquater Form angegangen werden: So kann man z.B. mittels
audio-visueller
Medien
einen
motivierenden und/oder Neugier
erweckenden Einstieg in die zu vermittelnden Inhalte bieten oder auch
Inhalte anschaulich demonstrieren oder modeUieren, über
neue
Textunterlagen auf ökonomische Art und Weise Überblicks- oder
fördernde
Hintergrandinformation vermitteln, mit Hufe von Computern Refle¬
xions- und Artikulationsprozesse anregen, speziell mit Simulationsmo¬
dellen explorative Aktivitäten ermöglichen und vieles mehr. Eine solche
Medienkombination erfolgt im Sinne einer Synergie: Die einzelnen
Medien ergänzen sich in ihren Effekten und tragen über die Realisierung
einzelner Teilziele zusammen zu einem übergeordneten Ziel bei, wie es
etwa in der Umschreibung des Zwecks einer Weiterbüdung zum
Ausdruck kommt.
Sozialphasen besteht schließlich die Möglichkeit zum
Erfahrungsaustausch, zur Diskussion, zu Rückmeldungen und zur
gemeinsamen Klärung offener Fragen. In diesem Rahmen kann auch
kooperative Zusammenarbeit angeregt oder angeleitet werden, so daß
zusätzlich die soziale Dimension bei der Gestaltung und Realisierung
eines Medienverbunds zum Zuge kommen kann. Sollen jedoch soziale
und kommunikative Fertigkeiten explizit eingeübt oder verbessert
werden, bieten sich unterschiedlich akzentuierte Verhaltenstrainings als
weiterer Baustein einer Lernumgebung an, zu deren Methodenrepertoire
zahlreiche erprobte kognitive und verhaltensorientierte Trainingstechni¬
ken gehören.
Wichtig sind in diesem Zusammenhang Untersuchungen, inwieweit die
einzelnen Medien und/oder verschiedenen Lernphasen die in sie
gesteckten Erwartungen auch erfüllen können.
In Präsenz- bzw.
251
Was die
organisatorische Dimension betrifft, so bietet eine mulitmediale
Lemumgebung die einzigartige Möglichkeit, verschiedene Lernorte
miteinander zu verknüpfen. Denn viele Medien können sowohl als
Selbstlernmaterialien (zuhause oder am Arbeitsplatz) genutzt als auch in
speziell organisierten Lernumgebungen oder arbeitsplatznah eingesetzt
werden. Die Kombination
beitragen,
Transfer
den
von
von
Anwendungsneu
Lernorten in diesem Sinne kann dazu
und
erworbenen
Arbeitsplatzbezug
Inhalten
zu
und damit den
erhöhen.
Multimediale
Lernumgebungen bieten unter dieser Perspektive auch gute Vorausset¬
zungen für selbstgesteuertes Lernen, was sowohl für die Lernenden als
auch für das Unternehmen von Vorteil ist. Gerade der selbstgesteuerte
Teü im Rahmen einer Lernumgebung gewährt ein vergleichsweise hohes
Maß an Flexibüität in Ort und Zeit—ein Vorzug, der in Hinblick auf den
eingangs beschriebenen Lernbedarf von zunehmender Bedeutung ist.
6.3 Der Kontext einer multimedialen
Lernumgebung
Wenn eine multimediale
Lemumgebung gestaltet und realisiert werden
zu berücksichtigen, die hier
direkten oder indirekten Einfluß haben können. Es gilt folglich, sich auch
den Kontext multimedialer Lemumgebungen näher zu betrachten.
Die Gestaltung einer multimedialen Lemumgebung ist zunächst
entscheidend von der bereits erläuterten zugrundeliegenden Konzeption
des Lernens abhängig. Lernen wird als ein aktiver, konstruktiver,
selbstgesteuerter und kooperativer Prozeß betrachtet, was seinen
Niederschlag in aUgemeinen Gestaltungsprinzipien findet, die dieser
postulierten Form des Lernens gerecht werden.
Noch vor der Planung einer multimedialen
Lernumgebung sind Inhalte
soU, sind die Bedingungen und Faktoren
und Ziele
zu klären:
Was soll wozu vermittelt werden? Um diese
entscheidende Frage beantworten zu können, sind fundierte Bedarfs- wie
auch Anforderangsanalysen erforderlich. Die
Ergebnisse solcher
Analysen geben Aufschluß darüber, ob Wissen, Fertigkeiten und/oder
Einsteüungen verändert bzw. erworben und welche übergeordneten
(allgemeinen) Ziele damit erreicht werden sollen (z.B. Produktionssteige¬
rang; Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit; Verbesserung des Unterneh¬
mensimages). Eine sorgfältige Zielfindung und -präzisierung dient auch
als entscheidende Grundlage für die Evaluation von
Lernumgebungen,
auf die unten noch eingegangen wird. Jedoch hat nicht nur das
Unternehmen Ziele, sondern auch die betroffenen Individuen haben
Erwartungen und Wünsche an die Weiterbildung. Neben allgemeinen
und spezifischen Unternehmenszielen sind folglich auch individuelle
Ziele und Bedürfnisse der Mitarbeiter bei der
Gestaltung von
Lernumgebungen zu berücksichtigen. Das Konzept der Lernkultur
eignet sich in diesem Zusammenhang als ein Ausgangspunkt für eine
(zumindest partielle) Überwindung des nicht selten bestehenden
252
Spannungsverhältnisses zwischen Unternehmen und Individuum: Eine
Förderung der Lernkultur als übergreifendes Ziel ist sowohl im Sinne des
Individuums als auch im Sinne des Unternehmens erstrebenswert.
Bei der Auswahl der Medien wurde bereits auf einen Faktor verwiesen,
der auch bei der
Gestaltung von Lernumgebungen insgesamt eine
spielt: die technischen Möglichkeiten, die einem
Unternehmen zur Verfügung stehen, was wiederum eng verknüpft ist mit
wichtige
Rolle
den finanzieUen Ressourcen eines Unternehmens. Des weiteren sind hier
Trainingspersonal, bestehende Schulungskonzepte und Unternehmens¬
kultur als Beispiele zu nennen, die als Organisationsfaktoren die
Möglichkeiten bei der Gestaltung von Lernumgebungen positiv oder
negativ beeinflussen können. In dieser Beziehung ist ein Unternehmen
natürlich auch abhängig von der wirtschaftlichen wie auch (büdungs-)
politischen und gesellschaftlichen „Großwetterlage". Ebensowenig wie
es
ratsam ist, übergeordnete Faktoren dieser Art als primären
Ausgangspunkt und strikten Rahmen für die Gestaltung mulitmedialer
Lernumgebungen zu nehmen und damit kreative und innovative
Entwicklungen im Keim zu ersticken, können diese Einflußfaktoren
geleugnet werden.
Schließlich sind auch Faktoren auf Seiten der Lernenden
zu
berücksichtigen. Neben Inhalt, Zielen und Unternehmensfaktoren ist
immer auch die Zielgruppe für die Gestaltung von Lernumgebungen von
großer Bedeutung. Dies gut sowohl für die Auswahl der Medien als auch
für die didaktisch-methodische Richtung (allgemeine und spezifische
Gestaltungsprinzipien) sowie für organisatorische Aspekte (z.B. Art und
Verteüung von Präsenzphasen, Lernorte) einer multimedialen Lernum¬
gebung. Neben Bedarfs- und Anforderungsanalysen ist es daher auch
erforderlich, kognitive und motivationale Voraussetzungen, Erwartun¬
gen sowie Erfahrungen und Lerngeschichte der Zielgruppe(n) zu
analysieren und bei der Gestaltung einer Lemumgebung zu
berücksichtigen.
Wichtig bei der Gestaltung und Realisierung einer Lernumgebung ist die
Überprüfung, ob die eingesetzten Medien die erwarteten Funktionen
erfüllen, ob die Medienkombination die angestrebte Synergie bewirkt
und inwieweit die oben genannten Ziele und insbesondere selbstgesteuer¬
tes Lernen
erreicht werden können. Vor allem in Hinblick auf
bei
neue
ist
eine
Entwicklungen
Gestaltung
Lernumgebungen
und
bzw.
abschließende
Evaluation
begleitende
Qualitätssicherung von
Lernumgebungen entscheidend sowohl speziell für eine wirkungsvolle
Entwicklung der Weiterbildungsaktivitäten in einem Unternehmen als
auch allgemein für die Förderung des selbstgesteuerten Lernens im Sinne
einer Lernkultur (Reinmann-Rothmeier, Mandl & Prenzel, 1993;
Thierau, Stangel-Meseke & Wottawa, 1992).
Wie im Zusammenhang mit der Einführung von Konzepten zur
oder gerade
bei
Förderung des impliziten Lernens gilt auch
Maßnahmen zur Unterstützung des expliziten Lernens, daß man diese
der
von
—
—
253
wissenschaftlich
begleiten
sollte. Nur durch
prozeß-
und
ergebnisorien¬
tierte Evaluationen kann sichergesteUt werden, daß materielle und
Ressourcen im Unternehmen nicht verschenkt, sondern auch
personeUe
bei potentiellen Fehlschlägen wirksam genutzt werden. Dies ist möglich,
wenn Weiterbüdungsaktivitäten welcher Art auch immer mit Hilfe von
derartigen Untersuchungsergebnissen immer weiter optimiert werden.
Abbüdung 3 veranschaulicht die Zusammenhänge zwischen den hier
erläuterten Faktoren und der
bungen in vereinfachter
Gestaltung von multimedialen Lernumge¬
Form.
ftliche.w
irtschaft) iche, politisch«;
Sltu
Konzeption des Lernens
Lernen als aktiver, konstruktiver,
selbsigesteuener und kooperativer
Prozeß
Unternehmensfaktoren
kognitive und
finanzielle und technische
moti¬
Ressourcen, Trainingsper
sonal, Umernehmenskultur,
vationale Voraus¬
setzungen.
Erfahrungen,
Lemgeschichte
etc
1
und
Weiterbildungsziele
-Inhalte
|
Unternehmensziele
Ziele der Lernenden
Erfüllung der Er-
Deckung des festge-
wanungen, indivi¬
duelle Bedürfnisse
Förderung der
Lemkultur
ntegratives
als
Dedrafs,
allg und spez Ziele
stellten
Ziel
Abbildung 3:
Lernumgebungen
Der Kontext multimedialer
7.
Integration
Die
im Sinne einer Lernkultur
explizite Gestaltung
von
Lemumgebungen, wie sie im vorangegan¬
genen Abschnitt beschrieben wurde, ist nicht abgehoben von den beiden
anderen Aspekten der Lernkultur, nämlich von der Lernhaltung und
impliziten Lernen, zu verstehen. Vielmehr ist gerade die
Verzahnung von EinsteUung zum Lernen, implizitem und explizitem
Lernen konstitutiv für eine Lernkultur. Aufbauend auf Eigeninitiative,
Motivation und Bereitschaft zum (lebenslangen) Lernen auf sehen der
Mitarbeiter sowie strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen
und einer lernfördernden Haltung auf Seiten des Unternehmens sollten
sich das implizite Lernen am Arbeitsplatz und das organisierte Lernen in
spezifischen Lernumgebungen einander annähern und ergänzen. Kurz:
Anzustreben ist eine Verbindung von Lernen und Arbeiten (Dehnbostel,
vom
254
1992).
zum
Dies sind die
grundlegenden Voraussetzungen
in dem Wissen und
lernenden Unternehmen,
einer
Entwicklung
Lernfähigkeit die
zukunftsweisenden Ressourcen sind.
Notwendigkeit des Lernens auf aUen Ebenen des Unternehmens ist
angesichts der starken Veränderungen des wirtschaftlichen, technologi¬
schen, marktpolitischen und gesellschaftlichen Umfeldes unbestreitbar.
Schon lange geht es nicht mehr darum, ob im Unternehmen gelernt
werden soU, sondern darum, wie gelernt werden kann und soU, um dem
gesteigerten Lernbedarf gerecht zu werden. Ein Unternehmen kann
diesen Entwicklungen nur standhalten,
wenn es vom Mitarbeiter bis zur Unternehmensleitung auf Lernen
vorbereitet und ausgerichtet ist;
Strukturen und Organisationsformen ent¬
wenn es betriebliche
wickelt, die Lernprozesse innerhalb und außerhalb der Arbeitstätig¬
keit nicht nur möglich machen, sondern auch nahelegen;
wenn Lernen von aUen Organisationsmitgliedern als selbstverständ¬
liche und chancenreiche Komponente des Arbeits- und Berufslebens
Die
—
—
—
betrachtet und realisiert wird.
Dieser
Beitrag
Lemkultur
soUte deutlich machen, daß
als
Rahmenkonzept
für
diese
sich die Idee
von
Lernerfordernisse
der
und
-Voraussetzungen im Unternehmen anbietet. Von einer Lernkultur kann
sprechen, wenn alle drei Aspekte, die EinsteUung
Lernen,
implizite und das explizite Lernen im Unternehmen
ernst genommen und entsprechend gefördert werden. Die Vernachlässi¬
gung auch nur eines dieser drei Aspekte erschwert oder verhindert die
Entwicklung einer für das Unternehmen und seine Mitarbeiter
wirkungsvoUen und chancenreichen Lernkultur.
Ohne eine positive Einstellung zum Lernen seitens des Unternehmens und
seitens der Mitarbeiter werden weder die Einführung des Gruppen- oder
Teamarbeitskonzepts noch teure Gestaltungsmaßnahmen multimedialer
Lernumgebungen die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen können.
Wenn es den Organisationsmitgliedern an Motivation, Lernbereitschaft
und Freude am Lernen fehlt oder mangelt, kann man nicht damit
rechnen, daß Lemangebote welcher Art auch immer selbstverantwort¬
lich wahrgenommen und effizient genutzt werden. Wenn Management
und Unternehmensleitung die Umsetzung von Lemvorhaben im
man
jedoch
nur
dann
das
zum
Unternehmen
nur
dulden und
von
deren Nutzen und Effektivität nicht
überzeugt sind, wird die lernwülige „Basis" immer wieder
an
materieUen
und ideeUen Hindernissen scheitern.
Ohne die
Möglichkeit
verschenkt,
können
zum
impliziten
motivierte
Lernen werden
Mitarbeiter
leicht
Lernpotentiale
die
Lust
am
verlieren, können Transferleistungen aus expliziten
Weiterbüdungsaktivitäten unnötig erschwert oder auch ganz verhindert
werden. Nur die Integration von Lernen und Arbeiten stellt sicher, daß
auch soziale und kooperative Lernprozesse stattfinden, die zum einen
eine notwendige Ergänzung zum Erwerb von Wissen und Fertigkeiten in
Weiterlernen
255
spezifischen Lernumgebungen darstellen und zum anderen ein qualitativ
anderes Lernpotential aufweisen, das sich vor allem durch Flexibüität
und Anwendungsorientierung auszeichnet. Ohne die Integration der
Mitarbeiter in eine Community ofpractice wird es nicht möglich sein, daß
sich Lernende einen neuen bedeutsamen Erfahrungshorizont erarbeiten
und sich selbst zu Experten entwickeln: Nur die Einbindung der
Lernenden in die Denk-, Handlungs- und Problemlöseprozesse von
Experten leistet den letzten und entscheidenden Schritt dafür, daß Wissen
und Fertigkeiten internalisiert und kompetent angewendet werden.
Ohne ein Angebot von Maßnahmen für explizites Lernen besteht die
Gefahr, daß aUe Last und Verantwortung den Mitarbeitern zugeschoben
wird und die Organisation das Lernen mehr oder weniger dem Zufall
bzw. zufälligen Bedingungen im Unternehmen überläßt. Der Gestaltung
spezifischer, insbesondere multimedialer Lernumgebungen wird weiter¬
hin große Bedeutung zukommen, vor allem wenn neben sozialen und
kooperativen Lernphasen auch dem selbstgesteuerten Lernen zuneh¬
mende Aufmerksamkeit gewidmet und entsprechend Raum gewährt
wird. Derartige Lernumgebungen setzen Impulse zum Lernen im
Unternehmen, bieten Orientierung und Unterstützung und liefern das
„Werkzeug" zum selbstgesteuerten wie auch kooperativen Lernen.
Wenn im Zusammenhang mit der Lernkultur in Unternehmen von
lebenslangem Lernen die Rede ist, so liegt dieser Auffassung ein eher
weiter Lernbegriff zugrunde. Lernen ist hier weder im Sinne
traditioneller schulischer Aktivitäten noch als Anhäufung von
Faktenwissen zu verstehen. Lernen meint vielmehr, in der aktiven
Auseinandersetzung mit der sozialen und gegenständlichen Umwelt
Erfahrungen zu sammeln. Das Sammeln von Erfahrungen impliziert,
daß nicht nur kognitive Tätigkeiten stattfinden, sondern daß der Mensch
mit all seinen Sinnen in den Lernprozeß eingebunden ist. In diesem Sinne
ist auch die Bedeutung der Community ofpractice beim Lernen zu sehen:
Zum Experten wird man nicht durch eine enzyklopädische Wissensan¬
sammlung, sondern durch Teünahme an gemeinsamen Tätigkeiten mit
anderen, durch das unmittelbare Miterleben, wie Erfahrene in ihrem
Gebiet handeln und denken. Experten zeichnen sich nicht nur dadurch
aus, daß sie über reiches Faktenwissen verfügen. Sie besitzen zudem
vielfältiges und flexibel einsetzbares prozedurales Wissen sowie ein
ausgereiftes Urteüssystem, das über rein kognitive Inhalte weit
hinausgeht. Hierzu gehört auch das Wissen, daß es keine absoluten und
perfekten Lösungen für alle (Lebens-) Probleme und keine exakt
voraussagbare Zukunft gibt sowie die Fähigkeit, mit diesen
Ungewißheiten konstruktiv umzugehen (Baltes & Smith, 1990). Auch
der Entwicklungsbegriff bietet sich in diesem Zusammenhang an:
Entwicklung im Sinne einer lebenslangen Entwicklung von Kompeten¬
auch in Arbeit und Beruf (Oerter, 1992).
zen
Ziel des Lernens im Unternehmen
sei es in Form des impliziten oder
ist also keineswegs nur der Erwerb kognitiver
expliziten Lernens
—
—
—
256
Kompetenzen, sondern auch die Entwicklung sozialer Kompetenz sowie
Eigenverantwortlichkeit und Kritikfähigkeit beim Handeln. Dies
entspricht einem humanistischen Menschenbüd, in welchem dem
Menschen grundsätzlich Autonomie und Selbstverantwortung zuge¬
schrieben und zugebilligt wird (Rogers, 1974). Dieses übergeordnete
(humanistische) Ziel dient primär der Persönlichkeitsentwicklung des
einzelnen, wird daneben aber auch für die Weiterentwicklung eines
Unternehmens von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein. Damit
diese Entwicklung von Kompetenzen bzw. der ganzen Persörüichkeit
stattfindet und nicht etwa stagniert oder gar rückläufig wird, müssen
Grundlagen und Chancen zum Lernen in der Organisation gewährleistet
und ständig optimiert werden. Wie bereits bei der Erläuterung von
Organisationsentwicklung und Lernkultur ist auch hier hervorzuheben,
daß sowohl das Unternehmen als auch die einzelnen Mitarbeiter selbst
ihren
Beitrag
für die
Entwicklung
einzelner
Kompetenzen und der
gesamten Persönlichkeit leisten müssen.
Diese Konzeption geht über die einseitig instramentell orientierte
Weiterbüdung im Unternehmen hinaus: Neben die Weiterbildung im
traditioneUen Verständnis, das ausschließlich den Erwerb berufsbezoge¬
Wissens und neuer Fertigkeiten umfaßt, tritt die
neuen
nen
Persönlichkeitsbildung in dem Sinne, daß die Entwicklung der ganzen
Person gefördert wird.
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Anschrift der Autoren:
Dr. Gabi
Reinmann-Rothmeier, Prof. Dr. Heinz Mandl
Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Empirische Pädagogik
Pädagogische Psychologie, Leopoldstraße 13, 80802 München.
260
und